Kultur

des Einkommens, sondern der Phantasie“, noch zu den besseren Versprechungen im POP sagt Jackson, die lange in einem Second- Pop-Universum. hand-Modeladen in arbeitete und Und alle Stars, die dieser Tage damit Glamour in den ehemaligen Roxy-Music-Sänger Bryan prahlen, dass sie keine Plattenfirmen mehr Ferry verehrt. benötigen, haben einst sehr dankbar bei Aber werden ihrem irgendeinem Laden unterschrieben. Von Kaschemmen Namen kaum gerecht. Das Quintett um netten Feuilleton-Lobhudeleien kann sich Kate Jackson, Songwriter und Gitarrist der Künstler eben nicht mal Dosenmilch Die Britpop-Gruppe Dorian Cox, Gitarristin Emma Chaplin, kaufen. Das Lustwandeln auf den Rosen- Bassistin Reenie Hollis und Schlagzeuger blättern der Talentjäger sei auch anstren- The Long Blondes bietet keine Screech Louder ist eher mittelgroß ge- gend gewesen, sagen die fünf aus Sheffield. einzige Blondine, wachsen, und blond ist keiner von ihnen. Viele große und noch mehr kleine aber jede Menge guter Songs. Egal. Losgelegt haben sie vor ungefähr Plattenfirmen gaben Gebote für The Long drei Jahren in Sheffield, wo alle fünf mal Blondes ab. Leider hat lange keines ge- er Hotelkasten an der vierspurigen des Studiums wegen gelandet waren. Auf- passt. Entweder wurde ein kleines Ver- Schnellstraße, in einem Randbezirk einander aufmerksam geworden sind sie mögen geboten, verbunden mit der Er- Dvon London, schaut aus wie ein im Nachtleben. „Wir sahen eben alle super mahnung, „schneller bei den Liedern zum Altenheim. Alles hier scheint beige: die aus. Das verbindet“, sagt Jackson. Eine Refrain zu kommen“. Oder es wurde die Wandfarbe, das Licht, die Blousons und Band zu gründen war erst mal vor allem totale künstlerische Freiheit in Aussicht ge- Hosen der überwiegend betagten Gäste eine Pose. Bevor sie einen Ton gespielt hat- stellt, aber das mit lächerlicher Entlohnung. und der Milchtee aus dem Automaten ten, richteten The Long Blondes eine Web- Als sie vom „New Musical Express“ einen neben der Rezeption sowieso. Seite ein und verkündeten dort: „Wir hö- Preis als „beste Nachwuchsband“ bekamen, Kein Ort also, an dem man frische Pop- ren nicht , , schwindelten sie bei ihren Arbeitgebern, Helden erwartet. „Ja, es wird Zeit, dass , oder .“ dass irgendwer aus der Familie gestorben wir endlich unsere erste Million machen“, sagt Emma Chaplin, 26, Gitarristin der Long Blondes, grinst und beißt in ein Rührei-Pilz-Sandwich. So fürchterlich kann Ruhm aussehen. In den britischen Feuilletons werden The Long Blondes als Offenbarung hofiert, und ihr anstehendes Debütalbum gehört zu den dringlich erwarteten Werken dieser Pop- Saison. Das Quintett aus dem Industrie- kaff Sheffield verkörpere „alles, was köst- lich an Popmusik ist“, jubelte der „New Musical Express“. Dass sie obendrein klas- se aussähen und ihre „schwindelerregen- den Lieder die Clubs gestürmt“ hätten, attestierte ihnen „“. Nur aus- gezahlt hat sich der Wirbel bislang kaum. Das soll sich nun ändern. Nächste Woche erscheint ihre neue und bislang beste Sin- gle „“; das Album „Someone To Drive You Home“ soll An- fang November folgen. Und die neuen Lie- der rechtfertigen das ihnen vorauseilende Band The Long Blondes*: Texte über Schminkdramen und andere Teenager-Katastrophen Getrommel. Eingängige und zackige Gitar- renpop-Songs, die an die sonnigeren Zeiten Wumms! Allerdings hätten sie dafür auch sei, um für die Reise von Sheffield nach Lon- von Pulp, The Pretenders und immer wie- keine Zeit gehabt, weil sie kaum wussten, don freizubekommen. Erlösung gewährte der Blondie erinnern. Das Glück perfekt wie sie ihre Instrumente halten sollten. die Londoner Hipster-Plattenfirma Rough machen gewitzte Texte über Schminkdra- „Wir waren anfangs immer froh, wenn wir Trade, ein so kleines wie feines Traditions- men vor dem Spiegel und ähnliche Teen- ein Lied ohne größere Aussetzer über- unternehmen, dem die Welt , The ager-Katastrophen. Lieder, deren herrliche haupt zu Ende spielen konnten“, sagt Strokes und zuletzt Pete Doherty und seine Titel an verlorene Hollywood-Noir-Thril- Emma Chaplin. Babyshambles zu verdanken hat. Die hät- ler der vierziger Jahre erinnern, so wie Dank einiger in Kleinstauflagen ver- ten halt Geld und Glamour, meint die Band. „A Knife for the Girls“, „Only Lovers Left breiteter Singles galten sie bald als fabel- Glamourös sind auch die Long-Blondes- Alive“ oder „Weekend without Makeup“. hafter Geheimtipp. Dabei seien sie sich im- Fans. Gwyneth Paltrow ist genauso darun- Da passt es, dass Sängerin Kate Jackson, mer der Gefahr bewusst gewesen, im Ha- ter wie Kate Moss. Die marschierte vor die Hauptdarstellerin der Long Blondes, des der totgeschriebenen Pop-Sensationen einiger Zeit in einen New Yorker Spezialis- sich gern mal aufbrezelt wie die Heldin zu enden, sagen sie. „Auf die Dauer ist es ten-Plattenladen und erstand ein teures eines alten Hitchcock-Reißers, entspre- eben auch sehr anstrengend, ,Großbritan- Sammlerstück der Long Blondes. „Der chend tanzt und schwebt sie über die Büh- niens beste Band ohne Plattenvertrag‘ zu Verkäufer kennt uns und rief an, kaum nen verrauchter Rock-Kaschemmen. sein“, sagt Kate Jackson. dass sie aus der Tür war. Allerdings ver- Fest steht, dass The Long Blondes enor- Immerhin zählt ein altmodischer Platten- mutete er, dass sie mehr an dem auffälli- men Wert auf Glamour legen. „Der Jam- vertrag auch im Internet-Zeitalter immer gen Cover interessiert war. Aber das wäre mer ist doch, dass immer mehr Rockstars ja noch cooler“, sagt Emma Chaplin gut- aussehen wie Coldplay. Also wie Lehrer * Dorian Cox, Screech Louder, Kate Jackson, Emma gelaunt und nimmt einen Schluck beige- oder Beamte im Büro. Stil ist keine Frage Chaplin, Reenie Hollis. farbenen Tee. Christoph Dallach

212 der spiegel 42/2006