Rundfunk und Geschichte

1– 2/2007 Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

33. Jahrgang Nr. 1–2/2007 Rundfunk und Geschichte Geschichte und Rundfunk

Ein Instrument wird zum Entscheidungsfaktor. Zur Entwicklung des Fernsehdesigns

»Sie stehen nicht allein da in der Zone.« Zwei SWF-Sendereihen in der Analyse

Signaturen des Kalten Krieges. Zur Bedeutung der deutsch-deutschen Programmbeobachtung

»Public Value«: Leitbegriff oder Nebelkerze?

Die Allianz der Devianz: zur Rolle von Filmmanifesten

Rezensionen

Bibliografie

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Zitierweise: RuG – ISSN 0175-4351

Redaktion: Claudia Kusebauch Christoph Rohde Steffi Schültzke Hans-Ulrich Wagner 1

Inhalt

33. Jahrgang Nr. 1–2/2007

Aufsätze Inge Marszolek Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung Barbara Link des Politischen? Zum Verhältnis von Medien Ein Instrument wird zu einem Entscheidungsfaktor. und Politik im 20. Jahrhundert. Tagungsbericht 55 Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren 5 Andreas Kozlik Das »Aufbau-Archiv Digital« Sina Rosenkranz, Sarah Renner in der Staatsbibliothek zu 59 »Sie stehen nicht allein da in der Zone.« Die SWF-Sendereihen »So sieht es Walter Hömberg, Manuel Bödiker der Westen …« und »So lebt man im Osten …« Die Gegenwart in der Vergangenheit. in den frühen 1950er Jahren 15 Kommunikations- und Medienmuseen in Deutschland 61 Susanne Paulukat, Uwe Breitenborn Signaturen des Kalten Krieges. Zur medienhistorischen und dokumentarischen Rezensionen Bedeutung der deutsch-deutschen Programmbeobachtungen 29 Internet-Rezension Das Internet-Portal www.mediamanual.at. (Daniel Bickermann) 69 Forum Gerrit Binz: Uwe Hasebrink Filmzensur in der Demokratie. »Public Value«: Leitbegriff oder Nebelkerze (Brigitte Braun) 70 in der Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? 38 Jochen Fritz/Neil Stewart (Hrsg.): Das schlechte Gewissen der Moderne. Peter Zorn (Irmela Schneider) 71 Die Allianz der Devianz – einige Gedanken zur Rolle von Filmmanifesten 42 Tanjev Schultz: Geschwätz oder Diskurs? Anja Herzog, Sigrid Kannengießer, Corinna Lüthje Die Rationalität politischer Talkshows Radioforschung im Aufbruch: Tagungsbericht im Fernsehen. von der Abschlusstagung des International (Claudia Kusebauch) 73 Research Network Consortiums 46 Alexander Pehlemann/Ronald Galenza (Hrsg.): Sebastian Pfau Spannung. Leistung. Widerstand. »Kritisch dabei zu sein …« Magnetbanduntergrund DDR 1979–1990. Zum Tod von Egon Monk 48 (Uwe Breitenborn) 74

Golo Föllmer Wolfgang Hagen: Unmediate! Das Radio. Bericht von der transmediale 2007 50 Zur Geschichte und Theorie des Hörfunks – Deutschland/USA. Henning Rademacher (Helmut Schanze) 75 Wege ins Paradies oder »A la recherche des sons perdus« (I). Streifzüge im Archiv Harro Segeberg/Frank Schätzlein: der NDR-Hörspielabteilung – Geschichte, Sound. Zur Technologie des Akustischen Materialien, Fundstücke 52 in den Medien. (Helga de la Motte-Haber) 77 2 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 3

Golo Föllmer: Gerd Walther/Karin Falkenberg/Andreas Christ: Netzmusik. Elektronische, ästhetische Der »Rundfunkverbrecher« Willi Mühlhofer. und soziale Strukturen einer partizipativen Musik. (Michael P. Hensle) 91 (Frank Schätzlein) 78 Hans Pischner: Ernst Erb: Tasten, Taten, Träume. Autobiographie. Radiokatalog. Band II. (Ingrid Pietrzynski) 92 (Konrad Dussel) 80 »Wenn die Jazzband spielt…«. Sammelrezension Von Schlager, Swing und Operette. Kurt Tozzer/Martin Majnaric: Zur Geschichte der Leichten Musik Achtung Sendung. im deutschen Rundfunk. Höhepunkte, Stars und exklusive Bilder (Matthias Pasdzierny) 93 aus 50 Jahren Fernsehen. Thaddäus Podgorski: Die große Illusion. Bibliografie Erinnerungen an 50 Jahre mit dem Fernsehen. (Theodor Venus) 81 Zeitschriftenlese 95 (1. 7.–31. 12. 2006) (Rudolf Lang) 96 Andrea Brockmann: Erinnerungsarbeit im Fernsehen. Das Beispiel des 17. Juni 1953. Mitteilungen des Studienkreises (Christoph Classen) 82 Rundfunk und Geschichte

Christian Kiening/Heinrich Adolf (Hrsg.): Bericht des Schatzmeisters Mittelalter im Film. für die Jahre 2005 und 2006 105 (Hiram Kümper) 83 Brief des Vorsitzenden an die Mitglieder 107 Martin Zierold: Gesellschaftliche Erinnerung. Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive. (Birgit Schwelling) 84

Stephan Alexander Weichert: Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen. (Oliver Zöllner) 85

Ute Daniel (Hrsg.): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert. (Jörn Glasenapp) 87

CD-Sammelrezension Die NS-Führung im Verhör. Original Tondokumente der Nürnberger Prozesse. Der Nürnberger Prozess. Das Internationale Tribunal gegen die Hauptkriegsverbrecher. (Cord Arendes) 88

Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1939–1940. Ein Verzeichnis. (Konrad Dussel) 90 2 Abstracts und Autoren der Aufsätze 3

Barbara Link SINA ROSENKRANZ, geb. 1979 in Ostfildern-Ruit, Ein Instrument wird zu einem Entscheidungs- ist Rundfunkjournalistin. Nach dem Studium der Ge- faktor. Zur Entwicklung des Fernsehdesigns schichte und des Journalismus in Karlsruhe arbeite- seit den 1950er Jahren te sie als freie Journalistin für verschiedene Zeitun- gen und für den Südwestdeutschen Rundfunk. Im Fast alle Fernsehprogrammanbieter präsentieren April 2007 begann sie ein Volontariat beim SWR. sich heute mit nahezu gleichartigen Programminhal- E-Mail: [email protected] ten auf dem Markt. Daher ist das Design der Sender ein bedeutender Faktor zur Kennzeichnung und ein SARAH RENNER, geb. 1979 in Stuttgart, ist Volon- entscheidendes Instrument zur Markierung und Prä- tärin beim Südwestdeutschen Rundfunk. Zuvor hat sentation der Sender für die Imagebildung gewor- sie in Karlsruhe Geschichte und Journalismus stu- den. Der Aufsatz zeichnet wichtige Stationen dieser diert und als freie Journalistin unter anderem für den Entwicklung von den 1950er Jahren bis heute nach, SWR und für die Deutsche Presseagentur (dpa) ge- er geht auf technische und ästhetische Fragestel- arbeitet. lungen ein und zeigt dabei eine Vielzahl von Versu- E-Mail: [email protected] chen, den jeweiligen Sender für den Zuschauer greif- bar und fassbar zu machen. Susanne Paulukat und Uwe Breitenborn BARBARA LINK, geb. 1969, studierte an der Techni- Signaturen des Kalten Krieges. schen Fachhochschule Berlin Druck- und Medien- Zur medienhistorischen und dokumentari- technik. 2006 Abschluss der Promotion zum The- schen Bedeutung der deutsch- ma »Design der Bilder. Entwicklung des deutschen deutschen Programmbeobachtungen Fernsehdesigns. Vom Design über das Image zur Identity« an der Hochschule für Film und Fernsehen Von 1957 bis 1991 fand eine intensive wechselseiti- »Konrad Wolf« in . ge Programmbeobachtung der audiovisuellen Me- E-Mail: [email protected] dien in Ost und West statt. Diese spezifische me- dienpolitische Konstellation in Deutschland schuf einen immensen Bestand an Überlieferungen. Einst Sina Rosenkranz und Sarah Renner zu funktionalen Zwecken in der Systemauseinan- »Sie stehen nicht allein da in der Zone.« dersetzung angefertigt, bereichert er heute die Me- Die SWF-Sendereihen »So sieht es dienarchive. Der Beitrag erläutert die Herkunft und der Westen …« und »So lebt man im Osten …« die Entstehung dieser gegenseitigen Programmbe- in den frühen 1950er Jahren obachtungen, er beschreibt die Überführung die- ser Materialien in die Archive und analysiert Umfang Der Beitrag untersucht zwei Hörfunkreihen des und Besonderheiten dieser Überlieferungen. Er stellt Südwestfunks, sogenannte »Zonensendungen«. damit einen spezifischen dokumentarischen Mate- Die Sendereihe »So lebt man im Osten ...« sollte die rialbestand vor, der für politische, zeit- und me- Hörer im Sendegebiet des SWF über die Vorgänge dienhistorische Forschungsvorhaben von außeror- hinter dem Eisernen Vorhang, insbesondere in der dentlichem Interesse ist. »Sowjetzone« aufklären und das Gefühl der Verbun- denheit mit den Menschen in der DDR stärken. Als SUSANNE PAULUKAT, Dr. phil. Studium der Archiv- Pendant dazu sollte die Sendereihe »So sieht es wissenschaft und Geschichte an der Humboldt-Uni- der Westen…« die ostdeutsche Bevölkerung mit versität zu Berlin. Stellvertretende Abteilungsleiterin der westlichen Sichtweise der politischen Entwick- im Deutschen Rundfunkarchiv, Standort Potsdam- lung vertraut machen. Welche Argumentationsmus- Babelsberg. ter, Vermittlungsstrategien und Vorstellungen dabei E-Mail: [email protected] eine Rolle spielten, zeigt die Analyse der Radiosen- dungen. Wie kaum eine andere Quelle aus dieser UWE BREITENBORN, Dr. phil. Studium der Kultur- Zeit dokumentieren die Sendereihen »So sieht es wissenschaft, Soziologie und Theaterwissenschaft der Westen…« und »So lebt man im Osten ...« das an der Universität und an der Humboldt-Uni- Zurückdrängen des gesamtdeutschen Nationalbe- versität zu Berlin. Koordinator für das DFG-Projekt wusstseins in den frühen 1950er Jahren zugunsten »Programmgeschichte des DDR-Fernsehens« beim der Demokratisierung und Westintegration der Bun- Deutschen Rundfunkarchiv, Standort Potsdam-Ba- desrepublik Deutschland. belsberg. E-Mail: [email protected] 4 5 4 5

Barbara Link

Ein Instrument wird zu einem Entscheidungsfaktor.

Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren

Fernsehdesign – eine Begriffsdefinition binder, wie beispielsweise Abspänne, sind ein wich- tiges Instrument geworden, Brüche innerhalb des Der Begriff »Design« entwickelt sich stetig und fä- Sendungsablaufs zu glätten. Die Aufmerksamkeit chert sich zunehmend auf, so dass er sich in dieser der Zuschauer soll auf den Sender, die Programm- allgemeinen Form kaum noch einer einzelnen Fach- folge und die emotionale Erlebniswelt eines Senders disziplin zuordnen lässt. Mit Hilfe von Komposita gelenkt werden. Unverwechselbarkeit wird zu einem wird deshalb versucht, das zu beschreibende The- der höchsten Zielsetzungen für das visuelle Design menfeld jeweils zu begrenzen und dem Wort Design eines Senders. Um zu diesem Verständnis von Fern- eine spezifische Richtung zu geben. So spricht man sehdesign zu kommen, hat es seit den 1950ern Jah- von Grafikdesign, Kommunikationsdesign, Webde- ren eine Vielzahl von Entwicklungen gegeben. Auf sign, Corporate Design, Interface-Design und Fern- einige grundlegende Entwicklungen wird im Folgen- sehdesign. Letzteres bezeichnet den audiovisuellen den eingegangen.2 Auftritt eines Fernsehsenders. Dieser umfasst das Corporate Design, vorwiegend basierend auf dem Senderlogo, sowie die »Verpackung« der einzelnen Das Fernsehdesign in der Anfangsphase Programme und die Gestaltung der Promotion. Von einer solchen umfassenden Aufgabenstellung aus- Ein einheitliches, übergeordnetes Zeichen für das gehend, wird im Folgenden die Oberflächengestal- Gemeinschaftsprogramm »Deutsches Fernsehen«, tung des Fernsehbildes untersucht. wie es heute die Eins im Kreis für die ARD ist, gab es noch nicht. Mit einer ineinander geschwungenen Die beiden dieser Tätigkeit entsprechenden Be- Welle wurde jedoch zum Start des »Deutschen Fern- zeichnungen »Gestaltung« bzw. »Design«, die ei- sehens«, dem Fernsehgemeinschaftsprogramm der nem kulturellen Verständnis und Wandel unter- ARD am 31. Oktober 1954, ein Rahmen geschaffen liegen, definiert Cordula Meier in ihrem Beitrag zur Präsentation der einzelnen Rundfunkanstalten »Designtheorie als Disziplin« folgendermaßen: »Der in dem übergeordneten Kontext der ARD. Obwohl Begriff ‚Gestaltung‘, reaktualisiert von der Hoch- es noch keinen unmittelbaren Konkurrenzdruck zwi- schule für Gestaltung Ulm, ist gesellschaftlich-kul- schen den einzelnen Sendern gab, sollte durch die turell orientiert. Der Begriff ‚Design‘ dagegen hat vor Platzierung des jeweiligen Logos innerhalb des Sig- allem seit der postmodernen Diskussion und Situ- nets verdeutlicht werden, aus der welcher der Rund- ation eher eine oberflächliche, kaufreizästhetisier- te Richtung eingenommen.«1 Der Designbegriff in der von Cordula Meier definierten »kaufreizästheti 1 Cordula Meier: Designtheorie als Disziplin. Begriffsbestimmung, sierte[n] Richtung« lässt sich auf die Gestaltungs- Positionsbestimmung. In: Dies. u. a.: Design Theorie. Beiträge zu ei- aufgaben im Fernsehen anwenden, da sich augen- ner Disziplin. 2. Aufl. am Main 2003, S. 16–37; Zitat, S. 20. 2 Diese Darstellung der Entwicklung des Fernsehdesigns bezieht blicklich fast alle Vollprogrammanbieter mit nahezu sich auf ein Kapitel meiner 2006 abgeschlossenen Dissertation »De- gleichartigen Programminhalten auf dem Markt prä- sign der Bilder – Entwicklung des deutschen Fernsehdesigns. Vom De- sentieren. Demzufolge wird das Fernsehdesign ein sign über das Image zur Identity«. In dieser Arbeit wird mit einer inhalts- bedeutender Faktor zur Kennzeichnung des Sen- analytischen Untersuchung das Sender- und das Sendungsdesign von fünf ausgewählten Sendern (, ZDF, RTL, Sat.1 und ProSie- ders. Erst durch die Variabilität des präsentierten ben) im Untersuchungszeitraum von August bis September 2004 ana- Designs wird die inhaltliche Gleichartigkeit für den lysiert. Die Buchpublikation ist für Herbst 2007 im Verlag Herbert von Zuschauer unterscheidbar. Massenmedial kommu- Halem angekündigt. – Die ersten wissenschaftlichen Untersuchun- nizierte Markenwelten werden für den Zuschauer in gen der Programmverbinder und des Fernsehdesigns in Deutschland begannen 1986 im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsge- Szene gesetzt, um ihn langfristig und emotional an meinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs mit dem Ti- den Sender zu binden. Trailer, Teaser, Werbetrenner tel »Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien« an und dergleichen werden explizit zu diesem Zweck der Universität-Gesamthochschule Siegen. Das Ziel dieses Sonder- eingesetzt. Die visuelle Gestaltung der einzelnen forschungsbereiches war es, die Theorie, Geschichte und Ästhetik der Elemente soll einen kontinuierlichen Übergang zwi- Bildschirmmedien, im Bezug auf ihre Präsentationsformen und Hand- lungsrollen zu untersuchen. Vgl. www.sfb240.uni-siegen.de/german/ schen den Sendungen, aber je nach Format auch Ergebnisse/Abschlussbericht/ABSCHLUSSBERICHT.pdf; Abruf am innerhalb der Sendungen schaffen. Programmver- 3.2.2007. 6 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 7 funkanstalten der einzelne Sendebeitrag für das Ge- diesem Signet gehörte das ZDF zu einem der ersten meinschaftsprogramm kam. Die Unendlichkeit der Unternehmen mit einem eigenen Markenzeichen.5 Möbius-Schleife, welche die Kennungen der einzel- nen Landesrundfunkanstalten umgab, könnte man heute auch als die Unendlichkeit der Programm- schleife begreifen. Erweitert drückte sie die Techni- Abb. 2: zität des Fernsehens aus. In der gab sie den Signet des ZDF. 1963. Blick auf das Geschehen frei – wie durch den Fern- © ZDF sehapparat selbst der Blick auf das Bild freigege- ben wird. Das Signet des ZDF war für die Darstellung im Schwarz-Weiß-Fernsehen entwickelt worden – als Abb. 1: Das Logo des ein weißes Zeichen auf einem schwarzen Grund »Deutschen Fernsehens« oder als schwarzes Zeichen auf weißem Grund. Mit vom 31.10.1954 bis zur Einführung des Farblogos 1970. der offiziellen Einführung des Farbfernsehens auf © ARD der Internationalen Funkausstellung in Berlin am 25. August 1967 konnte Farbe als Gestaltungsmit- Im Februar 1957 beschloss die ständige Programm- tel genutzt werden. Für das Fernsehdesign und die konferenz der ARD, vom 1. März an am Ende ihres Gestalter eröffneten sich damit völlig neue Maßstä- Nachmittag- und Abendprogramms eine Tafel mit be. Der Grafiker Martin Lambie-Nairn, der über Jahr- den wichtigsten Programmhinweisen für die folgen- zehnte das Erscheinungsbild europäischer Sender den drei Tage zu senden. Diese Programmhinwei- – wie zum Beispiel von BBC und – prägte, beur- se waren für die Zuschauer in Ostdeutschland be- teilte den Umbruch vom Schwarz-Weiß- zum Farb- stimmt.3 Damit wurde ein Element zur Strukturierung fernsehen wie folgt: »With black and white, we had und zur Ordnung des Programms entwickelt, ohne been able to ‚crush out‘ pencil marks with a tweak dass der Zuschauer ein weiteres Medium wie etwa of a knob. Now that the viewer could see more, the eine Tages- oder Fernsehzeitung nutzen musste. artwork became more sophisticated. It was certain- Die Tafel sollte zum Zweck der Information klar les- ly a momentous period.«6 Beim ZDF wurde zur An- bar und kurz gefasst sein. Um dies zu verwirklichen, kündigung der ersten deutschen Fernsehsendung musste die Gestaltung sich der Zweckmäßigkeit, in Farbe am 25. August 1967 ein farbiges Sender- dem Funktionalem unterordnen. zeichen ausgestrahlt – ein auf einer Spitze stehen- der, sich drehender Glaswürfel, dessen Oberfläche Nicht nur über die Signets, sondern auch bei der ständig die Farbe wechselte. Mit diesem Zeichen Gestaltung von Sende-, Pausezeichen und Station- kam nicht nur das erste farbige Senderzeichen auf dias konnte man eine klare Verortung in die Region den Bildschirm, sondern auch das erste dreidimen- der Landesrundfunkanstalt erkennen. Knut Hicke- sionale. Der Würfel sei nach langer Suche auf dem thier analysierte die Bilder folgendermaßen: »Bevor- Schreibtisch des Vorstandes des Jenaer Glaswerks zugt werden Stadtsignets, die ohnehin schon einen gefunden worden, wurde in einem Beitrag des »ZDF- Ort symbolisieren, diesen oft auch architektonisch Jahrbuchs« aus diesem Jahr berichtet und die Fas- überragen und so das Ausstrahlen eines Bildes von zination des Farbenspiels beschrieben: »Bei jeder dieser Stadt mitvertreten können.«4 Diese Verortung Drehung wechselten die Farben von Blau zu Rot, war eine besondere Art und Weise, dem Sender ei- Gelb, Grün oder Violett, ein faszinierendes Spiel der nen Namen, ein Gesicht und eine örtliche Anbindung drei Grundfarben und deren ersten Mischungen.«7 zu geben.

Mit dem Start des Zweiten Deutschen Fernsehens am 18. Januar 1963 hatte sich auch der neue Fern- 3 Vgl. Protokoll der ständigen Programmkonferenz. In: ARD-Jahr- buch 1989. 1989, S. 69. sehsender für ein erstes optisches Senderkennzei- 4 Knut Hickethier: »Bleiben Sie dran«. Programmverbindungen und chen entschieden. Die Jury des Mainzer Fernsehrats Programm. Zum Entstehen einer Ästhetik des Übergangs im Fern- hatte am 16. Januar 1963, also zwei Tage vor dem sehen. In: Knut Hickethier und Joan Kristin Bleicher (Hrsg.): Trailer, Startschuss, den Signet-Entwurf von W. G. Hörnig Teaser, Appetizer. Zu Ästhetik und Design der Programmverbindun- gen im Fernsehen. Hamburg 1997, S. 15–57; Zitat, S. 22. gewählt. Dessen Einreichung zeigte eine römische 5 Vgl. Dieter Stolte: ZDF. »Mit dem Zweiten sieht man besser«. Das Zwei mit zwei stilisierten Augen. Ihm lag eine klare ZDF im TV-Markt von heute. In: Birkigt Klaus u. a. (Hrsg.): Corpora- Symbolik zu Grunde. Die beiden Linien und die bei- te Identity. 11., überarb. und akt. Aufl. München 2002, S. 475–484; den ineinander verwobenen Augen symbolisierten bes. S. 479. – in Verbindung mit dem Sehen – die Ziffer »Zwei«. 6 Martin Lambie-Nairn: Brand Identity for with Knobs on. London 1997, S. 49. Gleichzeitig sollte das Signet die Verbreitung über 7 So entstand das Farb-Senderkennzeichen des ZDF. In: ZDF-Jahr- Antenne – also die Fernsehwellen – darstellen. Mit buch 1967, S. 102f. 6 Link: Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren 7

1973 wurde sie im deutschen Fernsehen eingeführt. Es konnten nun hinter dem vor einer blauen Wand sitzenden Sprecher elektronisch Illustrationen oder Bilder eingespielt werden. Damit war es möglich, Abb. 3: Der sich drehende Glaswürfel des ZDF als erstes farbiges Sendersignet. Quelle: ZDF-Jahrbuch 1967 S. 3/16/30/92/108/136/ verschiedene Elemente auf der Bildfläche zu mon- 152; © ZDF. tieren und anzuordnen. Durch das Blue-Screen-Ver- fahren wurde bei der Einblendung von Zusatzinfor- Mit der Einführung des Farbfernsehens griff auch die mationen oder Einspielungen aus anderen Studios ARD ihr schon eingeführtes Zeichen auf. Sie gestal- eine völlig neue Raumaufteilung möglich. Vorbei wa- tete dieses ab 1970 zur Kennzeichnung der in Far- ren damit die Zeiten, in denen beispielsweise in ei- be ausgestrahlten Sendungen in unterschiedlichen ner »Tagesschau«-Sendung aus dem Jahre 1960 der Farbtönen – in Gelb, Hellblau, Grün, Rosa, Rot und Sprecher Karl-Heinz Köpcke in einigen Einstellun- Dunkelblau. Das Sendersignet selbst wurde zur Sen- gen erstaunlich groß gezeigt wurde und nur im Hin- dekennung noch in unterschiedlichen Blaunuancen tergrund eine Weltkarte zu erahnen war (Abb. 5).10 umgesetzt, dies war der erste Schritt hin zur später In anderen Einstellungen übernahm eine im Hinter- definierten Hausfarbe Blau. Wie schon beim Logo in grund aufgehängte Grafik den Großteil des Bild- Schwarz-Weiß, konnte auch in der Mitte des farbi- schirms, um der Information den nötigen Raum zu gen Zeichens die Kennzeichnung der jeweiligen Lan- verschaffen. Der Sprecher wirkte eher zur Seite ge- desrundfunkanstalten erfolgen. Diese Vorgehens- drängt. Durch die Einblendung der Grafik mittels ei- weise als Kennzeichnung des Programms mit dem ner Diaprojektion war diese Raumaufteilung kaum Signet wurde darüber hinaus auf einzelne Sendun- anders möglich, dem Zuschauer wurde damit ein je gen erweitert, wie zum Beispiel die »Sportschau«. nach Sendebedingung verändertes Bild geboten.

Abb. 4: Farbiges Signet der ARD in Kombination mit den Landes- Abb. 5: rundfunkanstalten und der Sportschau. 1970–1984. © ARD. Karl-Heinz Köpcke, Tagesschausprecher Standen in dieser Pionierzeit noch Erfindergeist von 1959–1987. Im Hintergrund ist die Welt- und Idee im Mittelpunkt der Gestaltung, so entwi- karte nur noch zu erahnen. ckelte sich die Grafik immer mehr zu einer Disziplin Quelle und © NDR. der technischen Artistik. Die ersten Animationen entstanden mit einer Oxberry,8 an einem Tricktisch Für die Nachrichtensendungen wurden nun Abbil- oder mit Kameras, die mit Einzelbildschaltung aus- dungen von Weltkugeln oder -karten zu wichtigen gestattet waren. Andererseits war immer wieder ho- Schlüsselbildern, die das Weltumspannnende zum hes Improvisationsgeschick gefragt. Ein Beispiel Ausdruck brachten. Bereits 1970 hielt in der »Tages- gibt Markus Hanzer, von 1991 bis 1995 Leiter des schau« die Weltkarte auch im Vorspann Einzug. Der Grafikteams beim ORF. Er schrieb über die frühen bisher verwendete Vorspann, der eine Ansammlung Arbeiten des Grafikers Erich Sokol, der seit 1967 den von Antennen zeigte, verschwand. Gleichzeitig wur- Auftrag hatte, den ORF einheitlich als Markenarti- de das bis heute für die »Tagesschau« typische Blau kel darzustellen: »So entstand zum Beispiel das cra- queléeartige Filmkorn von Panoptikum dadurch, daß das Filmmaterial in kochendes Wasser gelegt wurde. 8 Eine Oxberry – benannt nach ihrem Entwickler John Oxberry – Techniken wie Streak und Slitscan betonten den zu- ist ein optischer Printer. Mit einem Einzelbildprojektor und einer syn- kunftsweisenden Charakter dieser Arbeiten.«9 chron geschalteten Kamera lassen sich getrennt aufgenommene Fil- melemente über die Kamera neu fotografieren, bearbeiten und zu einer Bildkombination vereinigen. Damit lassen sich zum Beispiel jede Art Mit der Einführung des Farbfernsehens bildeten sich von Blenden, Überblendungen, Bildmontagen, Split-Screens und Ein- weitere neue technische Verfahren aus, die das Er- kopierungen vornehmen. scheinungsbild der Sender grundlegend veränder- 9 Markus Hanzer: Vom alten zum neuen Design. In: Österreichischer ten. Ein bis heute verwendetes Verfahren im Fern- Rundfunk ORF (Hrsg.): Das andere Auge. Grafik. Design. ORF. Wien 1994, S. 15–27; Zitat, S. 15. sehen ist die 1970 vom Institut für Rundfunktechnik 10 Vgl. Diemut Roether: Pink war gestern. 50 Jahre »tagesschau«-De- entwickelte Blue-Screen-Technik. Am 1. Januar sign, inklusive Nagelbrett. In: epd-medien, Nr. 99, 18.12.2002. 8 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 9 dominanter. Die Querstreifen auf dem Eröffnungs- sehen besser als ihr Ruf. Die Bildröhre ist besonders bildschirm gaben dem Bild Räumlichkeit und Tiefe. geeignet, Zwischentöne wiederzugeben, was man zunächst nicht vermuten würde. In der Tat bringen die meisten Geräte die Farben, als gäbe es nur Co- mic Strips. Aber das liegt an einer noch nicht entwi- ckelten Farbkultur mit der Neigung, die Geräte so bunt wie möglich einzustellen.«13 Aber tatsächlich Abb. 6: Der Eröffnungsbildschirm der Tagesschau links von 1956, gab es noch weitere Gründe, auf Rot als Genrefar- Mitte von 1970, rechts von 1973. Quelle und © NDR. be zu verzichten. »Zusätzlich gab es auch politische und inhaltliche Gründe für die Farbwahl. Man hat sich auf Blau geeinigt, da Blau keine politisch be- Bildung von Struktur im Fernsehdesign setzte Farbe war. Rot schied aus politischen Grün- den heraus aus.«14 In den 1970er Jahren wurden die technischen Mög- lichkeiten stetig weiter entwickelt. Diese wurden von Neben der Farbgebung entwickelte Aicher ein eige- den Gestaltern wie Otl Aicher häufig sogar eingefor- nes Schriftsystem, eine einheitliche Grotesk-Rund- dert. »Die technischen Ausstattungen eines Fern- schrift – die ZDF-Rounded. Die ZDF-Rounded, die sehstudios sind in hohem Maße geeignet, neuarti- das ZDF bis in die späten 1990er Jahre repräsentier- ge visuelle Mittel zu erzeugen und anzuwenden. Wir te, basiert auf der Schrift Univers. Die von dem be- sind seither von einem beherrscht: Wir wollten, wir kannten Schriftdesigner Adrian Frutiger geschnitte- könnten unser Atelier in ein solches Studio verlegen. ne Univers als funktionale, klare und leicht lesbare Wir wollten, wir könnten mit Elektronik Design betrei- Groteskschrift mit ihren vielen Schriftschnitten wird ben.«11 Aicher entwarf für das ZDF als ersten deut- bis heute sehr häufig für Corporate-Design-Stra- schen Sender ein strukturiertes Design. Dieses Cor- tegien verwendet. Für die Entwicklung dieses Sys- porate Design bestimmte seit dem 1. Oktober 1973 tems spielten nicht nur Zuschauerbindung und Bil- das Erscheinungsbild des ZDF. Zuvor hatte jede dung einer eindeutigen Identität eine Rolle, sondern Sendung ihr eigenes Auftreten mit eigenen Schrif- auch rein technische Anforderungen wurden be- ten, eigener Farbgestaltung und eigenem Design der rücksichtigt. So wurde erkannt, dass bei den dama- Sendetitel. Aicher legte für jedes Sendeformat eine ligen Bildröhren bei etwas ruhigeren und kleineren Grundfarbe fest. Dabei bildete Blau die Hausfarbe Schriften die Kanten verschliffen werden. Aus die- des Senders. Weitere Farben definierten die einzel- sem Grund wurde für das ZDF die charakteristische nen Genres – Blau für politische Sendungen; Oran- Rundschrift entworfen, da bei dieser das Verschlei- ge für wirtschaftliche und gesellschaftliche The- fen der Kanten nicht mehr so deutlich zu sehen war. men; Grün für Sport; Braun für Naturwissenschaft Die ZDF-Rounded wirkte mit den abgerundeten wei- und Technik; Gelb für Unterhaltung; Grau für Kultur. chen Kanten auf dem Bildschirm sehr fließend. Sie Mit dieser Farbpalette für die einzelnen Programm- bestimmte damit das ästhetische Erscheinungsbild genres übertrug Aicher eine sprachliche Gegeben- des ZDF maßgeblich. Auf dieser Schrift basierte heit, die sich schon früher im Hessischen Rundfunk ebenfalls die neue Wortmarke – der verkürzte Name entwickelt hatte, auf das Design des ZDF. Im Hes- des Senders: ZDF. sischen Rundfunk wurden, um die Programmplä- ne übersichtlich zu halten, den einzelnen Kategorien Gestalterisch war dieses erste Corporate Design Farben zugeordnet. Aus diesem Gebrauch entwi- auf der einen Seite ein Meilenstein im Fernsehen, ckelte sich die metaphorische Rede von den Pro- auf der anderen Seite wurde jedoch ein sehr star- grammfarben. res System geschaffen. Grundsätzlich war das auf Grundformen basierende Design dieser Zeit sehr Rottöne, vor allem Orangerot und Violett waren in der 1972 von Otl Aicher festgelegten Farbpalette nicht vorhanden. Das hatte technische Gründe. Ale- 11 Otl Aicher: Das neue Erscheinungsbild des ZDF. In: ZDF-Jahrbuch xander Hefter, von 2001 bis 2004 Leiter der Stabs- 1973, S. 82. – Otl Aicher (1922–1991) war Mitbegründer und von 1962 bis stelle ZDF Corporate Design, dazu: »Die Farbe Rot 1964 Rektor der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Der Öffentlichkeit ist Otl Aicher weniger durch seine theoretischen Schriften als vielmehr neigt bei älteren Fernsehgeräten dazu ‚auszufließen‘, durch seine visuellen Erscheinungsbilder für die Olympischen Spiele das heißt, es gibt keine Trennschärfe in der Darstel- 1972 sowie für Unternehmen wie Braun, Lufthansa, WestLB und Bult- lung auf elektronischen Röhren.«12 Aber ein weiterer haup in Erinnerung. Grund für die damalige Entscheidung waren die Zu- 12 Alexander Hefter im Interview mit der Verfasserin, 29. 10. 2004 in schauer selbst und deren Handhabung der Farbein- Zürich. 13 Otl Aicher: Das neue Erscheinungsbild des ZDF (Anm. 11), S. 81. stellungen am Fernseher. Otl Aicher schrieb damals: 14 Alexander Hefter im Interview mit der Verfasserin, 29. 10. 2004 in »Die Wiedergabequalität von Farben ist beim Fern- Zürich. 8 Link: Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren 9

funktional. Aber dennoch ließen sich besonders bei eder, der nach dem Abschluss seines Studiums als Sendungen für ein jüngeres Publikum bald auch die Maler, seit 1959 als Designer für den WDR gearbeitet Einflüsse aus der damaligen Flower-Power Bewe- hatte, entwarf als Leiter der Abteilung ARD-Design gung erkennen. zwischen 1982 und 1984 das erste Corporate De- sign der Senderfamilie der ARD und entwickelte in diesem Zusammenhang die ARD-»Eins«. Am 1. Ok- Die Technisierung des Fernsehdesigns tober 1984 kündigten die ARD-Anstalten mit diesem neuen Signet und unter der Bezeichnung »Erstes »By the early Eighties the once cosy television in- Deutsches Fernsehen« ihr Gemeinschaftsprogramm dustry was facing a fundamental upheaval. New an. Das neue Signet, eine aus den Signets der Lan- technology in various forms was beginning to inva- desrundfunkanstalten zusammengesetzte Eins, de our lives and it came as a shock«, urteilte Martin wurde beweglich konzipiert und räumlich gestal- Lambie-Naim über die für das Fernsehdesign be- tet und konnte als computeranimierte Präsentation wegten 1980er Jahre.15 Besonders neue technische ausgestrahlt werden. Heute ist die Eins eines der be- Entwicklungen und die Einführung der privaten Fern- kanntesten Markenzeichen im deutschen Fernsehen. sehsender änderten die Fernsehlandschaft grund- Zum Zeitpunkt der Einführung aber war sie Anlass legend. So wurden seit 1975 die Fernsehgeräte se- vieler kritischer Diskussionen, besonders auch zwi- rienmäßig mit Fernbedienung ausgestattet. Mit der schen den einzelnen Rundfunklandesanstalten. Ein Fernbedienung begann eine Veränderung im Re- Ziel der Eins war es, die neun Landesrundfunkan- zeptionsverhalten der Zuschauer: Der Kanalwech- stalten mit ihren Logos zu integrieren. Acht der Lo- sel wurde für den Zuschauer einfacher, so dass es gos der einzelnen Rundfunkanstalten kamen im Fuß umgekehrt für den einzelnen Sender wichtig wurde, unter, das neunte Logo wurde in den Aufstrich der eine eindeutige Identität zu besitzen. Der Zuschau- Eins eingebunden. er sollte beim Kanalwechsel wissen, wo er sich be- findet. Darüber hinaus machte auch die Verbreitung der neu entwickelten Technik des Videorecorders Gegen-Maßnahmen der Fernsehsender gegen die mögliche, unerlaubte Verbreitung von Sendungsko- pien nötig. So führte das ZDF am 1. März 1982 die Copyright-Kennzeichnung ein, um den unerlaubten Mitschnitt seiner Sendungen zu erschweren, und ab dem 1. Juni 1982 kennzeichnete das ZDF alle Sen- dungen mit dem ZDF-Signet, um sich gegen uner- Abb. 7: Das ARD-Signet, gesendet laubte Videoraubkopien zu schützen. Am 1. Okto- ab 1. Oktober 1984. ber 1982 zog die ARD nach und kennzeichnete die © ARD Sendungen des ARD-Fernsehgemeinschaftspro- gramms mit den Buchstaben ARD. Ab 1989 führ- Auch im Erscheinungsbild zweier der bekanntesten te das ZDF die permanente Senderkennung durch ARD-Sendungen, der »Tagesschau« und der »Ta- das ZDF-Logo ein und verzichtete nur bei Sendun- gesthemen«, hielt die neue Technisierung Einzug. gen, die eine eindeutige ZDF-Identität beinhalteten, Die Weltkarte im Signet setzte sich bis dahin aus di- auf diese Senderkennung.16 Heute ist die Sender- cken Punkten zusammen, wie es damals in den USA kennung fester Bestandteil im Bildaufbau der ein- üblich war – redaktionsintern sprach man vom »Na- zelnen Sender und gehört als Merkmal in einer der gelbrett«.17 Nun wurde die Weltkarte stärker gebo- Ecken des Fernsehbildschirms zum gewohnten Sen- gen und die Schrift in Outlines dargestellt, um den debild der Sender. räumlichen Effekt und die Fokussierung zur Mitte hin, als Andeutung der Rundung einer Weltkugel, zu ver- stärken. Der Schriftzug »Tagesschau« bzw. »Tages- War das ZDF schon in den 1970er Jahren mit der Ar- beit von Otl Aicher den Schritt zu einer übergeord- neten Identität gegangen, so war dies für die ARD wesentlich schwieriger nachzuvollziehen. Aufgrund ihres besonderen Aufbaus als Arbeitsgemeinschaft mehrerer eigenständiger Sendeanstalten mit ihren 15 Martin Lambie-Nairn: Brand Identity for Television With Knobs on jeweils eigenen Entwürfen und Ideen, gelang es der (Anm. 6), S. 40. ARD erst in den 1980er Jahren, sich ein einheitliche- 16 Vgl. hierzu Joan Kristin Bleicher: Chronik zur Programmgeschichte des deutschen Fernsehens (= Arbeitshefte Bildschirmmedien, Nr. 32). res Gestaltungsbild zu geben. Entscheidend wurde Universität-Gesamthochschule Siegen 1992, S. 75f. die Arbeit der Designgruppe von Stefan Boeder. Bo- 17 Vgl. Diemut Roether: Pink war gestern (Anm. 10). 10 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 11 themen« wurde zum ersten Mal während der gesam- nungszeichen des neuen Senders wurde und bis ten Sendung eingeblendet. Eine neue Bildeinteilung, heute Bestandteil des Designs des Senders ist. Die mit Bildinformationen im mittleren Teil und Schlag- ersten Erscheinungsbilder der privaten Sender wa- zeilen mit zusätzlichen Informationen darunter, wur- ren noch sehr einfach gestaltet, beispielsweise mit de als grafisches Konzept entwickelt.18 Diesen tech- untereinander angeordneten Textzeilen auf farbigen nischen Möglichkeiten folgend, setzte das ZDF Ende Flächen, aber gleichzeitig geprägt vom experimen- 1985 eine dreidimensionale Computeranimation der tellen Charakter dieser Zeit. Die bunten Bälle von drei Buchstaben »ZDF« ein. Diese Entwicklung wur- Sat.1 fallen von oben nach unten über den schwar- de ab 7. September 1987 erweitert, das ZDF setzte zen Bildschirm, der Bildschirm mit der Werbean- zur Präsentation seines Programms eine neue, com- kündigung erscheint in einem lichten und freundli- puteranimierte Senderkennung ein. Es folgte dabei chen Grau. Der Sat.1-Ball wird zum Initiator eines dem visuellen Erscheinungsbild, das Otl Aicher 1973 freundlichen Bildschirmaufbaus, der den Schrift- entworfen hatte. Das Logo erhielt nun zusätzlich ei- zug »Werbung« enthält und diesen positiv besetzen nen computeranimierten Rahmen. soll. Jedoch wurde dieser Entwurf bemängelt und die positive Wirkung wegen der fehlenden Räum- Seit 1986 war es möglich, mittels Computertech- lichkeit und Tiefe in Frage gestellt. »Bis 1992 blieben nologie Formen dreidimensional im Fernsehen dar- die Programmverbindungen beherrscht von einem zustellen und sie von allen Seiten sowie von innen flachen Grauweiß und dem Sendersignet, es gab zu betrachten. Die Gestaltung mittels 3D-Objekten kaum Bewegungen in die Bildtiefe hinein und keine wurde zur ästhetischen Grundlage.19 Doch schon Illusion von Räumlichkeit.«21 Auch die Bewegungs- bald gab es kritische Stimmen zu dem Reigen der richtung der fallenden Bälle wurde kritisiert, da die- elektronischen Bilderstellung. »Man kann Schriften, ser nach unten gerichteten Bewegung eine positive Bilder und Bildteile nach hinten in den elektronischen Ausstrahlung fehlt. Kosmos schleudern, Titelzeilen oder Staatpräsiden- ten Kapriolen schlagen und in tausend Stücke plat- Bei den privaten Rundfunkanstalten änderten sich zen lassen, zu Kugeln zusammenschmelzen und aus die Anforderungen an das Design, nachdem die dem Bild rollen; alle Bewegungstermini aus Wissen- ersten ökonomischen Startschwierigkeiten über- schaft und Literatur könnte man verbrauchen, ohne wunden waren. Mit der Verlegung des Sendebe- die Animationsangebote eines Trick-Mischpults an- triebs des Senders RTL Plus von Luxemburg nach nähernd zu beschreiben. Ein verheerender Hurri- Köln Ende 1987 änderte sich der grafische Auftritt can nimmt im Vergleich dazu einen eher geordneten des Senders. Mit einem Team von drei Designern um Verlauf«, so lautete der polemische Kommentar von Manfred Becker wurde ein ganz neuer Auftritt ge- Gunter Rambow zu den technischen Entwicklungen staltet. Dieses Team entwickelte damals noch in Lu- und den daraus entstehenden Möglichkeiten der vi- xemburg das neue RTL Plus Logo. Es bestand aus suellen Gestaltung.20 Dabei sprach er sich nicht ge- den fächerförmig angeordneten Buchstaben RTL, gen die Technik selbst aus, sondern vielmehr gegen bei dem die Buchstaben in den drei Grundfarben die unüberlegte Verwendung der Effekte. Er kritisier- Rot, Gelb und Blau eingefärbt waren. te besonders, dass durch die relative Einfachheit der Schriftgeneratoren und Paintboxes auch grafisch nicht-ausgebildete Menschen in die Bildgestaltung eingriffen und dass aus dieser nicht-professionellen Kompetenz vielfach Bruchstellen sowie aus Mangel an verbindlichen Konzepten und einer autonomen Designabteilung ein nicht konsistentes Design ent- 18 Vgl. Jörg Adolph: Wie Vorhänge im Theater oder Die lange Zeit des stand. Innerhalb dieser kritischen Gedanken entwi- Nichts im gesendeten Programm. In: Trailer, Teaser, Appetizer (Anm. 4), ckelte Gunter Rambow, begründet auf die Tradition S. 53–81. 19 Vgl. Aaron Koenig: Globos bunte Kleider. Einsichten ins - Otl Aichers, das Design für den Sender Hessen 3, design am Fallbeispiel Hans Donner/TV Globo Brasilien. München das auf einem eindeutig definierten, starren Raster- 1992. system basiert. 20 Vgl. Günther Rambow: Fernseh-Design. Modell Hessen 3. Berlin 1991, S. 33. – Rambow (*1938) studierte nach seiner Ausbildung zum Glasmaler seit 1958 an der Hochschule für Bildende Künste in Kassel. Er gründete verschiedene Ateliers, lehrte von 1974 bis 1988 als Profes- Der Beginn des privaten Rundfunks sor für Grafikdesign an der Gesamthochschule Kassel und wechselte 1991 als Professor an die Hochschule für Grafik in Karlsruhe. Im Rah- Am 2. Januar 1985 begann die Ausstrahlung des men der Programmreform des Senders Hessen 3 1889 war er für den Entwurf und das Basiskonzept des Senderdesigns verantwortlich. privaten Programmanbieters RTL-Plus über Kabel, 21 Vgl. Christina Scherer: Programmpräsentation und Fernsehdesign einen Tag zuvor erschien zum ersten Mal der bun- im Programm von RTL und SAT.1. In: Trailer, Teaser, Appetizer (Anm. 4), te SAT.1-Ball im Programm, der schnell zum Erken- S. 124–154; Zitat, S. 141. 10 Link: Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren 11

Mit diesem wollte man sich besonders gegenüber Den Zuschauer binden – Fernsehdesign den öffentlich-rechtlichen Sendern abheben. Man- in den 1990er Jahren fred Becker in einem Interview aus dem Jahr 2002: »Es sollte knallen, grooven, Aufmerksamkeit auf sich In den 1990er Jahren wandelten sich die Struktu- ziehen. Und diese Gegenposition, das Anderssein- ren des Fernsehbetriebs. Die Konkurrenz der Sen- wollen, haben wir wirklich visualisiert.«22 der untereinander wuchs, der damit verbundene ökonomische Druck stieg. Die Konzentration auf die jeweilige Zielgruppe einer Sendung bzw. eines Abb. 8: Senders wurde immer bedeutsamer, die Sender Das fächerförmige Logo von RTL richteten sich immer stärker am Marken- und Mar- in den drei Grundfarben Rot, ketinggedanken aus. Auch das Fernsehdesign und Gelb und Blau. In den Fuß des L konnte das Plus integriert werden. dessen Gewicht bei den Sendern veränderten sich. Vor 1992. Quelle und © RTL. Um die Zuschauer noch stärker an den Programm- ablauf zu binden und einen Flow zu erhalten, ver- Dieses Logo, bestehend aus den drei geometri- schwanden die Programmansagerinnen und -ansa- schen Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat, ger von den Bildschirmen. Man suchte nach neuen lehnte sich an die im Bauhaus entstandenen Ge- Möglichkeiten. staltungskonzepte an. Die Grundformen mit ihren Farben orientierten sich an einer alten Farbsymbolik, 1990 reagierte zunächst das ZDF. Vorausgegangen die sich auf religiöse Ursprünge berief. In den 1920er war eine kritische Bestandsaufnahme. In ihr wurde Jahren hatte sich am Bauhaus durch theoretische besonders auf die Bedeutung der Programmverbin- Auseinandersetzungen zwischen Johannes Itten, dungen zwischen den unterschiedlichen Programm- Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer die Be- zusammensetzungen hingewiesen. Selbstkritisch deutungsgebung in zwei Richtungen gespalten. It- wurde von Hans Hartmann im »ZDF-Jahrbuch« be- ten und Kandinsky hielten an der alten Farbsymbolik merkt, dass sich der eher schlichte Schriftzug aus fest und beriefen sich auf die alte christlich begrün- drei Buchstaben für das ZDF als nicht mehr stark dete Symbolik. Der blaue Kreis stand dabei für die und gegenüber den privaten Sendern konkurrenz- runde, blaue Himmelskuppe, das Quadrat als nicht- fähig genug herausstelle. In Mainz schrieb man ei- natürliche Form, vertrat das von Menschenhand Ge- nen Wettbewerb aus. 1991 wurde das Signet des schaffene, zu dem das aktive Rot als christliche Far- ZDF-Designers Rolf Gith – zwei Ringe mit Kugel – als be hinzukam; das gelbe Dreieck wurde als das Auge neues Unternehmenszeichen gewählt. Es sollte ne- Gottes angesehen. Schlemmer sprach sich für eine ben dem Aspekt des Sehens – mit Hilfe einer beweg- neue, der Gesellschaft angepassten Farbsymbolik ten Animation – unter anderem auch den Prozess der aus, im Blau des Quadrats – die Schwere der Farbe deutschen Wiedervereinigung symbolisieren.23 synchron zur Immobilität der Form –, Rot und Kreis stehen für Dynamik, Gelb und das Dreieck stehen für die Erleuchtung. RTL nahm mit seinem Logo 1992 Bezug auf die alte christlich motivierte Farbsymbo- lik, wobei die neue, von Schlemmer angeregte Farb- symbolik mehr dem modernen Denken in Kunst und Design entspricht. Für die Senderkennungen wur- den diese Grundformen als dreidimensionale Ob- jekte – einem Tetraeder, einem Würfel und einer Ku- gel – die sich umeinander drehten und als animierte Figur genutzt. Abb. 10: Die animierte Kugel und das Logo des ZDF von 1991. Quelle: ZDF Jahrbuch 1991, S. 264f. © ZDF

22 Vgl.: Vorteil Becker. TV Design als Mission! Interview von Teddy Hoersch mit Manfred Becker. In: Medienbulletin, Nr. 12, 2002, S. 26. – Manfred Becker (*1946) studierte von 1966 bis 1970 visuelle Kommuni- kation an der Fachhochschule Wuppertal. Nach mehreren Arbeitssta- tionen im Bereich Print-, Fernsehdesign und Fotografie zeichnete er ab Abb. 9: 1988 in unterschiedlichen Positionen für das RTL Design in Köln ver- Die Grundelemente antwortlich. Seit 2003 begleitet er den Sender als Creative Consultant. von RTL als Seit 1998 hat er eine Professur für Film & TV-Design/Promotion an der animiertes Objekt. Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg inne. Quelle 23 Vgl. Hans Hartmann: Neues Signet und Corporate Design des ZDF. und © RTL. In: ZDF-Jahrbuch 1991, S. 262–266. 12 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 13

Die Logo-Schrift erhielt einen computeranimier- reich mit leuchtenden Farben wie Orange, Grün oder ten Rahmen, der insbesondere Dynamik signalisie- Rot. Die Bewegungen, besonders von Texten, die im ren sollte. Die Kugel, die aus 16 Flächen aufgebaut Kreis oder Viereck angeordnet sind, erfolgten dre- wurde, repräsentierte die 16 Bundesländer. In Zu- hend von innen nach außen, also auf den Zuschauer sammenarbeit mit Hans Donner, der sich besonders zu. Abgerundet wurde das Design durch das wech- durch die Arbeit am Erscheinungsbild des brasilia- selnde Spiel mit dem ProSieben-Logo, etwa wenn nischen Senders TV Globo qualifiziert hatte, wur- eine silberne, metallische Erdkugel bei den Nach- de das neue ZDF-Erscheinungsbild entwickelt. Der richten in das ProSieben-Logo verwandelt wird. Das Meinungsaustausch mit Hans Donner hinterließ of- Logo des Senders wurde nicht länger als ein starres fensichtlich deutliche Spuren, wie man an den stilis- Gebilde betrachtet, sondern vielmehr als ein Spiel- tischen Merkmalen erkennen kann. Dies wird durch ball bei der Gestaltung unterschiedlicher Programm- die beiden nachfolgenden Bilder – links das für Glo- verbinder. bo TV entwickelte Logo von Hans Donner, rechts das von Rolf Gith für das ZDF gestaltete Logo – deut- Andererseits wurde zu diesem aufwändigen, spiele- lich. rischen Design die Typografie wieder stärker als Stil- und Gestaltungsmittel eingesetzt, nicht mehr nur als Informationsmittel. In einem schlichten, grafisch re- duzierten Stil überarbeitete Neville Brody das Er- scheinungsbild der Fernsehsender Premiere (1991– 1994) und ORF (1992–1993) sowie von RTL 2 (1996). Die Arbeiten von Neville Brody waren richtungwei- send für eine verstärkte Arbeit mit typografischen Mitteln in den 1990er Jahren. Von der Mitte dieses Jahrzehnts an wurden mehr und mehr experimentel- le Schriften für den kommerziellen Einsatz verwen- Abb. 11: Links das 1986 weiterentwickelte Signet von TV Globo. det. Das Schriftbild wurde als Element eingesetzt, Quelle: Koenig 1992, rechts das 1991 von Rolf Gith entwickelte Sig- das die Identifikation fördern soll. Der TV-Sender net des ZDF. Quelle: ZDF Jahrbuch 1991, S. 264 © ZDF. RTL 2 verabschiedete sich allerdings nach nur ein- einhalb Jahren von diesem Design-Konzept. Anstatt 1994 wurde auch für RTL ein neues, nochmals über- mit zweidimensionaler Grafik wurde das RTL 2-Logo arbeitetes Logo entwickelt. Der damalige Kreativdi- von 1996 an wieder dreidimensional animiert. In der rektor Manfred Becker urteilte 2002 darüber: »Es zweidimensionalen RTL 2-Grafik sah man zu wenige sollte ein ‚Standing‘ wie eine Bank haben analog der Möglichkeiten der grafischen Darstellung. großen Sendermarken ABC, CBS oder dem franzö- sischen TF1.«24 Das neue RTL-Logo bestand aus Die verstärkten Designmaßnahmen der privaten den drei in Versalien geschriebenen weißen Buch- Sender lösten auch Aktionen der öffentlich-rechtli- staben RTL, die wiederum auf drei Vierecken abge- chen Sender aus. So entwickelte die ARD ein Kon- bildet wurden – R in einem roten, T in einem gelben zept für eine verbesserte Außendarstellung, das und L in einem blauen Viereck. Dieses Logo wird 1994 beschlossen und eingeführt wurde. 1995 bün- noch heute eingesetzt, und auch die Farbgebung delte die Hauptabteilung Kommunikation in der des Logos mit Rot, Gelb und Blau hat sich seither Münchner Programmdirektion die Marketing-Aktivi- nicht wesentlich verändert. Nur als Senderkennung täten für die im selben Jahr durchgeführte bundes- wird das Logo in Weiß dargestellt, die Buchstaben weite Plakat-Kampagne, um die Dachmarke Das sind in diesem Fall transparent. Erste einzuführen. Ab 1996 gehörten auch das ARD- Design und eine eigene Internet-Redaktion zu die- Ebenfalls 1994 wurde ein neuer On-Air-Auftritt für ser Hauptabteilung Kommunikation. den Sender ProSieben entwickelt. Die dabei ver- wendete Kombination von Computeranimationen 1997 wurde das Design des ZDF noch einmal über- und Live-Action-Drehs war für das deutsche Fern- arbeitet, unter anderem wurden neue Programm- sehpublikum neu. Das ProSieben-Design war durch farben für die einzelnen Genres festgelegt. Das De- Räumlichkeit, Lichteffekte sowie durch die Darstel- sign entfernte sich von den Regenbogenfarben der lung von zersplitterndem Glas zusammen mit Was- animierten Kugel von 1991, die Genrefarben bilde- ser und Feuer gekennzeichnet. Grundsätzlich liegt ten wieder den Mittelpunkt. Blau stand demnach diesem Design eine hohe technoide Ästhetik zugrun- de, die durch Komplementärkontraste, wie zum Bei- spiel dem Rot-Grün-Kontrast, unterstützt werden. 24 Vorteil Becker – TV-Design als Mission! Interview von Teddy Hoer- Ansonsten kontrastieren die Farben im dunklen Be- sch mit Manfred Becker in: Medienbulletin, Nr. 12, 2002, S. 26. 12 Link: Zur Entwicklung des Fernsehdesigns seit den 1950er Jahren 13

für Informationen, Kultur, Service, Dokumentation/ Nach dem sehr stark Effekt-Geladenen der 1990er Reportagen; Grün für Sport; Orange für Fernsehfil- Jahren hat sich zu Beginn des Jahrtausends noch me, Spielfilme; Orangerot für Krimis und Gelb für Un- eine andere Strömung gezeigt – weg vom Pompö- terhaltung, Serien, Shows. Im Gegensatz zum De- sen, vom Technoiden – hin zur Fläche. Die digitale sign von 1973 sollte die Emotionalität durch den Revolution in den 1990er Jahren mit ihrer Vision ‚Al- verstärkten Einsatz von Gelb und Orangetönen un- les ist möglich‘ führte zu einem Gegentrend: Viele terstrichen werden. Gedeckte Farben wie Grau und Kreative arbeiten »von sich aus wieder mit minima- Braun fehlten in der neuen Farbpalette völlig. In der listischen Mitteln – um den Wert der Idee zu unter- überarbeiteten Form von Oktober 1997 gab es nun streichen.«26 Für diesen Wandel lassen sich Erklä- für jede Programmfarbe eine gesonderte Logoani- rungen finden. Zum einen spielen ökonomische mation als neutralen Trailer-Opener. Ziel war es, das Gesichtspunkte eine Rolle. Die Kosten für sehr auf- vielfältige Programmangebot des ZDF auf anspre- wändige Designvisualisierungen sind hoch, auf ei- chende und emotionale Weise zu vermitteln. »Wir nem Markt mit immer geringeren Gewinnmargen bieten ihm [dem Zuschauer; Anm. BL] ein logisches scheuen die Sender diese Kosten konsequenter- Orientierungsraster und dennoch eine Erlebniswelt, weise. Aber nicht nur ökonomische Gründe spielen die ihm hilft, das ZDF nicht nur rational, sondern eine Rolle. Auf breiter Linie findet ein Wandel in der auch gefühlsmäßig zu verstehen.«25 Designvisualisierung statt. Besonders in den netz- basierten Medien, mit dem immer wiederkehren- den Problem der mangelnden Bandbreite, wird auf ein flächiges, schlankes Design zurückgegriffen. So lehnte der Sender ProSieben sein 2001 eingeführtes Abb. 12: Das ZDF-Signet und die animierte Version von 1998. Quelle: ZDF. Manual Oktober 1998. © ZDF. Design an das flächige Online-Design an. »Gesucht wurde eine Optik, die für alle Plattformen, beispiels- weise auch im Internet, angewendet werden kann. Die Nähe zum Web ist unverkennbar.«27 Die Fläche Neue Trends – Fernsehdesign wird entscheidend. Seitdem selbst mäßig geübte zu Beginn des neuen Jahrtausends Nutzer 3D-Visualisierungen erstellen und animieren können, stehen wieder klassische Designaufgaben Auch mit dem Beginn des neuen Jahrtausends wie der wirkungsvolle Umgang mit Schrift, Form und suchte man weiterhin nach Wegen, den Zuschau- Farbe im Mittelpunkt. er an den Sender zu binden. Obwohl die direkte An- sprache des Zuschauers durch die Programmansa- Die Anbieter von Fernsehprogrammen erkennen das gerinnen und -ansager verloren gegangen war, sollte Design als einen wichtigen Faktor ihrer Promotion an. er ganz gezielt angesprochen werden. In der Bildge- Seit Ende der 1990er Jahre und zu Beginn des neu- staltung der Fernsehdesigns wurde auf Menschen en Jahrtausends werden neue Designs und Rede- gesetzt. In den 1990er Jahren hatte dieser Trend signs der Sender immer häufiger, die Zeitabstände eingesetzt, in den Trailern und Werbetrennern den zwischen den oftmals nur saisonalen Veränderun- Fernsehzuschauer direkt durch Protagonisten an- gen werden immer kürzer. »Unter dem wachsenden zusprechen oder anzublicken. Die Distanz zum Zu- Wettbewerbsdruck dürfte sich die Halbwertszeit für schauer sollte damit so gering wie möglich gehalten TV-Design sogar noch weiter verringern, weshalb werden. Übernahmen diese Ansprache zum einen es nicht verwundert, dass Sat.1 sein neues Design Menschen von der Straße, so gab es zum andern in einem ‚Schnellschuss‘ von weniger als 3 Mona- auch folgendes Konzept: Stars und Moderatoren der ten völlig umgestellt hat«, urteilt man in der Fach- Sender mussten diese Rolle übernehmen. Das ZDF presse.28 Mit den Veränderungen des Designs im nutzt diese Art der Zuschaueransprache seit 1999 und bis heute auf breiter Basis mit seiner Kampag- ne »Mit dem Zweiten sieht man besser«. Aber auch in den Werbetrennern der privaten Sender wurde die- se Form der Ansprache angewandt. Ein verbreite- tes Konzept wurde es, Stars oder Protagonisten von 25 Zweites Deutsches Fernsehen. Marketing / Corporate Design: Das populären Sendungen auftreten zu lassen, zum Bei- ZDF-Manual. Mainz 1999, S. 1–4. spiel aus der Sendung »Gute Zeiten Schlechte Zei- 26 Wilfried Urbe: Höhepunkt Berlin. In: Professional Production. ten« (GZSZ) oder die Richterin Barbara Salesch aus Technologie und Medienrealisation in Film und Video. Nr. 138. Heft der gleichnamigen Gerichtssendung. Der Zuschau- Mai, 2000, S. 33. er soll die Idole der vorherigen Sendung noch wei- 27 Gabi Schreier: Frisch gestrichen. In: Werben und Verkaufen, 17.8.2001. ter in den Werbetrennern verfolgen und sich über die 28 Tristan Thielmann: Immer am Ball bleiben. In: Funk-Korrespon- Sendung hinaus mit ihnen identifizieren. denz, 14.9.2001, S. 9. 14 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 15

Fernsehen hat sich die traditionelle Farbcodierung schloss, beispielsweise dem räumlich geprägten Stil der Programme gewandelt. Konnte man früher sa- mittels 3D-Techniken. Auf dem heutigen Fernseh- gen, die Farbe des Fernsehens ist Blau, so hat sich markt bildet die Gestaltung eines einzigartigen De- die Farbgebung besonders der privaten Sender in signs mit der Zunahme von Sendern und Bildüber- den letzten Jahren eher den Rot-Tönen zugewendet. tragungswegen in einem zunehmend differenzierten Rot signalisiert Emotionen, Leidenschaft, Spannung. Fernsehmarkt eine weiter wachsende Herausforde- Nicht mehr das Seriöse, Kühle, an Informationen an- rung, das Fernsehdesign ist somit von einem Instru- gelehnte steht im Vordergrund, sondern Emotiona- ment zu einer Identifikationsgröße und zu einem Ent- lität, auf deren Vermittlung besonders die privaten scheidungsfaktor geworden.31 Sender setzen. Noch spezieller hat sich bei den Sen- dern in der Farbwahl das Farbcodierungssystem ge- ändert. Überwiegend bei den privaten Sendern wur- den die erstmals in den 1970er Jahren für das ZDF entwickelten Farbcodierungen als nicht mehr zeitge- mäß empfunden. Während ARD und ZDF weiter auf eine klare und übersichtliche Farbkodierung setz- ten, entwickelte ProSieben den Umgang mit Farben »nach Stimmungen, nicht nach Genres«, wie Krea- tiv-Direktor Alexander Krause erklärte. »Eine Serie kann genauso heiß und prickelnd sein wie ein Spiel- film oder eine Reportage. Diese Sendungen lassen sich mit derselben affektiven Farbcodierung verpa- cken.«29 Somit wird auf der einen Seite von einem starren Farbcodierungssystem nach Sendegenres abgesehen, auf der anderen Seite ein neues System nach einer neuen Ordnungseinheit der Affektivität aufgebaut und eingeführt.

Wurden früher über die Verortung der Sender in eine Region oder Stadt Zuschauerbindung aufge- baut, so werden mittlerweile Erkennungskriterien über die Bildsprache, also speziell über so genann- te »Key Visuals« gesucht. Die Herbstkampagne von ProSieben im Jahr 2001 wurde mit den Worten be- schrieben: »‚Jedem Film wurde eine Farbe zugeord- net.‘ Für jeden Film gibt es auch Promotion-Elemen- te, die sich überall wiederfinden: bei Godzilla eine implodierende Fernsehröhre, bei der Truman Show ein sprechender Fernseher und bei der Stadt der En- gel psychedelische Muster. ‚Jede Kampagne trifft den Duktus des zu bewerbenden Programms, und zusammen strahlt alles wieder auf die Gesamtstim- mung von ProSieben ab.‘«30

Gerade die Förderung der Identifikation mit dem Sender ist heute zu einer der Schlüsselaufgaben der Fernsehdesigner geworden. Bei der Vielzahl von Lo- gos und Icons kann man sich heute nicht mehr al- lein auf die Wirkung des Logos als Identitätsstifter verlassen. Das Fernsehdesign hat seit den 1950er Jahren in Deutschland eine eigene Entwicklung ge- nommen, stark beeinflusst durch viele technische 29 Alexander Krause in einem Interview mit der Zeitschrift »Page« – Entwicklungen und durch das duale Rundfunksys- vgl. Claudia Gerdes: Seven Up(date). In: Page, Heft 5, 2001, S. 18. tem. Erst seit den 1990er Jahren wird dem Fernseh- 30 Wilfried Urbe: Das Bällchen bekommt eine Aufgabe. In: Berliner design überhaupt eine eigene Macht und Aussage- Morgenpost, 27.8.2001. 31 Auf aktuelle Diskussionen wird an dieser Stelle nicht detailliert ein- kraft zugesprochen. Stilistisch gab es immer wieder gegangen. Sie stehen in der angekündigten Buchpublikation im Vorder- Phasen, denen sich kein Sender gegenüber ver- grund (Siehe Anmerkung 2). 14 15

Sina Rosenkranz und Sarah Renner

»Sie stehen nicht allein da in der Zone.« Die SWF-Sendereihen »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im Osten ...« in den frühen 1950er Jahren

Der einzige Vermittler, dem es wenige Jahre nach funkanstalten in der Bundesrepublik und Westberlin dem Ende des Zweiten Weltkriegs wirklich hätte ge- unabhängig von Staat, Regierung und Partei in einer lingen können, »Deutsche an einen Tisch« zu brin- von politischen Zwängen freien Sphäre der öffent- gen, war das Radio.1 Die Radiowellen durchdrangen lichen Kommunikation agieren können. Nach den die Abschirmungen an der innerdeutschen Grenze, Rundfunkgesetzen waren die Sender grundsätzlich gelangten zur selben Zeit in die Wohnstuben der Zu- der bundesrepublikanischen Demokratie verpflich- hörer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs und tet – in den frühen Nachkriegsjahren bedeutete dies, vermochten die Menschen zumindest in ihrer Vor- die parlamentarisch-demokratischen Werte in der stellung zusammen zu bringen. Doch die Deutschen Gesellschaft zu stabilisieren – und, in Anbindung an trennte nicht nur eine Demarkationslinie, sondern das Grundgesetz, indirekt auch dem Gebot, in freier auch die jeweilige Zugehörigkeit zu den politischen, Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutsch- sozialen und ideologischen Ordnungen gegensätzli- lands wiederherzustellen. cher Staatssysteme. Gegenüber standen sich Markt- und Planwirtschaft, pluralistische und monistische Dieser Auftrag stand auch bei den Hörfunkreihen Gesellschaft, Liberalismus und »Diktatur des Prole- »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im Os- tariats«, vergesellschafteter Staat und durchstaat- ten ...« im Vordergrund, die im Südwestfunk (SWF) lichte Gesellschaft.2 Während die Etablierung und Anfang der 1950er Jahre als so genannte »Zonen- Festigung zweier unterschiedlicher Gesellschafts- sendungen« eingerichtet wurden. Sie hatten das ordnungen der Wiederherstellung eines deutschen Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Men- Einheitsstaates tendenziell die Grundlage entzog, schen in Ost- und Westdeutschland aufrecht zu er- bestand im Radio »Deutschland« als gemeinsa- halten. So wandte sich die Hörfunkreihe »So sieht mer Kommunikationsraum weiter fort. Aufgrund sei- es der Westen …«, die der SWF ab Januar 1951 re- ner massenhaften Verbreitung über die jeweiligen gelmäßig sonntags von 22.10 bis 22.20 Uhr auf der Staatsgrenzen hinaus und der gemeinsamen Mut- Mittelwelle ausstrahlte, »in direkter Ansprache an tersprache in beiden Teilen Deutschlands wurde der die Hörer in der Sowjetzone«.5 Die Sendung soll- Rundfunk früh integraler Bestandteil des Ost-West- te »ein Zeichen sein der inneren Verbundenheit al- Konflikts und Schauplatz der politischen System- ler Deutschen über Zonengrenzen hinweg. Ein Zei- konkurrenz.3 Die Bemühungen der beiden deut- chen dafür, dass die freie Welt die Bevölkerung in der schen Staaten um Legitimation und Anerkennung Sowjetzone nicht vergessen hat.«6 Inhaltlicher The- nach innen und außen richteten sich in den frühen menschwerpunkt dieser politischen Kommentarrei- 1950er Jahren stets nicht nur an die eigene Gesell- schaft, sondern zugleich an die Bevölkerung des je- weils anderen Teilstaates. Mit Sondersendungen für 1 Mit der Parole »Deutsche an einen Tisch!« startete die DDR-Re- die Hörer im anderen Teil Deutschlands bemühten gierung im September 1950 eine Wiedervereinigungs-Kampagne, die sich die Rundfunksender in West- und Ostdeutsch- vorbereitende Schritte beider deutscher Staaten zur Wiederherstel- land, die Bevölkerung von der Richtigkeit des eige- lung der nationalen Einheit zum Ziel hatte und sich gegen die Remi- nen »demokratischen« Staatssystems für das ange- litarisierung der Bundesrepublik im Zuge der Westintegration richtete. Vgl. Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Ge- strebte vereinigte Deutschland zu überzeugen und schichte 1945–1955. 5., überarb. Auflage. Bonn 1991 (= Schriftenreihe zugleich den Einheitswillen der Bevölkerung in Ost der Bundeszentrale für politische Bildung, 298), S. 215. und West am Leben zu erhalten. 2 Vgl. Arnd Bauerkämper u. a. (Hrsg.): Einleitung. Die doppelte Zeit- geschichte. In: Dies. (Hrsg.): Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deut- sche Beziehungen 1945–1990. Bonn 1998, S. 9–16, hier S. 9f. Im Gegensatz zum zentral gesteuerten und von der 3 Vgl. Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung (Anm. 1), S. 15. SED-Regierung instrumentalisierten Rundfunk in 4 Vgl. Christoph Classen: Faschismus und Antifaschismus. Die na- der DDR, der zur Herstellung von »sozialistischem tionalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk (1945– Bewusstsein« dienen sollte,4 war der öffentlich- 1953). Köln u. a. 2004 (= Zeithistorische Studien, 27), S. 24. rechtliche Rundfunk in der Bundesrepublik formal 5 Sonderleistungen der Abteilung Politik im Geschäftsjahr 1953/54. SWR Baden-Baden (BAD), Historisches Archiv (HA). 3200/48. keinen bestimmten parteipolitischen Richtlinien un- 6 Ansage der Sendung »So sieht es der Westen…«, 25.2.1951. SWR terworfen. Anders als in der DDR sollten die Rund- BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950659. 16 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 17 he war die Auseinandersetzung mit der Frage der thodisch das Problem, wie ein diskursgeschicht- deutschen Wiedervereinigung und den wirtschaftli- licher Ansatz in der Quellenanalyse umgesetzt chen, sozialen und politischen Verhältnissen in der werden kann. Zwar werden bei kulturgeschichtli- DDR, die den »Hörern im Osten« aus »westlicher« chen Fragestellungen zunehmend auch Produkte Sicht präsentiert wurden. Als Pendant dazu wurde der audiovisuellen Überlieferung genutzt, doch am rund ein Jahr später die Sendereihe »So lebt man weitesten fortgeschritten ist hier wohl der Bezug auf im Osten ...« eingeführt. Sie wurde zirka einmal im Film oder Fernsehen. Für den Rundfunk fehlen nach Monat zu wechselnden Sendezeiten, zumeist aber wie vor sowohl theoretische als auch praktische An- donnerstags oder mittwochs zwischen 22.00 und leitungen, die den diskursanalytischen, historisch- 22.15 Uhr ausgestrahlt und richtete sich ganz be- problemorientierten Ansatz integrieren.8 Eine Orien- wusst an die Hörer im Sendegebiet des SWF bzw. in tierungshilfe bietet die »historische Diskursanalyse«, der Bundesrepublik. Somit war »So lebt man im Os- die Achim Landwehr als »methodischen Vorschlag« ten ...« im eigentlichen Sinne keine »Ostzonensen- für den diskursanalytischen Ansatz in der Ge- dung«, also keine Sendung für den Osten, sondern schichtswissenschaft konzipierte.9 Landwehr kon- über den Osten. Ziel dieser Beiträge war es, die Hö- zentriert sich vor allem auf die Frage, wie die Aussa- rer im Sendegebiet des SWF, also in Baden und in gen existieren, was es bedeutet, dass sie existieren, Rheinland-Pfalz, »laufend über die Vorgänge hinter welche Spuren sie hinterlassen und auf welche Wei- dem Eisernen Vorhang, insbesondere in der »Sow- se sie wieder aufgegriffen werden.10 Im Sinne Michel jetzone« aufzuklären und das Gefühl der Verbunden- Foucaults macht Landwehr die »Aussagen« als re- heit und Schicksalsgemeinschaft mit den Menschen gelmäßig auftauchende und funktionstragende Be- drüben zu stärken.« Gleichzeitig sollten die Hörer in standteile zum Gegenstand der Analyse. Er betrach- Ost und West mit den »westlichen Vorstellungen von tet sie als die konstitutiven Elemente des Diskurses, Menschenrechten, Freiheit und demokratischer Re- unter dem er »eine Menge von Aussagen und Prak- gierungspraxis« vertraut gemacht, und das politi- tiken« versteht, »die einen Gegenstand der ‚Wirklich- sche System der Bundesrepublik den Hörern als keit‘ konstituieren«.11 Die historische Diskursanalyse Vorzeigemodell präsentiert werden.7 Doch wie soll- verfolgt dementsprechend den Ansatz, »dass zu ei- te es möglich sein, der Bevölkerung Trennendes und nem bestimmten historischen Zeitpunkt nur eine be- Vereinendes zugleich zu vermitteln? Und: Auf wel- grenzte Menge von Aussagen zu einem bestimmten chen Bereich der Gesellschaft bezog sich diese, in Thema gemacht werden kann, obwohl rein sprach- den Sendungen immer wieder propagierte Einheit – lich gesehen eine unendliche Menge von möglichen auf alle Deutschen oder nur auf die Deutschen auf Aussagen existiert«.12 Demzufolge richtet Landwehr der westdeutschen Seite des Eisernen Vorhangs? den Fokus auf die Regeln und Regelmäßigkeiten des Diskurses, um seine »Möglichkeiten zu Wirklichkeits- konstruktionen, seine gesellschaftliche Verankerung »Zonensendungen« als Quelle und seine historischen Veränderungen« sichtbar zu der Zeitgeschichte machen.13 Die Leistung der historischen Diskursana- lyse sei es zu zeigen, wie »Wahrheiten« jeweils histo- Fragt man nach dem Entstehen und der Etablie- risch hervorgebracht und innerhalb von politischen, rung von Meinungen, Einstellungen und Emotio- wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, religiösen und nen gegenüber der »deutschen Nation«, nach der kulturellen Zusammenhängen wirksam werden. gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der »deutschen Frage«, nach möglichen Motiven eines Obwohl sich Landwehrs Ansatz – wie die meisten bereits in den frühen 1950er Jahren anwachsenden medientheoretischen Konzepte und kulturwissen- westdeutschen Nationalbewusstseins, ist die Be- schaftlichen Verfahren einer Diskursanalyse – aus- deutung der »Ostzonensendungen« kaum zu über- schließlich auf schriftliche Medienprodukte, vor schätzen. Denn die Rundfunksendungen »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im Osten ...« zeigen, wie im Radio, dem damaligen Leitmedium, 7 Zur persönlichen Information des Herrn Intendanten. Zur Behand- über die deutsche Teilung gesprochen wurde. Die lung des Themas ‚deutsche Wiedervereinigung‘ im politischen Pro- Analyse des »Sagbaren« zur deutschen Teilung wird gramm des Südwestfunks, 20.10.1954. SWR BAD. HA. 3200–48. 8 Eine Ausnahme ist die Studie von Christoph Classen über Faschis- deutlich machen, welche Wahrnehmungskategorien, mus und Antifaschismus im Hörfunk (Anm. 4), die sich ebenfalls dem Bedeutungskonstruktionen und Identitätsstiftungen Diskurs eines politischen, emotional aufgeladenen Themas widmet. im öffentlichen Diskurs über die »deutsche Frage« 9 Achim Landwehr: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die his- eine Rolle spielten. torische Diskursanalyse. Tübingen 2001. 10 Vgl. ebd., S. 113. 11 Vgl. ebd., S. 131. Aus der Frage nach dem Wie der Rundfunk-Bericht- 12 Ebd., S. 7. erstattung über die deutsche Teilung ergibt sich me- 13 Ebd. 16 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 17

allem auf Presseerzeugnisse bezieht, kann sein dessen Aufgabe es war, die notwendigen Bedingun- Konzept auf die hier skizzierte Fragestellung über- gen für den Anschluss der DDR an die Bundesrepu- tragen werden. Im Mittelpunkt steht die sprachliche blik zu erkunden und letztlich herbeizuführen. Das Auseinandersetzung mit der Teilung Deutschlands. BMG stand unter der Leitung Jakob Kaisers, der im Um der Subjektivität, den die inhaltliche Beschrei- Gegensatz zu Bundeskanzler Adenauer und des- bung der Rundfunksendungen unweigerlich mit sich sen Konzeption der »Politik der Stärke« einen weni- bringt, vorzubeugen, soll die Wiederholung von The- ger auf Abgrenzung und mehr das Gemeinsame be- men, Argumentationsmustern und Stilmitteln sowie tonenden Kurs in der deutschen Frage vertrat.18 Als die Gleichförmigkeit von immer wieder ähnlich Ge- Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen sah er sagtem zentrales Kriterium der Sendeanalyse sein. seine Hauptaufgabe vor allem darin, der völligen Ab- Landwehrs Analyseleitfaden entsprechend14 wer- wendung der Bundesbürger von der »Ostzone« ent- den Kontext und »Text« der Rundfunkquellen glei- gegenzuwirken.19 Durch die Öffentlichkeitsarbeit des chermaßen berücksichtigt; das heißt, dass der situ- BMG sollte einerseits die Bevölkerung Westdeutsch- ative, mediale, institutionelle und historische Kontext lands über die »Gefahren des Kommunismus’« auf- der Sendungen ebenso wie die sprachlichen Merk- geklärt werden, andererseits wollte sich das Mi- male der Aussagen eine Rolle spielen. nisterium direkt an die ostdeutsche Bevölkerung wenden und sie über die westliche Sicht auf das po- litische Geschehen informieren. Hierfür unterhielt es »Hier spricht Deutschland« – Eine Gemein- kooperative und informelle Beziehungen zu zahlrei- schaftssendung der ARD-Rundfunkanstalten chen privaten Organisationen, aber auch zu öffent- zu den Wahlen in der DDR am 15. Oktober 1950 lichen Institutionen wie den Rundfunkanstalten. Vor allem die Rundfunkkommentare waren für das Mi- Von der politischen, wirtschaftlichen und insbeson- nisterium ein zuverlässiges Mittel, um zumindest ei- dere der ideologischen Konkurrenz der vier Sieger- nen Teil der Menschen in Mittel- und Ostdeutsch- mächte, die spätestens in der ersten Jahreshälf- land zu erreichen.20 te 1947 in die offene Konfrontation zwischen Ost und West umschlug, waren in besonders starkem Die in den »Ostzonensendungen« und anderen Sen- Maße die Berliner Sender betroffen. Bei der Verbrei- deformaten verbreiteten Verbundenheitsbekundun- tung der jeweiligen Position unter der Hörerschaft gen gegenüber der ostdeutschen Bevölkerung gin- der Gegenseite kam ihnen in der unter Vier-Mäch- gen Bundesminister Jakob Kaiser jedoch bald schon te-Kontrolle stehenden Stadt eine Sonderrolle zu.15 nicht mehr weit genug. Ende August 1950 schalte- Der RIAS und das NWDR-Studio Berlin im westdeut- te sich Kaiser in die Programmgestaltung mit einem schen, der und der Deutschland- sender im ostdeutschen Teil richteten schon früh zusätzliche Programmschwerpunkte ein, die 14 Vgl. ebd., S. 134. sich vorwiegend an die Bürger der jeweilig ande- 15 Vgl. dazu Wilfried Rogasch: Ätherkrieg über Berlin Der Rundfunk ren Seite wandten: Neben dem »Treffpunkt Berlin« als Instrument politischer im Kalten Krieg 1945–1961. In: Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Ausstellungskatalog Deut- im ostdeutschen Rundfunk, der den »faschistischen sches Historisches Museum. Berlin 1992, S. 69–84. 16 und militaristischen Ungeist« in den Westzonen 16 Zit. nach Heide Riedel: Mit uns zieht die neue Zeit… 40 Jahre DDR- zu attackieren hatte, wurde im Juni 1948 die ers- Medien. Eine Ausstellung des Deutschen Rundfunk-Museums. Berlin te über Langwelle verbreitete »Sendung für West- 1994, S. 43. – Vgl. auch Michael Jansen: »Liebe Hörer in der Zone«: Zu deutschland« eingerichtet und ab 1949 sendete der einem Aspekt des Kalten Krieges in den bundesdeutschen Rundfunk- programmen der fünfziger und sechziger Jahren. Magisterarbeit Düs- »« ein ganztägiges Programm seldorf 1987, S. 20. in die Westzonen. Entsprechend nahm auch in den 17 Beispiele sind die Sendung »Wir denken an Mittel- und Ost- Sendern der Westzonen die Auseinandersetzung mit deutschland« des Süddeutschen Rundfunks ab Oktober 1949 sowie den Vorgängen in der Ostzone und der Sowjetunion »Deutsche Fragen – Informationen für Ost und West« des Hessischen Rundfunks ab November 1950. zu. Sendereihen wie »Berlin am Mikrofon« des Ber- 18 Vgl. Wolfgang Benz: Die Bundesrepublik im Kalten Krieg. In: liner NWDR-Studios sowie die »Sondersendung für Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Ausstellungskatalog Deut- die Zone« und die »Sendung für Mitteldeutschland« sches Historisches Museum. Berlin 1992, S. 51–68. des RIAS folgten Ende der 1940er Jahre einige an- 19 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel: Konrad Adenauer – Jakob Kai- ser – Gustav Heinemann: Deutschlandpolitische Positionen in der CDU. dere westdeutsche Rundfunkanstalten und etablier- In: Jürgen Weber (Hrsg.): Die Republik der fünfziger Jahre. Adenauers ten eigene »Ostzonensendungen« dauerhaft im Pro- Deutschlandpolitik auf dem Prüfstand. München 1989 (= Akademiebei- gramm.17 träge zur politischen Bildung, 22), S. 18–46, hier S. 42. 20 Vgl. Sonja Isabel Krämer: Westdeutsche Propaganda im Kalten Unterstützt wurden diese »Ostzonensendungen« Krieg: Organisationen und Akteure. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Pressepo- litik und Propaganda. Historische Studien vom Vormärz bis zum Kalten der westdeutschen Rundfunkanstalten vom Bun- Krieg. Köln 1997 (= Medien in Geschichte und Gegenwart, 7), S. 333– desministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG), 371, vgl. v. a. S. 334. 18 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 19

Vorhaben ein, das nicht nur das öffentlich-rechtliche Daneben liegen eine Reportage sowie eine Hör- Prinzip der freien Berichterstattung, sondern auch funkcollage aus Kommentar-, Feature- und Glos- die Grundsätze der Unabhängigkeit und des Föde- seelementen vor. Inhaltlich dominierte in den Sen- ralismus der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal- dungen das Thema Wiedervereinigung »in Frieden ten in Frage stellen sollte. Unter Anleitung des Minis- und Freiheit«, wobei die Auseinandersetzung mit teriums plante Kaiser, eine »Gemeinschaftssendung den Volkskammerwahlen in der DDR, also der ei- aller Westberliner und westdeutschen Rundfunkge- gentliche Anlass der Serie, zur Nebensache geriet. sellschaften aus Anlass der Wahlen in der sowjeti- Wichtiger erschien den Verantwortlichen offensicht- schen Besatzungszone am 15. Oktober 1950« ein- lich die Vermittlung der Grundlagen und Grundwer- zurichten und in Form einer täglichen 15-minütigen te des demokratischen Systems in Westdeutschland »Ringsendung« auszustrahlen. Ihr Ziel sollte es sein, und die Kontrastierung der politischen, wirtschaft- »der Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungs- lichen und sozialen Verhältnisse in West und Ost. zone möglichst klare und einheitliche Richtlinien für Davon unberührt blieben die stets wiederkehrenden ihr Verhalten bei der Wahl zu geben«, die »SED-Re- Solidaritätsbekundungen mit der ostdeutschen Be- gierung durch einen möglichst negativen Ausgang völkerung und die Betonung der emotionalen Ver- der Wahl unsicher zu machen« und gleichzeitig die bundenheit. »westdeutsche Bevölkerung darauf hinzuweisen, welche Gefahr ihr durch das Anwachsen des Kom- Um diesem Zusammengehörigkeitsgefühl besonde- munismus droht, und welche Zustände auch hier ren Ausdruck zu verleihen, richteten sich die meis- heraufgeführt werden könnten, wenn sie sich dieser ten Redner der Sendungen direkt an die Hörer: »Wir Gefahr gegenüber passiv verhält«.21 Inhaltlich soll- stehen zu Euch (…) bis zu dem Tag, wo Ihr wieder zu ten die Sendungen, so die Diskussionsvorlage wei- uns kommen könnt«,24 denn der »Tag anderer Wah- ter, »mit möglichst sachlichen Argumenten die pro- len, als Sie Euch jetzt am 15. Oktober 1950 unter pagandistischen Angriffe der SED-Regierung auf dem so brutalen wie heuchlerischen Freunden der die Bundesrepublik widerlegen, den wahren Cha- Feinde aufgezwungen werden, wird kommen, auch rakter des Systems der politischen und persönli- ohne Krieg«.25 Den »Inhabern der Gewalt«,26 der chen Unfreiheit in der sowjetischen Besatzungszo- DDR-Regierung, wurde hingegen jeder Anspruch ne demonstrieren und über die Festigung der freien auf Repräsentation für die Bevölkerung der DDR Demokratie in Westdeutschland berichten«. und für Deutschland abgesprochen. Der Wunsch nach »deutscher Einheit« wurde in fast allen Sende- Trotz zum Teil heftiger Auseinandersetzungen zwi- folgen geäußert und bildete – meist als Appell for- schen Rundfunk-Intendanten und Ministerium22 muliert – insbesondere bei den Radioansprachen wurde das einmalige Gemeinschaftsprojekt der den Argumentationshöhepunkt. Für alle Redner ARD-Anstalten »Hier spricht Deutschland« in die stand gleichermaßen fest, dass die Wiedervereini- Tat umgesetzt. Die Sendungen wurden vier Wochen gung keinesfalls unter Aufgabe des bundesrepubli- vor der Wahl in der DDR am 15. Oktober 1950 ab- kanischen politischen Systems, sondern nur in Form wechselnd von allen westdeutschen Anstalten und eines Anschlusses Ostdeutschlands an die Bundes- vom RIAS produziert und via Kurzwelle den ganzen republik erfolgen könne. Tag über zeitversetzt ausgestrahlt. Zwar hatten die Intendanten durchsetzen können, über Form und In- Der Sendereihe kamen also mehrere Funktionen halt der Sendungen selbst zu bestimmen, das Minis- zu: Die Menschen in Westdeutschland sollten sich terium für Gesamtdeutsche Fragen stellte in Bonn aber ein zentrales Nachrichtenbüro zur Verfügung, das den jeweiligen produzierenden Sender mit dem 21 Diskussionsvorlage BMG vom 26.8.1950. SWR BAD. HA. 1000/3. »notwendigen objektiven Material versorgen« soll- 22 Infolge derer Walter von Cube, verantwortlicher Chefredakteur des te.23 Bayerischen Rundfunks, sich schließlich öffentlich von der Reihe dis- tanzierte (»der Vorhang muss endlich dicht gemacht werden«) und sich anschließend von Kaiser im Bundestag vorhalten lassen musste, es Eine Sendung bestand meist aus mehreren Beiträ- gebe »lebensentscheidende Aufgaben, in denen alle Deutschen einig gen bzw. Sinnabschnitten. Als Rahmen fungierten sein sollten«. Vgl. Bundestagsprotokoll zit. in: Horst O. Halefeldt: Pro- eine kurze Musikeinspielung und die Ansage »‚Hier grammgeschichte des Hörfunks. In: Jürgen Wilke: Leitmedien und Ziel- gruppenorgane. In: Ders. (Hrsg.): Mediengeschichte der Bundesrepu- spricht Deutschland‘. Heute aus…« (Standort der blik Deutschland. Köln u. a. 1999, S. 211–230; Zitat, S. 212. jeweiligen Sendeanstalt). Dazwischen wurden un- 23 dpa-Meldung vom 12.9.1950, zit. in Jansen (wie Anm. 16), S. 33. terschiedliche Beiträge bzw. mehrere Redner anei- 24 Leo Wohleb in: »Hier spricht Deutschland …« Sendung vom nandergereiht. Bei der Mehrzahl der im Archiv des 9.10.1950. SWR BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950151. Südwestrundfunks in Baden-Baden noch erhalte- 25 Eugen Kogon in: »Hier spricht Deutschland …« Sendung vom 5.10.1950. SWR BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950370. nen Beiträge handelt es sich um Rundfunkanspra- 26 Konrad Adenauer in: »Hier spricht Deutschland …« Sendung vom chen von namhaften Politikern und Schriftstellern. 13.10.1950. SWR BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950377. 18 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 19

mit der Politik der westdeutschen Regierung iden- für Ost und West« eingerichtet worden.31 Entspre- tifizieren, gleichzeitig wurde die Bundesrepublik chend der ARD-Sitzung vom November 1950 nach vom ostdeutschen Nachbarstaat abgegrenzt und dem Ende des Gemeinschaftsprojekts »Hier spricht die Überlegenheit der westdeutschen gegenüber Deutschland...« sah sich der SWF angehalten, eine den ostdeutschen Lebensumständen betont. Damit eigene Ostsendung einzurichten. spiegelte die Sendereihe eine ambivalente Haltung zur deutschen Teilung wider: Der mit viel Pathos vor- getragene Wunsch nach deutscher Einheit wurde ei- »Zweigeteilt – niemals?« – Die Einrichtung nerseits an die Bedingungen westdeutscher Politik von Ostzonensendungen im SWF gebunden, andererseits wurden in den Rundfunk- sendungen außer der Forderung nach gesamtdeut- Der im Archiv des SWR in Baden-Baden vorhande- schen Wahlen keine konkreten Schritte zur Realisie- ne Quellenbestand der Sendereihen »So sieht es der rung der Einheit formuliert. Die Vergewisserung der Westen …« und »So lebt man im Osten« ist – ver- eigenen Grundwerte und die strikte Ablehnung des glichen mit der oft fragmentarischen Überlieferung ostdeutschen Staatswesens bestimmten den Tenor. von Radiosendungen aus den frühen Nachkriegs- jahren in den Archiven der westdeutschen Rund- Die Diskussion um eine Fortführung der Gemein- funkanstalten – außergewöhnlich umfangreich. Es schaftssendung wurde laut, kaum dass die letzte spricht für den Wert, den die Verantwortlichen des Sendung am 20. Oktober 1950 über den Äther ge- SWF der Sendung zugemessen haben, dass trotz gangen war. Nicht nur das BMG, sondern allen vor- des Mangels an Papier und vor allem an Tonträger- an die SPD drängte auf die Weiterführung einer zen- material in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein be- tral organisierten, einheitlichen Ringsendung, zumal trächtlicher Teil der Sendedokumente aufbewahrt deren Wirkung höher eingeschätzt wurde als die der wurde. Das Zentrale Aktenmagazin im Historischen eigenständigen Ostzonensendungen der einzelnen Archiv des SWR verfügt zudem über einen Be- Sender.27 Bei den Rundfunkanstalten löste diese stand an Programmplänen jedes einzelnen Sende- Forderung eine nachhaltige Diskussion über Funkti- tags des ehemaligen Südwestfunks seit dem Grün- on, Wirkung und Organisationsschwierigkeiten des dungsjahr 1946. In diesen Akten wurden auch alle Gemeinschaftsprojekts aus. Das Resümee, das von zusätzlichen Sendenachweise abgelegt, bestenfalls der zuständigen Abteilung Politik im Süddeutschen also ein so genannter »Fahrplan«, ein »Sendenach- Rundfunk auf Anfrage des Intendanten gezogen wur- weis« sowie jeweils mindestens ein »Manuskript« für de, fiel vernichtend aus: Die vorausgegangenen Be- die Sendung. Zumindest eines dieser drei Dokumen- fürchtungen politischer und technischer Art hätten te ist für den Gesamtzeitraum von »So sieht es der sich bestätigt; die Sendungen seien aufgrund man- Westen …« und »So lebt man im Osten …« von 1951 gelnder Koordination und Absprache zwischen den bis 1956 lückenlos überliefert,32 so dass sich die Sendern so uneinheitlich und unsystematisch gewe- sen, dass eine positive Wirkung bezweifelt werden müsse. In politischer Hinsicht könnten keine Aussa- 27 »Schon die Ansage einer Gemeinschaftssendung, die dem Hö- gen über Wirkung und Erfolg der Sendung getrof- rer zeigt, daß alle Sender im Bundesgebiet gemeinsam an seinen Pro- fen werden, solange Informationen über Reaktionen blemen Anteil nehmen, gibt der Ostzonenbevölkerung einen Auftrieb, in der ostdeutschen Öffentlichkeit fehlten.28 Die Dis- der wie kaum etwas anderes geeignet ist, das Gefühl des Abgeschrie- kussion führte schließlich zum Ergebnis, dass eine benseins zu überwinden.« J. F. Warner, SPD-Rundfunkreferat, in einem Weiterführung in der bisherigen Form nicht zweck- Brief an SWF-Intendant Friedrich Bischoff vom 23.10.1950. SWR. BAD. HA. 1000/9. mäßig sei. Neben diesem Beschluss gab die Ar- 28 Auf Initiative der SPD waren lediglich einige nicht-repräsentative beitsgemeinschaft bekannt, dass die »Rundfunkan- Umfragewerte unter Flüchtlingen aus der Ostzone eingeholt worden, stalten in der Bundesrepublik in Zukunft unabhängig die nach Angaben des so genannten Rundfunkpolitischen Referats der voneinander eigene Sendungen für die Hörer in der SPD ergeben hatten, dass nur »ungefähr 10 Prozent der Ostzonenbe- 29 wohner« technisch überhaupt in der Lage seien, Kurzwellensendungen Sowjetzonen-Republik veranstalten« würden. Der zu hören. Südwestfunk, dessen Intendant Friedrich Bischoff 29 DPA-Meldung vom 13.11.1950. SWR. BAD. HA. VA 1000/48. sich bis zuletzt für die Einrichtung einer »regelmä- 30 Brief Bischoff an Warner vom 6.12.1950. SWR. BAD. HA. 1000/9. ßigen Sendung für die Ostzone« und einer zentralen 31 In der erklärten Absicht, die »Landsleute in der Zone anzusprechen 30 und im Westen das Interesse an den Vorgängen drüben wachzuhalten«. Redaktion in Berlin eingesetzt hatte, geriet nun un- Kopie des Briefes von Eberhard Beckmann, Intendant des Hessischen ter Zugzwang: In fast allen westdeutschen Hörfunk- Rundfunks, an Jakob Kaiser vom 1.11.1950. SWR. BAD. HA. 1000/3. anstalten waren Ostzonensendungen längst fest 32 Im Januar 1957 wurden die beiden Sendungen zusammengelegt im Programm; zuletzt, unmittelbar nach Beendi- und zu »In gemeinsamer Sorge« unbenannt. SWR. BAD. HA. 41/II/56 gung der Ringsendung, war auch beim Hessischen (26.12.1956–3.1.1957) sowie 9/1/57 (1.2.–4.2.1957). Anfang 1967 wurde die Sendung erneut unbenannt; bis zur endgültigen Einstellung im De- Rundfunk ein tägliches 15-Minuten-Programm un- zember 1969 lief die Sendung unter dem Titel »Gesamtdeutsches The- ter dem Titel »Deutsche Fragen – Informationen ma«. Vgl. dazu Jansen (Anm. 16 ), S. 70. 20 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 21 wöchentliche Ausstrahlung der Sendungen sowie strahlt wurde, war es selbst für interessierte Hörer Aussetzer33 mühelos belegen lassen. Maschinen- vergleichsweise schwierig, sich über die jeweiligen geschriebene, mehrseitige Manuskripte der Sende- Sendetermine zu informieren. Die großen Abstän- reihen sind bis auf das Jahr 1951 nahezu vollständig de der Ausstrahlungstermine dürften zudem nega- vorhanden.34 Einen dritten Schwerpunkt bilden die tive Effekte auf die Hörerbindung gehabt haben. Die Korrespondenzakten aus den Abteilungen des SWF, Frage nach der Rezeption spielt für die hier skizzier- die den institutionellen und organisatorischen Hin- te Ausgangsfrage jedoch eine eher nach geordne- tergrund von »So sieht es der Westen …« und »So te Rolle: Die folgende Analyse der Radiosendungen lebt man im Osten ...« dokumentieren. Die Akten soll zeigen, wie in den 1950er Jahren über die deut- enthalten Briefe und Mitteilungen von und an Mitar- sche Teilung gesprochen wurde. Welche Themen beiter des Südwestfunks. Die meisten Erwähnungen standen im Vordergrund, welche Topoi, Argumenta- finden die Sendereihen in der Korrespondenz der In- tionsmuster, Vorstellungen spielten eine Rolle? Wel- tendanz und der Programmdirektion35 sowie in der che Vermittlungsstrategien verfolgte die Sendung? Korrespondenzakte der zuständigen Abteilung Poli- Welche Rolle nimmt sie dem Hörer gegenüber ein? tik, dort vor allem im Briefwechsel mit freien Redak- Und nicht zuletzt: Welche Funktion hatten diese Ost- teuren und Korrespondenten der Sendereihe.36 zonensendungen?

Hörerbriefe zu den Sendungen »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im Osten ...« sind keine »Auch das ist Deutschland!« – Themen überliefert. Über die unmittelbare Resonanz, tech- der Sendereihen nische Empfangsmöglichkeiten und Einschaltquo- ten der Sendereihen können darum kaum Aussagen »Sie hören heute Abend zum ersten Mal unsere Sendung ‚So getroffen werden: Eine umfangreiche, bundesweite sieht es der Westen‘. Diese Sendung richtet sich vor allem an un- Hörerforschung fand in der Bundesrepublik Anfang sere Hörer in der Sowjetzone. Wir wollen in dieser neuen Sende- der 1950er Jahre noch nicht statt. Repräsentative reihe […] keine Propaganda betreiben. Wir wollen Ihnen, unse- Erhebungen einer Hörerforschung in der DDR gab rem Hörer im sowjetisch besetzten Mitteldeutschland, vielmehr es erst Mitte der 1960er Jahre und wie vieles andere nüchterne und sachliche Kommentare zu Vorgängen in Deutsch- waren auch die ersten Anläufe des DDR-Rundfunks land bringen, – wohlverstanden in Gesamtdeutschland. Diese zur Hörerforschung nicht nur an Sachproblemen Sendung soll ferner ein Zeichen sein der inneren Verbundenheit orientiert, sie waren auch in das Koordinatensystem aller Deutschen über Zonengrenzen hinweg. Ein Zeichen dafür, der SED-Ideologie eingebunden.37 dass die freie Welt die Bevölkerung in der Sowjetzone nicht ver- gessen hat.«39 In Anbetracht der allgemeinen Hörergewohnheiten und Einschaltzeiten in den frühen 1950er Jahren38 Zwar spiegelt die Ansage des Radiosprechers zum waren den Sendungen eher mäßige Sendeplätze Auftakt der Sendereihe »So sieht es der Westen …« spät am Abend zugeteilt worden. Jedoch sollten mit im Januar 1951 vermutlich nur einen Teil des intern dem auf den ersten Blick eher ungünstig erschei- entworfenen Sendekonzepts der SWF-Redaktion nenden Sendetermin für »So sieht es der Westen …« Politik wider, gleichwohl verdeutlichen die darge- am Sonntagabend 22.10 Uhr vermutlich zum einen legten Definitionen von Zielgruppe (»Hörer im so- diejenigen Hörer erreicht werden, die das Späta- wjetisch besetzten Mitteldeutschland«), medialer bendprogramm gezielt für ihre spezifischen Inter- essen nutzten, zum anderen aber auch diejenigen, die schon aus technischen Gründen nur zu dieser Uhrzeit einschalteten: Anfang der 1950er Jahre war die Wahrscheinlichkeit, mit dem SWF-Programm in 33 An den Oster- Pfingst- und Weihnachtsfeiertagen fiel die Sendelöcher im Rundfunknetz der DDR zu stoßen, Sendung oftmals aus, meist zugunsten eines Musikprogramms, wie »Morgenchoral« bzw. »Sport und Musik« (SWR. BAD. HA. 35/I/35 am späten Abend größer als zu anderen Tageszei- MS 23.5.–26.5.). ten, und dementsprechend auch die Chance auf 34 Oftmals fehlen die Manuskripte derjenigen Sendetermine, die von eine größere Hörerzahl in Ostdeutschland. externen Autoren oder mit Sonderbeiträgen gestaltet wurden. 35 U. a. SWR. BAD. HA. 3200/3, 1000/47; 1000/9; 1000/48; 3000/12. 36 SWR. BAD. HA. 3200/7. Der für »So lebt man im Osten ...« nach einigen Modi- 37 Vgl. Konrad Dussel: Der DDR-Rundfunkhörer und seine Hörer. An- fikationen festgelegte Sendeplatz am späten Abend sätze zur Rezeptionsforschung in Ostdeutschland (1945–1965). In: war vergleichsweise ungünstig. Mit 15 Minuten mo- RuG 24(1998), S. 122–136; hier S. 122. natlich wurde der Sendung außerdem weniger Sen- 38 Vgl. den Tagesverlauf der Hörerzahlen u. a. bei Fritz Eberhard: Der dezeit eingeräumt als der politischen Ostsendung Rundfunkhörer und sein Programm. Ein Beitrag zur empirischen Sozi- alforschung, Berlin 1962, S. 284. »So sieht es der Westen...«. Da die Sendung nur 39 Sendung vom 25.2.1951. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger einmal im Monat und recht unregelmäßig ausge- 5950659. 20 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 21

Stilform (»nüchterne und sachliche Kommentare«), wertet werden. In der Sendung »So lebt man im Os- Gegenstand (»Vorgänge in Deutschland«) sowie ten ...« wurden meist Alltags- oder soziale Themen Absicht der Sendung (»Zeichen der inneren Verbun- aufgegriffen. Im Gegensatz zur Sendung »So sieht denheit«), wie groß den Programmmachern die He- es der Westen...« wurden klassisch politische Berei- rausforderung, dies alles umzusetzen, von Beginn che nur selten thematisiert. In einem internen Pro- an erscheinen musste. Schließlich sahen sie sich grammschema aus dem Jahr 1954 heißt es zu den mit der doppelten Aufgabenstellung konfrontiert, in der Sendung »So lebt man im Osten ...« behan- die »Vorgänge in Gesamtdeutschland« zu kommen- delten Themen: »Breitere Schilderungen aus dem tieren – die Anfang der 1950er Jahre ganz im Zei- sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben der chen der gegensätzlichen Blockintegration beider Zone, gelegentlich auch der Volksdemokratien. The- deutscher Staaten standen – und nichtsdestotrotz men der letzten Zeit: Situation der geistigen Beru- ein »Zeichen der inneren Verbundenheit aller Deut- fe (Lehrer, Ärzte, technische Intelligenz) Gründe, die schen« zu setzen. zur Flucht in den Westen veranlassen, Jugendkrimi- nalität ind (sic!) den Volksdemokratien, Jugendfür- Allein das Themenspektrum zwischen 1951 bis Ende sorge, zum Begriff von Spionage und Sabotage in 1954 illustriert, wie stark vor allem die mehr politi- dder Sbz. (sic!), etc.«40 sche Sendung »So sieht es der Westen …« vom Kal- ten Krieg und den großen politischen Weichenstel- Zum Teil knüpften die Beiträge an ein aktuelles Er- lungen, insbesondere der doppelten Konstellation eignis an wie die »Weltfestspiele der Jugend und zweier antagonistischer Blöcke geprägt war. Dreh- Studenten«, den »sowjetzonalen Schriftstellerkon- und Angelpunkt der Kommentierung der »Vorgän- gress« oder verschiedene Gerichtsprozesse in der ge in Deutschland« ist die Wiedervereinigungsfra- DDR.41 Ein wenig aus dem Rahmen fallen die Sen- ge, wobei sich die Berichterstattung diesbezüglich dung zum dreijährigen Bestehen der DDR, die Son- – entgegen der Ankündigung – weniger auf »Gesamt- dersendung mit Flüchtlingen und die Sendung zur deutschland« als vielmehr auf die Deutschlandpolitik Berlin-Debatte des Bundestags mit einer Rede der Großmächte und der DDR bezieht. Die innenpo- von .42 Die meisten Sendungen be- litischen Entwicklungen in der DDR bilden den zwei- schäftigen sich direkt mit der DDR, nur in Ausnah- ten Themenschwerpunkt der Sendereihe, wohinge- men werden auch andere Länder des sowjetischen gen die gesellschaftlichen Vorgänge und politischen Machtbereichs thematisiert.43 Es scheint so, als wä- Weichenstellungen in der Bundesrepublik meist nur ren die Themen meist von den Freien Autoren ange- dann zum Gegenstand in »So sieht es der Westen …« boten worden. Nur selten ging die Anregung für ein werden, wenn sie das »Deutschlandproblem« tan- konkretes Thema von der Redaktion aus.44 Nichts- gieren oder dem Vergleich der eigenen (westlichen) destotrotz oder gerade deshalb deckt die Sendung Verhältnisse mit den jeweiligen im Osten dienen. Im zwischen 1952 und 1956 eine große Bandbreite an Zentrum des Diskurses über das Deutschlandprob- Themen ab. lem steht die Debatte um die genauen Bedingungen und Voraussetzungen für die deutsche Wiederverei- nigung, die bis Mitte der 1950er Jahre einerseits auf der Ebene der ost- und westdeutschen Regierun- gen, andererseits auf der weltpolitischen Ebene der Siegermächte ergebnislos geführt wurde. Die Kom- mentare in »So sieht es der Westen …« richteten sich 40 Programm-Schema, Willy Schaeffer. SWR. BAD. HA. 3200/48. im Untersuchungszeitraum von 1951 bis 1954 nach 41 Vgl. Franz Filser: Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Sen- der außenpolitischen Richtlinie der Bundesregie- dung vom 17.8.1955. Keine Bandaufnahme erhalten; Alex Borck: Sow- rung: Die stereotype Forderung nach freien Wahlen jet-zonaler Schriftstellerkongress. Sendung vom 6.3.1956. Keine Band- in ganz Deutschland als Bedingung für die Wieder- aufnahme erhalten; Burianek-Prozess. Sendung vom 19.6.1952. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950663; Schauprozesse im Osten. Sen- herstellung der deutschen Einheit ist eine eindeuti- dung vom 31.7.1952. Ebd. Tonträger 5950801. ge Grundkonstante der Sendereihe. 42 Drei Jahre DDR. Sendung vom 23.10.1952. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950802; Sondersendung: Gespräche mit Flüchtlingen im Die Auseinandersetzung mit dem Thema Wieder- Lager Giessen. Sendung vom 25.6.1952. Keine Bandaufnahme erhal- ten; Berlin-Debatte des Bundestages und Ulbricht-Rede. Sendung vereinigung wurde im Verlauf der Sendereihe zuneh- vom 3.3.1954. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger 5951254. mend vom Prozess der Westintegration der Bundes- 43 Rumäniendeutsche in Siebenbürgen und im Banat. Sendung vom republik überlagert. Dies kann als ein Indiz für die 13.5.1953. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger 5950935; Veränderungen zunehmende Abkehr von der inneren Verbundenheit in der CSR. Sendung vom 11.12.1956. Keine Bandaufnahme erhalten; hin zu einer immer stärkeren Orientierung des Dis- Unruhen in Osteuropa. Sendung vom 5.8.1953. SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger. 5951243. kurses am gegenwartsbezogenen politischen Kurs 44 Vgl. Korrespondenz Pechel / Borck 7/1953-09/1953. SWR. BAD. der Bundesrepublik in Richtung Westbündnis be- HA. 1000/9. 22 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 23

»Liebe Hörer in der Zone…« – Analyse ran eine Zeitungsmeldung über den Schauprozess der Sendefolge »So sieht es der Westen …« und die Erschießung von Oppositionellen in China verlesen, die nicht weiter kommentiert wird. Daran Die Sendung vom 3. Juni 1951 mit dem Titel »Volks- wird ein O-Ton Walter Ulbrichts zu den Freundschaf- befragung / Deutsch-chinesische Freundschaft« ist ten mit den »Ländern der Volksdemokratie« ange- eine der ersten der Reihe »So sieht es der Westen …«, fügt. Anschließend endet der Beitrag unvermittelt die auf Tonband überliefert ist. Sie ist in mehrfacher mit einem Gong. Das Dekuvrierende, das sich mit Hinsicht charakteristisch für das Darstellungsprinzip dieser Darstellungsweise verknüpft, kann der Hö- der Konstruktion eines militärischen Bedrohungspo- rer erst nach und nach vollständig begreifen: Das tentials der DDR und der gleichzeitigen Vereinnah- Beispiel vom Schauprozess in China soll die Grau- mung der Hörer in der »Sowjetzone«.45 Tagesaktu- samkeit und Ungerechtigkeit des kommunistischen elle politische Ereignisse in der DDR, wie in diesem »Freundes« der DDR verdeutlichen und in Verbin- Fall der von der DDR-Regierung proklamierte »Mo- dung mit dem O-Ton Ulbrichts die außenpolitischen nat der deutsch-chinesischen Freundschaft« sowie Beziehungen der DDR diskreditieren. Die Autoren die Volksbefragung zur Remilitarisierung Deutsch- der Sendung hielten die Zitate offensichtlich für so lands, werden als »scheinheilige« und »lügnerische« aussagekräftig und eindeutig, dass sie dem Hörer Propaganda der Regierung der DDR auf Anweisung die Entschlüsselung selbst überließen. Moskaus »enttarnt«. Im Gegensatz dazu wirkt der zweite Beitrag der Die knapp zehnminütige Sendung ist zweiteilig auf- Sendung eindrucksvoller, da unterschiedliche au- gebaut. Sie beginnt mit einem kurzen, zirka zweimi- ditive Techniken und verschiedene rhetorische Fi- nütigen Beitrag über den »Monat der deutsch-chi- guren verwendet werden. Aufgrund seiner sprachli- nesischen Freundschaft«. Es handelt sich um eine chen Komplexität wird dem Zuhörer jedoch einiges ironische Darstellung der Beziehung zwischen der an Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen ab- DDR und China, die sich darauf beschränkt, den verlangt. Inhaltlich geht es um die Frage der Remili- chinesischen Partner mit einem Zitat aus der chine- tarisierung Westdeutschlands, über die in der DDR sischen Nachrichtenagentur über einen Schaupro- am vorherigen Tag mit einer Volksbefragung abge- zess und die anschließende Hinrichtung antikommu- stimmt worden war. Ausgangspunkt der Radiocol- nistischer Revolutionäre in China bloßzustellen. Der lage ist erneut ein O-Ton Ulbrichts, in dem der Mi- zweite Beitrag, akustisch vom ersten durch den für nisterpräsident der DDR die Remilitarisierung der die Sendereihe charakteristischen blechernen Gong Bundesrepublik als »Revanchepolitik« und als »Vor- getrennt, ist eine rund siebenminütige Radiocollage, bereitung eines Krieges zur Eroberung von Gebie- bestehend aus Original-Tönen Ulbrichts und kom- ten anderer Staaten« bezeichnet. Die Autoren der mentierenden Moderationstexten. An- und Absa- Sendung folgen dem Argumentationsmuster einer ge der Sendung sind nicht überliefert, die Bandauf- Gegenüberstellung von Propaganda und Wahrheit. nahme beginnt unvermittelt mit dem Sprechertext Es gilt das Prinzip, den Gegner mit seinen eigenen des ersten Beitrags und endet wiederum mit einem Aussagen bloßzustellen. Ulbrichts Rede wird aus Gong. dem Zusammenhang gerissen und durch Schnitt- technik verfälscht. Es wird das Gegenteil dessen, Die Radiocollage im zweiten Teil der Sendung domi- was Ulbricht tatsächlich gesagt hat, offen gelegt – niert nicht nur zeitlich über den ersten Beitrag über die »wahre« Remilitarisierung finde nicht im Westen, die »deutsch-chinesische Freundschaft«, sondern sondern im Osten statt. auch in Bezug auf seine formale akustische Gestal- tung. Hinzu kommt, dass die Botschaft des ersten Um dem Hörer dies zu vermitteln, wird Ulbrichts O- Beitrags nur dann zu verstehen ist, wenn dem Hörer Ton – ursprünglich im Wortlaut »Remilitarisierung, das der Transfer vom Schauprozess in China zum eigent- ist die Schaffung einer westdeutschen Armee […], lichen Anlass der Sendung, nämlich dem »Monat Remilitarisierung in Westdeutschland, das ist Re- der deutsch-chinesischen Freundschaft«, gelingt. vanchepolitik« – so gekürzt, dass nur die ersten Wor- Im ersten Moment scheinen die drei Sinnabschnitte, te übrig bleiben, also: »Remilitarisierung, das ist…«. in die der erste Beitrag unterteilt ist, lediglich in lo- Dieses Versatzstück wird im Beitrag mehrfach wie- sem Zusammenhang zu stehen: Zuerst beschreibt derholt und mit einem Moderationstext ergänzt, der der Moderator das Ereignis als Fortsetzung des Mo- nun aber verschiedene Beispiele militärischer Auf- nats für deutsch-sowjetische und des Monats für deutsch-polnische Freundschaft (»wie viele Freund- schaftsmonate noch folgen, weiß nur Wilhelm Pieck allein«). Um zu zeigen, »welch liebe Freunde wir da neu hinzubekommen haben«, wird im Anschluss da- 45 SWR. BAD. Wortarchiv. Tonträger 59506590. 22 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 23

rüstung in der DDR aufführt. Der Hörer bekommt leit- Dieser Bezug zum Hörer in der »Sowjetzone«, der die motivisch Satzaussagen wie diese zu hören: Sendung vom 3. Juni 1951 charakterisiert, ist eine zentrale Strategie von »So sieht es der Westen …«. [O-Ton Ulbricht] »Remilitarisierung, das ist …« Er dient der Emotionalisierung und schließlich der [Sprecher 1] »… die Umgliederung der Volkspolizeibereitschaf- Vereinnahmung des Publikums. Die direkte Anrede ten und -schulen in 2000-Mann starke Kampftruppen, die ähn- des Zuhörers und die Suggestion persönlicher Ver- lich wie die mechanisierten Divisionen der Roten Armee über trautheit sowie des individuellen Gesprächs sollen zwei Infanterie-Kommandos, ein Panzerkommando, ein Artille- vergessen lassen, dass es sich nicht um persönliche rie-Kommando, eine Granatwerfersonderabteilung, eine Nach- Teilhabe des Hörers am Geschehen handelt, son- richtensonderabteilung, eine Gratschützenabteilung und Sani- dern um eine medial vermittelte Inszenierung der tätstruppen verfügen.« militärischen Bedrohung durch die DDR bzw. den [O-Ton Ulbricht] »Remilitarisierung, das ist …« kommunistischen Osten. »So sieht es der Westen [Sprecher 2] »… die Teilnahme von einer zu einer selbständi- …« macht sich die Eigenschaft des zu Nutze, gen Brigade zusammengefassten Volkspolizeieinheit unter dem eine Gesprächssituation vorzutäuschen. Immer wie- Kommando des Volkspolizeikommandeurs Friedrich Möbius, der wird vom Sprecher eine Rückfrage vorgetäuscht, SED, an den Manövern der dritten sowjetischen Gardearmee um die Einstimmigkeit, die angeblich zwischen ihm in Mecklenburg.« und dem »Hörer in der Zone« herrsche, zu verdeut- [O-Ton Ulbricht] »Remilitarisierung, das ist …« lichen: »Nicht wahr, liebe Hörer in der Zone, sie sind [Sprecher 1] »… Der Aufbau von taktischen Luftwaffenverbän- doch mit uns einer Meinung, dass …«. Obwohl der den in Stärke von zwei durch leichte Kampflugzeuge verstärkten ostdeutsche Gesprächspartner nicht antworten Jagdgruppen im Befehlsbereich der Hauptverwaltung Luftpolizei kann und somit die »Rückfragen«, die ihm gestellt und die Ausbildung von Volkspolizeioffizieren an sowjetischen werden, im Grunde nur rhetorische Fragen sind, le- Düsenjägern auf einem Flugplatz in der Nähe der russischen gitimiert der Kommentator auf diese Weise seine ei- Stadt Minsk.« gene Einschätzung und bezieht zugleich den Hörer in die Darstellung mit ein. Zwar richtet sich die An- Dieses Darstellungsschema vermag durch die mo- sprache explizit an die Hörer in der DDR, doch die notone Wiederholung einerseits die Eindringlich- westdeutsche Hörerschaft vermag sich mit dieser keit auf den Hörer zu steigern, andererseits führt Darstellung vielleicht sogar noch stärker zu identifi- es durch Überstrapazierung von Begriffen aus dem zieren, da sie sich auf der westlichen Seite des Spre- Militärjargon, von Zahlen und Ortsnamen zu einer chers befindet und somit in der günstigeren Positi- akustischen Überfrachtung und schließlich vermut- on des Beurteilenden. Da der westdeutsche Hörer in lich zur Ermüdung des Hörers. Dass daraus keine »So sieht es der Westen …« nicht direkt angespro- völlige Entfremdung des Rezipienten gegenüber chen wird, besteht auch nicht das Risiko, dass sei- dem Radiobeitrag entsteht, ist dem Engagement ne Einstellung verkannt und an ihm vorbeigeredet der Radiosprecher zu verdanken, die den Kontakt wird. Denn die Situation des ostdeutschen Hörers zum Hörer aufrechterhalten. Dass dieser direkte wird in »So sieht es der Westen …« stets genau vor- Kontakt mit dem Hörer gesucht wird, machen ins- gegeben: besondere die Einleitung und der Schlussteil des Re- militarisierungs-Beitrages deutlich. Anstelle des mi- »So, liebe Hörer, jetzt haben sie den ersten Tag des Volksbefra- litärisch-distanzierten Stils der Collage im Hauptteil gungsrummels hinter sich gebracht. […] Sie werden froh sein, überwiegt hier eine emotionale und appellative Rhe- wenn sie jetzt zu Hause zusammensitzen und nichts mehr hö- torik. So besteht der zweite Beitrag ebenfalls aus ren von Aufklärungsschlagworten und Friedensproklamationen, drei Sinnabschnitten, einer kurzen Einführung, die wenn sie die Sichtwerbung mit den Ja-Parolen nicht mehr sehen auf den aktuellen Anlass des Beitrags verweist – die müssen. Und wenn sie den Südwestfunk nun einstellen an ihrem Volksabstimmung in der DDR zur Remilitarisierung Gerät, dann werden sie vielleicht etwas enttäuscht sein, dass Westdeutschlands; der Collage als Hauptteil sowie auch wir, auch wir im Westen von der Volksbefragung sprechen. einem recht ausführlichen Schlussteil. Hier endet die Seien sie uns nicht böse deswegen. Aber wir glauben, dass wir Beweisführung der Remilitarisierung der DDR mit doch noch ein Wort zu dieser so genannten Volksbefragung sa- der Schlussfolgerung, die aufgezählten Wiederauf- gen müssen.« rüstungsmaßnahmen der DDR würden dem Zweck eines Krieges gegen die Bundesrepublik dienen. Wenn in »So sieht es der Westen …« von den Sor- Dieses Fazit mündet in einen Appell an diejenigen gen und Nöten der Hörer in der DDR die Rede ist, Hörer in der DDR, denen der Gang zum Wahllokal wird nur selten die Konjunktivform gebraucht. »So an diesem oder dem nächsten Tag noch bevorste- sieht es der Westen …« erhebt vielmehr den An- he, der Abstimmung fernzubleiben oder zumindest spruch, die Gedanken und Befindlichkeiten der ost- nicht gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands deutschen Bevölkerung so gut zu kennen, dass in zu stimmen. der Sendung mit ihr über sie geredet wird: »Wir wis- 24 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 25 sen, liebe Hörer in der Zone, dass sie unter Druck ge- Worte in »So sieht es der Westen …« an die Adres- setzt werden. Wir wissen, dass sie eingeschüchtert se ostdeutscher Hörer bekräftigen indirekt die über- werden. Wir wissen, dass sie mit ihrem Leben spie- legene Position des Westens. Dies bedeutet jedoch len, wenigstens in vielen Fällen, wenn sie der Wahl nicht, dass die Anrede des Hörers in der DDR nicht fern bleiben oder mit Nein stimmen.« Mit der Rol- ernst gemeint und Verbundenheitsbekundungen rei- le als allwissender Beobachter stellt sich »So sieht ne Rhetorik sind. Der Dialog mit dem Hörer in der es der Westen …« über die Zuhörer. Im Gegensatz DDR vermag einem Zusammengehörigkeitsgefühl zur DDR-Regierung wird dem ostdeutschen Hörer mit der ostdeutschen Bevölkerung durchaus Aus- zwar freundschaftliche und familiäre Verbunden- druck verleihen und ist sicher auch einem ernsthaf- heit entgegengebracht, gleichzeitig aber auch ver- ten Interesse am Wohlergehen der Bevölkerung in deutlicht, dass er der Instanz des allwissenden und der DDR geschuldet. Aber eben nur so, wie sich der guten Westens, dem Radiosprecher von »So sieht »große« Bruder um den »Kleinen« sorgt und auch nur es der Westen …«, unterlegen ist. Dies demonst- von der überlegenen, unangreifbaren Warte aus. riert auch eine Phrase aus der beschriebenen Sen- dung vom Juni 1951: »Seien sie uns nicht böse des- In der näher analysierten Sendung vom 3. Juni 1951 wegen. Aber wir glauben, dass wir doch noch ein ist es die Gegenüberstellung einer emotionalen, für- Wort […] sagen müssen«. Ähnliche Formulierungen sorglichen Anrede an die Hörer in der DDR (»So werden im Verlauf der Sendereihe öfter gebraucht. wichtig ist diese so genannte Volksbefragung […] Sie offerieren dem Hörer einerseits Verständnis und nicht, als dass sie dafür ihr Leben oder das ihrer An- Zuneigung, andererseits klingt es wie eine Zurecht- gehörigen riskieren«) mit einer vergleichsweise kal- weisung eines Lehrers, der seinen Schüler Unange- ten und abgeklärten Sprache bei der Aufzählung der nehmes, letztendlich aber doch Nützliches zumutet: militärischen Wiederaufrüstungsmaßnahmen (»Die »Sie werden’s schon gemerkt haben, liebe Hörerin- Bereitstellung von insgesamt 3,1 Mrd. Ostmark aus nen und Hörer in der Zone, wir sprechen noch einmal dem Steueraufkommen der DDR an Investitionsmit- vom vierten Parteitag der SED. Es muss sein, damit teln für die Umstellung der Industrie der Sowjetzone Sie und wir zu Ostern den Kopf für andere Gedan- auf Rüstungsproduktion. Gemäß Anordnung der so- ken frei haben.«46 wjetischen Kontrollkommission.«). Sie soll das Radi- opublikum von dem Standpunkt überzeugen, dass Teilweise fungiert der Sprecher auch als väterli- die Wiederbewaffnung Westdeutschlands nicht wie cher Ratgeber: »Wir wollen Ihnen die Freude darü- in der DDR zum Zweck der Kriegsbereitschaft erfol- ber, dass Sie seit dem 26. Oktober doch etwas mehr ge, sondern eine reine Verteidigungsmaßnahme der für Ihr Geld bekommen als früher nicht mit Gewalt »westlichen Welt« gegenüber einer realen Bedro- vergällen […]. Nur warnen wollten wir Sie, nicht all- hung aus dem Osten sei. Diese Strategie zur Vermitt- zu vertrauensselig zu sein […]. Kaufen Sie nichts Un- lung des Themas »Remilitarisierung« macht deut- nützes. Hüten Sie sich vor Abzahlungsgeschäften. lich, dass es nicht allein darum geht, die Vorgänge Halten Sie Ihr Geld zusammen.«47 Oder der Sprecher in »Gesamtdeutschland« für die ostdeutschen Hö- präsentiert sich als Anwalt der unterdrückten Bevöl- rer aus der westlichen Perspektive zu kommentieren, kerung in der DDR: »Unsere Aufgabe in der Bundes- sondern offensichtlich auch darum, das westdeut- republik ist es, alles, was in unserer Macht steht, zu sche Publikum von »So sieht es der Westen …« von tun, damit diese Zeit, die Ihnen in der Zone Tag und der Notwendigkeit der Wiederbewaffnung der Bun- Nacht neue Angst, neuen Terror und neue Bedrü- desrepublik zu überzeugen. Die Darstellung konzen- ckung bringt, so kurz wie möglich gehalten werden triert sich auf die angeblich kriegerischen und unehr- kann«.48 Schließlich kann der Sprecher aber auch lichen Absichten der DDR, vor denen die deutsche als tröstender Leidensgenosse auftreten: »Sie ste- Bevölkerung geschützt sein müsse. So macht sich hen nicht allein da in der Zone, Sie sind nicht verlas- die »Sowjetzonensendung« ihr vorrangig antikom- sen oder gar abgeschrieben. Wir müssen aushalten, munistisches Argumentationsprinzip zu Nutze, um meine lieben Hörer in der Zone, und wir müssen ein- die in Westdeutschland gesellschaftlich und parla- ander helfen.«49 mentarisch umstrittene Remilitarisierung der Bun- desrepublik zu rechtfertigen. So unterschiedlich die Rollen auch sein mögen, die »So sieht es der Westen …« gegenüber dem ange- sprochenen Publikum einnimmt – sie alle haben eine 46 Sendung vom 11. 4. 1954. SWR. BAD. Wortarchiv. Funktion: Die Unterlegenheit der DDR gegenüber Tonträger 5951252. Westdeutschland und somit den Alleinvertretungs- 47 Sendung vom 1. 11. 1953. SWR. BAD. Wortarchiv. anspruch der Bundesrepublik in Bezug auf ganz Tonträger 5951248. 48 Sendung vom 30. 8. 1952. SWR. BAD. Wortarchiv. Deutschland deutlich zu machen. Die Handlungs- Tonträger 5950803. anweisungen, Appelle, Ratschläge und tröstenden 49 Sendung vom 28.12.1952. SWR. BAD. HA. 3200/72. 24 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 25

»Was da geschieht muss in die Welt Peter Pechel beendete diesen ersten Teil der Sen- geschrieen werden!« – Analyse der dung mit dem Hinweis darauf, dass dies zwei von Sendefolge »So lebt man im Osten ...« tausenden Briefen seien, die jetzt gerade aus der DDR geschickt würden. Diesen Briefen hätten die Die erste Ausgabe der Sendereihe gut drei Wochen Redakteure des SWF nichts hinzuzufügen. Während nach den Streiks und den Unruhen um den 17. Juni der erste Brief Ähnliches berichtete, fällt der zweite 1953 in der DDR besteht aus zwei Teilen, die akus- deutlich aus dem Rahmen. Es kann nicht nachgeprüft tisch mit einem Gong voneinander abgetrennt wer- werden, ob es sich um einen echten und tatsächlich den. In der ersten Hälfte präsentierte Peter Pechel verschickten Brief handelt oder ob der Berliner Kor- zwei lange Passagen aus zwei Briefen, die mit ei- respondent Alex Borck selbst einen Modellbrief ent- ner kurzen Einleitung, einer Überleitung und einem worfen hat. Durch das Gestaltungsprinzip der Briefe Schluss eingefasst sind. Die Briefe sind laut Pechel erhält die Sendung eine sehr persönliche und emo- von Menschen in der DDR geschrieben worden und tionale Note. Die Appelle aus dem zweiten Brief rich- in den letzten Wochen beim SWF angekommen. An ten sich scheinbar direkt an den Hörer. Die Wut und wen die Briefe konkret gerichtet waren und warum die Angst der Verfasser lassen sich nachfühlen und sie nun der Redaktion vorliegen, wird nicht näher erzeugen Mitgefühl und Handlungsbereitschaft. Die erläutert. Über die Briefe sollen die Hörer, »die kei- vergleichsweise sachlich-nüchternen Passagen Pe- ne Verwandten in Mitteldeutschland haben«, mehr chels verstärken diesen Effekt noch durch den Kon- über »die Lage (...) und das Denken unserer Lands- trast. Formulierungen des Briefeschreibers wie die, leute« erfahren als das »der beste Kommentar« leis- er wolle seinem »Herzen Luft machen«, verstärken ten könne.50 den Eindruck, die DDR gleiche einem Dampfkessel, dessen Explosion kurz bevorstehe. Über den Brief Der erste Brief stammt angeblich von einer »alten solidarisiert sich die Sendung uneingeschränkt mit Frau aus einem kleinen Ort in der Mark Branden- den Streikenden und Demonstrierenden in der DDR. burg« und ist an ihre Kinder gerichtet. In dem Brief Die Sendung macht sich so zum Sprachrohr für die werden die Schicksale der verschiedenen Dorfbe- Klagen und Forderungen der Unzufriedenen und un- wohner geschildert: Das Leben bestehe demnach in terstreicht damit die Opposition des SWF gegenüber der DDR aus Flucht, Deportation, Enteignung, Ver- der DDR-Regierung. haftungen, Hunger, Armut und Zwang. Für Pechel sind dies die »wahren Beweggründe« dafür, warum Für den Hörer im Westen enthält der Brief aber noch »die Bevölkerung am 17. Juni gegen die Regierung eine weitere Dimension. Beim Sendetermin am 8. Juli der SED aufgestanden ist«. Dieser »Volksaufstand« war bereits klar, dass die Streiks und die Unruhen in ist Inhalt des zweiten Briefes. Er sei um den 21. Juni der DDR nicht mehr soweit eskaliert waren, dass die herum im Raum Magdeburg verfasst worden und Regierung der DDR gestürzt worden ist. Stattdessen gebe »genau das wieder, was die gesamte Bevölke- zeichnete sich Anfang Juli für westdeutsche Beob- rung Mitteldeutschlands in diesen Tagen gefühlt hat«. achter ab, dass sich insgesamt wenig geändert hat- Der Brief sei in einer wütenden Haltung geschrieben: te. Die im Brief formulierten Appelle und die Ängste »Was sich bei uns tut (...), muss in die Welt geschrie- bekommen damit eine umso verzweifelte Konnota- en werden (...). Einmal ist das Maß voll, und jetzt ha- tion. Der Hörer, der sich mitfühlend auf die hilflose ben wir uns Luft gemacht.« Unterschwellig werde Wut des Briefschreibers einlässt, aber gleichzeitig aber auch die Angst des Autors vor möglichen Kon- bereits um den weiteren Verlauf der Geschehnisse sequenzen deutlich. So frage sich der Schreiber »ob weiß, wird vermutlich eine noch gesteigerte Wut ge- es Zweck hat« oder ob danach die Repressalien nur genüber der DDR-Regierung empfinden. Durch die noch stärker würden, ob es »ein böses Erwachen Ungleichzeitigkeit des Briefes und den inzwischen aus diesen Tagen« geben werde. Der Briefschreiber eingetretenen Geschehnissen vermittelt sich so ein bezeichnet die Aussage der SED-Regierung, »west- starkes Gefühl der Ohnmacht und des Frustes, für liche Provokateure« hätten »den Aufstand« angezet- das die Sendung keinerlei Ventil anbietet. telt, als lächerlich. Er betont, es handele sich schon lange nicht mehr um einen Streik, sondern um einen »Volksaufstand im grössten Maße«. Es folgt der Ap- pell, das hier Geschilderte im Westen weiter zu ver- breiten, da der DDR-Rundfunk nicht die Wahrheit sage. Der Brief endet mit dem emotionalen Ausruf: »Dankt dem Herrgott, dass Ihr von diesen Diktato- ren befreit seid. (...) Einheitliches Deutschland, freie

Wahlen, (...) Absetzung der Regierung!« 50 Manuskript »So lebt man im Osten ...« vom 8.7.1953, S. 1. SWR. BAD. HA. 3200/75. 26 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 27

Der zweite Teil der Sendung beginnt mit dem Hin- Zweierlei Deutsche weis, dass die DDR-Regierung – »wie Sie wis- sen, verehrte Hörer« – die Flüchtlinge in Westber- Betrachtet man die Sendebeiträge über den gesam- lin zur Rückkehr aufgefordert habe. Mit eben diesen ten Untersuchungszeitraum hinweg, wird deutlich, Flüchtlingen habe sich der »Mitarbeiter Alex Borck« dass »So sieht es der Westen …« und »So lebt man unterhalten, um ihre Meinung zur Rückkehr und da- im Osten ...« wie schon der Vorläufer »Hier spricht mit zum neuen Kurs der DDR-Regierung zu erfah- Deutschland...« vorrangig auf der sprachlichen und ren. Borck erläutert, dass die meisten der Flüchtlin- inhaltlichen Betonung der Andersartigkeit des ost- ge die Versprechungen der SED-Regierung für eine und westdeutschen Systems aufgebaut sind. Die Lüge halten und deshalb nicht über eine Rückkehr Forderung nach Wiederherstellung der deutschen nachdächten. Nur die, welche »schon immer in Mit- Einheit wurde mehr und mehr zu einem Lippenbe- teldeutschland beheimatet waren« und unter ihnen kenntnis. Wiedervereinigungsangebote der Sow- besonders die Bauern, zögen die Heimreise in Erwä- jetunion und der DDR-Regierung wurden im Wes- gung. Insgesamt seien die Flüchtlinge jedoch skep- ten pauschal als Propagandainitiative des Ostens tisch, weil sie auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen abqualifiziert oder als erzwungene Antwort auf gelernt hätten, den Versprechungen der herrschen- die eigenen Forderungen dargestellt. Ein vereintes den Partei in der Zone zu misstrauen. Zum »Neuen Deutschland unter neutralem Status galt als indis- Kurs« zitiert Borck einen Flüchtling, der diesen mit kutabel, so genannte dritte Wege wurden nicht the- den Worten »Zu schön, um wahr zu sein« abgetan matisiert. Der Sowjetunion wurde stets die alleinige habe. Solange die Verantwortlichen Grotewohl, Pi- Schuld für die deutsche Teilung zugeschrieben und eck und Ulbricht nicht davongejagt würden, werde die Absicht unterstellt, die Westintegration der Bun- sich nichts ändern. Abschließend zitiert Borck ei- desrepublik zu konterkarieren und schließlich ganz nen Buchhändler, der den »Neuen Kurs« mit Lenins Deutschland zu »bolschewisieren«. »Neuer ökonomischer Politik« vergleicht, »die dann bald wieder liquidiert wurde und brutalsten Diktatur- Obwohl man beim SWF die Sendungen »So sieht methoden Platz machen musste«. Solange wie »die es der Westen …« und »So lebt man im Osten ...« kümmerliche Versorgung mit Lebensmitteln und Ge- mit dem Ziel etabliert hatte, »das Gefühl der Ver- brauchsgütern anhält und die lastende Atmosphäre bundenheit und Schicksalsgemeinschaft mit den der Furcht« bliebe, könne nicht von einer Verände- Menschen drüben zu stärken«,51 bekräftigte die Be- rung der kommunistischen Politik gesprochen wer- richterstattung über die deutsche Teilung vorrangig den. die westdeutsche Identität. Nicht die Gemeinsam- keiten der Deutschen in Ost und West standen im Auch wenn Borck in dieser Sendung nur zitiert, was Mittelpunkt der Sendereihen. Kernpunkt des me- ihm die Flüchtlinge in Westberlin angeblich erzählt dialen Diskurses war vielmehr die Legitimation der haben, macht er sich als Journalist deren Aussagen westdeutschen Politik durch Abgrenzung vom Os- zueigen, indem er sie nicht einordnet oder sich da- ten. Trotz unterschiedlicher Zielgruppen gilt dies für von distanziert. Wie im ersten Teil mit den Briefe- beide Sendereihen. Auch wenn sich »So sieht es der schreibern, solidarisiert sich die Sendung mit den Westen …« in »direkter Ansprache an die Hörer in Flüchtlingen. Die Haltung der tiefen Skepsis gegen- der Zone« wandte, wurde die ostdeutsche Bevölke- über den Versprechungen des »Neuen Kurses« er- rung vom Diskurs über die »deutsche Einheit« eher scheint damit auch als die der Redakteure. Zusam- ausgegrenzt. Die bevormundende Haltung und das men mit dem ersten Teil vermittelt sich dem Hörer Mitleid, das den »Hörern in der Zone« über das Ra- damit eine sehr emotionale Gefühlslage der Wut dio entgegengebracht wurde, verdeutlicht ein ge- über die Verhältnisse, der Ohnmacht gegenüber steigertes westdeutsches Selbstwertgefühl, das auf dem DDR-Regime und der skeptischen Hoffnung, westlicher Seite den Eindruck einer »gesamtdeut- dass sich vielleicht doch etwas ändern könnte. Ob schen« Identität zu überdecken scheint. Die »inne- diese Art der frustrierenden Emotionalisierung dazu re Verbundenheit aller Deutschen« wurde in beiden geführt hat, dass sich die Hörer mit der Bevölkerung Sendereihen nur selten propagiert, reale Aussichten in der DDR verbunden gefühlt haben, muss bezwei- für eine Wiedervereinigung nicht erörtert. Anstatt an felt werden. Da der Hörer mit diesen Gefühlen ohne die gemeinsame Nationalität, die gemeinsame Spra- konkrete Handlungsanweisung oder Ventil allein ge- che, die gemeinsame Stadt Berlin und nicht zuletzt lassen wird, erscheint eine emotionale Abwendung an die gemeinsame Geschichte bis zum Jahr 1945 von diesem mit Frust-, Wut- und Ohnmachtgefühlen und damit an die Ursachen und Gründe der deut- behafteten Bereich wahrscheinlicher. schen Teilung zu erinnern, hob die bevormunden-

51 Zur persönlichen Information des Herrn Intendanten (Anm. 7). 26 Rosenkranz, Renner: SWF-Sendereihen in den frühen 1950er Jahren 27

de Haltung, die »So sieht es der Westen …« und »So völkerung der DDR zu erhalten. Stereotype, die das lebt man im Osten ...« gegenüber den »Hörern in der Bild der BRD-Bürger von der DDR nachhaltig und Zone« einnahmen, die westdeutsche Überlegenheit langfristig beeinflussten, deuteten sich in den Sen- und damit die Differenz zwischen West- und Ost- dungen bereits an. deutschen sogar noch hervor. Mit einer solchen Be- richterstattung gelang es dem SWF vermutlich nicht, Die Politik der Westintegration und damit die Wie- »Deutsche an einen Tisch« zu bringen. Die Senderei- derbewaffnung und das Aktion-Reaktion-Schema hen »So sieht es der Westen …« und »So lebt man im des Kalten Kriegs implizierten eine Konfrontation Osten ...« dokumentieren vielmehr das Zurückdrän- mit der DDR und prägten das im Rundfunk Sagbare. gen des gesamtdeutschen Nationalbewusstseins in Dieser Hintergrund wurde von den Programmschaf- den frühen 1950er Jahren zugunsten der Demokrati- fenden beim SWF nicht hinterfragt. Wie aus einem sierung und Westintegration der Bundesrepublik.52 Interview mit dem verantwortlichen Redakteur Pe- ter Pechel aus den 1980er Jahren hervorgeht, sollte Die Elemente der Abgrenzung vom ostdeutschen die Sendung nach seinem Verständnis vorrangig die Nachbarstaat waren in der Sendereihe »So lebt man Hörer in der DDR über die deutschlandpolitischen im Osten ...« insbesondere die Betonung der Über- Vorgänge »informieren« und »analytische Kommen- legenheit im kulturellen, politischen und wirtschaft- tare« über die negativen Folgen der sozialistischen lichen Bereich, die Aberkennung jeglicher Legitima- Staatsform für die ostdeutsche Gesellschaft lie- tion der Deutschen Demokratischen Republik, die fern.54 Doch zeigt die Diskrepanz zwischen Sende- Beschimpfung von dessen Führungselite, die Be- ziel – »nüchterne und sachliche Kommentare« und zichtigung der Lüge oder die Beschwörung einer mi- »Zeichen der inneren Verbundenheit« – und der tat- litärischen Bedrohung durch die DDR. Den Hörern sächlichen Darstellungsform der einzelnen Sendun- der Sendung wurde demonstriert, dass die für West- gen – die Propagierung der Überlegenheit des bun- deutsche relevanten Institutionen wie Familie, Schu- desrepublikanischen Modells –, dass der Diskurs le oder Kirche in der DDR keinen Bestand mehr ha- über die Wiedervereinigung und die DDR zu diesem ben. Eine Sprache der Stärke kennzeichneten vor Zeitpunkt offensichtlich bereits ein so hohes Maß allem die Sendebeiträge der Reihe »So sieht es der an Selbstverständlichkeit erreicht hatte, dass er Westen...«. Analog zu Adenauers »Politik der Stär- von den Beteiligten nicht mehr grundsätzlich in Fra- ke« wurde ein starkes politisches, militärisches und ge gestellt wurde. Wie Pechel im Nachhinein selbst ideelles Westbündnis propagiert, durch das die So- konstatierte, war es zu jener Zeit »natürlich«, die Din- wjetunion früher oder später zur Preisgabe der DDR ge auf diese Weise zu sehen. Die »Schwarz-Weiß- gezwungen werden sollte. Die Wiedervereinigung Malerei« sei in dieser Phase des Ost-West-Konflikts wurde letztlich zum Hauptmotiv der Westintegrati- »normal« gewesen; im Westen habe man sich auf der on erklärt. Nur über die Westintegration und der da- »weißen Seite« gesehen und die Deutschen im Osten mit verbundenen Stärkung der Bundesrepublik sei auf der »Schwarzen«. Im sozialistischen Staatssys- die Wiederherstellung der deutschen »Einheit in Frei- tem »drüben« habe man eine »Fortführung der Dikta- heit« zu gewährleisten. Nur so könne verhindert wer- tur« des Nationalsozialismus erblickt, die man »aufs den, dass Deutschland zum Spielball der Mächte Erbittertste« bekämpfen wollte. werde und die Sowjetunion ihren kommunistischen Machtbereich auf ganz Deutschland ausweite. Gleichzeitig wird deutlich, wie eng die »Ostzonen- sendungen« der politischen Linie Adenauers folgten. Auf Kosten des Verbundenheitsgefühls der Deut- Der SWF als unabhängige Anstalt des öffentlichen schen untereinander wurde so das Zusammen- Rechts unternahm keine Anstrengungen, das in den gehörigkeitsgefühl innerhalb der Bevölkerung der 1950er Jahren Unsagbare auszusprechen. Die Re- Bundesrepublik befördert. In Deutschland, so pro- geln zu hinterfragen oder eine eigene vom politi- pagierten die Sendungen, lebten von nun an »zwei- schen Konsens abweichende Position zu bezie- erlei Deutsche«.53 Die durch die Migrationen der hen, wurde weder versucht, noch wurde es von der Kriegs- und Nachkriegsjahre stark betroffene west- Leitung des SWF angestrebt. Interessant wäre an deutsche Gesellschaft, deren bisherigen Wertvor- stellungen durch den Nationalsozialismus erschüt- tert worden waren, fand in der Abgrenzung zur DDR einen Weg zur Integration und Selbstvergewisse- 52 Vgl. Gebhard Schweigler: Nationalbewußtsein in der BRD und rung. Dieser Impetus, das eigene System als einen der DDR. Düsseldorf 1973 (= Studien zur Sozialwissenschaft, 8); bsd. Hort der Freiheit, des Glücks und des Wohlstandes S. 146. gegenüber der unfreien, offensichtlich armen und 53 Siehe die entsprechende Kapitelüberschrift bei Peter Bender: Deutsche Parallelen. Berlin 1989, S. 116. zurückgebliebenen DDR zu legitimieren, stand im 54 Peter Pechel in der Sendung »Forum«, SWF 2, 12.8.1986. SWR. Widerspruch zum Versuch, die Verbindung zur Be- BAD. Wortarchiv. Tonträger 0167811. 28 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 29 dieser Stelle eine vergleichende Untersuchung der Ostsendungen des der Regierung weniger nah ste- henden Süddeutschen Rundfunks.

Anhand der Radiosendungen lässt sich rekonstruie- ren, wie das, was heute als Wahrheit gilt, historisch hervorgebracht und innerhalb von bestimmten poli- tischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Zusam- menhängen wirksam wurde. Die Analyse des medi- alen Diskurses macht sichtbar, wie Feindbilder und Vorurteile entstanden und sich zu Selbstläufern ent- wickelten, bevor sie schließlich als nicht mehr hinter- fragtes Wissen der Gesellschaft im kollektiven Ge- dächtnis verankert wurden. 28 29

Susanne Paulukat und Uwe Breitenborn

Signaturen des Kalten Krieges. Zur medienhistorischen und dokumentarischen Bedeutung der deutsch-deutschen Programmbeobachtungen

Die politische und territoriale Teilung Deutschlands »Ostaufzeichnungen« des DDR-Fernsehprogramms nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildete den durch einzelne öffentlich-rechtliche Rundfunkanstal- Ausgangspunkt für das Entstehen der beiden deut- ten wie den Norddeutschen Rundfunk, den Sender schen Staaten mit ihren verschiedenen politischen Freies Berlin und das Zweite Deutsche Fernsehen. Strukturen sowie deren rechtlichen, institutionel- Das DDR-Hörfunkprogramm wurde insbesondere len und kulturellen Implikationen. Nachdem Mitte vom RIAS Berlin mitgeschnitten.5 Im Folgenden sol- der 1930er Jahre in Deutschland bereits ein Fern- len die Herkunft und die Entstehung dieser gegen- sehen existierte, dessen Programm sich zwischen seitigen Programmbeobachtungen vorgestellt wer- NS-Propaganda, Olympiade, Ratgeber- und Vari- den. Um die dokumentarische Besonderheit dieser etésendungen sowie Soldatenunterhaltung beweg- Bestände besser zu verstehen, sei einleitend die Ge- te, fiel der erneute Start des Fernsehens 1952 in schichte der Eigenüberlieferung des DDR-Fernseh- Deutschland in die Zeit eskalierender Systemaus- programms vorgestellt. einandersetzungen und ideologischer Konfrontatio- nen. Die Fernsehsender in West und Ost wetteifer- ten um wachsende Zuschauerzahlen »als kulturelles Die Eigenüberlieferungen Bindemittel im Kampf der Ideologien und Wertsys- des DDR-Fernsehens teme«.1 Sie taten dies mit ihren Programmangebo- ten, ihren Programmschemata und -strukturen. Da Das Programm des Deutschen Fernsehfunks ist in der Kalte Krieg die gesellschaftliche Entwicklung in den 1950er und 1960er Jahren nur lückenhaft durch beiden deutschen Staaten und mit ihr auch die For- das Fernsehen selbst archiviert worden. So existiert mung des kollektiven Gedächtnisses beeinflusste, aus dem ersten Sendejahr 1952 im Deutschen Rund- war dieser Prozess auf beiden Seiten – wenn auch funkarchiv Babelsberg (DRA) letztlich nur eine Über- auf sehr unterschiedliche Weise – untrennbar mit der lieferung vom 21. Dezember, eine kurze Vorstellung Konstituierung und Institutionalisierung audiovisuel- des Fernsehbetriebs unter dem Titel »Fernsehen aus ler Medien und mit der zunehmend systematischen der Nähe betrachtet«. Aus dem Jahr 1957, aus dem Archivierung ihrer Produkte verbunden. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass im Osten wie im Westen eine wechselseitige Programmbeobachtung 1 Thomas Heimann: Television in Zeiten des Kalten Krieges. Zum der audiovisuellen Medien stattfand, die in funktio- Programmaustausch des DDR-Fernsehens in den sechziger Jahren. nalem Zusammenhang mit der Systemauseinander- In: Thomas Lindenberger (Hrsg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Ak- setzung stand.2 Als Ergebnis dieses gegenseitigen teure, Bilder, Resonanzen. Köln u. a. 2006, S. 235–261; Zitat, S. 235. »Monitorings« entstanden nicht nur Mitschriften zu 2 Vgl.: Susanne Paulukat: Von Westaufzeichnung, Ostaufzeich- den Inhalten der beobachteten Programme, sondern nung und Medienarchiven. Überlieferungslinien des DDR-Fernseh- programms. In: Friedrich Beck u. a. (Hrsg.): Archive und Gedächtnis. auch Mitschnitte ausgewählter Hörfunk- und Fern- Festschrift für Botho Brachmann. Potsdam 2005, S. 447–463. – Der 3 sehsendungen. vorliegende Aufsatz basiert auf dieser Veröffentlichung, er wurde über- arbeitet und aktualisiert. In der DDR waren dies die »Westaufzeichnung« 3 Beispiele für Mitschriften zu Programmen der DDR-Medien sind die »Monitor-Berichte« des SFB und der »DDR-Spiegel« des Bundes- der Fernsehprogramme von ARD und ZDF durch presseamtes. Beispiele für Mitschriften zu Programmen westlicher Me- das DDR-Fernsehen, die Tonmitschnitte von Hör- dien sind die »Monitor-Berichte« des Rundfunks der DDR und die »Mo- funk- und Fernsehprogrammen aus der Bundesre- natsübersichten« des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. publik durch den Rundfunk der DDR sowie die Auf- 4 Vgl. dazu die rundfunkbezogenen Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR in der DDR sowie in der Bundes- zeichnung von Hörfunk- und Fernsehsendungen republik Deutschland. Auszüge aus einer Studie im Auftrag der ARD. »gegnerischer Funkmedien« durch das Ministeri- Presseexemplar vom 19.7.2004 (Forschungsverbund SED-Staat an der um für Staatssicherheit.4 In der Bundesrepublik er- FU Berlin), S. 389 sowie S. 419–426 zur »Zentralen Auswertungs- und folgte eine »Ostaufzeichnung« des Programms des Informationsgruppe des MfS (ZAIG)« und deren »selbständigem Ar- DDR-Fernsehens und des DDR-Hörfunks durch beitsgebiet gegnerische Funkmedien«. 5 Vgl.: RIAS Berlin (Hrsg.): Politisches Bandarchiv – Das chronologi- das Gesamtdeutsche Institut als Bundesanstalt sche Verzeichnis der Ost-Mitschnitte von 1946 bis 1990. Zusammenge- für gesamtdeutsche Aufgaben. Ebenso entstanden stellt von Herbert Pomade und Renate Jachmann. 6 Bde. Berlin 1991. 30 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 31 auch die ersten fünf Ostaufzeichnungen überliefert militärpolitische Journal »Radar«. Komplette Sen- sind, existieren im DRA insgesamt nur 354 Sendeti- dungen der »Aktuellen Kamera«, des »Schwarzen tel, Beiträge oder Sujets.6 Die Überlieferungen sind Kanals« oder der genannten Magazine waren da- für die frühen Jahre erwartungsgemäß spärlich. her bis 1989/90 eine Seltenheit in der Eigenüberlie- ferung. Hinzu kam, dass das Bewusstsein der Re- daktionen für den Wert der Fernsehsendungen über die Erstausstrahlung hinaus anfangs nicht beson- ders ausgeprägt war. Verluste sowie spontane und durch Platzmangel oder ähnliche Gründe erzwun- gene Kassationen von Filmmaterial waren daher bis weit in die 1970er Jahre hinein keine Seltenheit. So weist die Eigenüberlieferung des DDR-Fernsehens auch bezogen auf die 1970er Jahre große Lücken auf, zumal der chronische Material- bzw. Devisen- mangel in der DDR dazu führte, dass Redaktionen ihr Kontingent an Bandmaterial für die Produktion neuer Programme auffrischten, indem sie eigentlich archivwürdige Sendungen und Beiträge nicht dem Archiv übergaben, sondern neu bespielten. Mit dem fortschreitenden Bewusstsein für den Wert des au- diovisuellen Programm- bzw. Archivgutes als wie- der verwertbarer Programmbestandteil und als ge- dächtnisbildende Quellengattung nahm jedoch die Überlieferungsdichte der Programmbeiträge zu. Erst seit Beginn der 1980er Jahre kann beim DDR-Fern- Abb. 1: DFF-Versuchsprogramm im Januar 1953. Herbert Köfer sehen von einer systematischen Archivierung audi- und Margit Schaumäker bei einer Arbeitsaufnahme im Studio. ovisueller Quellen für programmliche Zwecke bzw. Quelle: DRA/Krüger für eine Endarchivierung gesprochen werden. Fol- gerichtig gehörte die »Endarchivierung als kultur- Ein Grund dafür waren unter anderem die produk- historische Aufgabe« zu den Kernaufgaben des tionstechnischen Gegebenheiten.7 Das Fernsehen Film-/MAZ-Archivs, wie sie 1990 im Rahmen einer begann als Livemedium. Das galt für den Deut- Gesamtanalyse der Archive des Deutschen Fern- schen Fernsehfunk nahezu uneingeschränkt bis in sehfunks benannt wurde.8 die 1960er Jahre. Der Einsatz der magnetischen Bildaufzeichnung, der MAZ-Technik, Anfang der Die hier aufgezeigte Linie der archivischen Überlie- 1960er Jahre konnte in den darauf folgenden Jahren ferungsbildung innerhalb des DDR-Fernsehens äh- das Volumen von Sendeaufzeichnungen und - pro- nelt derjenigen in den Rundfunkarchiven von ARD duktionen noch nicht signifikant erhöhen. Zu rar und und ZDF. Auch hier sind Fernsehprogramme bis in zu teuer waren die entsprechenden Trägermateria- die 1970er Jahre nur lückenhaft überliefert, wäh- lien. Viele Sendungen der politischen Publizistik, der rend spätestens seit den 1980er Jahren – forciert Unterhaltung, aber auch der dramatischen Kunst durch die bewusste Übernahme der Verantwortung wurden damals weiterhin live produziert und aus- für das Programmvermögen von ARD und ZDF als gestrahlt, ohne dass ein Sendemitschnitt auf Film selbst gewählte kulturpolitische Verpflichtung – eine erfolgte bzw. archiviert wurde. Bei einer Wiederver- systematischere Archivierung und Sicherung der au- wendung von Ausschnitten aus früheren Produktio- nen wurden diese aus dem überlieferten filmischen Original geschnitten und nicht wieder zurück ver- setzt. Im Bereich der Nachrichten wurden nahezu ausschließlich die für eine spätere ausschnittwei- 6 In der Referenzdatenbank Fernsehen des DRA sind mit einem Erst- se Wiederverwendung geeigneten vorproduzierten sendedatum von 1957 insgesamt 354 Produktionen verzeichnet; zu- sammen mit den Überlieferungen, als deren Produktionszeitraum 1957 Beiträge der »Aktuellen Kamera« archiviert, nicht je- angegeben wurde, sind es insgesamt 391 Produktionen. Recherche doch deren Studiomoderation bzw. die Gesamtsen- vom 25.1.2007. dung. Dieses Archivierungsprinzip galt auch für die 7 Vgl. auch Sigrid Ritter: Zurück nach . Die westdeutsche Sendereihe »« sowie für zahl- »Ostaufzeichnung« im Deutschen Rundfunkarchiv Berlin. In: RuG reiche Magazinsendungen, etwa für das außen- 22(1996), H. 1, S. 98–99. 8 . HA Information und Dokumentation. Be- politische Magazin »Objektiv«, das innenpolitische stands-, Organisations- und Personalanalyse. Stand: 1.8.1990. Teil 1, Magazin »Prisma«, das »Kulturmagazin« und das S. 50. 30 Paulukat, Breitenborn: Bedeutung deutsch-deutscher Programmbeobachtungen 31

diovisuellen Bestände als Kulturgut stattfand.9 Be- eine Übergabe der »Westaufzeichnung« des DDR- wertung, Archivierung und Erschließung hatten sich Fernsehens an die Programmarchive jener öffent- hier wie dort zunächst primär auf programmliche Er- lich-rechtlichen Rundfunkanstalten von ARD und fordernisse bezogen. Der Aspekt einer dauerhaften ZDF, die die mitgeschnittenen Sendungen seiner- Aufbewahrung der Programmüberlieferung als audi- zeit produziert hatten. Andererseits entwickelte ovisuelles Quellengut war schrittweise hinzugekom- das DRA intensive Aktivitäten zur Bestandsergän- men und gewann nur langsam an Bedeutung. zung mit dem Ziel, Überlieferungslücken im Be- reich der Eigen-, Co- und Auftragsproduktionen Nach der Abschaltung der DFF-Länderkette am des DDR-Fernsehens zu schließen. In diesem Zu- 31. Dezember 1991 war das Film-/MAZ-Archiv des sammenhang kam es zwischen 1995 und 2000 zu Deutschen Fernsehfunks für die gesamte Eigenü- zahlreichen Übernahmen von »Ostaufzeichnungen« berlieferung des DFF mit einem Umfang von zirka verschiedener Bestandsbildner.11 Die Identifizierung 100.000 Bild- und Tonträgern (Langmetrage) und zir- der Mitschnitte und Bewertung ihrer Archivwürdig- ka 125.000 Bild- und Tonträgern (Sujets) zuständig. keit durch Bestandsabgleich und Langzeitsicherung Bezogen auf die Archivierung werden als Langme- erstreckte sich über einen Gesamtzeitraum von zehn trage in der Regel Trägermaterialien mit einer Dau- Jahren. In ihrem Ergebnis wurde die »Ostaufzeich- er von mindestens 10 Minuten bezeichnet, als Su- nung« im DRA auf jene Sendungen und Beiträge re- jets hingegen nur kurze Sequenzen und Beiträge. duziert, die in der Eigenüberlieferung des DDR-Fern- Der »Hauptbestand« des Archivs umfasste Eigen- sehens nicht vorhanden waren. , Co- und Auftragsproduktionen des DDR-Fernse- hens aus den Programmbereichen Publizistik, Kunst und Kultur, Unterhaltung, Dramatische Kunst, Kin- Die »Westaufzeichnungen« in der DDR der und Jugend, Bildung und Schulfernsehen sowie Fremdproduktionen unterschiedlicher Herkunft. Die In der DDR wurden Programme von ARD und ZDF Produktionen aus der Chefredaktion Aktuelle Kame- durch das DDR-Fernsehen selbst sowie durch das ra und aus dem Programmbereich Sport galten als Ministerium für Staatssicherheit (MfS) aufgezeich- »Sonderbestände«. Zum »Sonderbestand Nachrich- net. In beiden Fällen entstand die »Westaufzeich- ten« gehörte eine Vielzahl von Einzelbeiträgen der nung« als Teil der Auseinandersetzung mit dem po- Nachrichtensendungen sowie einige wenige Mit- litischen Gegner, wobei sie beim DDR-Fernsehen schnitte kompletter Sendungen der »Aktuellen Ka- primär rundfunkpropagandistischen Zwecken dien- mera«. Ein weiterer großer Teil umfasste die aktuell- te, während für das MfS die operative Feindbeob- politische Berichterstattung von Großereignissen.10 achtung im Mittelpunkt stand. Der »Sonderbestand Sport« enthielt ebenfalls eine Vielzahl von Einzelsujets insbesondere aus Magazin- sendungen der Sportredaktion. Hinzu kamen Sport- lerporträts und Sportreportagen sowie zahlreiche Aufzeichnungen von Sportereignissen. Besonde- 9 Zur aktuellen Fassung dieser Selbstverpflichtung vgl.: Freiwillige re Teilbestände der Eigenüberlieferung bildeten un- Selbstverpflichtung der in der ARD zusammengeschlossenen Rund- ter anderem der »Umlaufbestand« mit Sende- und funkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Welle Arbeitsbändern aller Programmbereiche sowie die und des ZDF vom 1. August 2004 zur Umsetzung des Zusatzprotokolls »Westaufzeichnung« mit Mitschnitten von Sendun- »Schutz von Fernsehproduktionen« zur »Europäischen Konvention gen bundesdeutscher Fernsehstationen durch die über den Schutz des audiovisuellen Erbes« des Europarats vom 8. No- vember 2001. Diese unveröffentlichte Selbstverpflichtung basiert auf: »Arbeitsgruppe Schnitzler« bzw. »TV Spektrum«. European Convention for the protection of the Audiovisual Heritage and its Protocol, on the protection of Television Productions. Council Im Auftrag der neuen Bundesländer verwaltete das of Europe, European Treaty Series No. 183, 184, 8.11.2001. DRA ab 1992 – zunächst treuhändisch – die Bestän- 10 Hinweise zur Überlieferungslage der Aktuellen Kamera und eine Auflistung der 1991 knapp 240 überlieferten Sendemitschnitte bietet de aus den DDR-Medien. Nach einer Übergangs- Jürgen Bewilogua: Die »«: Zur Archivlage und Archi- phase der Sichtung und Sicherung übertrugen die- vierungsgeschichte des »Staatsanzeigers« der ehemaligen DDR. In: se Länder dem DRA schließlich die Verantwortung Peter Ludes (Hrsg.): Fernsehnachrichtenarchive in den USA und in der für dieses Programmvermögen. Daraufhin etablier- Bundesrepublik (= Arbeitshefte Bildschirmmedien, Nr. 36). Universi- tät-Gesamthochschule Siegen 1993, H. 3, S. 13–34. te das DRA 1994 einen zweiten Standort, der zu- 11 Allerdings fanden 2001–2004 noch kleinere Nachlieferungen statt. nächst in Berlin angesiedelt war und sich seit dem Zudem übernahm das DRA im Frühjahr 2005 die »Ostaufzeichnung« Jahr 2000 in Potsdam-Babelsberg befindet. Sich- Hörfunk des Gesamtdeutschen Instituts vom Bundesarchiv, in der sich tung, Bewertung und Sicherung des Programmver- auch Tonmitschnitte von Sendungen des DDR-Fernsehens befinden. mögens des DDR-Fernsehens mündeten einerseits Hier könnte eine Aufarbeitung noch Überlieferungszuwachs bringen. Das gleiche gilt für die »Ostaufzeichnung« des RIAS, deren Übernah- in Maßnahmen zur Bestandsabgrenzung. Damit ver- me dem DRA im Frühjahr 2005 von DeutschlandRadio Kultur angebo- bunden war in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ten wurde. 32 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 33

Im DDR-Fernsehen wurden täglich Programme verzeichnet diese Aufnahmen in der Regel nach Pro- von ARD und ZDF vor allem für die Sendereihe »Der duzenten, Sendungstiteln und Ausstrahlungsdaten schwarze Kanal« mitgezeichnet und von der Arbeits- und macht sie so recherchierbar. gruppe Schnitzlers redaktionsintern archiviert.12 Die- se Programmmitschnitte sowie schriftliche Unterla- gen zur »Westaufzeichnung« betrafen insbesondere Die »Ostaufzeichnungen« die Tagesnachrichten von ARD und ZDF sowie Sen- in der Bundesrepublik Deutschland dungen der Fernsehpublizistik. Immerhin 19% der Aufzeichnungen der Jahre 1965–1977 erwiesen sich Programme des »Ostfernsehens« wurden in der als Unikate und trugen dazu bei, zahlreiche Lücken Bundesrepublik von verschiedenen Institutionen aus in der Überlieferung der öffentlich-rechtlichen Rund- politischen und propagandistischen Gründen sowie funkanstalten aus den 1960er und 1970er Jahren zu aus rundfunkjournalistischen Erfordernissen aufge- schließen. Neben Nachrichtensendungen wie der zeichnet. Für die Überlieferung des DDR-Fernsehens »Tagesschau«, der »Abendschau« und »heute« sind von besonderer Bedeutung sind die Mitschnitte des zahlreiche Ausgaben aktuell-politischer Senderei- Gesamtdeutschen Instituts und die Aufnahmen ver- hen wie die »Bonner Perspektiven«, der »Bericht aus schiedener öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Bonn« und »Der internationale Frühschoppen« zu er- der ARD, des ZDF sowie des DDR-Studios, das die wähnen. Darüber hinaus konnte die Überlieferungs- ARD in Ostberlin unterhielt. Das Gesamtdeutsche In- lage im Bereich der politischen Magazine deutlich stitut nahm 1969 offiziell seine Arbeit auf.16 Zu sei- verbessert werden – darunter sowohl Sendereihen nen Vorläufern gehörte der »Verein zur Förderung zur deutsch-deutschen Problematik wie »Kennzei- der Wiedervereinigung Deutschlands« (VFWD), des- chen D«, »drüben« und zur Auslandsberichterstat- sen Film-, Bild- und Tonbandstelle die Aufzeichnung tung wie »Auslandsjournal« und »Weltspiegel« als und inhaltliche Auswertung verantwortete. auch Sendereihen wie »Panorama« und »Report«. Schließlich ist auf eine Vielzahl von Reportagen zu Das Gesamtdeutsche Institut und seine Vorläu- verweisen, die in der ersten Hälfte der 1990er Jah- fer ließen die Programme der DDR-Medien syste- re durch die ARD- und ZDF-Programmarchive vom matisch vom Bundespresseamt in seiner Außen- DRA übernommen wurden.13 stelle Hannover aufzeichnen. Die Sendungen des DDR-Fernsehens wurden seit den 1960er Jahren Demgegenüber waren die Mitschnitte »gegnerischer mit einer elektronischen Kamera vom Bildschirm Funkmedien« durch das Ministerium für Staatssi- abgefilmt und seit den 1980er Jahren in der Regel cherheit weniger geeignet, Überlieferungslücken mit U-Matic-Videorecordern aufgezeichnet. Das In- im Bestand der Programmarchive zu schließen. Die stitut archivierte die Mitschnitte und wertete sie in- Programme waren überwiegend durch die Zentrale haltlich aus. Außerdem stellte es die Aufzeichnun- Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), ver- gen und Ergebnisse seiner schriftlichen Auswertung einzelt auch durch die HA XXII (Terrorabwehr) und die MfS-Bezirksverwaltungen in Berlin und Gera aufgezeichnet worden. Sie betreffen den Zeitraum 12 «Die »Arbeitsgruppe Schnitzler« war Mitte der 1980er Jahre in »TV 1978–1990. Zwar zählen Fernsehmagazine der ARD Spektrum« umbenannt worden. 1993 ergab die Zwischenbilanz der und des ZDF wie »Report«, »Panorama«, »ZDF-Ma- Sichtung und Sicherung der »Westaufzeichnung« einen Archivbestand gazin«, »Kennzeichen D« und »Tele-Illustrierte« zu von zirka 89.000 Filmbüchsen aus dem Zeitraum Januar 1965 bis Au- den aufgezeichneten Programmen. Der überwie- gust 1977. Es handelte sich überwiegend um 16mm-Filme in schwarz/ weiß mit Magnetton-Randspur in 120m-Büchsen, mitunter auch in gende Teil der Ergebnisse der Beobachtung »geg- 360m-Büchsen. Vgl. Handakten DRA. Potsdam-Babelsberg. nerischer Funkmedien« durch das MfS besteht je- 13 Es erfolgte die Abgabe von insgesamt 16.950 Filmbüchsen. An doch aus Montagen themenbezogener Ausschnitte den NDR gingen 8.851 Büchsen (»Tagesschau«) und 5.331 Büchsen aus ARD- und ZDF-Sendungen, die »nach MfS-spe- (»Weltspiegel«, »Wochenspiegel«, »Abendschau«, »Panorama«); an den WDR 1.756 Büchsen (»Weltspiegel«, »Monitor«, »Bericht aus Bonn«, zifischen Aufzeichnungskriterien (...) und operativen »Der internationale Frühschoppen«); an den SWF 401 (Report); an das 14 Erfordernissen« mitgeschnitten wurden. Diese Mit- ZDF 250 (»Auslandsjournal«, »drüben«, »Kennzeichen D«, »ZDF-Ma- schnitte erstrecken sich auf einen Zeitraum, der in gazin«, »Aspekte«, »Drehscheibe«, »heute«, »Bonner Perspektiven«); den Programmarchiven der Rundfunkanstalten re- an den BR 226 (»Weltspiegel« und Reportagen); an den HR 87 (»Titel- Thesen-Temperamente«); an den SFB 31 (»Berliner Abendschau«). Vgl. lativ umfassend überliefert ist. Außerdem zeichnete Handakten DRA. Potsdam-Babelsberg. das MfS nicht mit professionellen technischen Stan- 14 Schriftliche Auskunft der BStU Berlin an das DRA Potsdam-Ba- dards auf.15 Die Qualität der überlieferten Mitschnit- belsberg vom 24.5.2005. te ist inzwischen sehr mangelhaft, selbst Bild- und 15 Überliefert sind insgesamt 1.073 Videokassetten der Standards Tonauflösung treten ein. Eine Sachaktenerschlie- VHS (zirka 50%), VCR (zirka 30%), LVC und S 2000 (zirka 20 %). 16 Vgl. Gisela Rüß: Anatomie einer politischen Verwaltung. Das Bun- ßung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen desministerium für gesamtdeutsche Fragen – innerdeutsche Beziehun- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gen 1949–1970. München 1973, S. 73–82. 32 Paulukat, Breitenborn: Bedeutung deutsch-deutscher Programmbeobachtungen 33

für wissenschaftliche Fragestellungen bzw. für Vor- »Elternsprechstunde«, »Von Pädagogen – Für Päd- führungen im Rahmen der politischen Bildungsar- agogen« und »Sie und Er und tausend Fragen« be- beit zur Verfügung. In den 1980er Jahren verzichtete legen. Auch Sendungen des Schulfernsehens – hier das Gesamtdeutsche Institut auf eine eigene inhalt- vornehmlich für die Unterrichtsfächer Staatsbür- liche Auswertung von Nachrichtensendungen und gerkunde, Geschichte und Heimatkunde – sind in übernahm stattdessen inhaltliche Transkriptionen größerem Umfang durch diese »Ostaufzeichnung« des Bundespresseamtes. Schließlich übergab das überliefert. In geringerem Umfang befinden sich un- Gesamtdeutsche Institut im September 1989 gro- ter den Aufzeichnungen aus dem Zeitraum 1965– ße Teile seiner filmischen Überlieferung dieser »Ost- 1991 auch Sendungen der Programmbereiche Kin- aufzeichnungen« auf der Grundlage des Bundesar- der und Jugend sowie Unterhaltung. chivgesetzes als Belegkopien an das Filmarchiv des Bundesarchivs in Koblenz. Die Einlagerung erfolg- Die schriftlichen Unterlagen mit Sendedaten und te im ehemaligen Nitrofilmlager der Taunus-Film Inhaltsangaben, die zu den audiovisuellen Auf- GmbH in Wiesbaden. Von dort gelangten die Filme zeichnungen des Gesamtdeutschen Instituts über- im Herbst 1995 in das DRA nach Potsdam. Die im liefert wurden, erleichterten im DRA den Bestands- Gesamtdeutschen Institut verbliebenen Archivkopi- abgleich. Sie wurden im Zuge der Bearbeitung der en der Filmaufzeichnungen sowie die U-Matic-Vide- »Ostaufzeichnung« in die Referenzdatenbank Fern- okassetten wurden 1998 von der Bundeszentrale für sehen des DRA eingegeben. Noch heute erlauben politische Bildung in Bonn, die seinerzeit das Archiv die damals erfassten Daten einen hinreichenden in- des Gesamtdeutschen Instituts aufgenommen hat- haltlichen Zugang zu den dauerhaft gesicherten Sen- te, ebenfalls an das DRA abgegeben.17 dungen und Beiträgen aus der »Ostaufzeichnung« des Gesamtdeutschen Instituts. Erst 2003 wurde Die Überlieferung von Mitschnitten des DDR-Fern- im DRA bekannt, dass als »Ostaufzeichnung« des sehprogramms aus dem Gesamtdeutschen Institut Gesamtdeutschen Instituts auch zirka 16.000 Ton- setzt im Februar 1960 ein und endet im November mitschnitte von DDR-Hörfunkprogrammen und von 1991 – wenige Tage vor Abschaltung der so ge- DDR-Fernsehsendungen überliefert sind. Die Über- nannten Nachfolge-»Einrichtung« des Deutschen lieferung setzt im August 1947 ein und betrifft über- Fernsehfunks. Aufgezeichnet wurden insbesonde- wiegend die Jahre 1957 bis 1971. Alle Dokumente re Sendungen der politischen Publizistik aus dem gelangten im Frühjahr 2005 über das Bundesarchiv Zeitraum vom September 1965 bis September 1984 in das DRA. Obwohl eine verlässliche Aussage zum in schwarz/weiß und aus dem Zeitraum vom Febru- Wert dieses Bestandes noch nicht getroffen werden ar 1980 bis November 1991 in Farbe. Gleichfalls far- kann, ist bereits jetzt absehbar, dass diese Tonmit- big wurde die Nachrichtensendung »Aktuelle Kame- schnitte für die Schließung von Überlieferungslücken ra« nahezu täglich im Zeitraum August 1983 bis April im DDR-Fernsehprogramm nur noch eine nachge- 1991 mitgezeichnet. Aus den 1960er und 1970er Jah- ordnete Bedeutung haben werden. Sie können al- ren sind hingegen vom Gesamtdeutschen Institut lerdings dazu beitragen, bisher stumm überliefertes keine Mitschnitte kompletter Sendungen der »Aktu- Bildmaterial um die Sendetöne zu ergänzen. ellen Kamera« und nur vergleichsweise wenige Auf- zeichnungen von Einzelbeiträgen dieser Nachrich- In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre hatten so- tensendung bekannt. Herausragende Bedeutung wohl der NDR als auch der mit innerhalb der überlieferten publizistischen Senderei- der Aufzeichnung von DDR-Fernsehsendungen für hen haben die Mitschnitte von »Der schwarze Kanal«, ihre eigenen Programmzwecke begonnen, wobei von Gesprächssendungen wie »Fernsehpressekon- der SFB zwischenzeitlich auch die Firma German- ferenz«, »Treffpunkt Berlin«, »Das Professorenkolle- Television-News (GTN) mit dem Abfilmen der Sen- gium tagt« und »Sonntagsgespräch des Deutsch- dungen beauftragt hatte. Ziel der Mitschnitte war landsenders«. Zahlreiche Mitschnitte sind von den die Unterstützung von Sendungen, die dem gesamt- Fernsehmagazinen »Prisma«, »Objektiv« und »Ra- deutschen Charakter der ARD-Fernsehprogramm- dar« sowie vom »Kulturmagazin« überliefert. Sie sind arbeit jener Jahre entsprachen. Zahlreiche Sendun- wie die Sendungsmitschnitte der »Aktuellen Kame- gen waren anfänglich direkt an die Zuschauer in der ra« von großem Wert, weil von diesen Sendereihen DDR im Sinne einer Gegeninformation gerichtet. in der Eigenüberlieferung des DDR-Fernsehens na- hezu nur Einzelbeiträge archiviert wurden.

Inhaltlich ist für diese Zeit auch eine große Anzahl 17 Übernahme von zirka 10.000 Büchsen Film – überwiegend 16mm- von Sendungen zu den Themen Erziehung, Bildung Positiv-Film in schwarz/weiß mit Lichtton-Randspur, teilweise auch 16mm-Negativ-Film, in 360m-Büchsen bzw. Filmkartons und ca. 8.700 und zwischenmenschliche Beziehungen signifikant, U-Matic-Videokassetten in Farbe. Vgl. Handakten DRA. Potsdam- wie die Mitschnitte der Sendereihen »Antworten«, Babelsberg. 34 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 35

Darüber hinaus sollten den Zuschauern in der Bun- »Im Blickpunkt«, »Tele-Studio West«, »Tele-BZ« und desrepublik Informationen über und aus der DDR der »Sendung von und mit der KPD«. vermittelt werden. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 bündelten die ARD-Rundfunkanstalten ihre In- Komplettaufzeichnungen der politischen Magazine teressen und Aktivitäten hinsichtlich der systema- »Prisma« und »Objektiv« aus den Anfangsjahren des tischen Mitschnitte des DDR-Fernsehprogramms. Bestehens dieser Sendereihen bilden einen weiteren 1962 nahm die Ost-West-Gemeinschaftsredaktion Überlieferungsschwerpunkt der »Ostaufzeichnung« von NDR, SFB und WDR ihre Tätigkeit auf. Sie war von NDR und SFB. Darüber hinaus fallen wiederum beim NDR in Hamburg angesiedelt, begann im Juni Aufzeichnungen von Programmen auf, die die jun- 1963 systematisch mit Mitschnitten der DDR-Fern- ge Generation betreffen – von der Kindersendung sehprogramme und belieferte die drei finanzierenden »Bei Professor Flimmrich«, über die Sendungen Rundfunkanstalten bis 1970 regelmäßig mit Filmko- der »Jugendwelle Berlin«, bis zu einer Sendereihe pien und Inhaltsangaben der Aufzeichnungen. Der für Eltern namens »Fragen, die Dein Kind Dir stellt«. SFB übernahm die Erstellung von Findkarteien an- Auch sind Unterhaltungssendungen durch NDR und hand der schriftlichen Inhaltsangaben des NDR.18 SFB etwas zahlreicher überliefert. Zu nennen wä- ren hier unter anderem die Sendereihen »Rendez- Die Bedeutung der »Ostaufzeichnung« von DDR- vous am Wochenend«, »Schlager einer großen [bzw. Fernsehsendungen für die Programmarbeit der kleinen] Stadt«, »Amiga Cocktail« und »Unterwegs ARD-Rundfunkanstalten ließ Anfang der 1970er zwischen Warnow und Werra«. Zum Zeitpunkt der Jahre offensichtlich nach. Die Mitschnitte wurden Übernahme der »Ostaufzeichnung« von NDR und eingestellt – möglicherweise auch infolge des be- SFB durch das DRA befanden sich die Mitschnit- ginnenden Entspannungsprozesses, der eine, wenn te in einem sehr schlechten physischen Zustand. auch stark beschränkte ARD-Berichterstattung aus Sie konnten nur mit erheblichem Aufwand identifi- der DDR erlaubte. Nachdem der NDR seinen Be- ziert und gesichert werden. Alle archivwürdigen Mit- stand aus den Jahren 1958 bis 1971 bereits 1972/ schnitte aus dieser »Ostaufzeichnung« sind mit Sen- 73 einer grundlegenden Bewertung unterzogen hat- detiteln und Sendedaten in der Referenzdatenbank te, gab der SFB seine Filmkopien der »Ostaufzeich- Fernsehen des DRA erfasst. Ein darüber hinausge- nung« im Jahr 1977 als zeithistorisch bedeutsames hender inhaltlicher Zugriff ist auf die Sendereihe »Im audiovisuelles Material an das Filmarchiv des Bun- Blickpunkt« und »Treffpunkt Berlin« möglich, deren desarchivs ab. Sendungen mittlerweile gesichtet und inhaltlich er- schlossen worden sind.

Aus der Tätigkeit des ARD-Büros in der Ostberliner Schadowstraße sind ebenfalls »Ostaufzeichnungen« Abb. 2: überliefert. Sie wurden dem DRA im Jahr 2000 vom Sendelogo Hauptstadtstudio der ARD übergeben.20 Insbeson- Tele-Studio-West Quelle: dere die Mitschnitte der DDR-Fernsehberichterstat- DRA/Screenshot

Von dort gelangten die Mitschnitte 1995, einschließ- lich einiger Ordner mit schriftlichen Inhaltsangaben, 18 Ob und in welchem Umfang die WDR-Kopien dieser »Ostaufzeich- in das DRA.19 Die »Ostaufzeichnung« von NDR und nung« überliefert sind, konnte noch nicht recherchiert werden. Sicher ist, dass Teile von »Ostmitschnitten« Mitte der 1960er Jahre in die vom SFB setzte zwar früher ein als die Überlieferung des WDR produzierte und archivierte Sendereihe »Die sogenannte DDR« Gesamtdeutschen Instituts, hat aber eine schlech- einflossen. tere technische Qualität als diese. Überliefert sind 19 Nach Aussage des Leiters der NDR-Archive im Mai 2005 hatte der Sendungen aus dem Zeitraum Oktober 1957 bis No- NDR seine überlieferten Aufzeichnungen seinerzeit dem SFB überge- ben, von wo sie in das Filmarchiv des Bundesarchivs gelangten. Vgl. vember 1970, die in schwarz/weiß ebenfalls mittels auch Jürgen Bewilogua (Anm. 10), S. 19–20. Das DRA übernahm vom einer elektronischen Kamera vom Bildschirm abge- Filmarchiv des Bundesarchivs zirka 9.000 Büchsen 16mm-Positiv-Film filmt wurden. Ihr Schwerpunkt sind die Nachrichten in schwarz/weiß mit separatem Magnetton in 360m-Büchsen, davon der »Aktuellen Kamera« in Form komplett überliefer- zirka 30% mit Schimmelbefall. Der überwiegende Teil hatte SFB-Sig- naturen. Die meisten Mitschnitte, die eindeutig als Filmbüchsen vom ter Sendungen aus dem Zeitraum von Juli 1958 bis NDR identifiziert werden konnten, waren auch in der SFB-Überliefe- Januar 1968. Wie das Gesamtdeutsche Institut, so rung vorhanden. Der Nutzen der zugleich übernommenen schriftli- hatten auch die ARD-Rundfunkanstalten zahlreiche chen Unterlagen mit Inhaltsangaben für eine Identifizierung des Ma- Sendungen von »Der schwarze Kanal«, »Sonntags- terials war relativ gering, da die Findkartei(en) offenbar nicht mehr gespräch des Deutschlandsenders« und »Treffpunkt existierte(n). Vgl. Handakten DRA. Potsdam-Babelsberg. 20 Übernahme von zirka 1.650 Kassetten, davon zirka 35% U-Matic- Berlin« aufgezeichnet. Hinzu kam eine umfangreiche und zirka 65 % Betacam-Videokassetten. Vgl. Handakten DRA. Pots- Überlieferung aktuell-politischer Sendereihen wie dam-Babelsberg. 34 Paulukat, Breitenborn: Bedeutung deutsch-deutscher Programmbeobachtungen 35

tung über die Tagungen der der DDR und prozentualen Zahlen folgender Überlieferungs- von November 1989 bis Oktober 1990 schlossen zuwachs im DRA Potsdam-Babelsberg: Lücken in der Eigenüberlieferung des Fernsehens. Auch die Sendemitschnitte der »Aktuellen Kame- 1957–1959: 137 Sendungen, Beiträge, Sujets (7,6%) ra« aus dem Zeitraum von März 1986 bis April 1990 1960–1969: 8068 Sendungen, Beiträge, Sujets (47,1%) waren von hohem Wert, weil sie auf Betacam-Vide- 1970–1979: 980 Sendungen, Beiträge, Sujets (4,5%) okassetten in Farbe vorlagen und damit eine bes- 1980–1989: 2707 Sendungen, Beiträge, Sujets (7,1%) sere technische Qualität als die U-Matic-Überliefe- 1990–1991: 757 Sendungen, Beiträge, Sujets (4,0%) rung aus dem Gesamtdeutschen Institut aufwiesen. Hingegen trugen die zahlreichen Aufzeichnungen Der überdurchschnittliche Anteil von Mitschnitten von DDR-Fernsehsendungen der 1980er Jahre aus der 1960er Jahre lässt sich einerseits mit jener Pha- anderen Programmbereichen nur in wenigen Fällen se im Kalten Krieg erklären. Denn nach dem Mauer- dazu bei, Lücken im Hauptbestand der Eigenüber- bau standen alle politischen, militärischen und ide- lieferung zu schließen. ologischen Aktivitäten der »gegnerischen« Seite im Fokus intensivster Beobachtung. Was macht die an- Die beim ZDF überlieferten Mitschnitte von Program- dere Seite? Diese Frage bezog sich auch auf das men des DDR-Fernsehens erstrecken sich über ei- Fernsehprogramm. Wie könnte dieses »feindliche« nen Zeitraum von Oktober 1964 bis Februar 1991, Programm die eigenen Zuschauer erreichen? Las- wobei die 1970er Jahre vergleichsweise gering re- sen sich aus dem Programm Rückschlüsse auf ver- präsentiert sind. Inhaltlicher Schwerpunkt sind auch änderte politische Strategien ziehen? Aber auch die hier die Tagesnachrichten der »Aktuellen Kamera«, generell besser werdenden Aufzeichnungskapazitä- ergänzt um Sendungen der aktuell-politischen Be- ten und -bestrebungen der beteiligten Anstalten er- richterstattung und um Sendereihen der Fernsehpu- klären diese signifikante Zunahme. Auch ohne die blizistik wie »Prisma«, »Objektiv« und »Der schwarze oftmals im Zentrum stehenden Mitschnitte der »Ak- Kanal«. Die »Ostaufzeichnung« des ZDF entstand in tuellen Kamera« oder des »Schwarzen Kanals« exis- seinem Berliner Landesstudio.21 Eine systematische tiert im Gesamtbestand der »Ostaufzeichnungen« Aufzeichnung und Archivierung kompletter Sendun- noch eine beachtliche Anzahl von Sendungen, die gen über einen längeren Zeitraum erfolgte durch das über diese signifikanten politischen Sendungen hin- ZDF bis zur Mitte der 1980er Jahre eher selten. Im aus mitgeschnitten wurden. Offensichtlich war also Regelfall wurden Ausschnitte aus Sendungen und das DDR-Fernsehprogramm durchaus in Gänze von einzelne Sendebeiträge auf sogenannten »Sammel- Interesse. Die Fokussierung auf politische Formate trägern« archiviert. Nach dem verheerenden Brand war dominant, aber nicht absolut. Gerade aus den im Studioarchiv Berlin des ZDF im August 1999 war 1960er Jahren existieren auch Mitschnitte von Un- der Verlust von knapp einem Drittel dieser Aufzeich- terhaltungssendungen, die in kulturpolitischer und nungen zu beklagen. Zudem hatte die Bildqualität popkultureller Hinsicht interessant sind – wie bei- vieler geretteter Mitschnitte durch den Brand und die spielsweise der letzte »Amiga Cocktail« (17.11.1964), Löscharbeiten erheblich gelitten. Die Überlieferung bei dem das Saalpublikum in der Liveübertragung so befindet sich heute im Studioarchiv des ZDF-Haupt- tobte, dass danach die Sendung aus dem Programm stadtstudios.22 Sie ist seit dem Jahr 2000 dauerhaft genommen wurde. Künstler, die in dieser Sendung gesichert und wurde in der Referenzdatenbank nach dem umjubelten Auftritt der Beatbands auftra- Fernsehen des ZDF anhand schriftlicher Sekundär- quellen nachgewiesen.

Besonderheiten, Umfang und Bedeutung des Bestandszuwachses 21 Die Zahlen zum Umfang der Überlieferung differieren in den zur Verfügung stehenden Quellen. Heiner Schmitt, langjähriger Leiter der ZDF-Archive, bezifferte sie 1994 in einem Brief an das DRA mit 6.000 Durch die »Ostaufzeichnungen« erfuhr die Überliefe- Filmbüchsen aus dem Zeitraum 1964–1974. In den Handakten des ZDF- rung des DDR-Fernsehprogramms einen Bestands- Studioarchivs in Berlin wurde die gesamte ZDF-Ostaufzeichnung im zuwachs von nahezu 20%. Insgesamt sind mehr als September 1998 mit zirka 2.700 Büchsen 16mm-Positiv-Film mit se- paratem Magnetton, 980 U-Matic-Videokassetten und 270 1-Zoll-Ma- 12.000 Sendungen, Beiträge und Sujets hinzuge- gnetaufzeichnungsbändern angegeben. kommen, die bis dahin nicht in der Eigenüberliefe- 22 Zirka 2.750 Betacam-Videokassetten und zirka 350 Digitalkasset- rung des DDR-Fernsehens zu finden waren.23 Die ten des Standards DVC pro 50. Auskunft des Studioarchivs des ZDF- »Ostaufzeichnung« setzte im Oktober 1957 ein und Hauptstadtstudios im Mai 2005. endete im November 1991. Differenziert man die An- 23 Zum Recherchezeitpunkt in der Referenzdatenbank Fernsehen am 25. Januar 2007 kann die absolute Größenordnung dieses Zuwachses zahl der Mitschnitte nach den Zeiträumen ihrer Pro- mit 12.679 angegeben werden. Durch fortlaufenden Bestandsabgleich duktion bzw. Erstsendung so ergibt sich in absoluten variiert diese Zahl. 36 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 37 ten, wurden teilweise rüde ausgepfiffen.24 Erst durch quellenkritischen Analyse der Materialien berück- die Überlieferung als Ostaufzeichnung kann nun sichtigt werden. Der Quellenwert der Überlieferung diese spektakuläre Sendung wieder wahrgenom- in Gänze wird dadurch nicht geschmälert. men und angeschaut werden. Es sind Mitschnit- te von Sendungen vorhanden, die ausschließlich Die gesamte Überlieferung des DDR-Fernsehens für Zuschauer in der Bundesrepublik gemacht wa- unterliegt nach wie vor einem starken Nutzungs- ren, so zum Beispiel die unterhaltsame Quizrevue interesse, nicht nur von Forschungsinstituten und des DDR-Fernsehens »Reiseziel bleibt ungenannt« kulturellen Einrichtungen, sondern auch der elek- (18.9.1965), die lange Zeit nur rudimentär überliefert tronischen Medien. Ausschnitte und komplette Sen- war. All diese Beispiele verdeutlichen den Wert der dungen werden vom DRA durch Programm produ- »Ostaufzeichnungen«, der inhaltlich und fernsehäs- zierende Bereiche der Rundfunkanstalten einerseits thetisch auch über eine politisch fixierte Programm- und durch kommerziell agierende Produktionsfir- geschichte durchaus hinausgeht. men und Fernsehsender andererseits angefordert. Der Wert der »Westaufzeichnungen« und »Ostauf- zeichnungen« als historische Quelle ist immer dann besonders hoch einzuschätzen, wenn komplette Sendungen mitgeschnitten wurden und heute noch überliefert sind. Von der Deutschen Forschungsge- meinschaft finanzierte Forschungsverbünde wie der »Sonderforschungsbereich Bildschirmmedien« an der Universität/Gesamthochschule Siegen in den Jahren 1986 bis 2000 und das seit 2001 an mehre- ren deutschen Universitäten und Hochschulen ar- beitende DFG-Projekt zur »Programmgeschichte des DDR-Fernsehens« profitierten und profitieren von diesem Zuwachs an audiovisueller Überliefe- Abb. 3: Amiga Cocktail vom 17.11.1964. Schlagersängerin Vanna rung. Die Rekonstruktion und Analyse der deutsch- Olivieri singt gegen das Publikum, das Hemmann-Quintett begeis- deutschen Programmgeschichte wird durch diese tert mit Beatrhythmen. Quelle: DRA/Winkler Aufzeichnungen erheblich vorangebracht. Im Ver- gleich zu Medienarchiven anderer Länder ist der Große Überlieferungslücken der 1960er Jahre konn- Bestand des DRA nahezu einmalig, dokumentiert ten im Bereich nonfiktionaler Sendeformen mit Hilfe er doch in einer geschlossenen Weise ein staatlich der »Ostaufzeichnung« geschlossen werden, wäh- gelenktes Mediensystem von seiner Entstehung bis rend dies für die 1970er Jahre nur teilweise zutrifft. zu seinem Untergang. Die verloren geglaubten Mit- Insbesondere die »Aktuelle Kamera« ist zwischen schnitte früher Livesendungen stellen hierbei eine 1969 und 1982 nach wie vor nur im Ausnahmefall als Besonderheit dar, deren weitere Analyse und Erfor- komplette Sendung überliefert. Für die 1980er Jahre schung eine lohnenswerte Aufgabe darstellt, die von bedeutete die »Ostaufzeichnung« vor allem insofern hohem medienwissenschaftlichen sowie dokumen- einen Bestandszuwachs, als vom DDR-Fernsehen tarischen Interesse ist. überlieferte Einzelbeiträge der Fernsehpublizistik um komplette Sendemitschnitte ergänzt werden konn- ten. Die Überlieferung aus der Zeit des politischen Umbruchs in der DDR konnte durch die »Ostauf- zeichnung« ebenfalls in größerem Umfang ergänzt werden. (siehe Tabelle 1 am Ende des Textes)

Technisch gesehen bleibt insbesondere die Wie- dergabequalität der »Ostaufzeichnung« bis in die 1970er Jahre infolge des eingesetzten Aufzeich- nungsverfahrens weit hinter der der Eigenüberlie- ferung des DDR-Fernsehens zurück. Darüber hin- aus liegen alle Mitschnitte auf Film selbst dann in schwarz/weiß vor, wenn die Sendung vom DDR- Fernsehen in Farbe ausgestrahlt worden war. Der Grund dafür waren technische bzw. finanzielle 24 Vgl. Uwe Breitenborn: Wie lachte der Bär? Systematik, Funktio- nalität und thematische Segmentierung von unterhaltenden nonfikti- Schwierigkeiten einer Transcodierung von SECAM- onalen Programmformen im Deutschen Fernsehfunks bis 1969. Berlin auf die PAL-Farbfernsehnorm. Dies muss bei einer 2003, S. 243f. 36 Paulukat, Breitenborn: Bedeutung deutsch-deutscher Programmbeobachtungen 37

Sendereihe Zeitraum Sendungen in %

Aktuelle Kamera / Aktuell 07/1958–04/1991 5450 78% Antworten 07/1972–09/1982 25 71% Bei Professor Flimmrich 06/1961–05/1976 9 7% Elternsprechstunde 02/1970–04/1987 46 85% Fernsehpressekonferenz 02/1963–12/1983 41 80% Im Blickpunkt 08/1961–08/1968 1300 96% Jugendwelle Berlin 01/1965–04/1966 34 100% Kulturmagazin 02/1976–02/1982 100 28% Objektiv 02/1965–02/1990 65 73% Prisma 04/1963–08/1990 250 90% Das Professorenkollegium tagt 12/1968–12/1989 42 89% Radar 10/1979–10/1989 31 52% Rendezvous am Wochenend’ 05/1961–03/1965 38 97% Der schwarze Kanal 03/1960–09/1989 365 91% Sendung von und mit der KPD 11/1962–01/1967 21 100% Sie und er und tausend Fragen 08/1974–11/1983 10 67% Sonntagsgespräch des Deutschlandsenders 12/1963–11/1971 150 98% Tagungen der Volkskammer der DDR 09/1960–10/1990 100 61% Tele-BZ 12/1960–03/1968 150 69% Tele-Studio-West 02/1958–02/1965 150 79% Treffpunkt Berlin 10/1957–12/1976 310 96% Unterwegs zwischen Warnow und Werra 04/1963–04/1964 6 60%

Tabelle 1: Überlieferungszuwachs am Beispiel einzelner Sendereihen durch Ostaufzeichnungen Die Tabelle (Stand: 31.5.2005) bietet einen Überblick über Zeitraum und Anzahl der Sendungen ausgewählter Sendereihen innerhalb der »Ostaufzeichnung« sowie über deren Anteil an der im DRA archivierten Gesamtüberlieferung. Zahlenangaben größer als 100 wurden gerundet, überlieferte Einzelbeiträge und Sujets wurden nicht berücksichtigt. Referenzdatenbank Fernsehen des DRA Potsdam-Babelsberg. 38 39

Forum

Die Rede vom »Public Value« ist aktuell, brisant, und öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter als Wett- sie berührt die Grundlagen des nach dem Ende des bewerber ansieht, die sich auf den Medienmärk- Zweiten Weltkriegs geschaffenen öffentlich-rechtli- ten behaupten müssen, dass es aber durch die chen Rundfunksystems. Mehr als ein halbes Jahr- starke Betonung der Idee der »Koproduktion« von hundert nach dessen Implementierung in den drei Anbietern und Nutzern auch zahlreiche Anknüp- westlichen Besatzungszonen steht dieses Organi- fungspunkte für kommunikations- und medienwis- sationsmodell gegenwärtig vor großen Herausforde- senschaftliches Denken und damit wiederum auch rungen. Uwe Hasebrink, Direktor des Hans-Bredow- für konstruktive Anstöße für die Medienpolitik bie- Instituts für Medienforschung in Hamburg, sprach tet. Solche Anstöße sind derzeit wieder besonders auf den Münchner Medientagen im vergangenen gefragt, weil die Medienentwicklung den öffentlich- Oktober eine Keynote zur Diskussionsveranstaltung rechtlichen Rundfunk vor neue Herausforderungen »Public Value – im Dienst der Bürger. Der Beitrag des stellt – etwa im Hinblick auf die Aktivitäten im Be- öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur gesellschaftli- reich der neuen Dienste, die in die Diskussion ge- chen Wertschöpfung in Europa«. Für »Rundfunk und ratenen Grundlagen der Gebührenfinanzierung oder Geschichte« setzt er sich mit den theoretischen Hin- die diversen Konflikte mit den Prinzipien der Europä- tergründen sowie mit den praktischen Problemen ischen Union. In dem genannten programmatischen auseinander, die sich bei der Umsetzung von »Pu- Papier der BBC von 2004 hieß es dazu sinngemäß: blic Value« im institutionellen Alltag ergeben. Um Angesichts der aktuellen Veränderungen der Medie- dieses Konzept aus dem Kontext der spezifisch bri- numgebungen muss sich der Public Service-Rund- tischen Situation auf die Gegebenheiten in anderen funk radikal ändern, um weiterhin seine ursprüng- Ländern zu übertragen und es sowohl praktisch als lichen Aufgaben für die öffentliche Kommunikation auch theoretisch fruchtbar zu machen, gilt es, die erfüllen zu können. Auseinandersetzung sorgfältig und informiert zu füh- ren. »Rundfunk und Geschichte« lädt mit dem nach- Aus der Sicht der BBC kann das Konzept des Public folgenden Beitrag dazu ein. [Redaktion] Value eine Hilfe sein, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Mit der entsprechenden Programma- »Public Value«: Leitbegriff tik ist es der BBC gelungen, den Diskussionsprozess oder Nebelkerze in der Diskussion um den über die neue Royal Charter, die für die nächsten öffentlich-rechtlichen Rundfunk? zehn Jahre die rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der BBC bilden wird, maßgeblich mitzuprägen.2 Um Seit die BBC 2004 mit ihrem »Building Public Va- das Konzept aus dem Kontext der spezifisch briti- lue«-Papier ihre künftige Stellung in digitalisierten schen Situation auf die Gegebenheiten in anderen Medienumgebungen umschrieb,1 machte das Kon- Ländern zu übertragen und es sowohl praktisch als zept Furore. Kaum eine Diskussion über die Zukunft auch theoretisch fruchtbar zu machen, bedarf es ei- des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt seither ner sorgfältigen und informierten Auseinanderset- ohne einen Verweis auf diese offenbar konsensfähig zung mit den theoretischen Hintergründen wie auch klingende Formel aus. In der Tat ist Public Value ein mit den praktischen Problemen, die sich bei der Um- viel versprechender Begriff, eine »klingende Mün- setzung im institutionellen Alltag ergeben.3 Dazu sol- ze« in der Diskussion um die Präzisierung der Rol- len die folgenden Überlegungen einen Beitrag leis- le des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Allerdings ten. wird diese Münze mittlerweile so vielfältig verwen- det, dass sie sich offenbar als Argument zur Stüt- zung ganz unterschiedlicher Positionen gebrauchen lässt – und entsprechend an Wert verliert bzw. die Diskussion vernebelt. Das wäre schade, denn neben seiner Relevanz für Rundfunkpraxis und Medienpo- litik bietet das Konzept des Public Value auch für die 1 BBC: Building Public Value. Renewing the BBC for a Digital World. London, Juni 2004. – Vgl. die Pressemeldung dazu: http:// wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rol- www.bbc.co.uk/pressoffice/pressreleases/stories/2004/06_june/ le und den Leistungen des öffentlich-rechtlichen 29/bpv.shtml; letzter Zugriff: 19.3.2007. Rundfunks großes Potenzial. 2 Siehe dazu ausführlich Runar Woldt: Der Wert des öffentlich- rechtlichen Rundfunks in der digitalen Ära. Neue Royal Charter für die Dieses ergibt sich daraus, dass das Konzept des Pu- BBC. In: Media Perspektiven, H 12, 2006, S. 598–606. 3 Siehe dazu Richard Collins: The BBC and »Public Value«. In: Medi- blic Value zwar in seinen Ursprüngen wirtschaftswis- en und Kommunikationswissenschaft 55(2007), H. 2, 2007 (im Erschei- senschaftlich verankert ist und entsprechend auch nen). 38 Forum 39

Begriffliche Annäherungen standteil dieser Schule war eine verstärkte Kunden- orientierung. Als Korrektiv dieser Schule betont das Wie so oft bei der Übertragung englischsprachiger Public Value-Management mit der Idee der Kopro- Begriffe erweist sich die direkte deutsche Überset- duktion von Anbietern und Nutzern zwar auch die zung als spröde, zuweilen ist sie mit ganz gegen- stärkere Orientierung an den Nutzern, versteht die- sätzlichen Konnotationen verbunden. So klingt etwa se Nutzer dabei aber weniger als Kunden oder Kon- Public Service auch in deutschsprachigen Diskussi- sumenten, sondern – eher auf Augenhöhe mit den onen weitaus positiver und emphatischer als »öffent- Anbietern – als Bürger (bzw. Citizens). Betont wird licher Dienst« oder gar »öffentlich-rechtlicher Rund- auch, dass sich die öffentlichen Einrichtungen kon- funk«. Versucht man Public Value zu übersetzen, sequent am tatsächlichen Ergebnis orientieren soll- führt die direkte Übersetzung nicht viel weiter. Die ten, das heißt daran, inwieweit die jeweiligen öffent- Mehrdeutigkeit des Begriffs wird schon in den bei- lichen Zielsetzungen erreicht wurden – im Falle der den folgenden plausiblen Interpretationen deutlich, Polizei also etwa Sicherheit, im Falle des Gesund- wonach Public Value das sei, was die Öffentlichkeit heitswesens Gesundheit, im Falle öffentlich-recht- schätzt (what the public values) – oder das, was für lichen Rundfunks die Vielfalt der öffentlichen Kom- die Öffentlichkeit gut ist (what is good for the public). munikation und die Informiertheit der Bevölkerung Wie schon die bekannte Gegenüberstellung von »pu- – und weniger an indirekten Indikatoren für »Erfolg« – blic interest«, dem öffentlichen Interesse, und »inte- etwa die Zahl der Verhaftungen, die Zahl der beleg- rest of the public«, dem Interesse der Öffentlichkeit,4 ten Klinikbetten oder der Marktanteil an der Gesamt- verweist auch diese Unterscheidung auf zwei grund- fernsehnutzung. Public Value-Management wird in sätzlich verschiedene Konzeptionen, wie öffentlich- diesen Zusammenhängen als eigene Form instituti- rechtlicher Rundfunk an die Gesellschaft zurück zu oneller Steuerung verstanden, die nicht hierarchisch binden sei. Stehen bei der ersten Option die Präfe- oder marktgetrieben ist, sondern als Netzwerksteu- renzen der Mediennutzer im Vordergrund, die mög- erung bezeichnet werden kann. Im Sinne des Ko- lichst gut zu erfüllen sind, so hebt die zweite Option produktions-Konzepts von Moore handelt es sich hervor, dass es für den Rundfunk über individuelle dabei um eine selbst-organisierte und ko-operati- Präferenzen hinausgehende gesellschaftliche Auf- ve Form der Steuerung, bei der Anbieter und Nut- gaben und Funktionen gibt. Eine Kompromissformel, zer gemeinsam daran arbeiten, dass die öffentliche die diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen Institution ihre Aufgaben erfüllt. Insgesamt beinhal- versucht, stellt der in der deutschen Diskussion ver- tet der Begriff des Public Value-Management also wendete Begriff »Mehrwert für Alle« dar.5 Deutlich eine Abgrenzung sowohl vom Marktprinzip als auch wird jedoch angesichts dieser verschiedenen Be- von hierarchischer Steuerung; stattdessen wird die deutungsfacetten, dass der Begriff allein noch keine gesellschaftliche Beteiligung an den öffentlichen In- hinreichende Programmatik in sich trägt. Eine sol- stitutionen und deren demokratische Kontrolle her- che wird erst erkennbar, wenn die Wurzeln des Be- vorgehoben – unter Beibehaltung des für die Schu- griffs in der wissenschaftlichen Diskussion berück- le des New Public Managements wichtigen Prinzips sichtigt werden. des Wettbewerbs.

Theoretische Ausgangspunkte Umsetzung des Public Value-Konzepts

In Anlehnung an die ausführliche Diskussion von Die Umsetzung der skizzierten abstrakten Prinzipien Richard Collins6 kann der Ursprung des Konzepts, für Public Value-Management soll sich im Falle der wie es heute verwendet wird, in der Arbeit des Wirt- BBC an drei Leitlinien orientieren: 8 1. an der Erfül- schaftswissenschaftlers Mark Moore gesehen wer- den, der sich in seiner 1995 erschienen Studie »Creating Public Value« mit Managementstrategi- 4 Vgl. Jeremy Mitchell und Jay G. Blumler: Television and the View- en öffentlicher Einrichtungen auseinander gesetzt er Interest. Exploration in the Responsiveness of European Broadcas- 7 hat. Unter Public Value-Management verstand ters. London 1994. er ein Verfahren, mit dem Anbieter und Nutzer ge- 5 Zum Beispiel Jobst Plog: Mehr Wert für Alle. Rundfunk ist ein öf- meinsam daran arbeiten, öffentliche Ziele zu errei- fentliches Gut – Warum die Zukunft der ARD auf diesem Gedanken ruht. In: ARD-Jahrbuch 05. Hamburg 2005, S. 15–22. chen (»co-production«), und das zugleich wettbe- 6 Richard Collins: The BBC and »Public Value« (Anm. 3). werbsorientiert ist und seine Leistungen möglichst 7 Mark H. Moore: Creating Public Value. Strategic Management in effizient erbringt (»contestability«). Diese Konzepti- Government. Cambridge, Massachusetts 1995. on stellte eine Reaktion auf die Schule des New Pu- 8 DCMS – Department for Culture, Media and Sport: A Public Ser- blic Management dar, deren Ziel es war, den öffent- vice for All: the BBC in the Digital Age (White Paper). London, März 2006 [online verfügbar: http://www.bbccharterreview.org.uk/have_ lichen Sektor durch die Übernahme von Prinzipien your_say/white_paper/bbc_whitepaper_march06.pdf; letzter Zugriff: des privaten Sektors zu reformieren; zentraler Be- 14.3.2007]. 40 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 41 lung gesellschaftlicher Zielsetzungen; 2. an der Eva- kennen kann, inwieweit dieser angestrebte Mehr- luierung der betreffenden Leistungen sowie 3. an wert tatsächlich erreicht wurde, kann ohne die Per- der gesellschaftlichen Legitimierung der öffentli- spektive der Gesellschaft nicht beantwortet werden. chen Einrichtung und ihrer Leistungen. Die Rückbindung des Public Service an die Gesell- schaft stellt damit eine zentrale Herausforderung für Zu 1. Erfüllung gesellschaftlicher Zielsetzungen: Im die Umsetzung des Public Value-Managements dar. Sinne des Public Value als »Mehrwert für Alle« soll Hier kann auf verschiedene Instrumente zurückge- öffentlich-rechtlicher Rundfunk gesellschaftliche griffen werden, mit Hilfe derer die Mediennutzer als Zielsetzungen erfüllen, zu denen nicht nur, aber ins- Konsumenten wie als Bürger in programmbezoge- besondere solche gehören, die unter rein marktbe- ne Entscheidungsprozesse einbezogen werden kön- zogenen Regeln nicht oder nur unzureichend erfüllt nen.11 Entscheidend erscheint hier der – wiederum werden würden. Dies betrifft insbesondere Ziele der schwer ins Deutsche zu übersetzende – Begriff der demokratischen Meinungs- und Willensbildung und »accountability«. Gemeint ist damit, dass sich die Partizipation, kulturelle und bildungsbezogene Zie- Rundfunkveranstalter gegenüber der Gesellschaft le sowie Ziele der gesellschaftlichen Integration und für ihr Handeln verantworten. In einem breiten Sinne der interkulturellen Verständigung. gehören dazu alle Maßnahmen, mit denen die Rund- funkveranstalter Zu 2. Evaluierung der betreffenden Leistungen: Das Konzept Public Value ist auch eng mit der Erwartung  Transparenz über ihre Zielsetzungen und Aktivitä- und dem Anspruch verbunden, dass die Leistungen ten sowie die damit verbundenen finanziellen und or- der betreffenden Unternehmen zu evaluieren seien, ganisatorischen Voraussetzungen und Konsequen- dass messbare Nachweise darüber vorzulegen sei- zen herstellen, en, dass tatsächlich ein Mehrwert für Alle geschaf-  den Mediennutzern ermöglichen, ihre Interessen fen werde. Die Konsequenz ist, dass Management- und Bedürfnisse im Hinblick auf die allgemeinen systeme entwickelt werden, die sich an bestimmten Zielsetzungen sowie das konkrete Programm zu ar- Kriterien orientieren; im Falle der BBC sind dies tikulieren, sowie Reichweite (»reach«), Qualität (»quality«), Wirksam-  gewährleisten, dass diese Interessenbekundun- keit (»impact«) und monetärer Wert (»value for mo- gen gehört und berücksichtigt werden. ney«) – ähnliche Indikatoren sind auch im Rahmen der Ansätze für Qualitätsmanagement der öffent- Public Value-Management ist demnach als ausba- lich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland lancierter Dreiklang zu verstehen aus der Produktion entwickelt worden.9 Insbesondere der Aspekt des von an gesellschaftlichen Zielsetzungen orientierten Value for Money hat bereits viel Aufmerksamkeit ge- Angeboten, transparenter Evaluation und konse- wonnen.10 Ein wesentliches Instrument besteht darin, quenter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die Ver- in Bevölkerungsumfragen zu ermitteln, wie viel die nachlässigung der einen oder anderen dieser drei Angebote der Public Service-Veranstalter den Be- Komponenten kann zu Schieflagen führen. So reicht fragten persönlich Wert sind und wie viel ihnen die es etwa nicht aus, seitens der öffentlich-rechtlichen Angebote Wert sind, wenn sie zusätzlich deren öf- Veranstalter relevante Zielsetzungen zu formulie- fentliche Funktionen mitberücksichtigen. Bisherige ren und diese als »Mehrwert für Alle« zu bezeich- Erfahrungen zeigen, dass die Nutzer durchaus be- nen, wenn nicht gleichzeitig dafür Sorge getragen reit sind, über den individuellen Nutzen hinaus auch ist, dass die Öffentlichkeit diese Zielsetzungen mit- für den angenommenen gesellschaftlichen Nutzen trägt und dass überdies evaluiert wird, inwieweit die- von Programmangeboten zu zahlen. se Zielsetzungen auch tatsächlich erreicht werden. Mit den Worten des BBC-Papiers von 2004: »Public Zu 3. Gesellschaftliche Legitimierung der öffentli- value should not be seen as a broad justification for chen Einrichtung und ihrer Leistungen: Die zuvor ge- nannten Prinzipien des Public Value-Managements, einerseits konkrete öffentliche Zielsetzungen zu de- finieren, andererseits die erbrachten Leistungen zu messen, lenken den Blick auf ein drittes wesentli- 9 Michael Buß und Harald Gumbl: Theoriegeleitete Evaluation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Konzept zur Qualitätsbewer- ches Element von Public Value – die Beziehung zur tung von Rundfunkangeboten. In: Media Perspektiven, H. 5, 2000, Gesellschaft bzw. die Legitimierung von Public Va- S. 194–200. lue. Schon die Frage, welche Art von gesellschaft- 10 Siehe dazu ausführlich Ralf Kaumanns, Veit Siegenheim, Eva Ma- lichem Mehrwert denn gewünscht wird, aber si- rie Knoll: BBC – Value for Money & Creative Future. Strategische Neu- cherlich auch die Frage, wie denn ein für wichtig ausrichtung der British Corporation. München 2007. 11 Für einen Überblick siehe Paolo Baldi und Uwe Hasebrink (Hrsg.): gehaltener Mehrwert tatsächlich erreicht werden Broadcasters and Citizens in Europe. Trends in Media Accountability kann, sowie letztlich die Frage, woran man dann er- and Viewer Participation. Bristol 2006. 40 Forum 41

what the BBC does but as a practical test that can liche Rundfunk gesetzlich verpflichtet werden wird, be applied by the BBC itself, by its Governors and bei neuen Programmaktivitäten zu begründen, in- by the public, to decide what it should do – and how wieweit dieses Angebot in seiner geplanten Gestal- well it does it.«12 tung auch angesichts privater Konkurrenzangebote zum publizistischen Wettbewerb beiträgt und be- 14 Perspektiven für die Diskussion stimmte gesellschaftliche Zielsetzungen erfüllt. in anderen Ländern Diese Verpflichtung ist direkt vergleichbar mit dem in Großbritannien im Hinblick auf neue Aktivitäten In der deutschen medienpolitischen Diskussion be- der BBC eingerichteten Instrument des Public Va- steht die Neigung, Konzepte und Aktivitäten der lue-Tests. BBC zu idealisieren. Auch im Zusammenhang mit dem Schlagwort Public Value hat die BBC wieder Aus den Diskussionen um das Konzept des Public eine Vorreiterrolle übernommen. Inwieweit die nun Value-Managements lässt sich insgesamt Folgen- in Großbritannien umgesetzten Grundlagen für die des lernen. Aufgrund seines besonderen Status’ und BBC den oben skizzierten Ansprüchen des Public seiner Finanzierungsgrundlage bestehen gegenüber Value-Managements gerecht werden, wird durch- dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk besondere ge- aus kritisch diskutiert.13 Darüber hinaus ist zu be- sellschaftlich begründete Erwartungen. Worin diese rücksichtigen, dass sich medienpolitische Konzep- genau bestehen, ist kaum greifbar. Weder Gesetzen, te aus einem Land nicht umstandslos auf andere noch wissenschaftlichen Theorien, noch dem Publi- Mediensysteme übertragen lassen, vielmehr müs- kumsverhalten lässt sich eindeutig entnehmen, wie sen sie den jeweiligen Regulierungstraditionen und »gutes« öffentlich-rechtliches Programm aussehen den bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaft- bzw. sich anhören soll. Hinzu kommt, dass der ge- lichen Bedingungen angepasst werden. Dass aber wünschte »Mehrwert für Alle« nicht als Eigenschaft die Grundzüge des Public Value-Managements des Programms an sich betrachtet werden kann, auch für die deutsche Situation eine große Bedeu- über die ein Angebot verfügt oder eben nicht ver- tung haben, lässt sich an verschiedenen aktuellen fügt. Vielmehr kann er nur anhand der Relation zu Entwicklungen beobachten. So ist im derzeit gel- den mit dem jeweiligen Angebot verbundenen kom- tenden Rundfunkstaatsvertrag vorgesehen, dass munikativen Zielsetzungen sowie anhand der Funk- die Landesrundfunkanstalten und das ZDF Satzun- tionen bestimmt werden, die es erfüllt. Zugespitzt gen und Richtlinien zur Ausgestaltung ihres Auftra- ausgedrückt: Der Mehrwert eines Angebots erweist ges erlassen. Sie sollen alle zwei Jahre einen Be- sich in dem Gebrauch, der von ihm gemacht wird, richt über die Erfüllung ihres Auftrages, auch über in dem Ausmaß, wie die in ihm angelegten Zielset- die Qualität der Angebote und Programme erstel- zungen gesellschaftlich realisiert werden. In diesem len. Durch das Instrument der Berichte soll neben Sinne ist Public Value nicht als feststehendes, von der internen Kontrolle der öffentlich-rechtlichen An- außen vorgegebenes Zielkriterium aufzufassen, son- stalten eine weitere Plattform für Diskurse über das dern als Prozess, im Zuge dessen sich der Rund- Programm mit den Zuschauerinnen und Zuschauern funkveranstalter intern bei allen seinen Angeboten und »Stakeholdern« geschaffen werden. Diese An- sowie auch bei seinem Gesamtprogramm darüber forderungen werden innerhalb der öffentlich-recht- verständigt, welche Ziele diese erreichen bzw. wel- lichen Rundfunkanstalten gelegentlich als Eingriff che kommunikativen Funktionen sie erfüllen sollen. in die Programmautonomie gesehen. Sie können Diese Zielsetzungen werden gegenüber der Öffent- allerdings auch als Chance begriffen werden, an- lichkeit kommuniziert, um so transparent zu machen, knüpfend an die internen Bemühungen um Definiti- wie der öffentlich-rechtliche Auftrag interpretiert on und Sicherung von Qualität den öffentlichen Dis- wird und aus welchen Gründen man an genau die- kurs über öffentlich-rechtliche Programmqualitäten sen Kriterien gemessen werden will. Der Public Va- zu intensivieren und damit auch die Akzeptanz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei den Bürge- rinnen und Bürgern und wichtigen Akteuren zu er- höhen. Ein solches Vorgehen ist eng verwandt mit den genannten Prinzipien des Public Value-Ma- 12 BBC: Building Public Value (Anm. 1). 13 Zum Beispiel Richard Collins: The BBC and »Public Value« nagements. (Anm. 3). 14 Siehe dazu allgemein Wolfgang Hoffmann-Riem: Rundfunk als Es zeichnet sich zudem ab, dass sich die gesetz- Public Service. Zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft öffent- lichen Anforderungen im Hinblick auf den Pro- lich-rechtlichen Rundfunks. In: Medien und Kommunikationswissen- grammauftrag im Zuge des EU-Verfahrens um die schaft 54(2006), H. 1, S. 95–105, sowie aktuell Thorsten Held: Öffent- lich-rechtlicher Rundfunk und neue Dienste. Ergebnisse einer Analyse Einstufung der Rundfunkgebühr als Beihilfe noch des Funktionsauftrags der Rundfunkanstalten im Hinblick auf digitale weiter ausdifferenzieren und der öffentlich-recht- Angebote jenseits des klassischen Rundfunks. Berlin 2006. 42 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 43 lue-Prozess setzt sich fort in internen und externen wuchs im Umgang mit den Werken von Goethe und Evaluationen, in denen ermittelt wird, inwieweit die Schiller, Bach und Beethoven, Leonardo Da Vinci sich gesteckten Ziele erreicht wurden. Dieses Ver- und Van Gogh geschult wird, aber in der Regel nicht fahren greift die oben erwähnte Vorgabe, Selbstver- mit Werken von Godard und Fassbinder, Rossellini pflichtungen zu formulieren und regelmäßig über de- oder Hitchcock? ren Einhaltung zu berichten, offensiv auf und schafft sich durch die interne Gestaltungsmöglichkeit und Ist Film nun ein Wirtschaftsprodukt, wie es die US- die Rückbindung an die Öffentlichkeit zusätzliche Amerikaner gerne deklarieren? »You’d better fo- Autonomie gegenüber Eingriffen seitens der Politik cus on cars and leave the pictures to us«, verlaut- auf inländischer und auf europäischer Ebene. Pu- bart Hollywood immer wieder gern gegenüber der blic Value gibt es danach nicht an und für sich, son- deutschen Filmindustrie. Oder ist Film ein Kulturgut, dern nur als Ergebnis eines Verständigungsprozes- wie es vor allem die Franzosen in Europa hochhal- ses, der alle relevanten Stakeholder einbezieht und ten? In Deutschland oszilliert der Film seit Jahrzehn- zugleich flexibel genug ist, um auf die sich verän- ten zwischen diesen zwei Positionen. Jede Genera- dernden gesellschaftlichen Bedingungen rasch mit tion erobert sich den Film auf ihre Weise erneut als entsprechend angepassten gesellschaftlichen Ziel- Kulturgut, ganz im Sinne von Dziga Vertov, aber mit setzungen reagieren zu können. So verstanden unterschiedlichen Positionen und Forderungen wie könnte Public Value ein konstruktiver Leitbegriff für die folgende aus dem »Oberhausener Manifest« von die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen 1962: Rundfunksystems sein. Uwe Hasebrink, Hamburg »Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spiel- film zu schaffen. Dieser neue Film braucht neue Freiheiten. Freiheit von den Die Allianz der Devianz – einige Gedanken branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflus- zur Rolle von Filmmanifesten sung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormun- dung durch Interessengruppen. Wir haben von der Produkti- Filmmanifeste sind ein wichtiger Begleiter der Film- on des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und geschichte. Sie zogen nicht selten prägende filmäs- wirtschaftliche Vorstellungen. Wir sind gemeinsam bereit, wirt- thetische oder strukturelle Auswirkungen nach sich. schaftliche Risiken zu tragen. Filmmanifeste versuchen Allianzen herzustellen, Alli- Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.«2 anzen derjenigen, die mit den bestehenden Verhält- nissen unzufrieden sind und andere Vorstellungen Ohne Zweifel bestimmten viele der Unterzeichner von der gesellschaftlichen Funktion und der Spra- wie Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar che des Films haben, als eine am Mainstream ori- Reitz den damals »neuen deutschen Film« über entierte Filmindustrie. In der Geschichte des Films, mehr als zwei Jahrzehnte. Weitere Galionsfiguren der immer in Abhängigkeit zu seiner jeweiligen politi- wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder schen Zeitepoche stand, haben Manifeste durchaus gesellten sich nur wenige Jahre später zu der Ge- immer wieder Veränderungen hervorgerufen und ei- neration, die dem jungen deutschen Film die Aner- nen Teil dessen inspiriert, was heute unseren Film- kennung der internationalen Cineastenkreise brach- kanon ausmacht. te. Einzeln und kollektiv kreierten die Genannten den deutschen Autorenfilm und richteten sich gegen das Gemein ist allen Manifesten eine generelle Ableh- illusionistische Handwerk der Väter mit dem Satz: nung des kommerziellen Films. »Wir sehen kei- »Papas Kino ist tot!« Filme wie »Abschied von Ges- ne Verbindung zwischen der Gerissenheit und Be- tern« von Alexander Kluge (D 1966) oder der Kollek- rechnung des Handels und der echten Filmsache«, tivfilm »Deutschland im Herbst« (u.a. Cloos, Fass- schrieb Dziga Vertov 1922 in »WIR. Variante eines binder, Mainka -Jellinger, Schlöndorff, Reitz, D 1978) Manifestes«.1 wurden zum filmischen Sprachrohr des politischen Bewusstseins einer neuen Generation. Durch das 85 Jahre nach Vertovs »Variante eines Manifests« Engagement der Autorenfilmer etablierten sich ver- steht dieser Satz immer noch paradigmatisch für die Haltung stetig neuer Generationen von Filme- machern. In vielen Fällen handelt(e) es sich um Pio- niere neuer Ausdrucksformen des Films. Was sie eint, ist ein Ansturm gegen den Mainstream, 1 Dziga Vertov: Wir. Variante eines Manifestes. 1922. Zitiert nach Ho- gegen die Kommerzialisierung einer Kunstform, die henberger, Eva (Hrsg.): Bilder des Wirklichen: Texte zur Theorie des Dokumentarfilms. Berlin 1998, S. 70–73. es bis heute schwer hat, als solche anerkannt zu 2 VIII. Westdeutsche Kurzfilmtage Oberhausen. Bericht 1962. Ober- werden. Oder wie erklärt es sich, dass unser Nach- hausen 1963, S. 119. 42 Forum 43

stärkt kulturelle Fördersysteme, Filmkollektive, Film- mit wenigen Ausnahmen, wie die Sender ARTE oder werkstätten und Filmclubs. 3 SAT, der Zuschauerquote verpflichtet und dement- sprechend gering ist die Risikobereitschaft der Re- Ausgehend von diesen Leistungen des »Oberhause- daktionen. ner Manifests« und mit Blick auf die heutige Situati- on des deutschen Films soll an dieser Stelle, 45 Jah- Daran ändert auch das Anfang 2007 in Kraft getre- re später, noch einmal über ausgewählte Positionen tene Zusatzpaket von weiteren 60 Millionen Euro aus und Wirkungen dieses und anderer Manifeste sowie dem Haushalt des Staatsministeriums für Kultur und über die Rolle von Filmmanifesten im Allgemeinen Medien leider nichts (das bisherige Gesamtvolumen nachgedacht werden. aller deutschen Förderanstalten liegt ungefähr bei 200 Millionen jährlich). In ihren Genuss kommen nur Manifeste erheben einen Heilsanspruch, das liegt in die Filme, die bereits über ein Mindestproduktions- ihrem Naturell. Um eine Veränderung herbeizufüh- budget von einer Million verfügen.5 Trotz des gut ren, muss sich die Argumentation eines Manifests gemeinten Ansatzes, den deutschen Film wettbe- gegen den Status Quo wenden und Alternativen werbsfähiger zu machen, wurde bereits von vielen möglichst eindringlich und einnehmend vortragen. mittelständischen und kleineren Produzenten kriti- Eine Vielzahl der Manifeste besitzt daher aber auch siert, dass die neue Förderung nicht honoriere, dass einen dogmatischen Grundcharakter, der andere es oft die kleinen Filme sind, die Erfolge auf interna- Meinungen, Methoden oder Ästhetiken ausschließt. tionalen Festivals feiern, darunter auch Dokumentar- So befanden sich unter dem vom Oberhausener Ma- und Experimentalfilme. nifest tot gesagten »Papas Kino« auch Filmkunstwer- ke von wichtigen Regisseuren wie Wolfgang Staud- Wenn man vom kulturellen Mehrwert absieht, hängt te oder Bernhard Wicki. Filme wie »Die Brücke« von der wirtschaftliche Erfolg eines Films davon ab, ob Wicki (1959) oder »Der Untertan« von Staudte (1951) er seine Produktionskosten wieder einspielen kann gehören zu den wichtigsten und anspruchvollsten – je höher sie liegen, desto schwieriger. Kleine und der 50er Jahre. kostengünstigere »Independent«- Produktionen ha- ben nur scheinbar einen Vorteil, denn sie müssen Das jüngste deutsche Filmmanifest ist die Ludwigs- erst einmal ins Kino kommen. Leider ist das nicht hafener Position, die am 10. Juli 2005 auf dem ers- immer der Fall, denn Filmkopien sind teuer, ebenso ten »Festival des deutschen Films« in Ludwigshafen die Promotion, und als Abspielstätten stehen meist herausgegeben wurde. Dort postulierten neben den nur die kleinen Programmkinos zur Verfügung, die Protagonisten des alten »neuen deutschen Films« den Anspruch haben, auch das cineastische Ni- wie Peter Lilienthal oder Hanna Schygulla junge schenpublikum zu bedienen. Darüber hinaus ist der Filmregisseure wie Robert Thalheim (»Netto«, D deutschsprachige Markt allein zahlenmäßig nicht zu 2005): »Der deutsche Film wird Kunst sein, oder er vergleichen mit dem englischsprachigen. Eine eng- wird nicht sein. Wir glauben nicht an den Mythos ei- lischsprachige Produktion sowie eine internationa- ner deutschen Filmindustrie. Dieser Mythos jedoch le Auswertung erforderte wiederum enorme Mehrin- ist die Grundlage des real existierenden deutschen vestitionen. Films. Eine deutsche Filmindustrie gibt es nicht.«3 Ein Film, der mich nachhaltig beeindruckte, hat bis Worauf basiert diese Aussage, 45 Jahre nachdem heute keinen Weg in die deutschen Kinos gefun- der »neue deutsche Film« ausgerufen wurde? Sie den: »Die Werckmeisterschen Harmonien« von Béla scheint im Widerspruch dazu zu stehen, dass mit 25 Tarr (HU/DE/F/I 2001). Der Film lief lediglich im Pro- Prozent der Marktanteil des deutschen Films an den gramm der Berlinale und wurde auf ARTE ausge- hiesigen Kinokassen im Jahr 2006 so hoch wie noch strahlt. Tarr entwirft ein kafkaeskes Bild einer un- nie lag.4 Die Ludwigshafener Position basiert dar- garischen Kleinstadt, deren Bewohner zunehmend auf, dass es schlichtweg keinen deutschen Kinofilm aggressiver werden, nachdem ein toter Wal auf dem ohne die Zusammenarbeit mit dem Fernsehen und Marktplatz ausgestellt wird. Der Film brilliert durch öffentliche Subventionen gibt. Diese Situation wirke sich wiederum auf die Ästhetik und Radikalität des deutschen Filmes aus, so der Vorwurf der Kritiker. Tatsächlich sind radikale Inhalte und experimentelle 3 http://www.mannheim-filmfestival.com/de/Festival_des_deut- filmische Formen eher selten im deutschen Kino zu schen_Films/Ludwigshafener_Position/Ludwigshafener_Position_ finden, höchstens noch auf den Leinwänden der en- 2.pdf. Letzter Zugriff 11. April 2007. gagierteren Filmfestivals, deren Programme experi- 4 Rüdiger Suchsland: Zwischen Subvention und Wettbewerb. Die deutsche Filmförderung und das neue Filmfördermodell. In: Filmdienst. mentelle, meist kurze und auf Video gedrehte No- 4/2007. Budget-Produktionen beinhalten. Das Fernsehen ist 5 Ebenda. 44 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 45 virtuose, lange Kamerafahrten und ungewöhnlich Nicht von ungefähr wurde das inzwischen ebenso lange Einstellungen. Durch die ungewohnte Lang- berühmte Manifest der dänischen Regisseure »Dog- samkeit der Erzählung, deren Qualität im Detail liegt, ma 95« getauft und mit Attributen wie Reinheits- und wird der Film zum harten Stoff für die reizüberflutete Keuschheitsgebot belegt. Georg Seeßlen attestierte Post-Fun-Generation. Dogma 95 süffisant filmischen Protestantismus und Bilderfeindlichkeit.9 Andererseits lässt sich für den deutschen Film po- sitiv vermerken, dass es anspruchsvolle Filme wie Dogma 95 richtete sich nicht nur gegen den Film- »Das Leben der Anderen« von Florian Henckel von kommerz, sondern auch gegen den Autorenfilm so- Donnersmarck (D 2006) – noch vor der Oscar-Prä- wie jegliche künstlerische Handschrift. Das Manifest mierung – und »Sommer vorm Balkon« von Andre- fordert, dass die Filmemacher nicht genannt werden. as Dresen (D 2005) unter die ersten zehn Kassen- Ironischerweise katapultierte gerade Dogma 95 die erfolge der deutschen Produktionen im letzten Jahr noch international wenig bekannten Namen wie schafften.6 Thomas Vinterberg und Lone Scherfig auf den roten Teppich der Festivals und in die Feuilletons. Es muss also nicht immer seichte Unterhaltung sein, die die Deutschen in das Kino lockt. Dogma 95 haftete von Anfang an das gewollte Scheitern, die Übertretung der eigenen Regeln an, Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft ist der was sich auch in den Bekenntnisschreiben der Re- Film auch dem Zeitgeist und den jeweiligen Mo- gisseure niederschlug, die dort Ihre »Sünden« ge- dewellen unterworfen. Nach dem gesellschaftlich genüber dem aufgestellten Dogma 95 gestehen. Bei und künstlerisch engagierten Autorenfilm der 60er Dogma 95 konnte das geschulte Auge jedoch früh und 70er Jahre folgte eine Welle von eher am Main- das Spiel mit der Ironie und auch das Marktkalkül stream orientierten Unterhaltungsfilmen, allen voran erkennen. Ein gut platziertes Manifest dient immer die deutsche Komödie, die in den 80ern und 90ern auch der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und die- zu den Kassenerfolgen zählten. Seit einigen Jahren se ist ein entscheidender »Sales«-Faktor im Film- gibt es nun ein verstärktes Interesse an Authentizität »Business«. im Film – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Nordeuropa, stark geprägt auch von den skandina- Am schwersten hat es nach wie vor das klassische vischen Ländern. Das macht sich sowohl in der Re- Stiefkind des Films: der experimentelle Kurzfilm. Im naissance des Dokumentarfilms im Kino bemerkbar »Oberhausener Manifest« heißt es zum Kurzfilm: als auch an einem Inszenierungsstil, der sich durch »Wie in anderen Ländern, so ist auch in Deutsch- technischen Purismus und die Fokussierung auf land der Kurzfilm Schule und Experimentierfeld des Darsteller und Geschichte auszeichnet. Dieser Stil Spielfilms geworden.«10 Diese Aussage war von den wird in Deutschland gern unter dem Begriff »Ber- Unterzeichnern sicherlich als Unterstützung des liner Schule« oder bei den Franzosen unter »Nou- Kurzfilms gedacht, allerdings reduziert sie den Kurz- velle Vague Allemande« subsumiert.7 Die Franzosen film auf eine Fingerübung des Spielfilms. werden der Sache gerechter, denn nicht alle neu- en Regisseure, deren Stilistik oder Inhalte Paralle- len aufweisen, kommen aus der gleichen Stadt, ge- schweige denn der gleichen Schule.8 6 Marktdaten der Filmförderungsanstalt: http://www.ffa.de. Letzter Zugriff 10. April 2007. 7 Georg Seeßlen: Die Dritte Generation. In: epd Film Sonderheft: Es tut sich etwas im deutschen Film, obwohl der Was tut sich - im deutschen Film? Februar 2007, S.16. neue Naturalismus, der Ansätze des italienischen 8 Bei dem »Symposion zur Neuen Berliner Schule«, das anlässlich Neorealismus in sich trägt, mit keinem Manifest un- des 40-jährigen Jubiläums der Deutschen Film und Fernsehakademie termauert wurde. Berlin (DFFB) stattfand, saßen zwischen DFFB-Absolventen wie Va- leska Grisebach oder Christian Petzold auch der Münchner Regisseur Romuald Kamarkar. Sie vereint ein gemeinsamer Anspruch, der sich Die dänischen Regisseure Lars von Trier, Thomas durch einen besonderen Naturalismus in der Gestaltung auszeichnet. Vinterberg, Kristian Levring und Søren Kragh-Ja- Einer der bemerkenswertesten (mittel-) jungen Regisseure, Andreas cobsen entschieden sich 1995 für eine Überspit- Dresen, der an der Hochschule Konrad Wolf in Potsdam studierte, ar- beitet zum Beispiel seit »Nachtgestalten« (D 1995) an genau beobach- zung der Manifestkultur. Sie unterwarfen ihre Arbeit teten Milieustudien, die ein eindringliches Bild der deutschen Nach- strengen Regeln, wie der Reduzierung der tech- wendegesellschaft einfangen. nischen Produktionsmittel, dem Einsatz von klei- 9 Georg Seeßlen: Dogma oder warum es notwendig wurde, der Kri- nen digitalen Videokameras und der Improvisation se des Erzählens im Film mit einem post-modernen Wirklichkeits-Re- im Schauspiel – Mittel, die heute auch von jungen mix zu begegnen. In: Jana Hallberg, Alexander Wewerka (Hrsg.): DOG- MA 95 – Zwischen Kontrolle und Chaos. Berlin 2001, S. 327–338. deutschen Filmemachern der »Berliner Schule« ge- 10 VIII. Westdeutsche Kurzfilmtage Oberhausen. Bericht 1962. Ober- nutzt werden. hausen 1963, S. 119. 44 Forum 45

Besonders der experimentelle Kurzfilm ist es aber, rem als Nachwirkungen des »Oberhausener Mani- der am radikalsten die filmischen Konventionen in fests« in den 70ern entstanden. Frage stellt und die ästhetische und gestalterische Sprache des Films vorantreibt. Er entwickelte sich Matthias Müller, der zu den erfolgreichsten deut- neben den erzählerischen Formen des Spiel- und schen »Film-Künstlern« zählt – er erhielt 2006 zu- Dokumentarfilms als dritte Gattung am Rande der sammen mit Christoph Girardet für den virtuosen Filmindustrie und der Bildenden Kunst. Abwech- Found Footage Film »Kristall« (D 2006) den deut- selnd wird er als Experimental-, Underground- oder schen Kurzfilmpreis in Gold – fing Ende der 90er Avantgardefilm bezeichnet. Die am häufigsten ver- Jahre wie einige seiner Kollegen an, für den Kunst- wendeten Begriffe sind Experimentalfilm und Vide- markt zu produzieren. Dies stellt eine neue Tendenz okunst, aber seitdem es die digitalen Formate gibt, (oder Überlebensstrategie) von »Filmkünstlern« dar, gehen die früher noch getrennten Arten mehr und die mit ihren Vor- und Nachteilen in den letzten Jah- mehr eine Symbiose ein. Eigentlich müsste man bes- ren in der Fachwelt heftig diskutiert wurde.13 Durch ser vom »Kunstfilm« sprechen, da der Begriff »Film- das Wegbrechen der kulturellen Filmförderungen kunst«, der am adäquatesten zu dem seit den 60ern der Länder seit Mitte der 90er Jahre sind viele der aufgekommenen Begriff »Videokunst« wäre, bereits experimentierfreudigen Filmemacher auf den Kunst- vom narrativen Film besetzt ist. Der Kunstfilm wird markt aufmerksam geworden. Auch für den Essay- von denjenigen genutzt, die von der Visualität und und Dokumentarfilmemacher Harun Farocki zählen oftmals auch Materialität des Films fasziniert sind Ausstellungen inzwischen zu wichtigen Plattformen oder andere Formen suchen, als konventionell eine seiner Arbeit. Von der Documenta 10 erhielt er 1997 Geschichte zu erzählen oder zu dokumentieren. die Kofinanzierung zur Produktion seines Filmes »Stilleben«. Hans Richter, der neben Walter Ruttmann11 zu den Pionieren des Avantgardefilms der 20er Jahre zählt, Die Voraussetzung für einen Verkauf auf dem Kunst- versuchte den Film schon sehr früh von seinen nar- markt ist das Unikat, das sich in einer Videoinstalla- rativen und kommerziellen Zwängen zu befreien. Er tion manifestiert oder in einer limitierten DVD-Auf- wagte, sowohl in seinem literarischen als auch sei- lage.14 Letzteres steht aber im Widerspruch zum nem eigenen filmischen Oeuvre, einen radikalen An- Medium Film selbst, in dem gerade die Reprodu- satz zugunsten des experimentellen Films. In sei- zierbarkeit angelegt ist.15 nem Buch »Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen« schrieb er 1928: »Der Film ist eine Kunst, Die Tendenz, Bewegtbilder auf dem Kunstmarkt zu ist also den Entwicklungsgesetzen der ganzen Epo- verwerten, steht zudem im anachronistischen Wider- che unterworfen, nicht der Konjunktur. Diese wird spruch zur Demokratisierung des Zugangs zu intel- um so unsicherer, wechselhafter und schließlich lektuellem Eigentum durch das Internet. In der neu- ganz unberechenbar, je mehr man ihr nachgibt. Es en Internet-Generation des sogenannten »Web 2.0« ist falsche Politik, unsicheren Neigungen des Publi- wird der Medienkonsument gleichzeitig zum Produ- kums nachzugeben; man kann und muss das Publi- zenten und er kann seine Arbeit zu jeder Zeit für je- kum führen – auf Grund der besseren Kenntnis und dermann an jedem Ort zugänglich machen. Dies ist Übersicht. Aber dazu gehört, dass die Führenden sicher noch eine Zukunftsvision und mit Vorsicht zu tatsächlich bessere Kenntnis und Übersicht haben; genießen, denn auch heute sind noch große Teile der dass sie vom Film als Kunst wirklich etwas verste- hen; dass sie die Entwicklung der Filmkunst voraus spüren. Das aber kann (unter Geschäftsleuten) al- lein der Kunstliebhaber, in diesem Fall: der Filmkunst – Liebhaber.« 12 11 Vgl. dazu auch Hermann Naber: Ruttmann & Konsorten. In: Rund- funk und Geschichte Jg. 32 (2006), H. 3–4, S. 5–20. 12 Hans Richter: Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen. In Deutschland kam es in den 80er Jahren zu einer Frankfurt am Main 1981, S. 118. regelrechten Blüte von kurzen experimentellen Ar- 13 Das Oberhausener Kurzfilmmagazin vom 1.2.2006: Film zwischen beiten, ausgelöst mitunter durch die Punk-, Super Black Box und White Cube. 8- und Videoaktivistenszene, befördert durch zahl- - Teil 1: http://www.shortfilm.de/index.php?id=433&L=0 - Teil 2: http://www.shortfilm.de/index.php?id=432&L=0. Letzter Zu- reiche selbst organisierte Events in Clubs und Knei- griff 10. April 2007. pen und durch die flächendeckende Festivalszene 14 Allerdings lässt sich bereits ein Rückgang der limitierten DVD-Ver- in Deutschland. Abseits der kommerziellen Auswer- marktung auf den Kunstmarkt feststellen, so dass Filmkünstler erneut tung durch Fernsehen und Kino verbreitete sich die- dazu gezwungen sind, andere Überlebensstrategien zu entwickeln. se Szene durch den Enthusiasmus der Macher – und 15 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders.: Gesammelte Schriften I, 2 (Werkaus- in einigen Fällen durch die Unterstützung der kultu- gabe Band 2), hrsg. v. Rolf Tiedermann/Hermann Schweppenhäuser. rellen Filmförderungen der Länder, die unter ande- Frankfurt am Main 1980, S. 471–508. 46 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 47

Erdbevölkerung von der Teilnahme am »global villa- lianzen noch ein Manifest oder reicht es, wenn dif- ge« ausgeschlossen. ferenzierte Produzenten- und Rezipientengruppen Online-Allianzen bilden, die Internet-Communities? Der lang ersehnte offene und internationale Direkt- zugang zum Publikum via Internetstreaming oder Doch um der Geschichte willen, lassen Sie uns nun - download beinhaltet aber vor allem für die Produ- die Zukunft des Films mit einem neuen Manifest ein- zenten ein Problem: Niemand möchte für den Inhalt läuten! zahlen, den er sich auf den Rechner lädt. Fast schon kinotaugliche Filme werden bereits mit Consumer- Wir fordern den absoluten Film! High-Definition-Technologie produziert und von den Er muss radikal sein. Machern direkt im Internet weltweit vertrieben; oder Er muss sozial engagiert sein. von den zahlreichen Fans, die die Filme auf digitalen Er muss unabhängig sein. Tauschbörsen zirkulieren lassen. Diese Tendenz ist Er muss politisch sein. rein technologisch nicht mehr kontrollierbar – unab- Er muss frei sein. hängig davon, welcher Kopierschutz entwickelt oder Er muss polarisieren. mit welchen Strafen gedroht wird. Die meisten Ent- Er muss gefallen. scheidungs- und Rechteträger wollen es nur noch Er muss individuell sein. nicht wahrhaben. Schon jetzt gibt es Filme zum He- Er muss global sein. runterladen und Internetsendungen, die über ein Zu- Er muss regional sein. schauerpotential verfügen, von dem TV- Redakteu- Er muss kollektiv sein. re nur träumen können. Der völlig freie Zugang zu Er muss authentisch sein intellektuellem Eigentum, auch von Bewegtbildern, Er muss wahrhaftig sein. wird von dem anonymen Künstler- und Aktivisten- Er muss absolut sein. netzwerk »Pirate Cinema Berlin« gefordert, das auf Er muss Kunst sein. seiner manifestartigen Frequently Asked Question Er muss Film sein. Seite im Netz schreibt: »Vor allem aber ist der ‚Krieg gegen Piraterie‘ ein Krieg gegen die Revolution: die Muss er sein? französische, die eine Generalisierung der individu- ellen Rechte, und die digitale, die eine Generalisie- Peter Zorn, Werkleitz, Halle/Saale rung des individuellen Datenaustauschs durchge- setzt hat.«16

Über kurz oder lang wird die neue Technologie zu Radioforschung im Aufbruch. einem Umdenken der gesamten Produktions-, Dis- »Radio and Research: Which directions and tributions- und Förderungsstruktur führen müssen. predictions for the future? Quelles Voies/Voix Die Frage ist, wann folgerichtig neue Vergütungs- pour le future de la radio?« systeme die alten ersetzen? Wann kommt es zu ei- Tagungsbericht von der Abschlusskonferenz ner völligen Demokratisierung der Produktionsmit- des International Radio Research Network tel, etwa zu einer Förderung durch Internetabgaben, Consortiums am 9./10.11.2006 in Louvain-la- die auf die einspeisenden Produzenten verteilt wer- Neuve/Brüssel den, oder ein Grundeinkommen für Künstler und Fil- memacher? Betrachtet man die Fülle und Vielfalt der Vorträ- ge, die Aktualität der Themen und die große Anzahl Und welche Rolle werden Filmmanifeste in Zukunft der Teilnehmer der Abschlusskonferenz des Inter- spielen? Der kurze Gedankengang zeigte, dass Film- national Radio Research Network (IREN) Consorti- manifeste durchaus ambivalente Wirkungen haben. ums kann man Peter Lewis, dem wissenschaftlichen Veränderungen geschehen mit ihnen, aber auch Koordinator des IREN -Projektes, nur zustimmen, ohne sie. Die neuen Technologien und Kommunika- wenn er von einem »Big Bang« der Radioforschung tionswege ermöglichen es, dass sich Gleichgesinn- spricht. Das IREN -Projekt wurde 2003 von 13 Part- te viel einfacher zusammenfinden und miteinander nerinstitutionen aus zehn europäischen Ländern ins agieren. Diese Allianzbildung über entsprechende Leben gerufen und von der EU im 6. Rahmenpro- Portale dürfte mindestens so prägend sein wie das gramm als Coordination Action gefördert. Ziel die- Verfassen eines Manifests. Benötigen zukünftige Al- ses Projektes war es, die Radioforschung zu stärken, die im Vergleich zur Fernsehforschung und zur For- schung im Bereich Internetmedien stark vernach-

16 http://www.piratecinema.org//index.php?page=faq&lang=de. lässigt war. Obwohl das Radio nach wie vor das am Letzter Zugriff am 10. April 2007. weitesten verbreitete Medium ist, fand es die ge- 46 Forum 47

ringste Aufmerksamkeit sowohl in der Forschung In den beiden anschließenden Runden mit Work- als auch in der Politik. Die Vernetzung der Aktivitä- shops standen folgende Perspektiven im Mit- ten von Wissenschaftlern und Praktikern in den ver- telpunkt: Soziale Funktionen des Radios; neue schiedenen europäischen Ländern stand daher im Formen der Nutzung und neue Nutzertypen; semio- Mittelpunkt des Projekts. Dafür wurden verschiede- logische, qualitative und ethnographische Nutzerfor- ne Plattformen, wie Konferenzen, Seminare und ein schung; Sprache des Radios; regionale, lokale und Website-Forum geschaffen bzw. zur Verfügung ge- kommunale Radios; Umdenken in der Radio-Theo- stellt. Für diese Ziele können die jetzt stattgefunde- rie, Zukunft der politischen Ökonomie des Radios; ne Konferenz sowie die vorhergehenden Veranstal- Entwicklung der radiophonen Produktion; Radio tungen des Consortiums als Erfolg gewertet werden. außerhalb Europas; Community, assoziatives Radio Die 113 Teilnehmer dieser letzten Tagung diskutier- und Radio als dritter Sektor; Radio und neue Tech- ten bei 40 Vorträgen in elf Workshops und zu Round nologien. Aus der Fülle der Beiträge können nur ei- Tables sowie Plenarsitzungen eine große Fülle an ak- nige herausgegriffen werden.1 tuellen Radiothemen. Hervé Glevarec (Universität Lille) hatte die Soziali- Bereits die Einführungsvorträge der ersten Ple- sationsfunktion des Radios in Frankreich untersucht numssitzung spannten den thematischen Rah- und wies auf die große Bedeutung des Radios bei men aktueller Radioforschung auf. André Breton der kulturellen Differenzierung und Hierarchisie- (Universität Québec, Montréal) plädierte für eine rung im Bereich Musik besonders in der Jugend neue Semiologie des Radios. Während es für das hin.2 Marzia Mazzonnetto (Universität Triest) stell- »klassische« Radio bereits Ansätze für eine Gram- te das EU-Projekt »Science in « matik und Radiosemantik gibt, die beispielsweise vor, in dem die Darstellung von (Natur-)Wissen- zwischen der »Atmosphäre« und dem »Klima« (Per- schaften im Radio untersucht wurde (Projekt-Web- sonen, Stimmung) unterscheiden, bedürfen die in site unter http://www.scienceonair.org/infos.htm). Internet und den digitalen Medien neu entstehen- Sie berichtete von interessanten Beispielen, in de- den Formen und Formsprachen von Radio der Ana- nen es gelungen sei, naturwissenschaftliche The- lyse und Systematisierung. Bart Cammaerts (Lon- men nahe an der Lebenswelt der Hörer zu vermit- don School of Economics) widmete sich danach teln, zum Teil in enger Interaktion mit den Hörern. vergleichend den unterschiedlichen Regulierungs- Der Bericht von Virginia Massarelli (Universität Si- formen für das nicht-kommerzielle Radio in westli- ena) und Marta Perrotta (Universität Mailand) über chen Rundfunksystemen und stellte fest, dass Com- neue Nutzungsformen via Podcasting in Italien führ- munity Radios von den westlichen Regierungen in te erneut zu der Frage, was Radio ist und wie es ihrem Leistungsvermögen für die Stärkung der De- sich von neuen Medienangeboten abgrenzen lässt. mokratie sehr unterschätzt werden und in ihren Es zeigte sich hier unter anderem eine große Va- Funktionen gefördert werden sollten. Ein ganz an- rianz von Podcasting-Angeboten, von zeitversetz- deres Bild konnte dagegen Manuel Chaparro (Uni- ter Ausstrahlung klassischer Radio-Talkshows eta- versität Malaga/EMA-RTV) von der Situation des blierter Sender bis hin zum »Amateurcasting«, das Community Radios in Lateinamerika zeichnen. Hier allerdings zum Teil ebenfalls klassische Radiofor- gibt es eine lange Tradition dieser Radioform, und mate nutzt. Interessant war hier auch das hohe In- die sehr populären Radiostationen übernehmen teresse italienischer Podcasting-Nutzer an Text- wichtige Funktionen der Integration und Partizipa- formaten, das mit ebenfalls recht hoher Nutzung tion in Ländern wie Bolivien, Kolumbien, Venezuela solcher Formate im analogen Radio korrespondiert. und Ecuador. Guy Starkey (Universität Sunderland) Stephen Lax (Universität Leeds) und Brian O’Neill wies schließlich zunächst auf eine Reihe von Fehl- (Dublin Institute of Technology) stellten das EU-Pro- einschätzungen in Bezug auf die Entwicklung des jekt »Digital Radio Cultures in Europe« DRACE vor, Radios hin, wie zum Beispiel die prognostizierte in dem sowohl aus technischer als auch kultureller Verdrängung des Radios durch das Fernsehen. An- und demokratietheoretischer Perspektive die Ent- schließend thematisierte er die Herausforderungen wicklung digitalen Radios in verschiedenen europä- für künftige Theoriebildung und Radioforschung: ischen Ländern untersucht wird (Projekt-Website: So in erster Linie wohl die Definition von Radio in http://www.drace.org/). Etienne Damone (Universi- Abgrenzung zu neuen Audio-Angeboten, aber bei- spielsweise auch die Neubestimmung der Rolle von Public Service und die Veränderungen der zukünf- 1 Das Programm der Konferenz findet sich unter http://www.iren- tigen Radionutzung angesichts der anstehenden Di- info.org/fileadmin/dokumente/brussels-conference/IREN_PRO- gitalisierung, die auch die aktive Gestaltung von Ra- GRAM_ENG_25-10.pdf 2 Verschiedene Beiträge von Hervé Glevarec zum Thema sind abruf- dioformen durch jeden Einzelnen möglich machen bar unter http://www.univ-lille1.fr/clerse/site_clerse/pages/accueil/ wird. fiches/Glevarec.htm 48 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 49 tät Bordeaux 3-Montaigne) stellte die Entwicklung cation Association (ECREA) (Projekt-Website un- der Radioforschung in Afrika dar und betonte die ter http://www.ecrea.eu/). Nur die letzte Option Vielzahl der nutzbaren Quellen, die sowohl in den wurde bereits konkretisiert. Drei der IREN-Part- afrikanischen Ländern als auch in den Institutionen ner, Rosemary Day, Angeliki Gazi und Stanisław Je- der verschiedenen Kolonialmächte und internatio- drzejewski, haben die Initiative übernommen und in- naler Organisationen zu finden sind. nerhalb der ECREA eine Radio Research Section gegründet, die der Vernetzung dienen soll. Interes- Eine interessante neue Perspektive brachte am sierte Radioforscher wurden aufgerufen, der Sekti- Nachmittag des ersten Tages dann die abschlie- on bzw. ECREA beizutreten (http://www.ecrea.eu/ ßende Plenumssitzung, bei der fünf Vertreter der section_RSS.html). Inwiefern auch eine internati- Praxis, Fredy Franzoni (Swiss Radio RTSI), Francis onale und nicht nur eine europäische Perspektive Goffin(RTBF) , Etienne Baffrey (Associations radios für das International Radio Research Network rea- privée, Belgien), Bernard Cools (SA Space, Werbe- lisiert wird und welche weiteren Optionen der Ver- agentur, Belgien) und Marcello Lorrai (Radio Po- netzung zur Verfügung stehen werden, bleibt abzu- pulare, Mailand), eingeladen waren, ihre Wünsche warten. Als weiterhin ungelöstes Problem erweist an die Radioforschung zu formulieren. Neben dem sich die sprachliche Spaltung zwischen Nord- und klassischen Problem der Radionutzungsforschung Südeuropa, die auf organisatorischer und institutio- einer reliablen »Währung« für die Aufmerksamkeit neller Ebene nach wie vor die Zusammenarbeit und des Publikums, wurden hier auch Fragen nach der den Austausch behindert, wenn nicht verhindert. Da zukünftigen Regulierung in den neuen digitalen Me- scheint durch Europa noch ein tiefer Riss zwischen dienumgebungen, der Zukunft der Werbung ange- Nord und Süd zu gehen, der nur durch gegenseiti- sichts zunehmender individualisierter Nutzung, aber ges Verständnis und Kompromissbereitschaft über- auch der Möglichkeit des Erreichens junger Leute brückt werden kann. Als Fazit aus der Abschluss- und der Zukunft der Nachrichtenrezeption gestellt. tagung und auch der Arbeit von IREN kann jedoch gesagt werden, dass die europaweite Zusammen- Am Vormittag des zweiten Konferenztages wurde arbeit von Radioforschern neben allen kulturellen die Vielfalt der Radioforschung durch ein heteroge- Problemen sehr fruchtbar war und eine Fülle neuer nes Podium betont. Während Watson Brown (Eu- Perspektiven und Forschungsansätze sichtbar ge- ropean Commission Task Force on Coordination macht hat. of Media Affairs) für die EU-Politik weitestgehend Anja Herzog sowie Sigrid Kannengießer nur Defizite in der Beachtung des Radios feststellen und Corinna Lüthje, Hamburg konnte, betonte Wijayananda Jayaweera (UNESCO, Director of the division for the Communication and Weitere Informationen unter: the Development) die Relevanz des Radios für die http://www.iren-info.org demokratische Entwicklung weniger entwickelter Länder. Thomas Kreiseder (Community Media Fo- rum Europe, CMFE) berichtete von den Aktivitäten »Kritisch dabei zu sein …«. des CMFE, dem Community Radio als drittem Me- Zum Tod von Egon Monk. diensektor auf nationaler wie europäischer Ebene zur Anerkennung zu verhelfen. Egon Monk wächst in einer Weddinger Mietskaser- ne im ältesten Arbeiterviertel Berlins zu den Zeiten Am Nachmittag des zweiten Tages der Konferenz der Weltwirtschaftskrise auf. Auf Bänken sitzende stand die Zukunft des IREN -Projekts im Mittelpunkt Arbeitslose und durch die Straßen marschierende des Interesses. Der Schwung, den die Diskussionen Nazis prägen die frühesten Eindrücke seiner Kind- und die Vielfalt des ersten Tages hervorgerufen hat- heit. Nach der Volksschule und dem Gymnasium ten, konnte allerdings nur bedingt für konkrete Zu- muss er zunächst zum Reichsarbeitsdienst, später kunftsperspektiven zur internationalen Vernetzung wird er Luftwaffenhelfer. Durch das Kriegsende ist der Radioforschung umgewandelt werden. Kristal- es ihm endlich möglich, seine künstlerischen Am- lisationspunkt sollte die offene Abschlussdiskussi- bitionen umzusetzen. Von 1945 bis 1947 besucht er on der Konferenz sein, in der drei Modelle von Ver- die Berliner Schauspielschule, um schließlich für ein netzung vorgestellt wurden: informelle Vernetzung halbes Jahr Regieschüler an der von der DEFA ein- mittels Website, Publikations- und Konferenzseri- gerichteten ersten Filmschule Deutschlands zu sein. en; Gründung einer Föderation existierender Ra- In dieser Zeit, so erinnert er sich, liest er alles, was er dioforscher-Assoziationen wie GRER in Frankreich bekommen kann und unter allem, was er findet, be- und Radio Studies Network in Großbritannien; oder eindruckt ihn ein Autor am meisten: Bertolt Brecht. Gründung einer Radioforschungssektion innerhalb Seine Theatertheorie wird Monks zukünftiges Werk von European Communication Research and Edu- entscheidend beeinflussen. Brecht, der ein eigenes 48 Forum 49

Theater am Schiffbauerdamm in Berlin bekommen schauer, der seine Skepsis kritisch auf den eigenen soll, bietet Monk an, mit ihm zusammenzuarbeiten. Alltag überträgt. Er verwendet fernsehtypische do- Hier lernt er am praktischen Beispiel, die Grundsät- kumentarische Programmgattungen und setzt diese ze des epischen Theaters kennen und übernimmt in in fiktionalen Formen ein, um beim Zuschauer einen den Georg Hauptmann-Stücken Bieberpelz und Ro- höheren Grad an gesellschaftlicher Relevanz des ter Hahn 1950 seine ersten eigenständigen Regie- Gezeigten zu erreichen. So entsteht eine Mischform, arbeiten. Mit seiner Ur-Faust-Inszenierung erregt die durch die Verwendung alltäglicher Bildmuster er 1952 große Aufmerksamkeit und bei der Partei- dem Zuschauer eine neue Sicht auf das Gezeig- führung der DDR Missfallen. Zwar führt Egon Monk te ermöglicht. Monks Stil wird damit zum Vorreiter 1953 noch Regie bei der filmischen Umsetzung von des heute bekannten Dokudramas. Die zeitgenössi- Brechts Die Gewehre der Frau Carrar, entschließt sche Kritik spricht in diesen Zusammenhang von der sich aber dann, nicht zuletzt wegen der kontrover- »Hamburgischen Dramaturgie«, einer Formulierung, sen Debatten um die Ur-Faust-Inszenierung und die Egon Monk als durchaus schmeichelhaft emp- den daraus resultierenden Repressalien, die DDR findet, wie er es im bereits erwähnten Interview for- zu verlassen. Zu sehr sieht er seine künstlerischen muliert: »Ich bin keinesfalls gekränkt gewesen, […] Möglichkeiten unter der Regierung Ulbricht einge- mehr kann man über eine bestimmte Arbeit nicht sa- gen, wenn man sie charakterisieren will, und Les- sing stand mir von unseren Klassikern auch schon immer sehr nah.« Wo das Fernsehspiel der fünfziger Jahre in erster Linie auf Harmonie und eine Heile- Welt-Stimmung innerhalb der Familie ausgerichtet war, setzt Monk nun auf ein kritisches Misstrau- en gegenüber den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und der administrativen Obrigkeit der Bundesrepublik – vor allem in Bezug auf die national- sozialistische Vergangenheit der Deutschen. In zwei Fernsehspielen macht er dies zum Hauptthema. In »Anfrage« (1962), nach einem Roman von Christi- an Geissler, sucht der junge Physiker Klaus Köhler nach einem verschollenen jüdischen Mitbürger, des- Egon Monk (1927–2007). Quelle: NDR sen Familie von den Nationalsozialisten verschleppt und umgebracht wurde. Während seiner Nachfor- schränkt. Im westlichen Teil Deutschlands verdingt schungen stößt Köhler immer wieder auf antisemiti- er sich zunächst als Hörspielregisseur. Seine Arbei- sche Vorurteile und Unschuldsbeteuerungen seiner ten erregen die Aufmerksamkeit des damaligen Pro- Mitmenschen. Als er erkennt, dass es aussichtslos grammdirektors des NDR Arnold und des NDR-In- ist, den Gesuchten ausfindig zu machen, will er die tendanten Hilpert. Von ihnen wird er gefragt, ob er Person finden, die damals die Verhaftung der jüdi- die damals noch nicht existierende Hauptabtei- schen Familie vorgenommen hatte. Er muss fest- lung Fernsehspiel beim NDR aufbauen würde. So stellen, dass diese wieder vollständig in die Gesell- wird Egon Monk 1960 der erste Leiter dieser Abtei- schaft, die diese Taten vergessen hat, eingegliedert lung und behält das Amt bis 1968 inne. Für ihn ist ist. Den gesuchten jüdischen Mitbürger kann Köhler es wichtig, »die Zeit ins Auge zu fassen, der Gesell- nicht finden, wohl aber die »Gesellschaft«, wie er am schaft zuzusehen, den Prozessen, den Schritten, mit Schluss bemerkt. Durch die Kombination von Film- denen sie sich entwickelt und wohin sie sich entwi- und MAZ-Aufnahmen und deren deutlicher Abgren- ckelt, die Ansichten darüber zu äußern, kritisch da- zung voneinander, gelingt es Monk, neue gestalteri- bei zu sein, als einer der mitgeht, nicht als einer der sche Elemente in das Fernsehspiel einzubauen, die beiseite steht«.1 Seine Intentionen verwirklicht er zu sowohl an Brechts Episches Theater, als auch an einer Zeit, in der das live im Studio produzierte Fern- den dokumentarischen Stil des »Direct Cinema« von sehspiel an seine ästhetischen Grenzen stößt und Richard Leacock erinnern. neue Formen fordert. Egon Monk ist an diesen Ent- wicklungen maßgeblich beteiligt. Wo zuvor noch Auch in seinem wohl bedeutendsten Fernsehspiel Kammerspielatmosphäre vorherrschte, setzt Monk »Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentra- darauf, die Prinzipien des epischen Theaters auf das tionslager 1939« (1965) wagt Monk das Experiment Fernsehen zu übertragen und weiterzuentwickeln. Nicht die Einfühlung, sondern die Einsicht in die

gezeigten Dinge ist sein Anliegen. Monk will einen 1 Interview mit Egon Monk geführt Juni 1999 in Berlin durch Gerhard skeptischen, misstrauischen und distanzierten Zu- Lampe unter Mitarbeit von Sebastian Pfau und Marco Kleinert. 50 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 51 der Kombination von fiktionalen und dokumentari- schichte gefunden. In der Nacht zum 1. März 2007 schen Elementen. Nüchtern, ohne jegliches Pathos stirbt Egon Monk nach längerer Krankheit. Am 18. mit einem besonderen Augenmerk auf kleine Details Mai 2007 wäre er 80 Jahre alt geworden. konfrontiert der Film den Zuschauer mit dem Alltag Sebastian Pfau, Halle/Saale in einem deutschen Konzentrationslager. Möglich wurde dies vor allem durch die Erinnerungen der ehemaligen KZ-Häftlinge Gunter R. Lys und Harry Unmediate! Naujoks, welche die Vorlage der Verfilmung liefer- Bericht von der transmediale 2007 in Berlin ten. Mutig an diesem Fernsehspiel ist die Entmys- tifizierung der Täter, die ihrem bestialischen Tag- Seit die transmediale ein Publikumserfolg ist und werk nachgingen und sich nach »Feierabend« unter noch dazu viel Geld von der Kulturstiftung des Bun- ganz gewöhnlichen Leuten bewegten. Die Täter wa- des erhält, wird sie gerne gescholten. Mit an vorders- ren somit nicht mehr die diabolischen Unmenschen, ter Stelle der Kritik stehen ihre jährlich wechselnden sondern wurden zu Nachbarn, und der Zuschauer Titel. Diese halten sich weder an wissenschaftliche musste sich fragen, ob er von alledem wirklich nichts noch an hochkulturelle Konventionen der Titelbil- gewusst hat oder nur seine Augen davor verschloss. dung, sondern orientieren sich am Stil moderner Ein weiteres wichtiges Werk dieser Schaffensphase Lifestyle-Werbung. Slogans wie »FlyUtopia« oder ist »Wilhelmsburger Freitag« (1964), eine eindring- »PlayGlobal« könnten auch Werbekampagnen von liche, dokumentarisch wirkende und an den italie- Camel-Zigaretten oder der Deutschen Bank zieren. nischen Neorealismus erinnernde Inszenierung des Aber einem Medienfestival mit jungem Publikum Alltags eines Hamburger Arbeiterehepaares. steht das sowohl inhaltlich als auch stilistisch zu, wenn es sich mit massenmedialen Strategien und Monk montiert in seinen Fernsehspielen dokumen- deren Wirkungen auseinander setzt. Die transmedi- tarische und fiktionale Elemente miteinander und ale tut das, indem sie Kunst und Kultur, politischen wird damit zum Vorbild, vieler namhafter Regisseu- Aktivismus und Theorie zu diesen Themen bündelt. re, so zum Beispiel Eberhard Fechner, Horst König- Bedingung für den Erfolg dieses Konzepts ist na- stein und Heinrich Breloer. Egon Monks Fernseh- türlich, sich geistreich von Werbung zu unterschei- spiele zeigen ausnahmslos sein politisches und den. An dieser Stelle allerdings sitzt die transmedi- gesellschaftliches Engagement sowie sein Miss- ale in der Falle: Als jährliches Festival unterwirft sie trauen in die bestehenden Verhältnisse. sich genau wie die Massenmedien dem Zwang, re- gelmäßig einen neuen Hingucker hervorbringen zu Als Dieter Meichsner 1968 die Leitung der Haupt- müssen. abteilung Fernsehspiel übernimmt, wird Monk zum Intendanten des Hamburger Schauspielhauses be- Der Titel »Unfinish!« kürte die Prozesshaftigkeit von rufen, kann dort aber seine erfolgreiche zeit- und ge- Kunst zum Thema des diesjährigen Festivals. Das sellschaftskritische Line nicht fortsetzen. Zu stark Wort steht nicht im Wörterbuch, und eben damit ver- sind der Widerstand des bestehenden Ensembles weist es auf das über Jahrhunderte angelegte laten- und der zeitgenössischen Kritik. Nach wenigen Wo- te Widerstreben, das wir empfinden, wenn wir Kunst chen als Intendant gibt er sich dem Gegendruck ge- nicht als Werk begreifen sollen, sondern als offenen schlagen und beginnt eine weitere, nicht minder kre- Vorgang – ohne Ende, ohne Ziel, ohne klare Gren- ative Phase als freier Regisseur. Er widmet sich von zen, vielleicht ohne Autor. Dieser Ansatz hat heute nun an aufwendigen Literaturverfilmungen, darun- große Bedeutung, er ist aber weder brandneu – seit ter Hans Falladas »Bauern, Bonzen, Bomben« (1973, mehr als 50 Jahre kursiert er schon – noch wirklich fünf Teile), und Ralph Giordanos »Die Bertinis« (1998, umstritten, wie der Aufforderungscharakter des Ti- fünf Teile). Für die Verfilmung von Lion Feuchtwan- tels suggeriert. Nun könnte man denken, es ginge gers »Die Geschwister Oppermann« (1983, zwei Tei- vielleicht um die Übertragung des Konzepts in die le) erhält er den Adolf-Grimme-Preis in Gold. Die massenmediale Kultur: Verliert auch in der Pop- Akademie der Künste, deren langjähriges Mitglied musik, im Hollywood-Film die Werkidee an Bedeu- Monk war, betont, dass er gerade mit seinen Litera- tung? Hier mag es tatsächlich Anzeichen einer sol- turverfilmungen Maßstäbe für eine »anspruchsvolle chen Entwicklung geben, wenn etwa Musiktitel in Fernsehkunst« gesetzt hat. zig verschiedenen Mixes desselben Interpreten auf dem Markt erscheinen. Aber um Derartiges ging es Wie kaum ein anderer war Egon Monk ein Meister bei der transmediale nur vereinzelt. Im großen Gan- im Aufspüren und minutiösen Nachzeichnen politi- zen, man blieb bei der Kunst, auch wenn – oder ob- scher und gesellschaftlicher Verhältnisse der Ver- wohl – der Untertitel des Festivals in diesem Jahr gangenheit und Gegenwart. Sein Œuvre hat einen von »International Media Art Festival« in »Festival for unauslöschbaren Platz in der deutschen Fernsehge- Art and Digital Culture« geändert wurde. Der klare 50 Forum 51

Fokus auf künstlerische Umgangsformen mit Medi- Prozesshafte Kunst ist doch deutlich älter als der en wurde z.B. bei einer Diskussion über das Onli- Computer! Die zweite eindrucksvolle Arbeit in der ne-Phänomen »Second Life« deutlich: Informatio- Ausstellung war Kurt d´Haeseleers »Scripted Emo- nen über das alltägliche Nutzerverhalten in diesem tions«, ein technisch aufwändiger »Film«, den man »Massively Multiplayer Online Role-Playing Game« durch ein Aussichtsfernglas verfolgen konnte. Durch erhält man in ausführlicher Form aus der Presse. Die das Fernglas war immer nur ein kleiner Teil des ei- transmediale dagegen nahm sich des Themas an gentlich viel größeren Filmbildes zu sehen, dessen um zu überlegen, welche neuen Horizonte solch ei- einzelne Ereignisse in den verschiedenen Bildregio- nes kulturellen Phänomens durch künstlerische Per- nen offenbar unabhängig voneinander auf die Blick- spektiven eröffnet werden können. »Second Life« als führung des Betrachters reagierten. Personen ver- eine Struktur, bei der man erst einmal lernen muss, schwanden plötzlich oder tauchten unvermittelt auf sie als »unfinished« zu begreifen, leuchtete dabei als und veränderten dabei zwangsläufig ihr zuvor vom Beispiel ein, und so boten auch Panels zu den The- Zuschauer angenommenes Verhältnis zueinander — men »Unfinished Cities« und »Unfinishing Creation« ein Film also, der sich jeweils individuell am Blick interessante aktuelle Themen. Besonders gut funk- des Betrachters entlang entwickelte und vor allem tionierte das Durchdeklinieren des Festivaltitels »Un- eines greifbar deutlich machte: Zusammenhänge finish!« bei der Rubrik des dokumentarischen Films: und Bedeutungen entstehen ohne bewusstes Zutun Hier von »Unfound Footage« zu sprechen öffnet ein im Kopf des Betrachters. interessantes Bedeutungsfeld, von der Sprengkraft verschollenen historischen Materials über die Poesie Musik nimmt innerhalb der transmediale immer eine des Beiläufigen oder Unprofessionellen bis hin zur besondere Stellung ein. Elektronische Musik wurde Wirkung gefälschten Dokumentarmaterials in »Fake zwar schon vor Jahren in den parallel stattfinden- Documentaries«. den »Club Transmediale« outgesourct, aber ganz ohne akustische Medienkunst sollte die transmedi- Ein wenig enttäuschte — nach so manchen durch- ale selbst offenbar nicht ablaufen, und so spielte in wachsenen Ausgaben in den Vorjahren — auch in diesem Jahr zur Eröffnung Pierre Bastien eine char- diesem Jahr die Ausstellung mit einigen weitgehend mante Performance seiner selbstgebauten, kleinen überflüssigen Arbeiten, u.a. einer kleinen Sammlung mechanischen Musikapparate. Da die transmediale altbackener und schlecht präsentierter Audio-Stü- keinen eigenen musikalischen Kurator beschäftigt, cke. Zwar verfallen die Berliner Kuratoren seltener treten bei der Programmzusammenstellung aber re- dem technophilen Geist der großen Schwester, der gelmäßig gewisse »Unregelmäßigkeiten« auf. So ist Linzer Ars Electronica, auf der alljährlich allzu viele es insbesondere im Wiederholungsfalle äußerst er- Arbeiten gezeigt werden, die über die verliebte Zur- müdend, Zeuge zu sein bei einer der notorischen in- schaustellung komplexer Technologie nicht hinaus teraktiven Tanz-Klang-Performances, die stets zwi- kommen. In Berlin setzt man im Gegensatz dazu schen bloßer technischer Vorführung und Mangel stärker auf konzeptionelle Arbeiten. Diese bleiben an Musikalität schwanken, dieses Jahr aus der Fe- dann aber oft in der Idee stecken, finden also kei- der von Elisabeth Schimana. Das Programm mach- ne hinreichend irritierende oder betörende Materia- te diesen Schock aber auch in diesem Jahre wie- lisierung im gewählten Medium, wie in diesem Jahr der wett, etwa mit einem Projekt des musikalischen Herwig Weisers »Death Before Disko«, das »Online- Hardware-Hackers Nicholas Collins oder der Prä- Daten aus Weltraumbeobachtungen«, so der Ka- sentation des interaktiven Instruments »ReacTable« talogtext, zur Steuerung einer redundanten Klang- von Sergi Jordà, Günter Geiger. Licht-Orgel verwendete. Wunderbare Ausnahme war keinesfalls der Träger des diesjährigen Festi- Überraschend großen Zulauf innerhalb der trans- valpreises, Herman Asselberghs‘ langatmiges Vi- mediale hatten Podiumsdiskussionen und Keyno- deo »Proof of Life«, sondern die kleine, schlichte In- tes. Das Panel »Media Art Undone« diskutierte die stallation »Random Screen« von Aram Bartholl. Sie Frage, ob Medienkunst eventuell neu definiert wer- zeigte eine Matrix aus 44 Lichtfeldern, die einen den müsse oder vielleicht ihre Schuldigkeit getan komplexen, womöglich bedeutungsvollen An-Aus- habe. Während Inke Arns hervorhob, dass Kunst Rhythmus wiedergaben — vielleicht Online-Daten heute technische Medien nicht mehr verwenden, aus Weltraumbeobachtungen? Pustekuchen, geht sondern nur thematisieren müsse, um Medienkunst auch ohne. Schaute man von hinten, so sah man, zu sein, interpretierte Diedrich Diederichsen den Be- dass der vermeintliche elektronische Schaltme- griff als Bezeichnung eines kulturell-sozialen Zirkels, chanismus der 16 Lichtfelder tatsächlich aus rotie- der sich durch verschiedene Merkmale von anderen renden Coladosen mit Kerzenantrieb bestand. Die Kunstzirkeln wie der Galeriekunst, der Institutions- Aussage dieser Arbeit könnte auch als ironischer kunst unterscheide. Auch wenn der Moderator das Kommentar zum Festivalthema verstanden werden: Panel nur mühsam durch die Zeit schleppte, mach- 52 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 53 ten solche fundierten Positionen den Besuch schon dieses Bild auf, so befindet sich ein Hörspielredak- zum Gewinn. Ähnliches gilt für die großen Vorträge teur und Dramaturg, in diesem Falle, in der ehrwür- des Festivals. Der zypriotisch-australische Perfor- digen, geschichts-, und man darf es ruhig sagen, mance-Künstler Stelarc unterhielt in seiner Keynote preisträchtigen Hörspielabteilung des NDR am Ro- den vollen Saal der Akademie der Künste am Han- thenbaum auch nach Überwindung der Eingangs- seatenweg 90 Minuten lang mit einer Werkschau. Im pforte, im Verlaufe seines Berufslebens doch meist Zentrum seiner Arbeiten aus vier Jahrzehnten stan- im Vorgarten des Paradieses; eines Paradieses, das den die Grenzen des menschlichen Körpers, die er ich kursorisch und kurz als die gesamten archiva- mit hochtechnisierten Prothesen zu überwinden risch erschlossenen Bestände des NDR Hörspiels suchte. Eine leuchtende und klingende Skulptur in seit den Anfängen bezeichnen möchte. seinem Magen als site specific work zu bezeich- nen, ruft vielleicht nur eine Mischung aus Beklem- Deren Fülle und Reichtum kann er im Laufe eines mung und Lachreiz hervor. Seine »Split Body« Per- durchschnittlichen Arbeitslebens, das ja primär um formances beispielsweise, bei denen ein Arm und das sogenannte »aktuelle Programmgeschehen« ein Bein des Künstlers durch elektrische Impulse herum zentriert ist, meist nur punktuell und aus- computergesteuert agieren, thematisieren nichts schnittsweise wahrnehmen. Dies veranschaulicht Geringeres als die Überwindbarkeit des heutigen bereits folgende Übersicht: Die Zählung der in der Stadiums der Evolution. Für Stelarc ist die Auffas- Hörspielredaktion am Rothenbaum seit den Anfän- sung vom menschlichen Körper als perfekte Schöp- gen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeführten oder fung romantischer Unsinn. Die Entwicklung der Me- dokumentierten Hörspiele ist gegenwärtig bei der dien habe dessen Fähigkeiten längst relativiert, und stolzen Ziffer 2898 angelangt. Führt man sich vor so sucht Stelarc nach Verbesserungsmöglichkeiten. Augen, dass die Hörspielredaktion des NDR ge- Das dritte Ohr, das er sich kürzlich chirurgisch auf genwärtig pro Jahr etwa 24 Neuproduktionen, also dem linken Unterarm modellieren ließ, soll zeitge- sogenannte Ur- bzw. Erstsendungen auf den Weg mäße Formen verbaler Kommunikation ermöglichen. bringt, so lässt sich rasch überschauen, wie weit Friedrich Kittler schließlich lenkte in seiner Keynote das aktive Programmgedächtnis eines Redakteurs die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass Kunst oder Dramaturgen, das sich aus dem eigenen Er- und Computer-Algorithmus sich darin ähneln, dass leben – persönlichen Autoren- und Regiekontakten, beide darauf ausgerichtet sind, in endlicher Form Studioarbeit etc. – speist, im günstigsten Falle rei- das Ewige oder auch Unendliche auszudrücken. chen kann. Dies sind nach 20 Jahren maximal viel- Denn endlich und damit »finished!« war alle Kunst leicht 500 Titel. der transmediale dann doch, so könnte man zumin- dest behaupten, wenn man das Ende künstlerischer Bedenkt man weiterhin, dass die Abwicklung des Gestaltungsarbeit als Werkabschluss begreift. aktuellen Spielplans, die Vorbereitung neuer Pro- duktionen, die Betreuung von ca. 150 Sendetermi- Die Idee des offenen Kunstwerks, also des Werks nen im Jahr erhebliche Kapazitäten bindet, so ist ohne Werkcharakter, stellt sich am Ende vielleicht die Chance, Rückschau in die Vergangenheit, in die doch als unauflösbarer Widerspruch heraus: nicht verlockenden Archivbestände zu halten, sehr be- mehr als ein guter Trick, um Künstler auf neue Struk- grenzt. Denn, neben den aktuellen Eigenprodukti- turideen und Interaktionsformen zu bringen. Das Un- onen muss sich ein Redakteur ebenso ein Bild von fertige bleibt vielleicht nur dann im jungfräulichen den aktuellen Produktionen anderer Rundfunkan- Zustand der Unfertigkeit, wenn es nicht rezipier- stalten verschaffen, also – und das ist eine zeitauf- bar ist, z.B. mangels Verbreitung. Man sollte es da- wendige Tätigkeit – so viel wie möglich hören. Das her bei der transmediale im nächsten Jahr mit einer Programm einer Hörspielabteilung setzt sich ja nur noch radikaleren Devise probieren: Unmediate! zum Teil aus eigenen Produktionen bzw. Wiederho- Golo Föllmer, Halle/Berlin lungen zusammen. Ein gutes Drittel stellen die intern als sogenannte »Übernahmen« bezeichneten Pro- duktionen anderer Sender dar, zu denen neben den Wege ins Paradies oder »A la recherche ARD Anstalten, Deutschlandradio Berlin/ Deutsch- des sons perdus...«(I) 1. Streifzüge im Archiv landfunk auch die Rundfunkanstalten des deutsch- der NDR Hörspielabteilung – Geschichte, sprachigen Auslandes gehören, also Österreich und Materialien, Fundstücke die Schweiz. Denn nicht nur Abwechslung und gute Unterhaltung möchte man dem Hörer des eigenen Die schönsten Paradiese sind – einem geläufigen Bonmot zufolge – gerade jene, die uns verwehrt blei- ben oder deren Verheißungen sich nicht mehr auf ih- ren Wahrheitsgehalt überprüfen lassen. Greift man 1 Auf der Suche nach den verlorenen Klängen. 52 Forum 53

Sendegebietes liefern, auch Einblicke in die aktuel- ßen Lessing – Stichwort: »Hamburger Dramaturgie« len Strömungen und Tendenzen der Hörspielland- nur das Hörspiel betreffend – in den Räumen der schaft. Dazu gehört etwa die Nachsendung preis- Hörspielredaktion noch immer präsent wie zu sei- gekrönter Hörspiele, wie die jeweils jährlich mit dem ner aktiven Zeit. Auf die Frage nach den Anfängen »Hörspielpreis der Kriegsblinden« ausgezeichnete wurde ich aber nicht etwa auf »physikalische Ton- Produktion. Dazu zählen auch Hörspielsendungen träger« (eine Terminologie, die sich noch heute be- aus aktuellen, zeitgeschichtlich bedeutsamen wie harrlich in manch aktuellen Vertragsformularen fin- kulturpolitischen Anlässen. Dass eine Hörspielaus- det), also die Abteilung Schallarchiv verwiesen, mit strahlung nur knapp zeitversetzt mit der Nachricht der Aussicht, mir einen dieser »Tonträger« in den be- von der Vergabe des Nobelpreises für Literatur an schaulichen, damals »Rundfunkschule« genannten den Autor zusammenfällt, wie im Falle des letztjäh- Räumlichkeiten unter Aufsicht eines geduldigen wie rigen türkischen Preisträgers Orhan Pamuk, dessen interessierten Technikers anzuhören, sondern ganz Roman »Schnee« im September in einer dreiteiligen so – wie es vielleicht auch in der Geschichtsschrei- Hörspielfassung zur Sendung kam, ist ein einmali- bung den heiligen Stuhl betreffend der Fall sein mag ger Glücksfall. In anderen Fällen gilt es, sich rasch – auf die » heiligen Bücher«. Wie bitte? Ja, ganz recht: in den benachbarten Archiven anderer Sender kun- Denn, abgesehen davon, dass ich rasch auf das ers- dig zu machen. Gelingt es einem fleißigen Dramatur- te nach dem Kriege ausgestrahlte Hörspiel beim da- gen unter diesen Vorzeichen im günstigsten Falle pro mals noch Radio Hamburg genannten Sender ver- Monat zwei oder drei ihm gänzlich unbekannte Hör- wiesen wurde (» Der Hauptmann von Köpenick« spiele aus dem eigenen Archiv anzuhören und für ei- Sdg.: 3.9.1945), blieben bei der Suche nach den An- nen möglichen Programmeinsatz zu prüfen, so hat fängen meist nur die »heiligen Bücher« und ein un- er nach zehn Jahren noch nicht einmal zehn Prozent scheinbarer Karteikasten im Format Din A 6, der mei- des gesamten Archivbestandes gesichtet. ne Neugier stillen konnte. Das Schnuppern im »Paradiesgarten« entschädigt allerdings nicht nur für den manchmal eher unspek- »Paradise Lost« takulären Redaktionsalltag. Es ist ein lohnender An- lass, das zeitbedingt konzipierte Programm immer Ich erfuhr, dass es Hörspiele gab, die im eigentlichen wieder im Spiegel oder Kontrast mit der auf der Ton- Sinne des Wortes gar keine Hörspiele mehr waren, spur erhaltenen Vergangenheit kritisch Revue pas- da auf Tonträgern nicht mehr vorhanden, also nur sieren zu lassen. Es ist daher weit mehr als nur eine aus einem Wort bestanden, noch dazu einem ge- Gelegenheit, nostalgische Rückblicke anzustellen. schriebenen, also bereits biblisch, und so leuchtete mir die Schlussfolgerung ein: »Heilige Bücher«. Ich »Fakten, Fakten, Fakten !« hatte verstanden. Die erst vom Oktober 1945 an er- oder »Die heiligen Bücher« haltenen und noch heute in den Räumen der Hör- spielredaktion aufbewahrten »heiligen Bücher« füh- Ja, auch wer ins Paradies möchte, er braucht sie: ren die produzierten Hörspiele nach Sendungen Fakten. Wo finde ich was? Wo fängt alles an? Ein- einzeln auf, anfangs nur mit Bleistifteintragungen fache Fragen, auf die es leider keine ganz einfachen bzw. Farbstift, später Tinte, noch später – und das Antworten gibt. Als ich vor etwa 25 Jahren, noch war vermutlich bereits der reine Luxus – Schreibma- während meines Studiums, als sogenannter freier schine! Darin waren enthalten: die komplette Beset- Lektor in der Hörspielabteilung des NDR willkom- zung, incl. Komparserie, Aufnahmepläne, meist im men geheißen wurde, da tauchte sie bereits auf: die Wochenrhythmus, häufig am unteren Rand noch Frage nach dem Anfang. Die uralte biblische Antwort die Bemerkungen Bandnummer/ Arbeitsplan/erl./ kennen wir: »En arche en o logos!« Am Anfang war Honorar erl. (erledigt). Der später eher schlicht das Wort. Ein Satz, der, wie ich erst später feststel- unter der Bezeichnung Regieassistent fungieren- len konnte, einen tieferen Wahrheitsgehalt aufwies. de und auch so honorierte Helfer einer Produktion Doch ich bekam rasch eine Art elementaren Crash- führte noch die vom Theater übernommene höhere Kurs zur Geschichte der Hörspielabteilung am Ro- Berufsbezeichnung Inspizient. In Hamburg war dies thenbaum, der die Sache recht einfach zu machen kein anderer als der legendäre, in unzähligen Pro- schien. Denn die Chronologie lautete etwa folgen- duktionen aufgeführte Willy Lamster. dermaßen: »Das war noch vor Schwitzke, das war unter Schwitzke, das war nach Schwitzke« – eine an sich einfache Zeitrechnung, die um den renommier- ten »Hörspielpapst« des NDR herum gruppiert war. Der langjährige frühe Leiter der Hörspielredaktion (1951–1971) war zwar schon eine geraume Zeit außer Dienst, aber doch spirituell als Nachfolger des gro- 54 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 55

stücke der »heiligen Bücher« sich allerdings als Do- kumente eines »Paradise Lost« erwiesen, wurde mir rasch schmerzlich klar. Fand sich doch auf beinahe jeder Seite ein handschriftlich durchzogener Strich, später ein nachträglich aufgebrachter eindeutiger Stempelvermerk »Band gelöscht!«. Es waren Ti- tel, die meist eine aufwändige, in Einzelfällen mehr als einhundert Mitwirkende umfassende Besetzung aufwiesen, darunter separate Komparserie, häufig großes Orchester und Musiker. Unter der Regie fin- den sich die Namen von Helmut Käutner, Kurt Reiss, Ludwig Cremer, Otto Kurth und die vielen anderen Namen der in Hamburg, Berlin oder Köln früh beim NWDR tätigen bedeutenden Funk-, Film- oder The- Abb. 1: Willy Lamster beim Bedienen des Klingelkastens. aterregisseure. Die Auflistung der einzelnen Sendeti- Quelle: NDR tel, darunter eine Vielzahl der Werke großer Weltlite- ratur, lassen aus heutiger Sicht kaum Wünsche offen. Es ist anzunehmen, dass auch er für die frühen Ein- Sie erweisen sich allesamt als hörspielkulinarische tragungen in die sogenannten »heiligen Bücher« zu- Verheißungen, die heute leider nicht mehr überprüft ständig gewesen ist. werden können: »Paradise Lost«.

Abb. 3: Programmheft für 1947. Quelle: NDR.

Und so war man bei der Suche nach Titeln auf den noch im redaktionellen vordigitalen Zeitalter ver- schämt neben der sogenannten aktiven Titelkartei aufgestellten kleinen Karteikasten im Format Din A 6 angewiesen. Er hielt neben der alphabetischen Ord- nung der Hörspiele, darunter etwa »Der trojanische Krieg findet nicht statt« (J. Giraudoux), »Nachtflug« (A. Saint Exúpery), »Die Schatzinsel« nach R.L. Ste- venson, »Die heilige Johanna« nach Bernhard Shaw, »Goethes Urfaust« u. v a. vor allem eine definitive und schmerzliche Gewissheit bereit: Diese Titel waren al- Abb. 2: Auszug aus den »heiligen Büchern«: »Der Biberpelz«. lesamt akustisch, also als Tonträger, nicht mehr vor- Quelle: NDR handen. Dem ersten Schock folgten meine sicher als naiv aufgefassten ersten Fragen. Warum? Weshalb? Manche Eintragungen, etwa den Namen des Autors »Ja, das war damals so!« oder »Ja, das Bandmateri- den »Biberpelz« betreffend, also Gerhart Hauptmann, al war damals noch teuer und da musste man eben hielt man anscheinend für entbehrlich. Das waren of- aussortieren.« Es blieben – so kann man heute hin- fenbar damals keine jener Probleme, die heute ver- zufügen – von den sogenannten frühen Zeugnissen mutlich unter dem Stichwort » Pisa« (also Bildung) der Hörspielnachkriegsgeschichte beim NWDR nur gehandelt würden. Man wusste selbstverständlich, ein marginaler Bruchteil der Produktionen erhalten. wovon die Rede war. Dass die spannenden Fund- Darunter etwa Wolfgang Borcherts berühmtes Hör- 54 Forum 55

spiel »Draussen vor der Tür«, unter der Eintragungs- wenig später als Herausgeber früher Hörspieltexte nummer 63 im heiligen Buch festgehalten und von über den Umgang mit der Rundfunkgeschichte an- einem Löschvermerk ausgenommen. Eine Antwort merken sollte: »Doch was jeder der Pioniere (der Vor- auf die Frage, wann denn eigentlich die umfangrei- kriegszeit) erzählt – aus einer Zeit, die nun schon fast che und aus heutiger Sicht so schmerzliche »Archiv- vierzig Jahre zurückliegt –, ist oft zufällig und kann bereinigung« stattgefunden hatte, von wem sie aus- durch Dokumente nicht mehr kritisch überprüft wer- gegangen war, erhielt ich erst später. Der Einblick in den. Was es aber mit der Beständigkeit von Urteilen die vorhandenen Unterlagen der nach fortlaufenden über so viele Jahrzehnte auf sich hat, das ist jedem Bandnummern sortierten Hörspiele ließ an Deutlich- von sich selber bekannt, wenn er über eine entspre- keit nichts zu wünschen übrig. Die Bandlöschungs- chend lange Erfahrung verfügt.« aufträge wurden nicht in der sogenannten frühen Henning Rademacher, Hamburg Hungerzeit des Hörspiels, die ohne Zweifel auch mit Materialknappheit zu kämpfen hatte, in Gang ge- setzt, sondern später, an einem Tag – man könnte Von der Politisierung der Medien es für einen makabren Zufall halten – der traditionell zur Medialisierung des Politischen? mit dem Beginn der närrischen Zeit zusammenfällt, Zum Verhältnis von Medien nämlich dem 11. November 1952. Das fünfseiti- und Politik im 20. Jahrhundert: ge Konvolut, adressiert an: »Bandarchiv«; Absen- Tagungsbericht der: »Von Hörspielleitung« enthält eine umfangrei- che Liste zur Löschung des Hörspielbestandes seit Die Tagung, die vom 18. bis 20. Januar 2007 in Berlin 1945: »Nachstehend geben wir Ihnen (Schallarchiv) stattfand, war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: eine Liste von Hörspielbändern, die seit 1945 pro- Sie wurde von drei im Feld der Mediengeschichte re- duziert sind und nunmehr alle gelöscht werden kön- nommierten Organisationen veranstaltet – der Fach- nen. Da wir in einigen Fällen jedoch nicht sicher sind, gruppe Kommunikationsgeschichte der deutschen ob sie noch existieren oder nicht, bitten wir Sie, alle Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikations- Angaben nochmals zu überprüfen und danach alle wissenschaft (DGPuK), dem Studienkreis Rundfunk noch vorhandenen Bänder dieser Liste zu löschen.« und Geschichte (StRuG) sowie dem Zentrum für Die über 170 Titel, darunter viele Mehrteiler umfas- Zeithistorische Forschung (ZZF). Unterstützt wur- sende Liste ist handschriftlich mit Schwitzke unter- de das sechsköpfige Veranstalterteam mit Klaus zeichnet. Die Antworten des Schallarchivs auf die- Arnold, Christoph Classen, Edgar Lersch, Susan- sen auch logistisch umfangreichen Auftrag – ein ne Kinnebrock, Christoph Rohde und Hans-Ulrich Hörspiel bestand damals aus bis zu 6 einzelnen Wagner zum einen von der DFG, zum anderen aber Bändern – folgten in kurzen Abständen mit der Mel- auch vom Hauptstadtstudio der ARD und von der Ar- dung, was auf der Liste nun noch vorhanden oder beitsgemeinschaft »Die Seeheimer« in der SPD. Den bereits abgearbeitet war: »Alles andere ist bereits beiden letztgenannten waren vor allem die beson- gelöscht.« Über die Umstände bzw. Motive des da- deren Tagungsorte zu verdanken – das Atrium des maligen Hörspielleiters Heinz Schwitzke, der ja ge- Hauptstadtstudios sowie der Europasaal im Paul- rade erst ein Jahr zuvor sein Amt als Hauptabtei- Löbe-Haus. Beide Partner repräsentierten aber lungsleiter Hörspiel und Produktion beim damaligen auch die Pole, um die es auf der Tagung ging, das NWDR angetreten hatte und dessen unbestreitba- Verhältnis von Medien und Politik, wobei die Rolle re spätere Verdienste für die Entwicklung des Nach- der Wissenschaften selber nicht definiert wurde. kriegshörspiels außer Zweifel stehen, kann heute nur gemutmaßt werden. Auch bei anderen Sendern hat Insgesamt stand die Tagung unter stürmischen Vor- es sogenannte im Umfang allerdings nicht vergleich- zeichen: Nicht nur, dass der Sturm Kyrill einigen der bare Archivbereinigungen gegeben. Heinz Schwitz- insgesamt 180 angemeldeten Teilnehmern die An- ke selbst war es ja, der bei der Wiederbeschaffung reise unmöglich machte, zugleich lieferten der Rück- von Tondokumenten und Hörspieltexten, vor allem tritt des bayerischen Ministerpräsidenten sowie die aus der Vorkriegszeit der alten Reichsrundfunkge- Konflikte um seine Nachfolge eine aktuelle Bebilde- sellschaft, Herausragendes geleistet hat. Diese Do- rung des Problemfeldes der Tagung. Joachim Wag- kumente, das »historische Manuskriptarchiv« des ner, stellvertretender Chefredakteur des »Berichts NDR, weisen insgesamt 250 wiederaufgefundene aus Berlin« nahm am 18. Januar abends die »Bild«- Hörspielmanuskripte der Vorkriegszeit auf, darun- Fotos der schwangeren Geliebten Horst Seehofers ter die berühmten Hörspiele von Hans Kasack, Döb- zum Ausgangspunkt seines eröffnenden Vortrags. Er lin, Brecht, Eduard Reinacher, Anna Seghers, Fried- argumentierte, dass die Medien als Verstärker, nicht rich Wolff u.v.a. mehr. Sie werden immer wieder für aber als Erfinder von Skandalen fungierten. Den der- Forschungszwecke, zum Teil auch aus dem Ausland zeitigen Machtzuwachs der Medien sah er vor allem angefordert. Und es war Heinz Schwitzke, der nur durch die starke Konkurrenz bedingt – in Berlin ar- 56 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 57 beiten zirka 3.000 Journalisten. Wagner beschrieb, ten- und Narrativitätsfaktoren in Tageszeitungen. In anekdotisch unterlegt, höchst kritisch das Span- seinem Kommentar zu den Vorträgen dieses Panels nungsverhältnis von Journalisten und Politikern. Er fragte Mergel vor allem, ob nicht der Wahlkampf eine machte einen Generationenwechsel aus und damit Ausnahmesituation darstelle, die eine temporäre Po- einhergehend den Übergang zu einem ideologiefrei- litisierung kennzeichne. Darüber hinaus sei die jewei- en Mainstream-Journalismus. Nach diesem unter- lige Kontextualisierung sehr wichtig. haltsamen Vortrag hatte es die Wissenschaft schwer, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln. Tho- Die dritte Sektion »Rezeption politischer Angebo- mas Mergel (Potsdam/Basel) erfüllte die ihm von der te« stand im Zeichen der empirischen Medienfor- Tagungsleitung gestellte Aufgabe, die Problemfelder schung. Michael Meyen (München) referierte zur zu umreißen und ihnen eine theoretische Rahmung »Nutzung politischer Angebote in den 1950er Jah- zu geben, mit einem präzisen und sehr anregenden ren«. Im Gegensatz zur These, dass die Einführung Beitrag. Auf Niklas Luhmann referierend betonte er, des Fernsehens einen gigantischen Siegeszug in dass Medien wie Politik zwei differente Systeme sei- der Herstellung der demokratischen Öffentlichkeit en, die über Koppelungen miteinander kommunizier- bedeutet habe und im Gegenzug die Einführung ten und sich dadurch veränderten. So sei beispiels- des dualen Systems im Lichte der kulturindustriel- weise die politische Kolonialisierung der Medien ein len These den Sündenfall in Richtung Unterhaltung Kennzeichen von polarisierten Gesellschaften. Un- markiere, interpretierte er die Geschichte des Fern- ter geschichtlicher Perspektive umriss er drei For- sehens als die Geschichte des langsamen Nachge- schungsfelder: 1. Die Entwicklungen der Technolo- bens von Politik und Machern. Alle Studien und Um- gie erzeugen Medialisierungsschübe. 2. Nationale fragen zeigten, dass das Fernsehen das Wissen des Traditionen und Medienerwartungen beeinflussen Publikums nicht verändert habe, und dass die Un- die Mediensysteme. 3. Medienkonsum als sozia- terhaltungserwartung der Nutzer gleich geblieben le Praxis. sei. Gerlinde Frey-Vor (Leipzig) referierte in Vertre- tung von Walter Klingler zur Langzeitstudie Massen- Die beiden ersten Panels der Tagung zur »Medialisie- kommunikation. Als wichtige Eckdaten benannte sie rung der Politik« griffen am 19. Januar solche Überle- eine deutliche generationsspezifische Trennung von gungen von Mergel auf bzw. führten sie weiter. Ulrich Nutzerverhalten – das betreffe nicht nur die Seg- Sarcinelli (Koblenz/Landau) betonte, dass das Phä- mente Information und fiktionale Angebote. Als nomen der Medialisierung der Politik keineswegs et- Faustregel gelte, je jünger desto weniger Infosen- was Neues sei – bereits Thomas Nipperdey habe es dungen werden genutzt. Frank Bösch (Bochum/ für die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben. Giessen) vermisste bei diesen empirischen Arbei- Der Begriff der Medialisierung beschreibe ein Inter- ten eine historische Tiefendimension. Eine Orientie- penetrationsverhältnis, dessen historische Dimensi- rung am Unterhaltungsbedürfnis der Nutzer sei kei- on zu analysieren sei. Adrian Steiner (Zürich) sah in neswegs ein Phänomen der 1950er Jahre, sondern systemtheoretischer Konzeption die Medialisierung eine Begleiterscheinung von allen Medien. Bösch als Ausdruck des gestiegenen Bedürfnisses nach verwies auf Beispiele im Kaiserreich und in der Legitimation von Politik. Eine Autonomiebeschrän- Weimarer Republik. Für das Fernsehen verwies er kung des Systems der Politik bedeute damit einen darauf, dass durch Kontextualisierungen auch ge- Machtzuwachs der Medien und umgekehrt. Otfried genläufige Tendenzen zutage treten, etwa die Po- Jarren (Zürich) verwies in seinem Kommentar, wie litisierung in den 1960er und 1970er Jahren. Auch bereits Mergel am Abend zuvor, auf die spezifisch sei eine Gleichsetzung von Hören/Sehen von Nach- deutsche normative Wissenschaftszunft. An Steiner richtensendungen mit einer Vermehrung von politi- gerichtet, forderte er die stärkere Einbeziehung der schem Wissen unzureichend. Meso-Ebene (Organisation) sowie der historischen Dimension. In der folgenden Sektion »Politisierung der Medi- en und ihre Grenzen« fragten drei Fallstudien da- Drei Vorträge wandten sich anschließend nicht nur nach, ob die Medien durch eine verstärkte Politisie- unterschiedlichen Ländern zu, sie behandelten rung nicht ihre Funktionen verlieren und zwar auch auch verschiedene mediale Situationen – Gabrie- für diejenigen, die als Politiker die Medien zu benut- le Melischek und Josef Seethaler (Wien) über das zen versuchen. Jürgen Wilke (Mainz) stellte in ei- Verhältnis von Politik und Medien in der Wahlkom- nem quellengesättigten Vortrag Reichskanzler von munikation seit 1945; Kristina Wied (Bamberg) über Bülow als einen Kanzler von der »Gnade der öffent- Strategien der Journalisten in Sondersendungen zu lichen Meinung« vor und zeigte die Grenzen der »Me- Bundestagswahlen; Susanne Kinnebrock und He- dialisierung von Politik« auf. Norbert Grube (Zürich) lena Bilandzic (Erfurt) über Boulevardisierung der widmete sich am Beispiel von Peter Neumann, dem politischen Berichterstattung bzw. über Nachrich- Ehemann von Elisabeth Noelle, dem Scheitern der 56 Forum 57

Regierungspropaganda in den 1950er und 1960er als Phänomen der Entpolitisierung. Das von Vowe Jahren. Grube, früher Archivar in Allensbach, be- vorgestellte Projekt müsse stärker auf die Relevanz schrieb die Differenziertheit der propagandistischen seiner Ergebnisse befragt werden und zeige die Be- Organisationen, die versuchten, die Medien in der grenzungen einer quantitativen Analyse. deutsch-deutschen Systemkonkurrenz gezielt zu beeinflussen, was aber letztlich an der Ausdifferen- An der am Abend des 19. Januar wiederum im zierung der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit Hauptstadtstudio stattfindenden hochkarätig be- scheiterte. Jens Lucht (Zürich) öffnete den Blick für setzten Podiumsdiskussion »Information oder Ins- eine europäische Perspektive. Er stellte einen Teil- zenierung? Zum sich wandelnden Verhältnis von Po- bereich des Forschungsbereichs »Öffentlichkeit und litikern und Journalisten in der Mediengesellschaft« Gesellschaft« vor und fragte nach dem Entstehen, nahmen als Diskutanten teil: Tissy Bruns (Leiterin aber auch den Grenzen einer transnationalen Öf- des Parlamentsbüros des »Tagesspiegel« Berlin), fentlichkeit in Europa. Das Projekt gehe dabei nicht Volker Riegger (Geschäftsführender Gesellschafter von einer postulierten europäischen Öffentlichkeit der logos AG für Unternehmenskommunikation und aus, sondern von der Europäisierung nationaler Öf- -beratung München), (Studioleiter/ fentlichkeiten. Thymian Bussemer (Frankfurt an der Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstu- Oder) verwies in seinem Kommentar darauf, dass die dio), sowie Klaus Schütz (Bürgermeister Berlins von Medialisierung der Politik nicht immer mit Demokra- 1967 bis 1977, ehemaliger deutscher Botschafter in tisierung zu tun habe. Israel und von 1981 bis 1987 Intendant der Deut- schen Welle). Die Podiumsteilnehmer diskutierten Das Thema des letzten Panels am Freitagnach- unter der Moderation von Walter Hömberg (Eich- mittag bildete die »Medienpolitik«. Maria Löblich stätt-Ingolstadt) äußerst lebhaft und unterhaltsam, (München) beschäftigte sich mit den Medienkom- mit zahlreichen persönlichen Reminiszenzen zum missionen der 1960er Jahre, der Michel- und der Verhältnis von Medien und Politik, wobei es nicht Günther-Kommission. Sie betonte, dass die Unter- weiter erstaunlich war, dass an den aktuellen Fall von suchung dieser Kommissionen und ihrer Mitglieder- Edmund Stoiber angeknüpft wurde. zusammensetzung einen Beitrag zur Forschung über die Medienpolitik insgesamt liefere. Edzard Schade Im ersten Panel am Samstagvormittag ging es um (Zürich) fragte in einer vergleichenden Analyse der »Das Verhältnis zwischen Journalisten und Poli- Schweiz, Österreichs und Deutschlands nach den tikern«. Frank Bösch und Dominik Geppert expli- Grenzen der Politisierung: »Entpolitisierung durch zierten dieses jeweils in einem deutsch-britischen staatliche Medienpolitik?«. Hierzu operierte er mit Vergleich im Kaiserreich, wobei Geppert die Jour- den Begriffen »Politisierung« und »Entpolitisierung«. nalistenreisen von 1906 und 1907 fokussierte. Lei- Gerhard Vowe (Düsseldorf) stellte das von ihm, Ste- der fiel der Vortrag von Christina von Hodenberg we- phanie Opitz und Kristina Jakubek bearbeitete For- gen des Sturms aus, die von den 1950er und 1960er schungsprojekt zur Geschichte der Medienpolitik in Jahren in der Bundesrepublik berichtet hätte. Frank der Bundesrepublik Deutschland aus Expertensicht Bösch sprach vom Takeoff der Medialisierung zu vor. Mittels Delphi-Befragungen von Experten sollen Beginn des 20. Jahrhunderts, signifikant sei hierfür die als zentral empfundenen medienpolitischen Ent- nicht zuletzt die Skandalisierung von Politik. Mit der scheidungen bzw. »Weichenstellungen« seit 1945 Massenpresse hätte sich eben auch ein neuer Typus identifiziert werden. Durch die Antworten ließen des Journalisten herausgebildet, der bisherige, kon- sich quantifizierbare Aussagen ermitteln. Dies sei sensorientierte Wege verlassen habe. Besonders in- (vorerst) kein Ranking, aber ein Rating von medien- teressant war der Befund, dass die diskutierte Macht politischen Entscheidungen. In seinem Kommentar der Medien um 1900 oft nicht real war, aber die Vor- kennzeichnete Jan Tonnemacher (Berlin) den ersten stellung darüber wirksam war. Geppert (Berlin) schil- Vortrag als historisch-deskriptive Dokumentenana- derte die Journalisten als grenzüberschreitende Ak- lyse, den zweiten als definitorische Annäherung und teure. Auf deutscher Seite sei die Rundreise der den dritten als theoretisch reflektierte, empirische britischen Journalisten als Staatsbesuch organisiert Studie. Zu Löblich merkte er an, dass die Erwartun- worden, in enger Abstimmung mit der Reichskanzlei. gen der Politiker an die Experten in der Regel unrea- Geppert arbeitete die Unterschiede, die Bösch ge- listisch seien, was zu deren etwaiger Nicht-Berufung nannt hatte, noch schärfer heraus. In beiden Län- in Kommissionen habe beigetragen können. An die dern gab es um 1900 eine tektonische Verschiebung Adresse von Schade formulierte Tonnemacher, dass im Verhältnis von Politik und Presse. In Deutschland trotz des Versuchs einer Begriffsklärung bestimm- scheiterte die bürokratische Presselenkung ange- te Setzungen problematisch seien, etwa die Kenn- sichts der Ausdifferenzierung, in England war der zeichnung der Neustrukturierung der ostdeutschen Zugang zur Information über die Herkunft und über Presselandschaft nach dem Ende der SED-Diktatur den »gentleman’s club« geregelt, wobei es durchaus 58 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 59 eine begrenzte Aufstiegsmöglichkeit gab. Jörg Re- schungsprojekt seien im Zeitraum von 1910 bis quate (Bielefeld/Paris) hatte nunmehr die schwierige 1998 die zehn wichtigsten Kommunikationsereignis- Aufgabe, einen Kommentar zu allen drei Vorträgen se pro Jahr untersucht worden. Als Ergebnisse sei- zu geben. Er kritisierte das Manuskript von Christi- en unter anderem eine Komplexitätsreduktion (Ver- na von Hodenberg, das zu normativ argumentiere, ringerung der Zahl der Akteure und der Themen), in dem es die vierte Gewalt der Medien sowohl als eine Differenzsemantik (Historisierung der Gegen- Ideal als auch als Ziel der Besatzungsmächte beto- wart, Politisierung der Geschichte und Ethnisierung ne. Als deutsche Besonderheit wertete er die Her- des Politischen) festgestellt worden. Als prognosti- ausbildung eines Gesinnungsjournalismus. An alle sches Potential sah er den Kontext vom Struktur- drei Papiere knüpfte er folgende Problematisierun- wandel der Öffentlichkeit und der Konfliktdynami- gen: 1. Eine begriffliche Klärung von Medialisierung ken, die Entflechtung medial erschlossener Räume sei noch zu leisten. 2. Die Langfristigkeit von Medi- vom Politischen, eine Personalisierung des Politi- alisierungsprozessen – gibt es auch einen Entme- schen und eine Moralisierung der Ökonomie. Nicht dialisierungsprozess nach den Quantensprüngen? medial etablierte Akteure würden zunehmend Kon- 3. Nicht nur die Systeme Politik und Medien seien flikte verstärken, da sie die Resonanzchancen ver- zu beachten, sondern auch das System Wirtschaft: größerten. Wilfried Scharf (Göttingen) präsentierte Eventuell seien die Medien auch als Teilsysteme zu eine qualitative Inhaltsanalyse der politischen Pres- begreifen. se in Deutschland von 1976 bis 2006 über die Ge- schichtskontroversen. Die Hauptkonfliktlinie verlau- Im letzten Panel der Tagung ging es um »Historische fe über die NS-Vergangenheit. Ed McLuskie (Idaho) Diskurse über und in Medien«. Ute Daniel (Braun- sah als Verbindung der vier Vorträge, dass diese die schweig) gab zunächst einen diskursgeschichtli- Veränderungen in der Öffentlichkeit untersuchten. chen Überblick über die gesellschaftliche Rolle der Dabei legte McLuskie ein im Sinne von Habermas Medien am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr- durchaus normatives Verständnis von Öffentlichkeit hunderts. Die enge Verbindung von Propaganda und und Medien zugrunde. Die von Daniel und vor allem Massengesellschaft wurde in der Regel negativ ge- von Bussemer eingeforderte Historisierung verweise dacht: Auch reformorientierte Interpreten waren vom zugleich auf die Zukunft. Durch die diachrone Ana- Optimismus weit entfernt. Dominant waren Vorstel- lyse könnten für das deutsche Beispiel die Transfor- lungen von der grenzenlosen Manipulierbarkeit der mationsprozesse gezeigt werden, die zugleich auf Massen und ein damit verbundenes ambivalentes die weitere Entwicklung verwiesen. Imhof wiederum Menschenbild. Nach 1918 – auf der Basis der Kriegs- zeige, dass die politischen Kontroversen zugunsten erfahrung – wurde Propaganda einstimmig als ge- von Moralisierung, Personalisierung und Skandali- fährlich bewertet. Die zeitgenössische Diskussion sierung aus den Medien verschwänden. Damit wäre zeigte deutlich, dass die Wirkungsmächtigkeit von zu fragen, ob dadurch, dass die Medien die diskur- Propaganda sehr hoch eingeschätzt wurde. Die Ge- siven Potentiale in der Öffentlichkeit eher verbergen, fahr der Manipulierbarkeit der Massen war Teil der auch die Partizipation und die Öffentlichkeit selbst kulturpessimistischen Diskurse der Nachkriegsjahre. verschwinden. McLuskie öffnete abschließend eine Thymian Bussemer plädierte für eine historisierende neue Perspektive der Tagung, indem er die Frucht- Kontextualisierung von Propaganda als eine zentra- barkeit und Notwendigkeit des Austausches der le Erzählweise des Politischen und versuchte einen amerikanischen und deutschen Wissenschaftsdis- diachronen Überblick. Hierbei unterschied er vier kurse betonte. Phasen, wobei die beiden Kriege Sonderfälle dar- stellten. So zog er den Bogen von der entstehenden Damit aber verwies er implizit auf ein großes Man- Massengesellschaft, in der Propaganda die Antwort ko der Tagung: nämlich die Beschränkung auf das gewesen sei, wie Massen gesteuert werden können, deutsche Beispiel. Bereits bei den Beiträgen von um Demokratisierung zu verhindern, bis zur Jetzt- Geppert und Bösch hatte sich gezeigt, wie frucht- zeit. Heute sei Propaganda nicht länger ein Sonder- bar die komparative Perspektive ist. Auch hatte Tho- fall von Kommunikation. Der Begriff sei ausdifferen- mas Mergel in seinem Einführungsvortrag die Frage ziert worden bis hin zur Werbung. Bussemer fragte, gestellt, inwieweit mit der Dominanz der Frankfur- ob die Propaganda im Mediensystem ihre Ubiquität ter Schule in Westdeutschland nicht auch eine Art durch das Fehlen von traditionellen Sozialisations- »Sonderweg« in der Medienforschung lange Zeit agenturen erhalten habe. Kurt Imhoff (Zürich) ver- vorgeherrscht habe, der vielleicht bis heute nach- suchte, durch das kommunikationswissenschaftli- wirke. Dieser Sonderweg – nämlich ein gewisses che Instrumentarium gesellschaftliche Konflikte zu Misstrauen gegenüber der Medialisierung von Ge- beschreiben. Als neue Konflikte nannte er asym- sellschaft – prägt nicht zuletzt die Wissenschafts- metrische Kriege, »Riots« in urbanen Zentren und diskurse, was besonders in den Beiträgen von Da- das Ansteigen von Mordraten. In dem Züricher For- niel und Bussemer thematisiert wurde. 58 Forum 59

Hatte einer der Organisatoren der Tagung, Christoph Das »Aufbau-Archiv Digital« Classen, in seinen Begrüßungsworten der Hoffnung in der Staatsbibliothek zu Berlin Ausdruck gegeben, dass die Interdisziplinarität der Tagung nicht nur in den unterschiedlichen Diszipli- Jede kulturelle Einrichtung kann sich glücklich nen der Referenten und Teilnehmer ausdrücken wer- schätzen, wenn sie es geschafft hat, die Aufmerk- de sondern als »soziale Praxis« die Tagung prägen samkeit des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz würde, so wurde diese Hoffnung durch das über- und Katastrophenhilfe (BBK) auf sich zu ziehen. Ob- füllte Programm zunichte gemacht. Es gab auf al- wohl das BBK in erster Linie die zentrale Organisati- len Panels kaum Gelegenheit zur Diskussion, in der on für die zivile Sicherheit in Deutschland ist, betreibt über die Fachgrenzen hinaus unterschiedliche Per- es unter anderem ein Programm zum »Schutz von spektiven und Zugänge hätten diskutiert werden Kulturgut bei bewaffneten Konflikten«, bei dem Un- können. So fiel mir, als Historikerin, eher die Diffe- terlagen, die für das historische Erbe Deutschlands renz der Zugänge und Methoden bei den einzelnen von Bedeutung sind, mikroverfilmt werden. Dieser Disziplinen auf, denn der Versuch, diese Differenz Aufgabenbereich führt nicht nur dazu, dass die Mi- zu nutzen. Allenfalls in einigen Kommentaren schie- krofilme im Zentralen Bergungsort der Bundesrepu- nen entsprechende Perspektiven auf. Einige Fragen blik Deutschland, im Barbarastollen bei Oberried im blieben: Die Luhmannsche Systemtheorie war auf Schwarzwald, eingelagert werden, sondern auch dieser Tagung der Referenzrahmen, soweit die Re- dazu, dass im Zuge der Verfilmung außerdem die ferenten sich überhaupt um ein theoretisches Fra- besitzende Institution ein Exemplar des Mikrofilms ming bemühten. Offen blieben dabei Fragen nach erhält – ohne den eigenen Etat mit den Herstellungs- der Implementierung einer Meso-Ebene, also der kosten zu belasten. Frage nach Teilsystemen oder Kopplungen ebenso wie die Frage nach den Akteuren, und zwar nicht nur Einen Schritt weiter konnte jetzt die Staatsbibliothek den Akteuren in den Medien oder in der Politik, son- zu Berlin gehen. Sie präsentierte der Öffentlichkeit dern besonders nach den Nutzern. Die schwierige im November 2006 gleich das gesamte digitalisierte Frage nach der Wirkungsmacht der Medien wurde Archiv des Aufbau-Verlags, dessen Dokumente qua- in der Regel nur angerissen. Der Gedanke von Ute si als Nebenprodukt der Verfilmung durch das BBK Daniel, dass die Vorstellung über die Wirkungsmacht digitalisiert wurden. oft mächtiger ist als die Propaganda selbst, scheint mir für die Forschung fruchtbar zu machen zu sein. Beim Berliner Aufbau-Verlag handelt es sich um Möglicherweise würde der Rekurs auf das Medien- den wohl wichtigsten Verlag für Literatur in der DDR. dispositiv, bzw. überhaupt eine stärkere Einbezie- In seinem Archiv, das die Jahre 1945 bis 1990 um- hung diskursanalytischer Zugänge wie sie Knut Hi- fasst, befinden sich Geschäftsdokumente, Korres- ckethier und andere entwickelt haben, nützlich sein. pondenzen mit in- und ausländischen Autoren, Ma- Wichtig scheinen mir auch die Forderungen von ei- nuskripte und Gutachten mit einem Gesamtumfang nigen Diskutanten wie Bösch und Mergel nach einer von rund 1,2 Millionen Blatt. Zwar enthält dieser Be- Entkoppelung von Medialisierung und Demokratisie- stand zu einem großen Teil reine Verwaltungsunter- rung, da es sich hier um normativ aufgeladene Be- lagen, dennoch ist eine außerordentliche Menge an griffe handele. Auch gilt es, stärker die Kontinuitä- Materialien enthalten, die neben ihrer Bedeutung für ten denn die Quantensprünge in der Geschichte der die Literaturwissenschaft auch zahlreiche gesell- Medialisierung zu diskutieren. Diese kritischen An- schaftliche und politische Bezüge aufweisen kön- merkungen schmälern jedoch nicht den immensen nen. Bis 1990 erschienen im Aufbau-Verlag rund Gewinn der Tagung, die zum einen Erkenntnisgewin- 4.500 Buchtitel, neben der zeitgenössischen Litera- ne wie Grenzen unterschiedlicher Zugänge deutlich tur der DDR auch deutsche Klassiker, sowie zahlrei- machte, aber auch zeigte, welchen grundsätzlichen che Werke der Weltliteratur. Nutzen eine geschichtliche Perspektive auf die Me- dien haben kann. Diese wichtige Rolle, die der Aufbau-Verlag im (ost-) Inge Marszolek (Bremen) deutschen Kulturleben spielte, war für das BBK aus- mit Unterstützung von schlaggebend, die Verlagsunterlagen zu »Archivgut Janina Fuge und von besonderer Aussagekraft über die Kultur und die Christoph Hilgert (Hamburg) Geschichte des deutschen Volkes« zu erklären, üb- rigens als erstes Verlagsarchiv in Deutschland über- haupt. Diese Entscheidung ist dadurch nachvoll- ziehbar, dass diese Kriterien für das BBK auch für Archivalien gelten, »denen zunächst nichts exzeptio- nelles anhaftet, die aber im historischen Zusammen- hang wichtige politische, soziale, wirtschaftliche und 60 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 61 kulturelle Entwicklungen und Zustände unseres Vol- Handelt es sich also bei der Digitalisierung des Auf- kes zu dokumentieren vermögen«. bau-Verlags um ein Unternehmen, von dem alle Sei- ten profitieren können? Der Verlag und die Bibliothek, Das Archiv des Aufbau-Verlags selbst wurde Ende weil die Originale nun im klimatisierten Magazin ver- der 90er Jahre vom neuen Eigentümer Bernd F. Lun- bleiben können; der Bund, weil Kulturgut geschützt kewitz der Staatsbibliothek zu Berlin als Depositum wird und die Wissenschaft, weil die Benutzung der übergeben. Dort konnte es seit dem Jahr 2000 in Materialien erleichtert wird? der Handschriftenabteilung eingesehen und wis- senschaftlich genutzt werden. Konservatorisch ge- Obwohl das Projekt grundsätzlich zu loben und zu sehen, ist das Archiv in keinem guten Zustand: Das begrüßen ist, seien an dieser Stelle einige kritische nach 1945 benutzte Papier ist zu großem Teil von Bemerkungen erlaubt: schlechter Qualität und säurehaltig. Dass die Archivalien des digitalen Aufbau-Archivs aus urheberrechtlichen Gründen und um Persön- Im Jahr 2004 wurde damit begonnen, das Verlags- lichkeitsrechte zu wahren, nicht allgemein zugäng- archiv mit Hilfe eines Durchlauf-Scanners zu digi- lich ins Internet gestellt werden können, steht außer talisieren. Von diesen farbigen Digitalisaten aus- Frage und ist selbstverständlich nachvollziehbar. gehend, wurden dann Mikrofilme hergestellt. Aus Warum dies aber weder für das bereits zu DDR-Zei- konservatorischer Sicht ist dieser Schritt sinnvoll, ten in Papierform erstellte Findbuch noch für den denn im Gegensatz zu den elektronischen Daten- neu erstellten Personenindex gilt, bleibt unklar. Der trägern wird dem Mikrofilm eine Lebensdauer von Benutzer muss am Terminal schließlich auch zuerst mindestens 500 Jahren zugebilligt, eine Zeitspanne, nach den Personen recherchieren, um dann die di- von der bei der digitalen Speicherung nur geträumt gitalisierten Mappen am Bildschirm durchblättern zu werden kann. Für das BBK ist bei der Trägeraus- können. Die Effektivität der Nutzung eines Archivs wahl außerdem entscheidend, dass das Betrachten dieser Größenordnung steht und fällt mit den Hilfs- der Filme weitgehend unabhängig von zeitbeding- mitteln, die dem Wissenschaftler zur Hand gegeben ter Technik erfolgen kann: Licht und Lupe statt spe- werden – auch online, damit er einschätzen kann, zieller Software. ob sich für ihn der Weg in die Handschriftenabtei- lung der Berliner Staatsbibliothek überhaupt lohnt. Während die Sicherungsfilme vom BBK eingela- Hier erreicht das digitale Aufbau-Verlagsarchiv lei- gert wurden, verblieben der Staatsbibliothek neben der nicht die Qualität, die wir sonst von den Nachläs- den Originalen die Digitalisate sowie Kopien der Mi- sen und Autographen der Staatsbibliothek zu Berlin krofilme zur weiteren Verwendung. Das digitalisier- gewohnt sind, die über die Online-Datenbank »Kal- te Aufbau-Archiv umfasst die Datenmenge von 400 liope« recherchierbar sind. Gigabyte in stark komprimierten Bilddateien. Finan- ziert wurde das 240.000 Euro teure Gesamtprojekt Nachdem nun durch die Verfilmung und Digitalisie- vom Bund. rung die Inhalte des Verlagsarchivs gesichert sind, bleibt die Frage offen, inwiefern die Originale selbst Wenn nun dieses Quellenmaterial in digitalisier- konservatorisch behandelt werden, beispielsweise ter Form über ein spezielles Terminal in der Hand- durch Einzelblattentsäuerung. Die nun als »Archiv- schriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek gut von besonderer Aussagekraft« zertifizierten Ver- zugänglich ist, so wird es für die Wissenschaft ein- lagsunterlagen sollen doch schließlich wohl auch in facher werden, Zugang zu wichtigen literarischen Papierform erhalten bleiben? Manuskripten und Korrespondenzen zu erhalten. Schließlich stellt sich die Frage, was mit den Tei- Zu den bekanntesten frühen Autoren des Verlags len des Archivs geschehen wird, die nicht digitali- gehörten Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Lion siert wurden: Darunter fällt vor allem das Pressear- Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann, Anna chiv, das aus 700 Ordnern mit 100.000 Blatt besteht. Seghers und Arnold Zweig. In späteren Jahren Es existiert wohl keine vergleichbare Zeitungsaus- veröffentlichten auch Kurt Bartsch, Günter Kune- schnittsammlung, in der anhand der Rezensionen rt und Reiner Kunze im Aufbau-Verlag. Die Archi- die Wirkung der verlegten Bücher und damit ein valien ermöglichen aufschlussreiche Recherchen wichtiger Teil der DDR-Literaturgeschichte in die- zum Verlagswesen und zum Literaturbetrieb in der sem Umfang dokumentiert werden. DDR und können tiefen Einblick in die Wechselwir- kungen von Kultur und Politik geben. Dabei finden Nicht zuletzt existieren noch die Personalakten der sich nicht nur Materialien zu ostdeutschen Schrift- Mitarbeiter. Hierbei handelt es sich um Archivali- stellern, sondern genauso zu deren Westkollegen, en, die nach Ablauf der üblichen Sperrfristen das von denen nicht wenige im Aufbau-Verlag veröf- besondere Interesse der Historiker auf sich ziehen fentlichten. könnten. 60 Forum 61

Für die dauerhafte Konservierung dieser Archivteile zum wichtigen Kompensationsorgan wird dabei die ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Ka- – wissenschaftliche, konservatorische, museale – Er- tastrophenhilfe natürlich nicht zuständig. Hier wird innerungskultur.«3 das Engagement des Eigentümers und der besit- zenden Institution gefragt sein. Und daran wird sich Seit den frühen Forderungen sind diverse Presse- wohl auch zeigen, ob diese Archivalien in einer Bibli- museen gegründet worden, die teilweise nur kur- othek wirklich sinnvoll aufgehoben sind. ze Zeit existiert haben.4 Wie ist die aktuelle Situa- Andreas Kozlik, Marbach am Neckar tion? Und wie steht es hier um die »neuen« Medien, die in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten in immer kürzerer Folge auf die Welt gekommen sind? Die Gegenwart der Vergangenheit. Foto, Film, Schallplatte, Radio, Fernsehen, MC, CD, Kommunikations- und Medienmuseen Computer – haben sie auch schon ihre musealen Er- in Deutschland1 innerungsorte gefunden? Gibt es inzwischen auch Museen für die Gesamtheit der Medien, gibt es »Die Zeitung: heute aktuell, morgen Wurstpapier, in »Kommunikationsmuseen«? Diesen Fragen will un- zwanzig Jahren Kulturgeschichte« (Paul Fechter) ser Beitrag nachgehen.

Einleitung Forschungskontext, Fragestellung, Vorgehen

Zeitungen und Zeitschriften sind – wie alle aktuel- Die Idee für ein »Kommunikationsmuseum« ha- len Medien – Durchlauferhitzer der Zeit. Je schnel- ben 1986 Petra Schuck-Wersig und Gernot Wer- ler und häufiger sie erscheinen, umso rascher ver- sig schriftlich formuliert. Die Autoren stellten fest, alten sie. Das ist mit ein Grund, weshalb sie seltener dass es ein solches Museum zur damaligen Zeit in gesammelt, archiviert und in eigenen Einrichtungen Deutschland nicht gab. Lediglich einige Spezialmu- präsentiert werden als ihre älteren und renommier- seen, die sich mit bestimmten Medien beschäftigen teren Geschwister, die Bücher. (z. B. das Filmmuseum in Frankfurt am Main), konn- ten sie ermitteln. Sie sahen hier eine Marktlücke und Angesichts der vielen Bibliotheken und Buchmuse- forderten deshalb ein ganzheitlich auf Kommuni- en forderte der Straßburger Historiker Martin Spahn kation ausgerichtetes Museum. Ein solches Haus schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein müsse »beim Kommunikationsalltag ansetzen, die- »Reichspressemuseum«. Sein Appell wurde bald er- sen darstellen, ihn in seinen verschiedenen kommu- weitert auf ein »Weltpressemuseum« – eine Forde- nikativen Bedingtheiten erkennbar machen«. Dabei rung der sich der Münchner Zeitungswissenschaft- seien solche Fragen zu beantworten: »Wie entsteht ler Karl d’Ester, selbst ein ambitionierter Sammler, in Kommunikation, welche Interessen stecken hinter diversen Publikationen anschloss. »Aus meinen Er- fahrungen bei mehreren Presseausstellungen kann ich feststellen, dass ein solches modern aufgezo- 1 Dieser Artikel ist ebenfalls erschienen in: Communicatio socialis, genes Museum für die Presse durchaus publikums- Jahrgang 39, Heft 1, Mainz 2006, S. 30–46. Überarbeitete und erweiter- wirksam sein kann. Es soll, wie zahlreiche Ausstel- te Fassung eines Aufsatzes aus dem Sammelband »Alte Medien – neue lungen bewiesen haben, Einblick in ihre Geschichte, Medien.« Hrsg. von Klaus Arnold und Christoph Neuberger, Wiesbaden 2005. Organisation und Technik sowie in ihre Arbeitswei- se und ihre gewaltige Bedeutung für alle Gebie- 2 Karl d’Ester: Der Traum eines Lebens. Ein deutsches Institut für in- ternationale Presseforschung und ein Weltpressemuseum. Ein Beitrag te des öffentlichen und privaten Lebens geben.«2 zur Geschichte der internationalen Zeitungswissenschaft, Ingolstadt Die Presseausstellungen, die sporadisch, nicht zu- 1957. Karl d’Ester war leitend beteiligt bei Konzeption und Realisierung letzt bei Zeitungsjubiläen, veranstaltet wurden, soll- der Internationalen Presse-Ausstellung »Pressa«, die 1928 in Köln auf ten also systematisch erweitert und dauerhaft prä- Anregung des Oberbürgermeisters Konrad Adenauer unter Mitwirkung von 43 Ländern durchgeführt wurde. Zur »Pressa« ist ein voluminöser sentiert werden. Katalog erschienen. Freunde fröhlicher Wissenschaft seien auf den au- tobiographischen Schelmenroman von Albert Vigoleis Thelen verwie- Wie lassen sich die vielen Museumsneugründun- sen, in dem er über seine Erfahrungen und Beobachtungen bei dieser gen und die wachsenden Besucherströme in den Ausstellung berichtet (Die Insel des zweiten Gesichts. Aus den ange- wandten Erinnerungen des Vigoleis, 8. Auflage, Düsseldorf, Köln 1953, letzten Jahrzehnten erklären? Der Philosoph Odo S. 345–347). Marquard hat darauf hingewiesen, dass die »mo- 3 Odo Marquard: »Ausrangieren und Bewahren.« In: Die politische derne Welt des Fortschritts und des Ausrangierens Meinung, 42. Jahrgang, Heft 333, St. Augustin 1997, S. 82–84, Zitat [...] zugleich auch Bewahrungs- und Erinnerungs- S. 83. welt« ist. »Sie entwickelt – kompensatorisch zum 4 Vgl. Ernst Meier: Ein deutsches Zeitungsmuseum? In: Publizistik, 8. Jahrgang, Heft 5, Bonn 1963, S. 521–530 und Jürgen Wilke: Zeitung fortschreitenden Ausrangieren – kontinuitätsschüt- und Museum. In: Buchhandelsgeschichte, Heft 4, Frankfurt am Main zende Kräfte, die das Ausrangierte bewahren, und 1989, S. 145–148. 62 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 63 ihr, wodurch wird sie eingeengt und erweitert, wel- mersemester 2004 beheben. Ziel dabei war es, zu- che Wirkungen hat sie?« Oder konkreter: »Wie funk- nächst ein Bestandsverzeichnis aller deutschen Mu- tioniert Fernsehen, wie kommt eine Sendung zustan- seen zu erstellen, die ausschließlich oder zumindest de, wie werden Programme gemacht, wie werden schwerpunktmäßig Kommunikationsobjekte allge- sie nachfolgend vermarktet, was sind das für Leu- mein oder bestimmte (Massen-)Medien sammeln te, wo kommen die Vorbilder her?«5 Der Besucher und präsentieren. Ausgehend von der Bestandsliste eines solchen Museums solle die Vielfalt des Phä- sollten die Angebote, die Konzeptionen und die Nut- nomens »Kommunikation« jedoch nicht nur bestau- zung der Museen genauer untersucht werden. Dies nen, sondern bei diversen Kommunikationsangebo- geschah in erster Linie mit Hilfe einer schriftlichen ten mitmachen und unter fachlicher Anleitung lernen Befragung der Museumsleiter, die eine hohe Rück- können. Als Ideal schwebte den Autoren ein dyna- laufquote erreichte (mit 43 von 53 ermittelten Insti- misches, interaktives Museum im Sinne einer Be- tutionen antworteten 81,1 Prozent). Sie wurde durch gegnungsstätte vor, ein »ganz und gar universaler Leitfadeninterviews mit den Direktoren ausgewähl- Kommunikationsraum [...], in dem sich Video- und ter Museen und eine exemplarische mündliche Be- Mikrocomputer-Clubs ebenso treffen können wie fragung von Besuchern ergänzt und präzisiert.8 Im Arbeitsgruppen zur oralen Geschichte […] oder Folgenden sollen einige zentrale Ergebnisse vorge- Briefmarkenfreunde, die sich Gedanken machen stellt werden. über den kulturellen Zusammenhang, in dem Brief- 6 marken stehen«. Ergebnisse

Knapp zwanzig Jahre später zeigt sich in der deut- Angebot an Kommunikations- schen Museumslandschaft ein ganz anderes Bild. und Medienmuseen Allein die »Museumsstiftung Post und Telekommu- nikation« betreibt – von der Deutschen Post und der Insgesamt konnten 53 Museen in Deutschland er- Deutschen Telekom mit zwölf Millionen Euro pro Jahr mittelt werden, die sich in Dauerausstellung und finanziert – vier Häuser in Berlin, Frankfurt am Main, Sammlung auf Kommunikation allgemein oder auf Hamburg und Nürnberg. Jedes nennt sich aus- spezielle (Massen-)Medien konzentrieren. Entspre- drücklich Museum für Kommunikation und kommt in chend der Sammlungs- und Themenschwerpunk- Anspruch und Konzeption den oben beschriebenen te sowie der Museumsbezeichnung lassen sich die Überlegungen recht nahe. Darüber hinaus haben in Museen in elf Gruppen einteilen, die jeweils einen den vergangenen Jahren weitere Museen geöffnet, unterschiedlichen Anteil an der Grundgesamtheit die bestimmte Kommunikationsmedien in den Mit- ausmachen (Abbildung 1). telpunkt stellen. Diese können meist zahlreiche Ori- 7 Allgemeine ginalobjekte präsentieren und auf diese Weise den 2 Computermuseen Kommunikations- und Medienmuseen historischen Werdegang eines Mediums anschau- 8 (Rund-) Funk- und Radiomuseen lich nachzeichnen. So zum Beispiel das als »größtes Computermuseum der Welt« angepriesene Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn oder zuletzt 3 Tonträgermuseen das im Jahr 2004 eröffnete Deutsche Zeitungsmu- 11 Papier- und seum in Wadgassen (Saarland), dessen Qualität al- 1 Telefonmuseum Druckmuseen lerdings sehr umstritten ist.7 Die Zeitung steht dar-

über hinaus auch im Gutenberg-Museum Mainz im 7 Filmmuseen Mittelpunkt. Anlässlich des 400. Geburtsjahres des Mediums präsentierte der Pressehistoriker Martin 5 Buchmuseen Welke im Juli 2005 dort seine Sonderausstellung 6 Fotomuseen 2 Zeitungsmuseen »Schwarz auf weiß. 400 Jahre Zeitung – ein Medium 1 Schreibmaschinenmuseum macht Geschichte«, aus der eine ständige Abteilung Abb. 1: Verteilung der Grundgesamtheit nach Museumsarten des Gutenberg-Museums werden soll.

Schon diese Beispiele weisen darauf hin, dass »Me- 5 Petra Schuck-Wersig; Gernot Wersig: Die Lust am Schauen oder dien und Kommunikation« durchaus ein beachte- Müssen Museen langweilig sein. Plädoyer für eine neue Sehkultur, Ber- tes Thema für Museen und Ausstellungen gewor- lin 1986. Zitat S. 151. den sind. Systematische Bestandsaufnahmen für 6 Ebd. S. 155. dieses Gebiet oder gar ein »Museumsführer Me- 7 Vgl. Wilfried Voigt: Ausbootung des Sachverstandes. In: Message, dien und Kommunikation« liegen jedoch nicht vor. Heft 2, Stuttgart 2005, S. 72–74. 8 Vgl. Manuel Bödiker: Kommunikations- und Medienmuseen in Eine Diplomarbeit an der Katholischen Universität Deutschland. Angebot – Konzeptionen – Nutzung, Eichstätt 2004, Di- Eichstätt-Ingolstadt wollte diesen Mangel im Som- plomarbeit Universität Eichstätt. 62 Forum 63

Museumsarten: (1): Allgemeines Kommunikations- und Medienmuseum (2): Papier- und Druckmuseum (3): Buchmuseum (4): Zeitungsmuseum (5): Schreibmaschinenmuseum (6). Fotomuseum (7): Filmmuseum (8): Telefonmuseum (9): Museum für Tonträger und Tonabspielgeräte (10): (Rund-)Funk- oder Radiomuseum (11): Computermuseum

1: Allgemeine Kommunikations- und Medienmuseen 2: Papier- und Druckmuseen 3: Buchmuseen 4: Zeitungsmuseen 5: Schreibmaschinenmuseen 6: Fotomuseen 7: Filmmuseen 8: Telefonmuseen 9: Museen für Tonträger und Tonabspielgeräte 10: (Rund-)Funkmuseen 11: Computermuseen

Abb. 2: Regionale Verteilung der Kommunikations- und Medienmuseen (Museumsart in Klammern)

Den größten Anteil an der Grundgesamtheit machen wird das Museum für Druckkunst, um das es hier die Papier- und Druckmuseen aus. Aus dieser Grup- geht, u.a. zu einem Ort der Quellenforschung mit der pe konnten insgesamt elf Museen ermittelt werden, Absicht, die Urformen und unverzichtbaren Maßstä- die mit den Kriterien der Studie übereinstimmten.9 be nicht zu verlieren. Dies um so mehr, angesichts Das entspricht einem Anteil von 20,7 Prozent. Wei- der zunehmenden Dominanz von Bits und Bytes, tere Museumsarten, die überdurchschnittlich häu- von Mac und Mouse sowie eines zunehmenden An- fig vorkommen, sind Rundfunk- bzw. Radiomuseen, alphabetismus, der zugleich einen Verlust von Lese- Filmmuseen und Fotomuseen. und Schriftkultur darstellt.«10

Warum sind ausgerechnet Papier- und Druckmuse- Regionale Verteilung en so weit verbreitet? Für die relativ hohe Anzahl las- sen sich mehrere Gründe anführen: Zum einen wer- Die Museen verteilen sich relativ gleichmäßig über den alte Druckmaschinen aufgrund ihres materiellen das Bundesgebiet (Abbildung 2). Tendenziell ist die Werts und ihrer robusten Bauweise selten wegge- Anzahl im Süden Deutschlands etwas höher. Dies worfen oder verschrottet. Es ist somit davon auszu- gilt aber generell für alle Museumsarten und stellt gehen, dass viele dieser Geräte heute noch erhalten im Falle der untersuchten Museen keine Besonder- sind. Warum aber muss den Maschinen in so vielen heit dar.11 Einzelne »Ballungsgebiete« von Kommu- Fällen ein Museum gewidmet werden? Im Sinne der nikations- und Medienmuseen können nicht festge- Antworten der Museumsleiter in den Fragebögen lässt sich erwidern, dass die vielen Druck- und Pa- piermuseen gerade im Zeitalter der Digitalisierung

notwendig geworden seien. Die Museumsleiter se- 9 Die Zahl der Einrichtungen, die sich selbst als Druckmuseen be- hen sie häufig als Sachzeugen der Schriftkultur und zeichnen, liegt deutlich höher. Viele sind aber nur auf Anfrage zu be- wollen damit einen bewussten Kontrapunkt zur vir- sichtigen oder stellen streng genommen kein Museum, sondern eine tuellen Gegenwart setzen und einem angeblich zu- Schauwerkstatt dar. Die in der Untersuchung berücksichtigten Einrich- tungen mussten folgende Merkmale erfüllen: 1) Vorhandensein einer nehmenden Analphabetismus entgegenwirken. Die- Sammlung materieller Gegenstände; 2) öffentliche Zugänglichkeit; 3) ses Anliegen wird in einer Publikation des Museums feste Öffnungszeiten; 4) zeitliche und örtliche Dauerhaftigkeit; 5) Ge- für Druckkunst in Leipzig besonders deutlich: meinnützigkeit. »Die digitale Welt hat alles, was sie von der analogen 10 Gesellschaft zur Förderung des Druckkunst Leipzig e.V.: Das Mu- adaptiert oder an sich gerissen hat, für viele Men- seum für Druckkunst Leipzig, Leipzig 2002, S. 13. 11 Vgl. Institut für Museumskunde: Statistische Gesamterhebung an schen kaum sichtbar, in den Augen der Sehenden den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2003, Ber- aber in oft umso gravierender Weise manipuliert. So lin 2004, S. 24f. 64 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 65 stellt werden. Auffällig ist, dass die Museen eher in bestimmende Gruppe. Interessenverbände oder Kleinstädten angesiedelt sind als in Großstädten.12 Vereine wirkten in knapp einem Drittel der Fälle bei Das Bundesland mit den meisten Kommunikati- der Museumsgründung mit. Dagegen spielten Wirt- ons- und Medienmuseen ist Nordrhein-Westfalen. schaftsunternehmen oder politische Institutionen je- Hier konnten zwölf Einrichtungen ermittelt werden, weils nur bei jeder fünften bzw. jeder vierten Muse- was 22,6 Prozent der Grundgesamtheit entspricht. umsgründung eine tragende Rolle. Ergänzen lassen An zweiter Stelle folgt Bayern mit elf Einrichtungen sich in diesem Zusammenhang die Antworten zur (20,8 Prozent). Frage nach dem Rechtsträger des Museums. Da- bei wurde ermittelt, dass elf der Museen – und da- Gründungszeitpunkt und Gründungsinitiatoren mit die meisten – in Form eines Vereins geführt wer- den (25,6 Prozent). Als zweithäufigster Rechtsträger Rund drei Viertel der befragten Museen sind in ih- werden Privatpersonen genannt. Dies war bei acht rer heutigen Form erst nach 1990 gegründet worden. Antworten der Fall, was einem Fünftel der Museen Insgesamt zwölf Mal und damit am häufigsten wur- entspricht. de ein Jahr zwischen 1995 und 1999 als Gründungs- datum genannt (Tabelle 1). Nur zwei der befragten Anliegen der Museen Einrichtungen gab es in ihrer heutigen Form schon vor 1970. Allerdings gehen 14 der untersuchten Mu- Mit Hilfe der postalischen Befragung sollte außer- seen auf ein Vorgängermuseum zurück. Die frühes- dem geklärt werden, welches allgemeine Anlie- te Einrichtung, die in den Antworten genannt wird gen die Museen verfolgen. Als Grundfunktionen ei- und den Kommunikations- und Medienmuseen zu- nes Museums werden in der Fachliteratur vor allem geordnet werden kann, ist das 1898 in Berlin eröffne- Sammeln, Bewahren, Forschen, Präsentieren und te Postmuseum, die Vorgängerinstitution des heuti- Vermitteln genannt.14 Geprüft werden sollte, ob die- gen Museums für Kommunikation in Berlin. se Funktionen von den Museen gleichberechtigt wahrgenommen werden oder ob Präferenzen be- Jahr der Museumsgründung Anzahl Prozent stehen. Dabei zeigt sich, dass den Funktionen Ver- mitteln und Bewahren die größte Bedeutung zuge- 2000–2004 9 20,9 sprochen wird (Tabelle 2). Überraschend ist dieses 1995–1999 12 27,9 Ergebnis nicht, denn in museumswissenschaftli- 1990–1994 11 25,6 chen Arbeiten wird immer wieder darauf hingewie- 1985–1989 3 7,0 sen, dass die Vermittlungsfunktion seit Beginn der 1980–1984 3 7,0 sechziger Jahre im Mittelpunkt der Museumsarbeit 1975–1979 2 4,7 steht und dass das Interesse dabei aktuell mehr und 1970–1974 1 2,3 mehr der Unterhaltung des Besuchers als der Wis- Vor 1970 2 4,7 sensvermittlung gilt (vgl. Bäumler 2004). Auffällig Gesamt 43 100,0 ist, dass bei den offenen Fragen nicht ein einziger Tabelle 1: Jahr der Museumsgründung Museumsvertreter die Forschungsfunktion in den Mittelpunkt stellte. Eine derartige Einstellung kann Die Daten legen die Folgerung nahe, dass die meis- allerdings bei Museen in Deutschland allgemein be- ten Museen in Reaktion auf die zunehmende Medi- alisierung der Gesellschaft seit Mitte der achtziger Jahre gegründet worden sind. Dies lässt sich aller- dings nicht zweifellos beweisen, weil für den unter- suchten Museumstyp keine Vergleichsdaten aus frü- 12 Dies mag daran liegen, dass die kommunikationsrelevanten The- heren Jahren herangezogen werden können. Rein men in Großstädten meist in umfassende Museen integriert sind. In theoretisch wäre es möglich, dass vor 1980 mehr München z.B. konnte – obwohl die Stadt eine außerordentlich hohe Mu- seumsdichte aufweist – kein Museum ermittelt werden, welches aus- entsprechende Museen existiert hätten, dann aber drücklich auf Kommunikation oder ein bestimmtes (Massen-)Medium ein Großteil dieser Einrichtungen wieder geschlos- spezialisiert ist und somit den Kriterien der Untersuchung entsprochen sen wurde. Allgemein ist jedoch nachgewiesen, hätte. Das Deutsche Museum widmet allerdings einzelne Abteilungen dass in den achtziger Jahren ein Gründungsboom ausdrücklich kommunikationsrelevanten Themen; so zum Beispiel die 13 Abteilung »Drucktechnik« oder die Abteilung »Telekommunikation«. bei Museen aller Art einsetzte. Sollte dies auch 13 Vgl. Hans-Joachim Klein: Der gläserne Besucher. Publikumsstruk- für Kommunikations- und Medienmuseen zutreffen, turen einer Museumslandschaft. Unter Mitarbeit von Anneliese Alma- wäre es somit kein singuläres Phänomen. san, Berlin 1990. S. 30ff und Wolfgang Zacharias (Hg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruk- Auf wessen Initiative geht die Gründung der einzel- tion der Erinnerung, Essen 1990. 14 Vgl. Friedrich Waidacher: Handbuch der Allgemeinen Museologie. nen Museen zurück? 19 Museen (44,2 Prozent) nen- 3. Auflage, Wien, Köln, Weimar 1999 und Katharina Flügel: Einführung nen Sammler als Initiatoren. Diese waren somit die in die Museologie, Darmstadt 2005. 64 Forum 65

obachtet werden und wird auch in museumswissen- uns gedacht haben, was wir geschrieben haben, also den gan- schaftlicher Literatur kritisiert.15 zen Wust an Daten, mit auf den Weg nehmen.«

Anliegen der Initiatoren Anzahl Prozent Prozent der Solche Aussagen erinnern stark an einen Vermitt- der Fälle Antworten lungsstil, der von den Massenmedien geprägt wur- Sammeln 4 9,3 8,0 de und gemeinhin als »Infotainment« bezeichnet Bewahren 14 32,6 28,0 wird. In wie vielen der untersuchten Museen ein sol- Forschen 0 0,0 0,0 cher Stil angestrebt oder umgesetzt wird, kann an- Präsentieren, Dokumentieren 11 25,6 22,0 hand der Antworten im Fragebogen jedoch nicht ge- Vermitteln 15 34,9 30,0 klärt werden. Sonstiges 4 9,3 8,0 Keine Angaben 2 4,7 4,0 Schwerpunkte bei der Darstellung Antworten insgesamt 49 116,3 100,0 von Kommunikation und Medien Fälle insgesamt 43 100,0 Tabelle 2: Anliegen/Aufgabe des Museums Allgemein zeigen die Ergebnisse der Erhebung, dass die Museen in erster Linie die technischen Apparate Zunächst müsste allerdings genau definiert wer- und Geräte zur Informationsvermittlung – also Kom- den, welche Tätigkeiten als »Forschung« bezeich- munikationskanäle – sammeln und präsentieren. net werden können. Darauf weist Andreas Stolte, Unter Bezugnahme auf einen von Kubicek/Schmid/ Pressesprecher des Heinz Nixdorf MuseumsFo- Wagner16 geprägten Begriff kann behauptet werden, rums Paderborn im Interview hin, bevor er die For- dass sich die Museen vor allem den »Medien erster schungsarbeit im eigenen Museum umschreibt: Ordnung« widmen, also der inhaltsleeren Kommuni- »Man muss sich da zunächst einmal fragen: Wo be- kationsinfrastruktur. »Medien zweiter Ordnung« – da- ginnt die Forschung? Gehören schon Recherchen von ist die Rede, wenn Kommunikatoren und Institu- für die Dauerausstellung oder auch für Sonderaus- tionen am Werk sind und inhaltliche Medienprodukte stellungen dazu? Wenn man Inhalte und Exponate herstellen, die Medien erster Ordnung also zur pro- zusammenträgt, ist das Forschung? Ich möchte das fessionellen Verbreitung von Botschaften nutzen17 hier nicht beurteilen. In der Praxis sieht es so aus, – spielen eine untergeordnete Rolle in den Muse- dass wir in unserem Museum vier Wissenschaftler en. Deutlich wurde dies besonders in den Antwor- haben, die sich vor allem um die Sachinformationen ten auf die offen gestellte Frage nach dem Schwer- in der Ausstellung kümmern, also erläuternde Texte punkt von Sammlung und Dauerausstellung. In 44,2 zu den Exponaten entwerfen und auf dem aktuellen Prozent der Fälle wurden hier ausschließlich Objek- Stand halten. Die müssen sich dafür natürlich mit In- te genannt, die sich dem Bereich der Medien erster halten auseinandersetzen und betreiben in Ansät- Ordnung zuteilen lassen (Druckmaschinen, Kame- zen Forschung. Mit der Forschungsarbeit einer Uni- ras, Radiogeräte etc.). Nur 16,3 Prozent der Befrag- versität lässt sich das allerdings nicht vergleichen.« ten nannten Objekte, die – im Sinne von inhaltlichen Auch wenn dieser Aspekt bei der schriftlichen Um- Medienprodukten – eindeutig in den Bereich der se- frage nicht ausdrücklich thematisiert wurde: Die kundären Medien gehören (z. B. Zeitungsexempla- Aussagen in den Leitfadeninterviews mit den Muse- re, Filme, das Werk eines bestimmten Publizisten). umsdirektoren deuten darauf hin, dass auf die Un- Rund ein Drittel nannte Sammlungsobjekte aus bei- terhaltung des Besuchers heutzutage großer Wert den Bereichen. gelegt wird. Am deutlichsten äußert dies Joachim Kallinich, Direktor des Museums für Kommunikati- Bei den in der Dauerausstellung thematisierten Epo- on Berlin: chen dominiert eindeutig das 20. Jahrhundert. So- wohl die Zeit von 1900 bis zum Ende des Zweiten »Mir genügt es, wenn die Leute einen schönen Aufenthalt gehabt Weltkriegs als auch die Jahre von 1945 bis 1999 haben, einen Augenschmaus gehabt haben, sich erfreut haben, werden von jeweils mehr als 90 Prozent der Mu- egal ob das nun einzelne Objekte waren, das ganze Ambiente mit der prächtigen Architektur oder Sonstiges. Ich gehe ja nicht ins Museum nur aus einem Bildungsinteresse – auch wenn das immer wieder vorgegeben wird. Ich gehe ja auch nicht aus Bil-

dungsinteresse in die Oper. Nein. Wir sind eine Freizeitindustrie. 15 Vgl. Martin Roth: Zur Geschichte des Umgangs mit historischen Die Leute kommen in ihrer Freizeit hierher, und sie wollen auch Objekten – französische und deutsche Museen im Vergleich. In: Muse- unterhalten werden. Natürlich bieten wir auch Inhalte und erzeu- umskunde, 55. Jahrgang, Heft 1, Kassel 1990, S. 2–13. Zitat S. 13. 16 Herbert Kubicek; Ulrich Schmidt; Heiderose Wagner: Bürgerinfor- gen Unterhaltung gerade aus den spezifischen Inhalten des Mu- mation durch »neue« Medien? Analysen und Fallstudien zur Etablierung seums. Ich sage auch: Geschichte kann sehr aufregend sein. Ich elektronischer Informationssysteme im Alltag, Opladen 1997, S. 32. habe aber nicht den Anspruch, dass die Besucher alles, was wir 17 Ebd., S. 34. 66 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 67

100% 100%

90%

80% 80%

70%

60% 60%

50%

40% 40%

30%

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10%

0% 0% Antike 15.–17. Jh. 1900–1945 Gegenwart Ästhet. Inhalt. Polit. Sozialer Wirtsch. Techn. Erfinder, Journalisten, Mittelalter 18.–19. Jh. 1946–1999 Zukunfts- Aspekt Aspekt Aspekt Aspekt Aspekt Aspekt Forscher Publizisten szenarien etc. Epochen sehr wichtig wichtig weniger wichtig unwichtig keine Angabe

Abb. 3: In den Museen thematisierte Epochen der Kommunikationsgeschichte (N=43) Abb. 4: Wichtigkeit einzelner Aspekte von Kommunikation und Medien in den Dauerausstellungen der Museen (N=43) seen berücksichtigt. Je weiter man sich von die- sich die Darstellung solcher Botschaften je nach Me- sen Epochen aus in Richtung Vergangenheit oder dium unterschiedlich gestaltet. So ist es etwa in ei- Zukunft orientiert, desto geringer die Zustimmung. nem Zeitungsmuseum möglich, durch ein einzelnes Die Medienentwicklung im 21. Jahrhundert doku- Exemplar des »Völkischen Beobachters« die syste- mentieren noch 58,1 Prozent der Museen, Zukunfts- matisch betriebene Medienpropaganda der Natio- szenarien sind lediglich für knapp jedes vierte Mu- nalsozialisten im »Dritten Reich« zu entlarven. In ei- seum ein Thema. Auf der anderen Seite widmet sich nem Radiomuseum wäre bei solch einem Anliegen zwar rund jedes dritte Museum der Kommunikati- deutlich höherer Aufwand erforderlich. So reicht zur on im 15. bis 17. Jahrhundert. Die Antike wird dage- Verdeutlichung inhaltlicher Botschaften nicht, ledig- gen nur von 18,6 Prozent der Institutionen themati- lich das Modell eines Volksempfängers 301 in eine siert (Abbildung 3). Vitrine zu stellen. Die Museumsverantwortlichen müssten darüber hinaus authentische Tondokumen- Besonders aufschlussreich waren die Antworten te besorgen, Urheberrechte erwerben und die ent- auf die Frage, wie stark spezifische Aspekte in den sprechenden Abspielgeräte zur Verfügung stellen, Museen beachtet werden (Abbildung 4). Sie zeigen, um die Dokumente öffentlich vorführen zu können. dass dem technischen Aspekt von Kommunikation und Medien besondere Aufmerksamkeit geschenkt Größe der Ausstellungen, Mittel der Darstellung wird. In rund 86 Prozent der Antworten der Muse- und Dienstleistungen der Museen umsleiter wurde er als »sehr wichtig« oder »wichtig« eingestuft. Auch Erfinder und Forscher erfreuen sich Die Fläche der Dauerausstellung in den befragten hoher Beliebtheit. Ihnen wird von zwei Dritteln der Museen beträgt im Durchschnitt 959 Quadratme- Antwortenden zumindest eine wichtige Rolle für die ter. Dieser Wert ist aufgrund der hohen Standardab- Dauerausstellung zugeschrieben. Wesentlich gerin- weichung allerdings nur von geringer Aussagekraft. gere Bedeutung messen die Museen der Darstellung Sinnvoller erscheint es, die Ergebnisse zu gruppie- von Journalisten und Publizisten bei. Nur jedes vier- ren. Demnach haben mehr als die Hälfte der Muse- te Museum hält deren Darstellung in der Daueraus- en eine Dauerausstellung von einer Größe zwischen stellung für »wichtig« oder »sehr wichtig«. 101 und 500 Quadratmetern (Tabelle 3). Über die mit Abstand größten Ausstellungsflächen verfügen das Insgesamt am häufigsten wird der inhaltliche As- Medienmuseum im Zentrum für Kunst und Medien- pekt von Kommunikation und Medien zumindest als technologie in Karlsruhe mit 7200 Quadratmetern »wichtig« eingestuft. Die Zustimmung lässt sich auf und das Heinz Nixdorf MuseumsForum in Pader- mehr als 90 Prozent beziffern. Dies ist deshalb ver- born mit 6000 Quadratmetern. wunderlich, weil – wie bereits erläutert – den voran- gehenden Fragen entnommen werden konnte, dass die Museen technische Objekte wesentlich häufiger sammeln und ausstellen als publizistische Werke. Ein Grund für dieses Ergebnis mag darin liegen, dass inhaltliche Botschaften im Zusammenhang mit Kom- munikation und Medien als selbstverständlich an- gesehen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass 66 Forum 67

Gesamtfläche Dauerausstellung Anzahl Prozent der Fälle Besucherzahlen und Sozialstruktur der Museumsbesucher 1 bis 100 Quadratmeter 2 4,7 101 bis 200 Quadratmeter 11 25,6 Die Besucherzahlen der befragten Museen unter- 201 bis 500 Quadratmeter 13 30,2 scheiden sich stark voneinander. Die Angaben für 501 bis 1000 Quadratmeter 7 16,3 das Jahr 2003 reichen von 280 Besuchern (Muse- 1001 bis 2000 Quadratmeter 6 14,0 um historischer Schreibmaschinen in Schwalm- Mehr als 2001 Quadratmeter 4 9,3 stadt-Treysa) bis zu 200 000 Besuchern (Museum Fälle insgesamt 43 100,0 für Kommunikation Berlin). Der Durchschnittswert Tabelle 3: Fläche der Dauerausstellungen lag bei 27 685 Besuchern. Angesichts der hohen Standardabweichung wurden auch die Antworten Ebenfalls gefragt wurde nach der Anzahl der Expo- zu dieser Frage gruppiert, um eine anschauliche nate in der Dauerausstellung. Die dabei notierten Darstellung der Daten zu ermöglichen (Tabelle 4). Antworten geben jedoch wenig Auskunft über Größe Die Zusammenstellung zeigt, dass die meisten Mu- und Bedeutung der Museen. So wurde die maximale seen der Gruppe mit 2001 bis 5000 Besuchern zu- Exponatsanzahl vom Foto- und Filmmuseum in Zeil zuordnen sind. Vier Einrichtungen weisen mehr als am Main angegeben (10 000), welches mit 280 Qua- 100 001 Besucher auf.18 dratmetern Ausstellungsfläche jedoch zu den kleine- ren Museen gehört. Hier besteht ein Problem in der Besucher 2003 Anzahl Prozent der Antworten Begrifflichkeit: Als »Exponat« kann sowohl ein ein- zelnes Foto als auch eine Druckmaschine bezeich- 500 bis 1000 5 12,8 net werden, die einen ganzen Raum einnimmt. 1001 bis 2000 7 17,9 2001 bis 5000 9 23,1 Wichtigster ergänzender Bestandteil der Ausstel- 5001 bis 10000 6 15,4 lung – neben den Exponaten – sind Informations- 10001 bis 50000 5 12,8 tafeln mit Erklärungen. Sie kommen in mehr als 80 50001 bis 100000 3 7,7 Prozent der Museen häufig oder sehr häufig zum Mehr als 100001 4 10,3 Einsatz. Dia-, Film- oder Videopräsentationen er- Antworten gesamt 39 100,0 reichen hier einen Wert von 58,1 Prozent, Objekte Tabelle 4: Besucherzahlen 2003 zum Anfassen und Mitmachen, so genannte »Hands- Ons«, werden in rund 45 Prozent der Museen häu- Die Ergebnisse zur Sozialstruktur des Publikums be- fig oder sehr häufig angeboten. Bei den Dienstleis- ruhen größtenteils auf subjektiven Schätzungen der tungen gehört vor allem die Museumsführung zum Museumsleiter. Nur jeder sechsten Antwort lagen Standard. Vier von fünf Museen bieten Führungen empirisch erhobene Daten aus den vergangenen 24 auf Anfrage, knapp jedes zweite bietet regelmäßi- Monaten zugrunde. Dabei konnte man sich auf eine ge Führungen. Überdurchschnittlich häufig werden Besucherbefragung des Museums berufen. Unter auch Workshops für Kinder (58,1 Prozent) und ein diesem Vorbehalt lässt sich feststellen, dass die un- Museumsshop (55,8 Prozent) offeriert. Eine weitere tersuchten Museen eher Männer zu ihrem Publikum Dienstleistung sind Publikationen in Schriftform. Als zählen. Im Durchschnitt wurde der Männeranteil am häufigstes wurden dabei Broschüren genannt, die Gesamtpublikum auf 56,6 Prozent beziffert. Domi- sich einzelnen Themen aus dem Umfeld des Muse- nierende Altersgruppen unter den Museumsbesu- ums widmen (51,2 Prozent). Allgemeine Museums- chern sind die unter 19-Jährigen (22,2 Prozent) und führer werden ebenfalls von rund jedem zweiten die über 60-Jährigen. Dies lässt sich dadurch erklä- Museum angeboten, Kataloge zu Wechselausstel- ren, dass Kinder und Jugendliche Museen im Rah- lungen von gut 40 Prozent. Veranstaltungskalender men von Schulexkursionen überdurchschnittlich und Bücher veröffentlicht nicht einmal ein Drittel der häufig besuchen. Pensionäre und Rentner verfügen befragten Museen. über mehr Zeit für den Museumsbesuch als die mitt- leren, berufstätigen Altersgruppen. Die meisten Be- Durchschnittlich beschäftigen die Museen neun Mit- sucher kommen laut Angaben der Museumsvertre- arbeiter. Knapp jedes vierte Museum muss mit nur ter in einer organisierten Gruppe (41,6 Prozent). Von einem oder zwei Mitarbeitern auskommen. Auch der Familie oder von Freunden und Verwandten las- das Budget ist meist knapp bemessen. Zwei Drittel sen sich 38,8 Prozent der Besucher begleiten. Nur der Museen verfügten im Jahr 2004 über ein Budget rund jeder fünfte Museumsbesucher kommt allein. von weniger als 10 000 Euro. Die Mehrzahl der Mu- seumsverantwortlichen beurteilt die finanzielle Lage 18 Dies sind: das Museum für Kommunikation in Berlin, das Museum als »eher schlecht« oder »sehr schlecht«. für Kommunikation in Frankfurt am Main, das Medienmuseum im ZKM in Karlsruhe und das Gutenberg-Museum in Mainz. 68 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 69

Besucherbefragung gen zwischen Rendsburg und Traunstein, zwischen Aachen und Hoyerswerda. Die Befragung der Museumsverantwortlichen wur- de ergänzt durch eine exemplarische Befragung von  Dieser Museumstyp ist noch relativ jung: Rund drei 114 Besuchern an einem Wochenende im Museum Viertel der befragten Einrichtungen sind in ihrer heu- für Kommunikation Berlin.19 Dabei wurde festge- tigen Form erst nach 1990 gegründet worden. Al- stellt, dass die meisten Besucher ins Museum kom- lerdings können einige auf einem Vorgängermuse- men, weil sie sich allgemein für das Thema »Kom- um aufbauen. munikation« interessieren. Als weiterer Grund für den Museumsbesuch wurde der gesellige Aspekt  Die Initiative zur Museumsgründung ging vor al- genannt. Wichtigstes Ergebnis der Besucherbefra- lem von Sammlern, danach von Interessenverbän- gung war, dass das Wochenendpublikum als Mo- den bzw. Vereinen sowie Politikern bzw. politischen tiv für den Museumsbesuch eher Unterhaltung als Institutionen aus. (Weiter-)Bildung nennt. Besonders solche Museum- sangebote wurden positiv beurteilt, die auf einen ge-  Die Museumsleiter sehen die Aufgabe ihrer Einrich- wissen »Show-Effekt« setzen und sich von konven- tungen zuerst im Vermitteln und Bewahren, sodann tioneller Ausstellungsgestaltung abheben. Solche im Präsentieren und Dokumentieren. Keiner nennt »interessanten« Ausstellungsbestandteile sollten auf die entsprechenden offenen Fragen die Funktion laut Ansicht mancher Museumsexperten viel häu- »Unterhaltung«, was im Zeitalter des »Infotainments« figer bei der Konzeption von Kommunikations- und durchaus überrascht. Medienmuseen beachtet werden. Zur Verteidigung der Museumsverantwortlichen muss aber gesagt  Bei den thematisierten Epochen dominiert mit Ab- werden, dass Angebote, die von Besuchern beson- stand das 20. Jahrhundert, das von einem beson- ders positiv beurteilt werden – z. B. die Kommunika- ders rasanten kommunikativen Wandel geprägt ist. tionsroboter im Museum für Kommunikation Berlin – sehr teuer sind und nur von den wenigsten Museen  Besondere Aufmerksamkeit wird der Medientech- bezahlt werden können. nik geschenkt – auch wohl deshalb, weil sich techni- sche Objekte einfacher präsentieren lassen als pu- Fazit blizistische Werke.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat auf den zu-  Die Größenordnungen weisen starke Differenzen nächst paradox erscheinenden Zustand verwiesen, auf. Das trifft sowohl auf die Ausstellungsfläche und »daß mit der Dynamik unserer Kultur deren Musea- die Menge der Exponate als auch auf die Zahl der lisierungsgrad wächst. Komplementär zur Zivilisa- Mitarbeiter und Besucher zu. tionsdynamik verläuft auch die Musealisierung un- serer Zivilisation progressiv.« Und er hat festgestellt, Die einschlägigen Museen blicken längst über den dass »mit der temporalen technologischen Innova- nationalen Tellerrand hinaus. Ein »Weltmedienmu- tionsverdichtung sich auch die Zeitspannen verkür- seum« ist jedoch auch in Zeiten der Globalisierung zen, innerhalb derer die Eröffnung der jeweils neues- noch weitgehend Vision geblieben. Das Freedom Fo- ten Museumsabteilung fällig wird«.20 rum in den USA arbeitet daran: Gegenwärtig wird im Zentrum der amerikanischen Hauptstadt Washing- Diese Beobachtung trifft auch auf die Kommunikati- ton ein Mammutbau errichtet, der ab 2007 jährlich ons- und Medienmuseen zu, die auf die Beschleuni- mehr als zwei Millionen Besucher anziehen soll. Das gung der Kommunikationsentwicklung reagiert ha- Newseum, »the world’s first interactive museum of ben. In der Bundesrepublik Deutschland konnten news«, konzentriert sich auf Geschichte und Gegen- insgesamt 53 solcher Einrichtungen ermittelt wer- wart des internationalen Journalismus und ist auch den. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: im Internet virtuell zugänglich (www.newseum.org).

 Den größten Anteil an der Grundgesamtheit neh- Walter Hömberg (Eichstätt), men die Papier- und Druckmuseen ein. Danach fol- Manuel Bödiker (Augsburg) gen (Rund-)Funk- und Radiomuseen, Allgemeine Kommunikations- und Medienmuseen, Film- sowie Fotomuseen. 19 Zur Methodik vgl. Bödiker 2004, S. 93f. 20 Herrmann Lübbe: Schrumpft die Zeit? Zivilisationsdynamik und  Die ermittelten Museen sind eher in Klein- als in Zeitumgangsmoral. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart. In: Weis, Großstädten angesiedelt und verteilen sich relativ Kurt (Hg.): Was ist Zeit? Zeit und Verantwortung in Wissenschaft, Tech- gleichmäßig über das ganze Bundesgebiet: Sie lie- nik und Religion. München 1995, S. 53–79. Zitat S. 56f. 68 69

Rezensionen

Internet-Rezension Projekte an europäischen Schulen hervorgehoben Das Internet-Portal www.mediamanual.at und belohnt – ein Preis, der auch in Deutschland Be- werber und Preisträger findet. Auf den ersten Blick ein inspirierender Gedanke: Ein Internetportal, das sich einzig der Vermittlung Umso unverständlicher ist es, dass ausgerechnet von Medienkompetenz widmet und praktische An- die mit »Leitfaden« überschriebene Rubrik, die dem leitung zur Unterrichtsvermittlung an Schulen gibt, Medien- und hier vor allem dem Film-Grundwissen bis hin zur Bereitstellung vorgefertigter Workshops gewidmet ist, so abrupt Tonfall und Anspruch wech- und interaktiver Trainingseinheiten1 zu so speziali- selt. Während das Angebot zur Filmanalyse zumin- sierten Aufgaben wie »Videoschnitt am Computer«. dest die Grundbegriffe richtig zusammenträgt und Bereitgestellt wird es vom österreichischen Bun- jenes zur Filmkritik, ein an anderen Orten gern ig- desministerin für Unterricht, Kunst und Kultur – eine norierter Gegenstand, mit einer vielseitigen Darstel- solche Internetseite würde man sich auch hierzulan- lung überrascht, verfallen die Detailseiten zur Film- de wünschen. In Deutschland wagen einzig die Kul- geschichte plötzlich in einen geradezu provokativ tusministerien der Länder Vorstöße in den Online- vereinfachenden Duktus: Nach gleich zwei zusam- Pädagogikbereich, die dann aber eher in Richtung menfassenden Übersichtsseiten bleiben die Einzel- Lehrerweiterbildung gehen, statt konkrete Lehrbau- artikel zu den Epochen durch übermäßig kurze Ab- steine zu liefern.2 sätze, hervorgehobene Schlagworte und nutzlose Bildillustrationen bei einer oberflächlichen Vermitt- Und tatsächlich enthält www.mediamanual.at vie- lung stehen. Dass mit diesem Anspruch kein wirk- le lobenswerte praxisorientierte Hilfestellungen für lich detaillierter Blick auf historische Entwicklun- Pädagogen. Unter dem unscheinbaren Bereich gen, ihre Grundlagen in Ökonomie, Technik oder »Themen« beispielsweise finden sich über 200 Arti- transmedialen Wechselwirkungen geworfen wer- kel der pädagogisch orientierten Quartalszeitschrift den kann, ist nur logisch. Dass es aber nicht einmal »Medienimpulse« zu so unterschiedlichen Themen zu einem dialektischen Portrait der einzelnen Stile- wie Werbungsanalyse, Kinderpsychologie und prak- pochen kommt (wie sie beispielsweise James Mona- tischem Lehrplanbezug. Sicher, einige davon haben co populär gemacht hat), sondern lediglich zu einer schon allein ihrer Kürze wegen eher Übersichtscha- chronologisch geordneten und lose ausformulierten rakter, aber genauso oft stößt man auf wahrlich er- Stichwortsammlung, das ist dann selbst für dieses hellende Ratschläge aus der Forschung, die nicht Niveau enttäuschend. selten zum direkten Transfer in den Lehralltag ein- laden. An manchen Stellen lässt das »mediamanu- Zudem teilt sich mediamanual.at mit den meisten al« auch seine eigentliche Zielgruppe der Ober- und anderen deutschsprachigen Abrissen zum glei- Mittelstufenlehrer zurück und dringt in Bereiche der chen Thema ein zunehmend ärgerliches Problem: Hochschullehre oder der praktischen Medienausbil- die Konzentration auf Hollywood und Europa. Gera- dung vor, namentlich wenn es seine eindrucksvollen de in der Filmgeschichte, die schon immer von kul- Einstiegsseiten zu der Rolle der Cultural Studies in tur- und medienüberschreitender Permeabilität ge- den Medien ausbreitet oder ein sehr ausführliches prägt war, hatte ein solcher Scheuklappenblick nie und treffendes Schritt-für-Schritt-Tutorial zur Ra- wirkliche Berechtigung, und spätestens seit dem dio- oder Fernsehgestaltung liefert. Hier ist die Sei- DVD- und Internetzeitalter wirkt eine solche Sicht- te offensichtlich in ihrem Element und vermittelt En- weise absurd. Anders als in internationalen Stan- thusiasmus zum (Selbst-) Unterricht in den vielen dardwerken3 findet das nicht-westliche Kino auf Facetten der Medienkompetenz. den Seiten von www.mediamanual.at lediglich Er-

Einzelne Usability-Probleme, wie die nur umständ- lich erreichbare Volltextsuche oder die »willkürliche« 1 Während die Workshop-Mitschnitte in Form von Audio- oder Verwendung von männlichen und weiblichen For- PDF-Dateien frei zugänglich sind, steht das (Selbst-) Studienange- bot der »e-academy« allerdings nur »in Österreich Lehrenden gegen men, die eher verwirrt, können den guten Gesamt- eine einmalige Anmeldegebühr von 12 Euro zur Verfügung« (vgl. http: eindruck nicht trüben: Das Portal vermittelt kom- //www.mediamanual.at/mediamanual/eacademy/index.php. Letzter petent und in akademischem Tonfall Konzepte für Zugriff 13. April 2007) angehende Lehrer oder Ausbilder, um den Schülern 2 Beispielsweise das Angebot zu Medienkompetenz in Schu- sowohl Fachwissen als auch Motivation mitzugeben. le und Unterricht (MKSU) des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder in NRW, vgl. http://www.learn-line.nrw.de/angebote/mksu/ Zudem werden durch den media »literacy award« die impressum.jsp. besten und innovativsten medienpädagogischen 3 Vgl. hierzu z.B. Edward Buscombe: Cinema Today. London 2005. 70 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 71 wähnung in einem Vier-Zeilen-Absatz und dort nur Gerrit Binz in Form ihrer »Entdeckung« durch die hiesigen Kino- Filmzensur in der deutschen Demokratie. besucher – die unzähligen globalen Kinotraditionen Sachlicher Wandel durch institutionelle Verlagerung werden in dieser Filmgeschichte also lediglich als von der staatlichen Weimarer Filmprüfung avantgardistische Leckerbissen für westliche Film- auf die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft studenten dargestellt. Das Filmschaffen Osteuropas in der Bundesrepublik? wird in einem einzelnen Nebensatz vermerkt, die ki- Trier: Kliomedia Verlag 2006, 430 Seiten. nematographischen Leistungen Südamerikas, Afri- kas oder der überseeischen Commonwealth-Län- »Eine Zensur findet nicht statt«, bestimmte die Wei- der werden verschwiegen. Auch Medienformen wie marer Verfassung von 1919 und schränkte gleich der Kurzfilm oder die Dokumentation finden keiner- wieder ein, »doch können für Lichtspiele durch Ge- lei Erwähnung. setz abweichende Bestimmungen getroffen wer- den«, was am 12. Mai 1920 mit der Einführung des Dabei sind solche Auslassungen keineswegs mit Reichslichtspielgesetzes auch geschah. Eine freie einer gleichmäßigen Textverknappung zu erklären, Meinungsäußerung war durch diese Einführung ei- schließlich finden sich schlaglichtartig überspezifi- ner staatlichen Filmzensur für das Massenmedium sche Passagen z.B. zu Schnitt-Gewohnheiten der Film – und nur für den Film – nicht mehr möglich. frühen Stummfilmjahre oder ein völlig zusammen- Auch im Grundgesetz heißt es in Art. 5, Abs. 1: »Je- hangsloser Absatz über Bazins Ästhetik des Realen. der hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift Es entsteht der Eindruck einer lückenreichen Ideen- und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich sammlung, lose verknüpft mit Übergangssätzen. aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Aber nicht nur als Vorbereitungswissen für Leh- Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden rer, auch als Grundwissen für Schüler ist das An- gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.« Tat- gebot streckenweise ungeeignet. Sätze wie »das sächlich wurde jedoch 1949 die Freiwillige Selbst- Kino spaltete sich in dieser Zeit in einen populären kontrolle (FSK) der Filmwirtschaft eingerichtet, die und einen eher elitären Zweig«4 (wobei als Beispiel zwar kein staatliches Zensurorgan war (und ist), für letzteren gegen jede Vernunft das Filmschaffen der jedoch faktisch aufgrund eines wirtschaftli- Akira Kurosawas genannt wird), greifen nicht nur chen Zwangssystems eine Vorzensur oblag. In bei- überholte Klischees auf, sondern grenzen an direk- den deutschen Demokratien kam und kommt kein te Verfehlung des Themas: Hier wird weniger Film- Film auf die Kinoleinwand, der nicht zuvor von einem geschichte gelehrt als vielmehr die Geschichte der Kontrollgremium begutachtet wurde. westlichen Filmrezeption. Auch dass die Filmhisto- rie schon im Jahr 1971 endet und danach nur noch Gerrit Binz präsentiert in »Filmzensur in der deut- als provisorische »Chronik« weitergeführt wird, die schen Demokratie« eine detailreiche Darstellung sich bemüht, per annum genau ein exemplarisches der Filmzensurpraxis in der Weimarer Republik. Er Vorkommnis aus so disparaten Feldern wie Preis- richtet sein Augenmerk nicht vorrangig auf die po- verleihungen, Technikentwicklung und Filmökono- litische Zensur und bietet auch einen auf Quellen- mie zu finden, widerspricht allen Vorsätzen, einem studium beruhenden Einblick in die Grundsätze und Jugendlichen im 21. Jahrhundert aktuell gültige Me- Arbeit der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK). Die an dienkompetenz vermitteln zu wollen. der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer entstandene Dissertation des Juristen Binz Was bleibt, ist eine generell überzeugende medi- wertet für die Weimarer Zeit systematisch zeitgenös- enpädagogische Seite, deren ansprechend gestal- sische juristische Texte, die Protokolle der Verhand- tete, aber inhaltlich mangelhafte Sektion zur Film- lungen der Nationalversammlung und die erhaltenen geschichte leider weder den Mut besitzt, eine Zensurprotokolle der Prüfstellen aus und stellt die Er- individuelle Blickweise zur Diskussion zu stellen, gebnisse der Praxis der FSK gegenüber, deren bis in noch genügend Detailreichtum aufweist, um auch die 70er Jahre getroffenen Entscheidungen erstmals bei jenen Interessenten konkurrenzfähig zu bleiben, in vollem Umfang genutzt werden konnten. Ziel der die genügend Medienkompetenz besitzen, um ein Arbeit ist es, die Frage zu klären, ob es für die von Buch zum gleichen Thema aufzuschlagen. der Filmzensur Betroffenen einen sachlichen Wan- Daniel Bickermann, Köln del in den Grundsätzen und der Entscheidungspra- xis der beiden Instanzen gab.

Befördert bzw. erst möglich gemacht wurde Binz’ 4 http://www.mediamanual.at/mediamanual/leitfaden/ filmgestaltung/filmgeschichte/neue_wellen.php. Letzter Zugriff Unternehmen durch die Arbeit des Collate-Projek- 13. April 2007. 70 Rezensionen 71

tes1 des Deutschen Film-Instituts in Frankfurt am der Verlagerung der Filmzensur von staatlichen Insti- Main, das die Prüfprotokolle gesammelt und digi- tutionen hin zu Organen der Selbstkontrolle keinen talisiert zugänglich gemacht hat sowie durch die sachlichen Wandel gegeben habe. Die Rechtferti- Öffnung des Achivs der FSK in Wiesbaden, waren gung der Zensur und die Prüfungsgrundsätze waren doch bisherige Forschungen zur FSK auf Indiskreti- teilweise identisch, Unterschiede seien vor allem in onen und Hörensagen angewiesen.2 Obwohl die Ar- der Organisationsform zu finden. Besonders span- beit die Filmzensur in den beiden deutschen Demo- nend – wenn auch nicht ganz neu – ist die Feststel- kratien behandelt, versäumt Binz es nicht, kurz auch lung, dass auch die FSK als staatsferne Organisati- die Vorläufergesetzgebung3 zu streifen. Er geht nä- on staatspolitisch heikle Themen entsprechend dem her auf die »Zensurfreiheit« im Aufruf des Rates der jeweiligen politischen Zeitgeist entschied. Darunter Volksbeauftragten 1918 ein und beleuchtet die NS- mussten vor allem Filme aus dem Ostblock (deren Filmzensur, da diese Zensurpraktiken für das Ver- Einfuhr bereits durch die Arbeit des Interministeriel- ständnis der behandelten Zeitabschnitte unerläss- len Filmausschusses erschwert war) sowie Filme, die lich sind. sich kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinan- der setzten, leiden. Anschaulich zeichnet Binz die Entstehungsge- schichte und die Grundlagen der Filmzensur in der Binz liefert den Film- und Medienwissenschaf- Weimarer Republik nach. Im Gegensatz zur Praxis ten wichtiges Handwerkszeug für eine weitere Be- der Filmwissenschaft, die verstärkt auch Filmfach- schäftigung mit dem Themenkomplex Zensur in der zeitschriften und Tagespresse auswertete, fokus- Demokratie. Zusammen mit den im Internet verfüg- siert Binz seine Arbeit nicht auf spektakuläre po- baren Prüfprotokollen aus der Weimarer Zeit er- litische Zensurfälle, die Politisierung der Zensur möglicht die Arbeit eine intensive Auseinanderset- Anfang der 30er Jahre sowie Filme, die sich mit dem zung mit der Prüfpraxis der Weimarer Republik auch Paragraph 218 auseinandersetzten4, sondern arbei- über die bisher aufgearbeiteten Fälle hinaus. Für die tet das Reichslichtspielgesetz (RLG) Punkt für Punkt Bundesrepublik wird dies so weiterhin nicht möglich ab und belegt die Anwendung der einzelnen Para- sein, so dass nähere Erläuterungen zum Bestand graphen durch geeignete Beispiele. Auch die Grund- des FSK-Archivs in Wiesbaden und eine genauere lagen und die Entstehung der FSK werden von Binz Darstellung der Prüfpraxis, die aufgrund der Nicht- anschaulich vermittelt. Nach den Erfahrungen im öffentlichkeit des Archivs bisher nicht geleistet wer- Nationalsozialismus schien eine staatliche Filmzen- den konnte, für spätere Forschungen wünschens- sur in der Bundesrepublik nicht mehr opportun. Die wert gewesen wären. Auch wenn die Filmliste am Filmwirtschaft beeilte sich, eine »freiwillige Selbst- Ende des Buches nicht ganz vollständig ist (so fehlt kontrolle« nach amerikanischem Vorbild einzurich- beispielsweise »Die Sünderin«), so ist zu begrüßen, ten, an der jedoch zu Beginn der 50er Jahre zur dass Binz hier an seine Leser denkt. Trotz dieser klei- Hälfte auch Mitglieder der öffentlichen Hand betei- nen Einwände ist das gut strukturierte Buch für alle, ligt waren. die sich in Zukunft mit der Filmzensur in den beiden deutschen Demokratien beschäftigen, unumgäng- Die FSK hatte die Verbotsgründe des Reichslicht- lich, höchst informativ und nur zu empfehlen. spielgesetzes von 1920 in ihre Grundsätze über- Brigitte Braun, Trier nommen und diese unter anderem durch den Tatbestand der Förderung antidemokratischer, mi- litaristischer, imperialistischer, nationalistischer und Jochen Fritz/Neil Stewart (Hrsg.) rassehetzerischer Tendenzen ergänzt. Binz arbeitet Das schlechte Gewissen der Moderne. als Ergebnis seiner Untersuchung heraus, dass es Kulturtheorie und Gewaltdarstellung für das Kinopublikum und für die Filmwirtschaft bei in Literatur und Film nach 1968 Köln u.a.: Böhlau Verlag 2006, 307 Seiten.

1 Entscheidungen der Oberprüfstelle (OPE) und der Prüfstelle Ber- Der Titel der Aufsatzsammlung behauptet, dass die lin (PBE), http://www.deutsches-filminsitut.de/dframe12.htm Moderne erstens ein Gewissen hat und dass dieses 2 Siehe dazu auch Martin Loiperdinger: Filmzensur und Selbstkon- zweitens keineswegs gut, sondern schlecht ist. Doch trolle. Politische Reifeprüfung. In: Jacobsen, Wolfgang/ Kaes, Anton/ Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. Stutt- diese Behauptungen werden nicht weiter verfolgt. gart 2004, S. 525–544. Der Leser erhält keine weiteren Hinweise, was die 3 Gabriele Kilchenstein: Frühe Filmzensur in Deutschland. Eine ver- Herausgeber mit dieser Metapher anzeigen wollten. gleichende Studie zur Prüfpraxis in Berlin und München (1906–1914). Berlin 1997. Der Untertitel grenzt Zeitraum und Themenstellung 4 U.a.Ursula von Keitz: Im Schatten des Gesetzes. Schwanger- schaftskonflikt und Reproduktion im deutschsprachigen Film 1918 bis ein. Diese Eingrenzung wird in der Einleitung ge- 1933. Marburg 2005. nauer erläutert, wenn es heißt, dass der Ausgangs- 72 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 73 punkt für das »vorliegende Projekt« die Überlegung fokussiert. Er bleibt in dem vorliegenden Band ins- ist, dass »formale Homologien zwischen theoreti- gesamt vage und ohne genaueres Profil. schem Diskurs und Populärkultur im Zeitalter der Postmoderne weder vereinzelte noch zufällige Er- Dieser Mangel fällt umso mehr ins Auge, als Me- scheinungen sind«. Ein erstes Beispiel sind für die diengewalt und ihre ganz unterschiedlichen Aus- Herausgeber Bezüge, die sie zwischen einer Kurz- prägungen und Formen in publizistischen wie wis- geschichte von Stephen King und Foucaults be- senschaftlichen Mediendiskursen seit langem eine rühmtem Schlusssatz aus »Les mots et les choses« prominente Rolle spielen und überaus kontrovers entdecken. Die Ausgangsüberlegung bezieht sich verhandelt werden. Eine solche Kontextualisierung besonders auf das gewalttätige Moment, das, so findet nicht statt. Sie würde vielleicht weniger als die Herausgeber, sowohl die Theorieentwicklung ein Mangel deutlich, wenn alle Beiträge sich kon- als auch zahlreiche populärkulturelle Produkte aus- sequent auf die einleitend skizzierte Fragestellung zeichnet. Von Bedeutung sind hier vor allem post- eingelassen und mit ihren Beiträgen dann auch den strukturalistische Theoriediskurse. Für Letztere ste- Begriff der Gewalt diskutiert und präzisiert hätten. hen insbesondere Tendenzen im postklassischen Dies gilt aber nicht für Beiträge, die, wenn auch mit Horrorfilm. Dieses Genre hat in den letzten Jahren durchaus interessanten Ergebnissen, z.B. psychoa- in film- und medienwissenschaftlichen Studien gro- nalytisch geschult unterschiedliche Horrorfilme un- ße Aufmerksamkeit gefunden und nimmt auch in die- tersuchen oder Relationen zwischen Serienmördern sem Band einen breiten Raum ein. und Prinzipien der Serialität reflektieren.

Die Ausgangsüberlegung der Herausgeber wird in Wie produktiv die Ausgangsüberlegung gefasst und einer Reihe von Beiträgen, die der Band vereinigt, präzisiert werden kann, zeigt – um ein positives Bei- auf interessante und kenntnisreiche Weise verfolgt. spiel hervorzuheben – der Beitrag von Arno Me- Einige Beiträge allerdings lösen sich von dieser Pro- teling. Er verfolgt Beziehungen zwischen wissen- jektfrage und analysieren ihre Fallbeispiele in einem schaftlichen und künstlerischen Diskursivierungen konventionellen Duktus, ohne genaueren Bezug auf des Körpers am Beispiel ausgewählter Filme von die Hypothese des Bandes zu nehmen. Der Leser David Cronenberg. Hier wird allerdings ein ande- weiß also am Anfang eines Beitrags nicht unbedingt, res Problem virulent: die Ausgangsüberlegung der worauf er sich einlässt. Die Reihenfolge der Beiträ- Herausgeber geht von Homologien zwischen post- ge verstärkt einen Eindruck von Beliebigkeit; Ord- strukturalistischen Theoremen und populärkulturel- nungsprinzipien lassen sich allenfalls nachträglich len Artefakten aus. Cronenbergs Filme zeigen zwar, erschließen. Eine Aufteilung der Beiträge in Sektio- wie Meteling herausstellt, Bezüge zu poststruktura- nen, die den Leser etwa durch Zwischenüberschrif- listischen Körpertheorien, werden aber nicht unbe- ten orientieren, gibt es nicht. Die Beiträge werden in sehen der Populärkultur zugerechnet. Der Beitrag der Einleitung präsentiert und dann aneinanderge- selbst argumentiert kenntnisreich, differenziert und fügt. Beides, die Reihenfolge der Beiträge und ihre formuliert interessante Einsichten. Er hätte aber eine konzeptionelle Heterogenität, vermittelt nicht den genauere Situierung in dem von den Herausgebern Eindruck, dass es hier um Ergebnisse eines Projekts verfolgten »Projekt« verdient. Ähnliches trifft auf den geht, an dem alle Beiträger beteiligt und interessiert sehr informativen und gut formulierten Beitrag über sind. Es handelt sich vielmehr um eine Sammlung Vladimir Sorokin zu, den Neil Stewart, einer der He- unterschiedlicher Aufsätze mit einer insgesamt zu rausgeber, verfasst hat. Hier erhält der Leser, dem ungenau bleibenden Fragestellung. die russische Konzeptkunst eher fremd ist, ausge- sprochen interessante Einblicke und zwar keines- Dieser konzeptionelle Mangel ist bedauerlich, denn wegs nur zur Konzeptkunst im engeren Sinne. Aber der Band bietet eine Reihe interessanter, kenntnis- auch dieser Beitrag fügt sich nicht nahtlos in das in reicher und anregender Texte. Das gilt beispiels- der Einleitung skizzierte Projekt, denn auch Sorokin weise für die beiden ersten Beiträge. Sie verwei- gehört nicht zur Populärkultur und genau für diese, sen auf Beziehungen und Differenzen, die zwischen so heißt es in der Einleitung, gelten die Homologien, Filmbeispielen und ethnographischen Studien aus- obwohl, wie es am Rande gleichermaßen heißt, in zumachen sind, die sich mit dem Phänomen des der Postmoderne eine Grenzziehung zwischen Po- Kannibalismus beschäftigen. Eine vergleichsweise pulär- und Hochkultur problematisch ist. An diesem kombinierte Lektüre vermisst man in jenen Beiträ- letzten Aspekt wird deutlich: Bereits die Ausgangs- gen, die sich mit filmischen Repräsentationen von überlegung weist theoretische und analytische Un- Gewalt beschäftigen. Dieser titelgebende Begriff ist schärfen auf. Vielleicht erklärt dieses Defizit auch in ethnographischen Studien – man denke nur an die konzeptionellen Schwächen des Bandes und die René Girard – theorieleitend und wird in jüngerer Zeit Heterogenität der Beiträge. in soziologischen Studien, z.B. von Wolfgang Sofksy, Irmela Schneider, Köln 72 Rezensionen 73

Tanjev Schultz ratorenaktivität, Kritischer Journalismus, Übernah- Geschwätz oder Diskurs? me von Argumentationslasten, Abwägende Argu- Die Rationalität politischer Talkshows im Fernsehen mentation, Bezüge auf andere Teilnehmer und auf Köln: Herbert von Halem Verlag 2006,400 Seiten. das Publikum.

Seitdem »« 1998 auf Sendung Entscheidend ist, dass Schultz diskursive Strukturen ging, bestimmt den Polit-Talk des deutschen Fern- in allen vier Gesprächssendungen nachweisen kann. sehens eine Diskussion, die von kulturkritischen Im- Fast 60 Prozent aller Beiträge enthalten »erkennba- plikationen geprägt ist. Sowohl in den Feuilletons als re argumentative Anstrengungen« (S. 245). Die An- auch in wissenschaftlichen Beiträgen, die zumeist teile relativieren sich, das ist nicht überraschend, deskriptiven Charakter haben, einigte man sich zuungunsten der populäreren Ausgaben: »Sabine auf Begriffe wie: Popularisierung, Personalisierung, Christiansen« 68 Prozent, »Berlin Mitte« 65 Prozent, Boulevardisierung, Entpolitisierung und Infotain- »Presseclub« 90 Prozent, »19:zehn« 74 Prozent. Die ment. So weit, so ungenau. Es ist gut, dass derweil argumentative Struktur hängt dabei eindeutig von auch die empirische Medienforschung die scheinbar der Zusammensetzung der Gäste ab. Sind mehre- alles entscheidende Frage gestellt hat: »Geschwätz re Politiker an den Gesprächen beteiligt, wie vor al- oder Diskurs«? Tanjev Schultz legt mit seiner Studie lem bei »Sabine Christiansen« und »Berlin Mitte«, so eine der bei weitem umfangreichsten Analysen von steigen verstärkt die Muster des »Attackierens« und Polit-Talks des deutschen Fernsehens vor und leis- »Propagierens«. Die Analyse des Moderatorenver- tet die notwendige Differenzierung und Systemati- haltens bestätigt, dass Maybritt Illner die kritische- sierung eines rationalen Anspruchs an das Format. re Journalistin ist und ihre Fragen inhaltlich weitaus komplexer sind als die von Sabine Christiansen. Zu Den theoretischen Rahmen seiner Studie entwickelt ihren populäreren Pendants bilden »19:zehn« und Schultz auf der Grundlage des diskursiven (delibe- »Presseclub« in der gesamten Auswertung einen in- rativen) Öffentlichkeitsmodells nach Jürgen Haber- teressanten Kontrapunkt, wobei die Analyseergeb- mas. In einer ausführlichen, nicht immer konzisen, nisse auch bisher kaum thematisierte Facetten die- Problematisierung des normativen Diskurs-Mo- ser Sendungen eröffnen: So beansprucht etwa Fritz dells vor den Bedingungen realer medialer Diskur- Pleitgen beim »Presseclub« weit weniger Redezeit se entsteht ein »realistischer«, normativ reduzierter als seine Moderatorenkollegen Peter Voß und Mo- Anspruch für die Analyse sowie ein angemessener nika Piel. Leider bezieht Schultz die visuelle Insze- Bewertungsrahmen für den empirischen Teil. Auf nierung der Gespräche kaum in die Auswertung ein. der Basis einer weit gefassten Definition von Polit- Insgesamt entwickelt der gut lesbare empirische Talks als »nicht-fiktionale Fernsehsendungen, in de- Teil aber ein detailliertes Profil der analysierten Po- nen im weitesten Sinne politische Fragen in Form ei- lit-Talks. Nicht zuletzt das angehängte umfassende nes Gesprächs thematisiert werden« (S. 91), wählt Codebuch und der Leitfaden werden den vorliegen- Schultz für die Analyse folgende Sendungen: »Sa- den Band zu einem Standardwerk für zukünftige Un- bine Christiansen«, »Berlin Mitte«, »19:zehn« und tersuchungen machen. »Presseclub«. Schultz’ Studie setzt aber auch einen empirischen In einem ersten Analyseteil wertet Schultz die The- Schlusspunkt unter die bisherige Diskussion um das men- und Teilnehmerstruktur der vier Polit-Talks Genre und lenkt den Blick schließlich wieder auf das aus den Jahren 1998 bis 2002 nach diskursrelevan- Gesamtpaket der Polit-Talks aus Geschwätz und ten Merkmalen, wie etwa Top-Themen, Stellenwert Diskurs. Kaum ein anderes Format der heutigen po- der Sachpolitik, boulevardesker Themenzuschnitt, litischen Kommunikationskultur verquickt derart dis- aus. Der zweite Analyseschritt liefert die Ergeb- kursive, narrative und emotionale Elemente. nisse einer quantitativen und qualitativen Inhaltsa- nalyse von je zehn Sendungen der vier Polit-Talks, Der Zuschauer hat diese Form der politischen die von Juni 2001 bis Juli 2002 ausgestrahlt wur- Selbstinszenierung im Übrigen längst akzeptiert.1 den. Das Sample umfasst demnach beeindrucken- Damit wäre der Weg geöffnet für neue Fragen nach de 40 Gesprächsrunden mit einem Gesamtumfang der Funktion politischer Talkshows – jenseits der Di- von 35 Stunden. Die Rationalität von »Sabine Chris- chotomie von Geschwätz und Diskurs. tiansen«, »Berlin Mitte«, »19:zehn« und »Presseclub« Claudia Kusebauch, Halle/Saale analysiert Schultz über vier Dimensionen: Allgemei- ne und formale Gesprächsstrukturen, Moderation, Argumentative Anstrengungen und Diskursmuster 1 Wolfgang Darschin/Camille Zubayr: Politische Diskussionssen- sowie Dialogizität, Polarisierung und Zivilität. Eine dungen und Magazine im Urteil der Zuschauer. In: Mediaperspektiven wichtige Rolle spielen dabei die Kategorien Mode- (2002), H. 5, S. 210–220. 74 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 75

Alexander Pehlemann/Ronald Galenza (Hrsg.) views, u.a. mit »Sascha Anderson«, »Christian ‚Fla- Spannung. Leistung. Widerstand. ke‘ Lorenz« und »Trötsch«, um die bekanntesten In- Magnetbanduntergrund DDR 1979–1990 sider hier zu nennen. Die Interviews sind wohltuend Berlin: Verbrecher Verlag 2006, 192 Seiten, sachlich geführt und arbeiten an der Essenz dieses 2 Audio-CDs. ästhetischen wie lebensweltlich-politischen Materi- als. Wie kanalisierte sich die Verweigerung, wie lie- Erstmals verschreibt sich mit dem vorliegenden fen die Produktionen und Vertriebe in einem System, Band eine Publikation dezidiert der Tape-Unter- das die Überwachung der Bürger, die totale Kontrol- grundszene der DDR. Der Band von Pehlemann und le zu einer zentralen Aufgabe des Staates erkoren Galenza ist zudem ein weiteres wichtiges Schlag- hatte? Wer waren die wichtigen Protagonisten, wer licht auf einen außerordentlich spannenden Teil der torpedierte diese Produktionen? Und welche Rolle ostdeutschen Subkultur. Über die Punk- und Unter- spielten diese Produktionen im Leben der Protago- grundszene des Ostens ist mittlerweile recht viel pu- nisten? Das Buch ermöglicht an diesen Stellen auch bliziert worden1 , über die Kassettenszene mit ihrer einen erfrischenden und erstaunlichen Einblick in die sehr speziellen Ausformung hingegen wenig. Da die Lebenswelt, Netzwerke und Alltagskultur des Prenz- staatlich gelenkten Medien und der Schallplatten- lauer Berges jener Jahre. So lässt sich beispielswei- vertrieb AMIGA bis Mitte der 80er Jahre überhaupt se »Trötsch« im Gespräch mit Papenfuß detailliert zu nicht als Distributionsmöglichkeit für Punk und al- Möglichkeiten des Drogenkonsums in der DDR aus ternative Musik in Frage kamen, entwickelte sich in (S.85 ff.), was nicht einer gewissen Komik entbehrt. der DDR eine rege Kassettenszene, die ihre eige- Überhaupt reflektieren die Protagonisten in den Ge- nen Wege suchte. Kassetten waren teuer, aber ver- sprächen klug, kenntnisreich und durchaus gelas- fügbar. Künstler, Musiker, Freaks nutzten die Mög- sen über jene Zeit. Auch Protagonisten von jenseits lichkeiten bestehender Aufnahmetechnik, um ihrem der Mauer kommen zu Wort. Der Chef des Westber- Widerstand und ihrem Lebensgefühl musikalisch, liner Zick Zack-Labels Alfred Hilsberg hatte zu ver- experimentell Ausdruck zu verleihen. Die Aufnah- schiedenen Ostberliner Musikern wie z.B. »Müllsta- men sind Spiegel und Soundtrack der anderen DDR, tion« und »Sascha Anderson« engen Kontakt. Am die höchst entfremdet und distanziert zu den Herr- Ende des Buches gibt er noch einmal eine interes- schaftsapparaten und -ritualen stand, sich ästhe- sante Perspektive auf den Ost-Underground und re- tisch wie politisch aus dem DDR-System und seiner flektiert dabei auch die Überwachung und Durchset- Alltagskultur verabschiedet hatte, aber immer noch zung der Szene durch die . irgendwie da war. Dieser kulturelle, politische und ästhetische Widerstand hatte einen Klang, der sich Neben den politischen Kontexten, die in dieser Pu- auf den Kassetten ausbreitete, die Untergrundzeit- blikation nicht so sehr im Vordergrund stehen, geht schriften beilagen, die auf Hinterhof- und Wohnzim- es vor allem um radikale künstlerische Freiheit in ei- merkonzerten oder auf Performanceaktionen illegal nem unfreien System. Und das ist in der Tat ein au- verbreitet oder einfach im Freundeskreis ausge- ßerordentlich spannender Aspekt, der individuelle tauscht wurden. künstlerische Erfahrungen ebenso wie gruppendy- namische Prozesse widerspiegelt. Ob Punk, Kunst, Der Band beginnt mit der Einleitung »Ende. Rewind. Jazz, Experimenteller Dub – all diese sehr unmittel- Play.«, in der die Herausgeber die Bedeutung der baren künstlerischen Umsetzungen hatten nichts Szene noch einmal klar herausstellen. Im Anschluss mit Markt und Kommerz zu tun. Das ist ein wesent- kommen vor allem die Ostberliner Protagonisten in licher systemspezifischer Unterschied, der nach der Interviews und kurzen Essays zu Wort. Ronald Galen- Lektüre dieses Buches deutlich zutage tritt. Kasset- za gibt in dem Kapitel »Daten-Dandys und Tape-Tä- ten wurden verteilt, verschenkt, auch mal verkauft – ter« einen kenntnisreichen Überblick zur Geschichte es ging um Kommunikation und kreative Existenz- und Kultur der verfügbaren Aufnahmetechnik in der beweise, um die sinnliche und elektrisch verstärkte DDR, was für das Verständnis dieser Szene nicht Entladung eines Lebensgefühls, das zwischen Auf- ganz unerheblich ist. Christoph Tannert fokussiert ruhr, Lethargie und Resignation schwankte. Für Har- die kunstbezogenen Kontexte dieser Entwicklung. monie und Tonart Dur war hier kein Platz, was auf Peter Wawerzinek liefert einen literarischen Splitter, den beiden beiliegenden »Tape«-CDs eindrucksvoll der eher atmosphärisch angelegt ist. Es folgen Inter- zu hören ist. Leicht verdaulich ist das nicht. Vielmehr entfaltet sich hier noch einmal der düstere Klang des letzten DDR-Jahrzehnts. Die akustische Reise in diese Zeit gelingt auf verblüffende Weise. So ist die- 1 Siehe u.a.: Ronald Galenza, Heinz Havemeister (Hrsg.): Wir wollen ses Buch letztlich auch eine fast empirisch-philo- immer artig sein … Punk in der DDR. Berlin 1999. C. Remath, R. Schnei- der: Haare auf Krawall. Jugendsubkultur in Leipzig 1980 bis 1991. Leip- sophisch zu nennende Auseinandersetzung mit ra- zig 1998. dikaler künstlerischer Freiheit, hier erzählt anhand 74 Rezensionen 75

zumeist Ostberliner Biographien. Im Anhang finden »Geschichtsbegriff der Aufklärung auch für die His- sich ausführliche CD-Linernotes (Bert Papenfuß), torie der Medien« gelte oder »nur der Kontext einer die Entstehung und Kontexte der auf den beiden Evolution« ist. CDs enthaltenen Stücke sorgfältig dokumentieren. Der Fokus auf Ostberlin ist ein Manko der Publika- Wenn man, wie der Rezensent, eine »Medienge- tion, allerdings ein verschmerzbares. Auch andern- schichte der Diskontinuität« ansetzt, so wird aber orts gab es eine aktive Kassetten- und Bandszene, auch die Frage nach den »Medienrevolutionen« zu worauf die Herausgeber des Buches auch explizit stellen sein. Eine weitere Frage betrifft die »Idee des verweisen (S.15 ff.): ob Leipzig, oder Jena Radios« selber, wie sie seitens des »Studienkreises – jenseits der DDR-Hauptstadt existierte ein ähnlich Rundfunk und Geschichte« in dessen Jahrestagung starker Drang, den Verhältnissen einen Sound ent- 2003 zur Diskussion gestellt worden ist. Die Ak- gegenzuschleudern, der wütend, individuell und ra- ten der Tagung sind 2004, mit dem Untertitel »Von dikal war. Weitere Bände zu den Untergrund-Tapes- den Anfängen in Europa und den USA bis 1933« als zenen des Ostens sollten also folgen und werden mit »Jahrbuch Medien und Geschichte« erschienen. Ha- Spannung erwartet. gens Buch ist 2005 erschienen und geht auf Vorle- Uwe Breitenborn, Berlin sungen und Vorträge in Basel und Berlin, sowie auf frühere Veröffentlichungen des Verfassers zurück.

Wolfgang Hagen Eine knappe Rezension kann die Grundsatzfragen Das Radio. der Medienhistorik nicht lösen, noch kann sie die Zur Geschichte und Theorie »Idee des Radios«, so kontrovers sie diskutiert wird, des Hörfunks – Deutschland/USA als alleinigen Maßstab an ein Werk anlegen, das in München: W. Fink Verlag 2005, 394 Seiten. vielen Bereichen Neuland beschreitet und die Er- kenntnisse der radiohistorischen Forschungen in Wenn das Wort »Titel« mit »Anspruch« übersetzt den USA mit den eigenen Forschungen zur deut- werden kann, so lässt das vorliegende Werk von schen Radioentwicklung konfrontiert. Sie kann nur Wolfgang Hagen gewiss nicht den geringsten er- Hinweise darauf geben, welche Lösungsmöglich- kennen: Es ist schlicht mit »Das Radio« betitelt. Der keiten am Objekt, hier dem Radio, vom Verfasser im Untertitel allerdings schränkt ein: »Zur Geschichte Blick auf eine Historiografie des Radios vorgeschla- und Theorie des Hörfunks – Deutschland/USA«. Der gen werden. Trotzdem will sie aber auch ein virtuel- genauere Blick aber zeigt: Hagen beschäftigt sich, le Fortsetzung laufender Diskussionen sein; ist doch sehr pointiert formuliert, nicht mit der Geschich- damit auch die Frage nach konkurrierenden Diskurs- te des Rundfunks im Sinne einer »Programmge- formationen und Epistemologien verbunden, wie sie schichte«. Die zugehörigen Begriffe einer Technik- Hagen auch für den vorliegenden Band mit seinem geschichte und einer Sozialgeschichte des Mediums pointiert epistemologiehistorischen Ansatz verfolgt. werden ebenfalls nicht in der Tradition der bisheri- Dies sprengt in der Tat den Rahmen einer »norma- gen Befassung mit »Rundfunk und Geschichte« ver- len« Besprechung. standen. Gleichwohl nimmt Hagen für sein Werk – durchaus zu Recht, wie der Rezensent meint – für Der Rezensent teilt in weiten Bereichen die Ansät- sich in Anspruch, »am Beispiel der deutschen Radi- ze des Autors, nicht aber den Versuch, sie von al- oentwicklung bis 1945 und an der Entwicklung der len anderen Ansätzen zu isolieren. Richtig ist, wenn Serial- und Formatentwicklung des USA-Radios« er fordert, dass gerade beim Radio die Technikge- (S. XV) die Historizität des Radios aufweisen zu schichte (als Geschichte von »Erfindern« neuer können. Sein »Hintergrund« ist der einer »Wissens- Art) in Rede gestellt werden muss. Und es dürf- geschichte« in einem umfassenden Sinn, und dieser te eine Binsenwahrheit sein, dass man sich, wenn Anspruch ist es, der wiederum die gemachten Ein- man den Versuch macht, eine »Mediengeschich- grenzungen aufhebt und eine Polyperspektive er- te« zu schreiben, mit den »zuständigen« Ingeni- öffnet, die der einer linearen Geschichtserzählung eurwissenschaften ins Benehmen setzt.1 Dass nach Entwicklungen und Ereignissen in eigentümli- cher Weise widerspricht. Kurz: Hagen macht es dem Leser und Rezensenten, der einer Tradition des Ge- schichtsbegriffs und seiner Methodik verpflichtet ist, nicht leicht, dem Gang seiner Überlegungen zu fol- gen. Damit sind nicht Postmodernismen gemeint, die zu unverbindlichen, aber stark und »spannend« 1 Der Rezensent ist bis heute seinen Kollegen an der TH Aachen für erscheinenden Thesen führen, sondern die bereits mannigfache Aufklärungen und auch für Demonstrationsobjekte dank- zu Beginn angesprochene Grundsatzfrage, ob der bar. 76 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 77 die Mediengeschichte nach ihrer literaturwissen- nen unverwechselbaren »deutschen« Gegenstand. schaftlichen, ihrer sozio-psychologischen bezie- Das Buch von Hagen wartet sowohl im »deutschen« hungsweise »sozialwissenschaftlichen Phase« zu wie auch im »amerikanischen« Teil mit brillanten einer »kulturwissenschaftlichen« Disziplin werden Konnotationen auf, und in der Tat gelingt es dem Ver- konnte, lag und liegt durchaus in der Logik der For- fasser, das technikgeschichtliche Paradigma nicht schung. Dies gilt auch für eine durchgehend wis- nur kritisch zu »hinterfragen«, sondern auch, in wei- senschaftstheoretische Reflexion im Bereich des ten Bereichen, mit aktuellen kulturhistorischen Fra- neuen Fachs. Selbst parapsychologische Ansät- gestellungen zu verbinden. Dabei knüpft er durch- ze und vorphysikalische Vorstellungen wie der des aus an die Anfänge der so noch nicht benannten »Mediums« im alten Sinn können aus dem medien- »Mediensoziologie« und an eine von seiner Schu- historischen Diskurszusammenhang nicht einfach lung durch die Psychoanalyse von Lacan überformte wegen einer vordergründigen Rationalität ausge- »Medienpsychologie« an. Nicht immer aber gelingt schlossen werden. Hagen profitiert von dieser Ent- es Hagen, leserfreundlich, die Bezüge so zu ordnen, wicklung, und ihre Anwendung nicht nur auf »Bild- dass nicht doch (nicht selten leider) auch dem wohl- schirmmedien«, verkürzt »Bildmedien«, stand und wollendsten Leser die Fäden aus der Hand gleiten. steht auf der Agenda. Zwischen atemberaubenden Engführungen (»Geist des Wechselstroms«, »Titanic-Chaos«), die einfach So bleibt gleichwohl zu erklären, warum Hagen so schlagend und wohlbegründet gesetzt werden, ste- nachdrücklich – und völlig zu Recht – die anglo- hen Behauptungen (wie »das Ohr als Kriegsgerät«), amerikanischen Forschungen aufnimmt, nicht aber deren Metaphorik nur schwer aufzulösen ist. die neueren Ansätze der deutschen Rundfunkfor- Jeder Leser wird, schon vom Inhaltsverzeichnis her, schung. Sicher ist Rundfunk nicht ein »deutscher« seine Entdeckungen in Hagens kompendiösen und Gegenstand, aber der Missbrauch des deutschen zugleich anregend essayistischen Buch über das Lautsprechers ist in der Tat ein Ereignis von grau- Radio machen können. Der Verfasser versteht es, enhaften Ausmaßen gewesen, die mit der komple- für den trockenen Gegenstand im Wortsinn zu in- xen Entwicklung der 20er Jahre kaum im Sinne einer teressieren. Die Lektüre, so irritierend sie für einen »Kontinuität« erklärbar ist. Der Schritt von »Bredow« Fachmann der Geschichte des »Broadcasting« zu- bis »Goebbels« ist keine Selbstverständlichkeit. Der weilen sein mag, ist nicht nur Anlass für vorder- Verfasser verfolgt die These vom »Kriegsgerät« und gründige Statements über eine vergangene Vergan- damit eine Linie, die einen gewissen Fatalismus der genheit; sie geht auch die überraschend lebendige Geschichte impliziert. Sicher ist auch das Gegen- Gegenwart und die Zukunft eines Mediums an, dem teil, eine Verharmlosung der Technik und ein bloßer das Bild nur scheinbar fehlt und das mit dem Ohr un- Technikoptimismus, hoch problematisch. Zumindest ser empfindlichstes und reizbarstes Organ anspricht. wäre aber eine Auseinandersetzung mit einschlägi- Dass es nicht nur berieselt und formatiert »unterhal- gen neueren Positionen der Forschung wünschens- ten« oder von lauter Propaganda überschüttet oder wert gewesen.2 etwas betulich von Klassik belehrt werden will, ist auch in das Stammbuch der »Macher« zu schreiben. Hagen macht, wiederum völlig zu Recht, auf die un- Hagen kann zeigen, wie Radio praktisch wurde. Und terschiedlichen Konstitutionsbedingungen des Ra- dies ist eine Geschichte, die nicht nur immer unter- dios und des Rundfunks (in Deutschland, aber nicht haltend war. in ganz Europa) aufmerksam. Pointiert stellt er da- Helmut Schanze, Siegen bei das massenmediale Grundgesetz »One to all« für die USA in Frage. Er begründet die Entgegensetzung nicht nur aus den unterschiedlichen Wissensformen der »Wissenschaft« und der »Erfindung«, sondern auch speziell aus dem »Geist des Wechselstroms«, der die Entwicklung in den USA technisch bestimm- te. In Deutschland wurde die amerikanische Radio- landschaft mit ihrer Sendervielfalt von Hans Bredow (direkt oder indirekt) als »Dschungel« perhorresziert und als »Missbrauch von Heeresgerät« allgemein unter Strafe gestellt. Es steht die »Idee des Rund- funks« gegen die Idee der »Radiotelefonie« mit ihrer (theoretischen) Symmetrie von Sender und Empfän- 2 So bleibt z. B. der Beitrag von Edgar Lersch in dem vom Rezen- ger. Die Überformung durch den Kulturauftrag und senten herausgegebenen »Handbuch der Mediengeschichte« (Stutt- gart) und eine darin enthaltene »Integrale Mediengeschichte« ‚außen die angebliche Staatsferne, die Trennung von Pro- vor‘. Hauptbezugspunkt für Radio in Deutschland bleibt für Hagen im- gramm und Technik kommen hinzu und schaffen ei- mer noch das Buch von Lerg von 1970. 76 Rezensionen 77

Harro Segeberg/Frank Schätzlein (Hrsg.) che gebracht und im übrigen die Filmmusiklitera- Sound. tur, vor allem die amerikanische, etwas umfassen- Zur Technologie des Akustischen in den Medien. der aufgearbeitet worden wäre. Interessant zu lesen (= Schriftenreihe der Gesellschaft sind die Analysen zu Ophüls Filmen (Michel Schau- für Medienwissenschaft (GfM), Band 13) dig). Konzeptionell reiht sich diese Spezialstudie in Marburg: Schüren Verlag 2005, 384 Seiten. diese Sektion nur dadurch ein, dass sie ganz gene- rell Film betrifft. Einen Überblicksartikel zu den bis- Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, her für die Filmmusik entwickelten Kategorien bietet die der akustischen Gestaltung der Medien gewid- Christian Maintz. met war. Ausgegangen wurde von der Prämisse, dass dem Klang/Sound mindestens eine so große Abgeschlossen wird diese Sektion durch einen Bei- Bedeutung zukommt wie dem Bild oder der Spra- trag von Gewicht. Barbara Flückiger beleuchtet anre- che. Ob regelrecht von einem »acoustic turn« (S. 9) gend »Narrative Funktionen des Filmsounddesigns: zu sprechen sei, bleibt dahingestellt. Es geht ohne- Orientierung, Setting, Szenografie«. Ihr analytischer hin in diesem Buch nicht um akustische Erscheinun- Ansatz ist neuartig und regt wie alle wissenschaftlich gen im engeren Sinn, sondern um Fragen der au- bedeutenden Entwürfe zur Diskussion an. Diskus- diovisuellen Gestaltung. Wie unterschiedlich diese sionswürdig scheint die Mischung des Vokabulars, sein kann, macht der Beitrag von Frank Schätzlein vor allem die Übernahme psychologischer Begriffe deutlich: »Sound und Sounddesign in Medien und (z. B. chunking), in einen theaterwissenschaftlichen Forschung«. Aus der Vielzahl der bisherigen Defini- Kontext. Hinter diesen Begriffen stehen ausgedehn- tionen gewinnt Schätzlein eine den Band leitende te psychologische Forschungen, die den problem- Formel, nämlich »Sound sei charakteristischer (zu- losen Zugriff schwierig erscheinen lassen. Bei Bar- meist gestalteter) Klang« (S. 27). Die Kategorien Ge- bara Flückiger handelt es sich zudem weniger um räusch und Klang sind damit nicht in vollem Umfang einen Hinweis auf diese Forschungen als um den in den Begriff Sound integriert. Es handelt sich um Wunsch, ihren Gedanken eine prägnant wirkende eine Setzung, die nur die Verwendung des Wortes im Etikettierung zu geben. Wie wenig dies jedoch nötig medienwissenschaftlichen Sinn meint. Allerdings ist ist, zeigen ihre überraschend einleuchtenden Befun- damit ein weites Spektrum abgedeckt. de bei den von ihr vorgenommenen Fallstudien, die ohne Etiketten auskommen. Gut hätte in unmittelba- Der Sound unterschiedlicher Medien kommt in die- rer Folge der weit am Ende platzierte Beitrag von Sö- sem Band zur Sprache mit Beiträgen zu Film, Fern- ren Ingwersen gepasst, der sich mit der Entwicklung sehen, Hörfunk, Tonträger, Computer und Internet. von bedeutungstragenden akustischen Computer- Schwierig ist es allerdings, die Konzeption der bei- schnittstellen befasst (»Sonifikation. Zwischen Infor- den Herausgeber im Einzelnen auszumachen. Die mation und Rauschen«) und hierzu die durch Klang Sektion Film beispielsweise wird eröffnet mit einer möglichen Informationen nach psycholinguistischen sorgfältigen Darstellung der Geschichte der Kinoor- Kategorien systematisiert. gel (Karl-Heinz Göttert), in der weitgehend bekann- te Fakten zusammengestellt werden. Es folgt eine In den nachfolgenden Sektionen zu Fernsehen, weitere historische Abhandlung zur Synchronisati- Rundfunk und Tonträger überwiegen Artikel, die on fremdsprachiger Filme (Joseph Garncarz), die in- in erster Linie die Geschichte der technischen Be- teressant für denjenigen ist, der noch nichts von den dingungen kenntnisreich darstellen, z. B. Differen- Doppelverfilmungen wusste, mit denen in den An- zen der Produktion zwischen der älteren Praxis der fängen des Tonfilms versucht wurde, die Einheit von Collage und dem modernen Soundsampling heraus- Stimme und Person zu wahren. Beide Artikel ste- zuarbeiten versuchen (Rolf Großmann). Interessant hen jedoch seltsam verquer zu der nachfolgenden liest sich vor allem der Artikel von Peter Hoff, der theoretischen Durchforstung der Literatur zur Film- die Wandlungen des Fernsehspiels, das ursprüng- musik bezüglich der Kategorie des »musikalischen lich auf Dialoge konzentriert war, zur heutigen Pra- Kontrapunkts«. Letztere stammt aus dem Tonfilm- xis der Unterlegung mit einem Klangteppich skiz- manifest von 1928 der russischen Filmemacher und ziert. Die Geschichte der Schallaufzeichnung wird hatte gewiss ein großes theoretisches Gewicht, war in diesem Band ausführlich reflektiert, zuweilen bis jedoch bereits in den 30er Jahren sogar für Eisen- auf die Neumen des byzantinischen und lateinischen stein nicht mehr das leitende Prinzip. Schön wäre Mittelalters zurückverfolgt (Heinz Hiebler). Die Pho- gewesen, wenn in diesem Aufsatz von Corinna Däst- noarchive werden gleich von zwei Autoren behandelt ner Hanns Eislers Warnung bezüglich eines »musi- (Gerda und Franz Lechleitner), ebenso die Verände- kalischen Kontrapunkts« (in eine Fußnote in dem zu- rungen des Einsatzes von Sprache und Stimme im sammen mit Adorno verfassten Buch verbannt und Rundfunk und ihre mediengerechte Anpassung (Da- in manchen Ausgaben sogar gestrichen) zur Spra- niel Gethmann, Hans-Ulrich Wagner). 78 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 79

Spätestens beim Lesen des sehr anregenden Auf- gerungen für die Analyse medialer Inhalte ergeben satzes von Elke Huwiler »Sound erzählt. Ansätze der sich daraus. Narratologie der akustischen Kunst« fragt man sich jedoch, ob die dem Band zugrunde liegende Sys- Vielleicht wäre es auch sinnvoll, wenn zukünftige tematik dem behandelten Gegenstand gerecht wird. Tagungsplaner ihre Blicke stärker auf die sich stark Huwilers Überlegungen zu den narrativen Funktio- entwickelnde Medienkunst werfen würden, die in nen von Klang würden gut Flückigers (»Narrative dem vorliegenden Band nur mit Film und Hörspiel Funktionen des Filmsounddesigns: Orientierung, vertreten ist und glücklicherweise mit dem Artikel Setting, Szenografie«) Beobachtungen ergänzen. von Joan Kristin Bleicher »Zur Rolle von Musik, Ton Dass in einem Fall von Film im anderen vom Hör- und Sound im Internet« wenigstens am Rande einige spiel die Rede ist, verhindert nicht, dass die Funkti- neuere Formen zur Sprache bringt. Klang ist heute onen der Klanggestaltung ähnlich sein können. Auch ein zentrales Moment bei der Kunstproduktion, Me- die Differenzen zwischen den Medien, um die es den dienkunst eingeschlossen. Das Fehlen eines Litera- Herausgebern bei ihrer Anordnung der Beiträge zu turverzeichnisses verdeckt, dass auf Publikationen, gehen scheint, würden erheblich klarer hervortre- wie immer auf die zeitgenössische Kunstprodukti- ten, wenn das leitende Prinzip der Gliederung für on zugeschnitten, die die Bedeutung des Klangs den vorliegenden Band die Kategorie »Sound« ge- für mediale Informationen zum Gegenstand haben, wesen wäre. Man hätte dann nach der technischen kaum Bezug genommen wird. Produktion, der Beschaffenheit von Schallwellen, Helga de la Motte-Haber, Berlin den möglichen Bedeutungsebenen, der Wirkung usw. fragen und die Aufsätze entsprechend ordnen müssen. Die Gliederung gemäß dem Gesichtspunkt Golo Föllmer »Medium« hat zur Folge, dass der Ton im Fernse- Netzmusik. hen einer anderen Sektion angehört als die Schall- Elektronische, ästhetische und soziale Strukturen aufnahmen, die den Rundfunk betreffen. Die techni- einer partizipativen Musik sche Entwicklung, Probleme der Mikrophonierung Hofheim: Wolke Verlag 2005, 288 Seiten. usw. sind aber bei beiden Medien nicht grundsätz- lich verschieden. Die wenigsten Monographien zum Internet bzw. zu Computernetzen beschäftigen sich mit den künstle- Man merkt dem Band das Übergewicht von Ger- rischen Inhalten und den entsprechenden künstleri- manisten an (insgesamt 11 von 21 Autoren). In den schen Nutzungsformen der Netzwerke. Zumeist wird 70er Jahren, als die Literaturwissenschaftler began- das Netz lediglich als ein weiterer Distributionsweg nen, sich mit den Medien zu beschäftigen, stützten gesehen (bei den bislang vorliegenden Beiträgen zur sie sich auf das Methodenarsenal ihres Ursprungs- ‚Netzkunst‘ handelt es sich vorwiegend um Aufsät- faches. Starke Einflüsse dieses Denkens sind bis ze der Musiker und Medienkünstler selbst). Auf die- heute erhalten geblieben. Dazu gehört auch die se Forschungslücke zielt der Musik- und Medienwis- Gewohnheit, in Gattungen zu denken, die aber bei senschaftler Golo Föllmer mit seiner Publikation zur der Betrachtung medialer Klanggestaltung Zusam- »Netzmusik«. Föllmer hatte sich bereits zuvor in zahl- mengehörendes auseinander reißt und den ohnehin reichen Beiträgen für musikwissenschaftliche Fach- durch Tagungsbände hervorgerufenen Eindruck der zeitschriften und Sammelbände mit der Musik bzw. Heterogenität noch verstärkt. dem Musikmachen im Internet auseinandergesetzt. Die Arbeit will nach den Bezügen zwischen der Im vorletzten Beitrag dieses Bandes tauchen dann künstlerischen Produktion und den Charakteristi- die Überlegungen auf, die an den Anfang eines ka des Netzes fragen, die Spuren des Netzwerks solchen Buches gehört hätten. Steffen Lepa und in den Produktionen bzw. in der Musik untersuchen Christian Floto, beide aus der medienpädagogi- und Formen der Rezeption von Musik im Netzwerk schen Forschung kommend, stellen sehr kompe- erforschen. Dabei werden sowohl die technische als tent einige Grundlagen der audiovisuellen Wahr- auch die soziale und die ästhetische Ebene berück- nehmung dar. Sie wecken Zweifel daran, dass eine sichtigt – den Hintergrund bildet hierbei die Frage multimediale Produktion je nach Ebenen getrennt nach der Einlösung der Medien-Utopien von Bertolt analysiert werden könnte. Denn eine multimodale Brecht, Alan Turing und John Cage. Integration verschiedener sensorischer Stimuli fin- det bereits auf einer sehr frühen Wahrnehmungsstu- Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um fe und nicht erst durch semantische Verarbeitung eine überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Fas- statt. Es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, dass be- sung einer musikwissenschaftlichen Dissertation stimmte Areale im Gehirn nur von multimodalen Rei- aus dem Jahr 2002. Der Text bietet eine Kombinati- zen angesprochen werden. Gravierende Schlussfol- 78 Rezensionen 79

on von Grundlagenvermittlung, Einzelanalysen und Hier wird zunächst die Rezeption von Netzmusik un- empirischen Studien; er gliedert sich dementspre- tersucht und nach dem Zusammenhang von Interak- chend in drei Teile, die jeweils einen unterschiedli- tionsmöglichkeit und Bewertung/Rezeption gefragt chen, sich direkt ergänzenden Zugang zum Thema – dabei ermittelt Föllmer die Aktivität des Rezipien- Netzmusik präsentieren. ten und eine spielerische Rezeptionsweise als zen- trale Faktoren für die positive Bewertung (Gefallen) Im ersten Teil werden zum einen die technischen der Musik und der Projekte, die Kategorien konven- Grundlagen erläutert (Internet, Kodierung, Strea- tioneller Hörtypologien reichen erwartungsgemäß ming, Player, Plug-ins, Autoren- und Netzwerksoft- nicht zur Beschreibung aus. Zusätzlich wertet Föll- ware), zum anderen die zentralen Kontexte themati- mer hier 21 von ihm im Jahr 1999 durchgeführte In- siert (Interaktivität, Netzradio, Musik-Tauschbörsen, terviews mit Experten der Netzmusik (Musiker, Me- Konzepte und Theorien des Netzes). Diese Kapitel dienkünstler, Theoretiker, Softwareentwickler) aus eignen sich sehr gut, um einen Einstieg in die Ausein- und kann im Ergebnis zwei Modelle herausarbeiten: andersetzung mit der Praxis und Theorie von Audio/ (a) ein »Kompositionsparadigma« für Projekte, die Musik im Netz zu finden. Merkmale des Netzwerks nutzen, um musikalische Traditionen im kompositorisch-ästhetischer Hinsicht Der zweite Teil des Buches präsentiert einen Über- zu erweitern und (b) ein »Kommunikationsparadig- blick über Formen des »Musikmachens im Netz- ma« für Arbeiten, in denen die technischen, ästheti- werk«. Die rund 70 exemplarisch vorgestellten Pro- schen und/oder sozialen Strukturen des Netzwerks jekte werden dabei auf der Grundlage von kurzen im Mittelpunkt stehen und die musikalische Ebene Beschreibungen und Einzelanalysen zwölf Typen zu- »als Mittel der Ordnung vernetzter Kommunikations- geordnet, die wiederum fünf übergeordnete Grup- strukturen« eingesetzt wird. pen bilden; im Einzelnen sind dies: Forum (mit Dis- kussionsforen, Remix-Listen und Archivprojekten), Im Anhang des Buches findet sich nicht nur ein Lite- Spiel (Soundtoys, Flash-/Shockwave-Soundtoys), raturverzeichnis sowie ein kombiniertes Sach-, Na- Algorithmus und Installation (Hypermusik, Netz- und mens- und Titelregister, sondern auch eine kleines Rauminstallationen, algorithmische Installationen), Glossar, das zentrale Begriffe und Abkürzungen er- Instrument und Werkstatt (Instrumente, Autoren- läutert und vor allem für Leser interessant ist, die Software) sowie Performance (Netz-Performances, kein Vorwissen über Internettechnik, Software und Szenische Projekte). die Praxis elektronischer Musik mitbringen.

In der Einleitung des zweiten Teils findet sich auch Zur Publikation gehört auch eine CD-ROM1, die er- eine dreidimensionale grafische Darstellung der Kri- gänzende Texte, Abbildungen, Audio- und Videobei- terien bzw. Dimensionen, nach denen die Kategori- spiele zu den im Text vorgestellten Projekten prä- sierung erfolgt – solche Formen der Visualisierung sentiert. theoretischer oder analytischer Strukturen wünscht man sich in geisteswissenschaftlichen Publikatio- Insgesamt ist das Buch einerseits, vor allem mit nen häufiger. Nach den Beschreibungen der einzel- Blick auf den ersten und zwei Teil, ein gutes Nach- nen Projekte, die zumeist mit Screenshots illustriert schlagewerk zu Technik, Entwicklung und zentralen sind, folgt jeweils eine vergleichende Zusammenfas- Projekten in der Geschichte der Netzmusik. Ande- sung, die u. a. nach der Bedeutung und ‚Wirksam- rerseits bietet es eine überzeugende Grundlage für keit‘ des Netzwerks für die musikalische Arbeit, nach die weitere Forschung; dabei dürfte vor allem die der Interaktivität sowie den musikalischen, techni- von Golo Föllmer vorgestellte Kategorisierung von schen und sozialen Aspekten der Netzprojekte fragt. Projekttypen interessant sein und in weiteren Unter- Aus medienwissenschaftlicher Sicht sind hier vor al- suchungen genutzt und geprüft werden. lem die Kurzanalyse und die entsprechende Einord- Frank Schätzlein, Hamburg nung von Produktionen im Grenzbereich zwischen Musik und Medien-/Radiokunst interessant: zum Beispiel »Radio Internationale Stadt« als Archiv- projekt, »Radio Net« als Hypermusik, »RadioMatic« als algorithmische Installation sowie »Die Welt in 24 Stunden«, »State of Transition«, »Horizontal Radio« und »Recycling the Future/Sound Drifting« als Netz- Performances.

1 Die CD-Rom ist allerdings nicht der Buchausgabe beigelegt, son- Der dritte Teil ergänzt und überprüft die vorange- dern wurde als Bonus-CD der »Netzmusik«-Ausgabe der »Neuen Zeit- henden Einzelstudien durch empirische Studien. schrift für Musik«, H. 5/2004 veröffentlicht. 80 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 81

Ernst Erb pflegen und funktionstüchtig zu machen. Man muss Radiokatalog. sich auf dieses Wissen einlassen und sich nicht dar- Band II auf beschränken, neben den vielen Daten nur die Baden-Baden: Verlag für Technik und Handwerk vielen bunten Bildchen zu sehen. 2006, 400 Seiten. Dies sei zunächst am oben bereits eingeführten Bei- Sollte man in einer wissenschaftlichen Zeitschrift auf spiel erläutert. Selbstverständlich ist der Radioka- ein Buch wie den »Radiokatalog«1 des Schweizer talog-Eintrag sehr karg. Immerhin: Mit Hilfe der An- Radio-Sammlers und Museumsorganisators Ernst gaben zu weiteren Modellen erfährt man über die Erb aufmerksam machen? Dazu gibt es zwei sehr Firma, dass sie mindestens bis 1960/61 produziert unterschiedliche Antworten. haben muss. »Radiomuseum.org« hält zunächst keine weiteren Informationen bereit. Allerdings findet Die eine geht von den Eigenheiten des Bandes aus sich ein Link, der zur Homepage wohl des Rechts- und kommt zu einem nur negativen Ergebnis: Ein nachfolgers führt, der ein eigenes kleines Isophon- derartiges Daten-Grab scheint höchstens für Tech- Archiv unterhält. Über das Internet ist wiederum Ma- nik-Freaks von Interesse; schließlich wurde ja auch terial recherchierbar und zugänglich. der erste, bereits 1998 erschienene Band hier nicht besprochen. Zu Tausenden finden sich nämlich Ein- Zu anderen Firmen finden sich im Radiokatalog viel träge wie der folgende, zufällig herausgegriffene: mehr Informationen, und selbstverständlich erfährt »30/31 * Dynola – LAU – Ho – 330x150x360mm; NO« man am meisten über jene 32 »großen« Firmen, von (S. 94). Eigentlich lohnt die Auflösung der Abkürzun- denen über 8.000 Modelle bereits in Erbs erstem gen kaum. Man erfährt nur, dass die Firma Isophon Band vorgestellt wurden (von AEG bis Wega). Be- (=E. Fritz & Co.GmbH, Berlin) 1930/31 einen mit ge- ginnt man die Angaben zu sortieren, drängen sich nau angegebenen Maßen, aus Holz gefertigten Laut- viele Fragen auf. Nur zwei seien angerissen: Zum ei- sprecher mit Namen »Dynola« herstellte, der keiner nen springt die Vielzahl der Anbieter seit den spä- eigenen Stromzufuhr bedurfte. Eine Abbildung dazu ten 40er Jahren förmlich ins Auge. Und zum anderen gibt es nicht. scheint es deutliche regionale Zentren der Radio- produktion gegeben zu haben, unter anderem den Bevor man den Band jedoch achselzuckend zur Sei- Schwarzwald. So, wie das Material bislang sortiert te legt, sollte man zur Kenntnis nehmen, dass in die- ist, sind Antworten nur sehr mühsam zusammenzu- sem Radiokatalog immerhin rund 2.300 von Anfang suchen, weil zwar nach jedem noch so entlegenen an irgendwie mit Radio-Produktion befasste Firmen Modell gesucht werden kann, aber beispielsweise aus Deutschland (für die Nachkriegszeit sind West nicht nach Produktionsorten. Den Radio-Technikern wie Ost erfasst), Österreich und der Schweiz aufge- werden solche Fragen nicht von Bedeutung gewe- listet sind mit Angaben zu mehr als 16.000 Modellen sen sein. Lieferten sie die entsprechenden Informa- (einschließlich allem möglichen Zubehör wie Laut- tionen, könnten andere Rundfunkgeschichtler ein sprechern, Mikrofonen oder auch nur Werkstattge- ganz neues Kapitel sozial- und wirtschaftshistorisch rät). Und man sollte den Hinweis auf das Internet- fundierter Kulturgeschichte schreiben. Portal »Radiomuseum.org« ernst nehmen und den gedruckten Katalog gemeinsam mit dem virtuellen Bleibt am Ende nur ein dezidiertes Plädoyer dafür, Angebot nutzen. über traditionelle fachliche Grenzen hinauszusehen und wahrzunehmen, welche Informationen auf der Dann drängt sich nämlich die zweite, positive Ant- anderen Seite, in diesem Fall der Radio-Techniker, wort auf. Man muss zur Kenntnis nehmen, wie zer- bereitgehalten werden. Das würde sowohl die bis- spalten das Feld der Rundfunkgeschichte ist und lang überhaupt nicht als auch die ausschließlich an wie viele Informationen dadurch unbeachtet bleiben Technik interessierten Radiohistoriker bereichern. und letztlich verloren gehen, dass die verschiede- Konrad Dussel, Forst nen Bereiche so hermetisch abgeschottet vonein- ander agieren. Philologisch wie historisch geprägte Rundfunkgeschichtler scheinen geradezu eng mit- einander zusammen zu arbeiten, vergleicht man ihre gemeinsame Distanz zu den technisch interessier- ten Radiohistorikern. Erbs Radiokataloge und das von ihm initiierte Internet-Portal sind dafür ein her- vorragendes Beispiel. Sie machen deutlich, welch ungeheures Wissen Radio-Sammler angehäuft ha- 1 Die Quellen von Erbs »Radiokatalog« sind primär alte Radio- ben, ohne mehr damit anzufangen, als alte Geräte zu Kataloge. 80 Rezensionen 81

Kurt Tozzer/Martin Majnaric erfährt man in Tozzers Band allerdings nichts. Un- Achtung Sendung. ter Oberhammer wurden zahlreiche neue, gerade- Höhepunkte, Stars und exklusive Bilder zu legendäre Formate gestartet. Wenn Tozzer der aus 50 Jahren Fernsehen Intendanz Oberhammer die Signatur der »Fernseh- Wien: Verlag Ueberreuter 2005, 240 Seiten. Unterhaltung« aufprägt, so verfälscht dies teilwei- se die Wahrheit. Niemals zuvor und danach gab es Thaddäus Podgorski eine solche Fülle und Vielfalt an Informations-For- Die große Illusion. maten im ORF: von »Horizonte« (geleitet bis 1978 von Erinnerungen an 50 Jahre mit dem Fernsehen Tozzer selbst), Claus Gatterers »teleobjektiv«, Traudl Wien: Bibliophile Edition 2005, 208 Seiten. Brandstallers »Prisma«, über den unermüdlichen Format-Entwickler Teddy Podgorski (mit seinem al- 50 Jahre österreichisches Fernsehen, gefeiert und ter ego Walter Pissecker) bis zum »Panoptikum« geht erinnert in zwei nicht nur äußerlich sehr verschiede- die Spannweite; nimmt man die Magazin-Formate nen Publikationen. Der vom langjährigen Chef des auf den Gebieten Dokumentation, Kultur und Sport TV-Magazins »Horizonte«, Kurt Tozzer, und Martin hinzu, wird diese Liste noch wesentlich länger. Wes- Majnaric gestaltete Bildband glänzt mit unzähligen halb Tozzer den »Club 2« erst der Ära Gerhard Weiß Hochglanz-Fotos in Farbe und Schwarz-Weiß. Nicht (ab 1994) zuordnet, bleibt sein Geheimnis. zuletzt durch eine sorgfältige Auswahl der Fotos, die von Martin Majnaric zum Großteil aus dem reichen Tozzers kompositorisches Konzept besteht darin, Fotoarchiv des ORF zusammengestellt wurden, be- ORF-Geschichte anhand zentraler Sendeforma- sticht der Band. Der frühere ORF-Intendant Thadd- te aus den Bereichen Information, Bildung, Kultur, häus (»Teddy«) Podgorski setzt mit seinen Erinne- Sport und Unterhaltung über fünf Jahrzehnte, ohne rungen auf ein kleineres Format. Podgorskis Band wissenschaftlichen Anspruch, zu präsentieren. Im stellt in Aufmachung, Untertitel, satirischem Stil, Großen und Ganzen gelingt dies dank der präzisen Auswahl und Legenden der Fotos einen vom Autor Sprache und kompetenten Auswahl der Sendungen bewusst gewählten Kontrast zum repräsentativen und besonders auch Zusammenstellung der Bilder. Bildband Tozzers und Majnarics dar. Bei genauerer Allerdings bleibt die persönliche Handschrift des Au- Lektüre entdeckt man aber auch einige Gemeinsam- tors, trotz bemühter Objektivität, da und dort – be- keiten zwischen den beiden Publikationen. sonders gegen Ende des Bandes – erkennbar. So beschreibt Tozzer etwa populäre Sendeformate, die Die von Kurt Tozzer mit präzisen Begleittexten prä- sich an Sendungen privater TV-Sender orientieren, sentierte, überwiegend farbige ORF-Fernsehge- wie »Vera« oder »Taxi Orange«, als vom öffentlich- schichte (der Farbfernseh-Start erfolgte Anfang rechtlichen Auftrag »abweichende« Beispiele. 1969) ist in fünf Zeitabschnitte gegliedert. Jeder Ab- schnitt beginnt mit einer knappen Einleitung Tozzers, »Teddy« Podgorskis Erinnerungen lesen sich über in der er wichtige zeitgeschichtliche Hinweise gibt. weite Strecken wie eine subversive persönliche Ge- Auf erwähnenswerte Sendungen, die nicht ausführ- gengeschichte zur offiziösen Abhandlung Tozzers. lich behandelt werden, wird jeweils am Schluss der Was seine Darstellung auszeichnet, ist, dass hier ei- Kapitel verwiesen. ner lebendig und mit einem Hang zur Persiflage zu erzählen weiß. Podgorski hat wie kaum ein anderer Der vorliegende Band von Tozzer und Majnaric ent- ein halbes Jahrhundert Fernsehgeschichte (und da- hält mit seinen kurzen, aber präzisen Geschichten vor bereits den alliierten Hörfunk) miterlebt und ge- von zahlreichen Sendungen, gespickt mit bislang staltet. Insofern ist Gerd Bacher, der nach wie vor unbekannten Hintergrund-Details, wichtige Hinwei- (und sei es nur als Mythos) über dem Küniglberg se für eine noch weiterreichende Erforschung und (dem Sitz des Fernsehens) schwebt, für Podgorski kritische Würdigung der Programmleistungen des eine Art Parvenu, einer, vor dem der Nachrichten- ORF, wie sie insbesondere die Phasen 1966 bis 1974 mann, Sportreporter, Erfinder und Mitwirkender und von 1975 bis 1984 verdienen. Im Jahr 1966 gab zahlreicher erfolgreicher Sendungen keineswegs es die seit 1945 größte Runderneuerung des ORF zu Kreuze kroch oder nur den Hut zieht. Podgorski hinsichtlich Organisation und Programmangebot geht in seinen Erinnerungen schon fast respektlos unter der Federführung des Boulevard-Journalis- auf Distanz zu Bacher, was sicher auch darin be- ten Gerd Bacher (Ex-Chefredakteur »Bild-Telegraf« gründet ist, dass er eines der ersten »Opfer« der Ba- und »Express«), der von 1967 bis 1974, 1978 bis 1986 cher-Reform war. Die Abneigung war, glaubt man und 1990 bis 1994 Intendant des ORF war. Nach der Podgorski, übrigens wechselseitig. Ablösung Gerd Bachers 1974 folgte Otto Oberham- mer als Intendant des ORF bis 1978, der vom ersten Vieles was Podgorski auf 200 Seiten im Stile eines Tag an unter politischem Dauerfeuer stand. Darüber Stammtisch-Rückblicks erzählt, klingt authentisch, 82 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 83 auch wenn so mancher heitere Dialog sicherlich an- konstruktion zu verstehen, anstatt sie am historio- ders verlief als dargestellt. Freilich erschließen sich graphischen Diskurs zu messen. so manche Andeutungen und Zwischentöne (das gilt auch für den Band von Tozzer) oft nur österreichi- Das erste, rund 110 Seiten umfassende Hauptkapi- schen Lesern. Die Freude an der sonst vergnüg- tel ist überschrieben mit dem Titel »Das mediale Ge- lichen Lektüre dieses Buchs wird etwas getrübt dächtnis. Fernsehen als Agentur der Erinnerung«. durch das überaus nachlässige Lektorat, das es Fernsehen soll hier ausgehend von der sozialen fertig bringt, fast alle namhaften dramatis personae Praxis des Erinnerns als »Gedächtnismedium« kon- besonders der frühen ORF-Geschichte, ja selbst die zeptualisiert und methodisch handhabbar gemacht Namen von deutschen Bundesländern (wo liegt Ba- werden. Am Anfang steht ein umfassender Über- den-Würthemberg ?) falsch anzugeben. blick über neuere theoretische Ansätze zu Erinne- rung und Gedächtnis, die aber kaum zueinander in Insgesamt liegen mit beiden Publikationen zwei Beziehung gesetzt werden und deren Charakterisie- Bände zur österreichischen Fernsehgeschichte rung auch im Hinblick auf den Nutzen für die Studie vor, die man jedem interessierten Leser wärmstens eher unscharf bleibt. Am überzeugendsten in die- empfehlen kann. sem Kapitel ist der letzte, methodische Abschnitt, Theodor Venus, Wien in dem Brockmann ein hermeneutisches, »zirkulä- res« Verfahren zur historischen Medienanalyse vor- stellt, das multiperspektivisch angelegt ist. Bezogen Andrea Brockmann auf einzelne Produktionen werden der institutionel- Erinnerungsarbeit im Fernsehen. le Rahmen, die ästhetisch-visuelle Gestaltung, die Das Beispiel des 17. Juni 1953 (subjektive) Rezeption sowie der soziokulturelle Kon- (= Reihe Beiträge zur Geschichtskultur, Band 30) text und die historische Interpretation erfasst, die der Köln u.a.: Böhlau 2006, 366 Seiten. jeweilige Film vornimmt. Damit ist ein umfassender Ansatz zur Analyse non-fiktionaler Geschichtssen- »Geschichte ist so geil, ich wär’ so gern dabei gewe- dungen und -filme umrissen. sen/ Ich will’s immer wieder anschauen und nichts mehr drüber lesen«, dichtet der Kabarettist Rainald Nach einem Überblick zum Verlauf der Proteste um Grebe in seinem satirischen Song »Guido Knopp«, den 17. Juni 1953 und zur Erinnerung daran wird die- in dem er nicht nur den ZDF-Chefhistoriker, sondern ses Verfahren dann im folgenden, zweiten Hauptteil allgemein den anhaltenden Trend zur unterhaltsa- des Buches einem »Praxistest« unterzogen, und men und leicht konsumierbaren Geschichtsdarstel- zwar anhand der Dokumentation »Jene Tage im lung im Fernsehen parodiert.1 Dagegen suggeriert Juni«, mit der die beiden SFB-Journalisten Jürgen schon der Titel der geschichtsdidaktischen Disser- Rühle und Peter Schultze anlässlich des 30. Jah- tation von Andrea Brockmann eher das Gegenteil: restages 1983 an den Aufstand erinnerten. Über- »Erinnerungsarbeit« klingt nicht nur ernsthaft, son- zeugend werden hier die biographische Perspektive dern auch anstrengend. Das ist durchaus program- der Autoren und die Produktionsbedingungen ana- matisch zu verstehen: Denn im Gegensatz zu großen lysiert, die unter anderem von einem Mangel an au- Teilen der Historikerzunft plädiert die Autorin dafür, thentischem Material geprägt waren. Dagegen fallen das Genre der dokumentarischen Geschichtssen- die Teile zur Gestaltung und zum Inhalt sehr des- dungen ernst zu nehmen: In Anlehnung an Edgar kriptiv aus; hier hätte man sich zumindest Stand- Wolfrum konstatiert sie eingangs, dass es nicht ge- bilder gewünscht, um die visuelle Anmutung bes- nüge, Geschichtssendungen im Fernsehen »nase- ser nachvollziehen zu können. Die Ausführungen rümpfend zur Kenntnis zu nehmen« (S. 3). Vielmehr zur Rezeption tragen allenfalls illustrativen Charak- müsse es Aufgabe von Geschichtstheorie und -di- ter, aber dies ist weniger dem Ansatz als dem gene- daktik sein, einen »adäquaten wissenschaftlichen rellen Quellenproblem auf diesem Feld geschuldet. Zugang zur Konstruktion von Geschichte im Medi- Insgesamt wird sowohl die inhaltliche Spezifik des um Fernsehen zu finden« und die »Entwicklung ent- Films deutlich, der sich gegen den erinnerungskul- sprechender Bewertungsmaßstäbe« voranzutrei- turellen Mainstream einer Akzeptanz der deutschen ben (ebd.).

Damit ist zugleich das erste zentrale Interesse der Arbeit benannt, nämlich derartige Maßstäbe für his- torische Dokumentationen unter Berücksichtigung der medialen und erinnerungskulturellen Prämissen 1 Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung, Köln: Wort- Art 2005; der Liedtext findet sich unter http://www.rainald-grebe- zu entwickeln. Dabei geht es insbesondere darum, club.de/pages/liedtexte/rg-kapelle.php#GuidoKnopp (letzter Aufruf den »Eigencharakter« dieser Form von Geschichts- 2.4.2007). 82 Rezensionen 83

Teilung stellte, als auch seine Tendenz, Geschichte Christian Kiening/Heinrich Adolf (Hrsg.) weniger didaktisch als emotional-erlebnisbezogen Mittelalter im Film. zu präsentieren. (= Trends in Medieval Philology, Band 6) Berlin u.a.: de Gruyter 2006, 462 Seiten. Im dritten Teil des Bandes wird eine Analyse der wichtigsten dokumentarischen Fernsehprodukti- Die Betrachtung medial, speziell filmisch konstruier- onen zum Juni-Aufstand zwischen den Anfängen ter Geschichtsbilder kann in der Tat zu den derzeiti- 1963 und dem 50. Jahrestag 2003 vorgenommen. gen »Trends« der Mediävistik gezählt werden, wie es Dies geschieht in etwas kürzerer Form als bei der der Titel der Reihe, in dem der vorliegende Band er- Analyse von »Jene Tage im Juni«, aber mit dem glei- schienen ist, bereits verspricht. So ist noch wenige chen methodischen Instrumentarium. Zwar wird hier Monate zuvor ein epochenübergreifender Tagungs- durchaus der Charakter der jeweiligen Filme deut- band über die Repräsentationen von Mittelalter und lich, hinsichtlich ihrer zeit- und standortgebundenen Antike unter der Herausgeberschaft von Mischa Mei- Perspektive und auch im Hinblick auf ihre didakti- er und Simona Slanicka im Böhlau Verlag erschie- sche, inhaltliche und ästhetische Qualität. Beispiels- nen.1 Ob, wie Kiening im einleitenden Beitrag fest- weise konstatiert die Autorin fast durchgängig das stellt, kein anderes Medium das Bild des Mittelalters fehlende Problembewusstsein im Umgang mit dem im 20. und 21. Jahrhundert mehr bestimmt habe als historischen Bildmaterial, das nahezu beliebig und der Film, bleibt zwar mit Blick auf die Fülle von Sinn- illustrativ eingesetzt wurde. Doch die Konzentrati- angeboten anderer Bild- und Textmedien fraglich. on auf einzelne Filme erweist sich in der diachronen Die wichtige Rolle des Films bei der Konstruktion po- Perspektive als hinderlich: Hier hätte man sich eine pulärer Mittelaltervorstellungen ist aber jenseits sol- systematischere Verfolgung übergeordneter Frage- cher Superlative mithin unbestritten. Da ist es nicht stellungen etwa nach Wandel und Persistenz von verwunderlich, dass auch Mediävisten in jüngerer Bildprogrammen, Narrativen und Präsentationsfor- Zeit verstärkt die Selbstpositionierung in der medi- men oder der erinnerungskulturellen Prämissen ge- alen Welt des Genres suchen. In Umfang und Tiefe wünscht. unerreicht wird in dieser Hinsicht wohl für einige Zeit die im wahrsten Sinne des Wortes gewichtige Studie In dem sehr knappen Schluss, programmatisch mit von François Amy de la Bretèque bleiben.2 Umfang- »visual history« überschrieben, betont Brockmann reichere Analysen in deutscher Sprache stehen trotz noch einmal den Eigencharakter von dokumentari- der Vielzahl kleiner Einzelstudien bislang noch aus. schen Filmen als spezifische Form von historischer Einen Schritt in diese Richtung macht der vorliegen- Erzählung, die trotz zahlreicher kritischer Aspekte de Band, allen voran der Herausgeber Christian Kie- durchaus auch als »Korrektiv zu den historiographi- ning mit einem beinahe schon monografischen Auf- schen Methodiken« fungieren könne (S. 314). Ab- riss, in dem er auf rund einhundert Seiten souverän schließend wird dann – wenig originell – »Medien- das Betrachtungsfeld abzustecken weiß. Kiening be- kompetenz« des Faches eingefordert. Die Fallhöhe weist in seinen sehr nachvollziehbaren Überlegun- zwischen dem programmatischen Anspruch der gen große Materialkenntnis und stellenweise auch Überschrift und dem, was hier geboten wird, illust- einige Eigenständigkeit gegenüber der angloame- riert das Grundproblem des Buches: Einerseits leis- rikanischen und französischen Forschung, die oft tet es methodisch gründliche, gut lesbare Analysen noch stark von im weitesten Sinne literaturwissen- der Fernsehdokumentationen zum 17. Juni. Ande- schaftlichen Analysekategorien geprägt ist, welche rerseits liefert es nur implizit und punktuell jene ein- auf das Filmmedium übertragen werden. Mit Blick gangs geforderten Kriterien der Bewertung. Die Ur- auf den ein- und hinleitenden Charakter des Beitra- sache dürfte wohl in einem Grundwiderspruch zu ges wird sich mancher Leser allerdings eine explizi- suchen sein: Die evaluatorische Perspektive, de- tere Diskussion der internationalen Forschungslage ren Maßstab cum grano salis letztlich doch der (ge- wünschen, die leider weitgehend auf bibliographi- genwärtige) geschichtswissenschaftliche Diskurs sche Nachweise im Apparat beschränkt bleibt. ist, steht in einer kaum auflösbaren Spannung zum geschichtskulturellen Paradigma, das Filme histori- Die Einzelbeiträge des Bandes sind in zwei Sekti- sierend als kulturelle Artefakte der Vergangenheit in onen gegliedert: Die erste befasst sich mit »histo- den Blick nimmt. risch-mythischen Heroen«, im Einzelnen mit Robin Christoph Classen, Potsdam

1 Mischa Meier; Simona Slanicka (Hrsg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion. Köln et al. 2005.

2 François Amy de la Bretèque: L’imaginaire médiéval dans le ciné- ma occidental. Paris 2004. 84 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 85

Hood (Heinrich Adolf), Jeanne d’Arc (Judith Klinger) ten verknüpfen. Dabei erfahren wir nichts spektaku- und den japanischen Samurai (Christoph Schnei- lär Neues. Doch bringen die versammelten Beiträge der), während die zweite, deutlich umfangreichere die analytische Erfassung des Phänomens ein gutes Sektion sich mit insgesamt acht »paradigmatischen Stück voran. Wer »den Mittelalterfilm«, von dem Kie- Filmen« beschäftigt. Zweifellos handelt es sich da- ning so überzeugend darlegt, er sei ein »Genre, das bei durchweg um Klassiker des Genres. Der »para- keines ist« (S. 3), als Sinnangebot mit nicht zu un- digmatische« Charakter wird allerdings nur im Ein- terschätzender Breitenwirkung ernst nimmt, muss zelfall deutlich, weil sich die Beiträge nur am Rande sich keine Redundanz vorwerfen lassen, wenn er mit der filmischen, theoretisch-ästhetischen oder sich weiterhin an einer Einsicht abarbeitet, die sich anderen Rezeptionsweisen auseinandersetzen – je- schon seit einiger Zeit durchgesetzt hat: Die Moder- nen Dimensionen also, die einen solchen paradig- ne braucht das Mittelalter, ebenso wie das Mittelal- matischen Charakter ausmachen könnten. ter der Moderne bedarf.4 Hiram Kümper, Bochum Das Verdienst der Autoren, ausgesprochen gründli- che Detailstudien zu einer Reihe wichtiger Filme, die für viele Aspekte des kinematografischen Umgangs Martin Zierold mit dem Mittelalter durchaus exemplarisch sind, Gesellschaftliche Erinnerung. vorgelegt zu haben, wird dadurch jedoch nicht ge- Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive schmälert. Die Untersuchungen werden beschlos- (= Media and Cultural Memory / Medien sen von einem arrondierenden Ausblick auf die »Mo- und kulturelle Erinnerung, Band 5). numentalität im Historienfilm«. Elisabeth Bronfen Berlin/New York: de Gruyter 2006, 228 Seiten. entwickelt am Beispiel der großen Leinwandspek- takel von Cecil B. De Mille (1881–1957, Regisseur »Gedächtnis« und »Erinnerung« haben sich seit den u.a. von »The Crusades«, 1935) verallgemeinerba- 80er Jahren zu Leitbegriffen der Kulturwissenschaf- re Kriterien, die den Mittelalterfilm mit anderen epi- ten entwickelt. Nachdem einige der in diesem Zu- schen Filmen vergleichbar machen. Die beigefügte, sammenhang zentralen Kategorien, wie etwa die vom Mitherausgeber Kiening bearbeitete Filmogra- von Aleida und Jan Assmann entwickelten Begriffe phie schließlich stellt eine willkommene Aktualisie- des kommunikativen, kollektiven und kulturellen Ge- rung der vorliegenden Arbeiten von Harty3 und de dächtnisses, inzwischen als etabliert gelten können, la Bretèque dar, ohne diese teils der Anlage nach lassen sich derzeit, neben zahlreichen, kaum mehr erheblich umfangreicheren Verzeichnisse zu erset- zu überblickenden empirischen Erprobungen und zen. Einzelstudien, Bemühungen um eine weitere theo- retische Ausdifferenzierung beobachten. In diesen Der vorliegende Band kommt mit globalem Titel und Kontext lässt sich auch die kommunikationswissen- ohne den zur inhaltlichen Zerklüftung neigenden schaftliche Dissertation von Martin Zierold einord- Rahmen einer vorangegangenen Tagung daher. Das nen. Sein Ausgangspunkt ist das Erstaunen darü- weckt Erwartungen an thematische Konsistenz und ber, dass sich die Kommunikationswissenschaften Durchdringung der Materie. Diese Erwartungen wer- bisher kaum an der Diskussion um kulturelle Erinne- den beinahe ausnahmslos erfüllt. Herausgekommen rungsprozesse beteiligt haben, obwohl die Bedeu- ist ein sehr runder Band. Er hat mehr zu bieten als tung von Medien und Medienentwicklungen für kul- die wissenschaftlich fruchtlose Kritik an Anachronis- turelle Erinnerungsprozesse weithin anerkannt wird. men wie der viel belachten Armbanduhr aus »Ben Zierold spricht in diesem Zusammenhang von einer Hur« und dem Lamento über flache Vereinfachun- »Distanz zwischen dem kulturwissenschaftlichen gen komplexer historischer Sachverhalte, von dem Diskurs und kommunikationswissenschaftlichen manche Arbeit der 90er Jahre noch getragen war. Fragestellungen« (S. VI), die es zu überbrücken gel- Der Band hat auch mehr zu bieten als den erneu- te. Damit möchte der Autor auch einen Beitrag zu ten Rekurs auf die sinnstiftende Funktion hinlänglich der weiter gefassten Frage leisten, wie seine Diszi- bearbeiteter »nation building films«, die die filmische plin als Kulturwissenschaft gedacht werden kann Verarbeitung historischer Schlüsselereignisse in di- und wie umgekehrt andere, am kulturwissenschaft- rekter Linie mit der Konstruktion nationaler Identitä- lichen Diskurs interessierte Disziplinen von spezi- fisch kommunikationswissenschaftlichen Kompe- tenzen profitieren können. 3 Kevin J. Harty: The Reel Middle Ages. American. Western and Eas- tern European, Middle Eastern and Asian Films about Medieval Euro- Ausgehend von einer Rekonstruktion und kritischen pa. London et al. 1999. Reflexion des Forschungsstandes, die etwa die ers- 4 Vgl. Otto Gerhard Oexle: Das entzweite Mittelalter. In: Gerd Althoff (Hrsg.): Die deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen mo- te Hälfte des Buches einnimmt, entwickelt der Autor derner Geschichtsbilder vom Mittelalter. Darmstadt 1992, S. 7–28. im zweiten Teil ein Theorieangebot, das insbesonde- 84 Rezensionen 85

re auf die Untersuchung des Zusammenhangs von vity« in Erinnerungsprozessen hervorzuheben.2 Und Medien und Erinnerungen zugeschnitten ist. Dabei Peter Burke hat schon vor geraumer Zeit mit sei- umfasst die Diskussion und kritische Würdigung des nem Frageraster: »Wer verlangt von wem und wa- Forschungsstandes im ersten Teil sowohl neurowis- rum, was zu erinnern? Wessen Vergangenheitsver- senschaftliche, psychologische und philosophische sion wird aufgezeichnet und konserviert?« auf die Forschungen zur individuellen Erinnerung als auch Bedeutung verschiedener Ebenen im Erinnerungs- sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu Fra- prozess hingewiesen.3 gen des kollektiven Gedächtnisses. Diese Reflexio- nen sind äußerst hilfreich und in vielen Punkten be- Neuland betritt der Autor eher mit seinen im letz- denkenswert. Ohne auf die referierten Theorien und ten Kapitel unterbreiteten Vorschlägen zum Verhält- deren Kritik hier im Einzelnen eingehen zu können, nis von Erinnerung und Medien, einem Zusammen- lässt sich doch festhalten, dass der Autor am Ende hang, der bisher zumindest theoretisch tatsächlich des ersten Teils bei einer sehr weitgehenden Skep- recht stiefmütterlich behandelt wurde. Zierolds An- sis hinsichtlich des Begriffs »Gedächtnis« und bei ei- liegen, mit diesem Vorstoß die pauschale Rede von nem prozess- und handlungsorientierten Verständ- »den Medien« zu differenzieren (S. 161), scheint mir nis von Erinnerung angekommen ist. dringend geboten, auch wenn zu überlegen wäre, ob sich das präsentierte Modell (S. 164) spezifischer Darauf aufbauend schlägt der Autor unter Rückgriff auf Erinnerungsprozesse ausrichten ließe. Produkti- auf systemtheoretische Überlegungen zunächst vor, ons- und Distributionsbedingungen, Rezeption und den Begriff »Gedächtnis« durch »Fundus« zu erset- Nutzung, Kommunikationsinstrumente und Medien- zen, um damit die performative Ebene von Erinne- technologien, wie sie Zierold in das Modell einbringt, rungen deutlicher zu akzentuieren. Die Kostüme sind in medien- und kommunikationswissenschaft- und Requisiten im Fundus, so der Autor, seien »gar lichen Studien schließlich auch jenseits der Frage nichts, solange sie nicht von Menschen in der Ge- nach Erinnerung und Gedächtnis relevant. Aber als genwart performativ für eine Wiederaufnahme […] ein erstes Diskussionsangebot – Zierold versteht oder auch für eine Neuinszenierung genutzt werden. seinen Entwurf explizit in diesem Sinn – ist das vor- Und so sind auch die unsystematisch angehäuften gelegte Modell sicherlich anregend. Letztlich wer- ‚Gedächtnisorte‘ einer Gesellschaft nur dann be- den empirische Erprobungen zeigen müssen, ob mit deutsam, wenn sie von Menschen in der Gegen- dem von Martin Zierold entwickelten Theorie-Ange- wart als Erinnerungsanlässe genutzt werden.« (S. bot Phänomene in den Blick geraten, die unter Zu- 131) Wie dieser Vorschlag der begrifflichen Modifi- hilfenahme anderer Theorien nicht sichtbar gemacht zierung zielen auch die weiteren Anregungen auf die und verstanden werden können. Betonung der handlungstheoretischen Ebene des Birgit Schwelling, Frankfurt (Oder) Erinnerns, etwa wenn der Autor betont, dass ge- sellschaftliche Erinnerungen immer nur von Akteu- ren (bei Zierold »Aktanten«) realisiert werden können Stephan Alexander Weichert (u.a. S. 137) oder wenn er die Forschung auf die Fra- Die Krise als Medienereignis. gen: Wer erinnert? Was wird erinnert? Wie wird erin- Über den 11. September im deutschen Fernsehen nert? Wann wird erinnert? Wo wird erinnert? lenken Köln: Herbert von Halem Verlag 2006, 474 Seiten. möchte. Diese Betonung des handlungstheoreti- schen, performativen Aspekts von Erinnerungen ist Kaum etwas ist spannender als die Unterbrechung zu begrüßen, weil dadurch Ontologisierungstenden- der Routine. Das gilt auch für das Fernsehen. Am 11. zen vermieden und Prozesse der Konstruktion und September 2001 wurden die Fernsehprogrammab- Veränderbarkeit von Erinnerungen betont werden. läufe in fast allen Ländern der Erde aktualitätsbe- Allerdings stellt sich die Frage, ob der vom Autor be- dingt geändert. Und recht schnell fanden sich in den triebene (system-) theoretische Aufwand tatsäch- Programmen Mutmaßungen, die Welt werde nach lich notwendig ist, um zu diesem Ergebnis zu gelan- den Anschlägen auf das New Yorker World Trade gen, und ob diese Fokussierung tatsächlich neu ist. Center und das US-Verteidigungsministerium nicht Bereits Pierre Nora hatte darauf hingewiesen, dass von einem Erinnerungsort nur dann zu sprechen ist, 1 Vgl. Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin wenn sich (kollektive) Akteure identifizieren lassen, 1990, S. 26. die sich dazu in einen bewussten Erinnerungsbezug 2 Vgl. Jay Winter/Emmanuel Sivan: Setting the framework. In: Dies. setzen.1 Auch Jay Winter und Emmanuel Sivan ha- (Hrsg.): War and Remembrance in the Twentieth Century. Cambridge ben diesen Aspekt vor einiger Zeit hervorgehoben, 1999, S. 6–29, Zitat S. 9. indem sie dafür plädierten, den Fokus von »memo- 3 Vgl. Peter Burke, Geschichte als soziales Gedächtnis. In: Ass- mann, Aleida/Harth, Dietrich (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funkti- ry« auf »remembrance« zu verschieben, um damit onen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt a.M. 1991, S. 289–304, Zitat die Bedeutung von »agency«, »activity« und »creati- S. 298. 86 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 87 mehr so sein wie vorher. Was im historischen Rück- alisierte Medienereignis« unterbricht den Alltag von blick noch differenziert zu belegen sein dürfte. Publikum und Medien gleichermaßen und erfüllt da- In seiner Hamburger Dissertation widmet sich Ste- bei eine hoch integrative Funktion, indem es die Ge- phan Alexander Weichert nicht den großen makro- sellschaft an ihre Werte, Normen und Traditionen er- historischen Implikationen der Attentate, sondern im innert, also eine Art Vergemeinschaftung leistet (S. wahrsten Wortsinn dem Kleinbild: wie das deutsche 218). Diese rund 150 zentralen Seiten demonstrie- Fernsehen (vertreten durch ARD, RTL, Sat.1 und ren die große Belesenheit des Autors, der den wis- ZDF) am Nachmittag des 11. September 2001 und senschaftlichen Diskurs sehr facettenreich rekons- in den Folgetagen mit der so plötzlich und mit so truiert. Eine straffere Argumentationsführung wäre vielen dramatischen Live-Bildern hereingebroche- für Leser von außerhalb eines engen Zirkels der nen Katastrophe organisatorisch-programmplane- emergierenden »Ritual Studies« allerdings ebenso risch und inhaltlich-diskursiv umgegangen ist. Im in- hilfreich gewesen. Bisweilen kann man sich als Le- dividuellen und kollektiven Erleben vieler Zuschauer ser des Eindrucks nicht erwehren, das Konzept des erscheinen diese Übertragungen bis heute wie eine »Rituals« zerfalle in so viele Denkansätze, dass am Vorher-Nachher-Zäsur. Ende ein gemeinsames Fundament fehlt. Der Begriff bleibt seltsam schwammig. Verwunderlich ist, dass Um das wesentliche Ergebnis der Studie vorweg- der Autor die für ein Ritualverständnis von journalis- zunehmen: Am Ende siegte die Professionalität tischen Prozessen nicht ganz unbedeutenden Vor- und das Ordnungsprinzip des Fernsehens. Das so arbeiten von Gaye Tuchman nur mit einer Referenz gar nicht von PR-Mitteilungen vorab angekündigte erwähnt und Daniel C. Hallins verwandte Studien prominente und brutale Großereignis, das wir heu- gänzlich ignoriert. te gern mit der amerikanisch-knappen Kurzformel »9/11« bezeichnen, wurde vom Mediensystem relativ Die zuvor dargelegte Ritualkonzeption überträgt rasch in eine Art Routine überführt – wiewohl eine ir- der Autor anschließend auf seine Fallstudie: das ritierte Routine. Diesen Transformationsprozess und ritualisierte Medienereignis »9/11« als semiotische seine vielfältigen Kontexte analysiert Weichert als Ressource, die diskursiv der Verarbeitung der Kri- »Ritual« und schlägt somit einen weiten Bogen zu se und der Rückversicherung der betroffenen Ge- kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Dies liest sellschaft (im Fallbeispiel: der deutschen) dient. Das sich mal weniger konzis, mal mehr. hat durchaus »religiöse« Bezüge – darauf weisen die Wurzeln des Ritualbegriffs ja auch hin. Weichert Der Schwerpunkt der Studie liegt auf der journa- wählt zum empirischen Beleg seiner vielschichti- listischen Krisenberichterstattung in Nachrichten- gen Thesen eine Kombination aus zwei Methoden- sendungen und -magazinen am und im zeitlichen ansätzen der Inhaltsanalyse: eine quantitative Pro- Umfeld des 11. September und deren Abläufen, grammstrukturanalyse der vier zentralen deutschen Darstellungskonventionen, Funktionslogiken und Fernsehprogramme sowie eine qualitativ orientier- anderen Routinebildungen, die von Weichert als je- te Programminhaltsanalyse, wobei Weichert auf die weils unterschiedliche »Ritualisierungsmerkmale« Sendeprotokolle der untersuchten Programme wie herausgearbeitet werden (S. 36). Die übergreifende auch auf Mitschnitte zurückgreift. Dieser Untersu- Fragestellung der Untersuchung ist, wie das deut- chungsteil überzeugt durch seine stringente Anlage, sche Fernsehen einen »rituellen« Übergang von der hervorragende Dokumentation und differenzierte Live-Katastrophe zum Medienereignis schaffte und Argumentation – und anders als viele andere Erhe- wie es auf Grund spezifischer Ritualisierungsfunkti- bungen dieser Art liest er sich auch noch gut. Das onen den Eindruck vermittelte, die Krise des 11. Sep- große Potenzial einer Verknüpfung von quantitativer tember medial zu bewältigen (S. 40). und qualitativer Forschung zeigt hier seine schöne Wirkung: Man sieht den Wald und auch die Bäume, Nach einem relativ kompakten Überblick über den die großen Zusammenhänge wie auch die Details. Stand der kommunikationswissenschaftlichen For- schung zum 11. September stellt Weichert zunächst Im Sinne eines Verarbeitungs- oder Ablaufsche- dar, was in einer kultur- und sozialwissenschaftli- mas eines ritualisierten Krisenereignisses identifi- chen Perspektive unter einem »Ritual« verstanden ziert Weichert fünf Phasen: die Initialphase der »Li- werden kann und wie Modellvorstellungen dieser veness« mit ihrer Ritualfunktion der Authentizität, Art auf Fernsehkommunikation anzuwenden sind. In die Phasen »Ästhetisierung« und »Dramatisierung« weiteren ausführlichen, teils langwierigen Kapiteln mit ihren Etikettierungen (»Terrorkrieg gegen Ameri- führt der Autor anhand zahlreicher Beispiele aus der ka« und dergleichen) und normativen, oft vorschnel- Literatur in das Ritualverständnis von Medienereig- len Bedeutungszuschreibungen, die Phase der ei- nissen ein. Als Kerngedanke des »Rituals« wird fol- gentlichen »Ritualisierung« mit all ihren medialen gende Transformationsleistung formuliert: Das »ritu- Artefaktbildungen (Wiederholungsschleifen, Chif- 86 Rezensionen 87

frierungen, Mythenbildungen) und die finale Pha- insgesamt neun Beiträge fraglos für geraume Zeit se der »Historisierung« (aus heutiger Sicht möchte eine prominente Anlaufstelle für all jene bilden, die man sie Dauerphase nennen) mit ihren Erinnerungs- sich aus historischer Perspektive dem Phänomen zeremonien, Rückschauen und den diversen ande- Kriegsberichterstattung nähern wollen. ren Werkzeugen, die Senderarchive, Datumsjourna- lismus und politische PR noch bereithalten. Dieses Genau genommen existiert die Kriegsberichterstat- Phasenmodell, das der Autor sehr detailreich be- tung seit es Kriege gibt. Schließlich hat stets irgend- gründet, könnte durchaus auf andere Krisenereig- jemand über die Kämpfe und Schlachten berichtet, nisse anwendbar sein. Folgestudien könnten sich ob es sich dabei um die heimkehrenden Soldaten überdies einer Analyse dessen widmen, wie »9/11« oder aber – Caesars »Bellum Gallicum« belegt dies im Fernsehen anderer Länder und Kulturkreise dar- eindringlich – ihre Feldherren handelte. Kriegsbe- gestellt und verarbeitet wurde: Ob also das hier hy- richterstatter im heutigen Sinne, d.h. von der mili- pothetisierte Fünf-Phasen-Modell und die mit ihm tärischen Führung einigermaßen unabhängige Kor- zusammenhängenden Ritualkonzeptionen univer- respondenten, die die Kombattanten begleiten, um selle Gültigkeit beanspruchen können oder nur im für ihr jeweiliges Medium über das Kampfgesche- kulturellen Kontext Deutschlands oder Mitteleuro- hen zu berichten, traten aber freilich erst Mitte des pas anzuwenden sind. 19. Jahrhunderts in nennenswerter Zahl auf. Ent- sprechend gilt als erster »Presse-« bzw. »Medien- Insgesamt hat Weichert eine mit Gewinn zu lesende krieg« denn auch der Krimkrieg. Ihm widmet sich Ute innovative Studie vorgelegt, deren empirische Kapi- Daniel in ihrem gehaltvollen Beitrag, wobei sie spe- tel dank seiner Kenntnisse der journalistischen und ziell die große Bedeutung der Kriegsberichterstat- redaktionellen Praxis auch für Nicht-Wissenschaft- tung der Londoner Presse herausstellt, darüber hi- ler von Interesse sein dürften. Das Buch ist dazu ge- naus aber auch auf die Kriegsfotografie etwa eines eignet, die medienethische Debatte über Darstel- Roger Fenton oder Felice Beato eingeht, deren Auf- lungen und Interpretationen von Krisenereignissen nahmen zur damaligen Zeit aber bekanntlich nur ein zu vertiefen; auch hier bietet Weichert wichtige ab- vergleichsweise kleines Publikum erreichten. Mit an- schließende Reflektionen. Die minutiöse Dokumen- deren Worten: Obgleich der Krimkrieg – dies hat Ul- tation der Programmabläufe am und kurz nach dem rich Keller in »The Ultimate Spectacle: A Visual His- Stichtag der Untersuchung macht zudem einen Er- tory of the Crimean War« (2001) bereits glänzend innerungsschatz verfügbar, der auch fünf Jahre dargelegt – problemlos als »Bilderkrieg« bezeichnet nach dem Ereignis nichts von seiner Intensität ver- werden kann, der der englischen Bevölkerung unter loren hat. anderem in Illustrationen, Panoramen und Sound- Oliver Zöllner, Stuttgart and-Light-Shows nahe gebracht wurde, so war er beileibe noch kein »Fotokrieg«. Mit einigen Abstri- chen verdient diese Charakterisierung erst der Erste Ute Daniel (Hrsg.) Weltkrieg, wobei Almut Lindner-Wirsching in ihrem Augenzeugen. Aufsatz auf etwas hinweist, was in den bisherigen Kriegsberichterstattung Forschungsbeiträgen bislang einigermaßen außer vom 18. zum 21. Jahrhundert Acht gelassen wurde: nämlich, dass die Bildbe- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, richterstattung zu Beginn des Konflikts noch in er- 264 Seiten. heblichem Maße von Zeichnung, Malerei und Grafik geprägt war, die nicht zuletzt aufgrund ihrer größe- Keine Frage: Das facettenreiche Verhältnis von Krieg ren Gestaltungsmöglichkeiten für die Fotografie eine und Medien bzw. Medienkultur stößt in der Scientific zunächst durchaus ernst zu nehmende Konkurrenz Community derzeitig auf ein enormes Interesse. In bei der Visualisierung des Frontgeschehens dar- kürzester Zeit erschien eine ganze Reihe von Publi- stellten. kationen, die sich diesem Gespann widmen, wobei hier vor allen Dingen natürlich Gerhard Pauls kom- Gänzlich anders sah dies im Spanischen Bürger- petente Überblicksdarstellung »Bilder des Krieges – krieg aus, den Gerhard Paul im Titel seines Beitra- Krieg der Bilder: Die Visualisierung des modernen ges mit einiger Berechtigung als »Krieg der Fotogra- Krieges« (2004) Erwähnung verdient, der man gu- fen« ausweist. Dass er ein solcher werden konnte, ten Gewissens bereits den Status eines Standard- verdankte sich, so Paul, der damit Richtiges, aber werks wird attestieren dürfen. Ein vergleichbares freilich nichts Neues benennt, in ganz erheblichem Potenzial hat der hier zur Diskussion stehende Sam- Maße der kurz zuvor erfolgten Erfindung lichtemp- melband zwar wohl nicht, doch wird er aufgrund des findlicher Objektive und Filme. Noch weitaus bedeu- breiten thematischen Spektrums und der über wei- tender waren jedoch die handlichen Kleinbildkame- te Strecken hohen bis sehr hohen Qualität seiner ras (die Leica ging bereits Mitte der 20er Jahre in 88 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 89

Serienproduktion), die es den Fotografen erlaubten, vollständig geblieben, vor allem im Vergleich zu der sich mitten hinein ins Kampfgeschehen zu begeben, Veröffentlichungsflut zur 60. Wiederkehr des Kriegs- um dessen dramatischen Momente aus unmittelba- endes im Jahr 2005. Dieser Befund gilt sowohl für die rer Nähe festzuhalten und damit den Rezipienten der Breite als auch die Tiefe der historischen Forschung, Bilder diese Nähe retrospektiv aus der Ferne spü- insbesondere zu den zwölf Nachfolgeprozessen.2 ren zu lassen. Paul spricht in diesem Zusammen- Neben der Bestrafung der Schuldigen war auch ein hang von der Combat-Fotografie, die natürlich auch auf den Werten der westlichen Demokratie beru- im Zweiten Weltkrieg eine große Rolle spielte, wenn- hender Gegenentwurf zum Nationalsozialismus ein gleich sie, was das mediale Evozieren von Nähe an- erklärtes Ziel der Verfahren. Nürnberg wurde zum belangt, starke Konkurrenz durch das Medium Film ersten Forum multi- bzw. bilateraler Aushandlungs- vor allen erhielt. Im deutschen Kontext ist hier vor allem an die prozesse und Standortbestimmungen nach 1945. Dingen Wochenschau zu denken, deren Bedeutung, so Kay Hoffmann in seinem informativen Beitrag, von der Die Nürnberger Prozesse waren ein wichtiges Me- Filmhistoriografie lange Zeit reichlich überschätzt dienereignis, sie machten Zeitgeschichte für die Öf- wurde. Denn spätestens nach der Niederlage von fentlichkeit erfahrbar. Die insgesamt acht CDs der Stalingrad büßte die Wochenschau bei der Bevölke- Edition »Die NS-Führung im Verhör« des Audio-Ver- rung entscheidend an Glaubwürdigkeit ein, wodurch lags appellieren auch an die Vorstellungskraft der sich ihre anfangs zweifelsohne erhebliche Propa- heutigen Zuhörer. Als Re-Inszenierung für Nicht- gandawirkung natürlich weitgehend verlor. zeitgenossen spiegeln sie mit über sieben Stunden Länge eindringlich die Atmosphäre und den müh- Der hier zur Verfügung stehende Raum lässt es lei- seligen Prozessalltag wider. Die einzelnen CDs sind der nicht zu, auch auf die anderen Beiträge (unter unter programmatischen Titeln nach den Namen der anderem zum Vietnam- und zum Irakkrieg) näher Angeklagten aufgeteilt: Hermann Göring, Wilhelm einzugehen. Deshalb sei hier abschließend aus- Keitel, Walther Funk, Franz Schlegelberger, Fried- drücklich darauf hingewiesen, dass auch sie zu rich Paulus, Karl Gebhardt, Fritz Sauckel und Die- überzeugen wissen. Insofern darf die Anschaffung ter Wisliceny. Das Ablaufschema ist für alle CDs je- des im Übrigen ausgesprochen gut edierten Bandes, weils gleich gehalten: Dem Intro und der offiziellen der dankenswerterweise mit einer ausführlich kom- Vereidigung des Angeklagten folgt eine kurze Ein- mentierten Auswahlbibliografie zum Thema Medien führung des Karlsruher Historikers Peter Steinbach, und Krieg aufwartet, sowohl für Historiker als auch danach einzelne Befragungen zu den Tätigkeitsfel- für Medien- und Kommunikationswissenschaftler dern beziehungsweise vorgeworfenen Verbrechen als sehr lohnend bezeichnet werden. und ein editorischer Abspann. In einigen Fällen er- Jörn Glasenapp, Lüneburg scheint die Zuordnung aber eher willkürlich. So zum Beispiel im Fall des ehemaligen Reichsbankpräsi- denten Walther Funk, der, obwohl nicht direkt der Sammelrezension Tondokumente deutschen Großindustrie zuzuzählen, »allein« für die zum Nürnberger Prozess Verflechtung der Wirtschaft mit dem Nationalsozia- lismus stehen soll. Die NS-Führung im Verhör. Original Tondokumente der Nürnberger Prozesse Im Begleittext umreißt Steinbach in Form einer all- Dokumentiert von Ulrich Lampen, gemeinen und engagierten Einleitung den Inhalt eingeleitet von Peter Steinbach der Zusammenstellung. Nach Darstellung der Aus- Berlin: Der >Audio< Verlag 2006, 8 CDs, 440 Minuten.

Der Nürnberger Prozess. 1 So die »Blaue Reihe« zum Hauptkriegsverbrecherprozess: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Mi- Das Internationale Tribunal gegen die litärgerichtshof [IMG] Nürnberg 14. November 1945–1. Oktober 1946, Hauptkriegsverbrecher Bd. 1–42, Nürnberg 1947–1949 (mehrere Nachdrucke der Bde. 1–23, (= Stimmen des 20. Jahrhunderts) aktuelle Ausgabe Frechen 2001), auch als Mikrofiche Edition, zuletzt Berlin, Frankfurt am Main, Potsdam: als CD-ROM unter dem Titel: Der Nürnberger Prozess. Das Protokoll des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internatio- Deutsches Historisches Museum (DHM), nalen Militärgerichtshof 14. November 1945–1. Oktober 1946, hrsg. und Deutsches Rundfunk Archiv (DRA) 2006, mit einer Einführung von Christian Zentner, Berlin 22004). 1 CD, 67 Minuten. 2 Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess begann am 14. No- vember 1945 und endete am 1. Oktober 1946. Das letzte Urteil in einem Obwohl die Prozessprotokolle in mehreren gedruck- der zwölf seit Dezember 1946 abgehaltenen Nachfolgeprozesse wurde kurz vor der Gründung der Bundesrepublik, am 14. April 1949 im Pro- 1 ten Ausgaben vorliegen, ist die Erforschung der zess gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien, kurz: Wilhelm- Nürnberger Prozesse bis heute überraschend un- straßenprozess, gesprochen. 88 Rezensionen 89

gangssituation folgen kurze Ausführungen zur Vor- sem Weg wird der Charakter solcher Mammutpro- geschichte, den Zielen und rechtlichen Grundsätzen zesse wenigstens ansatzweise erfahrbar. Und die- der Verfahren sowie den zum Teil kritischen Reakti- se Eindrücke ließen sich ohne weiteres auf die sich onen der deutschen Öffentlichkeit. Steinbach ver- zum Teil über mehrere Jahre hinziehenden Prozesse weist hierbei mehrfach auf die Nachfolgeprozesse, gegen NS-Verbrecher vor deutschen Gerichten und im Ergebnis dominieren die Edition aber klar die- die Internationalen Tribunale der UN seit den 90er jenigen Aussagen beziehungsweise Verhörsituatio- Jahren projizieren. nen, welche aus dem Hauptprozess stammen, auch wenn die Beilagen der CDs teilweise einen anderen Die vom Deutschen Historischen Museum (DHM) Zusammenhang suggerieren: Beispielsweise erfolg- in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunk ten die Aussagen Franz Schlegelbergers (CD 4), als Archiv (DRA) herausgegebene CD »Der Nürnber- Angeklagter im Juristenprozess 1947 zu lebenslan- ger Prozess« verfügt dagegen »nur« über eine Ge- ger Haft verurteilt und 1951 begnadigt, im Rahmen samtlänge von 67 Minuten. Im Begleitheft findet seiner Zeugenaussage während des Hauptverfah- sich eine kurze Einführung, die eine grobe Einord- rens und nicht, wie aus dem Begleittext der CD ge- nung des Hauptkriegsverbrecherprozesses und In- folgert werden muss, aus dem Juristenprozess. An formationen zu den Tonaufnahmen, die hauptsäch- einigen Stellen haben sich zudem Fehler eingeschli- lich aus den Beständen des DRA stammen, liefert. chen: So legt bei CD 5 der Begleittext die Entlas- Zur Einordnung der Quellen wurden hier wenigs- sung für Friedrich Paulus richtig auf das Jahr 1953 tens die genauen Aufnahmedaten beziehungswei- fest, Steinbach spricht in seinem Einleitungstext von se Prozesstage vermerkt. Neben den Angeklagten 1955 (CD 5, Titel 3). Herman Göring, Rudolf Heß, Ernst Kaltenbrunner und Albert Speer kommen noch vier der Ankläger, Eine rasche Überprüfung besonders interessanter die deutschen Verteidiger sowie die Kommentato- oder auch fraglich erscheinender Stellen wird aber ren Fritz Eberhard (SDR), Erika Mann und Markus durch den Umstand erschwert, dass nicht nur auf Wolf »zu Wort«. Die Auswahl bleibt auch hier unbe- einen präzisen wissenschaftlichen Apparat, son- gründet. dern auch auf jegliche grundlegende Nachweise wie etwa die Aufnahmedaten verzichtet wurde. Der für Die Dokumente folgen einer losen Chronologie, eine die Arbeit von Historikern so elementare Vergleich strikte zeitliche Abfolge gilt nur für die einzelnen An- zwischen Text- und Tonprotokollen wird so unnö- geklagten, das Schema »Verhör, persönliche Erklä- tig kompliziert. Auch die Ziele des Editionsprojek- rung, Schlusswort« wird durchgängig beibehalten. tes sowie die Auswahlkriterien der Tondokumente Die Kommentare geben zusätzlich einen Einblick bleiben im Dunkeln. Sogar die »Herkunft« der Auf- in die innere Verfasstheit Nachkriegsdeutschlands nahmen wird nur recht oberflächlich mit einem all- in Ost und West. Zentrale und gern wiederholte As- gemeinen Verweis auf die National Archivs Records pekte des Verfahrens wie die bekannten Sequen- Administration (NARA) in Washington belegt (Be- zen »Schuldig oder nicht schuldig« (Dokument 4) gleittext, S. 2). oder die (gekürzte) Verkündung der Strafen (Doku- ment 19) fehlen nicht. Auf diesem Weg wird zwar ein Nichtsdestotrotz hat die vorliegende Höredition des nur punktueller, insgesamt aber guter Gesamtein- Audio-Verlags auch viele Pluspunkte zu verbuchen: druck des Hauptkriegsverbrecherprozesses vermit- Ein großer Vorteil liegt im Umfang der Tonprotokol- telt. Auch in diesem Fall haben sich kleinere Unge- le. Gerade durch die Darstellung längerer ungekürz- nauigkeiten eingeschlichen: Der Begleittext verweist ter Passagen bekommt man einen »realen« Eindruck auf die »Entzauberung« der Göringschen Verteidi- vom Ablauf des ersten Nürnberger Prozesses: pha- gungsstrategie durch den russischen Hauptanklä- senweise und quasi in Echtzeit. Die CDs liefern zu- ger Roman Rudenko, der dazugehörige Beitrag dem, trotz der Überblendungen durch die Überset- (Dokument 5) protokolliert aber nur die Stimme der zung der Originalstimmen der Ankläger, wichtige (Original-) Übersetzerin. Impressionen von der Atmosphäre im Gerichtssaal. Ein Beispiel: Dass es hier in der Regel empfindlich Die CD des DHM/DRA liefert uns die »Highlights« laut zu ging, ist eine nur selten beachtete Tatsache, des Nürnberger Prozesses strukturiert und in chro- unter der besonders auch die unzähligen Übersetzer nologischer Reihenfolge, kurz: im Zeitraffer. Sie kann nicht nur körperlich, sondern auch psychisch stark im Gegensatz zur Box des Audio-Verlags, die einen zu leiden hatten. Den ausgewählten Tondokumen- weiteren Bogen spannt und wichtige Einblicke in De- ten gelingt es darüber hinaus, die Rollenverteilung tails und den Alltag der Prozessführung gibt, aber im Prozess, also das zermürbende Wechselspiel keine Tiefenwirkung erzeugen, d.h. weder die At- zwischen den Angeklagten, ihren Verteidigern und mosphäre noch die Intensität des Verfahrens ein- den Anklägern, plastisch wiederzugeben. Auf die- fangen. 90 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 91

Um ein umfassendes Täterbild »zeichnen« zu kön- Mehr als 1600 akustische Quellen werden darin be- nen, reichen weder Texte, Bilder noch Originaltö- schrieben, von nur wenigen Sekunden langen Ton- ne allein aus. Mit Blick auf die Rolle von Tätern im Schnipseln bis hin zu stundenlangen Mitschnitten Verhör – in der Regel nachgewiesen durch Verneh- von Reden und Versammlungen. Musik-Dokumen- mungsprotokolle und nicht durch Tonbandaufnah- te wird man darunter jedoch vergebens suchen. Ob- men – lassen sich vergleichbare Aussagestrategien wohl ebenfalls reichlich im Archiv vorhanden, blei- zur Leugnung des »Wissens« über die ihnen vor- ben sie grundsätzlich ausgespart (ohne dass dies geworfenen Verbrechen ausmachen. Während auf ausdrücklich begründet würde). dem Papier eine Wiederholung eine formale Rekapi- tulation eines Arguments bleibt, spiegeln sich in den Dafür stößt man nicht nur auf deutsch-, sondern »realen Stimmen« zusätzlich die unterschiedlichen auch auf fremdsprachige Aufnahmen. Dies ist ge- Charaktere sowie Kalkül und persönliches Verhand- rade für die Kriegsjahre (und die unmittelbar voran- lungsgeschick der Täter wider. So entsteht ein ein- gehende Zeit) von großer Wichtigkeit: Zum einen ist drücklicheres Bild vom Geschehen im Gerichtssaal es dadurch möglich, nicht nur die deutschen Stim- und von der »Persönlichkeit« der Täter, als es auf Ba- men (von Artur Axmann bis Clara Zetkin) zu hören, sis schriftlicher Protokolle entworfen werden kann. sondern auch die ausländischen. Es ist schon ver- Der Gewinn der vorliegenden Editionen, nicht nur für blüffend zu sehen, wie viele Aufnahmen von Neville die Geschichtswissenschaft, liegt in der Kombinati- Chamberlain, Winston Churchill, Edouard Daladier, on der Quellen und Verfahren. Die CD des DHM/DRA Charles de Gaulle, Benito Mussolini und Fran- liefert einen kleinen Teil dieser notwendigen Synthe- klin D. Roosevelt allein aus diesem knappen Zeit- seleistung gleich mit: Sie enthält nicht nur die Ori- raum in Frankfurt überliefert sind; von den wichtigs- ginalstimmen der Angeklagten, sondern macht den ten Staatsmännern fehlt eigentlich nur Josef Stalin. Hörer gleichzeitig mit einigen wichtigen Kommen- Und zum anderen müssen keine unangemessenen, tatorinnen bekannt. Gerade in diesen Kommenta- künstlichen Unterscheidungen hinsichtlich der Spra- ren fließen Bilder, Töne und Texte zu einem – unter chen getroffen werden: Der deutsche Rundfunk sen- Umständen sogar besonders wirkungsmächtigen – dete genauso in verschiedenen Fremdsprachen wie »neuen« Täterbild zusammen. auch ausländische Sender (allen voran die BBC) deutschsprachige Angebote ausstrahlten. Das Ver- Um einen ersten umfassenden Eindruck vom Ab- zeichnis erfasst einfach alles Vorhandene. lauf und der Atmosphäre des Nürnberger Prozesses zu gewinnen, eignen sich beide Veröffentlichungen Obwohl der Bestand etliche Live-Mitschnitte (ge- trotz ihrer beschriebenen Unterschiede in Umfang rade von den »Feind«-Sendern) enthält, umfasst er und Struktur in besonderem Maße sowohl für ein auch viele nicht gesendete Tondokumente. Das wird breites Publikum als auch für den Einsatz in der uni- in dem Verzeichnis allerdings nicht immer im Ein- versitären Lehre. Historiker werden zwar die leich- zelnen deutlich. Manche deutsche Aufnahme dürf- te Zugänglichkeit »neuer« Tondokumente zu würdi- te zwar für Rundfunkzwecke entstanden, aber nicht gen wissen, die fehlenden Nachweise erschweren zwangsläufig gesendet worden sein. Das gilt insbe- aber unnötigerweise die Arbeit mit den Quellen. sondere für »kulturelle« Beiträge. Wenn etwa für das Dieser leider nicht ganz unerhebliche Mangel hät- am 8. Dezember 1939 produzierte Hörspiel »Opium« te in beiden Fällen aber leicht vermieden werden vermerkt werden kann, dass es am 21. Dezember können. vom Deutschlandsender ausgestrahlt wurde, ist das Cord Arendes, eine Ausnahme. In anderen Fällen bleibt der Verwen- dungskontext völlig unklar. Das Verzeichnis enthält Mitschnitte der UfA-Wochenschau vom 29. Novem- Tondokumente zur Kultur- und ber 1939 und vom 28. November 1940 Ausschnitte Zeitgeschichte 1939–1940. Ein Verzeichnis. aus dem Propagandafilm »Der ewige Jude«. Ob und Zusammengestellt und bearbeitet in welchen Radiosendungen sie verwandt wurden, von Walter Roller unter Mitarbeit lässt sich aus dem Verzeichnis nicht erschließen. von Georg Vorwerk Berlin: Verlag für Berlin- 2006, Die Bestände des Deutschen Rundfunkarchivs 587 Seiten. Frankfurt/Main werden primär von Radio-Machern genutzt. Doch auch Historiker sollten sie stärker bei Die Arbeit am großen, auf sieben Bände angeleg- ihren Arbeiten einbeziehen: Zum einen, weil wichti- ten Verzeichnis der im Deutschen Rundfunkarchiv ge politische Reden nicht nur auf ihren Text zu re- Frankfurt/Main verwahrten Tondokumente aus der duzieren sind. Der Auftritt Hitlers vor dem Reichs- Zeit von 1888 bis 1945 schreitet voran. Mittlerweile tag am 1. September 1939 mit seiner Erklärung zum liegt der vierte Teil vor. deutschen Angriff auf Polen beispielsweise ist auch 90 Rezensionen 91

in seinen Artikulationen (und den Reaktionen der Zu- waltschaften jeder Denunziation nachgehen müss- hörer) von besonderem Interesse. ten. Die justizielle Ahndung oblag grundsätzlich den NS-Sondergerichten. Zum anderen ermöglichen die Tondokumente die Be- antwortung ganz spezifischer Fragen. Für bestimmte Der rührige Leiter des Rundfunkmuseums in Fürth, Zeiten liegt eine besonders dichte Überlieferung vor, Gerd Walther, hat sich mit den beiden Koautoren, etwa zum Einmarsch der deutschen Truppen in Dä- Karin Falkenberg und Andreas Christ, dieses The- nemark am 9. April 1940. Das Verzeichnis verweist mas angenommen. In einem ansprechenden Heft auf Nachrichten englischer und französischer, aber wird die Geschichte des »Rundfunkverbrechers« auch schwedischer und norwegischer Sender, des Willi Mühlhofer erzählt. Dieser, ein kleiner Angestell- italienischen und Schweizer Rundfunks, zumeist in ter beim Wasser- und Straßenbauamt Nürnberg, war Deutsch, aber auch in den verschiedenen Landes- bereits 1936 wegen »abfälliger« Äußerungen aufge- sprachen. Es wäre ein ganz eigenes Thema, die In- fallen und nur knapp einer Verurteilung nach dem halte und Artikulationsformen der verschiedenen na- »Heimtückegesetz« entgangen. Als er nach Erlass tionalen Angebote vergleichend zu analysieren. des Abhörverbots und unmittelbar nach Kriegsbe- ginn in seiner Amtsstube abgehörte Meldungen von Schade ist, dass der Band keine Hinweise zu den Auslandssendern zum Kriegsgeschehen debattier- konkreten Nutzungsbedingungen der jeweils durch te, war es nur eine Frage der Zeit, bis jenes griff, ausführliche Inhaltsangaben vorgestellten Tondoku- was auch als »strukturelles Denunziationsangebot«1 mente gibt. Dazu muss man leider Internet und Te- des NS-Regimes bezeichnet worden ist: Das »An- lefon bemühen. schwärzen« und »Melden« durch Kollegen. Konrad Dussel, Forst Den Gestapo-Vernehmungen folgten »Inschutz- haftnahme«, Strafantrag und Aburteilung: Im Au- Gerd Walther/Karin Falkenberg/Andreas Christ gust 1940 wurde Willi Mühlhofer vom Sondergericht Der »Rundfunkverbrecher« Willi Mühlhofer. Nürnberg wegen Verbrechens gegen § 1 und § 2 der Fürth: Rundfunkmuseum der Stadt Fürth 2006, Rundfunkverordnung zu einem Jahr und einem Mo- 52 Seiten. nat Zuchthaus verurteilt. Dabei hatte Willi Mühlhofer noch Glück, denn den Vorsitz führt der berüchtigte »Rundfunkverbrecher« und »Rundfunkverbre- Sonderrichter Dr. Rothaug, der den Nürnberger Feu- chen«, welch’ seltsame Begriffe. Selbst Medien- erwehrmann Johann Wild rund ein halbes Jahr spä- wissenschaftler und Zeitgeschichtler vermögen ter wegen »Rundfunkverbrechen« zum Tode verur- wenig mit dieser NS-Begrifflichkeit anzufangen, teilen sollte.2 Willi Mühlhofer hatte weiterhin Glück, die nicht nur einen juristischen Terminus beinhal- denn er wurde zwar nach der Strafverbüßung der tete, sondern in den Augen der Nationalsozialis- Gestapo Nürnberg rücküberstellt, aber es folgte ten auch ein verabscheuungswürdiges Verbrechen keine KZ-Einweisung, was bei so genannten »politi- darstellte: die Zuwiderhandlung gegen die »Verord- schen« Delinquenten durchaus im Bereich des Mög- nung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen« lichen gelegen hätte. des Reichspropagandaministers vom 1. September 1939. Nach dieser so genann- Damit endet der erste Teil der Dokumentation über ten Rundfunkverordnung wurde mit Kriegsbeginn den »Rundfunkverbrecher« Willi Mühlhofer und der das Abhören ausländischer Sender wie auch das zweite Teil beginnt: Willi Mühlhofers Kampf um Wie- Verbreiten abgehörter Nachrichten als Verbrechen dergutmachung nach Kriegsende. Zwar gelingt es verfolgt. Für das reine Abhören (§ 1 Rundfunkver- ihm, seine Wiedereinstellung ins Nürnberger Was- ordnung) von »Feindsendern« und sonstigen »Hetz- ser- und Straßenbauamt durchzusetzen. Doch der sendern«, worunter auch die Rundfunkprogramme Erfolg hat einen schalen Beigeschmack, sitzt er nun- neutraler Staaten wie der Schweiz fielen, war die mehr wieder mit denselben Personen in der Amts- Zuchthausstrafe als Regelstrafe vorgesehen. In stube, die ihn denunziert hatten. Willi Mühlhofer »leichteren Fällen« war es möglich, auch Gefäng- geht nun seinerseits vor der Entnazifierungskam- nisstrafen auszusprechen. Bei Weiterverbreitung mer gegen die damaligen Denunzianten vor. Zu- von Nachrichten (§ 2 Rundfunkverordnung), die nach Ansicht des Regimes geeignet waren, »die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefähr- 1 So die Definition bei Bernward Dörner: »Heimtücke«: Das Gesetz den«, konnte allerdings auch die Todesstrafe ver- als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland hängt werden. Die Strafverfolgung sollte jedoch nur 1933–1945. Paderborn u.a. 1998, S. 95. 2 Dr. Rothaug war im Übrigen einer der wenigen NS-Sonderrich- auf Antrag der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ter überhaupt, die sich nach dem Krieg vor Gericht, im so genannten erfolgen, um auszuschließen, dass die Staatsan- »Nürnberger Juristenprozess«, zu verantworten hatten. 92 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 93 gleich versucht er, Entschädigungszahlungen zu Hans Pischner erhalten, geht es doch um Verlust des Arbeitsplat- Tasten, Taten, Träume. zes, entgangene Gehalts- und Rentenansprüche Autobiographie. und nicht zuletzt um beträchtliche Prozess- und Musik und Politik zwischen Utopie und Realität Strafvollzugskosten. Damit beginnt eine zähes ju- Berlin: Henschel Verlag 2006, 240 Seiten. ristischen Ringen um Wiedergutmachung oder an- ders ausgedrückt »der Kleinkrieg gegen die Opfer«3 Hans Pischner, Jahrgang 1914, war einer der wich- Erst im Jahre 1958, also nach rund zehn Jahren, er- tigsten Kultur-, insbesondere Musikpolitiker der hält Willi Mühlhofer die ihm zustehende Entschädi- DDR. Zunächst zwischen 1950 und 1954 als Leiter gungszahlung. der Hauptabteilung Musik im DDR-Rundfunk, von 1954 bis 1963 im Kulturministerium, ab 1956 als Soweit die Geschichte des »Rundfunkverbrechers« stellvertretender Minister tätig, war er dann über 20 Willi Mühlhofer. Eigentlich nichts Spektakuläres. Ein Jahre, von 1963 bis 1984, Intendant der Deutschen Fall, wie er tausendfach geschah im Nazi-Deutsch- Staatsoper Berlin. Als Kulturfunktionär war er lei- land. Auch das Strafmaß mit 13 Monaten Zucht- tend in den verschiedensten Gremien aktiv, u.a. als haus für das Abhören und Weiterverbreiten von Präsident des Kulturbundes und als Vizepräsident Meldungen ausländischer Sender lag eher am un- der Akademie der Künste, nicht zuletzt ab 1981 als teren Ende der Strafskala.4 Was also ist das Beson- Mitglied des SED-Zentralkomitees. Auch in interna- dere an der Publikation des Fürther Rundfunkmu- tionalen Musikgremien betätigte er sich in exponier- seums? Es ist das Exemplarische verbunden mit ter Stellung, wie der Neuen Bach-Gesellschaft und dem Persönlichen, was an der Untersuchung be- dem Exekutivkomitee des Internationalen Musikra- sticht. Am Beispiel eines kleinen Stadtangestellten tes. Darüber hinaus trat er als Cembalist auf vielen wird geschildert, wie das Abhörverbot durchgesetzt Konzertpodien der Welt als Solist auf. wurde, wie dazu eine potenzielle Denunziationsbe- reitschaft Vorschub leistete, wie die Verfolgungsor- Der heute 92-Jährige hat bereits einmal – 1986, am gane arbeiteten und wie schwer sich die bundesre- Ende seiner Berufstätigkeit – Memoiren vorgelegt.1 publikanische Nachkriegsgesellschaft im Umgang Der Herausgeber des vorliegenden Bandes, Ulrich mit Tätern und Opfern tat. Die Darstellung gelingt Eckardt, langjähriger Intendant der Berliner Fest- auch deshalb, weil der Erzählstrang in hohem Maße spiele, gibt an, Teile des früheren Buches verwen- mit Dokumenten unterlegt und dadurch veranschau- det und eine Fortsetzung in Zusammenarbeit mit Pi- licht wird. So kann der Leser in faksimilierten Gesta- schner geschrieben zu haben. Vergleicht man beide po-Vernehmungsprotokollen blättern, die Urteils- Ausgaben miteinander, so lässt schon allein die un- abschrift des Sondergerichts Nürnberg lesen oder terschiedliche Seitenstärke kräftigste Striche ahnen. Spruchkammerbescheide studieren. Damit er zwi- Eine »Fortsetzung« hingegen ist der Band nur margi- schen Bericht und Dokumenten nicht die Orientie- nal, denn Pischners aktive Zeit dauerte bis Ende der rung verliert, werden diese durch ein grafisch abge- 80er Jahre. Hier werden Nachwende-Erfahrungen, setztes Informationsangebot (»Hintergrund«) wie mit insbesondere mit der bundesdeutschen Kultur- und einem roten Faden begleitet. Auch wenn diese Hin- Musikpolitik geschildert, aus denen seine Kränkung tergrundinformationen manchmal etwas dominant über die mangelnde Anerkennung seiner beruflichen erscheinen oder gelegentlich den Erzählfluss be- Lebensleistungen spricht. einträchtigen, so vermitteln sie zentrale Sachverhal- te auf dem neusten Publikations- und Forschungs- Was unterscheidet nun beide Bände voneinander, stand. Insgesamt ist es den Autoren gelungen, auf die jeweils über nahezu 40 Jahre DDR-Kultur- und einigen dutzend Seiten eine beachtliche Dokumen- Musikpolitik berichten? Gestrichen wurden fast alle tation zu erstellen. Ihr ist eine große Verbreitung zu historisch-politischen Einlassungen des Autors, die wünschen und zwar nicht nur bei denjenigen, die er 1986 über die deutsche Geschichte und die Welt- schon immer wissen wollten, was »Rundfunkver- lage von sich gegeben hat, u.a. über die Sowjetuni- brechen« bedeutet. on (Pischner war dort in der Kriegsgefangenschaft Michael P. Hensle, Recklinghausen und in einem Antifa-Lager), über das Verhältnis zu Polen (er stammt aus Breslau) und über die Bun- desrepublik und ihre vielfältige politische »Begleit- musik« der DDR-Entwicklung, u.a. auch der »revan- 3 So die gleichnamige Publikation von Christian Pross: Wiedergut- chistischen« Landsmannschaften. Pischner wuchs machung oder der Kleinkrieg gegen die Opfer, hrsg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Frankfurt/M. 1988. 4 Zum Strafmaß reichsweit vgl. die Untersuchung des Rezensenten: Michael P. Hensle: »Rundfunkverbrechen«. Das Hören von »Feindsen- 1 Hans Pischner: Premieren meines Lebens. Autobiographie. Berlin dern« im Nationalsozialismus. Berlin 2003, S. 254f. 1986. 92 Rezensionen 93

in einem »humanistischen«, atheistischen und mu- und daran auch festhielten – mit all den damit ver- sischen Elternhaus auf, das die Herrscher der NS- bundenen Irrtümern und opportunistischen Verhal- Zeit verachtete, aber nicht aktiv gegen das Regime tensweisen. Solche Anpassungsstrategien an Ver- arbeitete. Noch heute sieht Pischner dies als größ- hältnisse und Zeitläufte haben ja durchaus etwas tes Versäumnis seines Lebens. Damit begründet er Zeitloses. Kritische Selbstbefragungen hierzu fin- auch sein aktives Engagement in der DDR. Aller- den sich weder in der alten noch in der neuen Aus- dings sind in diesem Zusammenhang solche Sät- gabe. Dies trifft insbesondere auf Pischners frühe ze wie etwa die folgenden der heutigen Schere zum Jahre als Musikchef im DDR-Rundfunk zu, als er Opfer gefallen, in denen von Dankbarkeit die Rede seine Aufgaben noch nicht so souverän meisterte ist: »Oft stand vor mir die Frage: Wie hatte ich über- wie später, sondern eher verunsichert und »dank- haupt das Vertrauen dieser Menschen verdient? [...] bar« zu Werke ging. Dies waren die Jahre der rü- Es war sicher eine der größten politischen Leistun- desten stalinistischen Ausrichtung von Kultur und gen der Partei der Arbeiterklasse, Menschen ver- Kunst, und Hans Pischner war dabei nicht nur, schiedenster Richtungen und Herkunft, also auch wie geschildert, Beobachter, im Gegenteil. Zwar Menschen meinesgleichen, in den gemeinsamen hat er schon 1986 Überspitzungen während der Aufbauprozeß zu integrieren und sie im festen Mit- Realismus/Formalismus-Debatte konstatiert, das einander zu vereinen. «2 war in den 80er Jahren allgemeiner Konsens, aber seine eigene Rolle ließ er bereits in der ersten Aus- Pischner hat als Staatsopern-Intendant souverän gabe weitgehend im Dunkeln. Hier sprechen die und als geschickter Taktiker die Bühne zu interna- Dokumente eine andere Sprache.3 Einer seiner tionaler Strahlkraft geführt, Tradition und Moderne schärfsten Kritiker war damals Bertolt Brecht, des- in der Opernlandschaft miteinander verbunden und sen Standpunkte er später für sein realistisches Mu- dabei manche Sträuße ausfechten müssen. Seine siktheater übernommen hat. In den frühen 50er Jah- Auffassungen über zeitgemäße Operninterpretati- ren wurden neben Paul Dessau, Hanns Eisler, Ernst on, Musikgeschichte und realistisches Musikthea- Busch viele Musiker der Moderne im Rundfunkpro- ter werden ausführlich behandelt – nicht zuletzt, weil gramm unter Pischners Leitung verhindert.4 Gerade für ihn die Intendantenzeit seine besten Jahre wa- für diesen Zeitabschnitt der Musikpolitik im frühen ren. Umso mehr musste es ihn kränken, als er 1984, DDR-Rundfunk bleibt noch viel aufzuarbeiten und als 70-Jähriger, rüde aus dem Amt gedrängt wurde, diese Neuausgabe von Pischners Memoiren kann wie es vor ihm schon seinen Vorgängern Ernst Le- dazu wenig beitragen. Zudem fällt sie stilistisch, u.a. gal und Max Burghardt passiert war. Zudem war er durch viele Substantivierungen und trockene For- in diesen Jahren von der Stasi (und übrigens auch mulierungen, deutlich hinter die lebendigen, plasti- vom Verfassungsschutz) bespitzelt worden. Davon schen und sicher manchmal ausschweifenden Be- ist – natürlich – in der 1986er Ausgabe keine Rede. schreibungen der Erstausgabe zurück. Sei es, dass ein Lektorat dies verhinderte, sei es, Ingrid Pietrzynski, Potsdam weil der Autor selbst die Schere anwendete. Liest man in dem ersten Band zwischen den Zeilen, er- kennt man jedoch, dass Pischner hier, u.a. durch na- hezu pathetische Würdigung seines früheren Chefs, des Kulturministers Johannes R. Becher, den kultur- politischen Verhältnissen der DDR-Gegenwart der 80er Jahre einen gewissen Spiegel vorhält. Scha- de, dass einem Leser der aktuellen Ausgabe solche Feinheiten durch die Striche entgehen, ebenso wie etliche Weggenossen nicht mehr erwähnt werden, die in der DDR-Geschichte ein Rolle gespielt ha- 2 Ebenda, S. 211/212. 3 Vgl. z.B. Hans Pischner: Kommentar des Tages (Würdigung von A. ben, wie etwa Marie Torhorst oder Stefan Heymann. Shdanow und seiner Auffassung über »bürgerlich-kapitalistische und Dagegen taucht nun etwa Hans Mayer auf, von dem sozialistische Musik«), 11.02.1953, Deutsches Rundfunkarchiv Pots- 1986 kein Wort zu lesen war. dam-Babelsberg, Bestand Schriftgut Hörfunk, B095-00-01/0002, TSig. 0035; Hans Pischner: Artikelfolge Streiter für eine nationale deut- sche Musik. In: Der Rundfunk, 1953, H. 3–48; Vgl. hierzu auch: Michael Als den größten Mangel dieser neuen Ausgabe Rauhut: Kunst und Klassenkampf. Politische Prämissen musikalischer empfinde ich es aber, dass die Striche auch verur- Unterhaltung im Rundfunk der DDR. In: »Wenn die Jazzband spielt…«. sacht haben, dass nachgewachsene Leser-Genera- Von Schlager, Swing und Operette. Zur Geschichte der Leichten Musik tionen nun ein doch sehr vereinfachtes, nicht mehr im Deutschen Rundfunk. Berlin 2006, S. 101–130. plausibles Bild davon präsentiert bekommen, wieso 4 Vgl. hierzu u.a. Ingrid Pietrzynski: Der DDR-Rundfunk und die Künstler. Protokoll einer Diskussionsrunde im September 1953 in der sich junge, ehrgeizige Menschen in dieser oder je- DDR-Akademie der Künste. In: Rundfunk und Geschichte Jg. 26 (2000), ner führenden Position in der DDR engagiert haben H. 3/4, S. 139–157. 94 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 95

»Wenn die Jazzband spielt …« statierenden Primat der Unterhaltung für dieses Me- Von Schlager, Swing und Operette. dium heraus, das sich in der Pionierphase geeignete Zur Geschichte der Leichten Musik Musikgenres erst erfinden beziehungsweise aneig- im deutschen Rundfunk nen musste. Herausgegeben und bearbeitet von Ulf Scharlau und Petra Witting-Nöthen Dass die propagandistische Instrumentalisierung (= Veröffentlichungen des Deutschen des Rundfunks in totalitären Systemen nur im Ein- Rundfunkarchivs, Band 41) klang mit einer Hörer-Bindung durch attraktive Po- Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 2006, pulärmusik wirksam werden kann, zeigen die auf 188 Seiten. die NS-Zeit respektive die DDR bezogenen Beiträ- ge. Insbesondere für die DDR wird deutlich, wie hier Das Verhältnis von Rundfunk und Populärmusik der Rundfunk als staatlicher Populärmusik-Förde- wird sowohl in nahezu jeder Radio-Geschichte als rer und -Produzent fungierte, mit allen daraus re- auch in zeitgenössischen Kommentaren zum Radio sultierenden Schwierigkeiten im Hinblick auf die von den Anfängen bis zur Gegenwart als ein sym- Authentizität und Attraktivität der Programme. Ins- biotisches beschrieben. Umso erstaunlicher ist es, besondere in Konkurrenz zu der aus den USA und dass die wissenschaftliche Bearbeitung dieser en- Großbritannien herüber schwappenden Rock- und gen wechselseitigen Beziehung sowohl in der musi- Popmusik taten sich die staatlich geförderten lan- khistorischen als auch in der mediengeschichtlichen deseigenen Formationen oft schwer im Kampf um Debatte bislang nur in Einzeluntersuchungen, in der die Hörergunst. Gesamtschau aber kaum stattgefunden hat. Die- ses Thema nun erstmals für den Bereich des deut- Die heutige Hörfunkdirektorin des WDR, Monika schen Rundfunks übergreifend in den Blick zu neh- Piel, weist in ihrem Beitrag auf die aktuelle Situati- men, hatte sich eine im Juni 2005 in Köln von der on der Populärmusik im Rundfunk hin. Dass auch Historischen Kommission der ARD und dem WDR und gerade in Zeiten von Pool-Politik und standar- ausgerichtete Tagung zur Aufgabe gemacht. Auf den disierten Formaten Rundfunk als Förderer und Platt- Beiträgen dieser Tagung basiert die vorliegende Pu- form für innovative und attraktive Populärmusik wir- blikation. ken kann, macht sie an regionalen Initiativen des WDR deutlich. Dabei will der informative und unterhaltsame Band keine »große Geschichte« der Populärmusik im Ein abschließender Blick auf die Quellenlage zur deutschen Rundfunk liefern, sondern vielmehr eine Geschichte der Populärmusik im deutschen Rund- sinnfällig verknüpfte Reihung einzelner Episoden funk lenkt den Blick auf den trotz aller Lücken aus aus dieser Geschichte. Neben Fachwissenschaft- der Zeit zwischen 1945 und 1960 ungeheuren Mate- lern kommen ehemalige und aktuelle Programmver- rial-Reichtum der ARD-Rundfunkarchive. Aus der antwortliche aus den ARD-Funkhäusern zu Wort, Arbeit von geschätzten 200 Rundfunk-Ensembles ein Zeitzeugengespräch rundet den Band ab. Im der Genres der Populärmusik in BRD und DDR sind Zentrum der Publikation stehen dabei die Jahre von heute nach ersten Schätzungen 105.000 auf Tonträ- 1923 bis etwa 1970, mithin die Anfangs- und Blüte- gern vorliegende Produktionen sowie 80.000 Noten- zeit der an den deutschen Rundfunkanstalten ange- materialien – zumeist Partituren – überliefert. Einge- siedelten Populärmusik-Klangkörper, deren Band- denk dieser beeindruckenden Zahlen kann man sich breite vom großen Unterhaltungsmusikorchester dem Aufruf der Herausgeber nach wissenschaftli- über diverse Tanzorchester bis hin zu kleinen Spe- cher Auseinandersetzung mit diesem Material nur zial-Combos reichte. Mit dem Aufbau solcher En- anschließen. sembles nach 1945, ihrer starken Ausdifferenzierung und ihrem zunehmenden Niedergang in den von der Etwas allzu nonchalant allerdings geht der Band aufkommenden Pop-Kultur geprägten 60ern und über die begrifflichen – und damit eo ipso inhaltli- 70ern beschäftigt sich die Mehrzahl der Beiträ- chen – Klippen des in den Blick genommenen The- ge. Dabei geraten die von diesen Formationen ge- mas hinweg. Von dem im einleitenden Beitrag von spielten Repertoires, ihre Dirigenten und Arrangeure Dietrich Schwarzkopf konstatierten »Vorverständnis ebenso ins Blickfeld wie die speziellen Aufgaben der darüber, was zu seinem Gegenstand gehört und was Ensembles in den Live- und Studioproduktionen der nicht« (S. 15), hätte man als Leser gerne unmittelba- Rundfunkanstalten, aber auch das im »Schallplat- rer profitiert, vielleicht in Form eines jenseits aller E- tenkrieg« von 1966/67 problematisierte Verhältnis und U-Dichotomisierung angesiedelten, kurzen his- zwischen Rundfunksendern und Tonträgerindust- torischen Abrisses der Begrifflichkeiten – gerade in rie. Ein weiterer Beitrag stellt für die Frühgeschichte Bezug auf den Rundfunk. So fühlt man sich beim Le- des deutschen Rundfunks den von Anfang zu kon- sen der einzelnen Beiträge etwas allein gelassen im 94 Rezensionen 95

Begriffs-Dschungel aus Bezeichnungen wie »Semi- Klassik«, »gehobene Unterhaltung«, »Unterhalten- de Musik«, »sinfonisch besetzte U-Musik«, »Wiener Unterhaltungsklassik«, »leichte Klassik« etc. Unklar bleibt auch, ob hier als »Leichte Musik« lediglich die im Titel aufgeführten Genres aufgefasst werden oder ob auch neuere Formen der Populärmusik wie Pop, Rock, Techno etc. hinzuzurechnen sind. Dass gera- de die Auseinandersetzung mit den Genrebezeich- nungen der Populärmusik nicht auf lästige »Defini- tions-Spitzfindigkeiten« (S. 15) beschränkt bleiben muss, sondern vielmehr oft direkt ins Zentrum der Thematik führen kann, zeigt etwa der Beitrag von Andreas Vollberg zu Unterhaltungsmusikklangkör- pern des (N)WDR nach 1945. Hier wird sichtbar, wie den Diskursen über Begrifflichkeiten einzelner Mu- sik-Genres in den Rundfunkanstalten oftmals wei- tere Ebenen unterlegt sind, von schlichten Fragen der Tantiemenabrechnung bis hin zu Überlegungen zur »per Gesetz aufgetragenen Kulturvermittlung« (S. 56). Solche Diskurse aufzuspüren und in ihrer historischen Tiefendimension auszuwerten, wird Aufgabe kommender Untersuchungen zur Populär- musik im Rundfunk sein. Matthias Pasdzierny, Berlin 96 97

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ZUM 100. GEBURTSTAG von Karl Holzamer. [2 Bei- träge]. In: Funkkorrespondenz. 2006. H. 42. S. 36– 39. Ansprachen auf dem Festakt des ZDF am 13. Ok- tober 2006 in Mainz. Helmut Kohl: Ein großes Werk; Kardinal Karl Lehmann: Menschendienlichkeit.

Rudolf Lang, Köln 104 105

Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte

Bericht des Schatzmeisters Anfang Oktober 2005 musste ich unsere Finanzun- für die Geschäftsjahre 2005 und 2006 terlagen für den Zeitraum 2003 und 2004 beim zu- ständigen Finanzamt Frankfurt am Main–Höchst Mit meiner Wahl zum Schatzmeister auf der Mitglie- einreichen. Am 15. November 2005 erhielt ich dann derversammlung am 10. März 2005 in Bonn über- den Bescheid über die Freistellung des Studien- nahm ich dieses Amt von meiner Vorgängerin, Frau kreises Rundfunk und Geschichte von der Körper- Dr. Brück aus Halle. Ich gebe somit meinen ersten schaftssteuer (gemäß § 5 Abs.1 Nr. 9 des Körper- Tätigkeitsbericht. Die Übernahme der Dokumen- schaftssteuergesetz). Wir sind somit auch für die te und Akten von Halle nach Mainz sowie die Um- nächsten Jahre steuerbefreit. schreibung der Zugriffsberechtigung für das Konto auf meine Person und die des Vorsitzenden waren 3. Einnahmen ein längerer Prozess, der einmal der räumlichen Entfernung und zum anderen formellen Hürden (wie Im Jahr 2005 betrugen die Einnahmen insgesamt der Beschaffung der Bestätigung des Registerge- 15.243,25 EURO. Durch den Jahresbeitrag der 328 richtes) geschuldet war. Somit konnte ich erst am Vereinsmitglieder kamen insgesamt 8.886,65 EURO Ende des dritten Quartals 2005 meine Funktion als in die Kasse. Diese Gelder machten den Hauptanteil Schatzmeister richtig aufnehmen. der Vereinseinnahmen aus. Circa 180 Mitglieder ha- ben dem Verein eine Einzugsermächtigung gegeben, 2005 die anderen überweisen selbständig. Leider hatten bis Ende 2005 insgesamt 35 Personen, die laut mei- 1. Mitgliederstand nen Unterlagen Mitglieder waren, trotz mehrfacher Bitten keinen Jahresbeitrag überwiesen (Fehlbetrag: Ende 2005 waren im Studienkreis Rundfunk und ca. 1250 EURO). Geschichte 328 persönliche und juristische Perso- nen Mitglied. 19 Mitglieder erklärten zum Jahres- Ein weiterer Einnahmepunkt war die Jahrestagung ende 2005 ihren Austritt, bei zwei weiteren war der in Bonn (715 EURO). Stand auf Grund fehlenden Kontaktes zu ihnen unklar. Das Examenskolloquium wurde in dankenswerter 2. Kassenstand bei Übernahme Weise durch die Landesmedienanstalt Sachsen- bzw. zu Anfang des Jahres 2005 Anhalt mit 3000 EURO unterstützt. Diese finanziel- le Hilfe erlaubte es dem Verein überhaupt nur, das Bei Übernahme der Kasse verfügte der Studien- Kolloquium in Wittenberg durchzuführen und junge kreis Rundfunk und Geschichte e.V. über Vermögen Medienwissenschaftler bei ihrer Forschung zu un- von 1.403,93 EURO. Die Handkasse verfügte über terstützen. 239,60 EURO. Dabei hatte der Studienkreis für das Heft 3-4/2004 der Zeitschrift »Rundfunk und Ge- Die Einnahmen durch den Verkauf, genauer durch schichte« von den Kosten in Höhe von 4.500 EURO die Abonnements der Zeitschrift »Rundfunk und nur 2000 EURO an das Deutsche Rundfunkarchiv Geschichte« betrugen 1.356 EURO. Der Verkauf gezahlt, so dass er noch eine Rate in Höhe von von Jahrbüchern war leider 2005 sehr gering und 2.500 EURO zu zahlen hatte. Somit befand sich der brachte dem Verein nur 46 EURO ein. Zum Schluss Verein Anfang 2005 praktisch mit rund 1.100 EURO im Punkt »Einnahmen 2005« kann ich noch etwas in den »roten Zahlen«. Erfreuliches berichten. Die »gemeinnützige Gesell- schaft für Fortbildung, Forschung und Dokumen- Das Geschäftsjahr des Studienkreises Rundfunk tation mbH« (gGFFD) spendete dem Studienkreis und Geschichte entspricht dem Kalenderjahr. Alle eine Summe in Höhe von 1000 EURO. Dieses Geld Finanzaktionen des Studienkreises Rundfunk und konnte der Studienkreis in Anbetracht seiner ange- Geschichte laufen bis heute über ein Vereinskonto spannten finanziellen Lage sehr gut gebrauchen. bei der Sparkasse Frankfurt, auf das neben mir der Vorsitzende Zugriff hat. Insgesamt wurden im Jahre 2005 durch den Schatzmeister 476 Finanztransak- tionen bewältigt (im Durchschnitt also mindestens eine jeden Tag). 106 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 107

4. Ausgaben in Deutschland wohnhaft, sondern wir haben auch in mehreren deutschsprachigen Ländern (Österreich, Größter Ausgabepunkt waren die Herstellungskos- Schweiz) und sogar in den USA Mitglieder. ten unserer Zeitschrift, wobei die Redaktion für je- des Heft einen Verfügungsrahmen von 4.500 EURO 2. Kassenstand Anfang des Jahres 2006 nutzen kann. und allgemeine Angaben

Ein weiterer großer Etatposten war der vertraglich Der Kassenstand betrug wie eben beschrieben am zugesicherte Ankauf des Jahrbuches 2005 vom uvk- Anfang des Jahres 4.212,13 EURO. In der Handkas- Verlag (3.052,50 EURO). Diese Ausgabe stand in se befanden sich keine Gelder. keinem Verhältnis zu den Einnahmen aus dem Ver- kauf. Entsprechend dem Beschluss der Mitglieder- Insgesamt habe ich auch im Jahre 2006 mehr als versammlung vom März 2005 wurde das Verfahren 400 Finanztransaktionen im Auftrag des Studienkrei- aber ab 2006 geändert, was sich sehr positiv auf die ses (genau: 407) vorgenommen. Außerdem nahm Finanzen auswirken sollte. ich im Sommer 2006 an einer Abendschulung des Hessischen Finanzministeriums für Schatzmeister Weitere Ausgaben hatte der Verein u.a. für die Jah- eingetragener Vereine teil. restagung in Bonn (979.76 EURO), das Kolloquium in Wittenberg (1.896,40 EURO), den Webhost unseres Bedingt durch die erwähnte finanzielle Schiefla- Webauftrittes (9,99 EURO), es fallen verschiedenen ge, beschloss die Mitgliederversammlung 2005 in Portokosten an (insg. 192,20 EURO), die Sparkas- Bonn einen neuen Jahresbeitrag (Persönliche Mit- se forderte 2005 für die Führung trotz Online-Konto glieder: 60,00 EURO, im Ruhestand lebende Mit- 170,21 EURO und wir mussten auch wieder 60 EURO glieder als Mindestbeitrag: 30,00 EURO, Studenten: für Rückbuchungen bei der Mitgliedsbeitragszah- 15,00 EURO). Leider haben einige Mitglieder den al- lung per Lastschrift zahlen. ten Beitrag überwiesen. 2007 werde ich also alle Mit- glieder per E-Mail bzw. postalisch noch einmal auf Insgesamt betrugen im Jahre 2005 die Ausga- den neuen Beitrag hinweisen. ben des Studienkreises Rundfunk und Geschichte 12.667,13 EURO. Auf der Mitgliederversammlung in Bonn wurde der Mitgliedsbeitrag erhöht, aber eine neue Summe für 5. Kassenstand Ende 2005 die korporativen Mitglieder nicht beschlossen, so dass diese immer noch den Beitrag von 2004 be- Am 31.12.2005 besaß der Studienkreis Rundfunk zahlen (50 EURO). Aus diesem Grund bitte ich die und Geschichte auf seinem Konto 4.212,13 EURO. Mitgliederversammlung zu beschließen, ab 2007 Die Gelder aus der Handkasse waren auf das Konto den Beitrag für korporative Mitglieder auf 80 EURO überwiesen worden. neu festzulegen.

Somit hatte sich die anfänglich prekäre finanzi- 3. Einnahmen 2006 elle Lage etwas entspannt. Zieht man aber die 4.500 EURO für das noch fehlende RuG-Heft von Die Mitgliedsbeiträge in Höhe von insgesamt den vorhandenen Mitteln noch ab, so war der Ver- 15.894 EURO stellten wieder die Haupteinnahme des ein Ende 2005 zwar immer noch in den roten Zahlen, Vereins dar. Die Anzahl der Einzugsermächtigung ist aber nur noch knapp mit rd. 300 EURO. ungefähr konstant (derzeit 183). 2006 haben Prof. Lersch und ich große Anstrengungen unternommen, 2006 um von Mitgliedern noch ausstehende Jahresbeiträ- ge in die Vereinskasse zu bekommen bzw. eine Klä- 1. Mitgliederstand rung der Mitgliedschaft herbeizuführen. Diese Be- mühungen waren auch meistens erfolgreich, aber 14 Am 31.12.2006 besaß der Studienkreis Rundfunk Mitglieder reagieren bis heute auf keine Nachfrage und Geschichte 307 Mitglieder, wobei 12 im Lauf bzw. Zahlungsaufforderung. Für 2006 haben bisher des Jahres aus verschiedenen Gründen ihren Aus- 266 Mitglieder ihren Beitrag überwiesen, 24 Mitglie- tritt erklärt hatten. Erfreulich war die Aufnahme von der müssen dies noch tun. 4 neuen Studienkreismitgliedern. Inzwischen konn- ten auch einige Unklarheiten in Bezug auf persönli- Ein weiterer Einnahmepunkt waren die Abonne- che Mitgliedschaft oder Vertretung des korporativen ments bzw. der Verkauf von Einzelheften von »Rund- Mitglieds (Institution) durch eine natürliche Person funk und Geschichte« in Höhe von 2.267,20 EURO. geklärt werden. Die Mitglieder sind dabei nicht nur Außerdem haben wir, was überaus erfreulich ist, 106 Mitteilungen 107

insg. 61 Jahrbücher zu insg. 404 EURO verkaufen Arbeit ungemein (und senkt die Portokosten). Soll- können. te jemand Fragen haben, so kann er sich direkt an mich wenden (E-Mail: scheller.v@.de, Tel.: 06131- Insgesamt hat der Studienkreises Rundfunk und 704706) Geschichte 2006 Einnahmen in der Höhe von 18.880,75 EURO. Ich hoffe, mit meiner Tätigkeit einen Teil zur erfolg- reichen Arbeit des Studienkreises Rundfunk und Ge- 4. Ausgaben schichte beizutragen. Veit Scheller, Mainz Durch die Herausgabe von 3 »Rundfunk und Ge- schichte«-Heften mussten wir 13.500 EURO für 2006 als Ausgaben einplanen, wobei bisher 12.291,44 EURO bezahlt wurden. Die Restsumme Neuer Vorstand des »Studienkreises wird 2007 beglichen. Die Herstellung und der Ver- Rundfunk und Geschichte« sand des Jahrbuches an alle Mitglieder kosteten Brief des Vorsitzenden an die Mitglieder den Studienkreis insgesamt 2436,61 EURO (und so- mit rund 500 EURO weniger als bisher bei einer grö- Liebe Mitglieder des Studienkreises, ßeren Verbreitung des Jahrbuches). vom 18. bis 20. Januar 2007 fand die Jahresta- Weitere Ausgabenpunkte sind nicht so hoch und gung des »Studienkreises Rundfunk und Geschich- werden deshalb im Einzelnen nicht aufgezählt. Lei- te e.V.« zum Thema »Von der Politisierung der Me- der kostete uns die Kontoführung bei der Sparkas- dien zur Medialisierung des Politischen?« in Berlin se 248,21 EURO. Positiv war, dass es nur noch drei statt. Einen ausführlichen und kritisch würdigen- Rückbuchungen beim Lastschriftverfahren gegeben den Bericht über diese wissenschaftliche Tagung, hatte. Weitere Kosten entstanden durch die Jahres- die wir in Kooperation mit der Fachgruppe Kommu- tagung in Halle im Oktober, Anschaffung von Büro- nikationsgeschichte der DGPuK und dem Zentrum artikeln, Portoausgaben und weitere Kleinausgaben für Zeithistorischen Forschung sowie mit freundli- wie den Webhost. Insgesamt hat der Studienkreis cher Unterstützung der DFG, des ARD-Hauptstadt- 2006 Ausgaben von 15.810,29 EURO gehabt. studios und des Seeheimer-Kreises im Deutschen Bundestag durchgeführt haben, konnten Sie schon 5. Kassenstand Ende 2006 wenig später auf der Homepage des Studienkreises lesen sowie jetzt gedruckt im vorliegenden »Rund- Am 31.12.2006 verfügte der Studienkreis Rund- funk und Geschichte«-Heft. funk und Geschichte somit über ein Vermögen von 7.418,59 EURO. Am Rande dieser mit knapp 40 Referentinnen und Referenten »großen« Jahrestagung fand auch die Zieht man die noch geplanten Ausgaben ab, so ver- Mitgliederversammlung des Studienkreises statt. bleiben rd. 3.900 EURO in der Vereinskasse. Sie wählte auf ihrer Sitzung am 19. Januar 2007 ei- nen neuen geschäftsführenden Vorstand, den ich Die Finanzsituation des Studienkreises Rundfunk allen, die in Berlin nicht dabei sein konnten, hier- und Geschichte hat sich somit verbessert, ohne mit vorstellen darf. Den Vorstand bilden Dr. Hans- dass der Verein über ein großes finanzielles Pols- Ulrich Wagner, Hamburg (1. Vorsitzender), Dr. Ger- ter verfügt. Alle Ausgaben müssen und werden vom linde Frey-Vor, Leipzig, Christian Schurig, Stuttgart Vorstand genau auf ihre Notwendigkeit geprüft wer- (stellvertretende Vorsitzende); Veit Scheller, Mainz den. (Schatzmeister); Steffi Schültzke, Halle (Schriftfüh- rerin); Prof. Dr. Edgar Lersch, Christoph Rohde, Se- Noch ein persönliches Wort: Die Arbeit des Schatz- bastian Pfau, Prof. Dr. Oliver Zöllner (Beisitzer). Eine meisters ist eine eher buchhalterische und oft auch Kooptierung zum erweiterten Vorstand des Studi- eine nörgelnde. Sollte sich ein Studienkreismitglied enkreises nahmen inzwischen an: Dr. Ansgar Diller, durch irgendeinen Text meinerseits angegriffen ge- Dr. Michael Harms, Bettina Hasselbring, Dr. Walter fühlt haben, so bitte ich um Entschuldigung. Die Klingler, Claudia Kusebauch, Frank Schätzlein, Prof. Schatzmeisterfunktion und die Verwaltung der Mit- Dr. Rüdiger Steinmetz und Prof. Dr. Reinhold Vie- gliederdatei sind manchmal doch ein zeitraubendes hoff. und subtiles Geschäft. Aus diesem Grund möchte ich Sie noch einmal ausdrücklich bitten, mir die Än- Mein Dank gilt allen hier genannten Kolleginnen und derungen bei Ihrer Postanschrift zu melden. Auch Kollegen, die sich bereit erklärt haben, für die kom- die Angabe einer E-Mail-Adresse erleichtert meine menden beiden Jahre die Geschicke des Studien- 108 Rundfunk und Geschichte 1–2 (2007) 109 kreises mitzugestalten. Ein besonderer Dank gilt in kreis für neue Mitglieder zu öffnen. Schließlich soll diesem Zusammenhang Prof. Dr. Edgar Lersch, der dem Nachwuchs ein besonderes Augenmerk gelten, den Studienkreis in den letzten Jahren als 1. Vorsit- den die gesellschaftlichen Veränderungen in ganz zender geführt und entscheidend mitgeprägt hat – er besonderer Weise treffen. Ein neues medienhistori- hat sich bereit erklärt, seine Erfahrungen und sein sches Forum für Absolventen und Forschungsnach- Engagement noch einmal als Beisitzer in die vor uns wuchs ist in Vorbereitung, das Bewährtes aus den liegende Arbeit einzubringen. bisherigen Nachwuchskolloquien aufgreift, um dar- aus ein neues attraktives Angebot zu eröffnen. Die Schwierigkeiten, mit denen sich ein »e.V.« wie der Studienkreis gegenwärtig auseinanderzuset- Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns, alle Mit- zen hat, sind groß. Das Feld, in denen sich ein et- glieder des Vorstandes, durch Ihre Ideen und Tat- was mehr als 300 Mitglieder umfassender Verein kraft, Ihre Kontakte und Kompetenz unterstützen. bewegt, der sich medienwissenschaftlicher For- schung und öffentlich-rechtlicher und privater Me- Herzlichen Dank und beste Grüße, dien-Praxis verschreibt, unterschiedliche Fach- Ihr disziplinen vereint und den wissenschaftlichen Hans-Ulrich Wagner Nachwuchs fördert, dieses Feld ist heute ein grund- legend anderes als vor dreißig, zwanzig, ja selbst Kontakt: vor zehn Jahren. Prof. Dr. Edgar Lersch hat diese [email protected] Veränderungen sehr eindringlich in einem Rechen- www.rundfunkundgeschichte.de schaftsbericht über die zurückliegende Vorstand- schaft geschildert. Die finanziellen Spielräume sind enger, die Möglichkeiten, Mittel von Dritten zu erhal- ten, rarer geworden. Auch die grundsätzliche Ak- zeptanz des Angebots, das der Studienkreis seinen Mitgliedern bietet – die Teilnahme an den Tagungen, der Bezug des Jahrbuches und der wissenschaftli- chen Zeitschrift, das Mittragen des Nachwuchsfo- rums – muss sicherlich in Zeiten von vielerlei Kon- kurrenz immer wieder neu erworben werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn es mir zusammen mit meinen Vorstandskolleginnen und -kollegen ge- lingt, ein für Sie, die Mitglieder, attraktives Angebot zusammenzustellen. Traditionen, die sich bewäh- ren, sind fortzuführen – Innovationen, die notwen- dig werden, sind durchzuführen. Bitte helfen Sie mit, das eine ebenso wie das andere zu erkennen und mit Leben zu erfüllen.

Die Gespräche im bisherigen und im neuen Vor- stand sowie mit mehreren Mitgliedern des Studi- enkreises zeigen, dass wir bei der Durchführung des Tagungsprogramms weiterhin auf ein gutes Netzwerk von Kontakten und Ansprechpartnern angewiesen sind, um interessante, brisante The- menstellungen angehen zu können. Dies wird bei aller Profilierung der Marke »Studienkreis« nicht ohne Kooperationen mit anderen, starken Part- nern durchführbar sein – diese Herausforderung gilt es anzunehmen. Der schon länger eingeführte Rhythmus von »großer« und »kleiner« Jahrestagung scheint in diesem Zusammenhang ein richtiger Weg zu sein. Aber auch das Bespielen von wissenschaft- licher Tagung auf der einen Seite und medienpoliti- scher Runde auf der andere Seite verspricht ein Si- gnal zu sein, die unterschiedlichen Interessen der bisherigen Mitglieder zu bündeln und den Studien- Herausgeber: Studienkreis Rundfunk und Geschichte e.V. www.rundfunkundgeschichte.de Redaktionsanschrift Dr. Hans-Ulrich Wagner (Aufsätze/Dokumentation), Hans-Bredow-Institut, Forschungsstelle zur Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland, Vorsitzender des Studienkreises, E-Mail: [email protected] Christoph Rohde (Forum), NDR/Dokumentation und Archive, E-Mail: [email protected] Claudia Kusebauch (Rezensionen), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, E-Mail: [email protected] Steffi Schültzke (Redaktion/Koordination), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Medien- und Kommunikationswissenschaften, MMZ, Mansfelder Str. 56, 06108 Halle, Tel. 0345–552 35 89, E-Mail: [email protected] Herstellung: Michael Puschendorf, Halle E-Mail: [email protected] Druck: Druckhaus Teichmann, Halle

Redaktionsschluss: 31. März 2007