Reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2

Eine Betrachtung der montessori- und waldorfpädagogischen Konzeptionen und deren Umsetzungen, sowie die Relevanz von Reformpädagogik für den Regelunterricht

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Naturwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Teresa Maria NIEDERL am Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen

Begutachter: Ao.Univ.-Prof.Dr.phil. Thaller, Bernd

Graz 2013

Eidesstattliche Erklärung

Ich, Teresa Maria Niederl, versichere hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht be- nutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen in- ländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffent- licht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum / Unterschrift

Zusammenfassung

Es mangelt der pädagogischen Realität nicht an vielen verschiedenen reformpädagogischen Ideen und konkreten Konzepten. Doch für die Sekundarstufe 2 sind nur wenige davon ausge- reift umsetzbar. In Österreich findet man die Waldorfpädagogik, die Montessoripädagogik und vereinzelt auch den Daltonplan in der praktischen Umsetzung, in Deutschland beispiels- weise auch solche zum Jenaplan. Die Vermittlung von Mathematik in der Sekundarstufe 2 wird speziell aus der Sicht der Waldorfpädagogik und der Montessoripädagogik betrachtet. Wobei die theoretischen Hintergründe, die Umsetzungsvorschläge und die Vergleiche mit dem Regelschulsystem durch Beispiele von Schulen untermalt werden, die Waldorf- oder Montessoripädagogik in der Sekundarstufe einsetzten. Daraus werden Ideen, wie Hand- lungsorientierung im Unterricht, die Öffnung des Unterrichts und Selbstständigkeitsförde- rung im Mathematikunterricht aufgegriffen. Darunter fallen Unterrichtsmethoden, die auch für den Regelunterricht in Mathematik der Sekundarstufe 2 brauchbar sein können. Die Be- schäftigung mit einem oft polarisierenden Thema wird durch eine kritische Würdigung, so- wie einer persönlichen Reflexion abgerundet.

Abstract

When it comes to pedagogy, there is no lack of progressive educational ideas and concrete concepts. But when considering secondary level II, only a few of them are fully developed and ready to implement. In one can find such progressive concepts in the form of Waldorf pedagogy, Montessori education, and in certain cases also as Dalton plan, whereas in , for example, there are also Jenaplan schools.

In this thesis, teaching mathematics in secondary level II is considered from the perspective of Waldorf and Montessori education. The provided theoretical background with the innova- tive proposals for realisation and the comparison of the Montessori and the Waldorf schools with the regular Austrian school system is reinforced with examples taken from interviews. Educational ideas such as the orientation towards action, open learning, and the promotion of the pupils’ autonomy are transferred to mathematics classes. This includes teaching me- thods, which may also be useful for the mathematics classes of the secondary level II in regu- lar schools. Finally, this polarizing issue is concluded with a critical appraisal and a personal reflection.

Danksagung

ES GIBT DICH

Dein Ort ist wo Augen dich ansehn Wo sich die Augen treffen entstehst du

Von einem Ruf gehalten immer die gleiche Stimme, es scheint nur eine zu geben mit der alle rufen

Du fielest aber du fällst nicht Augen fangen dich auf

Es gibt dich weil Augen dich wollen dich ansehn und sagen dass es dich gibt

(Hilde Domin)

Die Realität bettet den Menschen ein unter seines gleichen, so auch mich. Sieht man es als Abhängigkeit oder willkommene Gabe, es ist einerlei. Hier möchte ich die Gelegenheit er- greifen, mich bei den Menschen, deren Augen mich ansehen, mich auffangen und existieren machen, zu bedanken.

Stellvertretend für jegliche Hilfestellung von Seiten meiner Verwandtschaft während meines Studiums, möchte ich meinen Eltern Agnes und Josef Niederl besonders meine Dankbarkeit ausdrücken. Auch den vielen inspirierenden Menschen, Freundinnen und Freunden, sowie meinem Partner, bin ich für die Unterstützung verschiedenster Art auf meinem Weg dank- bar.

Speziell in Bezug auf die vorliegende Diplomarbeit möchte ich mich bei Herrn Professor Thal- ler bedanken, der es mir ermöglicht hat, mich mit einem mir am Herzen liegenden Thema zu beschäftigen. Auch den vielen freundlichen Menschen, die mir Zugang zu Informationen und Einblicke in ihre Tätigkeit gewährt haben, möchte ich meinen Dank aussprechen, insbeson- dere Herrn Holger Finke und Herrn Andreas Bernhofer.

Zu guter Letzt möchte ich meine Achtung vor all den Menschen ausdrücken, die sich im Lau- fe der Zeit mit der Vermittlung von Inhalten, Schule und Unterrichtsformen beschäftigt ha- ben. Im Grunde kann man als interessierte junge Lehrperson aus dem Vollen schöpfen und an gut dokumentierte pädagogische Erfahrungen anknüpfen.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 1

2. Reformpädagogik - Einführung und Überblick ...... 4

2.1 Versuch einer Definition ...... 4

2.2 Wichtige reformpädagogische Strömungen und ihre Vertreter ...... 8

2.2.1 Montessoripädagogik ...... 8

2.2.2 Waldorfpädagogik ...... 12

2.2.3 Jenaplan-Pädagogik ...... 14

2.2.4 Daltonplan-Pädagogik ...... 16

2.2.5 Freinet-Pädagogik...... 18

2.2.6 Neue Reformpädagogik ...... 20

3. Reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe2 ...... 23

3.1 Reformpädagogik in der Sekundarstufe 2 ...... 23

3.1.1 Waldorfpädagogik ...... 23

3.1.2 Montessoripädagogik ...... 33

3.1.3 Situation in Österreich ...... 48

3.2 Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 ...... 50

3.2.1 Grundmuster des mathematischen Arbeitens ...... 50

3.2.2 Ziele und Inhalte des Mathematikunterrichts ...... 55

3.2.3 Didaktische Prinzipien für den Mathematikunterricht ...... 58

3.2.4 Bildungsstandards, standardisierte Reife- und Diplomprüfung und kompetenz- orientierter Unterricht ...... 62

3.3 Reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 ...... 66

3.3.1 Mathematikunterricht in der Waldorfpädagogik...... 66

3.3.2 Praxisbericht – Rudolf Steiner-Schule Mauer ...... 79

3.3.3 Mathematikunterricht in der Montessoripädagogik ...... 85

3.3.4 Praxisbericht ...... 89

4. Schließende Betrachtungen ...... 97

4.1 Umsetzung von reformpädagogischen Impulsen im Regelschulmathematikunterricht der Sekundarstufe 2 ...... 97

4.1.1 Handlungsorientierung im Unterricht ...... 98

4.1.2 Öffnung des Unterricht ...... 99

4.1.3 Selbstständigkeitsförderung im Mathematikunterricht ...... 106

4.2 Kritische Würdigung der Reformpädagogik ...... 107

4.2.2 Kritik an der Waldorfpädagogik ...... 110

4.2.3 Kritik an der Montessoripädagogik ...... 112

5. Reflexion ...... 114

6. Abbildungsverzeichnis ...... 119

7. Literaturverzeichnis ...... 119

8. Anhang ...... 129

1. Einleitung

„Die Schulen, so wie sie heute sind, sind weder den Bedürfnissen des jungen Menschen noch denen unserer jetzigen Epoche angepasst.“

(Maria Montessori)

Auch heute hat diese Aussage ihre Berechtigung. Das Schulsystem ist ständig im Wandel und wird durch Reformen und neue Ideen verändert, doch hinkt es immer der Gegenwart hin- terher. Natürlich gibt es im Bildungs- und Erziehungswesen sich über die Jahre bewährte Inhalte und Methoden. Doch die Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen verändert sich und diese jungen Menschen sollen unter anderem auch durch die Schulbildung auf ein erfüll- tes Leben in der Welt vorbereitet und in ihrer Entwicklung zu selbstbewussten, verantwortli- chen Menschen unterstützt werden. Nun stellt sich mir die Frage, wie man dies in der Unter- richtspraxis unterstützen kann.

Durch die eigene Erfahrung der Schulzeit, durch Praktika und auch durch die pädagogische und fachdidaktische Ausbildung an der Universität habe ich Ideen gesammelt, wie man Un- terricht entwicklungsunterstützend gestalten kann. Durch die Beschäftigung mit reformpä- dagogischen Zugängen kann man, so denke ich, weitere Ideen entwickeln. Dies ist einer der Gründe, warum ich mich für die Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik in meiner Diplomarbeit entschieden habe.

Ein weiterer Grund dafür sind sicher die Hospitation in einer Alternativschule, im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Universität, und der Besuch in einem Montessorikindergar- ten. Auch meine Eltern sind mit dem montessoripädaogischen Konzept vertraut. Diese Erfah- rungen haben mich neugierig gemacht und dazu veranlasst mich genauer mit diesem Thema zu beschäftigen. Das reformpädagogische Gedankengut mit dem Mathematikunterricht zu verbinden, reizte mich besonders.

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Stellt man eine etymologische Betrachtung des Wortes Mathematik an, kommt man zu fol- gendem Resultat:

Mit dem Wort ‚Mathematik‘ ist im Griechischen das Wort ‚Mathema‘ eng verbunden. Es be- deutet Lehrsatz. [...] Auch das Lernen hängt mit dem Wort ‚Mathematik‘ zusammen. So heißt der ‚Schüler‘ Mathetes und manthano bedeutet ‚ich lerne‘. (Vollrath 2012, S.44)

Wissen, Lehren und Lernen sind daher eng mit der Grundvorstellung der Mathematik ver- bunden. Auch wenn das Wort ‚Mathematik‘ mit dem Wort ‚Lehren‘ verwandt ist, stellt Ma- thematik in der Realität zu Lehren immer wieder eine große Herausforderung dar.

Durch den hohen Stellenwert von Computer, Medien und modernen Kommunikationsmittel haben angewandte mathematische Inhalte immer mehr Präsenz im gesellschaftlichen Alltag erlangt. Statistiken begleiten uns beispielsweise fast täglich. Dies wird auch in der aktuellen Bildungsdiskussion beachtet und beeinflusst den Unterricht durch Lehrplanentwicklungen, Bildungsstandards, bis hin zur Beispielfindung bei der standardisierten Reifeprüfung.

Deshalb gilt es nach wie vor, Mathematik allgemeinbildend zu vermitteln. Wie die Vermitt- lung umgesetzt werden kann, ist eine Frage, die das riesige Gebiet der fachdidaktischen und pädagogischen Konzepte einschließt.

Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch die folgenden Fragen zu beantworten:

• Welche Ansätze des reformpädagogischen Mathematikunterrichts in der Sekundar- stufe 2 gibt es? • Wie werden diese konkret umgesetzt? • Welche Ideen davon kann man im Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 ei- ner Regelschule umsetzen?

Zuerst erwartet die/den LeserIn ein Versuch den Begriff Reformpädagogik, der eine lange Tradition aufweist, zu definieren und ein kurzer Überblick zu einigen reformpädagogischen Konzeptionen. Darauf folgt eine Heranführung an den reformpädagogischen Mathematikun- terricht in der Sekundarstufe 2. Die Montessori- und die Waldorfpädagogik mit ihren Kon- zepten zur Sekundarstufe 2 werden dabei herausgegriffen. In weiterer Folge wird der Ma- thematikunterricht in der Sekundarstufe 2 allgemein behandelt, die letzen beiden Punkte zusammengeführt und mit Beispielen illustriert. Die schließenden Betrachtungen beinhalten

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Möglichkeiten, wie reformpädagogische Impulse im Regelunterricht eingesetzt werden kön- nen, und eine kritische Würdigung der Reformpädagogik. In der abschließenden Reflexion finden meine Erfahrungen, Eindrücke und Gedanken über den Arbeitsprozess und die Inhalte Platz.

In der vorliegenden Diplomarbeit wird versucht durchwegs eine gendergerechte Sprache zu gebrauchen.

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2. Reformpädagogik - Einführung und Überblick

2.1 Versuch einer Definition Der Begriff ‚ Reformpädagogik‘ ist ein in den Erziehungswissenschaften gern verwendeter, oft mit Vorurteilen behafteter Überbegriff für verschiedene Ansätze in der Pädagogik und Didaktik. Im Duden Fremdwörterbuch wird folgende problematische Definition angeboten: Reformpädagogik ist eine pädagogische Bewegung, welche die Aktivität und Kreativität des Kindes fördern will und sich gegen eine Schule wendet, in der hauptsächlich auf das Lernen Wert gelegt wird (vgl. Duden 2001, S.850). Dieser Definition ist jedoch mit Vorbehalten zu genießen. Egal welches pädagogische Konzept in einer Schule umgesetzt wird, liegt ihr Fokus nicht immer auf dem Lernen der SchülerInnen?

Der Begriff ist leichter zu verstehen, wenn man sich mit der Geschichte und Entwicklung je- ner Denkströmungen in der Pädagogik und Didaktik auseinandersetzt. Heiner Ullrich leitet seinen Artikel ‚Zur Aktualität der klassischen Reformpädagogik‘ mit der folgenden Definition ein:

Gemeinhin bezeichnet man als ‚Reformpädagogik‘ (Neue Erziehung, Education Nouvelle, Nuo- va Educazione, Progressive Education etc.) die von kultur- und gesellschaftskritischen Motiven inspirierten, gegen die Schwächen des verstaatlichten Bildungssystems und die Zwänge der bürgerlichen Erziehungspraxis protestierenden pädagogischen Reformgruppen, Programme und Initiativen in Europa und Nordamerika im Zeitraum von etwa 1890 bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. (Ullrich 2008, S. 73)

Ehrenhard Skiera versucht in seiner Abhandlung ‚Reformpädagogik in Geschichte und Ge- genwart‘ eines der Hauptmotive reformpädagogischer Ansätze herauszuarbeiten. Die Re- formpädagogik

[…] stellt den Versuch dar, gegen die überlieferte, Angst generierende ‚alte‘ Erziehung einer demgegenüber ‚neuen‘ zum Durchbruch zu verhelfen, die das Glück des Kindes im Auge hat und die Zustimmung des Kindes sucht. Das trifft in etwa einen zentralen psychologischen As- pekt des heutigen Verständnis des Begriffs, insoweit er im Rahmen eines auf die Reform der Schule und des Unterrichts gerichteten Diskurses verwendet wird. (Skiera 2010, S.1)

Skiera widmet ein ganzes Kapitel dem Begriff und der Begriffsbildung der Reformpädagogik. Er übernimmt die Einteilung der Sichtweisen auf den Begriff der Reformpädagogik von Ull-

4 rich, die 1990 unter dem Titel ‚Die Reformpädagogik. Modernisierung der Erziehung oder Weg aus der Moderne?‘ in der ‚Zeitschrift für Pädagogik‘ erschienen ist. Ullrich versucht die enorme Vielzahl an Positionen, verschiedensten AutorInnen, zur Reformpädagogik zu fassen. Ullrichs vier Sichtweisen werden hier inhaltlich diskutiert, und um eine fünfte Position von Skiera ergänzt, nur um einen kleinen Einblick in die wissenschaftliche Rezeption dieses Beg- riffes zu geben.

(1) Reformpädagogik als die Wiederkehr und Fortsetzung einer schon dagewesenen Idee

Als ‚Trivialisierung der Reformpädagogik zum déjà vu‘ wird die erste Sichtweise von Ullrich betitelt und geht auf die These ein, Reformpädagogik nicht als eine Epoche in der Erzie- hungswissenschaftsgeschichte, zwischen 1890 und 1932, anzusehen (vgl. Skiera 2010, S.2). Ullrich bezieht sich bei dieser ersten Position auf Jürgen Oelkers Buch ‚Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte.‘. Ullrich fasst Oelkers Hauptthese folgendermaßen zu- sammen:

Was die Geschichtsschreibung ,Reformpädagogik‘ nennt, ist keine neue Epoche mit einer origi- nären und originellen Theorie und Praxis der Erziehung, sondern lediglich die Fortsetzung des

1 Projekts der neuzeitlichen Pädagogik. Für OELKERS ist seit COMENIUS und erst recht seit ROUSSEAU 2 Pädagogik immer ,Reformpädagogik‘ gewesen in dem Sinne, dass an die richtige Erziehung die Verbesserung der Welt geknüpft ist. (Ullrich 1990, S.895f)

(2) Reformpädagogik als ‚Welterziehungsbewegung‘ im Sinne des Anstoßes zu zahlreichen Veränderungen im Bildungsbereich

Aus dieser zweiten Position heraus wird die Reformpädagogik als eigenständige, einflußrei- che Bewegung betrachtet und von Ullrich auch mit ‚Monumentalisierung der Reformpäda- gogik zur epochalen Welterziehung‘ benannt. Die internationale Bedeutung der Reformpä- dagogik wird betont und trotz der Schwierigkeit, eine Definition des Begriffs ‚Reformpädago-

1 „Johann Amos Comenius (1592-1670) – Die Schule als Werkstätte der Menschlichkeit und als Ort freudigen Lernens“ (Skiera 2010, S. 36) Er wollte das Lernen und Lehren nach ihren Ursachen, Prinzipien und Ziele unter- suchen. Dies beinhaltete Schulkritik, Überlegungen zur Gestaltung des Unterrichts und der Räumlichkeiten, den Aufbau von Schulbüchern und vieles mehr. (vgl. Skiera 201, S.36f) 2 „Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) ist einer der tiefsten Denker der modernen Geschichte und eine Schlüs- selfigur der europäischen Aufklärung. Er war auch ihr gewaltigster Kritiker, der die politische, wirtschaftliche, theologische und sexuelle Extravaganz der Zivilisation verurteilt und damit auf begeisterte Zustimmung sowohl von Individualisten als auch von radikalen Revolutionären stieß.“ (Wolker 1999, S.2)

5 gik‘ zu fassen, versuchen die VertreterInnen eine adäquate Definition zu formulieren. (Vgl. Skiera 2010, S.4f)

(3) Reformpädagogik als rückschrittliche Vorstellung

Der dritte Ansatz den Ullrich in seinem Artikel nennt, ist die Sichtweise der ‚Auflösung der Reformpädagogik zur Fiktion und Regression‘. Als wichtigsten Vertreter wird Klaus Prange genannt, der die reformpädagogische Bewegung als eine rückschrittliche Reaktion auf eine „lebensgeschichtlichen Sinn- und gesellschaftlichen Kulturkrise“ (Skiera 2010, S.6) ansieht und die ‚Pädagogik vom Kinde aus‘ aufs Schärfste als eine Rückentwicklung kritisiert. (Vgl. Skiera 2010, S.5f)

(4) Reformpädagogik als Krisenbearbeitungsmuster

Die Reformpädagogik, als Reaktion auf eine soziokulturelle Krise, entsteht in der vierten Po- sition, im Gegensatz zur Vorherigen, aus der Frage heraus, was Reformpädagogik leisten kann um Lösungen für soziale Fragen in der modernen Welt zu finden. Sie war als Krisenbe- arbeitungsmuster dienlich, so die Antwort dieser Position. Als Vertreter dieser Sichtweise wird Heinz-Elmar Tenorth genannt, der meint, dass die reformpädagogische Bewegung eine Änderung in den Schulen herbeigerufen hat, jedoch insgesamt nicht erfolgreich war. (Vgl. Skiera 2010, S.6ff)

(5) Reformpädagogik als Möglichkeit zur Reflexion und Handlungsanleitung

Skiera ergänzt eine weitere Sichtweise, in der Reformpädagogik „eine pädagogische Reflexi- ons- und Handlungsform, die gegen unreflektierte einschränkende Zwänge der Institution ein Konzept des Lernens entwickeln und durchsetzen will, das angstfreies Lernen ermög- licht.“ (Skiera 2010, S.10)

Skieras Vorschlag ist einer mehrperspektivischen komplexen Arbeitshypothese zur Definition des Begriffs ‚Reformpädagogik‘. Obwohl er auf die Erziehung, das Rettungsmotiv der Re- formpädagogik und die Geschichte eingeht, liegt seiner Meinung nach der Schwerpunkt der Reformpädagogik im Bereich der Unterrichts- und Schulreform. (Vgl. Skiera 2010, S. 20ff) Hierbei findet er folgende Gestaltungsprinzipien, die alle Reformlinien gemeinsam haben:

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− Orientierung an den kindlichen Bedürfnissen und Interessen;

− Ein Lernen, das die einseitige intellektuelle Orientierung überwindet und die Aspekte der Aktivität, Kreativität und Lebensnähe einschließt;

− Schule als Lebensgemeinschaft, als ein Ort kooperativen, selbst- und mitverantwortli- chen Lernens und Lebens;

− Erziehung des ganzen Menschen. (Skiera 2010, S.22)

Auch bestimmte didaktisch-methodische und organisatorische Momente findet Skiera in nahezu allen reformpädagogischen Schulen:

− Gestaltung eines ästhetisch und intellektuell anregenden Lernmilieus;

− Aufnahme fächerübergreifender Lernbereiche und Unterrichtsprojekte;

− Möglichkeit der Mitbestimmung des Kindes bei der Wahl von Lernaktivitäten (mehr oder weniger weitgehend);

− Selbstbildungsmittel zur individuellen Arbeit, Partner- und Gruppenarbeit;

− Sprachlich differenzierte und informell-persönliche Leistungsberatung und - beurteilung (entweder prinzipiell oder zusätzlich);

− Bildung von Lerngruppen nach anderen Gesichtspunkten als Leistungs- und Altersho- mogenität (entweder prinzipiell oder zusätzlich);

− Öffnung der Schule gegenüber dem räumlichen und sozialen Umfeld als wichtigem Lern- und Erfahrungsraum;

− Betonung der kindlichen Eigenaktivität.(Skiera 2010, S.23)

In einschlägiger Literatur sind zahlreiche weitere Definitionsversuche zu finden, die sich zum Großteil den oben genannten Zugängen (1-5) zuteilen lassen. Die weitere Vertiefung der Analyse des Begriffs ist hier nicht notwendig, da die praktischen Umsetzungen in dieser Ar- beit im Vordergrund stehen. Um ein besseres Bild der Thematik zu erhalten werden im fol- genden Abschnitt einige reformpädagogische Konzeptionen vorgestellt.

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2.2 Wichtige reformpädagogische Strömungen und ihre Vertreter Einige wichtige reformpädagogische Ansätze werden im folgenden Kapitel kurz erklärt. Hier- bei geht es nicht um eine detaillierte, vollständige Wiedergabe aller Strömungen, sondern um einen kurzen Überblick. Der Anspruch alle Konzeptionen aufzulisten ist schon dahinge- hend schwer möglich, weil eine ständige Weiter- und Neuentwicklung im Gange ist. Beson- ders auf die Montessoripädagogik und die Waldorfpädagogik wird in den späteren Kapiteln vertiefend eingegangen und ein Bezug zum Mathematikunterricht hergestellt.

2.2.1 Montessoripädagogik Die italienische Ärztin, Pädagogin und Pionieren der Friedensbewegung Maria Montessori (1870-1952), trat für die Rechte des Kindes ein und stellte das Kind in den Mittelpunkt ihres Reformkonzeptes. Sie war eine der faszinierendsten Gründergestalten der internationalen reformpädagogischen Bewegung. 1907 übernahm sie die Leitung eines Kinderhauses (Casa dei bambini) in Rom, in dem Volksschulkinder unterrichtet wurden. Von dort aus entwickelte sich eine weltweit bekannte Bewegung zur Erneuerung der Erziehung in Montessoris Sinne. (Vgl. Skiera 2010, S.195f)

Entsprechend ihrer Entwicklungstheorie ist das Kind von Natur aus zu einer spontanen Ent- wicklung seiner motorischen, kognitiven und sozialen Funktionen fähig und verfügt sowohl über einen immanenten konstruktiven Aufbauplan als auch über eine innere schöpferische Entwicklungskraft […], welche die Aktivität des Kindes in periodisch auftretenden Phasen ge- steigerter innerer Sensibilität zielgerichtet steuert und zur aktiven Auseinandersetzung mit seiner Umwelt drängt. (Fuchs 2003, S.53)

Der oben genannte immanente konstruktive Aufbauplan des Kindes wird in der Literatur auch als innerer Bauplan bezeichnet. Er ist „Erklärungsschema für jeglichen Entwicklungs- prozess auf physischem, psychischem und sozialem Bereich“. (Fuchs 2003, S.55) Die Norma- lisation gemäß diesem inneren Bauplans, das heißt eine dem Kinde naturgemäße Entwick- lung, ist das Ziel der Erziehung (vgl. Skiera 2010, S.215).

Montessori erkennt in der Persönlichkeitsentwicklung drei klar abgrenzbare Abschnitte. […] Ihnen lassen sich jeweils mehrere elementare Empfänglichkeiten (Sensibilitäten) zuordnen, de- ren angemessene Förderung das Fundament für die optimale Entfaltung aller Potentialitäten bildet. (Klein-Landeck 2009, S.17) 8

Die elementaren Empfänglichkeiten auch sensitive Perioden (in Skiera 2010) oder sensible Phasen (in Frey 2007) genannt, verlaufen zeitlich individuell verschieden, jedoch nach einem für alle einheitlichen Phasenplan. Unter einer sensiblen Phase versteht man eine Zeit, in der „das Kind für die Ausbildung bestimmter körperlicher, geistiger und moralischer Vermögen in besonderer Weise disponiert ist.“(Skiera 2010, S.215) Die Entwicklung des Kindes wird in der Montessoripädagogik in den folgenden drei Abschnitten betrachtet:

Erster Entwicklungsabschnitt (0-6 Jahre): In diesem Abschnitt liegen die sensiblen Phasen für die Entwicklung der Bewegung, der Absorption von Sprache und die Bildung eines inne- ren Ordnungssystems (vgl. Frey 2007, S.31).

Die Zeit von der Geburt bis zum dritten Lebensjahr wird als psychische- oder geistige Embryo- nalphase bezeichnet. Das Kind kann sich in dieser Zeit noch nicht bewusst mit der Umwelt aus- einandersetzten und bedarf ihrer Aktivität. (Frey 2007, S.31)

In den darauffolgenden drei Jahren, der sogenannten sozialen Embryonalzeit, beginnt das Kind die Welt bewusster wahrzunehmen, doch sehr viele Dinge werden noch rezeptiv aufge- nommen (vgl. Frey 2007, S.31).

Zweiter Entwicklungsabschnitt (6-12 Jahre): Diese Zeit beinhaltet die sensiblen Phasen des Kindes, die mit den Bedürfnissen „nach einer Erweiterung des Aktionsradius, die Entwicklung von Abstraktionsvermögen und Vorstellungskraft sowie die Sensibilität für moralische Fra- gen“ (Klein Landeck 2009, S.23), verbunden sind. In diesem harmonischen Abschnitt sollen dem Kind viele verschiedenen Lerngelegenheiten und ein weiteres soziales Umfeld in größe- rer Unabhängigkeit von der Familie geboten werden. Auch der Keim für das wissenschaftli- che Interesse ist, nach Montessori, in dieser Zeit zu legen. (Vgl. Klein Landeck 2009, S.23)

Dritter Entwicklungsabschnitt (12-18 Jahre) 1: In dieser labilen Zeit voller Unsicherheiten, Ängste, Zweifel und Distanz zu den Erwachsenen konzentriert sich die/der Jugendliche wie- der mehr auf sich selbst. Ein starkes Bedürfnis nach Verständnis, Geborgenheit und Sicher- heit entwickelt sich. Die Sensibilität für Selbstwert und Menschenwürde steht im Mittel- punkt. (Vgl. Klein Landeck 2009, S.24f)

1Auf diese Phase wird im Kapitel 3.1.2 ausführlicher eingegangen. 9

Um die Entwicklung des Kindes positiv zu beeinflussen, soll man eine entwicklungsfördern- de, adäquate Umgebung schaffen. Diese Umgebung soll frei von Hindernissen für die Ent- wicklung und dem Entwicklungsstand angepasst sein. Genügend neue Reize sowohl auf phy- sischer als auch auf geistiger Ebene werden in solch einer Idealen Umgebung für das Kind geboten. (Vgl. Frey 2007, S.32) Diese Umgebung ist für jeden Entwicklungsabschnitt eine andere. Montessori schlägt für die drei- bis sechsjährigen die Umsetzung in einem sogenann- ten Kinderhaus vor. Dieses soll wie ein wohlgeordnetes Haus eingerichtet sein, und die Kin- der können darin Aufgaben des praktischen/täglichen Lebens, Übungen zur Entwicklung der Bewegung und Sinnesübungen mittels der Entwicklungsmaterialien ausführen. (Vgl. Skiera 2010, S.220f)

In der Schule des Kindes, für die sechs- bis zwölfjährigen, sollte streng genommen der ge- samte Bildungskanon in Form von Materialien vorliegen. Montessorimaterialien gibt es für die Bereiche Sprache, Mathematik, Geometrie, Zeichnen, Musik und Poesie. Die Kinder ha- ben sowohl im Kinderhaus, als auch in der Schule viel Bewegungsspielraum, jedoch soll die Ordnung gewahrt werden. (Vgl. Skiera 2010, S.222) Wie eine passende Umgebung für die Kinder/Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und achtzehn aussieht, wird im Kapitel 3.1.2 genauer erklärt.

Doch nur die der Entwicklung angepassten Umgebung und die ansprechenden Materialien alleine führen noch zu keinem Lernprozess bei den Kindern. Hier spielt die Polarisation der Aufmerksamkeit eine große Rolle.

Die genaue Beobachtung von Kindern führte Montessori zur Entdeckung des von ihr so be- zeichneten Schlüsselphänomens ihrer Pädagogik, der Polarisation der Aufmerksamkeit. Damit ist die intensive Hingabe des Kindes an die Sache gemeint, in der es sich zeitweise von der Au- ßenwelt isoliert und sich nicht ablenken lässt. Kinder sind in der Lage, sich mit einer ungeheu- ren Intensität mit einem Gegenstand auseinander zu setzen, Tätigkeiten dabei immer wieder zu wiederholen und hoch konzentriert zu arbeiten. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.18)

Gerade auch das Prinzip der freien Wahl der Tätigkeit in einer vorbereiteten Umgebung soll diese Bündelung der Aufmerksamkeit begünstigen (vgl. Klein-Landeck 2009, S.31).

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Dies ist auch der Grund, warum in der Montessoripädagogik der Unterrichtsform der Freiar- beit eine so große Bedeutung zukommt. Unter Freiarbeit im Sinne Montessoris wird eine Unterrichtsform verstanden,

in welcher der Schüler aus einem differenzierten Lernangebot den Gegenstand seiner Tätig- keit, die Ziele, die Sozialform sowie die Zeit, die er auf den gewählten Aufgabenbereich ver- wenden will, im Rahmen allgemeiner Vorstrukturierungen selbst bestimmen kann. Für den Ab- lauf der selbstgewählten Arbeit gilt, dass der Schüler sich frei im Raum bewegen und auch Kon- takt mit Mitschülern aufnehmen darf, […], sofern und soweit die Arbeit der anderen Schüler dadurch nicht gestört wird. Mit der Wahl der Arbeit ist die Verpflichtung verbunden, sie mög- lichst auch zu Ende zu führen. (Ludwig 1996, S.247)

Inhaltlich orientieren sich Montessori-Schulen am traditionellen Bildungskanon mit dem Schwerpunkt im intellektuellen Bereich. Als Besonderheit gilt die ‚Kosmische Erziehung‘, die als Aufbau eines Bewusstseins allumfassender Zusammengehörigkeit zur Entwicklung einer globalen Verantwortung und Friedenserziehung erklärt werden kann. Die Rolle der Lehrper- son in der Montessoripädagogik ist nicht mit der traditionellen LehrerInnenrolle vergleich- bar. Die Lehrperson hat die Aufgaben, eine vorbereitete Umgebung zu schaffen und das Entwicklungsgeschehen behutsam zu begleiten. Durch das Mitwirken im Unterrichtsgesche- hen wird der rechte Gebrauch des Materials vermittelt und bei Abweichungen ihres Verhal- tens werden die SchülerInnen wieder sanft und konsequent auf den richtigen Weg geführt. Voraussetzung für das Arbeiten als LehrerIn ist die Gabe der Beobachtung von individuellen Entwicklungsverläufen. Grundsätzlich passiert das erzieherische Handeln nach dem Motto: Hilf mir, es selbst zu tun. (Vgl. Skiera 2010, S.232)

Zusammenfassend werden hier noch didaktische Prinzipien für Montessori-Schulen ange- führt, die von Gudula Meisterjahn-Knebel formuliert wurden um einen Maßstab für die Qua- lität von Montessori-Schulen vorzulegen (vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.24):

− Prinzip der Vorbereitung: Eine vorbereitete Umgebung entspricht der Grundüberzeu- gung des Selbstaufbaus des Menschen und orientiert sich am Alter des Kindes. − Prinzip der Entsprechung: Eine angemessenen Anpassung von Entwicklungsstand und gezielter Herausforderung führt zur Polarisation der Aufmerksamkeit/Konzentration. − Prinzip der Individualisierung des Lernens

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− Prinzip der freien Wahl der Tätigkeit: Die Arbeit, die Partner und die Zeit darf gewählt werden. − Prinzip der Jahrgangsmischung − Prinzip der Heterogenität und Inklusion − Prinzip der Nichteinmischung: Dazu gehört eine veränderte Haltung und Rolle der Lehrperson, die ein Zurücktreten hinter die Selbsttätigkeit des Lernenden fordert. − Lehrplan: Inhalte werden in einen allgemeinen Rahmenplan mit Bereichen wie Na- tur, Kultur und Gesellschaft eingeteilt. Zum Bereich Kultur gehören beispielsweise die Muttersprache, Fremdsprachen, Mathematik, Geschichte, Erdkunde, Sozialkunde, Philosophie und neue Medien. Das Interesse der Lernenden ist der inhaltliche Lehr- plan, die Methode ist der Weg, den der/die SchülerIn zur Erarbeitung der Inhalte wählt (z.B. Freiarbeit, Kursen, Epochen, Projekte,…). − Leistungsnachweise: Statt Notenzeugnisse gibt es Informationen zum Entwicklungs- und Lernprozess, nach ausgearbeiteten Dokumentationsformen in einem kategori- sierten System.

Im 3. Kapitel wird vertiefend auf die Montessoripädagogik eingegangen und besonders ihre Anwendung in der Sekundarstufe 2, sowie ihre Rolle in der Mathematikvermittlung disku- tiert. Kritikpunkte zum hier beschriebenen Konzept werden unter 4.2.2 angeführt.

2.2.2 Waldorfpädagogik Rudolf Steiner 1 (1861-1925) ist der geistige Vater der Waldorfpädagogik und schulte auch das Lehrpersonal der ersten Waldorfschule, die 1919 in Stuttgart gegründet wurde (vgl. Skie- ra 2010, S.233). Von Deutschland aus, wo sich die Waldorfschul-Bewegung mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus kontinuierlich entfalten konnte, wurden diese Gedanken in europäische und außereuropäische Länder weitergetragen (vgl. Skiera 2010, S.234).

Skiera beschreibt im Buch ‚Reformpädagogik in Geschichte und Gegenwart‘ aus neutraler Sicht, unter anderem auch die Weltanschauung, die hinter der Waldorfpädagogik steht. Die- se beinhaltet auch den Glauben an ‚Karma‘ (Schicksalsgesetz) und ‚Reinkarnation‘ (Wieder- geburt) (vgl. Skiera 2010, S. 266). Der „Mensch ist Spiegelbild des Kosmos und entwickelt sich gleichgerichtet mit diesem in einer vorherbestimmten Stufenfolge in Richtung Vergeisti-

1 Kompakt zusammengefasste Informationen zu Rudolf Steiner und der umstrittenen Anthroposophie findet man im Buch ‚Anthroposophie – Kurz und Bündig‘ (Kuberski 2010). 12 gung.“ (Skiera 2010, S. 266) Weiters bestehe der Mensch, im Sinne der Waldorfpädagogik, aus vier Leibern, die sich im Rhythmus von sieben Jahren entfalten. In dieser Vorstellung entwickelt sich zuerst der physische Leib, der sein Gegenüber im Kosmos durch die minerali- sche Welt hat. Danach der Ätherleib (Lebensleib), dessen kosmische Entsprechung die pflanzliche Welt wäre. Weiters entwickle der Mensch den Astralleib (Seelen- und Empfin- dungsleib), der auch der Tierwelt eigen sei, und in der letzten Stufe entfalte sich der Ich- Leib, der Geist. Je nach Entwicklungsstufe ändere sich auch der Lernbegriff. In der ersten Stufe werde durch Nachahmung, in der Zweiten durch Nachfolge, in der Dritten durch sachli- ches Prüfen und Denken und in der letzten durch Selbsterziehung gelernt. (Vgl. Skiera 2010, S.267)

Neben dieser Stufenlehre sei es für die Lehrpersonen auch wichtig, über die Vorstellung der Persönlichkeit des Menschen Bescheid zu wissen. „Die Individualität des Kindes ergibt sich aus der Mischung der vier Temperamente: cholerisches, sanguinisches, melancholisches, phlegmatisches.“ (Skiera 2010, S.267)1 Es sei die Aufgabe von Erziehung und Unterricht, zwi- schen den Temperamenten einen Ausgleich anzustreben (vgl. Skiera 2010, S.247).

Unterrichtet werden alle üblichen Fächer mit einer durchgehend anthroposophischen 2 Ori- entierung. Besonders hervorgehoben werden in der Waldorfpädagogik die künstlerische Ausgestaltung jedes Unterrichts, die Handarbeit und praktisches Lernen. Schon sehr früh wird Fremdsprachen- und Instrumentalunterricht eingeführt. Ein spezielles Unterrichtsfach, welches in allen Klassen unterrichtet wird, ist die Eurythmie 3. (Vgl. Skiera 2010, S.267)

Der Unterricht in den Hauptfächern wird in Form von ca. vierwöchigen Epochen geblockt abgehalten. Dabei werden fast keine Lehrbücher verwendet, sondern selbst ‚Epochenhefte‘

1 Man findet diese schon bei Hippokrates (460-377 v. Chr.). Sie sind ein Versuch das Temperament des Men- schen analog zu den vier Elementen und den vorherrschenden Körpersäften zu gruppieren. In der frühen Psy- chologie (z.B. Wundt 1903) wurde dieses System übernommen und weiterentwickelt. Jedoch ist man zu faktor- analytisch begründeten Modellen der Persönlichkeit übergegangen, wie beispielsweise das Big Five-Modell. (Vgl. Neubauer 2009, S. 91-95)

2 Die Anthroposophie, ist die Lehre nach der der Mensch höhere seelische Fähigkeiten entwickeln und dadurch übersinnliche Erkenntnisse erlangen kann. Sie wurde von Rudolf Steiner begründet. (vgl. Duden 2001, S. 71) 3 Eurythmie ist eine in der Anthroposophie gepflegte Bewegungskunst und Bewegungstherapie, bei der Ge- sprochenes, Vokal- und Instrumentalmusik in Ausdrucksbewegungen umgesetzt werden. (vgl. Duden 2001, S.286) 13 angelegt. Das organisch-genetische Lernen 1, sowie die rhythmische Gestaltung des Schulall- tags, sind von besonderer Bedeutung. (Vgl. Skiera 2010, S.267) Jede Unterrichtsstunde hat vier Teile: den rhythmischen Teil, den Wiederholungsteil, die Erarbeitung neuer Inhalte und eine Übungsphase (siehe Kapitel 3.3.2). In der Waldorfschule gibt es keine Noten, kein No- tenzeugnis und kein Sitzenbleiben (vgl. Skiera 2010, S.261).

Die Lehrpersonen wirken durch die Gestaltung der Umgebung, durch die individuelle Persön- lichkeit selbst und weiters durch eine künstlerisch-souveräne Handhabung der Tempera- mente. Je nach Entwicklungsstufe sind die LehrerInnen Vorbilder, Autoritäten, bieten einen sachlichen Unterricht oder unterstützen die Berufsbildung. (Vgl. Skiera 2010, S. 267)

Die Umsetzung der Waldorfpädagogik in der Oberstufe und auch die Vermittlung der ma- thematischen Inhalte, werden im 3. Kapitel noch genauer besprochen. Im Kapitel 4.2.1 ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Waldorfpädagogik zu finden.

2.2.3 Jenaplan-Pädagogik Als Peter Peterson 2 1924 seinen Schulversuch an der Universität einrichtete, war er vertraut mit den pädagogischen Reformbestrebungen seiner Zeit. Die Reformlinien von John Dewey 3, Helen Parkhurst (siehe 2.2.4 Daltonplan), Maria Montessori (siehe 2.2.1 Montesso- ripädagogik), Rudolf Steiner (siehe 2.2.2 Waldorfpädagogik) und viele andere waren ihm inhaltlich bekannt. In seinem wissenschaftlichen Versuch wollte Peter Peterson die tragen- den Einsichten dieser reformpädagogischen Ansätze zusammenführen. (Vgl. Skiera 2010, S.289)

Ausgehend von den Ansätzen Petersens geht es in den heutigen Jenaplanschulen um die Aus- arbeitung einer Didaktik, die den Prinzipien der Lebensnähe, des vernetzten, fächerübergrei- fenden Lernens sowie der Selbsttätigkeit genügen. (Skiera 2010, S.300)

„Wer sich auf das Schulmodell Jena-Plan einlässt, begibt sich in den Rahmen einer Gemein- schaftsschule und damit verbunden einer speziellen Art der Gesellschaftskritik.“ (Koerrenz 2012, S.27) Die Gemeinschaft ist das Fundament einer Jenaplanschule im praktischen und

1 Z.B. vom Korn zum Brot, vom Baum zum Werkstück aus Holz (vgl. Skiera 2010, S. 267), sowie über das geneti- sche Lernprinzip unter Punkt 3.2.3. 2 Geboren 1884, verstorben 1952 (Skriera 2010, S. 309) Weitere Anmerkung zur Person: Peterson war nicht Mitglied in der NSDAP, doch passte er sich an nationalsozialistische Denkweisen an. Dies führt zu einer kontro- versen Diskussion um seine Person. (vgl. Skiera 2010, S.293) 3 John Dewey(1859-1952): amerikanischer „Philosoph und Pädagoge der Demokratie“ (Bohnsack 2005, S. 119) 14 theoretischen Sinne. Die Gemeinschaft hat Funktionen im Inneren, dabei geht es um eine bestimmte Art der Kommunikation und einen normativen Rahmen mit einer identitätsstif- tenden Appellfunktion. Nach außen hin entsteht durch die Gemeinschaft eine Differenzie- rung und markiert somit eine kulturkritische Abgrenzung. Diese beiden Aspekte tragen die Vorstellung der Schule als eine Gegenöffentlichkeit. (Vgl. Koerrenz 2012, S.27)

In Schulen, die nach dem Jenaplan unterrichten, werden die Jahrgangsklassen abgelöst von Stammgruppen, die jeweils mehrere Jahrgänge zusammenfassen. Dadurch soll das Gemein- schaftsleben gefördert und eine Kontinuität im Sozialen gegeben werden. So ist beispiels- weise auch das ,Sitzenbleiben‘ für SchülerInnen in dieser Struktur weniger schwierig zu be- wältigen. Doch die SchülerInnen verbringen nicht die ganze Unterrichtszeit in den jeweiligen Stammgruppen. Es werden beispielsweise auch Lerngruppen nach Leistungsniveaus und Sachinteressen gebildet. Eine weitere methodisch-didaktische Besonderheit ist der Wochen- arbeitsplan. Diese Pläne sehen in jeder schulischen Umsetzung anders aus, beinhalten die vier Bildungsgrundformen Gespräch, Spiel, Arbeit, Feier und dienen der Organisation der Zeit. (Vgl. Skiera 2010, S.303f)

Der Unterricht findet nicht in traditionellen Klassenzimmern, sondern in sogenannten Schulwohnstuben statt. Obwohl Peterson die Pflege der Aufmerksamkeit befürworte, so lehnt er doch die Fixierung der Konzentration auf den Lehrer/die Lehrerin ab. (Vgl. Klein- Landeck 2009, S.131) „Petersen reflektiert die Gestaltungsmöglichkeiten des Schulraums daher vor allem im Hinblick auf die Förderung eines freien Gemeinschafts- und Arbeitsle- bens.“ (Klein-Landeck 2009, S.131) Das Mobiliar soll einfach und leicht beweglich sein, um schnell neue pädagogische Situationen schaffen zu können. Die SchülerInnen dürfen den Raum intensiv mitgestalten und auch Dinge von zu Hause mitbringen, so dass sie den Raum als den Ihrigen wahrnehmen. Der Raum soll beispielsweise mit Bildern und Blumen ge- schmückt werden. (Vgl. Skiera 2010, S.305)

Petersen lehnt Zensuren-, Prüfungen- und Versetzungssysteme ab und schlägt stattdessen eine verbale Charakteristik der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes vor (vgl. Skiera 2010, S.305). Konkret sieht die Beurteilung folgendermaßen aus:

In den heutigen Jenaplanschulen wird häufig eine selbstentwickelte formalisierte Form verba- ler Beurteilung verwendet. In den einzelnen Lernbereichen ist im ,Informationsbogen‘ eine An-

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zahl an Teilleistungen formuliert, die entsprechend angekreuzt werden. Der ,Informationsbogen‘ wird Kindern und Eltern am Ende eines Jahres oder Halbjahres ausgehän- digt und mit dem Kind (und evt. den Eltern) besprochen. (Skiera 2010, S.305)

Die heutigen Jenaplanschulen orientieren sich an den verbindlichen Lehrplänen. Im Allge- meinen wird das fächerübergreifende Lernen betont, dies zeigt sich auch in projektorientier- tem Unterricht. Die Lehrpersonen sind im Kontext der Jenaplanschule Organisatoren, die eine Ordnung schaffen und kindliche Lernprozesse leiten. Wichtig ist die persönliche päda- gogische Haltung zur Begeisterungsfähigkeit. (Vgl. Skiera 2010, S.309f)

2.2.4 Daltonplan-Pädagogik Beeinflusst von der Zusammenarbeit mit Maria Montessori (vgl. Popp 1999, S.27-30) und der eigenen Erfahrung als Lehrerin, entwickelte Helen Parkhurst 1 den ‚Laboratory Plan‘, der in seiner Weiterentwicklung Daltonplan heißt (vgl. Skiera 2010, S. 277f).

Helen Parkhursts Daltonplan wurde nach der Stadt Dalton in Massachusetts benannt, wo ihn die britische Fachwelt im Jahre 1920 entdeckte, und englische (Reform-) Pädagogen waren es vor allem, die dieses Reformkonzept für die Sekundarschule international bekannt machten, so dass in den zwanziger und dreißiger Jahren eine weltweite Rezeption mit eindrucksvollen Ex- perimenten und Ergebnissen einsetzte. Die größte Kontinuität erreichte der Daltonplan in den Niederlanden, wo er von den zwanziger Jahren an bis in die Gegenwart praktiziert wird. (Popp 1999, S.13)

Der Grundansatz des Daltonplans ist Folgender: „Über die Befreiung von (unnötigen) Zwang sollen die Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Schule insgesamt grundlegend erneuert werden.“ (Skiera 2010, S.269) Dies passiert durch „eine Individualisierung des Lernganges bei gleichzeitiger Berücksichtigung der sozialen Komponente schulischer Erziehung.“ (Skiera 2010, S.270)

Der Vorzug des Planes besteht vor allem darin, dass er das Kernproblem der Schularbeit her- ausarbeitet und pragmatische Lösungen anbietet, die vollständig im Rahmen empirischer Er- fahrung und rationaler Argumente diskutiert werden können. Sie fußen auch nicht auf einer ausgearbeiteten Entwicklungslehre oder einer speziellen inhaltsorientierten Didaktik, die es zunächst zu akzeptieren gelte. (Skiera 2010, S. 271)

1 Helen Parkhurst lebte von 1886-1973. (vgl. Popp 1999, S. 13) 16

Es geht beim Daltonplan rein um die Art des Unterrichtens, um die methodischen Ansätze.

Im Allgemeinen orientiert sich der Unterricht nach dem Daltonplan an dem vorgegebenen Lehrplan und ist auch in einer Regelschule umsetzbar. Es gibt in der Klasse sogenannte Facharbeitsecken (Subject corner) oder auch ganze Klassenräume (Laboratory), die nur für ein Schulfach reserviert sind. In Phasen der Freiarbeit können die SchülerInnen individuell im eigenen Lerntempo und eigener Herangehensweise die Inhalte erarbeiten. (Vgl. Skiera 2010, S.287) Jedes Kind hat ein eigenes Pensum (assignment) an Inhalten zu bewältigen, das je nach Alter der Kinder für einen Tag, mehrere Tage, für eine Woche oder gar ein Jahr im Vor- hinein festgelegt wird. Das Pensum ist klar formuliert, beinhaltet zielorientierte Lernaufga- ben, ist an die individuellen Voraussetzungen der SchülerInnen angepasst, klar in Stufenfol- gen strukturiert, gibt Hinweise zu Studienmaterial und Anregungen zu Querverbindungen in andere Schulfächer. Dieses schriftlich festgehaltene Lernpensum ist eine vertragsähnliche Verpflichtung des Schülers, dessen Einhaltung von der Lehrperson überprüft wird. (Vgl. Skie- ra 2010, S.273 u. S.281f)

Lernfortschritte der einzelnen SchülerInnen werden fächerbezogen als Graphen auf den Kontrollkarten dargestellt. Diese Methode beinhaltet nicht nur eine Kontrollfunktion, son- dern soll auch die Arbeitsmoral und die Leistungsbereitschaft der SchülerInnen unterstützen. (Vgl. Skiera 2010, S. 282f)

Die Rolle der Lehrperson ist in diesem Zusammenhang die eines Gestalters der erzieheri- schen Umgebung. LehrerInnen sollen ermutigen und Anerkennung erteilen. Sie sind Beglei- terInnen, BeraterInnen und in den Fachräumen auch SpezialistInnen. (Vgl. Skiera 2010, S.287)

Als aktuelles praktisches Beispiel möchte ich hier das Cooperative Offenes Lernen – COOL 1 nennen. Dieses startete als Pionierprojekt eines LehrerInnenteams an der BHAK/BHAS Steyr und basiert auf dem Daltonplan. Als Grundprinzipien werden Wahlfreiheit und Eigenverant- wortung für den Lernfortschritt, Zusammenarbeit, Teamfähigkeit und selbstständiges Planen und Organisieren angeführt. Die Initiative COOL war eine Reaktion auf die zunehmende He- terogenität in den Klassen und die Forderungen der Arbeitswelt nach selbständigen, verant-

1 Genaue Informationen wie Qualitätskriterien, Netzwerkpartner und gesammelte Medienberichte findet man auf der Hompage des Impulszentrum für COOL, unter http://www.cooltrainers.at/. 17 wortlichen und kommunikativen AbsolventInnen. (Vgl. cool – cooperatives offenes lernen, Was ist COOL?)

2.2.5 Freinet-Pädagogik Der französische, von kommunistischem Gedankengut beeinflusste Reformpädagoge Célestin Freinet (1896-1966) entwickelte in der Zeit nach seinem Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg, als Volksschullehrer eine neue Art zu Unterrichten. Auch weil es ihm durch eine Kriegsverletzung nicht möglich war seine Stimme zu strapazieren und weil er von der Idee einer anderen Schule beseelt war.(Vgl. Skiera 2010, S.311ff)

Sein ganzes Leben lang ist Freinet darum bemüht, eine Natur nahe Erziehung mit natürlichen Methoden in einer entsprechend vorbereiteten Umgebung zu verwirklichen. […] Ein Schulgar- ten, Kleintiergehege und Werkstätten gehören nach seiner Auffassung ebenso zu einer den Er- fordernissen unserer Zeit entsprechenden Erziehung wie das Vorhandensein einer umfangrei- chen Schulbücherei, der Einsatz moderner technischer Medien und das Arbeiten nach indivi- duellen Arbeitsplänen, die auf die Fähigkeiten und Interessen der Schüler abgestimmt sind. (Jörg 1992, S.98)

Ziele der Freinet-Pädagogik sind (vgl. Jörg 1992, S.98-101):

• Die Bedürfnisse und Rechte des Kindes werden geachtet, das heißt die SchülerInnen können den schulischen Alltag mitgestalten. • Die Eigenart und Identität des Kindes wird zugelassen, im Gegensatz zu manchen meist politischen Ideologien, die verbindliche Normen anstreben. • Die erzieherische Wirkung der Arbeit, des Experimentierens und Erlebens wird be- achtet. • Die erzieherische Wirkungskraft des Erfolges wird eingesetzt. • Der freie kindliche Ausdruck wird gefördert. • Die SchülerInnen werden zur Kooperation, Mitverantwortung und Kritikfähigkeit er- zogen.

Diese Ziele sollen in einer Schule, die nach Freinet-Pädagogik geführt wird, Einfluss haben. Dahingehend sollen „praktikable und verantwortbare neue Unterrichtsformen“ (Skiera 2010, S. 324) entwickelt werden. Freinet schlägt als Lehrmethode beispielsweise Ateliers für die Bereiche Landwirtschaft, Handwerke, Haushalt, Handel, Naturwissenschaften, Kunst, Gestal-

18 tung und Kommunikation vor. Diese können innerhalb oder außerhalb des Klassenraums eingerichtet werden und sollen für die jeweiligen manuellen, geistigen oder künstlerischen Aktivitäten ausgestattet sein. Weitere wichtige Arbeitsmittel und Techniken, die auch im Rahmen von Ateliers eingesetzt werden können, sind: die Arbeitsbücherei, Versuchskarten, Nachschlagekarteien, Arbeitskarten mit Lösungen, akustische Lernprogramme, die Schuldru- ckerei, das Arbeiten mit Projektor/Tonband/Film, Studium des lokalen Milieus, die Korres- pondenz mit anderen Klassen und Schulen, der freie Ausdruck und Vorträge von SchülerIn- nen und ExpertInnen. Diesem Reservoir an pädagogischen Techniken sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Auch der Einsatz von Computern und modernen technischen Medien jeder Art ist willkommen. (Vgl. Skiera 2010, S.324ff u.329)

Um die Arbeit und das soziale Leben in der Schule zu organisieren, werden die folgenden drei methodischen Instrumente eingesetzt (vgl. Skiera 2010, S.325):

Klassenrat: Dadurch können sich die SchülerInnen selbst verwalten, d.h. Regeln aufstellen, Reflektieren, Diskutieren und Lösungen finden.

Individueller Arbeitsplan: Dieser wird am Anfang der Woche in persönlicher Absprache zwi- schen SchülerIn und LehrerIn erstellt und umfasst verschiedene Lernbereiche mit Aufgaben. Mit der Wochenplanarbeit sind individuelle Leistungskurven der SchülerInnen verbunden. Alle im Laufe der Woche gemeisterten Aufgaben, Ergebnisse und Beurteilungen werden dar- in festgehalten. „Außerdem wirken die Schüler bei den meisten Leistungsbeurteilungen durch Abstimmungen mit und bekommen so sehr schnell ein natürliches und untrügliches Urteil für eine Leistung.“ (Jörg 1992, S.104)

Wandzeitung: In ihr werden Kritik, Lob, Wünsche und Arbeitsergebnisse präsentiert.

Der Lehrperson kommt eine organisatorische, begleitende Rolle zu. Die frontale Position vor der Klasse wird aufgegeben und durch eine „pädagogische Haltung, die Kinder bei ihrem eigenen Lernprozess in vielfältiger Weise anregend, korrigierend, beratend, ermutigend zu begleiten sucht“ (Skiera 2010, S.326), ersetzt.

„Ohne die Einflüsse im einzelnen immer nachzeichnen zu können, ist die Freinet-Pädagogik zweifellos zu einer bedeutsamen Bewegung geworden, die weit über den Kreis ihrer internati- onal verbreiteten Anhängerschaft hinaus Wirkungen auf das Bild und die Praxis der Schule all- gemein entfaltet hat.“ (Skiera 2010, S. 327) 19

2.2.6 Neue Reformpädagogik Unter dem Namen ‚Neue Reformpädagogik‘ versteht man Schul- und Unterrichtskonzeptio- nen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vlg. Skiera 2010, S.355). Zu diesen Konzep- tionen gehören zum Beispiel die Community Education, die Alternativschulpädagogik, die Storyline-Methode, der Offene Unterricht, die Reggiopädagogik und viele weitere. Die drei erstgenannten Strömungen werden hier zusammenfassend dargestellt. 1

2.2.6.1 Community Education – Gemeinwesenorientierte Erziehung Community Education geschieht am besten in der ‚Community School‘, die in sich die beiden zentralen Bildungsbereiche aufnimmt, nämlich den schulischen Pflichtbereich und den nach Neigung und Bedürfnis genutzten Bereich für alle Mitglieder der Gemeinde, auch der Kinder und Jugendlichen. Die innere Vernetzung der beiden Bereiche kann in sehr verschiedenen Gra- den gedacht und entwickelt werden. (Skiera 2010, S.362)

Das heißt, die Schule wird für die Gemeinschaft geöffnet. Skiera verweist auf die folgenden sieben Merkmale, die Reinhardt Klaus in seinem Buch ‚Öffnung der Schule‘ (vgl. Klaus 1992, S.167-199) aufzeigt:

• Eine Entwicklung und aktive Gestaltung der Wechselwirkung zwischen Schule und sozialem Umfeld findet statt. In dem Sinne, dass sich die Gemeinde der Schule ge- genüber öffnet und Engagement zeigt und, dass sich die Schule für die Nachbarschaft öffnet. • Der Ausbau der Schule zu einem multifunktionalen soziokulturellen Zentrum, als Ort vielfältiger sozialer Beziehungen durch gemeinsame Aktivität, wird gefördert. • Es werden Curricula entwickelt, die verstärkt die lebensgeschichtlichen Hintergrün- de, Interessen, aktuelle Ereignisse und die jeweilige Umwelt berücksichtigen. • Elternhaus und Schule kooperieren eng miteinander. • Es passiert eine Verknüpfung von außerschulischen und innerschulischen Lernorten. • LaienpädagogInnen werden in den Unterricht einbezogen. Es werden ExpertInnen aus dem Kreis der Freunde, der Familie, der Bekannten und Nachbarn angeworben. • Die Schule kooperiert mit Sozialpädagogik, sowie der Jugend- und Sozialarbeit, damit die Öffnung der Schule gegenüber der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen mit alle ihren Problemen gelingt.

1 Bei Interesse an den zwei weiteren Strömungen verweise ich auf Göhlich 1997. 20

2.2.6.2 Alternativschulpädagogik Im Gegensatz etwa zu Montessori oder Steiner berufen sich Alternativschulen nicht auf eine bestimmte Entwicklungslehre. Ihr Bild des Kindes kann am ehesten in einem allgemeinen Sinn als ein interaktionistisches bezeichnet werden. Das heißt: Kinder entwickeln sich in einem of- fenen Prozess selbst in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Jeder Bezug auf eine explizite Entwicklungslehre könnte diesen Prozess determinieren und das Prinzip der Freiheit untergra- ben. (Skiera 2010, S.347)

Beeinflusst von Anarchismus und basisdemokratischen politischen Vorstellungen, sowie der antiautoritären Erziehung, wird dem Kind in der Alternativschulpädagogik ein Anspruch auf Glück, Selbstbestimmung, Geborgenheit und das Respektieren seiner Bedürfnisse zugespro- chen. Als Erziehungsziel gilt der autonome Mensch mit seinen Fähigkeiten zur Mitbestim- mung, zur Verantwortungsübernahme und zum vernetzten Denken. Einen spezifischen Lehrplan gibt es nicht, die Betonung liegt beim fächerübergreifenden, sozialen und ökologi- schen Lernen. Die Lehrperson ist ein zurückhaltender Prozessbeobachter, Berater und Mit- organisator auf gleicher Ebene wie die SchülerInnen. (Vgl. Skiera 2010, S.352f)

2.2.6.3 Storyline-Methode Diese Methode ist auch unter anderen Namen wie Scottish Method, Glasgow Method oder Topic studies bekannt (vgl. Skiera 2010, S. 369).

Im Wesentlichen geht es darum, gegen die Zersplitterung in schulische Einzelfächer und Ein- zelstunden (und die damit häufig einhergehende Demotivation der Schülerinnen und Schüler) ein projektartiges Lernen zu entwickeln, in dem über die ,story‘ ein motivierender Zusammen- hang zwischen einzelnen Lernbereichen und Lerninhalten hergestellt wird, und zwar in der Weise eines dynamischen, in den Einzelheiten unter Beteiligung von Lehrern und Schülern sich entwickelnden Geschehens. (Skiera 2010, S. 369)

Die Lerninhalte gruppieren sich um die Geschichte, der Klassenraum wird zur Bühne, die Lernzeit ist nicht in inhaltlich getrennte Stunden geteilt und die SchülerInnen gestalten die Geschichten selbst mit. Dabei werden die SchülerInnen mit Fragen und Problemen anstatt mit Antworten konfrontiert und sie müssen auf ihr Wissen zurückgreifen. Die SchülerInnen und LehrerInnen erforschen gemeinsam Ideen in experimentellen Situationen. So entstehen Ausstellungen in der Klasse und individuelle Arbeitsergebnisse die schriftlich oder visuell dokumentiert werden. Dieser neue Ansatz (außerhalb Schottlands erst etwa in den letzten

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20 Jahren praktiziert) ist eine spezielle Art des Projektunterrichts, der auch viele verschiede- ne reformpädagogische Motive beinhaltet. (Vgl. Skiera 2010, S.369f)

In der deutschen Zeitung ‚Die Zeit‘ erschien im Jänner 2013 ein Artikel, indem eine Schule, die nach dieser Methode arbeitet, porträtiert wurde. Dabei handelt es sich um die Østerskov Efterskole 1 im dänischen Hobro. Diese Schule ist ein Internat für Acht- bis Zehntklässler, in der alle Inhalte durch Rollenspiele vermittelt werden. Hier passiert es auch, dass der Ma- thematiklehrer sich als Archimedes verkleidet. (Vgl. Arndts 2013)

1 Hompage der Schule: http://osterskov.dk/ 22

3. Reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe2

3.1 Reformpädagogik in der Sekundarstufe 2 Nicht jede reformpädagogische Strömung beinhaltet ein Konzept für die Umsetzung in allen Altersstufen. Gerade inhaltliche und praktische Ausarbeitungen für die Sekundarstufe 2 feh- len oft. Nach dem allgemeinen Überblick zur Reformpädagogik im letzten Kapitel versuchen die folgenden Seiten jene reformpädagogischen Denkrichtungen hervorzuheben, die auch im Unterricht der Sekundarstufe 2 in Österreich umgesetzt werden.

3.1.1 Waldorfpädagogik Die Waldorfpädagogik besitzt ein theoretisches Konzept zum Schulalltag im Jugendalter und kann auch mit zahlreichen praktischen Erfahrungen in diesem Bereich aufwarten. Vom Wal- dorfbund Österreich wurde auch ein Lehrplan für Waldorfschulen entwickelt, gültig ab dem Schuljahr 2010/2011, der auch die Oberstufenklassen berücksichtigt.

3.1.1.1 Grundlagen Schon „[…] Rudolf Steiner hat wesentliche Anregungen für die Erkenntnis der Charakteristika des Jugendalters seit 1907 und vor allem nach der Gründung der Waldorfschule 1919 gege- ben, insbesondere als die ersten Klassen in die Oberstufe hinauf wuchsen.“ (Waldorfbund Österreich Lehrplan 2010 1, S.155) Diese Ansichten sind grundlegend und wurden bzw. wer- den durch die Reflexion der praktischen Umsetzung stets weiterentwickelt.

„Die körperlichen Entwicklungserscheinungen sind Basis für die Möglichkeiten künftiger Entwicklung seelischer und geistiger Fähigkeiten und bieten damit Dispositionen, die reali- siert werden können – oder nicht.“ (LW 2010, S.155) Deshalb sei für Bildung und Erziehung eine umfassende Kenntnis dieser körperlichen Vorgänge und der auszubauenden Fähigkei- ten während dem Jugendalter notwendig, um die Möglichkeiten der Förderung in der Schule wahrzunehmen (vgl. LW 2010, S.155). Neben der Wichtigkeit der Körperentwicklung in der Waldorfpädagogik, wird hier noch ein weiterer Punkt aufgezeigt. Wie schon im Kapitel 2.2.2 erwähnt wurde, entwickelt sich während dem dritten ‚Jahrsiebt‘ (14.-20. Lebensjahr), in wel-

1 Im weiteren Text wird der Lehrplan für Waldorfschulen des österreichischen Waldorfbundes von 2010 mit LW 2010 abgekürzt. Weiters möchte ich erwähnen, dass im Lehrplan für Waldorfschulen daraufhingewiesen wird, dass dieser hauptsächlich auf Inhalten des folgenden Buches aufgebaut ist: Entwicklungsaufgaben und Kompe- tenzen – zum Bildungsplan der Waldorfschule, herausgegeben von Götte, Loebell und Maurer 2009. 23 ches die Sekundarstufe 2 fällt, nach Steiners Lehre, der ‚Astralleib‘. Dieser wird auch Seelen- oder Empfindungsleib genannt und neben dem Menschen besäßen ihn, nach dieser Weltan- schauung, auch Tiere. (Vgl. Skiera 2010, S.243) „Er sei der Träger von Empfindungen, Lust, Schmer, Trieben, Begierden usw.“ ( Skiera 2010, S.234)

Die zu fördernden Potentiale werden als Entwicklungsaufgaben, darunter versteht man je- weils einem biografischen Abschnitt zugeteilte körperliche, seelische und geistige Entwick- lungspotentiale, und als Kompetenzen formuliert. Als Kompetenzen werden hier kleinere Schritte innerhalb dieser biografischen Abschnitte genannt, die auf schul- und fachbezogene Fertigkeiten und Fähigkeiten abzielen. (Vgl. LW 2010, S.155)

3.1.1.2 Entwicklungsaufgaben Für das Jugendalter (hier bezogen auf die 9.-12. Klassenstufe) übergreifende Entwicklungs- aufgaben sind die Folgenden:

− „Freie Entfaltung der Individualität

− eigenen Urteilskraft entwickeln, eigene Auffassungsvermögen gebrauchen

− Initiativkraft entwickeln

− Humanität entwickeln

− Kraft zu einem selbst bestimmten Leben entwickeln

− Ich-Identität entwickeln“ (LW 2010, S.171)

Neben diesen, für das Jugendalter im Allgemeinen formulierten, Entwicklungsaufgaben fin- det man im Lehrplan der Waldorfschulen Österreichs auch spezielle Entwicklungsziele, die bis zum Ende der 10. bzw. bis zum Ende der 12. Klasse verwirklicht werden sollten. Die Be- schreibung der Entwicklungsaufgaben ist inhaltlich wenig konkret und sprachlich im Original nur stichwortartig ausgeführt, trotzdem möchte ich diese hier wiedergeben um zu zeigen, dass die Vorstellungen hinter der Waldorfpädagogik schwer logisch zu fassen sind. Bis zum Ende der 10. Klasse zu verwirklichende Entwicklungsaufgaben sind (vgl. LW 2010, S.172):

− Die „Wiedereroberung und Durchdringung des Leibes als Instrument der Seele“ (LW 2010, S.172) soll erkannt werden. − Die „geführte und geschickte Beherrschung des Leibes und die Orientierung im Raum“(LW 2010, S.172), sind weitere Ziele. − Durch diese Integration soll ein neues konstituierendes Identitätsgefühls gewonnen werden.

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− Kraft und Mut soll entwickelt werden, um in angemessener Weise ‚das Innere‘, die eigenen Auffassungen und Einstellungen selbstidentisch nach außen zu zeigen. − Verantwortung für die eigenen Leistungen heißt es zu übernehmen. − Das Weltinteresse soll gefördert werden. − Den Trieb nach Erkenntnis und die Suche nach der Wahrheit sollen entfaltet werden. Dabei soll von dem/der Jugendlichen die Welt mit dem Rüstzeug der intellektuellen Fähigkeiten zu verstehen versucht werden. − Die „kritische Urteilskraft zu differenzierter Betrachtung und umfassender Aufnahme der Tatsachen und möglichst vieler ihrer Aspekte“ (LW 2010, S.172) sollen entwickelt werden. − Die „Fähigkeit logisch-kausale, stringente Zusammenhänge, insbesondere in der Na- tur und in der Mathematik“ (LW 2010, S.172), sollen erfasst werden können. − Die Entwicklung eines vernetzten, beweglichen Denkens soll auch gefördert werden. − Eine „ökologisch-humane Naturerkenntnis“ (LW 2010, S.172) gilt es zu gewinnen. − Einer neuen, auch „durch Erkenntnis getragenen Weltbeziehung“ (LW 2010, S.172) soll entstehen. − Einer ‚(moralisch-sinnhaften)‘ Beziehung zu allen Mitmenschen soll entwickelt wer- den. − Die Beziehung zur Umwelt, die durch eigener Erkenntnis und durch die eigenen Ge- fühle entsteht, soll bewusster gestaltet werden können und Handeln aus den Impul- sen des ‚einen Inneren‘ möglich sein. − Die Kreativität soll weiterentwickelt werden.

Weiters sollen bis zum Ende der 12.Klasse, dies ist die Abschlussklasse an einer Waldorfschu- le, folgende Entwicklungsaufgaben bewältigt werden (vgl. LW 2010, S.172):

− „Denken, Fühlen und Wollen soll in der Weise entwickelt werden, dass sie der Indivi- dualität bei der Gewinnung der neuen Weltbeziehung in sozialer Hinsicht, in Bezug auf Erkenntnis, im Hinblick auf Umwelthandeln produktiv dienen können.“(LW 2010, S.172) Dies soll in der Weise passieren, dass sie als Instrumente der Individualität fungieren können. − Die „Ausbildung von ‚Selbst-Identität‘ und die Überwindung der dadurch aufbre- chenden Ich-Welt-Spaltung“ (LW 2010, S.172) soll unterstützt werden. D. h. die ‚Ge- winnung von Sinn‘ und Orientierung aus eigener Kraft durch die Verbindung des Sub- jektiven mit dem Objektiven wird gefördert. − Der ‚Gewinnung von Sinn‘ soll unterstützt werden durch… … die Eingliederung in einen Zusammenhang, in ‚ein Größeres‘. … den Aufbau von Richtung und Orientierung. … das Verstehen von sich selbst und der Welt als ständige Entwicklung. … die moralische Selbstbestimmung. − Ein selbst gestaltetes inneres, ethisches, handlungsleitendes System soll herausgebil- det werden. Dazu gehört es, moralische Impulse aus dem eigenen Wesen zu entwi- ckeln und diese in realen Handlungen umzusetzen, durch Entwicklung und Schulung der Willenskräfte. − Die Fähigkeit zur ‚Überschau‘ soll entwickelt werden.

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− Ein ‚sinn‘-getragenes Verhältnis zur Sexualität soll gefördert werden, die ‚Seelenkräf- te‘ des erkennenden Denkens, des mitfühlenden Erlebens und des Handelns, welches auch die Bedingungen und Bedürfnisse der Welt einbezieht, sollen ausgebaut wer- den. − Der Aufbau einer ‚ökologisch-humanen Beziehung zur Natur‘ soll entfaltet werden. − ‚Kompetentes Urteilen und Handeln aus Ich-Kompetenz‘ sind weitere Ziele, die durch den Aufbau von Selbstbewusstsein der jungen Menschen und dem sicheren Stehen in der Welt, gefördert werden können. − Lernen soll ein selbstorganisierter Prozess sein.

Manche dieser, oder auch ähnlich formulierte Entwicklungsziele für das Jugendalter findet man in grundlegenden pädagogischen Konzepten und in der Entwicklungspsychologie (vgl. Hobmair 2003). Die oben genannten sind eben jene, die in den Lehrplan des Waldorfbundes Österreichs Eingang gefunden haben oder aus der anthroposophischen Tradition heraus formuliert wurden.

3.1.1.3 Kompetenzen Nach dieser Auflistung der allgemeinen Entwicklungsaufgaben dieses Lebensalters werden nun, für den Schulalltag besonders relevante Kompetenzen die sich im Rahmen der Entwick- lungsaufgaben aufdrängen, beschrieben. Im Lehrplan des Waldorfbundes wird von Metho- den-, Sozial-, Selbst- und Fachkompetenzen gesprochen. Auf die ersten drei wird hier näher eingegangen, die Ausführung zur Fachkompetenz mit speziellen Blick auf die Mathematik findet man im Kapitel 3.3.1.2. Wieder werden die konkret angestrebten Fähigkeiten für das 9. und 10. Schuljahr, sowie jene für die beiden letzten Schuljahre, der 11. und 12. Klasse, zusammengefasst betrachtet.

Zu entwickelnde Kompetenzen der 9. und 10. Schulstufe:

Methodenkompetenz: „[…]die Schärfung der Wahrnehmung an den konkreten Phänomenen und die logisch und sachgemäße denkende Durchdringung sind als Methodenkompetenz zu entwickeln.“ (LW 2010, S. 175) Fächerübergreifend steht in dieser Zeit das selbstständige Lernen und Arbeiten im methodischen Mittelpunkt. Dazu gehört das selbstständige Recher- chieren, Exzerpieren und Strukturieren von Material. Weiters die Nutzung von Büchern, Kar- ten, statistischen Daten und Quellen aller Art. Methodenansätze sollten auch formuliert und reflektiert werden können, sowie eine fachgerechte Zitierweise ist einzuführen. Auch unter- schiedliche Arten des Präsentierens sollen geübt werden. Fächerübergreifende Aspekte sol- len aufgegriffen, verknüpft und verglichen werden. Durch exakte Beobachtungen und die 26

Fähigkeit sich in etwas hineindenken zu können, sollen objektive Prozessbeschreibungen möglich werden, die ihre Anwendungen in inhaltlichen Zusammenfassungen und dem Do- kumentieren durch die Mitschrift findet. Auch gegenstandspezifische Methoden 1 sollen in dieser Zeit erlernt werden. (Vgl. LW 2010, S.175ff)

Sozialkompetenz: „Wie im persönlichen Bereich sind im Bereich des Lernens und Arbeitens Beziehungen zu anderen bewusst zu ergreifen und zu gestalten […] auf der Grundlage einer Wertschätzung des anderen.“ (LW 2010, S. 180) Um solche Beziehungen einzugehen braucht man Begegnungsfähigkeit, Empathie, Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, Höflichkeit und Achtung. Eine gute Wahrnehmung seiner eigenen Individualität ist förderlich um seine Persönlichkeit ins Gruppengeschehen einzubringen und dadurch aktiv an Prozessen beteiligt zu sein, sowie Kritikfähigkeit zu erlernen. Das gemeinsame Arbeiten in Gruppen kann zu To- leranz und Teamfähigkeit beitragen. Die Entwicklung dieser sozialen und kommunikativen Kompetenzen kann eine innere Beweglichkeit erschaffen, die es möglich macht verschiede- ne Standpunkte einzunehmen, begründetet Urteile zu formulieren und die Sprache als ge- stalterische Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeit zu erfahren und bewusst einzuset- zen. (Vgl. LW 2010, S.179ff)

Selbstkompetenz: „Über das Interesse an den realen Erscheinungen der Welt und der syste- matischeren Beschäftigung mit diesen, sich der eigenen Kräfte bewusst werden und diese bewusst und stabil einsetzten.“ (LW 2010, S. 181) Durch das Zusammenspiel von Erkenntnis, Empfindung, Motivation und Verstehensprozesse wird in dieser Phase versucht ein Ich-Wir- Verhältnis aufzubauen. Eine gewisse Sicherheit im eigenen Urteilen entsteht und die Jugend- lichen beginnen sich von Autoritäten zu lösen. Dies äußert sich auch im Verbalisieren von Haltungen, Absichten und Standpunkten. Durch geistige Reflexion kann zielgerichtetes Ar- beiten, selbstständiges Problemlösen und Eigenkorrektur passieren. (Vgl. LW 2010, S. 181f)

1 Im Lehrplan sind zu den einzelnen Schulfächern, angefangen bei den Sprachen, über die künstlerischen Fä- cher, bis hin zu den naturwissenschaftlichen Fächern, Methodenkompetenzen aufgelistet. (siehe LW 2010 ab S. 190) 27

Zu entwickelnde Kompetenzen bis ans Ende der Schulzeit (12. Klasse):

Methodenkompetenz: Die bis zur 10. Klasse erlernten Methodenkompetenzen, die oben an- geführt sind, werden angewandt und vertieft. Zum selbstständigen Umgang mit Arbeitsma- terialien kommt auch das Beschäftigen mit wissenschaftlichen Texten und Fachartikeln, das Studium und die Bearbeitung von Fallbeispielen und die kritische Einordnung und Interpreta- tion jeder Art von Quellen hinzu. Dabei handelt es sich nicht nur um den Umgang mit fach- bezogenen Informationen, sondern auch um den Umgang mit Materialien zur Erstellung von musischen oder bildnerischen Kunstwerken und Projekten. Aus der Beschäftigung mit einem Thema oder aus Beobachtungen sollen weiterführende Fragestellungen abgeleitet und In- formationen sollen sinnvoll aufbereitet und präsentiert werden können. Eine im Ansatz wis- senschaftliche Herangehensweise an die menschliche Wirklichkeit sollte nach der Waldorf- Schulzeit möglich sein. (Vgl. LW 2010, S.184ff)

Sozialkompetenz:

Die zu erwerbenden Sozialkompetenzen sollen am Ende der Schulzeit an den Punkt gelangt sein, an dem der junge Erwachsene mindestens im Ansatz über einen Überblick über die eige- ne Situation in Bezug auf die anderen und die Welt verfügen kann. Dies bringt mit sich die Be- reitschaft, Verantwortung gegenüber der Welt, der Gesellschaft und sich selbst zu überneh- men. (LW 2010, S.189)

Dies kann nur durch ein vernetztes Denken möglich sein wie zum Beispiel, dass politische Ereignisse aus anderen Ländern unter Berücksichtigung des jeweiligen historischen kulturel- len Hintergrundes und der Globalisierung verstanden werden. Auch das Erleben von Krisen als Entwicklungschancen, das Zurückstecken von persönlichen Vorlieben, das Ruhigbleiben in chaotischen Situationen unter der Hilfe von Kunst als Mittel zum Ausdruck seiner Empfin- dungen, sind Wege um Verantwortung für das Leben auf der Erde zu übernehmen. Um sich an Diskussionen beteiligen zu können und seine Haltung vertreten zu können, wird eine ge- wisse Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und die Wahrnehmung des Gruppen- prozesses gefordert. (Vgl. LW 2010, S.189f)

Selbstkompetenz: Autonomie und eine gefestigte Persönlichkeit bilden den Zielpunkt des Erwerbs von Selbstkompetenz. Dieses Ziel zu erreichen ist ein lebenslanger ständiger Prozess und kann nicht nur Ziel dieser Lebensphase sein. (Vgl. LW 2010, S. 190)

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Für die Waldorfpädagogik ist das Motto ‚Lernen – ein Leben lang‘ nicht neu. Es gehört ebenso zum Grundbild der Pädagogik wie die Aufforderung an die tätigen Pädagogen, im jungen Men- schen vor sich immer auch ein zukünftigen ‚Meister‘ zu sehen. Beides hat erhebliche Auswir- kungen auf den Unterricht und auf den inneren Ansatz des Unterrichtes, dem der Gedanke des Kompetenzerwerbs vollkommen entspricht. (LW 2010, S. 182)

Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Kompetenzbegriff im Lehrplan des Waldorfbundes Österreichs zu unterscheiden ist vom Kompetenzbegriff im Zusammenhang mit der aktuellen Bildungsdiskussion und der standardisierten Reifeprüfung, welcher im folgenden Kapitel 3.2 eine große Rolle spielt. Im Lehrplan der Waldorfschulen sind die formulierten Kompetenzen aus der Theorie von Rudolf Steiners weiterentwickelt und als Teilschritte der Entwicklungs- aufgaben formuliert worden.

3.1.1.4 Zum Unterrichtsverlauf Im Unterschied zu den ersten bis achten Klassen, in denen der Unterricht meist von ei- ner/einem KlassenlehrerIn erteilt wird, unterrichten in der neunte bis zwölfte Klasse aus- schließlich FachlehrerInnen. In der Oberstufe gibt es zusätzlich zu den FachlehrerInnen für jede Klasse eine/einen BetreuungslehrerIn. (Vgl. LW 2010, S.16)

Eine deutschlandweite Studie, die 2012 unter dem Buchtitel ‚Bildungserfahrungen an Wal- dorfschulen‘ (siehe Liebenwein 2012) publiziert wurde, und die Daten von 800 Waldorfschü- lerInnen mit einbezieht, widmet sich neben vielen anderen Aspekten diesem Übergang von Klassenlehrsystem zum Fachlehrsystem. Im Zuge der Studie wurde beispielsweise herausge- funden, dass die SchülerInnen eine starke Zunahme der Leistungsansprüche durch den Wechsel und während der ganzen Oberstufenzeit empfinden. Weiters wird der Wechsel so- wohl von SchülerInnen als auch von Eltern überwiegend als abrupt und einschneidend er- lebt. Ein Teil der Eltern bemängelt die nachlassende Professionalität der LehrerInnen am Ende der Klassenlehrzeit (bis zur 8. Klasse) und sehen ihre Kinder dadurch schlecht auf die Oberstufe vorbereitet. An den FachlehrerInnen wird oft eine fehlende fundierte Waldorfpä- dagogik-Ausbildung kritisiert. (Vgl. Liebenwein 2012, S.139-142)

Im Vergleich zur Regelschule in Österreich passiert die Umstellung auf FachleherInnen in den Waldorfschulen relativ spät, dort wird in Hauptschulen, neuen Mittelschulen und Gym- nasien schon ab dem fünften Schuljahr im FachlehrerInnensystem unterrichtet.

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Vergleicht man die Stundentafeln der Sekundarstufe 2 im Lehrplan vom Waldorfbund für Österreich (siehe Abb.1) mit den Plänen der Regelschulen (vgl. BMUKK 2004b), wobei es hier fünf verschiedene spezifische gibt 1, dann sieht man, dass die meisten Fächer übereinstim- men.

Abb.1 Stundentafel der Waldorfschule Sekundarstufe 2

Nur das Fach Eurythmie und eine Tutorstunde pro Woche werden zusätzlich an der Waldorf- schule abgehalten. Bei genauer Betrachtung kann an der Stundentafel das besondere Ge- wicht der kreativen Fächer Musikerziehung, Bildnerische Erziehung, Bildnerisches Gestalten

1 Die fünf Unterscheidungen sind: Gymnasium; Realgymnasium; Wirtschaftskundliches Realgymnasium; Ober- stufenrealgymnasium mit Darstellender Geometrie oder ergänzendem Unterricht in Biologie und Umweltkun- de, Physik sowie Chemie; Oberstufenrealgymnasium mit Instrumentalmusik oder bildnerischem Gestalten und Werken. (vgl. AHS Oberstufe 2004) 30 und Werken sowie Eurythmie erkannt werden. Diese Fächer werden jedes Schuljahr, die ganze Oberstufenzeit lang unterrichtet. An Regelschulen fallen die kreativen Fächer entwe- der mit der Höhe der Klassen weg, oder es kommt zu einer Spezialisierung auf ein Gebiet. Die Wochenstundenzahl aller vier Jahre in einem Fach wird in der Stundentafel für Waldorf- schulen mit einer Mindest- und Höchstanzahl variabel angegeben. An der Spitze stehen da- bei die Fächer Deutsch und Mathematik, gefolgt von den Fremdsprachen, wie dies auch in der Regelschule üblich ist.

Als ein weiteres Merkmal einer Waldorfschuloberstufe gelten Projektarbeiten und Praktika, die im Rahmen der Schulbildung in einem gewissen Alter durchgeführt werden. In der neun- ten Schulstufe hat das Landwirtschaftspraktikum seinen Platz. Es

[…] erscheint für Neuntklässler ein intensives Eintauchen in das Leben eines Bauernhofes nahe- liegend und dem Alter entsprechend. In diesem Alter können ja im Menschen besonders stark die Fragen nach allen Lebensvorgängen erwachen: Wie steht der Mensch zur Erde, zur Pflan- zenwelt und zu den Tieren, welche Probleme erwachsen dem Menschen durch die Technik und durch die modernen sozialen Verhältnisse? (Richter 1995, S.242)

Ganz anders ist das Feldmessen, oder auch Vermessungspraktikum, in der zehnten Schulstu- fe motiviert. Bei der exakten Herstellung einer Landkarte geht es um die Tätigkeit des Ver- messens und eine Anwendung der Mathematik. Dadurch kann ein anderer praktischer Zu- gang zu diesem Fach eröffnet werden. (Vgl. Richter 1995, S.244f) Weitere Informationen zur Umsetzung des Vermessungspraktikums findet man unter Punkt 3.3.2, im Praxisteil zur Wal- dorfpädagogik.

Während der letzen beiden Klasse (11. und 12. Schuljahr) können ein Sozialpraktikum und ein Industriepraktikum/Betriebspraktikum durchgeführt werden. Durch das Praktikum im sozialen Feld, beispielsweise in Einrichtungen wie Hort, Heim, Kindergarten, Behindertenbe- reich, Krankenhaus und Pflegebereich, können Jugendliche ein neues Bewusstsein für die menschliche Gesellschaft entwickeln. Sie können in einem geschützten Rahmen und mit vorbereitender, begleitender Betreuung soziale Verantwortung und Integration kennen ler- nen. Eine ganz andere Seite der Gesellschaft und Arbeitswelt entdecken die SchülerInnen durch ein Industriepraktikum. Hier geht es um das Erleben von industrieller Fertigung, die Belastung von einseitiger Arbeit, die soziale Situation der Beschäftigten zu sehen und Einbli- cke in Zusammenhänge und Betriebsführung zu erlangen. (Vgl. Richter 1995, S.249-252) An 31 der Rudolf-Steiner Schule Wien Mauer, an der ich hospitiert habe, geht es bei diesem Prakti- kum sehr stark um den wirtschaftlichen Aspekt. Im Gespräch mit Herrn Holger Finke habe ich erfahren, dass an dieser Schule ein Sozialpraktikum in der elften Klasse und ein Wirtschafts- praktikum in der zwölften Klasse stattfindet.

Weitere mögliche Projekte und Praktika sind das Forstpraktikum, Erste-Hilfe-Kurse, Kunstrei- sen, im Rahmen des Abschlusses eine Theaterwoche und eine Jahresarbeit. Die oben ge- nannten Projekte und Praktika sind nicht verbindlich für Waldorfschulen, doch sie werden an etlichen Schulen praktiziert. (Vgl. Richter, S.244-256)

Die eigentliche Waldorfschulzeit endet nach der 12. Klasse mit dem Waldorfabschluss. Danach können sich Schüler an einigen Waldorfschulen in einem 13. Schuljahr auf die Matura vorberei- ten oder sie besuchen die 8. Klasse einer AHS und legen dort die Matura ab. (Waldorfbund Ös- terreich o.J.)

An vielen Waldorfschulen ist es üblich als SchülerIn zum Abschluss der Schulzeit eine Jah- resarbeit zu erarbeiten und ein Klassenspiel aufzuführen.

Mit der Jahresarbeit stellen sie ein selbständig über einen längeren Zeitraum erarbeitetes Thema wissenschaftlicher, künstlerischer oder praktischer Art einem interessierten Publikum vor. Dies wird begleitet von einer schriftlichen Ausarbeitung und kann im Rahmen eines Kollo- quiums als Teil einer Prüfung zum Abschluss beitragen. (LW 2010, S.188)

Das Klassenspiel ist eine Theateraufführung, welche selbstständig von der Klassengemein- schaft organisiert und umgesetzt wird. Dazu gehört die Wahl des Themas, das Schreiben oder Auswählen eines Stückes, die Inszenierung, die Darstellung, das Anfertigen von Kostü- men und vieles mehr. Alles passiert in einem gruppendynamischen Prozess und kann daher ein sehr prägendes Erlebnis für die SchülerInnen sein. (Vgl. LW 2010, S.188)

Über alle Schuljahre hinweg bekommen die SchülerInnen am Ende des Schuljahres immer eine verbale Beurteilung, welche die Mitarbeit, den Leistungstand und die Entwicklung all- gemein und in den einzelnen Fächern beschreibt. Am Ende des 12. Schuljahres erhalten die SchülerInnen zusätzlich ein Abschlusszeugnis mit Noten. (Vlg. LW 2010, S.18)

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3.1.2 Montessoripädagogik In Sinne der Montessoripädagogik findet man für die Schulstufen 9.-12. Klasse weniger theo- retischen Hintergrund als bei der zuvor genannten Waldorfpädagogik. Die Literatur bezieht sich zumeist auf den von Maria Montessori so benannten Erdkinderplan. Praktische Umset- zungen dieses Plans von Maria Montessori selbst gab es nicht. Heute gibt es solche Schulen, aber nur wenige. Doch obwohl sie sich auf die gleiche Theorie beziehen, unterscheiden sie sich unter einander sehr.

3.1.2.1 Sensibilitäten im Jugendalter Die Lebensphase der Jugend, das dritte Entwicklungsalter von ca. 12-18 Jahren (vgl. Kapitel 2.2.1), ist jene Phase, in die der Besuch der Sekundarstufe 2 fallen kann.

Weil der Einschnitt beim Übergang von der Kindheit zur Jugend gravierend ist, spricht Mon- tessori von einer radikalen Umwandlung der Person sowohl physischer als auch psychischer Art, die eine radikale Umwandlung der Erziehung zur Folge haben muss. (Meisterjahn-Knebel 2013, S.28f)

Die ersten zwölf Lebensjahre werden von der Montessoripädagogik als ein erster Lebensab- schnitt gesehen, in dem die Bildung der Individualität passiert. Im Jugendalter wendet sich das allgemeine Interesse des Menschen von der Natur weg, hin zur Gesellschaft. Es kommt zu einer Loslösung vom egoistischen Selbstgefühl, welches in der Kindheit vorherrscht. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.29)

Die Akzentuierung erfolgt im Jugendalter klar im Bereich des Sozialbezugs und der Sozialver- pflichtung des Menschen, denn erst die Anwendung individueller Aktivitäten auf das soziale Leben ist für Montessori die Voraussetzung zur Bildung einer Gesellschaft im Sinne einer ech- ten Gemeinschaft. Darin besteht das Erziehungsziel der weiterführenden Schule. (Meisterjahn- Kenbel 2013, S.29)

Deshalb wird von Maria Montessori eine andere Art der Erziehung und Bildung von Jugendli- chen, im Gegensatz zum Grundschulalter, als notwendig erachtet.

Durch die physischen und psychologischen Veränderungen im Jugendalter ergeben sich für Montessori zwei wesentliche Sensibilitäten in dieser Zeit. Die erste Sensibilität ist das Be- dürfnis beschützt zu werden in der Periode der großen körperlichen Veränderungen. Dies kann durch die Unterstützung der Entwicklung und Festigung des Selbstwertgefühls in einem

33 geschützten Rahmen gegeben werden. Die zweite Sensibilität ist die Aufgabe, die Rolle des Menschen in der Gesellschaft zu begreifen. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.29f)

Der Jugendliche soll die Stellung des Menschen in der Welt begreifen und beurteilen lernen. Sein Bedürfnis, in sozialen Beziehungen zu leben, sozial verantwortlich zu handeln und als un- abhängiges Wesen zusammen mit anderen zu leben, soll unterstützt werden. Da bloßes Zuhö- ren den Menschen nicht wirklich beeinflussen kann, fordert Montessori für den Jugendlichen praktische Arbeit und Erfahrung. (Meisterjahn-Knebel 2013, S.30)

„Drei große Bereiche kennzeichnet damit das Curriculum der Sekundarstufe: Beruf, Sozial- verhalten im Hinblick auf funktionierende Gemeinschaft (Soziale Dienste) sowie der klassi- sche Bereich der Bildung durch intellektuelle Studien.“ (Meisterjahn-Knebel 2013, S.32) Auf diesen Grundgedanken baut die Idee des Erdkinderplans auf, der sowohl die praktische, handwerkliche Ebene, die soziale und die intellektuellen Ebene der Bildung und Erziehung verbinden will.

3.1.2.2 Der Erdkinderplan „Die von Montessori geforderte Umkehr bzw. Hinwendung zum Kind ist in vielen Institutio- nen schon gelungen, die zum Jugendlichen steht gesamtgesellschaftlich noch aus.“ (Meister- jahn-Knebel 2003, S.13) So die Meinung von Dr. Gudula Meisterjahn-Knebel 1 zur Umsetzung der Montessori-Pädagogik im Bereich der weiterführenden Schulen. Maria Montessoris Überlegungen zu einer Jugendschule sind unter dem Schlagwort ‚Erdkinderplan‘ bekannt. Darunter versteht sie eine Lebensform auf dem Land mit drei verschiedenen, von den Ju- gendlichen selbstständig geführten Einrichtungen: Bauernhof, Geschäft und Gasthaus. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.13) „Diese sind, neben einem Rahmenprogramm für Studien, Elemente der vorbereiteten Umgebung einer Erfahrungsschule des sozialen Lebens.“ (Meisterjahn-Knebel 2003, S.13)

Im Buch ‚Von der Kindheit zur Jugend‘ betont Maria Montessori die erzieherische Wichtig- keit der Unabhängigkeit des Menschen. Für das Jugendalter schlägt sie hier die wirtschaftli- che Unabhängigkeit durch das Hinführen zur Arbeit vor. Sie weist darauf hin, dass dieser Gedanke auch schon in den Kinderhäusern 2 umgesetzt wird, wo Dreijährige bei Übungen des

1 Sie ist Schulleiterin des Gymnasiums Schloss Hagerhof in Deutschland, welches nach Montessori-Prinzipien geführt wird, und Präsidentin von Montessori Europa. (vgl. Leitung Hagerhof) 2 Diese sind nach Montessoripädagogik geführte Kindergärten. 34 praktischen Lebens beispielsweise Staubwischen, Aufräumen und Tischdecken lernen. (Vgl. Montessori 1966 , S.99-102) Weiters bringt sie folgenden Vorschlag: „Während der schwieri- gen Periode der Reifezeit ist es wünschenswert, das Kind fern von seinem gewohnten Milieu, seiner Familie, auf dem Lande leben zu lassen, in einer ruhigen Umgebung, im Schoße der Natur.“ (Montessori 1966, S.102) Denn die Arbeit auf dem Land und „die Beobachtung der Natur ist nicht nur eine Bereicherung des Geistes in philosophischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Sie legt auch den Grundstein für viele soziale Erfahrungen, die das Studium der Zivi- lisation und des menschlichen Lebens hervorbringen.“ (Montessori 1966, S.103)

Neben der inhaltlichen Weiterbildung sollen die SchülerInnen in diesem Alter lernen einen Bauernhof, ein Gasthaus bzw. ein Hotel und ein Geschäft zu führen. Die drei Einrichtungen haben folgende Erfahrungsschwerpunkte:

Bauernhof: „Der Bauernhof dient der Produktion und ermöglicht einen Kontakt mit der Ge- sellschaft durch Handel und Austausch. Er ist Basis für Sozialerfahrungen.“ (Meisterjahn- Knebel 2013, S.32)

Gasthaus: Im Gasthaus, evt. mit angeschlossenem Hotel, hat der/die Jugendliche die Mög- lichkeit Erfahrungen in den Bereichen der Verwaltung, Organisation, Aufsicht und Finanzie- rung eines solchen Betriebes zu sammeln (vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.32).

Geschäft: In Anlehnung an das Mittelalter wird das Geschäft als ein soziales Haus gesehen, in dem es zu Treffen und Geselligkeit kommt. Hier können die Jugendlichen neben der Gele- genheit persönliche Kontakte herzustellen, auch erleben, wie Einkauf, Verkauf, Handel, Um- satz und angewandte Betriebswirtschaft passiert. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.33)

Die konkrete Umsetzung des Erdkinderplanes gibt es sehr selten:

[…] der von Montessori entwickelte Erdkinderplan hat in Deutschland und auch den umgeben- den europäischen Ländern bisher keine vollständige Umsetzung gefunden. Den meisten Men- schen ist dieser Erdenkinderplan überhaupt nicht bekannt, da Montessori-Pädagogik nach wie vor allenfalls mit Kindergarten/Kinderhaus und Grundschulbereich in Verbindung gebracht wird. (Meisterjahn-Knebel 2013, S. 22)

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Schulen, die versuchen den Erdkinderplan in die Tat umzusetzen, werden von Frau Meister- jahn-Knebel in zwei Kategorien eingeteilt. Hier unterscheidet sie eine pragmatische Lösung von Schulen im städtischen Umfeld, von Jugendschulen, die im ländlichen Umfeld organisiert sind. Bei der zweiten Variante kann Landwirtschaft aktiv praktiziert werden. (Vgl. Meister- jahn-Knebel 2013, S. 22)

Da diese praktische Umsetzung einer Erfahrungsschule des sozialen Lernens in vielen Sekun- darstufen wegen ihrer geografischen Standpunkte nicht möglich ist, weist Meisterjahn- Knebel auch auf den Studien- und Arbeitsplan von Montessori für das Jugendalter hin. Dieser beinhaltet Prinzipien, die verschiedene Modelle von weiterführenden Montessori-Schulen als Basis ansehen können. Dieser Studien- und Arbeitsplan wird in drei große Bereiche un- tergliedert: Moralische Pflege, Leibespflege, Programm und Methoden. (Vgl. Meisterjahn- Knebel 2013, S.33 sowie Montessori 1966, S.107-121)

Mit der moralischen Pflege ist die Ausbildung der Beziehungen zwischen den Jugendlichen, ihren Lehrenden und der gesamten Umgebung gemeint. Ein Gerechtigkeitssinn und ein Ge- fühl für die persönliche Würde soll in dieser Zeit ausgebildet werden. Diese beiden Dinge sind die Basis, dass sich der Mensch als soziales Wesen wahrnehmen und verhalten kann. Die Lehrperson ist hier vor besondere Aufgaben gestellt, indem sie Achtung vor den Schüle- rInnen zeigen, und einen gewissen Handlungsspielraum für die Jugendlichen zulassen soll. Die Freiheit zur Eigeninitiative ist in diesem Alter besonders wichtig, da der/die SchülerIn dann das Gefühl hat, seine/ihre Würde wird geachtet. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.33)

„Als Medizinerin schenkt Montessori der Leibespflege besondere Aufmerksamkeit, macht doch der jugendliche Körper während der Pubertät enorme Reifungs- und Entwicklungspro- zesse durch.“ (Meisterjahn-Knebel 2013, S.33) Montessori beschreibt in ihrem Buch ‚Von der Kindheit zur Jugend‘ genaue Ernährungsempfehlungen, warnt vor Alkohol und Tabak und hat genaue Vorstellungen von der Bewegungstätigkeit, die im Jugendalter zu einer optimalen Entwicklung des Menschen führen (vgl. Montessori 1966, S.110f). Die wissenschaftliche Be- urteilung dieser Vorschläge aus heutiger Sicht möchte ich hier nicht genau ausführen. Frau Dr. Meisterjahn-Knebel interpretiert Montessoris Vorschläge als einen Fokus auf die medizi- nische Überwachung des Jugendlichen, da starke körperliche Wachstumsvorgänge passieren (vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S. 33).

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Unter dem Punkt Programm und Methode versteht man das, „was man landläufig unter dem Inhalten schulischer Erziehung und Bildung versteht.“ (Meiserjahn-Knebel 2013, S.34) Die Inhalte werden von Montessori wieder in drei Abschnitte geteilt:

(1) „Den Weg zu den Möglichkeiten eines persönlichen Ausdruckes des Jugendlichen öffnen.“ (Montessori 1966, S. 112) Darunter fallen künstlerische Tätigkeiten, die so- wohl in der Wahl der Art, als auch der Zeit frei wählbar sein sollen (vgl. Meisterjahn- Knebel 2013, 34). (2) „Den Aufbau der Personalität durch Bildung […] mit Hilfe der moralischen Erziehung, der Mathematik und der Sprachen.“ (Meisterjahn-Knebel 2013, S.34) (3) „Den Jugendlichen mit der augenblicklichen Kultur in Beziehung setzen, indem man ihm eine umfassende Bildung vermittelt, und ebenfalls mit dem Mittel der Erfah- rung.“ (Montessori 1966, S.112) Darunter fallen das Studium der Erde und der leben- digen Natur. Das heißt die Fächer Geologie, Biologie, Botanik, Zoologie, Physiologie, Astronomie und Anatomie. Weiters geht es darum, die menschlichen Fortschritte und den Aufbau der Zivilisation, unter anderem durch Physik und Chemie, zu begrei- fen. Wichtig ist auch die Beschäftigung mit der Geschichte der Menschheit. Allen SchülerInnen soll ein geschichtlicher Überblick geboten werden, eine Vertiefung ist in jeder Periode durch eigenständiges Studium möglich. Das kann zum Beispiel durch die Darbietung einer guten Bibliothek passieren. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.34)

Im Anschluss an diesen theoretischen Überlegungen Montessoris zum Jugendalter sei hier noch erwähnt, dass sie auch einige Vorstellungen und Kritikpunkte zu universitären Ausbil- dung formuliert hat. (siehe Montessori 1966, S.122-133)

3.1.2.3 Unterrichtsverlauf – Arbeiten in Freiheit Auch im Hinblick auf die zu wählenden Methoden macht Montessori eine Reihe von Aussagen, wobei die Betonung immer wieder auf der freien Wahl der Arbeit, der individuellen Wahl, der Selbsttätigkeit sowie der Abwechslung von praktischen Erfahrungen (Experimenten, Exkursio- nen etc.) mit Studien liegt. (Meisterjahn-Knebel 2013, S.34)

Wobei eine Übersicht über alle erforderlichen Inhalte für die SchülerInnen jederzeit als Plan einsehbar sein soll und Montessori-Schulen grundsätzlich Schulen sind, die für alle Kinder und Jugendliche offen stehen (vgl. Meisterjahn-Knebel 2013, S.34f). Für Jugendliche sind andere methodische Varianten gefragt als in der Grundschule. Jedoch bleiben die grundle- 37 genden Prinzipien der Montessoripädagogik gleich. Wie solch ein Unterricht aussehen kann, zeigen die folgenden fünf Methoden.

Die freie Wahl der Arbeit: Die freie Wahl der Arbeit, wie Montessori sie versteht, ist abzu- grenzen von der sogenannten ‚Freiarbeit‘, wie sie im Rahmen des offenen Unterrichts in der Regelschule Eingang gefunden hat. In der Montessoripädagogik ist die freie Wahl der Arbeit ein grundlegendes Prinzip, nicht bloß eine Unterrichtsmethode. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, 96ff)

Sie beschreibt damit alle Formen der Selbsttätigkeit, die ungehinderte Ermöglichung der allsei- tigen Entfaltung der Lernenden in einer dem jeweiligen Entwicklungsstand angepaßten vorbe- reiteten Umgebung. Nur so haben die Kinder und Jugendlichen überhaupt die Möglichkeit, zu tiefen Konzentrationsprozessen zu kommen. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.98)

Daraus ergibt sich eine Individualisierung und Dezentralisierung des Unterrichts. Die zeit- strukturierenden Stundeneinheiten werden aufgehoben um das Einlassen in den Lernpro- zess zu unterstützen. Freiarbeit bedeutet aber nicht gleich Strukturlosigkeit. Die gut struktu- rierte Umgebung, das bedeutet genügend Material, ein den Interessen der SchülerInnen angepaßtes Angebot und klare Verhaltensregeln, ist eine Voraussetzung für das Funktionie- ren dieser Art zu Lernen. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.98ff)

Projektlernen: Mit dem Prinzip der Freiheit als Grundlage, muss sich die Art des Lernens an das Alter der SchülerInnen anpassen. Die freie Arbeit mit dem Material wird immer mehr vom Lernen in Projekten abgelöst. Dabei wird Projektarbeit als das Lernen an realen Hand- lungsabläufen verstanden. 1 (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.100f)

Durch die Projektarbeit sollen sich die SchülerInnen in die Lage versetzen, methodisch und sys- tematisch in Gegenwart und Zukunft zu handeln, durch eigenständige Problemformulierung und –lösung. Eine solcherart praktizierte Projektarbeit hat auch Auswirkungen auf die Persön- lichkeitsstruktur der SchülerInnen. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.101)

Projektarbeiten passiert nach Johannes Bastian und Herbert Gudjons in folgenden Phasen (vgl. Bastian/Gudjon 1990, S. 28-38):

1 Meisterjahn-Knebel verweist bei dieser Definition von Projektarbeit hier auf Dewey und Kilpatrick. 38

• Projektschritt 1: Eine für den Erwerb von Erfahrungen geeignete, problemhaltige Sach- lage auswählen. Bei dieser Auswahl soll der Situationsbezug, im Sinne von aus dem Le- ben der Lernenden gegriffen, eine Orientierung an den Interessen der Beteiligten und die gesellschaftliche Praxisrelevanz als Kriterien helfen. • Projektschritt 2: Gemeinsam einen Plan zur Problemlösung entwickeln. Eine zielgerich- tete Projektplanung, in der die Arbeit gut verteilt und die Zeit gut eingeteilt ist, soll in Selbstorganisation und Selbstverantwortung entstehen. Doch dies bedeutet nicht, dass die SchülerInnen mit ihren Aufgaben alleine gelassen werden. Die Lehrperson setzt die Rahmenbedingungen fest und hat auch eine unterstützende Funktion. • Projektschritt 3: Sich mit dem Problem handlungsorientiert auseinandersetzen, mit Ein- bezug vieler Sinne und Zugangsweisen in einem sozialen Kontext, ist das Ziel dieser Phase. • Projektschritt 4: Die erarbeiteten Problemlösungen sollen an der Wirklichkeit überprüft werden. Diese Überprüfung soll produktorientiert und interdisziplinär vor sich gehen. Dabei können sich auch die Grenzen dieser Unterrichtsform auftun.

Projektarbeit kann also durchaus als berechtigter Teil der Umsetzung von Montessori- Pädagogik in der Sekundarstufe betrachtet werden, sie ist Teil der vorbereiteten Umgebung und eine den entwicklungsspezifischen Bedürfnissen Jugendlicher besonders angemessene Ar- beitsform. (Meisterjahn-Kebel 2003, S.103)

Planspiel: Diese, ursprünglich aus der Erwachsenenbildung stammende, Arbeitsform hat auch in die weiterführenden Schulen Eingang gefunden. Ein Planspiel wird selten realisiert, weil es ein relativ hoher Zeitaufwand ist und sich nur sehr schwer in eine traditionell organi- sierte Schule einbetten lässt. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.103f)

In Planspielen werden relativ komplexe Sachverhalte aus der Wirklichkeit auf ihre wesentli- chen Elemente reduziert. Dabei darf die Wirklichkeit aber nicht verfälscht werden. […] Merk- mal des Planspiels ist die Rollenarbeit in Gruppen, in Gremien, die in einer simulierten Ernstsi- tuation zu Entscheidungen über ein anstehendes Problem kommen müssen. (Meisterjahn- Knebel 2003, S.104)

Ein Planspiel verläuft nach Klippert in den unten angeführten sieben Phasen (vgl. Klippert 2000, S.23-26):

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1. Spieleinführung: Nachdem die Lehrperson das Planspiel kurz vorgestellt hat, werden die SchülerInnen durch ein Zufallsverfahren in Gruppen eingeteilt. 2. Informations-/Lesephase: Informationsmaterial wird ausgeteilt, unterschiedliche Rol- len werden den einzelnen Gruppen zugeteilt und die Arbeitsaufträge geklärt. In Still- arbeit soll sich jeder/jede Beteiligte in die Inhalte einlesen und wenn nötig zusätzliche Informationen suchen, bzw. Fragen in der Gruppe klären. 3. Meinungsbildung und Strategieplanung: Jede Gruppe analysiert ihre Ausgangssituati- on und bereitet sich taktisch auf die Darlegung und Verteidigung ihrer Interessen vor. Eventuelle Handlungsalternativen sollen bedacht werden. 4. Interaktion zwischen den Gruppen: In dieser Phase wird unter den Gruppen über Briefwechsel, Anfragen, Verhandlungen und Delegationen kommuniziert. 5. Vorbereitung der Konferenz: In dieser Zeit haben die Beteiligten die Gelegenheit sich noch mal in der Gruppe zu sammeln und die anstehende offizielle Konferenz vorzu- bereiten. GruppensprecherInnen werden bestimmt, die bei der Konferenz die Positi- on der jeweiligen Gruppe kurz darstellen. 6. Durchführung der Konferenz: Alle Gruppen nehmen daran teil und die Sitzordnung wird so geändert, dass die Gruppen zwar zusammenbleiben, doch ein offenes Ge- spräch möglich ist. Die Lehrperson übernimmt die Inszenierung und die Konferenzlei- tung. Nach den Eingangsstatements der GruppensprecherInnen folgt eine Diskussi- onsphase. Die Konferenz hat einen fixen Zeitrahmen, das heißt es können auch ge- wisse Punkte ohne gegenseitiges Übereinkommen bleiben. 7. Spielauswertung: Im Sesselkreis wird durch Feedback eine Bilanz zum vorangegange- nen Planspiel gezogen. Ein spontanes Feedback, sowie Rückmeldungen über den Spielverlauf und auch die Ergebnisse, sowie aufgetretene inhaltliche Unklarheiten sind während dieser Phase Thema.

Auch diese Lernform stellt die Selbsttätigkeit der SchülerInnen in den Mittelpunkt. Durch die lebensnahe Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen, könnten die Schü- lerInnen wichtige Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Inhalte erlernen. Deshalb passt diese Arbeitsform auch zu der von Montessori beschriebenen Sensibilität des Jugendalters, die Rolle des Menschen in der Gesellschaft zu begreifen. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.107)

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SchülerInnenfirma: Darunter versteht man die Gründung von realen Miniunternehmen mit der Unterstützung von Erwachsenen. Dieses Unterfangen verfolgt die Ziele, das SchülerInnen wirtschaftliche Praxis erleben, Orientierung für das spätere Berufsleben gewinnen, Verant- wortung übernehmen und im Team arbeiten. Die Gründung dieser Miniunternehmen im Rahmen des Schulalltags wird in Deutschland vom Projekt JUNIOR 1 gefördert. (Vgl. Meister- jahn-Knebel 2003, S.107-111) In Österreich gibt es ein ähnliches Konzept, das die Gründung von sogenannten Übungsfirmen während der Schulzeit unterstützt. Eine eigens eingerichtet Service-Stelle verwaltet und vernetzt diese Übungsfirmen, die über ganz Europa verteilt sind. (Vgl. ACT Servicestelle der Österreichischen Übungsfirmen o.J.)

SchülerInnenpraktikum: Nicht nur zur Berufwahlorientierung, sonder auch zur Persönlich- keitsbildung können Praktika in verschiedenen Arbeitsbereichen beitragen. Genannt werden können hier weitere Aspekte wie die Abwechslung von praktischer Arbeit und Schulalltag, das projektorientierte Arbeiten, die räumliche Öffnung der Schule, das Steigern des Selbst- wertgefühls durch die Erfahrung von Anerkennung der erbrachten Leistung, die Erweiterung des Wissenshorizonts und das Gegenwirken der Berufsweltentzogenheit der SchülerInnen, die für ein Praktikum während der Schulzeit sprechen. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.111) Ein Praktikum soll vorbereitet, begleitet und reflektiert werden. Rückmeldungen sowohl von den SchülerInnen als auch von den Praxisstellen sind wichtig um den jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden. Gerade in Bezug auf Montessoris Idee der Erfahrungsschule des sozialen Lernens, bieten Praktika eine ideale Umsetzung ihres Konzeptes. Um sich mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft auseinander zu setzen, bietet sich besonders ein Praktikum im so- zialen Bereich der Arbeitswelt an. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.112ff)

Diese vier Formen selbstständigen Lernens lassen sich grundsätzlich in jeder Schule umset- zen. Es hängt alleine von der Lehrperson ab, ob sie bereit ist die Aktivität im Unterricht, wann immer es sinnvoll ist, auf die SchülerInnen zu verlagern. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S. 116f) „Nur selten gelingt es, die Institutionalität von Schule, das in ihr und mit ihr gegebnen organisierte Lernen zugunsten einer echten Selbsttätigkeit des Schülers in Freiheit zu überwinden.“ (Meisterjahn-Knebel 2003, S.117)

1 Genauere Information findet man unter www.juniorprojekt .de 41

3.1.2.4 Beispiele der Umsetzung von Montessori-Pädagogik in der Sekundarstufe 2 Laut Dr. Meisterjahn-Knebel gibt es Mindestanforderungen, die erfüllt sein sollten, damit sich eine Sekundarschule Montessori-Schule nennen kann :

• Eine sich selbst steuernde Jugendgesellschaft auf dem Land – meint mindestens Ganz- tagsschule, wenn nicht Internat, eben Schulen als wirkliche Lernorte für Jugendliche mit zahlreichen Begegnungsfeldern und Aktivitäten

• Verbindung zu verschiedenen Ausbildungsbereichen

• Betreiben eigener kleiner Geschäftsprojekte

• Soziale Arbeiten/Dienste an der Gemeinschaft

• Studien auf dem Hintergrund eines allgemeinen Rahmenplans – kompetenzorientiert – mit einem besonderen Stellenwert des Faches Geschichte (als Basis für die Erinne- rungs- und Utopiefähigkeit des Menschen)

• Projektlernen, Planspiel

• Eine zeitlich umfassende Präsenz des Erwachsenen (Lehrer – Erzieher) mit Aufbau ei- ner professionellen Beziehungskompetenz. (Meisterjahn-Knebel 2013, S. 37)

Da die Umsetzung der Montessoripädagogik in der Sekundarstufe 2 sehr viele verschiedene Gesichter haben kann, möchte ich hier zwei Beispiele anführen. Die erste Schule, Schloss Hagerhof, ist in Deutschland angesiedelt, die zweite Schule, das MORG Grödig, in Österreich.

Schloss Hagerhof:

Schloss Hagerhof ist ein Gymnasium, eine Realschule und ein Internat in Bad Honnef am Rhein in Deutschland.

Schloss Hagerhof ist das einzige Internat in Deutschland, das nach den pädagogischen Grundsätzen von Maria Montessori geführt wird. Die angegliederte Schule ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule 1 mit gebundener Ganztagsschule für Gymnasium und Realschule. (Schloss Hagerhof o.J.a)

1 Das bedeutet, dass die Schule zwar in privater Trägerschaft steht, aber staatliche Vorgaben im Rahmen von Richtlinien, Versetzungs- und Prüfungsordnung greifen. (vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.119) 42

Das Gymnasium Schloss Hagerhof will eine Schule sein, die grundsätzlich allen Kindern offen steht. Zielgruppe sind Eltern, die Wert legen auf eine persönlichkeitsorientierte Bildung in ei- nem überschaubaren pädagogischen Rahmen, in einer landschaftlich anregenden Umgebung sowie Eltern, die beruflich stark engagiert sind und Alleinerziehende. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.125)

Zusätzliche Schwerpunkte an der Schule sind die musikalische und die sportliche Ausbildung. Die, in dieser Arbeit oft zitierte, Frau Dr. Meisterjahn-Knebel ist die Schulleiterin dieser Schu- le. Seit 1996 wurde der Unterricht konzeptionell auf die Montessoripädagogik umgestellt. Daraus ergibt sich das Prinzip der Selbsttätigkeit, welches über der ganzen Konzeption der Einrichtung steht. Das fachliche Angebot der Schule, welches den gesetzlichen Bestimmun- gen entspricht, wird ergänzt durch viele außerunterrichtliche Veranstaltungen und Angebote sowie einem Betriebspraktikum in der 9. Klasse und einem Sozialpraktikum in der 11. Klasse. Die Schule ist sowohl in Europa als auch International gut vernetzt, und nimmt an Aus- tauschprogrammen und Projekten teil. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.120-126) Die fol- genden drei Lernformen dominieren das Unterrichtsgeschehen (vgl. Schloss Hagerhof o.J.a):

Individualisierender Unterricht: Dazu zählen Lernzirkel, Stationenlernen, Praktika, Fach- arbeiten und die Freiarbeit. All diese Arbeitsweisen ermöglichen der/dem SchülerIn nach seinen/ihren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten zu agieren. Die Sache, der/die PartnerIn und die Zeit dürfen frei gewählt werden. Es besteht jedoch eine Verpflichtung die getane Arbeit zu präsentieren. Auswahlkriterien, Planungsstrategien, Arbeits- und Präsentationstechniken sollen beherrscht werden und jede/jeder SchülerIn muss Bewer- tungskriterien entwickeln und sich auch der Kritik anderer stellen.

Lehrgangsförmiger Unterricht: Fachunterricht, fächerübergreifender Unterricht und Epo- chenunterricht wird für die Systematisierung des Wissens und der Weitergabe von Über- blicks- und Orientierungswissen, eingesetzt.

Moderierter Unterricht: Darunter versteht man themenzentriertes und projektorientier- tes Arbeiten. Dabei werden Arbeitsvorhaben und Lernsituationen geschaffen, in denen sich die einzelnen SchülerInnen mit ihren individuellen Fähigkeiten einbringen können. Beim Prozess kann man kooperative Arbeitsformen, Planung, Durchführung und Auswer- tung gemeinsamer Vorhaben, aktiv lernen. Unter diese Art von Unterricht fallen auch Ex- kursionen, Schulschiwochen, Projektwanderwochen und Arbeitsgemeinschaften. 43

Weiters werden die SchülerInnen in die organisatorische Schulstruktur durch den Klassenrat, der zumindest am Beginn und am Ende der Woche stattfindet, eingebunden.

Um den Unterricht so frei und offen gestalten zu können, brauchen die SchülerInnen einen Grundstock an Methodenkompetenzen. Diese werden durch ein auf das Alter abgestimmtes Methodentraining unterstützend aufgebaut. Beispielsweise beginnen die Fünftklässler/innen ihre ersten Schulwochen mit einem Forschertraining, mit Übungen aus verschiedenen Fä- chern, die in die Arbeitsweise der Freiarbeit einführen und den Umgang mit Materialien vor- bereiten. Es folgen weitere Methodentrainings in den folgenden Jahren, die alle zum Ziel haben die Selbstständigkeit im Arbeiten der SchülerInnen zu erhöhen. Dies beginnt beim Umgang mit Wörterbüchern, gezieltem Kommunikationstraining, Üben von Bewerbungsver- fahren, und geht bis hin zum Lernen von Zitierweisen, Präsentationstechniken, den Aufbau von freien Reden und vielem mehr. (Vgl. Meisterjahn-Knebel 2003, S.128ff)

In der 9. Und 10. Klasse beginnt der Unterricht um 8.30 Uhr und wird in Blockstunden unter- brochen von zwei Pausen abgehalten. Das selbsttätige Lernen findet gebündelt an zwei Ta- gen als Block jeweils von der dritten bis zur sechsten Stunde statt. Einmal in der Woche gibt es einen Projekttag. Unterrichtsschluss ist für diese Klasse immer um 13.45 Uhr, danach gibt es Mittagessen und Mittagspause und ab 14.30 ein Hausaufgabensilentium, Fördereinheiten und die freiwilligen außerunterrichtlichen Angebote und Arbeitsgemeinschaften. Die höhe- ren Klassen haben ihren Kursunterricht zwischen 7.40 und 16.50 Uhr unterbrochen von einer Mittagspause um 13 Uhr. Durch diesen großen Zeitrahmen ist es möglich, dass alle Schüle- rInnen ihre gewünschten Kurskombinationen von Pflicht- und Wahlkursen besuchen können. Die meisten Block- und Kurseinheiten dauern 90 Minuten. In der Schule gibt es keine Glocke, die Zeiteinheiten werden von Lehrpersonen und SchülerInnen gesteuert. (Vgl. Meisterjahn- Knebel 2003, S.131f)

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Montessori Oberstufenrealgymnasium (MORG) Grödig:

„Unser Oberstufenrealgymnasium mit Bildnerischer Gestaltung und Werkerziehung führt in vier Jahren zur Allgemeinen Hochschulreife, basierend auf der Pädagogik nach Maria Mon- tessori.“ (MORG Homepage) Mit diesen Worten stellt sich das MORG Grödig, welches nahe bei Salzburg gelegen ist und von der Diakonie Salzburg geführt wird, vor. Die Schule hat ei- nen musisch-kreativen Schwerpunkt, das heißt die Fächer Bildnerisches Gestalten und Wer- kerziehung, Bildnerische Erziehung und Musikerziehung werden bis in die 8. Klasse/ 12.Schulstufe unterrichtet. Weiters gibt es die Wahlpflichtfächer Kulturgeschichte und Thea- ter. Als Ziel des eigenverantwortlichen und selbstständigen Lernens, verbunden mit den kre- ativen Fächern und der Durchführung von sozialen Projekten, sowie das Leben von Integrati- on, steht ein kreativer und kulturell bewusster Mensch, der mit sich und seiner Umwelt et- was anzufangen weiß. Soziale Projekte werden von allen Klassen einmal im Jahr durchge- führt und die Integration von Jugendlichen mit Beeinträchtigung findet im Klassenverband statt. (Vgl. MORG o.J.a) Diese Schule führt eine Klasse pro Jahrgang und wurde vor fünf Jah- ren gegründet. Im Sommersemester 2012/13 hat die zweite Klasse maturiert. In diesem Zu- sammenhang gibt es auch ein Kinderhaus, eine Volksschule, eine Hauptschule und eine Ori- entierungsstufe, die nach der Montessoripädagogik geführt werden. (Vgl. Inter- viewtranskript im Anhang)

Jedes Schuljahr beginnt mit den Schuljahr-Eröffnungstagen, in denen die SchülerInnen drei Tage an einem Ort außerhalb der Schule verbringen. Für jede Klasse werden dabei Outdoor- Programme angeboten, für die 5. Klasse gibt es dabei eine Kennenlern- und Einführungspha- se. Der gemeinsame Beginn soll die Verbundenheit der SchülerInnen und die Schulgemein- schaft fördern. Am Ende jedes Schuljahres steht eine Projektwoche, bei der die 5. Klasse eine meeresbiologisches Programm in Kroatien hat, die 6. Klasse eine Sprachreise macht und die 7.Klasse eine Kulturreise in ein von den SchülerInnen ausgewähltes Land unternimmt. (Vgl. MORG o.J.b)

Jede Schulwoche beginnt mit einer Stunde sozialen Lernens, wodurch für die SchülerInnen die Möglichkeit eröffnet wird ihren Alltag in der Schule aktiv mitzugestalten und die Klassen- gemeinschaft zu pflegen. Der Unterricht beginnt immer um 8.30 Uhr und dauert bis 17 Uhr, außer freitags nur bis 13.20 Uhr. Es gibt täglich eine einstündige Mittagspause. Der Schultag wird täglich mit einer zehn Minuten langen Ankommphase im gemeinsamen Klassenverband 45 begonnen. In diesen zehn Minuten gestalten, laut der Auskunft von Herrn Bernhofer, die jeweiligen LehrerInnen der ersten Stunde eine Stilleübung. Danach wechseln sich Input- und Freiarbeitsphasen in den Klassen ab. Das selbsttätige, eigenverantwortliche Lernen steht immer im Mittelpunkt. Die Lehrperson übernimmt im Allgemeinen eine unterstützende Rol- le, zusätzlich hat jede/jeder SchülerIn einen eigenen Lerncoach zugeteilt. Auch unter dem Schuljahr gibt es immer wieder Projekttage, an denen der ganze organisierte Unterricht auf- gelöst ist, weiters zahlreiche Lehrausgänge und Exkursionen, um Theorie und aktive Tätigkeit zu verbinden. (Vgl. MORG o.J.b)

Als Kernstück bezeichnet das MORG die Frei Wahl der Arbeit nach dem Prinzip von Maria Montessori. Die SchülerInnen können im MORG in weiten Teilen des Unterrichts selbst ent- scheiden welche Arbeiten und Lerninhalte sie wann, wie und wo bearbeiten. Ermöglicht wird diese Arbeitsweise durch eine vorbereitete Umgebung. Diese Freie Wahl der Arbeit kann phasenweise ausgeübt werden und wechselt sich im Schulalltag mit Inputphasen ab. Dieses teils eigenverantwortliche und selbstständige Lernen bedeuten im MORG:

− Erfahrungen von Lerninhalten durch das eigene Tun, nicht durch Konsumation, wo- durch die Inhalte wesentlich nachhaltiger gefestigt werden können. − Die Förderung individueller Interessen und unterschiedlicher Lernfortschritte. − Ein kreatives und reflexives Lernen soll passieren. − Die Selbstwahrnehmung von Stärken und Schwächen der SchülerInnen wird aktiviert.

Die SchülerInnen bekommen zu Beginn des Schuljahres ein so genanntes Studienbuch, in- dem für jedes Fach der Jahresstoff in kompetenzorientierter Form beschrieben ist. Damit herrscht von Beginn an darüber Klarheit, was während des Schuljahres erlernt werden soll. Weiters sind im Studienbuch die Angaben, wie man im jeweiligen Fach zu seiner Note kommt, vorgegeben. So kann eine klare transparente Notengebung gelingen. (Vgl. MORG o.J.b)

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3.1.2.5 Daltonplan Um die Liste der Reformpädagogischen Strömungen, die Konzepte für die Sekundarstufe bieten und in Österreich umgesetzt werden zu vervollständigen, möchte ich hier auch den Daltonplan nochmals erwähnen. Dieses Konzept ist, wie oben im Kapitel 2.2.4 schon er- wähnt, aus der Montessoripädagogik entstanden und wird auch in einigen heutigen nach Montessoripädagogik geführten Sekundarstufen 2 allein oder in Verbindung mit der Idee des Erdkinderplans umgesetzt. Dies meint auch Frau Saskia Haspel, Leiterin des Montessori- Zentrum Wien:

Die Frage, wie Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule aussehen kann, ist eine ernst zu nehmende – vor allem deshalb, weil Montessoris Konzept für 12- bis 18-jährige Ju- gendliche (der Erdkinderplan) doch ganz anders gedacht war, als Schule in unserer derzeitigen Schullandschaft vorstellbar erscheint. Während sich an Montessori-Haupt- und Gesamtschulen europaweit eher ein Konzept durchgesetzt hat, dass sich entweder stark an Volksschul- Pädagogik oder aber auch am Jenaplan orientiert, verwenden sogenannt Montessori- Gymnasien häufiger den Dalton-Plan als Organisationform – meist ohne ihn als methodische Grundlage zu nennen […]. (Haspel 1997)

Doch nicht nur in als Montessorischulen ausgezeichneten Schulen kommt der Daltonplan zum Einsatz. Auch in der Regelschule ist er anwendbar. Dies zeigt beispielsweise die im Kapi- tel 2.2.4 schon erwähnte Initiative Cooperatives Offenes Lernen – COOL, die auf ihre Art und Weise ermutigt Daltonplan-Methoden in Berufsbildenden Höheren Schulen einzusetzen (vgl. cool – cooperatives offenes lernen o.J.).

In dieser Arbeit wird auf die intensive Auseinandersetzung mit dem Daltonplan verzichtet. Bei Interesse zur Daltonplanumsetzung im Mathematikunterricht verweise ich auf die Dip- lomarbeit einer Kollegin (siehe Riedl 2013).

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3.1.3 Situation in Österreich Es gibt in Österreich zahlreiche reformpädagogische Schulen, die auch großteils in ihrer je- weiligen Konzeption/reformpädagogischen Strömung gut vernetzt sind. So findet man zu der sehr gut vernetzten und organisierten Waldorfpädagogik einen Waldorfbund Österreich 1, der auch einen guten Überblick über die Waldorfschulen bietet. Laut einer telefonischen Auskunft des Waldorfbundes Österreich am 4.8.2013 gibt es in Österreich zehn Waldorfschu- len, die auch eine Oberstufe führen. Davon befinden sich zwei Schulen in Graz (Freie Wal- dorfschule Graz, Karl-Schubert-Schule Graz), drei in Wien (Rudolf Steiner-Schule Wien Pötz- leinsdorf, Rudolf Steiner-Schule Wien Mauer, Freie Waldorfschule Wien West) und jeweils eine in Innsbruck (Freie Waldorfschule Innsbruck), (Rudolf Steiner-Schule Klagen- furt), Salzburg (Rudolf Steiner-Schule Salzburg), Linz (Freie Waldorfschule Linz) und in Schö- nau an der Triesting (Rudolf Steiner Landschule Schönau).

Es gibt auch in Österreich mehrere Möglichkeiten sich zur/zum Waldorfpädagogin/en Aus- bilden zu lassen. Das Zentrum für Kultur und Pädagogik möchte ich hier erwähnen, dass so- wohl ein Masterstudium Waldorfpädagogik, in der Zusammenarbeit mit der Donau- Universität Krems, in berufsbegleitender Form, als auch zahlreiche Fortbildungen anbietet. Unter den Fortbildungen findet man auch speziell für die Oberstufendidaktik konzipierte Veranstaltungen. (Vgl. Zentrum für Kunst und Pädagogik o.J.)

Auch montessoripädagogische Vernetzungen findet man in Österreich. Beispielsweise beim Montessori Österreich Bundesverband 2 oder auch unter dem Namen Montessori-Zentrum 3. Gerade unter der zweiten Organisation findet man viele Informationen zu Ausbildungen, weiteren Zusammenschlüssen, Kindergärten und Schulen. Laut einer telefonischen Auskunft des Montessori-Zentrums Wien, am 4.8.2913, ist das MORG Grödig die einzige montessori- pädagogisch geführte Sekundarstufe 2 in ganz Österreich. In Planung ist eine weitere Ausbil- dungsstätte dieser Art von der Montessori-Initiative Wieden 4. Diese soll, gemäß Informatio- nen auf der Homepage, ab dem Schuljahr 2015/16, spätestens aber 2016/17 starten. Ge- meinsam mit der Waldorfschule Wien West hat der Montessori Campus Wien ab September 2013 eine gemeinsame Sekundarstufe 2 eröffnet, das mit der internationalen Hochschulrei-

1 http://www.waldorf.at/ 2 http://www.montessori-austria.at/ 3 http://montessori.at/home.xhtml 4 http://mi4.at/ 48 fe, dem ‚International Baccalaurete Diploma Programm‘ abschließt 1. Hier versuchen die bei- den Konzeptionen eine Verschränkung für die Oberstufe anzubieten.

Ausbildung zur Montessoripädagogik gibt es in Österreich sowohl an den Pädagogischen Hochschulen, beispielsweise in Graz 2, als auch privat zu finanzierende. Auch die katholische Pädagogische Hochschule 3 in Graz und das Montessori-Zentrum Wien 4 bieten Grundkurse und weiterführende Lehrgänge an.

Das sich der Jenaplan als Konzept in den österreichischen Schulen nicht gut durchsetzen konnte, war schon 2007 Thema in einem Zeitungsartikel der Presse mit dem Titel ‚Jenaplan ist ein Konzept für die Gesamtschule‘. Der interviewte Unterrichts- und Erziehungswissen- schaftler Harald Eichelberger meint, dass der Jenaplan kaum in eine bestehende Schule in- tegrierbar sei, wie andere reformpädagogische Konzepte. Bei der Umsetzung müsse eine ganze Schule als pädagogische Einheit hinter der pädagogischen Idee Jenaplan stehen. (Vgl. Schmidt 2007) Inzwischen gibt es Schulen die nach Jenaplan unterrichten in Österreich im Volksschulbereich (vgl. Jenaplan 2013).

Auch der Jenaplan kann in der Sekundarstufe 2 eingesetzt werden. Dies zeigen Umsetzungen in Deutschland wie beispielsweise die Staatliche Jenaplan-Schule in Jena 5. Die Jenaplan- Pädagogik ist auch in Österreich präsent und vernetzt 6, doch findet man ihren expliziten Ein- satz nicht in der Sekundarstufe 2.

An der Katholischen Pädagogischen Hochschule Graz wird ein Lehrgang zur Jenaplan- Pädagogik 7, unter der Leitung von Mag. Dr. Susanne Herker angeboten, Schulversuche evalu- iert und sich verstärkt diesem Thema angenommen.

1 http://www.montessori-verein.at/ 2 http://www.phst.at/paedagoginnen/fort-und-weiterbildung/lehrgaenge/montessoripaedagogik/ 3 http://www.kphgraz.at/index.php?id=304 4 http://montessori.at/akademie.xhtml 5 http://www.jenaplanschule.jena.de 6 http://www.jenaplan.at/ 7 http://www.kphgraz.at/index.php?id=309 49

3.2 Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 Bevor sich der Inhalt dieser Arbeit dem reformpädagogischen Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 zuwendet, werden kurz einige Überlegungen zum Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 allgemein angeführt.

Der Mathematikunterricht in der Sekundarstufe verfolgt allgemeine Ziele, er sollte die Schü- lerInnen mit einigen Grundmustern des Arbeitens in der Mathematik vertraut machen und brauchbare Kompetenzen vermitteln. Dies gilt sowohl für die Sekundarstufe 1, als auch für die Sekundarstufe 2. Wobei die mathematischen Inhalte, die im Lehrplan festgeschrieben sind, verschiedene sind. Dieses Kapitel umfasst nur einen kleinen Teil der vielfältigen Inhalte der Mathematikdidaktik zur Sekundarstufe 2 und soll als Grundeinstieg in den auf die Ma- thematik bezogenen Teil dieser Arbeit und als Vergleichsgegenstand dienen.

3.2.1 Grundmuster des mathematischen Arbeitens Die folgenden, von Kristina Reiss und Christoph Hammer (2013) übernommenen Grundmus- ter, welche die Tätigkeiten im Rahmen der Mathematik beschreiben, begegnen jeder/jedem Schülerin/Schüler im Unterricht. Oft sind diese Arbeitsmuster den SchülerInnen nicht be- wusst. Doch ein aktives Reflektieren dieser Grundmuster könnte gerade in der Oberstufe zu einem allgemein besseren Verständnis der Mathematik führen.

Mathematische Begriffe (Definitionen, Sätze)

Im Mathematikunterricht ist zunächst Wissen über Begriffe zu erwerben. In systematischen Darstellungen der Mathematik ist das zum Verständnis des Begriffs erforderliche Wissen meist in einer Definition konzentriert. Werden Beispiele gegeben, dann erhält man damit Hinweise auf Objekte, die unter den Begriff fallen. (Vollrath 2012, S.45)

Es gibt theoretisch zwei Wege, mathematischen Begriffen Bedeutung einzuhauchen, bzw. ihren Inhalt zu bestimmen. Bei der ersten Möglichkeit handelt es sich um Grundbegriffe, die mehr oder minder eine anschauliche Grundlage haben und in der Schule meist nicht weiter erklärt werden, wie zum Beispiel was ein Punkt, eine Gerade oder eine Ebene ist. Die zweite Art besteht darin, Begriffe über Definitionen auf andere Begriffe zurückzuführen. Dies pas- siert beispielsweise wenn man zwei Geraden parallel nennt, wenn sie entweder keinen oder alle Punkte gemeinsam haben. Neben dem bedeutungsträchtigen Inhalt besitzt jeder Begriff

50 auch ei nen Umfang von Objekten, die ihm zugeordnet werden können. (Vgl. Reiss 2013, S. 55) Am Beispiel des Begriffs Parallelogramm wird dies verständlich :

Abb. 2 Begriff Parallelogramm mathematischer Begriff: Parallelogramm

Inhalt Umfang Definition: Ein Parallelogramm ist ein Objekte: Rechteck, Viereck mit jeweils zwei gleichlangen, Quadrat, konkrete parallelen Seiten. Beispiele

Eng verbunden mit dem Lehren von Begriffen ist das Lehren von Sachverhalten, die als Sätze oder Regeln ausgewiesen werden und zu begründen sind. Häufig handelt es sich dabei um E i- genschaften von Begriffen oder um Beziehungen zwischen Begriffen. (Vollrath 2012, S. 109)

Beweisen

„Zahlen und Rechnen, Figuren und Konstruieren gehören zwar zur Mathematik, das eigen t- lich Mathematisch e an ihnen wird jedoch in der Regelhaftigkeit und in der Möglichkeit ges e- hen, diese Regeln zu begründen. “ (Vollrath 2012, S.11) Begründungen sind in der Mathem a- tik Beweise. „Beweisen bedeutet, eine mathematische Aussage auf andere Aussagen zurüc k- zuführen, und das können bereits bewiesene Sätze oder auch Axiome sein.“ (Reiss 2013, S. 47) Die Tätigkeit des Beweisens ist ein Prozess und deshalb mehr als nur die Wahrheit einer Aussage zu belegen. Zuerst wird meist durch Exploration eine beweiswürdige Aussage g e- funden und e in Beweisbedürfnis entsteht. Da nach gilt es eine Idee für den Beweis zu finden, was sich oft als schwierig erweist. Deshalb sollte man auch Zwischenprodukte im Unterricht wertschätzen. Weiters stellt sich beim Beweisen die Frage, auf welche mat hematischen Aus- sagen man zurückgreifen kann und wie der Beweis in der Sprache der Mathematik nachvol l- ziehbar formuliert wird. (V gl. Reiss 2013, S. 48ff)

Argumentieren (Mathematik und Sprache )

Argumentieren meint die Angabe von mathematischen Aspekten, die für oder gegen eine b e- stimmte Sichtweise/Entscheidung sprechen. Argumentieren erfordert eine korrekte und ad ä- quate Verwendung mathematischer Eigenschaften/Beziehungen, mathematischer Regeln s o- wie der mathematischen Fachsprache. (BIFIE 2011b, S.10)

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Das mathematische Argumentieren beinhaltet auch das Beweisen, ist aber weiter gefasst und bereitet auf Beweise vor. Reiss und Hammer weisen darauf hin, dass das Beweisen in den letzen Jahren im Unterricht an deutschen Schulen zurückgegangen ist, durch die Einfüh- rung der Bildungsstandards hat jedoch das Argumentieren mehr Bedeutung gewonnen. (Vgl. Reiss 2013, S.53) Schaut man in das Praxishandbuch Bildungsstandards 8. Klasse für Mathe- matik in Österreich, sieht man, dass im Kompetenzmodell unter den Handlungsbereichen ein solcher mit Argumentieren/Begründen betitelt ist (vgl. BIFIE 2011b, S.10). Doch das Bewei- sen selbst ist nicht als Handlungsbereich angeführt. Das heißt, die oben angeführte Behaup- tung über Deutschland, gilt auch für Österreich.

Mathematisches Problemlösen

Bevor man den Prozess des mathematischen Problemlösens betrachtet, gilt es den Begriff ‚Problem‘ im Kontext des Mathematikunterrichts zu definieren. Regina Bruder und Christina Collet tun dies in folgender Weise:

Ein Problem im Mathematikunterricht soll eine Anforderungssituation bezeichnen, die subjek- tiv als (kognitiv) schwierig erlebt wird. Diese Anforderungssituation erscheint den Lernenden nicht spontan bewältigbar, sie kann auch einfach nur ungewohnt sein und verlangt eine für das Individuum neue Lösung. Das gilt auch dann, wenn das Problem als solches schon von vielen anderen Personen gelöst wurde. (Bruder 2011, S.11)

Weniger offen und allgemein erscheint mir die Definition von Kristina Reiss und Christoph Hammer: „Unter einem Problem versteht man in der Mathematik eine Aufgabe, die es zu lösen gilt, bei der eine Lösung allerdings nicht offensichtlich ist.“ (Reiss 2013, S.56) Situatio- nen der ersten Art, oder auch Aufgaben wie in der zweiten Erklärung, sind Bestandteile der Mathematik und deren Vermittlung. George Pólya 1 beschäftigte sich mit der Herangehens- weise an mathematische Probleme und unterschied vier Phasen des Problemlösens, bzw., wie er es nennt vier Phasen der Arbeit. (Vgl. Pólya 1949, S.18-33)

1 György (George) Pólya war ein ungarischer Mathematiker, der von 1887 bis 1985 lebte und sich unter ande- rem auch mit dem Unterrichten von Mathematik auseinadersetzte. Mehr Informationen über ihn findet man in der Biographie „The random walks of George Pólya“ von Alexanderson (2000). 52

(1) Das Verstehen der Aufgabe: „Es ist töricht, eine Frage zu beantworten, die man nicht versteht.“ (Pólya 1949, S.19) Diese Phase sollte geprägt sein von Fragen nach dem Unbe- kannten, dem Gegebenen, den Bedingungen und der Lösbarkeit. (2) Die Entwicklung eines Plans für die Lösung: Dabei geht es darum, eine Idee zu finden. Dies kann langsam durch Ausprobieren oder Zurückgreifen auf bekannte Strategien, aber auch durch einen ‚Geistesblitz‘ geschehen. (3) Die Ausführung des Plans: Bei der Durchführung sind Geduld und mathematische Genau- igkeit von Bedeutung. (4) Die Rückschau: Diese Phase ist nach Pólya besonders wichtig für die SchülerInnen. „Durch Rückschau auf die vollendete Lösung, durch nochmaliges Erwägen und Überprü- fen des Resultats und des Weges, der dazu führte, könnten sie ihr Wissen festigen und ihre Fähigkeiten, Aufgaben zu lösen entwickeln.“ (Pólya 1949, S.28) Wenn man Lösungswege von Problemen untersucht, dann erkennt man Heurismen 1. Darun- ter versteht man heuristische Prinzipien (z.B. Symmetrieprinzip, Invarianzprinzip, Rekursi- onsprinzip), heuristische Strategien (z.B. Analogieschluss, systematisches Probieren), heuris- tische Regeln (z.B. allgemeine Rechenregeln) und Hilfsmittel (z.B. Tabellen, Wissenspeicher). (Vgl. Bruder 2011, S.36f) Ein bewusstes Reflektieren von Heurismen im Mathematikunter- richt, kann den SchülerInnen helfen Probleme leichter zu bewältigen.

Wenn es den in Mathematik geistig weniger beweglichen Lernenden gelingt, geeignete Prob- lemlösungsstrategien (Heurismen) zu erlernen und flexibel anzuwenden, können von ihnen in begrenzten Themenbereichen ähnliche Problemlösungsergebnisse erzielt werden wie von den intuitiven Problemlösern. (Bruder 2011, S.36)

Mathematisches Modellieren

Das Problemlösen im Mathematikunterricht darf nicht verwechselt werden mit dem Model- lierungsvorgang. Dieser besteht darin, eine reale Situation über ein Realmodell in ein ma- thematisches Modell überzuführen, dann mathematische Ergebnisse zu berechnen und die- se für die reale Situation zu interpretieren. Während der einzelnen Schritte dieses Prozesses können Probleme auftreten, die gelöst werden müssen. Beispielsweise Mathematisierungs- probleme, Probleme mit der verwendeten Mathematik oder auch Interpretationsprobleme.

1 Heurismen sind Problemlösungsstrategien. (vgl. Bruder 2011, S. 36) 53

Der ganze Prozess des Modellierens kann also aus Problemlösungsprozessen bestehen. (Vgl. Bruder 2011, S.16f) Werner Blum und Dominik Leiß visualisierten diesen Modellierungskreislauf:

1 Problemsituation verstehen 2 Problem strukturieren 3 Problem mathematisieren 4 Werkzeuge auswählen, erschaffen und anwenden 5 Ergebnis interpretieren 6 Ergebnis validieren

Abb. 3 Modellierungskreislauf

Algorithmen finden und durchführen

Mit dem Begriff Algorithmus bezeichnet man eine Vorschrift zur Lösung einer Aufgabe. In einer endlichen Anzahl von Schritten (so wird es zumindest in der Regel festgelegt) kommt man mit einem Algorithmus in festgelegter Art und Weise zu einem Ergebnis. (Reiss 2013, S. 61)

Nicht nur numerische Verfahren um Gleichungen zu lösen wie beispielsweise Fixpunktver- fahren und Newton-Verfahren, die in der Schule nur sehr selten Unterrichtsstoff sind, gehö- ren zu den Algorithmen (vgl. Timischl 1999, S.292-299). Auch das Addieren von Brüchen, die Anwendung der Lösungsformel für quadratische Gleichungen, sowie die Identifikation des Tiefpunktes eines Graphen einer Funktion mit Hilfe der Differentialrechnung fallen unter das algorithmische Denken in der Schulmathematik. (vgl. Reiss 2013, S.62) Werden solche ‚algo- rithmischen‘ Inhalte im Unterricht zum Lehrinhalt, dann ist es wichtig, dass ihre Entste- hung/Herleitung von den SchülerInnen verstanden wird.

Diese Grundmuster der Mathematik finden sich teilweise auch in den Handlungsbereichen des Kompetenzmodells (vgl. BIFIE 2011b, S.10) für den Mathematikunterricht wieder.

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3.2.2 Ziele und Inhalte des Mathematikunterrichts Im Buch „Grundlagen des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe“ beschreiben Hans- Joachim Vollrath und Jürgen Roth einen authentischen Mathematikunterricht. „Der Unter- richt hat dabei Antworten auf drei grundlegende Fragen zu geben: Was ist Mathematik? Wie entsteht Mathematik? Was kann man mit Mathematik anfangen?“ (Vollrath 2012, S.25)

Die folgenden Ziele des Mathematikunterrichts, aus dem Buch ‚Grundlagen der Mathema- tikdidaktik‘ von Kristina Reiss und Christoph Hammer übernommen und um das Ziel des Problemlösen- Lernens von mir ergänzt, können eine Antwort auf die drei oben gestellten Fragen sein. Mathematik …

... ist Lebensvorbereitung: „Der sichere Umgang mit symbolischen und grafischen Dar- stellungen oder die Fähigkeit zum Abschätzen von Größenordnungen oder Größenver- hältnissen gelingen vielleicht im Mathematikunterricht besser als in anderen Fächern.“ (Reiss 2013, S.2) Auch in vielen Studien und Arbeitsfeldern wird auf ein solides Schulwis- sen und mathematische Fertigkeiten aufgebaut.

… stiftet kultureller Kohärenz: Das mathematische Wissen gehört genauso wie Musik, Malerei und Literatur zur Kultur, in der wir leben. Es geht darum, die Bedeutung funda- mentale Ideen zum Wesen der Mathematik zu verstehen und die Wurzeln von mathema- tischen Problemen im alltäglichen Leben zu erkennen. (Vgl. Reiss 2013, S. 4)

… fördert Weltorientierung:

Hier geht es darum, im Unterricht das Basiswissen für die Teilhabe an wesentlichen ge- sellschaftlichen Prozessen zu vermitteln. Insbesondere sollen Schülerinnen und Schüler erfahren, wie mathematisches Wissen und mathematische Erkenntnisse zur Deutung und Modellierung von alltäglichen Phänomenen, aber auch zum Verständnis solcher Phänomene beitragen können.(Reiss 2013, S. 4)

… ist Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch:

Damit ist beispielsweise verbunden, Behauptungen, Schlussfolgerungen oder Werturtei- le nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen, mögliche Wider- sprüche zu erkennen, Unstimmigkeiten zu identifizieren und dabei dem eigenen rational gefällten Urteil zu vertrauen. (Reiss 2013, S.5)

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Natürlich wird dies auch in anderen Unterrichtsfächern, wie in Deutsch oder Philosophie, geübt. Doch in der Mathematik kann meist ohne Rückgriff auf Autoritäten entschieden werden, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. (Vgl. Reiss 2013, S.5)

… wird angewandt im Alltag:

Die Idee einer bildungstheoretisch fundierten Didaktik erschöpft sich natürlich nicht im (allgemein-)bildenden Wert des Fachs. Die Bedeutung für das gegenwärtige Leben muss auch mit dem ganz normalen Alltag in Verbindung gebracht werden können. (Reiss 2013, S.7)

In der Praxis wird das Fach Mathematik leider selten mit seinen Alltagsfunktionen in Ver- bindung gebracht. Oft dominiert nach wie vor das schlichte, abstrakte Rechnen. Diese Kluft zu überwinden ist eine wesentliche Aufgabe des heutigen Mathematikunterrichts, dies ist nicht leicht zu schaffen, weil es nicht reicht nur anwendungsorientierte Aufga- benstellungen in den Unterricht einzubauen. Am Beispiel Prozentrechnen gibt die Litera- tur im Wesentlichen drei Gründe an (vgl. Reiss 2013, S.8f):

− Obwohl im Unterricht versucht wird Bezüge zur Realität herzustellen, dominieren nach wie vor regel- und routinehafte Rechengenaufgaben. Denn die gut gemeinten, anwendungsorientierten Aufgaben, entpuppen sich häufig als bloße Einkleidungen von, für den Alltag sinnlose, Übungsbeispielen. − „Der Lebensweltbezug in einer Aufgabe ist keine Konstante.“ Reiss 2013., S.9) Die SchülerInnen haben je nach Alter, Persönlichkeit und Umfeld verschiedene Interes- sen und kein persönlicher Alltag gleicht dem anderen. − Weiters kommt es oft vor, dass Alltagprobleme zwar gut geeignet sind, doch unrea- listisch formuliert werden.

Nun stellt sich die Frage: Wie kann ein anwendungsorientierter Mathematikunterricht überhaupt statt finden?

„Ein Vorschlag der Mathematikdidaktik zur Überwindung des Konflikts liegt darin, in eher künstliche Kontexte gekleidete Sachaufgaben deutlich als solche erkennbar zu ma- chen und wenigstens hin und wieder echte Probleme aus dem Alltag lösen zu lassen.“ (Reiss 2013, S.9)

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Auch soll beim Ziel der Anwendung von mathematischen Inhalten die Querverbindung zu anderen Wissenschaftsdisziplinen und gegebenenfalls Unterrichtsfächern nicht uner- wähnt bleiben. In der Physik, Informatik, Wirtschaft, Geografie und sogar in der Musik werden mathematische Inhalte verwendet. (Vgl. Reiss 2013, S.10)

… hilft um Problemlösen zu lernen: „Wenn man nach den Gründen fragt, die einen Ma- thematikunterricht als allgemeinbildend qualifizieren und damit auch ‚für alle‘ legitimie- ren, dann wird Problemlösen zu einem Eckpfeiler in der Argumentation.“ (Bruder 2011, S.20) Denn die mathematischen Anforderungen in jedem individuellen Leben werden verschiedene sein. Die Brücke zwischen den erlernten mathematischen Fertigkeiten, dem mathematischen Grundverständnis und den aktuellen Anforderungen in bestimm- ten Lebenssituationen, ist die Problemlösungskompetenz jedes einzelnen. Deshalb ist es wichtig, in einem zeitgemäßen Mathematikunterricht Problemlösen zu lernen. Doch sol- len die SchülerInnen nicht bloß mit Problemen konfrontiert werden, sondern unterstützt werden im Problemlösungsprozess. (Vgl. Bruder 2011, S.20ff) So können bewusst Prob- lemlösungsstrategien, unter anderem auch durch den Mathematikunterricht, entstehen. Diese können auch auf verschiedenste außermathematische Situationen angewandt werden. 1

Ich möchte hier auf die mathematischen Inhalte im Detail nicht näher eingehen, sondern verweise dazu auf den aktuellen österreichischen Lehrplan (BMUKK 2004a) und die mathe- matischen Grundkompetenzen für die standardisierte Reifeprüfung in der allgemeinbilden- den höheren Schule 2. Im Wesentlichen beinhaltet der Mathematikunterricht in der Sekun- darstufe die Bereiche Trigonometrie, Vektorrechnung, Funktionsbegriffe, Differentialrech- nung, Integralrechung und die Wahrscheinlichkeitsrechnung.

1 Zur Vertiefung in diese Thematik empfehle ich das Buch „Problemlösen lernen im Mathematikunterricht“ von Regina Bruder und Christina Collet (siehe Bruder 2011). 2 vgl. BIFIE 2011a, S.8-15 57

3.2.3 Didaktische Prinzipien für den Mathematikunterricht Um Mathematikunterricht gut vorbereiten und durchführen zu können erfordert dies strin- gente Überlegungen, denn „Lehren erfordert als zielgerichtetes Handeln vielfältig Entschei- dungen.“ (Vollrath 2012, S.115) Die Unterrichtssituation ist derart komplex, dass es nicht praktisch umsetzbar ist, immer alle Konsequenzen zu bedenken und dann eine Entscheidung zu treffen. Prinzipien für den Mathematikunterricht können eine Entscheidungs- und Orien- tierungshilfe sein, die sich auf verschiedene Lehraufgaben beziehen. (Vgl. Vollrath 2012, S.115) Es gibt zahlreiche Unterrichtsprinzipien, die im Mathematikunterricht ihre Anwen- dung finden können. Sie haben sich im Laufe der Zeit in Anlehnung an schuldidaktische Denkströmungen herauskristallisiert und weiterentwickelt. Hier seien nur das genetische Prinzip, das Spiralprinzip, das kumulative Lernen und das operative Prinzip genannt.

Das genetische Prinzip

„Die Grundidee des genetischen Prinzips ist, dass sich in der Behandlung von mathemati- schen Inhalten im Unterricht auch ihre Genese widerspiegeln sollte.“ (Reiss 2013, S.79) Da- bei wird sowohl die Genese der Mathematik aus fachlicher, historischer Sicht beachtet, wie auch die psychologische, kognitive Entwicklung der zu lehrenden Individuen (vgl. Reiss 2013, S.79). Vertreter dieses Prinzips waren beispielsweise Martin Wagenschein 1 und Hans Freu- denthal 2. „Wagenschein ist … bemüht, genetische Entwicklung als ad hoc-Rekonstruktion einer gedanklichen Brücke von ursprünglichem Wissen zu fachlichen Inhalten darzustellen.“ (Führer 1997, S. 48) Neben der besonderen Bedeutung der ursprünglichen Entwicklung eines mathematischen Inhaltes, betont Wagenschein besonders die „Notwendigkeit, Wissen im Dialog mit den Lernenden zu vermitteln und exemplarisch vorzugehen.“(Reiss 2013, S.79) Deshalb kann in seinem Sinne auch vom sokratisch 3-genetischen Prinzip gesprochen werden.

1 „Martin Wagenschein (1896-1988) war promovierter Physiker und engagierte sich vor allem in der Naturwis- senschaftsdidaktik. Er arbeitete viele Jahre als Lehrer in den Fächern Mathematik, Physik und Geografie.“ (Reiss 2013, S. 79) 2„Hans Freudenthal (1905-1990) war ein Mathematiker, der mit seinen Vorstellungen von einer ‚realistischen mathematischen Erziehung‘ erheblichen Einfluss auf die Mathematikdidaktik nahm. 1971 gründete er an der Universität das ‚Instituut voor de Ontwikkeling van het Wiskunde Onderwijs‘ (IOWO), das später ihm zu Ehren in ‚Freudenthal-Institut‘ umbenannt wurde.“ (Reiss 2013, S. 56) Aktuelle Informationen zum Freuden- thal-Institut findet man unter http://www.fisme.science.uu.nl/fisme/en/ 3 Dieser Begriff geht auf das sokratische Lehrprinzip der Mäeutik (=Hebammenkunst) zurück. Durch das Fragen- stellen soll im Dialog echte Einsicht entstehen. Hält man sich an Platons Schriften, so hat Sokrates diesen Pro- zess mit der Hebammenkunst verglichen. Einmal wird die Wahrheit geboren, einmal ein Kind. (vgl. Röd 2000, S. 88ff) Hier meint man mit sokratisch aber nicht „die pädagogische Grundauffassung des Sokrates: nicht lehren 58

(vgl. Führer 1997, S.47f) Freudenthal bewunderte Wagenschein, doch „so sehr er mit dessen sokratisch-genetischer Sichtweise sympathisierte, so wenig war er bereit, Wagenscheins Zug zum Elementaren und Ursprünglichen alle höhere Mathematik zu opfern.“ (Führer 1997, S. 50) Schwierigere Inhalte sind oft nicht durch Selbstentdeckung von den SchülerInnen ohne Anleitung durch Lehrpersonen vermittelbar. Deshalb schlägt Freudenthal für den Mathema- tikunterricht das Lehrprinzip der Nacherfindung unter Führung vor. (Vgl. Führer 1997, S.50) Er sieht die Mathematik, genauso wie jede andere Wissenschaft, als Tätigkeit an. Nicht eine Mathematik als Fertigfabrikat gilt es in der Schule zu vermitteln, sondern Perioden gerichte- ter Erfindungen zu ermöglichen. Objektiv betrachtet sind dies keine Erfindungen, doch für die SchülerInnen können diese als solche empfunden werden. Freudenthal geht davon aus, dass nacherfundene Kenntnisse und Fähigkeiten nachhaltiger eingeprägt und verstanden werden. (Vgl. Freudenthal 1973, S.110-114) Mit diesem Zugang zum Mathematikunterricht gilt Hans Freudenthal als Begründer der „realistic mathematics education 1, die eigene Erfah- rungen der SchülerInnen und Schüler und konkrete Handlungen in einem realistischen Kon- text als zentrale Aspekte des Lernens von Mathematik ansieht.“(Reiss 2013, S.80)

Als Kritikpunkte des genetischen Ansatzes gelten die Überschätzung des naiven Entde- ckungserlebnisses und der formalbildenden Kraft mathematischer Aktivität, sowie die unrea- listischen Anforderungen an die Lehrpersonen und das außer Acht lassen von Lernschwierig- keiten der DurchschnittsschülerInnen (vgl. Führer 1997, S.49ff).

Das Spiralprinzip

„Es besagt im Wesentlichen, dass mathematisches Wissen zu mehreren Zeitpunkten im Lau- fe der Schulzeit jeweils altersangemessen, dabei aber korrekt (und somit wirklich vorberei- tend auf den folgenden Unterricht) präsentiert werden sollte.“ (Reiss 2013, S.66) Dieses Prinzip ist durch die Weiterentwicklung des genetischen Gedankens entstanden und von

oder unterweisen wollen, sondern helfen beim eigenen Zurechtfinden und Urteilen über das, das tatsächlich der Fall ist.“ (Führer 1997, S.47) 1 Diese Art des Unterrichts ist gekennzeichnet durch die Verwendung von realistischen Kontexten, Modellen, die Eigenaktivität und Konstruktion der SchülerInnen, sowie einem interaktivem Charakter des Unterrichts und die Verflechtung mehrerer Lernstränge. (vgl. Freudenthal Institute 1998) Weitere Informationen über Inhalte und Kongresse zum Thema findet man auf der Homepage des Freudenthal-Institutes. 59

Jerome Bruner 1 im Rahmen seiner Überlegungen zum entdeckenden Lernen geprägt wor- den. (vgl. Führer 1997, S.60)

Beispiel: Warum darf man nicht durch 0 dividieren? (vgl. Reiss 2013, S.67)

(1) Grundschulerklärung: Diese soll sich auf die Grundvorstellungen der Division, das Aufteilen bzw. Verteilen, beziehen. Die Aufgabe „ 15: 5 = __“ kann als reale Situation bedeutet und in eine Frage „Wieviel von den 15 Zuckerl bekommt jedes der 5 Kin- der?“ umformuliert werden. Hier kann die oben gestellte Frage mit dem Argument beantwortet werden, dass eine Aufteilung/Verteilung auf null Kinder keine sinnvollen Geschichten ergeben. (2) Höhere Altersstufe: Später kann die Bedeutung der Division als Umkehroperation der Multiplikation als Erklärung herangezogen werden. So wie ein Produkt als fortgesetz- te Addition gleicher Summanden gesehen werden, kann man eine Division als fortge- setzte Subtraktion gleicher Subtrahenden sehen. 19 − 4 − 4 − 4 − 4 = 3 ⟹ 19: 4 = 4 3 Für die Division durch 0 scheint diese eine unsinnige Aufgabenstellung zu sein. (3) Formale Argumentation: ∈ ℝ, : 0 = ü ∈ ℝ. ℎ = ∙ 0 = 0. ü = 0 ö.

Auch im österreichischen Lehrplan ist das Spiralprinzip verankert. Mathematische Inhalte kommen in den verschiedenen Schulstufen auf verschiedenen Niveaus immer wieder vor, wie zum Beispiel das Rechnen mit rationalen Zahlen oder das Lösen von Gleichungen.

In der Umsetzung hat das Spiralprinzip für Lehrpersonen laut Reiss und Hammer die folgen- den drei Konsequenzen (vgl. Reiss 2013, S.67):

− Der Überblick darüber, welche mathematischen Inhalte auf welchem Niveau in den vorherigen Schuljahren behandelt wurden bzw. im kommenden Schuljahr behandelt werden, soll bewahrt werden. − Auf die Fragen der SchülerInnen soll altersgerecht eingegangen werden.

1 „Jérôme Seymour Bruner, geboren am 1.Oktober 1915 in New York, ist Psychologe mit pädagogischen Inte- ressen. Er leistete wichtige Beiträge zur kognitiven Lerntheorie und war ein Initiator der sogenannten kogniti- ven Wende der Psychologie.“ (Wikipedia 2013, Jerome Bruner) 60

− Lehrpersonen sollen über ein solides schulbezogenes Fachwissen verfügen.

Vermutlich ist es gerade das Spiralprinzip, das sich besonders gut mit neurowissenschaftlich fundierten Theorien des Lernens verbinden lässt. Es propagiert das wiederholte Anbieten von Lerninhalten mit jeweils alterspezifischen Ergänzungen, so dass neues Wissen mit vorhande- nen Wissensstrukturen verbunden wird. (Reiss 2013, S.67)

Das Prinzip des kumulativen Lernens

Dieses Prinzip ist eine Weiterentwicklung des Spiralprinzips. Dabei werden eine vertikale und eine horizontale Ebene unterschieden. Die vertikale Ebene beinhaltet im Grunde die Idee des Spiralprinzips, das heißt die Vernetzung der mathematischen Inhalte und Grundmuster im Laufe der Schulstufen um ein tieferes Verständnis zu fördern. Dies kann neben dem in- haltlichen Aufbau beispielsweise auch durch die Wiederkehr von Anschauungsmaterial zu unterschiedlichen Themenbereichen passieren. Bei der horizontalen Ebene geht es um das Vernetzen von Inhalten verschiedenster Schulfächer und darum, einen Alltagsbezug herzu- stellen. Hier bieten sich Zusammenhänge zwischen Mathematik und Musik, Mathematik und Kunst oder auch Mathematik und Philosophie und viele weitere an. (Vgl. Reiss 2013, S.68-74) Gerade die horizontale Vernetzung der Mathematik spiegelt sich auch in den Probebeispie- len zur standardisierten Reifeprüfung wieder, durch die kontextbezogenen Beispiele (vgl. BFIE 2013a). Die vertikale Vernetzung lässt sich gut in fächerübergreifenden, themenbezo- genem Projektunterricht umsetzen. (vgl. Kapitel 4.1.2)

Das operative Prinzip

Das operative Prinzip folgt, […], ganz wesentlich den Theorien von Jean Piaget 1 und Hans Aebli 2. Es kombiniert zentrale Aspekte dieser Theorien, indem es auf das Lernen durch eigenes Handeln abzielt und die wichtige Rolle der Verinnerlichung von Handlungen betont. Damit ist eine spezifische Form des systematischen und produktiven Übens verbunden, das die Systema- tik einer mathematischen Aufgabenstellung in den Vordergrund stellt und geeignet ist, Bezüge zwischen mathematischen Sachverhalten herzustellen. (Reiss 2013, S.74)

1 Jean Piaget, 1896 in der französischen Schweiz geboren und gestorben im Alter von 84 Jahren in Genf, war Professor für Psychologie an den Universitäten Genf, Lausanne und an der Sorbonne. Er beschäftigte sich unter anderem mit der kognitiven Entwicklung des Kindes und hat sowohl für die Entwicklungspsychologie, als auch für die Pädagogik wichtige Grundlagen untersucht. (vgl. Hobmair 2003, S. 215) 2 Hans Aebli (1923-1990) war ein Schweizer Theoretiker und Forscher auf den Gebieten der Entwicklungspsy- chologie, der Denkpsychologie, der Lernpsychologie und der Psychologie des Handelns. (vgl. Wikipedia 2013, Hans Aebli) 61

Die drei Aspekte Handeln, Verinnerlichen und operatives Üben sind dabei zu beachten (vgl. Reiss 2013, S.75):

• Handeln: Sachverhalte sollen mit Hilfe von realen Modellen anschaulich begriffen werden. Durch konkrete Manipulationen am Modell soll es dann auch zu Denkhand- lungen kommen. • Verinnerlichen: Die Abstraktion des konkreten Sachverhalts ins Denken wird Verin- nerlichung genannt. • Operatives Üben: Dies bedeutet, jeder Übungseinheit eine Struktur zu geben, die den Lernenden zu eigene Bezügen animiert.

3.2.4 Bildungsstandards, standardisierte Reife- und Diplomprüfung und kompe- tenzorientierter Unterricht Die Realität des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe 2 ist derzeit geprägt von der Diskussion und den ersten Umsetzungen der Bildungsstandards durch kompetenzorientier- ten Unterricht, die in Zukunft ideellerweise zu einer positiven Bewältigung der standardisier- ten Reife- und Diplomprüfung führen sollen. Reformpädagogische Schulen mit Öffentlich- keitsrecht müssen sich an solche Neuerungen natürlich auch halten. Hier werden diese In- halte nur kurz umrissen.

Kompetenzmodell für die Oberstufe

Im Praxishandbuch Mathematik für die AHS Oberstufe vom Bifie (vgl. BIFIE 2011a), ist das folgende Modell zur Kompetenzorientierung im Unterricht als Grundlage angeführt. Auch in den Richtlinien zur kompetenzorientierten Reifeprüfung des Bundesministeriums für Unter- richt, Kunst und Kultur (vgl. BMUKK 2012b), herausgegeben im Dezember 2012, findet dieses Modell Eingang.

Unter Kompetenzen werden längerfristig verfügbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die von Lernenden entwickelt werden können und sie befähigen, bestimmte Tä- tigkeiten in unterschiedlichen Situationen auszuüben. (BIFIE 2011a, S.16)

Diese Definition umgelegt auf den Mathematikunterricht, beschäftigt sich dementsprechend mit mathematischen Tätigkeiten. Unter mathematischen Grundkompetenzen versteht man einen Kernbereich an Inhalten, die aus fachlicher und gesellschaftlicher Sicht relevant sind.

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(Vgl. BIFIE 2011a, S.16) Für die Sekundarstufe 1 und 2 wird ein dreidimensionales Komp e- tenzmodell vorgeschlagen. Die drei Dimensionen sind (vgl. BIFIE 2011a, S. 16) :

Handlungsbereich Inhaltsbereich Komplexitätsbereich H1: Darstellen, Modellbilden I1: Algebra /Geometrie K1: Einsetzen von Grundkenntni s- H2: Rechnen, Operieren I2: Funktionale Abhängigkeiten sen und Grundfertigkeiten H3: Interpretieren I3: Differential- / Integralrech- K2: Herstellen von Verbindungen H4: Argumentieren, Begrün- nung K3: Einsetzen von Reflexionswi s- den I4: Wahrscheinlichkeit/ Statistik sen, Ref lektieren

In diesem Sinne wird vorgeschlagen, dass spezifische mathematische Kompetenzen aus e i- nem Tripel aus einer Handlung, einem Inhalt und einem Komplexität sgrad bestehen. Zum Beispiel die Kompeten z (H3, I2, K2), benennt die sich mit Interpretieren v on funktionalen Abhängigkeiten beschäftigt, wobei auch Verbindungen hergestellt werden müssen. Grafisch dargestellt ist dieses Beis piel in Abbildung 4 . Beispiele können nach diesem Schema klassif i- ziert werden. Im Unterricht werden meist mehrere Kompetenzen gleichzeitig angesprochen. (Vgl. BIFIE 2011a, S.16ff) „Ein wesentliches Merkmal der kompetenzorientierten Sichtweise ist der Blickwechsel vom Inhalt z ur mathematischen Handlung.“ (BIFIE 2011a, S.18)

Abb. 4 Kompetenzmodell

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Bildungsstandards

„Bildungsstandards sind konkret formulierte Lernergebnisse, die sich aus den Lehrplänen ablei- ten lassen. Sie legen jene Kompetenzen fest, die Schüler/innen bis zum Ende der 4. Schulstufe in Deutsch und Mathematik sowie bis zum Ende der 8. Schulstufe in Deutsch, Mathematik und Englisch nachhaltig erworben haben sollen. Dabei handelt es sich um Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen, die für die weitere schulische und berufliche Bildung von zentraler Bedeutung sind.“ (BIFIE o.J., Bildungsstandards)

Bestimmte Grundkompetenzen, die als wichtig erachtet werden, soll der Mathematikunter- richt vermitteln. Diese werden dann auch in der 4. bzw. 8. Schulstufe standardisiert über- prüft. Man erhofft sich durch diese bereits eingeführte Praxis, dass der Unterricht selbst um- gestaltet und auch die Beurteilung der SchülerInnen dahingehend angepasst wird. (Vgl. BIFIE o.J., Bildungsstandards)

Standardisierte Reifeprüfung

Mit den Überlegungen zur Kompetenzorientierung des Unterrichts, sowie zur Standardisie- rung von Inhalten, geht natürlich auch eine einheitlich genormte Reifeprüfung einher. Diese wird in Österreich derzeit noch nicht flächendeckend umgesetzt, doch gibt es schon konkre- te Vorgaben dafür, die laut Bundesministerium im Schuljahr 2014/15 im AHS-Bereich und im Schuljahr 2015/16 überall umgesetzt werden sollen. (Vgl. BMUKK 2013)

Die standardisierte Reifeprüfung besteht aus dem Verfassen einer vorwissenschaftlichen Arbeit, drei oder vier schriftlichen Klausuren und zwei oder drei mündlichen Prüfungen. Die vorwissenschaftliche Arbeit kann zu einem frei gewählten Thema auch im Fachgebiet Ma- thematik geschrieben werden, die 270-minütige schriftliche Klausur in Mathematik ist ver- pflichtend und die mündliche Prüfung in Mathematik ist für die SchülerInnen optional. (Vgl. BMUKK 2013)

Die Reifeprüfung in Mathematik beinhaltet die festgelegten Grundkompetenzen der Ma- thematik in den folgenden vier Bereichen (vgl. BIFIE 2013b, S. 6-18):

− Algebra und Geometrie: Grundbegriffe, (Un-) Gleichungen und Gleichungssysteme, Vektoren (hauptsächlich zweidimensional), Trigonometrie

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− Funktionale Abhängigkeiten: Funktionsbegriff, reelle Funktionen, Darstellungsfor- men und Eigenschaften, lineare Funktionen, Potenzfunktionen, Polynomfunktionen, Exponentialfunktion, Sinus- und Cosinusfunktion, − Analysis: Änderungsmaße, Regeln für das Differenzieren, Ableitungs-/ Stamm- funktionen, Summation und Integral − Wahrscheinlichkeit und Statistik: beschreibende Statistik, Grundbegriffe der Wahr- scheinlichkeitsrechnung, Wahrscheinlichkeitsverteilungen, Schließende/Beurteilende Statistik

Die fächerübergreifende Vernetzung von Kenntnissen und Fähigkeiten soll auch in die Reife- prüfung einfließen. Daher gilt es mathematische Inhalte, die auch in anderen Fächern ver- wendet werden, bewusst im Unterricht zu thematisieren. Diese sogenannten prüfungsrele- vanten Kontexte sind zum Beispiel die Maßeinheiten, Größen, Gleitkommadarstellung, Pro- zentrechnung, physikalische Formeln und die Grundlagen der Finanzmathematik. (Vgl. BIFIE 2013b, S.19-22)

Erwähnenswert ist hier auch noch der grundlegende Aufbau einer schriftlichen Klausur in Mathematik. Dieser zerfällt in zwei Teile, wobei der erste Teil aus 18-25 Aufgaben besteht, die nur auf die katalogisierten Grundkompetenzen abzielen. Die Frageformate sind dabei streng vorgegeben und keine weitere Vernetzung von Grundwissen und Grundfähigkeiten ist erforderlich. Der zweite Teil, bestehend aus vier bis sechs Aufgaben, stellt die SchülerInnen vor kontextbezogene und anwendungsorientierte Probleme, die auch das selbstständige Vernetzen von Grundkompetenzen erfordern. (Vgl. BIFIE 2013b, S.23)

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3.3 Reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2 Nun werden die zwei Themen Reformpädagogik in der Sekundarstufe 2 und Mathematikun- terricht in der Sekundarstufe 2 verbunden. Hier liegt der Fokus auf der Montessoripädagogik und der Waldorfpädagogik, weil diese beiden Konzepte auch eine Umsetzung in der öster- reichischen Schullandschaft aufweisen. Leider findet man nur sehr wenig theoretische Wer- ke und wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit reformpädagogischem Mathematik- unterricht in der Oberstufe beschäftigen. Deshalb werden die folgenden Überlegungen zum Mathematikunterricht in der Montessoripädagogik durch Informationen aus einem Inter- view und einigen wenigen Antworten auf einen Fragebogen ergänzt. Die Inhalte zum Ma- thematikunterricht in der Waldorfpädagogik werden durch Beobachtungen, die während einem Hospitationsblock dokumentiert wurden, untermalt.

3.3.1 Mathematikunterricht in der Waldorfpädagogik Die rein platonische Sicht, die Mathematik sei ein zu bestaunendes aber hermetisches Gebäu- de, ehern beständig in seiner Wahrheit, muss radikal aufgebrochen werden: Die Welt der Ma- thematik muss auch die Welt des Schülers werden – aber nicht so, dass der Schüler seine Welt verliert, sondern dass er seine Welt ins Mathematische erweitert. (Sigler 2011)

Auch der Oberstufenlehrer an einer Waldorfschule, Stephan Sigler sieht eine Notwendigkeit sich mit der didaktischen Weiterentwicklungen in Bezug auf den Mathematikunterricht aus- einander zu setzen. Um die Welt der SchülerInnen um die Welt des Mathematischen zu er- weitern, kann die Waldorfpädagogik seiner Meinung nach wegweisend sein. (Vgl. Sigler 2011) Doch was unterscheidet den herkömmlichen Mathematikunterricht eigentlich von dem in der Waldorfschule praktizierten Mathematikunterricht?

3.3.1.1 Aufbau des Mathematikunterrichts Der Stoff soll Werkzeug zur Entwicklung des Kindes werden, und deshalb fragt der Waldorfleh- rer […] nach den physiologischen, psychologischen und kulturell-spitiruellen Gesichtspunkten eines Stoffgebietes, nach einer mit der Entwicklung des Kindes im Einklang stehenden Lehr- plan- und Unterrichtsgestaltung. (Schuberth 1985, S.198)

Zu der genaueren Beleuchtung der Mathematik gehören nicht nur ihre Inhalte, die logischen Strukturen, die Grundmuster mathematischen Arbeitens (siehe Kapitel 3.2.2), sondern auch wie beispielsweise der Zahlenbegriff entsteht oder abstraktes Denken möglich ist. „Alles Ma- thematische hat seinen Ursprung in Bewegungsvorgängen, in Vorgängen, in denen der 66

Mensch aktiv den Raum ergreift.“ (Hansen 2010, S.6), meint Uwe Hansen und verweist im- mer wieder auf Rudolf Steiners Gesamtwerk in seinem Artikel über die Methodik des Ma- thematikunterrichts in den Oberstufenklassen. Dabei sind Bewegungsakte und Sinneseindrü- cke gemeint, die man dann auf einer Metaebene reflektiert, wie beim Abzählen von Gegens- tänden zum Beispiel.

Die Erfahrung zeigt also, dass mathematische Begriffe an der Grenze zwischen der sinnlichen und einer rein geistigen Welt liegen. Diese Berührung mit dem Übersinnlichen bewirkt, dass der junge Mensch in der mathematischen Betätigung eintaucht in einen Bereich größter Har- monie, absoluter Reinheit, Schönheit und Klarheit. (Hansen 2010, S.7)

Das mathematische Tun wird im Sinne Rudolf Steiners gleichzeitig als innere Konstruktion und als Beobachtung der eigenen Tätigkeit gesehen. Ziel ist es den SchülerInnen lebendige Begriffe zu vermitteln. Das bedeutet ein tiefes Verständnis der Begriffe, so dass eine Modifi- kation der mathematischen Situation, wie zum Beispiel die Änderung der örtlichen Lage oder auch das Verwenden der Namen der Variablen, keine Probleme auslöst. Durch die genaue Zergliederung des ganzen Sachverhaltes kann dieser besser verstanden werden und die SchülerInnen können sich daran schöpferisch betätigen. (Vgl. Hansen 2010, S.7-11) Dies soll im folgenden Beispiel 1 einer einfachen Textgleichung veranschaulicht werden, die Betrach- tung der Zergliederung soll dem Pfeil folgen (vgl. Hansen 2010, S.8f):

Aufgabe: Welche Zahl ergibt – nach dem ihr Dreifaches um 5 vermehrt und die Summe dann halbiert wurde – die Zahl 13?

die gesuchte Zahl = 7 Wenn gleich 13 ist, so ihr Dreifaches 3 3 = 21 muss 13x+5 das Doppelte das um 5 vermehrte 3 + 5 3 + 5 = 26 von 13 also 26 sein. Die davon die Hälfte 3 + 5 Vergrößerung um 5 wird = 13 2 rückgängig gemacht, also ist

3x gleich 21.

1 Viele weitere Beispiele der Zergliederung, sowie Einführungen in zahlreiche mathematischen Unterrichtsin- halte findet man in der Buchreihe: Stephan Sigler (Hrsg.), Mathematikthemen für die 9.-12.Klasse, ausgearbei- tet nach der Unterrichtspraxis an Waldorfschulen, herausgegeben von der Pädagogischen Forschungsstelle Kassel. 67

„Dieses Beispiel sollte zeigen, wie man die zugrunde liegende Tätigkeit stärker ins Bewusst- sein bringt, wenn man das zeitliche Element mehr betont und die Bilder nicht an den Anfang stellt.“ (Hansen 2010, S.9)

Um diese Vorstellung von Mathematik in ihrem Unterricht in der Waldorfschule durchzufüh- ren schlägt Stephan Sigler die folgenden drei Schritte zur Erkenntnis vor (vgl. Sigler 2011 und Sigler 2007, S.19-32):

Zu Beginn sollen die SchülerInnen in den zu erarbeitenden mathematischen Phänomenbe- reich eintauchen. Dass diese Phänomene von der/dem SchülerIn selbst hervorgebracht wer- den, muss gerechnet, probiert, gezeichnet und vorgestellt werden. „Es handelt sich also dar- um, in das Werden der Erscheinung wahrnehmend tätig einzutauchen. Der Schüler lebt in der Sache mit, ist mit ihr zusammen.“ (Sigler 2011) Für das Eintauchen braucht es Konzent- ration, Ruhe und Zeit. Viele Erklärungen sollten nicht notwendig sein, denn unnötiges Spre- chen sollte in dieser Phase vermieden werden. Als Anstoß könnte zum Beispiel ein Arbeits- auftrag wie: „Erstelle eine Tabelle aller Stammbrüche von bis als Dezimalzahlen“, sein. Ohne weitere Hinweise soll dieser Auftrag ausgeführt werden, denn es geht darum, dass die SchülerInnen besondere Aspekte, hier zum Beispiel die drei Arten von als Dezimalzahlen ge- schriebene Brüche (endlich, reinperiodisch, gemischtperiodisch), selbst entdecken und er- fahren. (Vgl. Sigler 2007, S.21ff)

Als nächster Schritt werden die mathematischen Phänomene bewusst beschrieben, geord- net und besprochen. „Bildlich gesprochen hat man sich mit dem Neuen befreundet und es sich mit ihm innerlich gemütlich gemacht.“ (Sigler 2011) Hier passiert eine Reflexion der Er- gebnisse und Erlebnisse. Es können Vermutungen, Besonderheiten und Strategien geäußert werden in Bezug auf den vorhergegangenen Prozess des Tuns. Dahinterliegende Gesetze und Zusammenhänge sollten dabei noch kein Thema sein. (Vgl. Sigler 2007 S. 26f)

Die dritte Phase soll erst nach einer zeitlichen Pause, beispielsweiße am nächsten Tag, ge- schehen. Hier besteht die Aufgabe darin nach inneren Zusammenhängen zu fragen. Die SchülerInnen sind dabei die Analysierenden, die Lehrperson hat eher eine moderierende Rolle. Die SchülerInnen beginnen so das mathematische Phänomen zu durchschauen. (Vgl. Sigler 2010) Am oben angeführten Beispiel, der als Dezimalzahlen dargestellten Brüche, kann sich dies um folgende Fragen drehen: Warum kommen in der Dezimalbruchentwicklung von 68

1 7 nicht die Ziffern 0,3,6, und 9 vor? Welche Zahl steht an der 73. Stelle nach dem Komma? Können wir uns sicher sein, dass sich bei jeder Dezimalbruchentwicklung eines Bruches eine solche Periode schlussendlich ergibt oder dass die Dezimalbruchentwicklung einfach ab- bricht? Könnte es nicht doch Brüche geben, bei denen man nie fertig wird mit der Berech- nung der Ziffern der dazugehörigen Dezimalzahl?

Mögliche Antworten: Dreimal sieben ist 21. Die nächst größere Zehnerzahl ist 30, in der Divi- sion aus dem Rest 3 entsteht. Der Rest 3 liefert aber bei einer Division durch 7 die Ziffer 4, weil 4 ∙7 = 28. Deshalb kann die Ziffer 3 im Divisionsergebnis nicht auftreten. Ebenso kann für die Zahlen 6 und 9 argumentiert werden. Bestimmte Reste rufen im Dividionsvorgang

1 immer bestimmte (Perioden-) Ziffern hervor. Bei dem Bruch 7 und der dazugehörigen Divi- sion 1:7 sind dies: Reste 1 2 3 4 5 6 Periodenziffern 1 2 4 5 7 8

Auch wenn für viele SchülerInnen gefühlsmäßig klar ist, dass eine Divisionskette periodisch

1 wird oder abbricht, sind Überlegungen zur Einsicht wichtig. Am Beispiel 7 hilft die Analyse der Periodenziffern. Wie in der Tabelle ersichtlich, können nur die Reste 1 bis 6, alle kleiner als 7, auftreten. Die Reihenfolge des Auftretens hängt von der 7, also vom Nenner, ab und ist dann fest definiert. Das heißt, jeder Rest hat einen eindeutigen Nachfolger. Spätestens, wenn alle sechs Reste im Divisionsprozess aufgetreten sind, muss die Dezimalbruchentwick- lung abbrechen oder sich ein Rest wiederholen. (Vgl. Sigler 2007, S. 29f)

„Jeder Mensch, auch der so genannte Unbegabte, hat von sich aus Freude am Mathematisie- ren, wenn man ihn in geeigneter Weise anregt und ihm nicht die Lust daran nimmt.“ (Rosbi- galle 2010, S.8) Um zu mathematischen Wissen zu gelangen, ist es notwendig sich mit dem Entstehen, mit dem Schöpferischen in uns und mit aufsteigenden Ideen zu arbeiten. Aus diesen Vermutungen kann dann ein unbestreitbarer Beweis hervorgehen. Um diesen Prozess zu erlernen und zu üben findet Rolf Rosbigalle den Epochenunterricht (siehe Kapitel 2.2.2) in Waldorfschulen ideal und eine am genetischen Prinzip (siehe Kapitel 3.2.3) angelehnte er- kenntnisgenetische Methode. Dabei wird stets vom Besonderen zum Allgemeinen überge- führt (vgl. Rosbigalle 2010, S.9). Die drei oben beschriebenen Schritte zur Erkenntnis von Sigler beinhalten meiner Ansicht nach auch ein entdeckendes Element, welches in Verbin- dung mit dem genetischen Prinzip steht.

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3.3.1.2 Ein Blick in den Lehrplan Mathematik für Waldorfschulen Der Kern der mathematischen Aktivität ist die Problemlösung. Das Wesentliche ist, wie man ein Problem löst, nicht, was man als Antwort erhält. Mit einem solchen Schwerpunkt geht die Schulmathematik von beiden Grundlagen der Mathematik aus: Fantasie (Induktion) im An- fangsstadium und logische Schlussfolgerung (Deduktion) im späteren Stadium der mathemati- schen Aktivität. (Richter 2010, S.308)

Mit diesen Worten werden die Ideen zum Lehrplan des Faches Mathematik im Buch ‚Päda- gogischer Auftrag und Unterrichtsziele – vom Lehrplan der Waldorfschule‘ 1, welches mit Hil- fe zahlreicher WaldorfpädagogInnen im deutschsprachigen Raum von Tobias Richter heraus- gegeben wurde, eingeleitet. Zwei Zielsetzungen für den Mathematikunterricht werden dabei hervorgehoben (vgl. Richter 2010, S.308f):

• Die allgemeine Denkfähigkeit der SchülerInnen soll entwickelt werden. Vom Raten bis zum logischen Schlussfolgern sind hier alle Methoden gemeint. Wichtig ist es auch dabei das Selbstvertrauen und das Vertrauen in das eigene Denken der SchülerInnen zu stärken. • Weiters ist es ein Ziel, die SchülerInnen in Rechenmethoden zu schulen, die sie im All- tagsleben anwenden können und ihnen die notwendigen Vorkenntnisse für weiter- führende Ausbildungen zu liefern.

Zu den jeweiligen Klassen der Sekundarstufe 2 wird im Rahmen dieses Buches jeweils kurz zu Gesichtspunkten und Leitmotiven für den Unterricht und zu möglichen Unterrichtsinhalten, Stellung genommen. Hier werden diese Inhalte kurz zusammengefasst und eventuelle Be- sonderheiten erwähnt (Vgl. Richter 2010, S.311-325)

9. Schuljahr: In diesem Schuljahr ist es besonders wichtig, ‚wie‘ unterrichtet wird. Durch die Wahl von aussagekräftigen konkreten Beispielen können allgemeine Gesetzmäßigkeiten er- lebbar werden. Die Kombinatorik kann den SchülerInnen einen neuen Einstieg bieten ohne spezifische Voraussetzungen aus der Unterstufe, im Gegensatz zur weitergeführten Glei- chungslehre, die den SchülerInnen ein Übungsfeld für formale Fähigkeiten bieten. Unter den

1 Dieses Buch will keine verpflichtende Auflage für Waldorfschulen sein, sondern unterstützen und aufklären. Es ist im Rahmen des ‚Haager Kreises‘ – eine internationale Konferenz der Waldorfschulen – entstanden und im Vorwort werden alle Lesenden ausdrücklich aufgefordert weitere Vorschläge einzubringen. 1995 kam erstmals ein Manuskript dieses Schriftstückes heraus, das seitdem im stetigen Weiterentwicklungsprozess ist. Das hier angeführte Buch ist bereits die dritte erweiterte und aktualisierte Ausgabe. (vgl. Richter 2010, S.13-19) 70

Themen ‚algorithmische Rechenverfahren‘ (Kettenbrüche, goldener Schnitt) und ‚Inkom- mensurabilität in Arithmetik und Geometrie‘ (irrationale Zahlen, Kettenbrüche von Wurzeln, Formeln für gleichseitiges Dreieck und regelmäßiges Fünfeck), wird auch der Euklidsche Al- gorithmus in seiner Anwendung erwähnt. Ein Hauptfokus, wie allgemein in der Waldorfpä- dagogik sehr wichtig, liegt auf der Geometrie. Alle Flächen, Körper und auch die Kegelschnit- te sind Thema in diesem Schuljahr. Zu den Inhalten sollen auch die passenden Biographien der MathematikerInnen, die sich damit befasst haben, im Unterricht besprochen werden. Weiters wird die Ersteinsetzung des Taschenrechners für diese Klasse empfohlen. (Vgl. Rich- ter 2010, S.310-314)

10. Schuljahr: In diesem Schuljahr steht besonders der praktische Lebensbezug im Mittel- punkt. Die ebene Trigonometrie (Winkelmaßsysteme, Sinus, Cosinus, Tangens, Anwendun- gen im rechtwinkeligen und allgemeinen Dreieck) mit ihrer Anwendung im Feldmessprakti- kum, wobei ein Gebiet selbstständig von den SchülerInnen vermessen und maßstabgetreu gezeichnet werden muss, genauso wie der Einsatz von Sinus- und Cosinusfunktionen in der Physik, bieten hier Möglichkeiten. Darstellende Geometrie (Körperdarstellung, krummlinig begrenzte Körper, Schattenkonstruktionen, Schraube, Schnecke, Wendel, technisches Zeich- nen) und eine Einführung in die Buchhaltung weisen ebenso einen großen Praxisbezug auf. Weiters stehen noch Potenzen und Logarithmen, Quadratische Gleichungen und die geo- metrische Behandlung von Kreis und Gerade am Programm. (Vgl. Richter 2010, S.314-317)

11. Schuljahr: Die beiden Teilgebiete Geometrie und Algebra werden in der analytischen Geometrie (kartesisches und Polarkoordinatensystem, Geradengleichung in verschiedener Form, Vektoren aus der 10. Klasse Physik aufgreifen, Kreisgleichung, Lagebeziehungen, Tan- gentengleichung, komplexe Zahlen) zusammengeführt. Auch die projektive Geometrie (Zent- ralprojektion, unendlich ferne Elemente, Begriff der Dualität,…) und die sphärische Geomet- rie (Pol und Polarebenen der Kugel, nichteuklidische Geometrie auf der Kugel, Parallelenaxi- om,…) sind Themengebiete, die in dieses Schuljahr passen. Die Schwingungslehre (Polarko- ordinaten, Amplitude, Frequenz, Phasenverschiebung,…) als Vorbereitung für den Physikun- terricht dieses Schuljahres und Folgen und Reihen (endliche und unendliche geometrische Folgen und Reihen, Glied- und Summenformel, Grenzwertbegriff, grafische Behandlung, Zin- seszinsrechnung, Halbwertszeit, die Eulersche Zahl) sind weitere Inhalte. Ergänzende The-

71 men können auch aus der mathematischen Geografie/Astronomie, dem Bereich Aussagen- logik, Mengenlehre und weiteren Bereichen kommen. (Vgl. Richter 2010, S.317-322)

12. Schuljahr: War im vorherigen Schuljahr noch der Weg von der Anschauung zum Alge- braischen vorgegeben, so soll in diesem Schuljahr der Weg genau in umgekehrter Richtung beschritten werden. Die SchülerInnen sollen sich in der Analysis aus rein Zahlenmäßigen ei- nen Erlebniszugang zur Differential- und Integralrechnung verschaffen. Durch die Beschäfti- gung mit Grenzwerten von Folgen und Reihen kann ein Grenzwertbegriff entstehen, der über die Anschauung hinaus geht. „Durch das Erarbeiten des Begriffs Differenzenquotient soll der Schüler jene neue Dimension in der Mathematik begreifen: der Quotient zweier Dif- ferenzenfolgen, die beide gegen Null gehen, ergibt etwas völlig Neues.“ (Richter 2010, S.322) Erst nach dem theoretischen Durchschauen wird das Grafische als Darstellung des Rechneri- schen dazugestellt. „Aus der Gleichung die Form finden, aus der Form die Gleichung erken- nen – so wird versucht, im Schüler innere Aktivität zu erzeugen und ein Verständnis sowohl für den funktionellen Zusammenhang wie auch für das Qualitative in der Mathematik anzu- regen,[…]“ (Richter 2010, S.322) Weitere Inhalte können ähnlich wie im vorherigen Schuljahr die projektive und sphärische Geometrie betreffen. Auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung und die Statistik werden hier, als optionaler Inhalt, am Rande erwähnt. (Vgl. Richter 2010, S.322-325)

Im Lehrplan für Waldorfschulen in Österreich, ausgearbeitet vom Waldorfbund Österreich, werden auch zum Mathematikunterricht, wie auch schon im Kapitel 3.1.1.3, vier Kompeten- zen unterschieden (vgl. LW 2010, S.273-280). Der Fokus liegt dabei aber eindeutig auf den fachlichen Kompetenzen, die erworben werden sollen, diese stimmen fast durchgehend mit dem offiziellen österreichischen Lehrplan Mathematik für die Sekundarstufe 2 überein. Die 9. und 10. Klasse, sowie die 11. und 12. Klasse werden im Lehrplan jeweils gemeinsam be- trachtet. Das lässt einen gewissen Spielraum für die FachlehrerInnen, was die Reihenfolge der Inhalte angeht, zu. Hervorzuheben ist, dass die Geometrie in ihren verschiedenen For- men, sehr viel Platz in der Waldorfschule einnimmt. Weiters ist auffällig, dass die Statistik und die Wahrscheinlichkeitsrechnung in diesem Lehrplan keinen Eingang finden. Besonder- heiten im Lehrplan Mathematik der Waldorfschulen Österreich im Vergleich zum AHS- Regelschullehrplan werden im folgenden Absatz aufgelistet:

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In der 9. und 10. Schulstufe:

− Es werden verschiedene Winkelmaße erlernt. (Grad, Bogenmaß, Gon,…) − Die Trigonometrie wird im Vermessungspraktikum praktisch ausprobiert. − Die Geometrie hat einen hohen Stellenwert im Mathematikunterricht. − Die beschreibende Statistik und die Einführung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs fehlen. − Nur die arithmetischen und die geometrischen Folgen und Reihen sind Thema des Un- terrichts. − Die Vektorrechnung wird nur in der Ebene durchgeführt.

In der 11. und 12. Schulstufe:

− Die Monotonie, Beschränktheit und die Konvergenz von beliebigen Folgen und Reihen sind erst jetzt Unterrichtsinhalt. − Die Vektorrechnung wird erst jetzt auch in den Raum ausgedehnt. − Die Wahrscheinlichkeitsrechnung fehlt auch in diesen Schulstufen. − Die Inhalte zu den Dynamischen Prozessen fehlen. − Projektive und sphärische Geometrie, die im Regelschullehrplan der AHS nicht vor- kommen, sind im Lehrplan verankert.

Auch wenn dies im österreichischen Lehrplan der Waldorfschulen nicht ersichtlich ist, so wird doch die Differentialrechnung, so wie oben erwähnt, oft in die 12. Klasse verlegt. Auch der von mir hospitierte Lehrer in der Rudolf Steiner-Schule Wien Mauer handhabt dies so. Im Vergleich zum Regelschulunterricht lernen die SchülerInnen diese Inhalte eben erst ein Schuljahr später.

3.3.1.3 Einführung des Differentialquotienten – Darstellung und Vergleich zwischen Waldorf- und Regelschule Wie Schon unter Punkt 3.3.1.2 erwähnt, wird bei der Einführung der Differential- und Integ- ralrechnung in Waldorfschulen ein anderer Zugang gewählt. Diesen Zugang möchte ich im nächsten Abschnitt anhand eines Beispiels zur Einführung des Differentialquotienten skizzie- ren. Im nächsten Schritt wird diese dann mit der Einführung des gleichen mathematischen Inhaltes in gängigen Schulbüchern für Mathematik im Regelschulbetrieb, verglichen.

Uwe Hansen betont, dass es sinnvoll ist am Beginn einer Epoche immer eine Aufgabenstel- lung aufzuzeigen, anhand der die Inhalte der Epoche entwickelt werden können und auf welche im Laufe der Epoche immer zurückgegriffen werden kann (vgl. Hansen 2010a). Dies lässt sich auch mit den Überlegungen von Stephan Sigler zum Aufbau des Mathematikunter- richts, die im Kapitel 3.3.1.1. dargestellt sind, vereinbaren.

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Zur folgenden Einführung des Differentialquotienten, die von Uwe Hansen entwickelt wurde, wird dieses Beispiel vorgeschlagen (vgl. Hansen 2010a):

Aus einem quadratischen Stück Blech, mit Kantenlänge a = 30 cm, soll durch Abschneiden von quadratischen Ecken und Hochklappen der Seitenflächen ein Kasten ohne Deckel mit möglichst großem Volumen hergestellt werden. Wie groß muss die Höhe h gewählt werden?

Durch Überlegungen kann man dazu kommen, eine Tabelle zu erstellen, in der das Volumen in Abhängigkeit der Höhe dargestellt wird.

Höhe h in cm Breite in Volumen in cm 3 cm 1 28 1 ∙ 28 ∙ 28 = 784 2 26 2 ∙ 26 ∙ 26 = 1352 3 24 3 ∙ 24 ∙ 24 = 1728 4 22 4 ∙ 22 ∙ 22 = 1936 5 20 5 ∙ 20 ∙ 20 = 2000 6 18 6 ∙ 18 ∙ 18 = 1944 7 16 7 ∙ 16 ∙ 16 = 1792 8 14 8 ∙ 14 ∙ 14 = 1568 9 12 9 ∙ 12 ∙ 12 = 1296 10 10 10 ∙ 10 ∙ 10 = 1000 Dabei wird für die SchülerInnen meist klar, dass die Höhe 5 cm sein muss um das größte Vo- lumen hervor zu bringen. Doch kann man sich dabei sicher sein? Es könnten ja auch die Wer- te nahe um h = 5cm gelegen, zu einem größeren Volumen führen. Dies gilt es zu überprüfen. Mit der Überprüfung der Werte 4,8cm – 4,9cm – 5,1cm – 5,2cm geben sich die SchülerInnen meist zufrieden, weil dabei auch immer kleinere Volumen als 2000 das Ergebnis sind. Um jedoch ganz kleine Abstände von h = 5 cm zu berechnen muss man ein zu Hilfe nehmen, das eine kleine positive oder negative Länge sein soll. Daraus folgen diese Darstellungen:

Höhe: Breite: Volumen: ℎ = 5 + = 30 − 25 + 5 + = 20 − 2 ∙ 5 + = 20 − 2 = 2000 − 60 + 4 = 2000 − ∙ 60 − 4 Wenn < 15 ist, was wir annehmen, so ist er Faktor 60 − 4 positiv und wenn ≠ 0, dann wird von 2000 beim Berechnen des Volumens immer etwas abgezogen. Damit ist bewiesen, dass das Volumen bei h = 5cm maximal ist.

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Dieser maximale quadratischer Quader mit h = 5cm, b = 20cm hat die Grundfläche 400 cm², was die gleiche Fläche ist wie die vier Seitenflächen addiert. Genau diese Gleichheit begrün- det das maximale Volumen, wie sich durch die folgende Überlegung zeigen wird.

Zum Vergleich berechnet man das Volumen des quadratischen Quaders mit h = 4 + .

4 + = 22 − 2 ∙ 4 + 4 + = 1936 + 132 − 672 + 4 4 + − 1936 = 132−672 +4 ∙ Da 1936 = 4, siehe oben, kann die Gleichung auch in der Form ∆ = 132−672 +4 ∙ (1) geschrieben werden. Wobei hier ∆ , wie üblich für eine Differenz, in diesem Fall für 4 + − 4 steht. An dieser Form der Gleichung kann man nun den Grundgedanken der Differentialrechnung entwickeln. Unter dem Rückgriff auf Unterrichtserfahrungen beim Rechnen mit Nullfolgen und mit der Betrachtung des Faktors 132 − 672 + 4 aus der Gleichung (1), kann man erkennen, dass dieser Faktor, wenn eine Nullfolge durchläuft, den Grenzwert 132 hat.

„Die besonderen Schwierigkeiten der Differenzialrechnung bestehen nun darin, dass dieser Prozess des Nullwerdens von , also des Nullwerdens der Höhendifferenz gesondert ins Be- wusstsein genommen wird und mit dem gleichzeitigen Nullwerden der Volumendifferenz ∆ verglichen wird.“ (Hansen 2010a, S.139f) Da die Höhendifferenz bezeichnet, kann es durch die Schreibweise ∆ℎ ersetzt werden. Weil ∆ und ∆ℎ Nullfolgen bezeichnen und um diese zu Null werdenden Größen zu unterstreichen, schreibt man stattdessen die sogenannten Diffe- rentiale dℎ und d. Benutzt man den Grenzwert 132 und die neue Schreibweise, so erhält man durch einsetzen in Gleichung (1): d = 132 ∙ dℎ. Damit wird deutlich, dass diese Ein- führung nur sinnvoll ist, wenn es sich um Verhältnisse von Differentialen handelt.

Analog kann man zu folgenden Ergebnissen gelangen:

ℎ in cm in cm³ ℎ + d 3 1728 1728 + 288 − 84 + 4 288 dℎ 4 1936 1936 + 132 − 72 + 4 132 dℎ 5 2000 2000 + −60 + 4 0 dℎ 6 1944 1944 + −108 − 48 + 4 −108 dℎ 7 1792 1792 + −192 − 36 + 4 −192 dℎ 75

Diese Tabelle streicht die Besonderheit von h = 5cm in diesem Beispiel noch einmal heraus. Weiters kann man durch die Daten sehen, dass der Faktor vor dℎ immer gleich der Differenz zwischen Grundfläche und Flächeninhalt der vier Seitenflächen ist. Nun könnte man auf die Idee kommen, dass dieses Beispiel auch für die Höhe im allgemeinen Sinne formuliert wer- den kann.

= 30 − 2ℎ ∙ ℎ d = 30 − 2ℎ − 4ℎ30 − 2ℎ ∙ dℎ = 900 ℎ − 120 ℎ² + 4ℎ³ = 30 − 2ℎ30 − 6ℎ ∙ dℎ = 900−240ℎ +12ℎ ∙ dℎ

Der Faktor 900 − 240ℎ + 12ℎ ist 0 für ℎ = 5 oder ℎ = 15 . Der zweite Fall ergibt im Be- zug zur Aufgabenstellung keinen Sinn. Deshalb wird das maximale Volumen bei einer Höhe von 5cm erreicht.

Vergleicht man die folgenden beiden Zeilen, so kann es sein, dass einigen SchülerInnen die bekannte Potenzregel für das Differenzieren, auch Ableitungsregeln genannt, selbst auffällt.

= 900ℎ − 120ℎ² + 4ℎ³

d = 900 − 240ℎ + 12ℎ ∙ dℎ

Der hier skizziert Gedankengang ist für Schüler nur mit besonderer Aktivität nachzuvollziehen. Er entspricht aber durchaus den Anforderungen einer 12. Klasse. Der Differentialquotient, also das Verhältnis von ‚werdenden Nullen‘, entzieht sich dem Bereich der Vorstellung; […] Man kann ihn nur durch im Inneren erlebbare […] Willensimpulse erfassen, […] eine Definition des Differentialquotienten als Tangentensteigung erfasst nicht das Wesentliche. (Hansen 2010a, S.142)

Um ein gutes Verständnis der SchülerInnen zu gewährleisten, sollten weitere ähnliche Bei- spiele 1 im Unterricht erarbeitet werden. Erst danach soll eine allgemeine Form von der Ab- leitungsregel folgen, dann die Benennung dieses Rechenvorgangs als Differentiation, die Schreibweise ′, dann wieder Beispiele und erst ganz zum Schluss soll es zur graphischen Darstellung des Differentialquotienten als Steigung im Punkt einer Funktion kommen. (Vgl. Hansen 2010a, S.142-154)

1 Vier weitere gut ausgearbeitete Beispiele findet man im zitierten Artikel (siehe Hansen 2010a, S.142-151) 76

Natürlich sind die Ausführungen in den Regelschulbüchern nicht so detailliert beschrieben wie in der oben angeführten Einführung, die eine Zusammenfassung für Lehrpersonen dar- stellt und in ihrem Originaltext viele didaktische Hinweise beinhaltet. Doch kann man erken- nen, aus welcher Richtung die Schulbücher den Differentialquotienten erklären wollen.

Im Schulbuch ‚Mathematik verstehen 7‘ (Malle 2011) werden zuallererst die Grundkompe- tenzen aufgelistet, die es im Kapitel ‚Grundbegriffe der Differentialrechung‘ zu erlernen gilt. Darunter fällt auch das Kennen und Interpretieren können von Differenzenquotienten (die mittlere Änderungsrate) und Differentialquotienten (die Änderungsrate). Anhand eines Bei- spiels wird dann über eine Wegfunktion, die abhängig ist von der Zeit, die mittlere Ge- schwindigkeit und die Momentangeschwindigkeit, in das Thema eingeführt. Der Übergang vom Differenzenquotienten zum Differentialquotienten passiert folgendermaßen (vgl. Malle 2011, S. 12f):

1. Die gegebene Wegfunktion lautet: = 5² 2. Die mittlere Geschwindigkeit im Zeitintervall ; kann für diese Wegfunktion so b erech net werden: − 5² − 5² 5 − 5 − + ; = = = = = 5 + − − − − Die Formel gilt für ≠ , damit die Nenner nicht Null werden. 3. Um die Momenta ngeschwindigkeit zum Zeitpunkt = 3, die als 3 bezei chnet wird, zu berechnen, ermittelt man die mittlere Geschwindigkeit für immer kleinere Zeitintervalle 3; . Das z ist dabei immer näher bei 3 zu wählen um dadurch eine bessere Näherung der gesuchten Geschwindigkeit zu erlangen. Wie aus 2. ersichtlich, gilt für = 3: 3; = 5 + 3 für ≠ 3. Nun beginnt man die mittlere Geschwindigkeit für immer näher bei 3 liegende z-Werte zu berechnen.

Zeitintervall Mittlere Geschwindigkeit 3; 3; 3; 4 35 3; 3,5 32 ,5 3; 3,1 30 ,5 3; 3.01 30 ,05 3; 3,001 30 ,005 Die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt = 3 kann man als Grenzwert dieser mittleren Ge- schwindigkeiten auffassen, wenn sich z der Zahl 3 beliebig annähert.

Dies schreibt man kurz so an: 3 = lim → 3; 77

Aufgrund der Tabelle vermuten wir: Wenn sich z unbegrenzt der Zahl 3 annähert, dann n ä-

hert sich 3; unbegrenzt der Zahl 30. Also: 3 = lim → 3; = 30 /

Danach folgt ein kurzer Hinweis, dass diese näherungsweise Rechnung notwendig ist, da ≠ 3 sein darf und die allgemeine Definition von der mittleren Geschwindigkeit in einem Zeitintervall und die Momentangeschwindigkeit zu einem Zeitpunkt gegeben ist. Nach zwei weiteren Beispielen zur Änderungsrate, wobei darauf hingewiesen wird, dass dieses Konzept auch bei anderen Veränderungen, wie beispielsweise Volumenzunahme, angewandt werden kann, folgt eine allgemeine Definition des Differenzenquotienten und des Differentialquo- tienten. Diese bleiben jedoch nahezu unkommentiert. Es folgen Übungsbeispiele. (Vgl. Malle 2011, S.12-16)

Dieser Zugang ist ein gänzlich anderer, als der zuvor geschilderte. Die geometrische Deutung steht auch hier nicht zu Beginn, doch wird von einem grundgelegten physikalischen Ver- ständnis ausgegangen. Der Differentialquotient wird hier in seiner Anwendung dargebracht.

Das Schulbuch ‚tema mathematik 7‘ (Brand 2011) schlägt die Einführung des Differenzen- quotienten über die geometrische Deutung vor. Nach der Benennung der Variablen, Funkti- onen und Zeichen folgt sofort die allgemeine Definition des Differenzenquotienten mit der passenden, erklärenden Skizze der Sekantensteigung. Darauf folgt die Behandlung der The- men Sekante und Tangente, bevor der Differentialquotient zuerst geometrisch als Tangen- tenproblem, dann als Momentangeschwindigkeit und zuletzt als momentane Änderungsrate, eingeführt wird. (Vgl. Brand 2011, S.38-47)

Hier wird die Einführung des Differentialquotienten gerade von der anderen Richtung, von der geometrischen Interpretation her, gestartet, als Hansen für den waldorfpädagogischen Mathematikunterricht vorschlägt. Der Differentialquotient als Steigung der Tangente im Punkt einer Kurve wird dort erst am Ende thematisiert. Auch im Schulbuch ‚Elemente der Mathematik 7‘ ist der geometrische Zugang dominierend (vgl. Geretschläger 2006, S.32-50).

Die Einführung des Differentialquotienten von Hansen geht direkt von einer Extremwertauf- gabe aus, die im Regelschulunterricht meist erst nach der Einführung der Ableitungsregeln (vgl. Malle 2010, Brand 2011 und Geretschläger 2006) auf dem Programm stehen. Dieser

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Zugang über das Erkennen des Verhältnisses zwischen Differentialen kommt in keinem der drei von mir analysierten Schulbücher vor.

Setzt man die Suche nach einem Maximum oder Minimum an den Beginn dieser Einführung, so unterstreicht man den Zugang des Differenzialquotienten als Zahlenphänomen (vgl. Hut- ter 2010, S. 155). Die im Sinne der Waldorfpädagogik entwickelte Einführung kann abschlie- ßend so zusammengefasst werden: „Der Differenzialquotient in seiner elementaren Sinnhaf- tigkeit hat etwas mit einer im Denken zu vollziehenden Akzeptanz und Benennbarkeit des Unendlichkleinen zu tun. Das Unendlichkleine wiederum setzt ein Kontinuierliches voraus, dass unbegrenzt zerteilt werden kann. […] Ausgehend von möglichst praktischen Fragen soll versucht werden ohne Formalismen und vereinfachende geometrische Hilfen dieses Reich des Zahlenkontinuums anfänglich zu erschließen.“ (Hutter 2010, S.155)

3.3.2 Praxisbericht – Rudolf Steiner-Schule Mauer

Eine nicht-strukturierte, offene, nicht-teilnehmende Fremdbeobachtung im Feld, die nicht apperativ unterstützt wurde, war die von mir durchgeführte Hospitation in der Rudolf Stei- ner-Schule Wien Mauer. Drei Tage lang, von 13. bis 15. 5. 2013, durfte ich jeden Tag die ers- ten beiden Schulstunden der 10.Klasse, die gerade an einer Mathematikepoche unter der Leitung von Herrn Holger Finke 1 arbeitete, beobachten. Diese Gelegenheit nutzte ich um den Mathematikunterricht an einer Waldorfschule hautnah zu erleben und weitere Informatio- nen zum Mathematikunterricht der Waldorfschulen in der Sekundarstufe 2 zu erhalten. So- wohl die Beobachtungen während den Schulstunden, als auch die Gespräche zwischen und nach dem Unterricht habe ich teilweise währenddessen, teilweise danach schriftlich in Hos- pitationsberichten und Gesprächsprotokollen festgehalten.

1 Herr Holger Finke hat das Studium des Maschinenbaus an der Technischen Universität Braunschweig absol- viert, die Ausbildung zum Waldorflehrer am Seminar für Waldorfpädagogik Hamburg gemacht, ist seit 1994 Oberstufenlehrer für die Fächer Mathematik, Physik und Kunstgeschichte an der Rudolf Steiner-Schule Wien Mauer und ab 2001 Dozent am Zentrum für Kultur und Pädagogik in Wien (Schwerpunkt: Methodik/Didaktik). (vgl. Zentrum für Kultur und Pädagogik o.J.) 79

Beschreibung der Rahmenbedingungen/ Beschreibung der Schule:

Die Rudolf Steiner-Schule Wien Mauer ist seit 40 Jahren eine autonome Schule mit staatlich anerkanntem Öffentlichkeitsrecht, jedoch in Selbstverwaltung von LehrerInnen und Eltern geführt. Die Schule wird als koedukative Gesamtschule von zwölf Schulstufen geführt, Schul- eintritt wie üblich meist mit 6 Jahren. Diese Schule hat ihren Schwerpunkt im künstlerisch- handwerklichem Unterricht und ist politisch und konfessionell unabhängig und offen. Die angewandte Methodik und die Lehrinhalte orientieren sich an den Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel, diese optimal zu fördern. Die Matura kann nicht an der Schule selbst, sondern erst nach dem Besuch der 8. Klasse einer AHS dort, oder an einer Abendschule absolviert werden. Das zu entrichtende Schulgeld wird gestaffelt nach der Anzahl der Kinder und des Jahreslohns berechnet. (Vgl. Rudolf Steiner-Schule Wien-Mauer o.J.)

Wie in Waldorfschulen allgemein üblich, wird auch in dieser Schule in der Unter- und Mittel- stufe, also die ersten acht Schuljahre, die Klasse von einer/einem LehrerIn geführt. In der Oberstufe, ab der 9. Klasse, gibt es ein FachlehrerInnensystem. Dabei wird auch das Fach Mathematik von einer Fachlehrperson übernommen.

Die von mir hospitierte 10. Klasse, die ca. 20 SchülerInnen umfasste, hatte gerade eine Ma- thematikepoche zum Thema Trigonometrie. Epochenunterricht heißt, dass über drei bis vier Wochen hinweg die Klasse in den ersten 100 Minuten immer ein Fach belegt. In diesem Fall Mathematik. Laut Angaben des Lehrers kommt es zu zwei Epochen pro Unterrichtsfach im Schuljahr. Zusätzlich gibt es ganzjährlich drei Stunden Mathematik pro Woche. Während einer Mathematikepoche werden diese Stunden als Übungsstunden, ansonsten auch als Er- arbeitungsstunden geführt.

Die Trigonometrieepoche diente in diesem Fall auch der Vorbereitung des Vermessungs- praktikums, dass im Anschluss der Epoche von den SchülerInnen dieser Klasse im Waldviertel durchgeführt werden sollte. Dort erwartete sie die Aufgabe einen maßstabgetreuen Plan eines Dorfes selbstständig anzufertigen.

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Ziel meiner Hospitation:

Da es sich als schwierig herausgestellt hatte an Informationen zum Mathematikunterricht an Waldorfschulen in der Oberstufe zu kommen, habe ich beschlossen einen solchen Unterricht zu besuchen, um ihn selbst zu erleben und mit Personen in Kontakt zu kommen, die mir wei- tere Informationen geben können.

Beobachtungen:

Die folgenden Beobachtungen werden ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihres Geschehens aneinandergereiht. Mein Versuch war es, die Besonderheiten im Vergleich zu dem mir bis jetzt bekannten Unterricht, herauszugreifen. In den folgenden Darstellungen versuche ich die konkreten Beobachtungen klar von meinen Interpretationen und Anmerkungen zu tren- nen, indem diese kursiv geschrieben sind.

Der Schultag beginnt um 8 Uhr. Einige SchülerInnen sind um diese Zeit anwesend, die meis- ten kommen erst nach und nach. Während dieser Zeit (ca.10 Minuten) werden vom Lehrer noch Vorbereitungen getroffen, beispielsweise Unterrichtsmaterial herangeschafft. Zum gemeinsamen Beginn stehen alle SchülerInnen auf und der Morgenspruch wird gemeinsam gesprochen. Danach folgen an zwei von drei Tagen Kopfrechenübungen zum Potenzrechen (20 , 30 , 40 ,…) und Multiplikationen von zweistelligen Zahlen ( 32 ∙ 28, 22 ∙ 18, 42 ∙ 38 , …,33∙27,43∙38,63∙57,…). Die SchülerInnen waren im Kopfrechnen dermaßen schnell, dass ich Bewunderung für sie empfand.

Der Unterricht wurde an allen drei von mir beobachteten Tagen frontal geführt. Der Lehrer war stets höflich und freundlich und ist auf alle Fragen der SchülerInnen eingegangen. Ich hatte das Gefühl, dem Lehrer war es sehr wichtig den SchülerInnen wertschätzend und ge- duldig zu begegnen. Vergleiche ich diesen Unterricht mit dem mit bisher bekannten, so scheint er mir sehr viel langsamer voranzuschreiten, dafür aber genauer ins Detail gehend.

Alle Inhalte wurden von den SchülerInnen in einem Epochenheft festgehalten. Entweder die SchülerInnen übertrugen das Tafelbild ins Heft oder der Lehrer diktierte die niederzuschrei- benden Worte. Diese Epochenhefte sollen auch als selbst hergestellte Nachschlagewerke fungieren, erfuhr ich vom Lehrer. Wahrscheinlich war dies mit ein Grund für das am sorgfäl- tigsten strukturierte Tafelbild, das ich bis dahin gesehen hatte.

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Immer wieder gab es Sequenzen, an allen drei Tagen, in denen der Lehrer die SchülerInnen aufforderte nicht mitzuschreiben, sondern nur zuzuhören, mitzureden und mitzudenken. Diese Phasen wurden vor allem beim Entwickeln neuer Inhalte eingesetzt.

Weiters konnte ich die Benutzung von einfachen Taschenrechnern ohne Zeichenfunktion beobachten und das Vorstellen eines Theodoliten und seiner Funktionsweise. Am zweiten Tag meiner Hospitationszeit stand der Theodolit die ganze Unterrichtszeit in der Klasse und der Lehrer erklärte immer wieder etwas zu diesem Gerät. Am dritten Tag wurde er von den SchülerInnen im angrenzenden Garten der Schule ausprobiert, bei dem Versuch den Teich zu vermessen. Auch im Vermessungspraktikum wird mit diesen Winkelmessgeräten gearbeitet. Bevor der Teich von einigen SchülerInnen der Klasse vermessen wurde, hatte jeder die Gele- genheit die Länge des Teiches zu schätzen. Diese Werte wurden vom Lehrer notiert und ein Gewinnspiel veranstaltet. Der Einbau dieses Wettbewerbs hat die SchülerInnen motiviert. Der Unterricht im Freien war für manche SchülerInnen eine gute Gelegenheit sich nicht zu beteili- gen, andere wiederum waren engagierter als in der Klasse.

Hausübungen wurden jeden Tag aufgegeben, doch wurde es den SchülerInnen oft frei ge- stellt leichtere oder schwierigere Aufgaben zu wählen. Die Hausübungen wurden immer am nächsten Tag mündlich, wenn Schwierigkeiten auftraten auch mit Hilfe der Tafel, verglichen. Dabei wurde mit der Zeit nicht gespart. Es war dem Lehrer, so denke ich, sehr wichtig, dass alle in der Klasse die Beispiele gut verstanden haben. Manchmal wurden Beispiele auch meh- rere Male erklärt, oder in Übungsphasen nochmals für eine kleine Gruppe.

Ich empfand die Übergänge von verschiedenen Phasen im Unterricht sehr angenehm, auch wurde immer ein Bezug zu den letzten Stunden aufgebaut, oft lang zurückliegende Beispiele wieder aufgegriffen und daran weitergearbeitet, wie z.B. beim Teichvermessungsproblem.

Das Verhalten der SchülerInnen war meiner Meinung nach im Ganzen eher produktiv als de- struktiv. Die Klasse arbeitet bis auf einzelne gut mit und reagierte sofort auf Hinweise und Ermahnungen.

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Informationen aus den Gesprächen:

Die folgenden Punkte entnehme ich meinen Gesprächsprotokollen, die ich immer unmittel- bar nach den Besprechungen mit Herrn Holger Finke angefertigt habe. Die folgenden Infor- mationen beziehen sich auf sein Wissen über die Waldorfpädagogik und seine jahrelange Erfahrungen als Lehrer.

Sowohl die Woche, als auch jeder Morgen beginnt an der Rudolf Steiner-Schule in Wien- Mauer mit einer rhythmischen Einheit. So beginnt der Montagmorgen mit einer 50minütigen Choreinheit aller Oberstufen Klassen gemeinsam. Auch die Unterrichtseinheiten in Mathe- matik beginnen immer mit einer rhythmischen Phase, zum Beispiel den oben beschriebenen Kopfrechenübungen. Darauf folgen eine Wiederholungsphase, eine Erarbeitungs- und eine Übungsphase. Dieser Ablauf ist die Grundlage für den Unterrichtsverlauf.

Da die Rudolf Steiner-Schule in Mauer eine Gesamtschule ist und es keine Vorselektion gibt, entstehen in den jeweiligen Klassen auch individuelle Leistungsunterschiede der SchülerIn- nen. Dies ist auch der Grund, meint Herr Holger Finke, warum weitgehend frontal unterrich- tet wird, so dass alle SchülerInnen bei der Entwicklung von Ideen beteiligt sein können unter der Leitung der Lehrperson. So können die SchülerInnen beispielsweise unter aktiver Ein- bringung zu den Formeln hingeführt werden und die Herleitungen in kleinen Schritten ver- stehen.

Das Schulbuch wird nur in den Übungsphasen verwendet, nicht aber zur Erarbeitung selbst. Dazu merkt Herr Finke an, dass die Erklärungen in den Schulbüchern für seinen Unterricht meist zu schwer verständlich sind. In diesen erwähnten Übungsphasen kommt es dann auch zu Partner- und Gruppenarbeiten, weil diese offener gestaltet sind.

Der Praxisbezug ist zu jeder Zeit sehr wichtig und wird beim Lernen der Trigonometrie mit dem anschließenden Vermessungsprojekt besonders unterstrichen.

Die Unterrichtsinhalte lineare Funktionen und Trigonometrie werden erst in der 10. Klasse unterrichtet und die Wahrscheinlichkeitsrechnung wird gar nicht unterrichtet. Diese kann bei Bedarf für die Matura nach der Waldorfschule selbst nachgeholt werden. Auch liegt der Fokus nicht so sehr auf den Inhalten zum mathematischen Funktionsbegriff im Vergleich zur

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Regelschule. Durch das Reduzieren von Inhalten entsteht mehr Zeit die Basisinhalte besser zu verstehen.

Das Sitzenbleiben in dieser Schule passiert nur in sehr seltenen Ausnahmefällen. Der Schul- stoff wird normalerweise in den Sommerferien nachgeholt. Hier stehen die Lehrer in enger Zusammenarbeit mit den Eltern. Auch das in der Regelschule übliche Frühwarnsystem gibt es nicht. Wichtige Dinge, wie Leistungsabfall und ähnliches, wird in Elterngesprächen behan- delt. Wobei der soziale und familiäre Hintergrund der SchülerInnen auch beachtet wird.

Die Beurteilungen am Ende jedes Jahres sind schriftlich und pro SchülerIn, pro Fach ca. eine viertel bis halbe Seite lang. Darin wird nicht nur die Leistung, sondern auch die Weiterent- wicklung des Kindes/Jugendlichen beschrieben. Für die Beurteilung der Leistung verwendet Herr Finke in der Oberstufe jedoch die genormten Wörter für die übliche fünfteilige Noten- skala, um den SchülerInnen eine Orientierung zur Selbsteinschätzung der Leistung zu liefern.

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3.3.3 Mathematikunterricht in der Montessoripädagogik

3.3.3.1 Theoretischer Hintergrund Die Beobachtung von Montessori, dass schon für Vorschulkinder das Zählen und Zahlen in- teressant sind, ist bedeutsam. Kinder zählen in diesem Alter oft schon kleine Mengen an Ge- genständen, sind stolz auf die Kenntnis der Zahlen bis Zehn und erleben erste Erfahrungen mit der Grundoperation, dem Teilen, im sozialen Kontext. Für Montessori ist es deshalb wichtig, schon früh genug den mathematischen Geist zu fördern. Schon vor dem sechsten Lebensjahr, das heißt auch vor dem Beginn des schulischen Mathematikunterrichts, sieht sie diesen Förderbedarf. Außerdem kritisiert Montessori den herkömmlichen Mathematikunter- richt wegen seiner monotonen Übungen, die den mathematischen Geist abtöten und kein tieferes Verständnis anregen. Schon im Montessori-Kindergarten beginnt die Beschäftigung mit Mathematik-Materialien. Durch diese Beschäftigung mit allen Sinnen und mit Bewegung kann die spätere Abstraktion vorbereitet werden. (Vgl. Klein-Landeck 2009, S.80f)

Das Material zur Arithmetik und Geometrie reicht von den Numerischen Stangen, übers gol- dene Perlenmaterial, bis hin zu Additions-/ Subtraktionsbrettern und Bruchkreisen, um nur einige wenige zu nennen (vgl. Eichelberger 1998, S.65-96). Hier wird die genaue Beschrei- bung von Materialien ausgelassen, da es nur bis circa zur 7. Grundschulstufe im Unterricht eingesetzt werden kann. Danach gehen die Inhalte des Lehrplans darüber hinaus. In der Se- kundarstufe 1 ist der Einnsatz von Montessori-Material auch in der Regelschule gut möglich, wie es das Buch ‚Handlungsorientierter Mathematikunterricht‘ von Böhme, Grävenstein und Seib zeigt (siehe Böhme 2010). Auch wenn sich die Methoden des Unterrichts, die Arbeit der SchülerInnen durch das Wegfallen von Sinnesmaterial, ändert (siehe Kapitel 3.1.2.3), bleibt die Mathematik ein bedeutender Inhalt im montessoripädagogischen Konzept.

In Montessoris Studien- und Arbeitsplan für das Jugendalter, kommt unter dem Abschnitt „auf das antworten, was wir als die schöpferischen Elemente des Psychischen Seins beim Menschen allgemein betrachten“ (Montessori 1966, S.113), auch die Mathematik, neben moralischer Erziehung und Sprache, als Antwort vor. Montessori ist der Ansicht, dass sich die menschliche Intelligenz von einer Natürlichen, zu einer Mathematischen weiterentwickelt habe. Deshalb ist es ohne mathematische Bildung auch nicht möglich die Fortschritte unse- rer Zeit und die Welt zu begreifen. (Vgl. Montessori 1966, S.113f)

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Ein Geist ohne mathematischer Bildung ist heute dem Menschen zu vergleichen, der das Al- phabet nicht kannte zu der Zeit, als alles aus der literarischen Bildung hervorging. Schon im Na- turzustand ist der menschliche Geist ein mathematischer: Er tendiert zur Genauigkeit, zum Maß und zum Vergleich. Er ist fähig, in bestimmten Grenzen zahlreiche Wirkungen zu begrei- fen, die die Natur den Menschen darbietet, während sie ihm die Welt der Ursachen verbirgt. (Montessori 1966, S. 114)

Seit Maria Montessori diese Worte formuliert hat, ist der gesellschaftliche, technische und wissenschaftliche Stand der Entwicklung natürlich fortgeschritten. Doch durch die hohe Technisierung unseres realen Lebensalltags sind ihre Worte nach wie vor berechtigt.

Erwähnen möchte ich hier auch noch, ohne jedoch näher darauf einzugehen, die beiden Werke Psico-Geometria/ Psychogeometrie 1 und Psico-Aritmética/ Psychoarithmetik 2 von Maria Montessori, in denen sich auch Überlegungen zum mathematischen Geist finden. Bei- de Bücher behandeln jedoch keine Inhalte der Sekundarstufe 2.

3.3.3.2 Mathematik für Jugendliche – Ein möglicher Ansatz der Durchführung Der Amerikaner, Michael Waski 3, beschäftigt sich mit Mathematikunterricht im sinne Mon- tessoris im Jugendalter. In einem Artikel, der einen Vortrag von ihm wiedergibt, mit dem Titel ‚Mathematik für Jugendliche – ein historische orientierter Ansatz‘, in der halbjährlich erscheinenden Zeitschrift ‚Das Kind‘ der Deutschen Montessori Gesellschaft, beschreibt er einen möglichen Ansatz Mathematikunterricht zu gestalten (siehe Waski 2010).

Dabei geht er von seiner eigenen Erfahrung aus, dass er durch ein Buch über die Geschichte von seine Begeisterung für die Mathematik entdeckt hat. Mit den folgenden Worten be- gründet er seinen Unterrichtszugang:

Über die historische Entwicklung an den Mathematikunterricht heranzugehen oder ihn zumin- dest in seine geschichtlichen Zusammenhängen zu stellen, ist von großem Nutzen für die Schü- ler. […] Mit nichts lässt sich die Fantasie von Jugendlichen so leicht anregen wie mit einer gut erzählten Geschichte. Auf ihrer Suche nach einer eigenen Identität nehmen Jugendliche sich gern historische Helden als Vorbild. Im Unterricht können sie sozusagen Seite an Seite mit den

1 MONTESSORI, Maria 2012 (Originalausgabe 1934): Psychogeometrie. Das Studium der Geometrie basierend auf der Psychologie des Kindes. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 295. 2 MONTESSORI, Maria 2012 (Originalausgabe 1934): Psychoarithmetik. Die Arithmetik dargestellt unter Berück- sichtigung kinderpsychologischer Erfahrungen während 25 Jahren. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 470. 3 Michael Waski ist Tätig an der Montessori High School at University Circle in Cleveland, Ohio. Siehe dazu: http://www.montessorihighschool.org/faculty_and_staff.htm 86

Mathematikern der Vergangenheit arbeiten und in gedanklichen Wettstreit mit ihnen treten. (Waski 2010, S.69f)

Beschäftigt man sich mit Mathematik, dann muss man oft schon Erlerntes wieder ins Be- wusstsein holen und nochmals einüben. Wenn man Inhalte verstanden hat, und ihre ge- schichtlichen Wurzeln, sowie ihren Zweck kennt, kann man sich diese leichter wieder präsent machen und auch herleiten. Auch wenn SchülerInnen dabei nichts Neues erlernen, so macht ihnen das Üben doch meist Spaß, wenn es in einem neuen Kontext passiert. Eine historische Herangehensweise kann einen solchen Kontext schaffen. Allgemein umrissen kann die Ge- schichte der Mathematik so gesehen werden: Zuerst war die Mathematik dazu da um prakti- sche Probleme zu lösen, später wurde sie zu einer Art Naturphilosophie und erst dann wurde sie zu einer eigenen naturwissenschaftlichen Disziplin. Viele Mathematiker waren zusätzlich auch Philosophen, Ingenieure oder Politiker. (Vgl. Waski 2010, S.71f)

Michael Waski gestaltet seinen Mathematikunterricht an der High School in einem Klassen- zimmer, dass er zu einem Labor verwandelt hat, indem sich die SchülerInnen ausschließlich mit der Disziplin der Mathematik beschäftigen. Er versucht nicht, im Mathematikunterricht Situationen zu schaffen, in denen Mathematik nützlich ist, da diese seiner Meinung nach gekünstelt wirken. Sehr wohl versucht Herr Waski jedoch LehrerInnen anderer Fächer dabei behilflich zu sein, den Einsatz von Mathematik zu integrieren. Beispielsweise durch die Aus- wertung von gesammelten Daten im Physikunterricht. Dies begründet er damit, dass er den SchülerInnen bloß ein Beispiel für den Einsatz der Mathematik geben könnte im eigenen Unterricht, ohne, dass dies einen realen Zweck verfolge. Hier greift der historische Ansatz für seinen den Mathematikunterricht wieder, und auch die Verbindungen zu anderen Fächern können über die geschichtliche Einbindung entstehen. (Vgl. Waski 2010, S.72)

Um SchülerInnen an mathematische Inhalte heranzuführen gibt es drei verschiedene Vorge- hensweisen. Man kann die SchülerInnen mit dem Sachverhalt alleine lassen, d. h. sie müssen die Lösungen und Formeln alleine entwickeln. Die ist für anspruchsvollere Aufgabenstellun- gen oft zu schwierig. Die zweite Möglichkeit besteht darin, als Lehrperson die Lösung zu prä- sentieren, was natürlich zu keinem tieferen Verständnis führt. Oder aber, man begleitet die SchülerInnen auf dem Pfad zur Lösung oder zur Formel. Dieser letzte Weg wird auch von Michael Waski empfohlen. (Vgl. Waski 2010, S.72f)

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Sie folgen dadurch auf ganz konkrete Weise den Fußstapfen von Menschen, die vor ihnen ge- lebt haben. Sie arbeiten Seite an Seite mit Gauß, Newton und Archimedes, und nicht nur mit dem Mathematiklehrer in ihrem Klassenzimmer. (Waski 2010, S.73)

Im Anhang findet man eine dieser Ausarbeitungen eines begleitenden Pfades von ihm (siehe Anhang 8.6).

Folgende Vorschläge, und einige weirtere, werden für einen historisch ausgerichteten Ma- thematikunterricht im Artikel gemacht (vgl. Waski 2010, S.74f):

• Diophantos von Alexandrien schrieb das Buch ‚Arithmetika‘, welches als erstes Lehr- buch der Algebra gilt. Dieses kann als Primärtext verwendet werden. • Auf Euklid und sein Werk ‚Die Elemente‘ kann im Unterricht bei der Erarbeitung ge- ometrischer Themen verwiesen werden. • Fibonacci, der die arabischen Ziffern in Europa einführte, und dessen Fibonacci-Folge in Botanik, Astronomie, Musik, usw. Anwendungen findet, kann im Unterricht einge- baut werden.

Abschließend möchte ich noch eine, der von Waski aufgezählten Anekdoten 1 zur Geschichte der Mathematik einbringen, mit denen man den Mathematikunterricht seiner Meinung nach versüßen kann:

Blaise Pascals Vater wollte, dass sein Sohn eine humanistische Bildung bekommt und ließ ihn bereits im Kindesalter in den klassischen sprachen ausbilden. Als Blaise zum ersten Mal fragte, was es mit der Geometrie auf sich habe (im Alter von neun), sagte man ihm schlicht, dabei handele es sich um einen Studienzweig, der sich mit Formen beschäftigt. Den Jungen interes- sierte das, und ohne jegliche Hilfe erarbeitete er sich Euklids erste 32 Sätze, und zwar in der richtigen Reihenfolge. Danach bestand Pascals Vater nicht mehr darauf, dass er neben seinen mathematischen Studien auch noch solche in alter Sprache betrieb. (Waski 2010, S. 75)

1 Weitere Geschichten, Ideen für den Einsatz von Primärwerken von Mathematikern und Literaturhinweise findet man im Artikel (Waski 2010). 88

3.3.4 Praxisbericht Um herauszufinden, wie Mathematikunterricht der Sekundarstufe 2, in von der Montessori- pädagogik geprägten Schulen tatsächlich passiert, habe ich einen offenen Fragebogen entwi- ckelt und diesen an 15 Schulen 1 in Deutschland verschickt. Vier Reaktionen habe ich auf meine Aussendungen erhalten, wobei zwei Rückmeldungen auch die Beantwortung meiner Fragen beinhaltet haben. Weiters habe ich ein Interview mit Herrn Mag. Andreas Bernhofer geführt, der seit fünf Jahren am Montessori Oberstufenrealgymnasium der Diakonie Salz- burg in Grödig Mathematik unterrichtet.

3.3.4.1 Fragebogen Da ich beim Sammeln von Informationen zum Mathematikunterricht im Sinne der Montes- soripädagogik sehr schnell den Mangel an Literatur allgemein und der Umsetzung in Öster- reich bemerkte, entschied ich mich dafür einen ungezwungenen Kontakt zu Schulen dieser Art in Deutschland aufzunehmen.

Ziel der Versendung des Fragebogens 2, der die Bereiche Schulalltag, Mathematikunterricht und die Überprüfung der Leistungen mit offen gestellten Fragen abdeckt, an 12 Schulen in Deutschland war es, Informationen zur alltäglichen Umsetzung einzuholen. Die zwei brauch- baren Rückmeldungen 3, von zwei Lehrerinnen, möchte ich zusammenfassend darstellen. Beim Lesen ist dabei zu beachten, dass Deutschland ein anderes rechtliches Schulsystem pflegt als Österreich.

Montessori-Schule Chemnitz 4

In der Schule gibt es altersgemischte Klassen. In der Mittelschule, bzw. im Gymnasium wer- den jeweils zwei oder drei Jahrgänge zu einer Klasse zusammengefasst. Die gymnasiale Oberstufe (10.-12. Schulstufe), die gerade im Aufbau ist, wird auch in einer Klasse zusam- mengefasst. In der Mittelstufe beginnt der Tag mit der Werkstatt, damit ist einführender Unterricht gemeint, bis 9.45 Uhr. Danach folgen zwei Stunden Freiarbeit und eine 40- minütige Mittagspause. Der Nachmittag wird mit einer längeren Stilleübung begonnen, die

1 Genau angeführt sind diese auf der Liste der Montessorischulen im Anhang 8.3. 2 Der offene Fragebogen ist im Anhang 8.1 zu finden. 3 Die beiden Rückmeldungen sind in ihrer ganzen Länge im Anhang 8.2 zu finden. 4 Montessori-Schule Chemnitz, Freie integrative Schule, Gymnasium/Mittelschule. Adresse: Fürstenstraße 147, 09130 Chemnitz, Deutschland. Weiteres Informationen findet man unter: http://www.montessori-chemnitz.de/de/montessori-gymnasium-mittelschule-chemnitz.html 89 dann wieder von eine Freiarbeitseinheit oder Werkstatt, im Ausmaß von zwei Stunden abge- löst wird. Das Ende eines Schultages wird durch einen 30-minütigen Abschlusskreis gekenn- zeichnet. Um 15.30 ist die Schule zu Ende. In der Schule wird nach einem integrativen Ansatz gearbeitet, dass heißt in den Klassen der Mittelschule, bzw. des Gymnasiums lernen unter anderen auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Für die Oberstufe wurden leider keine Angaben zum Schulalltag gemacht.

Die Umsetzung der Montessoripädagogik erfordert reichlich Platz für geordnetes Freiar- beitsmaterial. Diese Schule steht, so in der Rückmeldung, am Ende ihrer räumlichen Kapazi- täten. In jedem Klassenraum gibt es für die wesentlichsten Fächer Lehrbücher aus verschie- denen Jahrgängen. Wenn es solches gibt, steht auch anschauliches Material zur Verfügung. Die SchülerInnen sind in den Freiarbeitszeiten angehalten ihre Arbeitszeit selbstständig zu organisieren und ihre persönlichen Lernziele zu verfolgen. In den Werkstätten, auch Fach- räume genannt, stehen auch Experimentiermaterial, Nachschlagewerke und Zeitschriften zur Verfügung.

Inhaltliche Anforderungen an den Mathematikunterricht sind in den staatlichen Lehrplänen festgeschrieben, in diesem Fall die Lehrpläne des Freistaates Sachsen, daran hält sich die Schule. Die SchülerInnen haben darüber hinaus natürlich die Möglichkeit, sich in individuell interessante Themen zu vertiefen. Die Lehrperson gibt zu jedem neuen Thema eine geleitete Einführung in den sogenannten Werkstätten. Dort werden auch auftretende Probleme mit dem Unterrichtsstoff besprochen und Beispiele gerechnet. In der Freiarbeit entscheidet die/der SchülerIn selbst wann und wie viel sie/er übt. Die Fachräume sind auch in dieser Zeit zugänglich, Hilfsmittel stehen bereit und auch die FachleherInnen sind bei Problemen an- sprechbar. Wenn zum Unterrichtstoff möglich, werden auch praktische Anwendungen, Pro- jekttage und -Wochen durchgeführt. Die SchülerInnen können an Studientagen praktische Themen verfolgen, in Berufszweige schnuppern, die mit Mathematik zu tun haben und je- derzeit eigene Interessen thematisieren. Durch die Altersmischung werden mathematische Probleme auch oft in kleinen Teams gelöst, so kann die Erfahrung der Älteren den Jüngeren hilfreich sein.

Zu Beginn jedes Schuljahres bekommen alle SchülerInnen in jedem Fach Listen, auf denen Lehrplaninhalte für ihr Schuljahr notiert sind. Hat eine/ein SchülerIn einen Arbeitsbereich abgeschlossen und einen Leistungsnachweis erbracht, wird dies auf der Liste notiert. Dabei 90 bleibt natürlich auch Platz für individuelle inhaltliche Vertiefungen und selbst gewählte The- men. Um den Lehrstoff inhaltlich zu sichern schreiben die SchülerInnen Tests, halten Vorträ- ge oder legen Lernportfolios an. Jeder kann seinen Test innerhalb eines festgesetzten Zeit- raumes von ca. vier Wochen, schreiben. Der eigene persönliche Plan und die Einschätzung des Erkenntnisstandes spielt dabei eine Rolle.

Montessori Fachoberschule München (MOS) 1

An der Fachoberschule München kann sowohl das Fachabitur, als auch die allgemeine Hoch- schulreife erlangt werden. Die Klassen sind nach der 11. bis zur 13. Jahrgangstufe klassisch eingeteilt. Der Schulalltag beginnt mit einer 90-minütigen Studienzeit mit FachlehrerInnen. Die SchülerInnen könne sich dabei entscheiden, wann sie mindestens drei Stunden in der Woche, zu jeweils einer Stunde, in den Fächern Mathematik, Englisch und Deutsch arbeiten. Nach der freien Studienzeit folgt zwei- bis dreistündiger, an Fächer gebundener Unterricht. Dieser wird von der Fragebogenbeantworterin jedoch abwechselnd auch mit freier Studier- zeit gefüllt. Sie merkt weiters in ihren Antworten an, dass die SchülerInnen es im Mathema- tikunterricht, trotz der offenen Unterrichtsform, meist bevorzugen wie in der Regelschule in Reihen hintereinander zu sitzen.

Als Material werden Lehrbücher, Trainingsbücher vom Starke-Verlag 2, FABI-Trainer 3 Bücher, Abituraufgaben, Spiele und Ordner mit vielen selbst erstellten Übungsaufgaben mit entspre- chenden Lösungen verwendet, um den staatlich vorgegebenen Mathematikstoff des Lehr- plans zu erlernen. Die SchülerInnen werden dazu ermutigt selbstständig zu arbeiten, was nicht bei allen funktioniert. Sie dürfen ihr Lernen so gestalten, wie es ihnen passt. Die Lehr- personen besprechen auch mit einzelnen SchülerInnen verschiedene Lerntechniken und co- achen sie bei Bedarf. Zu allen Aufgaben gibt es Lösungen in Ordnern oder auf der virtuellen Schulplattform.

Überprüft werden die mathematischen Kompetenzen der Lernenden durch sechs Selbsttests im Jahr, mit sofortiger Lösung, und Tests, ca. drei im Jahr inklusive einem Probeabitur, die

1 Montessori Fachoberschule München. Adresse: Edmund-Rumpler-Straße 7, 80939 München, Deutschland. Weiter Informationen findet man unter: http://www.mos-muenchen.de/ 2 Das vielseitige Angebot, teilweise auch spezielle für Deutschlands Schulen angepasst, kannman hier entneh- men: http://www.stark-verlag.de/ 3 Die FABI-Trainer sind Materialien zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen an den Beruflichen Oberschu- len in Bayern. Hier gibt es auch einige für das Fach Mathematik. Weiter Information unter: http://www.fabi-trainer.de/ 91 eingesammelt und benotet werden. Die benoteten Tests sind meist freiwillig. Es gibt jedes Jahr eine Art Zeugnis und zwei bis drei Mal im Jahr ein Feedback-Gespräch mit jeder/jedem SchülerIn, welches ca. 30 Minuten dauert. Dabei sind Auffälliges, Leistung und Verbesse- rungsmöglichkeiten Thema.

3.3.4.2 Interview – Mathematikunterricht am MORG Grödig Ziel meines Interviews mit Herrn Mag. Andreas Bernhofer war es, herauszufinden, wie Ma- thematikunterricht im Sinne der Montessoripädagogik konkret umgesetzt werden kann. Die- se eine unter vielen Möglichkeiten möchte ich nun schildern. Eine sinngemäße Transkription des 48-minütigen Interviews, dessen wichtigste Punkte im folgenden Abschnitt zusammen- gefasst werden, ist im Anhang zu finden.

Im Kapitel 3.1.2.4 findet man unter dem Titel Beispiele der Umsetzung von Montessoripäda- gogik in der Sekundarstufe 2 auch das MORG Grödig angeführt, weil es die einzige Schule in Österreich ist, die derzeit versucht die Montessoripädagogik in die Sekundarstufe 2 einflie- ßen zu lassen. Ergänzend zur dort angeführten Beschreibung der Schule möchte ich hier noch weitere Rahmenbedingungen für den Unterricht, die im Interview thematisiert wurden, aufgreifen um dann konkret die Gestaltung des Mathematikunterrichts darzustellen.

Rahmenbedingungen der Schule

Ungefähr 20% der SchülerInnen des MORG Grödig hat auch schon davor die nach Montesso- ri geführten Bildungsstätten, wie Kinderhaus, Volksschule und Hauptschule, der Diakonie besucht. Den Ausbildungsweg im MORG weiterzuführen, ist für die SchülerInnen und ihre Eltern eine bewusste Entscheidung. Viele nehmen lange Anfahrtswege, und einige wenige sogar die Verlagerung des Wohnortes, auf sich. Als Gründe an diese Schule zu kommen, sieht Herr Bernhofer, die montessoripädagogische Grundeinstellung, den musisch-kreativen Schwerpunkt und auch das Theaterspielen in der Schule.

Eine Besonderheit dieser Schule, die sich zu einer reformpädagogischen Strömung bekennt, ist das Öffentlichkeitsrecht. Die meisten Schulen, die sich an eine Art der Reformpädagogik orientieren, haben dies nicht. Deshalb muss sich das MORG, wie jede öffentliche Schule, an die staatlichen Vorgaben halten. Dieser gesetzliche Rahmen setzt der Umsetzung von päda- gogischen Idee oft Grenzen, meint Herr Bernhofer. Die Folge ist ein häufiger Zwiespalt zwi- schen der Erfüllung des Öffentlichkeitsrechtes und die Öffnung der Schule in alle möglichen 92

Richtungen. Aus diesem Grund werden auch immer wieder Schulversuche, wie beispielswei- se die Integration in der Oberstufe, gestartet. Dadurch ist man ein wenig freier, den im Rah- men eines Schulversuches ist mehr erlaubt.

Bei einer gemeinsamen, speziell für die Oberstufe konzipierten, Montessoriausbildung hat das Kollegium auch den Erdkinderplan 1 kennen gelernt. Für Herrn Bernhofer sieht dieser nicht aus wie ein Gymnasium. Es werden auch immer wieder Teile davon versucht in der Schule umzusetzen. So steht die Idee im Raum, zukünftig eine Schulfirma einzurichten. Der Eindruck von ihm ist es, dass so etwas den SchülerInnen sehr gut tun würde, neben dem sit- zenden Unterricht auch etwas zu tun. Nur ist dies mit der Organisationsform eines Gymnasi- ums schwer vereinbar. Deshalb ist das Kollegium auch grundsätzlich aktiv und interessiert an Nachfolgerkonzepten von Montessori, wie beispielsweise dem Daltonplan.

Grundsätzliche Orientierungshilfe ist aber immer die dahinterliegende Montessoriphiloso- phie. Wenn Entscheidungen getroffen werden sollen, versucht man sich schulintern immer wieder auf diese Grundfesten zu fokussieren.

Die Besinnung auf die Montessoripädagogik wird in der Freiarbeit der SchülerInnen sichtbar. Alle Unterrichtsfächer gestalten Teile ihres Unterrichts als Freiarbeit, wobei die Intensität in jedem Fach unterschiedlich ist. Als Beispiel führt Herr Bernhofer KollegInnen an, die ihren Deutschunterricht großteils und regelmäßig als Freiarbeit gestalten. Im Vergleich dazu bietet er in seinem Unterrichtsfach Musik, wo er das gemeinsame Musizieren in den Vordergrund stellt, projektartige Freiarbeit ohne Regelmäßigkeit an.

Der Stundenplan an dieser Schule sieht gleich aus wie an jeder anderen, doch gibt es be- stimmte Stunden, die als Freiarbeitsstunden ausgezeichnet sind. In diesen Stunden können von den SchülerInnen beliebige Aufträge aus allen Fächern gewählt werden. Eine Lehrperson hat während dieser Einheiten Aufsicht. Die Freiarbeitsstunden finden in den eigenen Klas- senräumen statt, auch bestimmte Bereiche außerhalb dürfen benutzt werden. So kann auch spontan von Inputphasen auf Freiarbeitsphasen während des Unterrichts gewechselt wer- den.

1 Im Kapitel 3.2.1.1 wird der Erdkinderplan von Maria Montessori thematisiert. 93

Für die LehrerInnen findet jede zweite Woche eine Teamsitzung statt. Dabei wird nicht nur über Organisatorisches gesprochen, sondern auch über SchülerInnen, die Schulentwicklung und die üblichen Konferenzen werden auch in diese Besprechungen eingebettet. Dadurch, dass die Schule sehr klein ist und nur ca. 21 LehrerInnen zum Kollegium zählen, hat sich da- bei eine gute Gesprächskultur entwickelt. In diesem Rahmen sind auch Diskussionen mög- lich.

Eine interessante technische Voraussetzung ist das WLAN im gesamten Schulgebäude. Die SchülerInnen können auch ihre Laptops in den Freiarbeitszeiten nutzen. Computer können nicht flächendeckend für alle SchülerInnen von der Schule bereitgestellt werden. Doch ca. die Hälfte der SchülerInnen einer Klasse besitzt einen Laptop oder ein Notebook, welches in die Schule mitgebracht wird.

Gestaltung des Mathematikunterrichts

Grundsätzlich ist Herr Bernhofer sehr interessiert an der Weiterentwicklung des kompetenz- orientierten Unterrichts und der Zentralmatura 1. Er findet, die Besinnung auf Basiskompe- tenzen in der Vermittlung kommt dieser Schulform sehr entgegen.

In jeder Klasse gibt es in der Woche drei Mathematikstunden, wovon eine fix als Freiarbeits- stunde eingeplant ist. In den restlichen zwei Stunden wechselt sich die Vorgehensweise zwi- schen freien Arbeitsphasen und Inputphasen ab. Aus der Erfahrung in den letzen Jahren hat sich für ihn gezeigt, dass es gut ist die grundlegenden mathematischen Inhalte gemeinsam zu erarbeiten in Form von LehrerInneninput. Diese Inputphasen, die nicht länger als 20 Minuten dauern sollen, werden von Übungsphasen unterbrochen, die auch in Gruppenarbeit und ähnlichen Methoden gestaltet werden. Diese beiden Stunden sind seiner Meinung nach dem Regelunterricht sehr ähnlich. In der Freiarbeitszeit kommt besonders der Übungscharakter zu tragen.

In der Freiarbeitszeit können die SchülerInnen die Methode selbst wählen um den Stoff zu üben, oder auch um sich Inhalte selbst anzueignen. Die Selbsterarbeitung eines Stoffgebietes passiert nicht ständig, aber immer öfter entscheiden sich SchülerInnen dafür, denen das Ma- thematiklernen leicht fällt. Da es für den Oberstufenbereich speziell kein vorentwickeltes

1 Genauere Informationen dazu findet man im Kapitel 3.2.4 Bildungsstandards und kompetenzorientierter Un- terricht. 94

Montessorimaterial gibt, wurde teilweise selbst auf Basis von Übungsaufgaben welches ent- wickelt. Doch die Hauptgrundlage in der Freiarbeit ist das Schulbuch. Hier wird derzeit das Buch ‚Dimensionen Mathematik‘ verwendet. Herr Bernhofer vermutet, dass an seiner Schule wahrscheinlich mehr mit dem Mathematik-Schulbuch gearbeitet wird als an anderen Schu- len. Auch wenn die SchülerInnen Inhalte eigenständig erarbeiten, geschieht dies mit dem Buch. Natürlich werden auch zusätzliche Informationsquellen, beispielsweise aus dem Inter- net, herangezogen, weil die Erklärungen in den Büchern oft sehr schwierig zu verstehen sind für SchülerInnen.

Der große Vorteil dieser Arbeitsform ist es, dass man in den Freiarbeitsstunden Zeit hat SchülerInnen auch individuell zu betreuen. Inhalte können mit einzelnen SchülerInnen oder Kleingruppen bei Bedarf nochmals erklärt werden, die SchülerInnen können mit Fragen an die Lehrperson herantreten und die erfüllten Aufträge werden kontrolliert. Im normalen Unterricht ist es beispielsweise nicht möglich sich zehn Minuten nur für eine/einen SchülerIn Zeit zu nehmen.

Es ist ein Lernprozess, dass sich die SchülerInnen an diese Arbeitsform gewöhnen, doch dies passiert meist recht schnell. Die Lehrperson prüft hier nicht nur, sonder die primäre Tätigkeit ist das Helfen. Die SchülerInnen müssen nicht vorgeben alles zu können. Die Freiarbeit wird von den SchülerInnen sehr geschätzt. Weil sie durch das Sammeln von fertiggestellten Ar- beitsaufträgen auch Pluspunkte für ihre Note im jeweiligen Fach sammeln können. Ganz all- gemein ist die Selbstständigkeit der SchülerInnen in der Oberstufe relativ groß.

In jeder Mathematikstunde gibt Herr Bernhofer Freiarbeits- bzw. Hausaufgabenvorschläge, die jeweils einen Zeitaufwand von ca. einer halben Stunde aufweisen. Diese Vorschläge sind nicht verpflichtend, doch die erfüllten Aufträge werden in die Gesamtnote miteinberechnet. Nach einem Input gibt es immer eine Vielzahl an solchen Vorschlägen, so wissen die Schüle- rInnen immer, was sie üben können. Diese Vorschläge sind notwendig, weil das Buch doch sehr umfangreich ist und über die grundlegenden Inhalte hinaus geht.

Die SchülerInnen haben grundsätzlich die Aufgabe ihre Übungsaufträge selbst zu kontrollie- ren indem sie diese mit dem Lösungsheft, oder auch mit ihren MitschülerInnen vergleichen. Die Selbstkontrolle ist in dieser Arbeitsform sehr verankert. Bei Bedarf können natürlich im- mer die LehrerInnen zu Hilfe gezogen werden.

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Für die Computerunterstützung des Mathematikunterrichts empfiehlt Herr Bernhofer das Programm Geogebra. Dieses ist seiner Meinung nach am schülerfreundlichsten, anschau- lichsten und alles, was man in der Oberstufe braucht, sei damit machbar. Das Einführen von mehreren Programmen verwirrt die SchülerInnen seiner Meinung nach.

Im Benotungssystem ist die Freiarbeit, im Rahmen der Mitarbeit, sehr hoch gewichtet. Im Schuljahr 2012/13 in der 7. Klasse war die Gewichtung in Fach Mathematik 40% für die Schularbeitsnoten und 60% für die Freiarbeit. Diese konkrete Gewichtung ist stets im Wan- del. Bei dieser Notenzusammensetzung ist es möglich, auch mit negativen Schularbeitsnoten durch die Freiarbeit zu einem positiven Abschluss zu gelangen. Auffällig ist, dass bei Schüle- rInnen, die viel Freiarbeit machen, auch die Schularbeiten passen. Es gibt kaum jemanden, der viel Freiarbeit leistet, aber negative Schularbeiten schreibt.

Die Schularbeiten finden statt wie an jeder Regelschule auch, denn der Wunsch keine Schul- arbeiten zu schreiben ist gesetzlich nicht umsetzbar. Herr Bernhofer sieht im Abfragen von punktueller Leistung, die eine Lebensrealität in unserer Gesellschaft ist, im Sinne der Vorbe- reitung auf die Matura und andere Selektionsmaßnahmen, keinen Widerspruch zum Mon- tessorimodell. Flexibler als die Schularbeiten, werden die Lernzielkontrollen gehandhabt. Diese können immer Wahlweise zu einem von zwei Terminen, oder an beiden Terminen von den SchülerInnen geschrieben werden. Dieses Instrument dient nicht nur der Kontrolle von Seiten der Lehrperson, sondern auch als Rückmeldung an die SchülerInnen, weil die Selbst- und Fremdeinschätzung durch die Freiarbeit oftmals sehr auseinander klafft. Durch die Frei- arbeit glauben die SchülerInnen oft alles gut verstanden zu haben.

Das themenzentrierte, fächerübergreifende Arbeiten soll immer mehr ausgebaut werden. Obwohl sich dies im Fach Mathematik als schwierig herausstellt. Verbindungen zur Musik über die Akustik und auch zur Physik wurden von Herrn Bernhofer umgesetzt. Doch meint er, dass auch im Dialog mit KollegInnen die Besonderheit der Mathematik immer wieder heraussticht und schwer in Themenkomplexe integrierbar ist.

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4. Schließende Betrachtungen

4.1 Umsetzung von reformpädagogischen Impulsen im Regelschulmathema- tikunterricht der Sekundarstufe 2 Die reformpädagogischen Konzepte jeder Art und ihre verschiedensten Umsetzungen regen natürlich zur Weiterentwicklung und auch zur Adaption für den Regelunterricht an. Gerade dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.

Von Seiten einiger VertreterInnen reformpädagogischer Strömungen wird auf die Gefahr aufmerksam gemacht, Ideen aus der Reformpädagogik als bloße Methoden im Regelunter- richt zu degradieren.

So wird z.B. die so genannte ‚freie Arbeit‘ oder ‚Freiarbeit‘ in der Regel nur als eine weitere Methode unter vielen Unterrichtsformen praktiziert und nicht in ihrer wirklichen Bedeutung als Folge eines anthropologischen Begründungszusammenhangs erkannt. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.20)

Andererseits gibt es auch die Stimmen, die davor warnen, reformpädagogische Umsetzun- gen im Regelunterricht als Lösung jeglicher Problematik zu begreifen.

Kritisch ist jedoch auch hier anzumerken, dass die z.T. euphorische, ungeprüfte Verwendung reformpädagogischer Elemente wie z.B. ‚Wochenplanarbeit‘ über eine Arbeitsbogenflut zu De- formationen führt und auch langfristig kein Allheilmittel gegen tiefergreifende, gesellschaftlich bedingte Problemlagen ist: Eine Weiterentwicklung reformpädagogischer Ideen bedarf stets einer historisch-kritischen Analyse und der Transformation in ein persönlich entwickeltes, ak- tuelles Konzept von Unterricht. (Wallrabenstein 1996, S. 206)

Es steht auf jeden Fall fest, dass die unterschiedlichen reformpädagogischen Konzepte auch bis heute den Regelunterricht immer wieder beeinflusst haben und umgekehrt. Denn die verschiedenen Ideen und Reformen sind aus einem Sehnen nach Veränderungen im Schulall- tag entstanden. (Vgl. Skiera 2010, 41ff) Genauso sind engagierte LehrerInnen in der Regel- schule immer wieder auf der Suche nach geeigneten Unterrichtsformen für die, sich ständig wandelnde Unterrichtsrealität. Ein Beispiel dafür ist die schon öfters erwähnte COOL- Initia- tive, oder auch das Einfließen von Öffnungsgedanken in fachdidaktischer Literatur zur Ma- thematik (vgl. beispielsweise Ludwig 2003, Leuders 2008, Barzel 2007).

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Natürlich haben solche reformpädagogische Ideen auch in die Praxis des Mathematikunter- richts Eingang gefunden. Auf einige Ideen dieser Umsetzungen für den Mathematikunter- richt in der Sekundarstufe 2, in der Regelschule, möchte ich näher eingehen. Die von mir aufgegriffenen Ideen versuche ich den drei Kategorien Handlungsorientierung, Öffnung und Selbstständigkeitsförderung im Unterricht zuzuordnen. Natürlich gibt es methodische Über- schneidungen dieser drei Grundgedanken im konkreten Unterrichtsalltag.

4.1.1 Handlungsorientierung im Unterricht Der handlungsorientierte Unterricht wird der reformpädagogischen Tradition des Lernbegrif- fes in besonderer Weise gerecht:

Er schafft Situationen, in denen SchülerInnen und Schüler nicht als Objekte von Belehrung auf- treten, sondern ihr Lernen als aktive Subjekte gestalten. […] Ein bestimmter Sinn eines Zei- chens, die Deutung eines neuen Zusammenhanges, kann sich erst durch den sozialen Gebrauch dieses Zeichens, durch die sprachlichen Handlungen im Kontext anderer Handlungen, entwi- ckeln.(Wallrabenstein 1996, S.207)

Wulf Wallrabenstein sieht Bezüge zum handlungsorientierten Unterricht von Seiten der Montessoripädagogik, der Freinetpädagogik, zur Projektmethode und einigen weiteren Kon- zeptionen, wie auch zu dem unter 4.1.2 beschriebenen offenen Unterricht (vgl. Wallraben- stein 1996, S.207f).

Hanning Heske greift in seinem Artikel mit dem Titel ‚Ganzheitliches Lernen‘ (siehe Heske 2003) den Gedanken des Handlungsorientierten Unterrichtens für die Vermittlung von Ma- thematik auf. Er beschreibt traditionellen Mathematikunterricht als verkopft.

Diese kognitive Dominanz wird oft mit der rein theoretischen Struktur des Faches begründet. Doch sind die axiomatische Grundlegung einer Wissenschaft und der allgemein bildende Auf- trag eines Schulfaches zwei grundsätzlich verschiedene Dinge. (Heske 2003, S.185)

Deshalb schlägt er ein ganzheitliches Lernen im Sinne von Meyers1, mit Kopf, Herz und Hand vor. Sowohl den schlechten Ruf des Mathematikunterrichts, als auch die Schwierigkeiten, die er für viele SchülerInnen birgt, sieht Heske im kopflastigen Unterricht. Die Lösung wäre ein handlungsorientierter Mathematikunterreicht.

1 Für genauere Informationen zu Hilbert Meyers Theorie empfiehlt sich beispielsweise das Buch ‚didaktische Modelle‘ von Jank und Meyer (siehe Jank 1991) 98

Es handelt sich um einen ganzheitlichen und schülerorientierten Unterricht, in dem die verein- barten Handlungsprodukte gewährleisten, dass Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden.(Heske 2003, S.185f)

Im ganzheitlichen handlungsorientierten Unterricht werden auch die Lerneingangskanäle, Lerntypentheorien, die Repräsentationsformen von Wissen (enaktiv, ikonisch, symbolisch) und der emotionale Teil des Menschen berücksichtigt. Als konkrete Umsetzung werden das Lernen an Stationen 1 und der Projektunterricht2 mit Beispielen zu den Themen Geometri- sche Körper, Matrizenrechnung und Kryptologie angeführt. (Vgl. Heske 2003, S.186-197)

4.1.2 Öffnung des Unterricht Der oft unscharfe Begriff des ‚Offenen Unterrichts‘ und seine geschichtliche Entwicklung ist von Abgrenzung zum Regelunterricht und reformpädagogischem Gedankengut geprägt. All- gemein betrachtet kann man unter ‚Offenen Unterricht‘ die folgenden Punkte versehen (vgl. Wallrabenstein 1996, S.208ff):

− Einen Sammelbegriff für Vorstellungen vom nicht klar festgelegten Konzept des Offe- nen Unterrichts, wie Freiarbeit, Projektorientierung und Ähnlichem. − Einen Reformansatz, der viele reformpädagogische Strömungen, angefangen von Pestalozzi, Montessori, bis hin zu Petersen und Freinet, vereint. − Eine Vielfalt an Formen sowohl im inhaltlichen Sinne, wobei die Öffnung hin zur un- mittelbaren Lebenswelt der SchülerInnen gehen soll, als auch im methodischen und organisatorischen Sinne. Hier soll Öffnung passieren durch das Mitgestalten des Un- terrichts von SchülerInnenseite, durch Freiarbeit, Wochenplanunterricht und Pro- jektarbeit. − Ein wertschätzender, fördernder Umgang mit den SchülerInnen. − Ein Lernbegriff, der individualisiertes, gemeinschaftsbezogenes, soziales Lernen, so- wie handlungsorientiertes, endeckendes Lernen beinhaltet.

Gerade wegen der weit gestreuten Definition des Begriffes werden einige Methoden und Ideen, die auch unter die Öffnung von Unterricht fallen, genauer beschrieben.

1 Eine genauere Beschreibung dieser Unterrichtsmethode im Mathematikunterricht findet man bei Barzel 2007, S.198-207. 2 Eine genauere Beschreibung dieser Unterrichtsmethode im Mathematikunterricht findet man unter 4.1.2 oder bei Barzel 2007, S.174-179. 99

Projekte

Das Projektlernen ist nicht nur für eine montessoripädagogische Sekundarstufe 2 eine brauchbare Methode, wie in Kapitel 3.1.2.3 erklärt wurde, sondern eignet sich bei genügend Zeit und einigem organisatorischem Aufwand auch für eine gewöhnliche Schule. Um den allgemeinen Verlauf eines Projektes darzustellen verweise ich auf eben den oben erwähnten Punkt 3.1.2.3. Einige konkrete Ideen für Projekte im Mathematikunterricht möchte ich hier anführen mit der jeweiligen ausführlicheren Literaturquelle:

− Karlheinz Goetsch schlägt eine Erarbeitung der Statistik als Projekt vor. In seiner Dar- stellung findet man eine durchdachte Stundenstruktur über 21 Schulstunden, Erklä- rungen zu den einzelnen Phasen und einen genauer Bericht über die Durchführung. Selbst die Inhalte, zu denen in Gruppen gearbeitet wurde, waren gemeinsam mit den SchülerInnen entwickelt worden. Als Leistungsnachweis fungierte nicht wie üblich ei- ne Klausur, sondern persönliche Arbeitsberichte, Arbeitsplanungen, selbst entwickel- te Umfragebögen, Auswertungen der Umfragen und Endpräsentationen. (Vgl. Goetsch 1998, S.97-108) − Unter dem Titel ‚Materialien für einen projektorientierten Mathematik- und Informa- tikunterricht‘ sind im Laufe der Jahre, ab 2004, sieben Bände von Projektsammlungen erschienen. In den einzelnen Bänden werden die verschiedenen Projekte gut be- schrieben. Inhaltlich reichen sie von Themen wie Modellbildungen, Anwendungen mathematischer Inhalte bis zum Programmieren und gestalten sich als durchwegs anspruchsvoll. (Vgl. Leuders 2004) In der Literaturliste ist nur der erste Band ange- führt, doch findet man unter SMIMS 1- Schülerakademie Mathematik und Informatik Münster - die Daten zu allen Bänden. − Auch das Vermessungspraktikum der Waldorfschule möchte ich hier nochmals, als Projektidee, erwähnen. Dieses ist in einer gewöhnlichen Schule wahrscheinlich schwer umzusetzen, da in der Regel eine ganz Woche Zeit dafür in Anspruch genom- men wird. Doch in abgeschwächter Form wäre eine Umsetzung für mich durchaus denkbar. Natürlich unter der Voraussetzung, dass die Messgeräte zu Verfügung ge- stellt werden.

1 http://www.smims.nrw.de/materialien/index.html 100

Wie man ein gutes Projekt selbst findet, damit beschäftigen sich auch die AutorInnen des Buches ‚Mathematik Methodik‘, indem auch die Methode des Projekts vorgestellt wird. Da- bei finden sie diese fünf Punkte wichtig bei der eigenen Entwicklung eines Projektes für den Unterricht (vgl. Barzel 2007, S.177f):

Kontext: Dabei gilt es realitätsbezogene, authentische Aufgaben oder Situationen zu finden, die reichhaltig, offen und ganzheitlich gestaltet werden können. So, dass in weiterer Folge von den SchülerInnen auch recherchiert oder geschätzt werden kann und verschiedene Lö- sungen als Resultate möglich sind.

Anlässe aus der Praxis: Besondere Ereignisse, die in der Schule, der Gemeinde, der Stadt und in den Medien anstehen, können vom Mathematikunterricht unterstützt werden. Vielleicht besteht die Möglichkeit Ergebnisse öffentlich zu nutzen oder zumindest öffentlich zu präsen- tieren.

Kontrolle zurücknehmen: Hier geht es darum Situationen genügend offen zu gestalten, Schü- lerInnen verantwortungsvolle Rollen zu übergeben und die sanfte Unterstützung vom Bear- beitungsprozess durch die Lehrperson, z.B. durch Zwischenziele.

Mögliche Schülerhandlungen: Die Rahmenbedingungen für die Schülerhandlungen gilt es zu überprüfen. Können die SchülerInnen erkunden, erforschen, Informationen einholen, Geräte nutzen, kommunizieren, kreativ tätig sein, in ihre Tätigkeit eingreifen usw.?

Mögliche Handlungsprodukte: Der Abschluss, das Produkt eines Projektes ist ein wichtiger Aspekt. Diese Endprodukte können viele Gesichter haben. Angefangen von Plakatwänden, Broschüren, Internetpräsentationen, bis hin zu Beschwerdebriefen, Lernbücher, Computer- programme, Ausstellungen, öffentliche Präsentationen und Podiumsdiskussionen reicht hier die Bandbreite.

101

Fächerübergreifender Unterricht

Wie bei den oben aufgezählten Beispielen für Projekte im Mathematikunterricht, wo auch die Verschränkung von Informatik und Mathematik erwähnt wurde, ersichtlich ist, kann die Öffnung des Mathematikunterrichts auch eine Öffnung hin zu anderen Schulfächern sein.

Gründe, warum Unterrichtfächer vernetzt werden sollen, sieht Matthias Ludwig genügend. So weist er darauf hin, dass Wissen im täglichen Leben bei unterschiedlichsten Problemen in unterschiedlichsten Situationen gebraucht wird um Lösungen zu finden, dabei ist es egal, aus welchem Fachgebiet das benötigte Wissen kommt. Diese natürliche Anwendung von Wissen aus verschiedenen Fachbereichen auf variable Kontexte fördert außerdem ein tieferes Ver- ständnis und einer Erweiterung des Weltbildes. Weiters ist man in seinem Berufleben meist mit Experten aus unterschiedlichen Gebieten konfrontiert und soll trotzdem gut zusammen- arbeiten. (Vgl. Ludwig 2003, S.164)

Bei der Umsetzung von fächerverschränkendem Unterricht kann man zwei Typen des Fä- cherübergriffs unterscheiden (vgl. Ludwig 2003, S.165):

Diktatorischer Standpunkt: Die Mathematik ist hier der Kern und die Keimzelle für das fächerübergreifende Lernen. So werden von mathematischen Themen ausge- hend Anwendungsmöglichkeiten in anderen Fächern (beispielsweise Geographie, Physik, Sport, usw.) gesucht, oder auch Verbindungen (evt. zu Geschichte) herge- stellt. Demokratischer Standpunkt: Es gibt ein Problem, das von vielen Unterrichtfächern gemeinsam bearbeitet wird. Hier kann eben die Mathematik eine von vielen Zugän- gen zur Problemlösung darstellen.

Das Konzept des Fächerübergriffs kann gut in Projekten umgesetzt werden, dabei können mehrere Fächer sowohl zeitlich, räumlich, organisatorisch als auch inhaltlich zusammenar- beiten. Speziell in der Mathematik bieten sich Modellierungsaufgaben an um Verbindungen zu andren Disziplinen herzustellen. (Vgl. Ludwig 2003, S. 166-170)

Eine Idee für fächerübergreifenden Mathematikunterricht, die mich persönlich fasziniert, ist das Thema Unendlichkeit. Dieses Thema wird für die 11. Klasse vorgeschlagen, da es sowohl in der Mathematik (Grenzwertbegriff), als auch in der Physik und der Chemie eine Rolle

102 spielt. Weiters können die Fächer Deutsch, Kunst und Religion miteinbezogen werden. Zu den folgenden Gruppierungen kann gearbeitet werden (vgl. Ludwig 2003, S. 171f):

− Unendlichkeit in der Lyrik: Beschreibung des unendlich Großen und des unendlich Kleinen in Gedichten. − Unendlichkeit in der Philosophie: Fragen zur Ewigkeit, zum ewigen Leben und zur De- finition von Unendlich und Ewigkeit können dabei behandelt werden. − Graphische Darstellung unendlicher Mengen − Interpretation des Unendlichen in der Kunst − Sammlung sehr großer Zahlen in der Natur − Darstellung unendlicher komplexer Iterationen z.B. Mandelbrotmengen − Programmierung von komplexen Abbildungen

Das Verbinden von Fächern, im Grunde das Lernen von Themen, kann in der montessoripä- dagogisch geführten Schule eine Konsequenz der Individualisierung, sowie der Arbeit in Frei- heit sein. Auch wenn in den oben angeführten Beispielen solcher Schulen meist nach den Fächern gegliedert gearbeitet wird, gibt es trotzdem meist Platz für Projektarbeit, in denen die Vernetzung stattfinden kann (siehe Beispiel Hagerhof 3.1.2.4). Ebenso sind im Konzept der Waldorfschulen Ansätze zur Verbindung von Fachinhalten zu finden. Beispielsweise die Fächer Mathematik und Physik, die beide zur Erarbeitung und Anwendung der Vektorrech- nung beitragen (vgl . LW 2010).

Freiarbeit

Freiarbeit hat viele Gesichter. So hat diese Art zu unterrichten reformpädagogische Umset- zungen bei Maria Montessori, im Daltonplan, bei Freinet, im Jenaplan und einigen anderen Konzeptionen gefunden (vgl. Wallrabenstein 1996, S.210f).

Im Sinne der Montessoripädagogik ist die Arbeit in Freiheit ein Grundprinzip doch wird sie sogar in Montessorischulen verschieden organisiert. Das Spektrum reicht von durchgängiger Freiarbeit bis hin zu Freiarbeit in einzelnen Fachstunden. Dies ist auch unter den Punkten 3.1.2 und 3.3.4, wo einige Beispiele beschrieben werden, zu erkennen.

Das MORG Grödig besitzt das Öffentlichkeitsrecht und erfüllt so auch die rechtlichen Grund- lagen einer gewöhnlichen Schule. Deshalb ist es grundsätzlich auch möglich, die dort durch-

103 geführte Art der Freiarbeit 1 in jeder beliebigen anderen Schule im Oberstufenbereich durch- zuführen. Trotzdem ist die Umsetzung nicht an jeder Schule realisierbar, da organisatorische, personelle Vorraussetzungen fehlen können und die Lehrpersonen diese Art des Unterrich- tes eventuell nicht unterstützen. Im Mathematikunterricht selbst wäre es bis zu einem ge- wissen Grad möglich nach einer Einführung in ein Thema viele Arbeitsaufträge vorzuschla- gen, die dann von den SchülerInnen in einer bestimmten Unterrichtszeit, oder auch als Hausübung frei gewählt werden dürfen. Dabei ist bei der Umsetzung, so denke ich, die Ver- ankerung dieser erledigten Aufträge im Benotungssystem des Faches Mathematik wichtig.

Auch im oben schon erwähnten Buch ‚Mathematik Methodik‘ wird die Freiarbeit in Kombi- nation mit der Wochenplanarbeit vorgestellt. Die Methode wird hier zeitlich variabel erklärt, die regelmäßig in Fachstunden, über Fachstunden hinweg oder wirklich durchgängig über eine oder mehrere Wochen, praktiziert werden kann. Es wird darauf hingewiesen, dass die SchülerInnen an diese Arbeitsform behutsam herangeführt werden müssen, wenn sie damit nicht bekannt sind, jedoch ist sie grundsätzlich zu jedem Thema und in jedem Alter durch- führbar. Der Ablauf einer solchen Freiarbeitsphase wird so beschrieben:

1. Die Lehrperson stellt zeitliche und inhaltliche Ziele und die Lernmaterialien vor. 2. Die SchülerInnen arbeiten selbstständig mit den gewählten Materialien. Rückfra- gen können an MitschülerInnen und Lehrpersonen gerichtet werden. 3. Die Überprüfung der Bearbeitung kann meist mit den Materialen von den Schüle- rInnen selbst durchgeführt werden. Die Lehrperson hält sich im Hintergrund und ist für Fragen da, bzw. hilft die Arbeitsergebnisse gegebenenfalls in der Klasse zu- sammenzuführen.

Bei dieser Art des Unterrichts wird bei der Planung viel Zeit in die schülergerechte Auswahl an Themen und Materialen, bzw. in die Entwicklung von Materialen, investiert. (Vgl. Barzel 2007, S.79-83)

1 Wie genau Freiarbeit am MORG Grödig passiert ist im Praxisbericht zum Mathematikunterricht im Sinne der Montessoripädagogik unter 3.3.4.2 nachzulesen. 104

Öffnen des Klassenraumes

Eine weitere Möglichkeit Unterricht offener zu gestalten, ist ganz einfach die Räumlichkeiten zu öffnen. Das kann heißen, schulfremde Personen in die Klassen zu holen, oder aber auch alternative Unterrichtsorte aufzusuchen. Die folgenden drei Vorschläge zur Öffnung des Klassenzimmers werden von Matthias Ludwig vorgebracht (vgl. Ludwig 2003, S.179-184):

− Expertenbesuch von MathematikerInnen/ TechnikerInnen − Mathematik im Freien: Hier bietet sich an, den Unterricht ins Freie zu verlegen oder auch Tätigkeiten wie Vermessungen durchzuführen. − Museumsbesuche: Immer wieder gibt es Ausstellungen zum Thema Mathematik, teilweise auch speziell für SchülerInnen konzipiert.

Sowohl in der Waldorfpädagogik findet in diesem Sinne die Öffnung des Klassenraumes statt (z.B. Vermessungspraktikums), als auch in der Montessoripädagogik, wo durch das Grundprinzip der Freiarbeit auch ein räumlicher Rahmen, der sich nicht immer nur auf einen Klassenraum bezieht (siehe MORG), grundgelegt ist.

Gerade die drei oben genannten Vorschläge sind auch in einer Regelschule umsetzbar, wo- bei die Mathematik im Freien, als ertragreichen Unterricht zu gestalten, die größte Heraus- forderung darstellt.

105

4.1.3 Selbstständigkeitsförderung im Mathematikunterricht Warum das selbstständige Lernen im Mathematikunterricht gefördert werden soll, dafür gibt es einige gute Gründe. Das „Lernen (und insbesondere mathematische Begriffsbildung) ist immer eine aktive und konstruktive Tätigkeit des Individuums.“ (Leuders 2008, S.105) Be- sonders mathematische Begriffe können nicht einfach eingeführt werden, sondern müssen von den SchülerInnen selbst durch aktive Auseinandersetzung mit Problemstellungen gebil- det werden. Ein weiterer Grund: „Der Erwerb fachlicher Kompetenzen ist immer eng ver- bunden mit dem Erwerb übergreifender Kompetenzen.“ (Leuders 2008, S.105) In der Ma- thematikvermittlung geht es nicht nur um mathematisches Wissen, sondern auch um ma- thematische Tätigkeiten wie Problemlösen, Modellieren und Argumentieren, die man durch selbstständiges, aktives Handeln in sozial-kommunikativen Situationen üben kann. „Authen- tisches Mathematiktreiben ist ein Prozess, der immer wieder individuelle Entscheidungen verlangt.“ (Leuders 2008, S.105) Dies ist aus erkenntnistheoretischer Sicht auf die Gewin- nung von mathematischem Wissen ein Grund für die Selbstständigkeitsförderung. Deshalb ist es wichtig, dass die SchülerInnen mathematisches Denken und Arbeiten selbst erleben können. (Vgl. Leuders 2008, S.105)

Umgesetzt kann diese Selbstständigkeitsförderung im Mathematikunterricht durch die Er- möglichung von genetischem Lernen 1, auch entdeckendes Lernen genannt, werden, wobei sogar mathematische Begriffe selbstständig entdeckt werden können. Auch eine Art des mathematischen Forschens zu eigenen Fragestellungen von SchülerInnen kann eine Förde- rung der Selbstständigkeit darstellen. Als Methoden, die eine aktive Steuerung des Lernpro- zesses zulassen und selbstständiges Lernen nutzen, gelten: Projekt, Experimentieren, Grup- penpuzzle, Freiarbeit, Stationenzirkel, Präsentationen anfertigen, Portfolios erstellen usw. (Vgl. Leuders 2008, S.106-124)

1 Weitere Informationen zum genetischen Lernen findet man im Kapitel 3.2.3 unter dem Titel genetisches Prin- zip. 106

4.2 Kritische Würdigung der Reformpädagogik Wie unter Punkt 4.1 schon kurz angedeutet, wird die Reformpädagogik in Bezug auf den Re- gelschulunterricht und auch für sich alleine, nicht immer ins gleiche Licht gerückt. Auch aus dem unter Kapitel 2.1 vorangestellten Versuch einer Definition der Reformpädagogik kann man aus den diversen Zugängen zu diesem Begriff schon verschiedene Positionen und auch Kritikpunkte herauslesen. So kann die Reformpädagogik in ihren unterschiedlichsten Ausprä- gungen, wie die folgenden Absätze zeigen, unter anderem als Provokation, als Kritik oder auch als Weiterentwicklungsimpuls für die Regelschule aufgefasst werden.

Ein sehr plakatives Beispiel, über das ich bei meiner Recherchearbeit gestoßen bin, ist jenes reformpädagogische Projekt, das im Lichtschulheim Lüneburger Land von 1927 bis 1933 durchgeführt wurde. Hier hat Walter Fänzel mit Helfern versucht eine Hand voll Kinder koe- dukativ, am Land, voll Empathie zu unterrichten, und dies, wann immer es die Temperaturen zuließen völlig unbekleidet. Auch ernährten sich auf dem Bauernhof mit angeschlossenem Ferienheim alle Menschen vegetarisch. (Vgl. Preiß 2013, S. 92f) Doch nicht jede reformpäda- gogische Idee ist auf diese Weise provokant. Schon allein der Gedanke die Erziehung vom Kinde aus zu begründen kann als Provokation genügen.

Reformpädagogik wäre ohne dieses provozierende Moment nur noch als schwache Erinne- rung beim Durchblättern alter Berichte zugänglich, nicht aber in einer großen Anzahl heute noch lebendiger und das Forschen und Nachdenken herausfordernder Schulgestalten und Un- terrichtskonzeptionen. (Skiera 2010, S.19)

Lässt man sich von reformpädagogischem Gedankengut nicht provozieren, kann man jedoch trotzdem sehr viel Kritik in ihr finden. Die Kritik steht oft am Beginn einer neuen Idee zur Lehrpraxis. Frau Meisterjahn-Knebel fasst die Kritik Montessoris an der herkömmlichen Er- ziehung Jugendlicher in Schulen beispielsweise folgendermaßen zusammen:

Noch gravierender als die Verbreitung von Langeweile und Desinteresse erscheint Montessori aber die Tatsache, dass durch die Art und Weise der Schul- und Unterrichtsorganisation Schü- ler/innen permanent auf ihre Unfähigkeit aufmerksam gemacht werden. Förderung der Rivali- tät und des Wetteifers untereinander, Bewältigung von schulischen Lernstoff fast ausschließ- lich zu Prüfungszwecken, aber auch die Bedeutung des Fehlers führen auf Seiten der Schü- ler/innen zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühl und als Folge davon zu Angst. (Meisterjahn-Knebel 2003, S.47)

107

Man kann als Folge dieser Kritik von Seiten der reformpädagogischen Strömungen heute sehen, dass sehr viele reformpädagogische Ideen durchaus im Regelschulsystem angekom- men sind. Beispielsweise gibt es die strenge Struktur der Bankreihen seltener. Wenn Platz in den freundlicher gestalteten Klassenräumen ist, werden Produkte von SchülerInnen ausge- stellt und gewürdigt, weiters gibt es immer wieder frei zugängliches Lehrmaterial in den Klassenräumen. Die Schulgebäude sind einladender gestaltet, der Umgangston zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen ist meist ein freundlicher und die Verwunderung über Zeug- nisse ohne Noten in der Grundschule wird weniger. In der Grundschule geht dies oft noch weiter in die Umsetzung einzelner reformpädagogischer Strömungen hinein, im Sekundarbe- reich hinkt diese Entwicklung noch nach. Auch wenn es bis heute dazu keine empirischen Nachweise gibt, kann man von einer Wechselwirkung zwischen Reformpädagogik und Regel- schulsystem ausgehen. (Vgl. Skiera 2010, 421)

Skiera führt vier Wege an, wie reformpädagogisches Gedankengut in einen normalen Schul- betrieb gelangt (vgl. Skiera 2010, 422f):

1. Der allgemeine Wandel der Einstellung zum Kind und zur Erziehung überhaupt hat das SchülerInnen-Bild vom Belehrungsobjekt zum Bildungsobjekt gewandelt und eine Humanisierung und Demokratisierung der Umgangsformen an Schulen mit sich gebracht. Auch der Gedanke der Förderung anstelle der Auslese kommt aus dieser Richtung. 2. Durch die Gestaltungsfreiheit und auch den Gestaltungswillen mancher LehrerIn- nen können im gesetzlichen Rahmen reformpädagogische Ideen praktisch umge- setzt werden, wie beispielsweise Kreisgespräche, Gruppenarbeiten, die Beach- tung der SchülerInneninteressen bei der Themenwahl und die Betonung von Er- fahrung bei der Wahl der Unterrichtsmethoden. 3. Eine Initiative von der Basis der Schulebene aus kann Weiterentwicklungen in pä- dagogischen Teilbereichen einleiten. Hier sind die Integration, multikulturelle Er- ziehung, ökologische Erziehung und die gesellschaftliche Öffnung der Schule für die Nachbarschaft als Beispiele zu nennen.

108

4. Eine Initiative von bildungspolitischer Seite kann mit Instrumenten wie Schulver- suchen, Lehrplanreformen, Schulentwicklung und Strukturreformen, Änderungen hin zu reformpädagogischen Ideen anstoßen. Hier kann als Beispiel die Gesamt- schule genannt werden.

Auch erwähnt Skiera, dass seiner Meinung nach Schulentwicklung heute wieder vor vielen neuen Aufgaben steht, beispielsweise instabile, soziale Verhältnisse auszugleichen und Frei- zeit der Kinder zu gestalten, und dabei kann eine kritische Vergegenwärtigung der Reform- pädagogik helfen (vgl. Skiera 2010, S.428).

Schulentwicklung ist heute nur als vielschichtiger kommunikativer Prozess denkbar und sinn- voll. In diesem Prozess kann die kritische Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik wei- terhin fruchtbar sein – sowohl bei der Problematisierung fragwürdiger Strukturen und Hand- lungsmuster wie bei der Konzipierung von Alternativen. (Skiera 2010, S.428)

Jeder dieser genannten Aspekte, was Reformpädagogik sein kann, bedarf einer tieferen, ge- naueren Betrachtung, die ihren Platz hier nicht mehr finden wird.

Doch Reformpädagogik kann nicht nur aus verschiedener Sicht betrachtet werden, bzw. ver- schiedenen Nutzen aufweisen, auch sie selbst kann Gegenstand der Kritik sein. Würde man sich über die Kritik an der Reformpädagogik, bzw. über die Kritik an den einzelnen Strömun- gen, einen Überblick verschaffen wollen, so bräuchte man eine eigene Abhandlung der Art dieser Diplomarbeit dafür. Einige Kritikpunkte, die im Laufe der Zeit angemerkt wurden, oh- ne auf UrheberInnen, Zeitpunkte und Begründungen näher einzugehen, möchte ich aufgrei- fen (vgl. Skiera 2010, S.456-465):

− Das Ganze der Erziehung wird durch die Überbetonung einer Richtung oft aus den Augen verloren. Einzelnen Strömungen wird daher Einseitigkeit vorgeworfen, sowie eine Übertreibung einzelner Prinzipien. − Die Reformpädagogik ist nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, es gibt ei- ne inkommensurable Vielfalt. − Unter den reformpädagogischen Ideen finden sich teilweise utopische Vorstellungen und Forderungen. − Die weltanschaulichen Grundlagen mancher reformpädagogischer Konzepte beinhal- ten eine mystisch-pantheistische Religiosität. 109

− Die Zurückhaltung der Erziehungspersonen wird aufs Äußerste getrieben. − Die Kinder und Jugendlichen werden durch reformpädagogische Praxis überfordert. − Der, in vielen Strömungen, hochgehaltene Gemeinschaftsgedanke entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität und dem Prinzip der Sachlichkeit.

Da in der vorliegenden Diplomarbeit besonders die Waldorf- und die Montessoripädagogik im Mittelpunkt stehen, gilt es auch speziell die Kritikpunkte zu diesen beiden Konzepten ge- nauer zu untersuchen.

4.2.1 Kritik an der Waldorfpädagogik Die umstrittene anthroposophische Lehre Rudolf Steiners ist eng verbunden mit der Wal- dorfpädagogik. Unter Anthroposophie kann man sich das Folgende vorstellen:

Neben der materiellen Welt, auf die die herkömmlichen Naturwissenschaften beschränkt sind, gibt es nach anthroposophischer Vorstellung noch eine geistige kosmische Welt, die unseren Sinnesorganen verborgen bleibt.[…] Die Anthroposophie will die ‚Geistorgane‘ des Menschen schulen, um ihn zum Zugriff auf die geistige Welt und damit zu höheren Erkenntnissen zu be- fähigen. (Sebastiani 2011)

Kritisch betrachten kann man die unseren Sinnen entrückten mystischen Vorstellungen und Wahrheiten dieser Lehrer, welche von Steiner als Wissenschaft angesehen wird, meint Se- bastiani im Artikel ‚versteinerte Pädagogik‘. ‚Eingeweihte‘ gelangen durch ‚Schauung‘ dieser mystischen Dimension zu Erkenntnissen, die wiederum durch diesen Weg der Auffindung gewonnenen Erkenntnisse seien wissenschaftlich überprüfbar. Diesem Anspruch kann je- doch nicht entsprochen werden, da durch ‚Schauung‘ erkannte Wahrheiten für andere Men- schen nicht überprüfbar sind. Um diese Überprüfung durchführen zu können, bräuchten die Menschen ‚geistige Organe‘ zur Erkenntnisgewinnung, die aber nicht ausgebildet sind. Aus dieser kontroversen Vorstellung zur Erkenntnis entsteht auch die Frage, wie in der Waldorf- pädagogik naturwissenschaftlicher Unterricht mit dem anthroposophischen Gedankengut vereinbart werden kann. (Vgl. Sebastiani 2011)

Das Ziel der Waldorfpädagogik laut Sebastiani ist, den „Menschen durch Erziehung zu befä- higen, sich selbst und ihre schicksalhafte Bestimmung zu erkennen und dabei den Kosmos mit seinen verborgenen Wahrheiten zu entschlüsseln.“ (Sebastiani 2011) Er weißt darauf hin, dass der anthroposophische Hintergrund in der praktischen Waldorfpädagogik selten beim

110

Namen genannt wird und sowohl für SchülerInnen, als auch deren Eltern, oft nicht klar er- sichtlich ist. (vgl. Sebastiani 2011)

Steiners Werk beinhaltet auch die folgenden wissenschaftlich kritisch zu betrachtenden, oder teilweise wissenschaftlich veralterten Ideen, die hier nur angeführt, aber nicht inhalt- lich erklärt werden (vgl. Sebastiani 2011):

− Der Lehrplan an Schulen soll gebunden sein an die ‚Theorie der Kulturstufen‘, die be- sagt, dass jeder einzelne Mensch in seinem Reifungsprozess die Entwicklung der Menschheit nachahmt. − Steiner geht davon aus, dass der Ursprung des Menschen in Atlantis liegt. − Wie im Kapitel 2.2.2 erwähnt, teilte Steiner die Inhalte einer aus heutiger sicht über- holte Temperamentenlehre (Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker und Sanguini- ker). − Die ebenfalls schon im Kapitel 2.2.2 beschriebene anthroposophische Entwicklungs- psychologie, auch Lehre von den Körperhüllen genannt, beeinflusst die Schulkonzep- tion Steiners besonders. Dadurch wird beispielsweise ein späterer Einsatz des na- turwissenschaftlichen Unterrichts und auch der Frontalunterricht begründet. − Weiters wird aus heutiger Sicht, Rudolf Steiner immer wieder eine rassistische Hal- tung vorgeworfen.

In wie weit dieses Gedankengut noch heute den Alltag an Waldorfschulen beeinflusst kann nicht generalisierend über alle Institutionen hinweg beurteilt werden.

Skiera bezeichnet Rudolf Steiners Lehre als ‚Weltanschaulichen Totalitarismus‘ und sieht darin gleichzeitig das Faszinierende und die Zumutung der Waldorfpädagogik. Er weißt auch auf die Analysebedürftigkeit der Inhalte Steiners hin, findet jedoch, dass trotz der Kritik an der Waldorfpädagogik und ihren Hintergründen, diese in ihrer Umsetzung auch zu würdi- gende Details hat, wie beispielsweise ein durchgehendes Bildungskonzept ohne Sitzenblei- ben. (Vgl. Skiera 2010, S.263-266)

Auch das achtjährige Klassenlehrersystem, das Fehlen einer personifizierten Schulleitung, der Verzicht auf Noten, die LehrerInnenausbildung, die Eurythmie (vgl. Sebastiani 2011) und weitere waldorfschulimmanente Spezifika können auf Vor- und Nachteile hin analysiert wer- den, was den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen würde. 111

4.2.2 Kritik an der Montessoripädagogik Obwohl die Montessoripädagogik weit verbreitet ist und auch, beispielsweise als Freiarbeit, in der Regelschule, vor allem im Primarbereich, angekommen ist (vgl. Skiera 2010, S.230), findet man fundierte Kritikpunkte nur schwer in der öffentlichen Diskussion und Literatur.

In der Umsetzung der Montessoripädagogik im Kindergarten und Volksschulalter wird das von Montessori nicht vorgesehene Spielen mit den Materialen kritisiert. Das Sinnesmaterial soll in einer bestimmten, von Montessori vorgesehenen Weise gebraucht werden und nicht zum Spielen verwendet werden. (Vgl. Maria Montessori Info o.J.)

Weiters wird der Phantasiebegriff Montessoris in Frage gestellt. In ihrem Sinne ist Phantasie eine Folge von ‚unzureichender Wirklichkeitserfahrung‘, die schon unterstützend beiträgt um mögliche Lösungen für reale Probleme zu finden, doch immer auf der grundlegenden Erfahrung der realen Welt. (Vgl. Maria Montessori Info o.J.)

Auch die Phasentheorie der Entwicklung (siehe Kapitel 2.2.1) des Kindes und die Rede vom ‚inneren Bauplan‘ werden oft kritisch betrachtet, und kann auch durch die Wortwahl eine gewisse Starrheit ausdrücken (vgl. Maria Montessori Info o.J.).

Fundierte Kritik an der montessoripädagogischen Theorie findet man bei Brigitta Fuchs (vgl. Fuchs 2003), die einen kritisch-hinterfragenden Überblick zu Montessoris Inhalten gibt. Eini- ge Gedanken aus dem Buch ‚Maria Montessori – Ein pädagogisches Porträt‘ werden im Fol- genden erläutert.

Der Versuch die positivistischen Wurzeln der Montessoripädagogik herauszuarbeiten bringt aus Fuchs Perspektive den Vorteil mit sich Montessoris wissenschaftliches Bemühen hervor- zuheben, doch wird dadurch auch die Vernachlässigung des ‚dialogischen Grundcharakters der Erziehung‘ ihrer Theorie betont. Deshalb wird beispielsweise auch von einer ‚sprachlosen Pädagogik‘ in Bezug auf die Montessoripädagogik gesprochen. (Vgl. Fuchs 2003, S.149)

Auch der Freiheitsbegriff Montessoris ist kritisch zu hinterfragen. Bei genauer Analyse der vermeintlich kindlichen Selbstbestimmung in der Montessoripädagogik, findet Fuchs ein eher deterministisches pädagogisches Denken Montessoris vor. (Vgl. Fuchs 2003, S.150f)

112

Entwicklung definiert Montessori als einen Prozess der Selbstorganisation; von freier Selbst- entscheidung und autonomer Selbstbestimmung kann bei ihr allenfalls in sehr eingeschränk- tem Maße die Rede sein. Dementsprechend verengt sich ihr Freiheitsbegriff auf die biologische Entwicklungsfreiheit, und das Problem der sittlich-moralischen Freiheit wird von ihr auf die praktische Einübung in Sitte und Brauchtum reduziert. (Fuchs 2003, S.150)

Kritiker werfen Montessori deshalb einen versteckten Determinismus in ihrer Theorie vor (vgl. Fuchs 2003, S.150).

Auf eine in der Theorie immanente Gefahr einer politischen Naivität Montessoris (vgl. ebd., S.151) und auf die kritische Betrachtung der Umdeutung der kosmischen Erziehung Montes- soris zu einer ökologischen Pädagogik (vgl. Fuchs 2003, S.150), wird weiters hingewiesen. Eine vertiefende Betrachtung dazu wird in dieser Diplomarbeit jedoch nicht angeführt.

113

5. Reflexion Um meinen persönlichen Eindrücken, meine Einstellungen und Gedanken, die sich rund um die Reformpädagogik während der Arbeit an der vorliegenden Diplomarbeit entwickelt ha- ben, Raum zu geben, habe ich beschlossen auch ein Reflexionskapitel zu schreiben.

Über den Arbeitsprozess:

Um sich einen Überblick zur Reformpädagogik zu schaffen, muss man einen steinigen Weg gehen. Dieses Thema wurde schon so oft, so ausführlich und detailliert zum Untersuchungs- gegenstand von PädagogInnen, dass es sehr viel allgemeine Literatur dazu gibt. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass der Begriff nicht klar abgegrenzt ist und sich immer wieder neue Strömungen, die sich selbst auch als Reformpädagogik sehen, entwickeln. Viele Ideen sind leider nicht wissenschaftlich aufarbeitet und Verschriftlichungen von reformpädagogischen Inhalten in der Literatur der Fachdidaktik Mathematik für die Sekundarstufe 2, sind kaum zu finden, oder schwer zugänglich bzw. sehr teuer. Ich habe mich von einer Informantin zum nächsten Informanten vorarbeitet, durch zahlreiche E-Mail und Telefonkantakte bin ich im- mer wieder auch an Helfende Hände geraten.

Zuerst aus eigenem Interesse, später um dadurch auch meine Diplomarbeit zu verfeinern, habe ich zu österreichischen und deutschen Schulen, die reformpädagogische Konzepte in der Sekundarstufe umsetzen, Kontakt aufgenommen. Um an weitere Informationen zu ge- langen, aber auch um mir die Möglichkeit herauszuschlagen, die Schulen und den Mathema- tikunterricht zu sehen. Nicht gleich bekam ich eine Zusage zum Hospitieren an einer Wal- dorfschule, von denen es ja mehrere in Österreich gibt. Doch es klappte in Wien Mauer. Vom MORG Grödig habe ich erst nach einiger Zeit durch Zufall erfahren. Bis dahin glaubte ich, es gäbe keine Umsetzung der Montessoripädagogik in der Sekundarstufe 2 innerhalb Öster- reichs. Deshalb habe ich davor versucht eine Hospitationsmöglichkeit in Deutschland zu fin- den. Im MORG hat es aus Zeitgründen leider nicht für einen Hospitationsbesuch gereicht, doch ich habe eine Interviewmöglichkeit erhalten.

Der Kontakt zu vielen Menschen, Institutionen und Verbänden hat mir einen ersten Einblick in die österreichische reformpädagogische Landschaft verschafft. Ich weiß dadurch auch, welche Ausbildungsmöglichkeiten mir offen stehen, habe für den Mathematikunterricht in- teressante Literatur, sowohl aus Österreich, als auch aus Deutschland und den USA kennen

114 gelernt. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto dichter sind die Hinweise und Auskünfte geworden, umsomehr Literaturbeiträge waren ertragreich.

Der Schreibprozess an sich war eine Herausforderung, doch diente er auch dem Ordnen der Informationen und Gedanken. Oft hatte ich das Gefühl, die Verschriftlichung braucht sehr viel Zeit, die ich schon zur konkreten Ausarbeitung für Unterrichtsthemen nützen könnte. Dies wird ein nächster Schritt im Prozess für mich sein.

Zur Montessoripädagogik

Der montessoripädagogische Ansatz ist mir ein grundlegend Sympathischer und war mir auch schon vor dem Beginn des Arbeitsprozesses vertraut. Dadurch ist mein Interesse an diesem Diplomarbeitsthema erst entstanden.

Die Überlegungen von Montessori selbst zur Bildung in der Sekundarstufe 2, sind leider we- nig konkret. Wenn man versucht sich nur auf ihre Ideen zu beziehen, wird eine Umsetzung schwierig. Der Vorteil dabei ist, dass für die kreative Weiterentwicklung des Konzeptes vieler weiterer PädagogInnen Platz ist. Eine intensivere Beschäftigung mit dem verwandten Dal- tonplan ist für mich reizvoll und ich bin sehr interessiert daran noch weitere Schulen, die Montessoripädagogik in der Oberstufe umsetzten kennen zu lernen. Besonders die beiden Schulen Biberkor in Bayern und den in der Arbeit erwähnten Hagerhof.

Gerade durch das Interview mit Herrn Bernhofer habe ich sehr viele Ideen, die auch im Re- gelmathematikunterricht umsetzbar sind, erhalten. Und er hat mir Mut gemacht, viele Dinge in der Unterrichtspraxis einfach auszuprobieren und mich nicht einschüchtern zu lassen.

Ich habe vor, die Montessori Grundausbildung in Zukunft zu machen, auch wenn es leider bis jetzt in Österreich keine speziellen Schulungen für die Sekundarstufe, bzw. für das Fach Ma- thematik gibt.

Auch der Mathematiklehrer Michael Waski, der sich mit der Vermittlung von Mathematik im Sinne Montessoris an SchülerInnen in der High School beschäftigt hat mein Interesse ge- weckt. Bedauerlicherweise sind seine englischsprachigen Bücher in Europa schwer, bzw. nur in Verbindung mit hohen Kosten, erhältlich.

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Zur Waldorfpädagogik

Die Waldorfpädagogik war mir neu und fremd, am Beginn meiner Recherche für die Diplom- arbeit. Ich habe immer wieder Leute kennen gelernt, die eine solche Schule besucht haben, doch ich hatte keine Vorstellung zu diesem Konzept.

Neben der Literaturarbeit war die Möglichkeit des Hospitierens in der Rudolf-Steiner Schule Wien Mauer, besonders wichtig um ein lebendiges Bild dieser pädagogischen Ideen zu be- kommen. Ohne zu übertreiben, durfte ich bei meiner dortigen Hospitation den best struktu- rierten und leicht verständlichsten Mathematikunterricht erleben, den ich bis jetzt beobach- tet habe. Ich denke, durch den geduldigen und klaren Umgang des Lehrers mit den Schüle- rInnen, wurde dieses Empfindung von mir noch verstärkt.

Die Bücherreihe ‚Mathematikthemen für die 9.-12. Klasse‘, herausgegeben von Herrn Ste- phan Sigler, ist eine Entdeckung, die mir viele neue Möglichkeiten zur Einführung von ma- thematischen Inhalten bietet. Natürlich sind diese Bücher speziell für WaldorfschullehrerIn- nen konzipiert, doch ich werde gewiss die eine oder andere Idee daraus im eigenen Unter- richt ausprobieren.

Mein Nutzen für den Unterricht

Während meiner Arbeit an der Diplomarbeit habe ich auch ein Ideenbuch für den Unterricht angelegt. Darin habe ich stichwortartig interessante Methoden, Hinweise, Literatur und Pä- dagogInnen notiert. Einige Ideen, die ich später im Unterrichtsgeschehen gerne ausprobie- ren möchte, werde ich nennen.

• Kopfrechenübungen möchte ich auch in der Oberstufe, beispielsweise am Beginn je- der Stunde durchführen, wie ich es während der Hospitation an der Waldorfschule be- obachten konnte. Dort wurden vor allem das Multiplizieren von zweistelligen Zahlen und das Potenzrechen geübt. Ich kann mir auch vorstellen die Bruchrechnung und das Umwandeln von Maßeinheiten hier zu thematisieren. • Beispiele von SchülerInnen selbst erfinden und Schularbeiten selbst zusammenstellen lassen, sind beide guten, aber auch zeitaufwendigen Ideen. Als Hausübung vor jeder Schularbeit von den SchülerInnen selbst eine solche entwickeln zu lassen, fände ich ei- ne reizvolle Idee.

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• Das Wahlsystem am MORG hat mich beeindruckt. Ohne Freiarbeitsstunden ist dies im Regelunterricht denke ich schwer möglich. Doch die Wahl der Hausübung wäre eine Möglichkeit. Man könnte immer drei Aufträge als Hausübung vorschlagen, mindestens einer müsste dann von den SchülerInnen termingerecht abgegeben werden. Dadurch gibt es auch immer genügend freiwillige Übungsmöglichkeiten für SchülerInnen, die diese auch benötigen. • Problemlösen lernen im Mathematikunterricht bewusst zu machen ist sicher nicht ein- fach, aber sinnvoll denke ich. Schon durch die Beschäftigung mit diesem Thema in Zuge einer fachdidaktischen Seminararbeit, habe ich mir vorgenommen, dies auch einmal im eigenen Unterricht zu versuchen. • Die Geschichte der Mathematik in den Unterricht einzubauen war von mir schon vor dem Lesen von Michael Waskis Artikel, eine fixe Vorstellung. Umso mehr habe ich mich über diesen Artikel gefreut, der sich mit dem historischen Zugang im Mathematikun- terricht beschäftigt und der viele Ideen und auch Literaturhinweise beinhaltet. • Die Auseinadersetzung mit verschiedenen Winkelmaßsystemen habe ich im Rahmen der Hospitation an der Waldorfschule zum ersten Mal erlebt. Ich selbst hatte bis dahin kein Wissen, dass über Grad und Rad hinausging. Durch die Auseinadersetzung mit verschiedenen Einheitssystemen werden diese relativ und die Flexibilität im Denken der SchülerInnen wird gefördert. • Modellierungsaufgaben (z.B. Wie oft muss ich ein Blatt Papier falten, damit die Dicke den Abstand Erde - Mond ausfüllt?) möchte ich von Beginn an immer wieder einstreu- en. Sowohl in Unter- als auch in der Oberstufe finde ich diese Aufgaben inhaltlich sehr sinnvoll. Weiters eigenen sich diese Aufgaben gut um den Unterricht offener zu gestall- ten. Sowohl zeitlich, räumlich, in der Gruppenstruktur und der Ergebnissicherung kann in der Unterrichtsgestaltung dabei neues adaptiert werden. Wichtig ist denke ich, als Lehrperson trotzdem klare Rahmenbedingungen zu schaffen. • Ein Projekt zu statistischen Inhalten, vielleicht in Verschränkung mit dem Psychologie- unterricht in der 7. Klasse, wäre sehr interessant. Bei der Einführung statistischer Kennzahlen, die ich in einer 6. Klasse durchführen durfte, habe ich auch Daten der SchülerInnen erhoben, mit denen wir im Unterricht dann weitergearbeitet haben. Die- se Idee könnte man erweitern.

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Persönliches Resümee

Trotz der Betonung der Handelungsebene in der aktuellen Diskussion um den Mathematik- unterricht, bleibt meiner Meinung nach die Rede doch meist beim Inhalt welcher vermittelt werden soll. Der kompetenzorientierte Unterricht, Bildungsstandards und damit einherge- hende Überprüfungen, propagieren zwar einen dahinterstehenden guten Unterricht, doch im Endeffekt geht es meist um das inhaltliche Wissen der SchülerInnen. Soziale, emotionale und methodische Aspekte werden meiner Meinung nach nicht genug wertgeschätzt, was meinem Bildungsbegriff widerspricht.

Die Lösung für jede Art von Kritik am Regelschulunterricht in der Reformpädagogik zu suchen ist denk ich übertrieben, denn es kann dabei zu utopischen Umsetzungswünschen und auch Widersprüchen (z.B. Individualisierung und Differenzierung der Lehrinhalte vs. standardisier- te Prüfungsvorschriften) kommen. Doch ich glaube es geht darum, seine Unterrichtsgestal- tung als LehrerIn für neue Ideen zu öffnen. Jede Lehrperson hat andere Stärken und fühlt sich mit anderen Methoden in der Klasse wohl. Eine authentische, begeisterte Lehrperson, die bewusst in die Wechselbeziehung SchülerInnen-LehrerInnen tritt, hat auch einen positi- ven Einfluss auf die inhaltlichen Leistungen der SchülerInnen (vgl. BMUKK 2012a).

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6. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 (LW 2010, S.37)

Abb. 2 selbst erstellte Abbildung

Abb. 3 (Blum, Leiß 2005, S.19)

Abb. 4 BIFIE - Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens o.J.: Kompetenzen und Modelle. https://www.bifie.at/node/49 , aufgerufen am 11.8.2013.

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128

8. Anhang

8.1 Fragebogen

8.2 Antworten auf den Fragebogen

8.3 Liste der Schulen

8.4 Interviewleitfaden

8.5 Transkription

8.6 Ausgearbeiteter Pfad von Waski

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8.1 Fragebogen

Name: Institution:

1) Schulalltag • Wie verläuft ein Tag an Ihrer Schule? • Wie sind die räumlichen Gegebenheiten? • Welche Gruppierungen/ Klassen gibt es? • Welche frei Zugänglichen Lehrhilfsmittel gibt es?

2) Mathematische Inhalte • Welche mathematischen Inhalte erlernen die SchülerInnen? • Wie erlernen sie diese? • Gibt es Vorgaben zum Erlernen mathematischer Inhalte? Wenn ja, welche? • Welche Methoden und welche Materialien verwenden die Lernenden zum Mathematiklernen? • Mit welchen Büchern arbeiten die SchülerInnen? • Welche Verknüpfungen zur Praxis, zu anderen Lerninhalten/Themen ergeben sich?

3) Überprüfung • Werden die mathematischen Kompetenzen der Lernenden überprüft? Wenn ja, wie? • Wie werden Lernschritte dokumentiert? • Welche Ziele in Bezug auf mathematische Inhalte werden verfolgt?

8.2 Antworten auf den Fragebogen

Sehr geehrte Frau Niederl, ich bin Lehrerin an der Montessori-Mittelschule/Gymnasium in Chemnitz und ich werde versuchen, Ihnen Ihre Fragen zu beantworten: Name: Jana Hartig Institution: Montessori-Mittelschule/Gymnasium Chemnitz

1. Schulalltag 1.1. Tagesablauf: Die Schüler kommen bis spätestens 7.50 Uhr in die Schule. 8.00 Uhr beginnt der Unterricht. Es gibt in der Mittelschule eine Grundstufe mit altersgemischten Klassen 5/6/7 und eine altersgemischte Mit- telstufe 8/9. Die Schüler der Klasse 10 bilden eine eigene Klasse, da sie sich besonders auf die Prü- fungen konzentrieren. Die gemischte gymnasiale 10/11/12 bauen wir gerade auf, die die Oberstufe bildet. Tagesablauf in der Grundstufe: 8.00 - 9.45 Uhr Freiarbeit; 10.15 - 12.15 Werkstatt (einführender Un- terricht), 12.15 - 12.55 Uhr Mittagspause, 12.55 - 13.10 Uhr Stilleübung, 13.15 - 15.15 Uhr Freiarbeit/Ganztagsangebote und Kurse, 15.15 - 15.30 Abschlusskreis Tagesablauf in der Mittelstufe: 8.00 - 9.45 Uhr Werkstatt (s.o.), 10.15 - 12.15 Uhr Freiarbeit, 12.15 - 12.55 Uhr Mittagspause, 12.55 - 13.10 Uhr Stilleübung, 13.15 - 15.15 Uhr Freiarbeit und Werkstatt, 15.15 - 15.30 Abschluss- kreis

1.2. Räumliche Gegebenheiten Wir haben eine Schule aus der ehemaligen DDR, die unsere Bedürfnisse nur sehr eingeschränkt er- füllt. Die Montessori-Pädagogik erfordert reichlich Platz für geordnetes Freiarbeitsmaterial. Da muss es zukünftig Veränderungen geben. Außerdem ist die Schule mit ihrer Schülerzahl gegenwärtig am Kapazitätslimit unter den gegebenen Klassenräumen. Der Verein denkt über bauliche Aktivitäten nach.

1.3. Klassen Wie oben erwähnt, gibt es altersgemischte Klassen. Gegenwärtig fünf in der Grundstufe, vier in der Mittelstufe (drei gemischte 8/9 und die 10). Wir haben einen integrativen Ansatz, so dass in den Klas- sen Mittelschüler, Gymnasiasten und Kinder mit Besonderheiten gemeinsam lernen.

1.4. Lehrhilfsmittel In allen Klassenräumen gibt es für die wesentlichsten Fächer Lehrbücher aus verschiedenen Jahrgän- gen. In der Grundstufe existiert darüber hinaus viel anschauliches Material zum "Begreifen", da alle Schüler angehalten sind, in der Freiarbeit ihre Arbeitszeit selbständig zu organisieren und ihre per- sönlichen Lernziele zu verfolgen. In den Werkstatt-/Fachräumen existiert Experimentiermaterial, Nachschlagewerke etc. Außerdem stehen einige Zeitschriften zur Verfügung.

2. Mathematische Inhalte 2.1. Inhalte Grundlage der Arbeit sind die staatlichen Lehrplananforderungen, die die Grundlage für die Prüfun- gen in Klasse 10 und 12 bilden. Jeder Schüler hat darüber hinaus die Möglichkeit, ihn interessierende Themen zu vertiefen bzw. Stoff außerhalb seines vorgesehenen staatlichen Pensums zu erarbeiten.

2.2. Ablauf Zu jedem Lehrplanthema gibt es vom Lehrer geleitete Einführungen in den sogenannten Werkstät- ten. Dort werden auftretende Probleme besprochen, Beispiele gerechnet etc. In der Freiarbeit ent-

scheidet jeder Schüler selbst, wann und wie viel er übt. Arbeitsblätter werden zur Verf ügung gestellt, Lehrbücher zum Nachschlagen sind in den Klassenräumen vorhanden. Über Anschauungsmaterial kann der Schüler auch außerhalb der Werkstattzeiten in den Fachräumen verfügen. Die Fachlehrer sind auch in der Freiarbeitszeit bei Problemen ansprechbar.

2.3. Vorgaben Die Vorgaben entstehen durch die Lehrpläne des Freistaates Sachsen, deren wesentliche Erarbeitung die Prüfungsgrundlage darstellt.

2.4. Methoden und Materialien Es wird alles verwendet, was das Verständnis fördert. Es existiert in den Grundstufenklassen ein recht umfangreiches Materialangebot zu arithmetischen und geometrischen Problemen. In den höheren Klassen wird die Abstraktionsfähigkeit erweitert durch Vorstellungsübungen, praktische Anwendun- gen und Projekttage und -wochen.

2.5. Bücher Es gibt vom Freistaat Sachsen genehmigtes Lehrwerk, das zur Verfügung steht. Außerdem existiert ältere Literatur, die ergänzend eingesetzt wird. Vordergründig nutzen wir die Bücher von Duden- Paetec und Cornelsen.

2.6. Praxis Die Schüler können an Studientagen praktische Themen verfolgen, in Berufszweige schnuppern, die mit Mathematik zu tun haben oder jederzeit eigene Interessen thematisieren. Durch die Altersmi- schung werden mathematische Probleme auch oft in kleinen Teams gelöst, so dass die größere Er- fahrung der Älteren den Jüngeren zum Nutzen gereicht.

3. Überprüfung 3.1. Überprüfungen Die Schüler schreiben Tests, halten Vorträge oder legen Lernportfolios an. Jeder Schüler schreibt seinen Test innerhalb eines festgesetzten Zeitraumes - etwa vier Wochen -, wann immer es in seine persönliche Planung und zu seinem Erkenntnisstand passt. Zu jedem Thema existieren mehrere un- terschiedliche Tests.

3.2. Dokumentation des Lernfortschrittes Zu Beginn eines Schuljahres werden allen Schülern in allen Fächern Listen ausgehändigt, auf denen die Lehrplaninhalte des Schuljahres notiert sind, sogenannte Pensenlisten. Hat ein Schüler einen Ar- beitsbereich abgeschlossen und seinen Leistungsnachweis erbracht, wird das auf den Pensenlisten notiert, so dass jeder jederzeit die Übersicht über "Soll und Haben" hat. Auf den Pensenlisten ist na- türlich auch Raum, um die eigenen Projekte darzustellen, die außerhalb der Vorgaben liegen. 3.3. Ziele Diese Frage kann jeder Kollege nur persönlich beantworten. Mir ist es wesentlich, dass 1. Mathema- tik nicht gehasst wird, weil der Sinn dieser Geisteswissenschaft nicht erfasst wird, 2. Mathematik als Werk- und Spielzeug anderer Lebensbereiche erkannt wird, 3. Mathematik alltagstauglich und selbst- verständlich eingesetzt wird, 4. die Prüfungen keine übermäßige Belastung darstellen.

Sehr geehrte Frau Niederl, ich hoffe, ich konnte Ihnen hier geschwind einige wesentliche Randbedin- gungen unserer Montessori-Schule deutlich machen. Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie nicht, sich noch einmal zu melden.

Mit freundlichen Grüßen Jana Hartig

Sehr geehrte Frau Niederl, ich bin von Anfang an (2007) an der MOS als Mathematik- und Physiklehrerin dabei und ha- be sozusagen den Unterricht und das entsprechende Material nach meinen Vorstellungen und Wünschen zusammengestellt. Natürlich wird man nie fertig und so arbeite ich an Ver- besserungen, Änderungen und hoffe auf neuen Input durch einen Kollegen (Peter Phillip- sen), der Ihnen sicher auch seine Sichtweise schreibt. Die Umsetzung der Montessori-Pädagogik („Erdkinderplan“) für die Sekundarstufe 2 ist be- sonders schwierig, da Maria Montessori immer nur an Kinder bis vielleicht 16 Jahre gedacht hat. So sage ich Ihnen einfach wie wir es hier handhaben:

Name: Dr. Dominique Möller (weiblich, falls mein Vorname Verwirrung stiftet ☺) Institution: Montessori Fachoberschule Klassen 11 – 13 mit Fachabitur (FOS12) bzw. allge- meiner Hochschulreife (FOS13)

1) Schulalltag

• Wie verläuft ein Tag an Ihrer Schule? 8.30 – 10.00 Studierzeit mit Fachlehrern. Schü- ler können sich entscheiden, wann sie mindestens 3 Stunden jeweils 1h Mathematik, Englisch und Deutsch bearbeiten. Ab 10. 00 Uhr gebundener Unterricht für 2-3h, die ich abwechselnd auch mit Studierzeit fülle. • Wie sind die räumlichen Gegebenheiten? Klassenzimmer mit 24 Plätzen, leider oft übervoll und im Mathematikunterricht wol- len die Schüler unbedingt wie in der Regelschule sitzen, in Reihen hintereinander. • Welche Gruppierungen/ Klassen gibt es? Klassen 11-13 • Welche frei Zugänglichen Lehrhilfsmittel gibt es? Lehrbücher nach Lernplan, Stark- Trainer, Ordner mit Übungsaufgaben, sehr viele von mir selbst erstellt und die ent- sprechenden Lösungen. Werde Ihnen einige Beispiele schicken.

2) Mathematische Inhalte

• Welche mathematischen Inhalte erlernen die SchülerInnen? Nach Lehrplan: Analysis, Stochastik, analytische Geometrie, Leontief-Modell … (findet sich auf der Seite vom Kultusministerium). • Wie erlernen sie diese? Mit viel Üben, Erklärungen und Beispielen, aber vor allem versuchen wir die Schüler zu motivieren, selbständig zu arbeiten (funktioniert nicht bei allen). Wir haben für alle Aufgaben Lösungen in Ordnern oder auf unserer vibos (virtuelle Schule) Plattform. • Gibt es Vorgaben zum Erlernen mathematischer Inhalte? Wenn ja, welche? Wenn ich die Frage richtig verstehe, dann würde ich sagen, jeder Schüler macht es so wie es ihm passt. Wir besprechen auch mit einzelnen Schülern verschiedene Techniken und „coachen“ sie bei Bedarf. • Welche Methoden und welche Materialien verwenden die Lernenden zum Mathe- matiklernen? Viele, viele Übungsaufgaben, Trainingsbücher vom Stark-Verlag, Abi- turaufgaben, Dominospiele für z.B. lineare, quadratische Funktionen oder graphi- sches Ableiten (AOL-Verlag, nur zu empfehlen)

• Mit welchen Büchern arbeiten die SchülerInnen? Es gibt Mathematikbücher aber die Schüler bevorzugen die Stark-Trainer und Fabi-Trainer (finden Sie alles im Internet, wenn Sie an mehr Details interessiert sind). • Welche Verknüpfungen zur Praxis, zu anderen Lerninhalten/Themen ergeben sich? Schwierig, aber gerade in Stochastik hat fast jede Aufgabe mit dem „echten Leben“ zu tun. Bei Analysis hat man es etwas schwerer einen Bezug zu finden. Vielleicht Brü- cken für Parabeln oder Skischanzen bei Funktionen 3. Grades. In der 13. Klasse gibt es beim Leontief-Model eine Verbindung zur Wirtschaft. Ansonsten muss die Physik her- halten.

3)Überprüfung

• Werden die mathematischen Kompetenzen der Lernenden überprüft? Wenn ja, wie? Es gibt Selbsttest (ca. 6/Jahr) mit sofortiger Lösung und Tests (ca. 3 inklusive ein Pro- beabitur) die eingesammelt und „benotet“ werden, aber das ist meistens freiwillig. • Wie werden Lernschritte dokumentiert? Wir haben eine Art Zeugnis und bei feed- back-Gesprächen 3 Mal (11. Klasse) bzw. 2 Mal (12. und 13. Klassen) pro Jahr bespre- chen wir ca. 30 Minuten lang mit jedem Schüler die Bemerkungen und „Noten“ und was er/sie/wir verbessern können. • Welche Ziele in Bezug auf mathematische Inhalte werden verfolgt? Ein gutes Abitur zu schaffen und vielleicht auch ein wenig (manchmal einmal sogar viel) Spaß dabei zu haben.

8.3 Liste der Montessori-Schulen

Name: Biberkor Schule für Alle/ Gymnasium Name: Montessori -Fachoberschule MOS Mü n- Straße: Biberkorstr. 19-23 chen PLZ: 82335 Straße: Edmund-Rumpler-Straße 7 Ort: Berg-Höhenrain PLZ: 80939 Telefon: 08171-2677-200 Ort: München Fax: 08171-2677-202 Telefon: 089-36088780 E-Mail: kontakt(at)biberkor.de Fax: 089-36088782 Internet: www.biberkor.de E-Mail: gesowi(at)mos-muenchen.de Internet: www.mos-muenchen.de Name: Montessori -Fachoberschule Rohrdorf Name: Montessori -Fachoberschule Wertingen Straße: Untere Dorfstraße 14 Straße: Zusmarshauser Str. 19 PLZ: 83101 PLZ: 86637 Ort: Rohrdorf Ort: Wertingen Telefon: 08032-91016 Telefon: 08272-6410760 Fax: 08032-91017 Fax: 08272-6410790 E-Mail: schulleitung-fos(at)montessori- E-Mail: mos(at)montessori-schule-wertingen.de rohrdorf.de Internet: www.montessori-schule-wertingen.de Internet: www.montessori-rohrdorf.de Name: Montessori Fachoberschule Regensburg Name: Montessori Fachoberschule Passau Straße: Prüfeninger Schloßstr. 73 c Straße: Spitalhofstr. 37 PLZ: 93051 PLZ: 94032 Ort: Regensburg Ort: Passau Telefon: 0941-9467796 Telefon: 0851-753092 Fax: 0941-9467797 Fax: 0851-753099 E-Mail: fos(at)montessori-regensburg.de E-Mail: fos(at)montessori-passau.de Internet: www.montessori-regensburg.de Internet: www.montessori-passau.de Name: Montessori -Fachoberschule Würzburg Name: Freie Montessorischule L andau Straße: Kloster Oberzell 16 Vorsitzende(r): Hildegard Lippert PLZ: 97299 E-Mail: [email protected] Ort: Zell Telefon: 0931-329191-0 Fax: 0931-329191-24 E-Mail: fos(at)montessori-wuerzburg.de Internet: www.montessori-wuerzburg.de Name: Schloss Hagerhof Name: Monte Köln Adresse: Menzenberg 13, D-53604 Bad Honnef Adresse: Rochusstr. 145, 50827 Köln (Bicken- Tel.: +49 2224 9325-0 dorf) Fax: +49 2224 9325-25 Tel. 0221 / 59 57 23 1 E-Mail: [email protected] Fax: 0221 / 59 57 24 9 E-mail: [email protected] Name: MONTESSORI -SCHULE CHEMNITZ, Freie Name: Anna –Schmidt schule Frankfurt Oberst u- integrative Schule, Gymnasium / Mittelschule fenleiterin: Frau Andrea Abt-Stein Adresse: Fürstenstraße 147, 09130 Chemnitz E-Mail: [email protected] Telefon: 0371 2804228 Telefon: 069-955005-0 Fax: 0371 4323376 E-Mail: [email protected]

Name: Montessori -Zentrum Hofheim Name: Rhein -Main International Montessori Adresse: Schloßstr. 119 - 65719 Hofheim- School Marxheim Adresse: Hugenottenstraße 119, 61381 Fried- Tel.: 06192-309210 - Fax: 06192-309212 richsdorf E-Mail: info(at)montessori-hofheim.de tel. +49 (0)6172-764 65 0 fax +49 (0)6172-764 65 25 mail: [email protected]

Name: Maria -Montessori -Gesamtschule Städt. Gesamtschule Aachen Sek.I und II Adresse: 52066 Aachen Bergische Gasse 18 Schulleiterin: Frau Irmgard Braun Ständige Vertretung: Frau Petra Cönen Telefon: 0241 - 47 42 60 Fax: 0241 - 47 42 64 7 email: [email protected] homepage: www.mmge-ac.de

8.4 Interviewleitfaden (teilstrukturiertes Interview)

Name/Datum/ Schule:

1) Organisatorisches

• Aufnahme?

• Darf die Schule und der Name in der Diplomarbeit genannt werden?

• Wollen Sie Passagen gegenlesen?

2) Schulalltag/pädagogisches Konzept

• Wie verläuft ein Schultag, Schuljahr?

• Stunden pro Schulstufe?

• Wie sind die räumlichen Gegebenheiten?

• Welche Gruppierungen/Klassen gibt es?

• Welche frei Zugänglichen Lehrhilfsmittel gibt es?

• Was ist besonders an dieser Schule? (Erdkinderplan, Methoden,…)

3) Mathematikunterricht – Wie wird Mathematik unterrichtet?

• Wie werden mathematische Inhalte vermittelt?

• Methoden? (frontal, Projekte, …)

• Welche Materialien/ Hilfsmittel werden eingesetzt?

• Welche Bücher werden verwendet?

• Welche Verknüpfungen zur Praxis, zu anderen Lerninhalten/Themen ergeben sich?

• Was ist besonders am Mathematikunterricht an dieser Schule?

• Vorteile/Nachteile?

• Gibt es Unterschiede zum Mathematikunterricht in der Unterstufe?

4) Mathematische Inhalte – Was wird im Mathematikunterricht vermittelt?

• Welche mathematischen Inhalte erlernen die SchülerInnen?

• Welche Vorgaben gibt es?

• Gibt es Wahlmöglichkeiten?

• Wann werden welche Inhalte gelernt?

5) Überprüfungen/Beurteilung

• Werden die mathematischen Fähigkeiten/Fertigkeiten der Lernenden überprüft?

Wenn ja, wie?

• Wie werden Lernschritte dokumentiert?

• Welche Ziele in Bezug auf mathematische Inhalte werden verfolgt? (standardisierte

Mature)

• Wie Beurteilen Sie ihre SchülerInnen?

6) Persönliche Erfahrungen

• Wie sind sie zur Waldorf-Pädagogik gekommen?

• Ausbildung?

• Wie lange sind Sie schon als Lehrer tätig?

• Wie hat sich Ihr Unterrichtsverhalten in den Jahren verändert?

• Was ist Ihnen in Ihrem Unterricht besonders Wichtig?

• Wie ist die Einstellung der SchülerInnen zur Mathematik?

• Was genau ist Eurythmie?

• Wurden alle wichtigen Aspekte angesprochen?

• Ergänzungen?

8.5 Transkription

Projekt: Diplomarbeit (Thema: reformpädagogischer Mathematikunterricht in der Sekundarstufe 2) Interviewerin: Teresa Niederl Datum/Ort des Interviews: 3.7.2013, 9:00 Uhr im Morg Grödig, Otto-Glöckel Straße 10 Dauer des Interviews: 48 Minuten Befragte Person: Andreas Bernhofer, Mathematik- und Musiklehrer am Morg sinngemäße Transkription

Einleitende Wort und Erklärung, warum das Thema der Reformpädagogik für mich interessant ist.

I: Darf der Name deiner Person und der Schule in meiner Diplomarbeit verwendet werden?

B: Ja.

I: Und möchtest du die Passagen, bzw. die Diplomarbeit auch lesen?

B: Ja, gern.

I: Wie ist die Schule aufgebaut?

B: Also wir sind ein Oberstufen-Montessori-Realgymnasium, kurz MORG, das ist der Name. Das heißt nur Oberstufenunterricht und jeweils eine Klasse. Die vier Klassen werden seit fünf Jahren geführt. Im Schuljahr 2012/13 wurde das zweite Mal maturiert. Die Schule ist vor fünf Jahren als evangelische Privatschule gegründet worden und gehört zum Verbund des Diakonievereins Salzburg. Es gibt hier auch ein Kinderhaus, eine Volksschule, eine Hauptschule, eine Orientierungsstufe auch für behinder- te Kinder – diese kann auch als Polytechnikum gesehen werden und das MORG als letzte Stufe.

I: Das heißt man kann seine ganze Schullaufbahn, schon vom Kindergarten weg in diesen Einrichtun- gen, die nach Montessoripädagogik arbeiten genießen.

B: Wobei man dazu sagen muss, dass der Großteil der SchülerInnen dies nicht macht. Unsere Schüle- rInnen (am MORG) kommen ca. zu 20% von diesen Vorgängerschulen.

I: Suchen sich die anderen SchülerInnen bewusst diese Schule aus, wegen des Montessori- Schwerpunktes?

B: Ja, der Großteil sucht sich die Schule bewusst aus. Wir haben den Schwerpunkt bildnerisches Ges- talten und Werkerziehung, auch musisch-kreativ genannt, das ich auch oftmals ein Grund, warum die SchülerInnen an die Schule kommen. Teileweise auch wegen dem Theaterspielen und eben auch wegen der Montessoripädagogik. Dies sind meist die Beweggründe, unsere Schule ist schon eine bewusst gewählte.

I: Das heißt die SchülerInnen fahren auch von Salzburg raus nach Grödig.

B: Ja, der Großteil. Es hat auch in den letzten Jahren schon SchülerInnen gegeben, die extra wegen der Schule umgezogen sind. Eine Kärntnerin und eine Burgenländerin beispielsweise.

I: Meines Wissens, gibt es auch keine weitere Oberstufe, die nach Montessori-Pädagogik arbeitet in ganz Österreich.

B. Ja, das stimmt. In Wien gibt es eine, ist uns gesagt worden, aber die hat kein Öffentlichkeitsrecht.

I: … (Austausch darüber, ob es diese Schule in Wien noch gibt.)

B: … I: Das heißt diese Schule hat Öffentlichkeitsrecht.

B: Ja.

I: Das heißt die Klassen werden auch in ihren Jahrgängen geführt?

B: Ja. Eine Jahrgangsdurchmischung haben wir noch nicht. Das gibt es bei uns in der Unterstufe und in der Volksschule. Wir sind in manchen Fächern gemischt, das heißt, wir haben Wahlpflichtfächer, wo sich SchülerInnen der 6.-8. Klasse sich ein Thema wählen, und dabei sind sie gemeinsam. Bei- spielsweise beim Unterricht in Musik und Tanz.

I: Passiert dies dann eher in den Kreativfächern?

B: Nein, dass sind die typischen Wahlpflichtfächer. Da gibt’s zum Beispiel auch noch politische Bil- dung, Spanisch, Informatik. Diese Durchmischen schätzen die SchülerInnen sehr.

I: Wo in der Schule spiegelt sich die Montessoripädaogik, wo findet man sie, wenn man in die Schule geht?

B: Diese ist teilweise in der Philosophie verwoben. Wirklich sichtbar wird es durch die Freiarbeit, es gestalten eigentlich alle Unterrichtsfächer Teile ihres Unterrichts als Freiarbeit. Die Intensität ist na- türlich in jedem Fach etwas Unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel DeutschleherInnen, die machen Großteils Freiarbeit, also fast keinen Frontalunterricht mehr, oder herkömmlichen Unterricht. Und manche setzten es reduzierter ein. Es gibt Fächer, wo Freiarbeit nicht gut möglich ist, wie Turnen zum Beispiel. Dabei ist es kaum sichtbar. Auch in Musik, neben Mathematik mein Zweitfach, ist es zeitlich begrenzt, weil in Musik auch das gemeinsame Musizieren im Vordergrund steht. Dabei wird die Freiarbeit dann projektartig, ohne Regelmäßigkeit. Die anderen Fächer haben diese Regelmäßig- keit in der Freiarbeit schon und auch täglich. Immer ca. zwei Stunden.

I: Den Stundenplan kann ich mir gleich Vorstellen wie an jeder anderen Schule?

B: Der Stundenplan ist gleich gemacht, aber bestimmte Stunden werden dann als Freiarbeit verwen- det, wobei es dabei eine Lehrperson als Aufsicht gibt, wo die SchülerInnen aber aus den Fächern wählen können.

I: Das heißt Freiarbeit ist an dieser Schule auch nicht Fächergebunden.

B: Die Inhalte schon, aber wann die SchülerInnen etwas machen, dass ist nicht fächergebunden. Die SchülerInnen bekommen in den einzelnen Fächern Aufträge, was zu tun ist und dann gibt’s Freiar- beitszeiten. Diese sind auch als solche im Stundenplan markiert.

I: Gut, jetzt kann ich mir das ca. Vorstellen. Denn es muss ja immer auch eine Zeitspanne und ein Raum zur Verfügung stehen.

B: Ja, es muss auch irgendwie organisiert werden. Wir sind hier ja auch immer im Zwiespalt zwischen dem Erfüllen der gesetzlichen Vorlagen, um das Öffentlichkeitsrecht zu erfüllen und es zu behalten, und dem Öffnen der Schule in alle möglichen Richtungen.

I: Das heißt der Versuch im vorgegebenen Rahmen, neue Dinge auszuprobieren.

B: Ja, und dabei stößt man auch ständig an irgendwelche Grenzen. Wo einem gesagt wird, dass dies nicht geht, oder man das nicht darf. Bei der Benotung ist dies zum Beispiel ein Thema. Hier würden wir uns sehr gerne von den formalen Regeln lösen, aber dies ist so eben nicht möglich.

I: Ja, da gesetzlich Verankerten Regeln, zum Beispiel die Frühwarnung, müssen eingehalten werden. Solche Dinge werden vermutlich im Team besprochen. Wie entwickelt ihr diese Umsetzungen im gesetzlichen Rahmen?

B: Wir haben alle zwei Wochen Teamsitzung, Freitag Nachmittags, dabei wird alles durchbesprochen. Hier wird auch über SchülerInnen gesprochen und auch über Schulentwicklungsdinge.

I: Diese Besprechungen finden im Vergleich zu herkömmlichen Schulen sehr oft statt.

B: Ja, zu Beginn hatten wir sogar jede Woche Teambesprechung. Weil die Schule ist ja von Grund auf neu aufgebaut worden. Alles hat sich erst entwickeln müssen. Deshalb war eben viel Arbeitsaufwant gefordert. Jetzt wurden die Besprechungen auf die zweiwöchige Abhaltung reduziert. Und die Konfe- renzen sind dabei natürlich eingebettet. Dies ist natürlich dadurch, dass die Schule so klein ist mög- lich. Wir sind hier ca. 21 LehrerInnen, bei dieser Größe kann sich eine angenehme Gesprächskultur entwickeln. Mit 50 oder 60 Lehrpersonen kann man nicht diskutieren, dies ist in diesem kleinen Rahmen gut möglich.

I: Themenwechsel zum Mathematikunterricht. Wie kann ich mir deine Umsetzung des Unterrichts vorstellen?

B: Grundsätzlich bin ich sehr Interessiert an der Weiterentwicklung des kompetenzorientierten Un- terrichtens und der Zentralmatura. Die Besinnung auf die zentralen Basiskompetenzen kommt dieser Schulform sehr entgegen. Weil wir haben in jeder Klasse drei Stunden Mathematik und davon ist eine Stunde in der Woche fix als Freiarbeitsstunde eingeplant. In der restlichen Zeit wechselt die Vorge- hensweise zwischen freien Arbeitsphasen und Inputphasen. Wobei ich im Mathematikunterricht der letzten Jahre aus Erfahrung gemerkt habe, dass es gut ist die Grundlegenden Inhalte gemeinsam zu erarbeiten in Form von Lehrerinput. Natürlich schon mit Übungsphasen und teilweise Gruppenarbei- ten und ähnlichen Methoden, aber doch so geführt wie Regelunterricht.

I: Wie lange dauern diese Phasen?

B: Das wechselt sich ab. Grundsätzlich achten wir darauf, dass Input nicht länger als 20 Minuten dau- ert. Und dass dann Übungsphasen kommen. In der Freiarbeit kommen dann teilweise die Übungen zu tragen, eben um die grundlegenden Inhalte einzuüben mit Übungsaufgaben und dergleichen.

… Unterbrechung des Gesprächs weil eine Kollegin Bücher aus dem Raum braucht…

B: Zurück zur Freiarbeit. In dieser einen Stunde Freiarbeit können die SchülerInnen selber wählen, was sie machen im Mathematikunterricht. Das heißt sie können sich aussuchen ob sie Übungszeit brauchen, was meistens passiert, oder ob sie sich ein Stoffgebiet selbst erarbeiten möchten. Dies kommt auch immer wieder einmal vor. Dabei darf die Methode selbst gewählt werden. Ein neues Stoffgebiet zu erarbeiten und dann vorzutragen ist eher eine Aufgebe für die bessere SchülerInnen. Diese Selbsterarbeitung passiert nicht ständig, aber immer öfter entscheiden sich SchülerInnen dafür. Es gibt auch die Möglichkeit in dieser Zeit selbst eine Probeschularbeit zusammenzustellen. Zusam- mengefasst: In dieser Zeit können die SchülerInnen die Methode selbst wählen, wie sie den Stoff üben.

I: Anregungen werden aber schon gegeben? Und Material bereitgestellt?

B: Wir arbeiten sehr viel mit dem Buch. Das ist unsere Grundlage, weil es so richtiges Montessorima- terial für die Oberstufe nicht gibt. Diese Themengebiete haben kein fertiges Material, wir haben teil- weise selbst Materialien entwickelt, mit denen Inhalte geübt werden können. Diese aber wirklich nur auf Basis von Übungsaufgaben für den Mathematikunterricht.

I: Welches Buch verwendet ihr?

B: Dimensionen Mathematik. Zuerst haben wir das Schulbuch Mathematik Verstehen gehabt. Wir haben nun das andere Buch gewählt, weil es methodisch abwechslungsreicher ist. Und es ist auch von den Aufgabenformaten her besser aufgebaut, weil auch Multiple Choice Aufgaben beispielswei- se auch eingearbeitet sind. Eben auch im Hinblick auf die Zentralmatur, wo solche Frageformate dann auch beinhaltet sind.

I: Ist diese Art des Unterrichtens nicht sehr zeitintensiv in der Vorbereitung?

B: Ja natürlich, aber auch jeder andere Mathematikunterricht braucht seine Vorbereitungszeit. Das tolle an dieser Arbeitsform ist es, dass man in dieser einen Stunde Zeit hat individuelle Leute zu betreuen. Dabei habe ich Zeit, da kommen die SchülerInnen nach der Reihe zu mit und zeigen mir die Sachen, die sie gemacht haben. Es gibt auch Zeit für Fragen, Inhalte können nochmals besprochen werden. Es gibt auch hier immer wieder Phasen wo für Kleingruppen von mir nochmals Input gege- ben wird. Im normalen Unterricht ist dies leider nicht möglich. Das ich mir für einen Schüler zehn Minuten zeit nehme, dass geht im normalen Unterricht, meiner Meinung nach nicht.

I: Wird diese Arbeitsform von den SchülerInnen von Beginn an angenommen?

B: Es ist ein Lernprozess. Besonders die SchülerInnen, die in der fünften Klasse kommen und davor nie etwas mit Montessoripädagogik zu tun hatten, müssen erst begreifen, dass der Lehrer jetzt nicht nur der Prüfer ist, sondern auch der Helfer. Und dass ich als Schüler ihm nicht vorspielen muss, dass ich alles kann, sondern dass ich auch um Hilfe und Erklärungen bitten kann und soll. Dies spielt sich aber relativ schnell ein. In den Freiarbeitsphasen sollen die Produkte gesammelt werden und auch den Lehrpersonen gezeigt werden. So sind die SchülerInnen auch aufgefordert Pluspunkte, Noten zu sammeln.

I: Also findet eine Art Kontrolle statt.

B: Die SchülerInnen haben grundsätzlich zu den Übungsaufgaben die Lösungen. Dies reduziert natür- lich auch den Arbeitsaufwand für mich als Lehrperson. Die SchülerInnen haben die Aufgabe ihre Er- gebnisse selbst zu kontrollieren, wenn diese stimmen können sie auch davon ausgehen das die davor getane Arbeit stimmt. Wenn sich die SchülerInnen trotzdem unsicher sind, können sie natürlich Fra- gen. Wenn die Ergebnisse nicht gepasst haben, besprechen wir das gemeinsam nochmals durch. Die Selbstkontrolle ist in dieser Arbeitsform sehr verankert. Nicht nur mit Lösungen und Lösungsheft auch mit den MitschülerInnen soll Verglichen werden.

I: Diese Art der Selbstkontrolle funktioniert vermutlich im Fach Mathematik gut.

B: Ja, in anderen Fächern ist dies oft schwieriger.

I: Welche Räumlichkeiten stehen den SchülerInnen in der Freiarbeitszeit zur Verfügung?

B: Wir haben ursprünglich das System gehabt, dass die Freiarbeit in bestimmten Freiarbeitsräumen machen. Dies hat sich aber nicht bewehrt. Weil man dadurch in der Unterrichtsgestaltung nicht flexi- bel ist und spontan nicht von Inputphasen in die Freiarbeit wechseln kann. Deshalb haben wir jetzt die Freiarbeit in den eigenen Klassenzimmern, es gibt aber auch Arbeitsplätze außerhalb der Klassen- zimmer die genutzt werden können. Die SchülerInnen müssen aber in einem vorgegebenen Bereich bleiben, trotzdem wird versucht die Enge des Klassenraums aufzulösen.

I: Da die Freiarbeit ja auch von anderen Lehrpersonen beaufsichtigt werden kann, müssen doch auch stets genügend Materialien vorhanden sein.

B: Richtig, das Freiarbeitsmaterial ist immer in der Klasse und jederzeit verfügbar.

I: Gibst du dann immer zusätzliche Aufträge, die die SchülerInnen in der Freiarbeitszeit machen kön- nen?

B: Ich gebe jede Stunde Freiarbeitsvorschläge, dass sind auch Hausaufgabenvorschläge. In meinem Mathematikunterricht sind die Hausaufgaben nicht verpflichtend, sondern es gibt Hausaufgabenvor- schläge. Das heißt sie können im Zeitausmaß von ca. einer halben Stunde bestimmte Inhalte Üben. Jeder Auftrag dauert ca. eine halbe Stunde und die erfüllten Aufträge werden in die Gesamtnote miteinberechnet. Nach einem Input gibt es immer eine Vielzahl an Übungsaufgaben, die entweder als Freiarbeit oder als Hausübung gemacht werden können. So wissen die SchülerInnen immer was sie üben können. Weil das Buch ist doch sehr umfangreich und vom Stoff her auch weit über die Grund- legenden Inhalte hinaus konzipiert. Die Selbstständigkeit der SchülerInnen in der Oberstufe ist schon relativ groß. Man kann darauf vertrauen, dass die SchülerInnen im Buch selbst die Aufgaben finden, rechnen und kontrollieren.

I: … (Vergleich mit eigener Schulzeit /Nachhilfe: als SchülerIn schaut man kaum von alleine ins Buch)

B: Wir arbeiten wahrscheinlich mehr mit dem Buch als die anderen Schulen. Auch wenn die Schüle- rInnen selbst Stoff erarbeiten, passiert dies hauptsächlich mit dem Buch. Natürlich beziehen Schüle- rInnen noch zusätzliche Informationsquellen, weil diese oft einfacher erklärt sind. Die Schülertexte in den Büchern sind oft sehr schwierig zu verstehen für die SchülerInnen.

I: Haben die SchülerInnen dafür auch einen Internetzugang in den Klassen?

B: Ja, wir haben W-Lan im ganzen Haus. Und viele SchülerInnen haben Laptops, zwar nicht flächen- deckend, aber wenn die SchülerInnen ihre Geräte selbst mitbringen können sie diese für die Freiar- beit verwenden. Ca. die Hälfte der SchülerInnen einer Klasse besitzt Laptops. Mit Hinblick auf den Technologieeinsatzes 2017 werden wir in Zukunft soundso in die Richtung Computer erweitern, so dass jeder Schüler mit einem Computer arbeitet. Zur Schulgründung haben wir Netbooks bekommen, aber das Problem besteht darin, dass diese sehr schnell veraltern und wenn sie gemeinsam benutzt werden sehr schnell kaputt gehen. Davon sind nicht mehr viele übrig.

I: Kann man von jeder/jedem SchülerIn verlangen sich selbst ein Netbook zu besorgen?

B: In Zukunft wird es vermutlich schon so sein. Da die SchülerInnen bei der Mathematikmatura den Einsatz von technischen Hilfsmitteln erlaubt ist. Besprochen muss dies natürlich immer mit den je- weiligen Eltern werden.

I: Zeigst du deinen SchülerInnen bestimmte Programme?

B: Wir arbeiten fast ausschließlich mit Geogebra, weil mich dieses Programm das schülerfreundlichs- te und anschaulichste ist. Und alles was man für die Oberstufe braucht, meiner Meinung nach, mit dem machbar ist. Mehr Programme verwirren die SchülerInnen eher.

I: … (Seitengespräche über Geogebra) Wie geht es den SchülerInnen mit Mathematik? Wie ist die Einstellung zum Fach? Wie sind die Noten?

B: Es ist schwer zu sagen wie die Einstellung ist. Ich glaube dabei unterscheiden wir uns nicht sehr von den Regelschulen. Mathematik ist sicher eine Hürde für viele, so wie es glaube ich überall ist. Sie schätzen die Freiarbeit sehr in Mathematik und durch das Benotungssystem, in dem die Freiarbeit sehr hoch gewichtet ist im Vergleich zu den Schularbeiten, haben sie eben die Möglichkeiten, wenn die Schularbeiten schlecht benotet wurden, sich durch gute Freiarbeit und intensive Beschäftigung auf positive Noten auszubessern. Doch die Beliebtheit ist nicht die größte und auch sehr viele Schüle- rInnen tun sich mit den Inhalten schwer.

I: Wie sieht das Benotungssystem genau aus?

B: Ich bin immer noch am tüfteln. Dies sind jedes Jahr neue Arbeitschritte wie man alles besser ein- betten kann. Das Benotungssystem des Schuljahres 2012/13 kann ich dir sagen. In der 7. Klasse wur- de in diesem Schuljahr festgelegt, 40% der Note sind die vier Schularbeiten, 60% ist die Freiarbeit, eigentlich Mitarbeit. Also die Freiarbeit zählt bei uns rechtlich gesehen zur Mitarbeit. Dies bedeutet, dass sich SchülerInne die ein bis zwei Fünfer auf Schularbeiten schreiben, sich durch die Freiarbeit doch noch ausbessern können auf eine positive Note. Auffällig ist, dass bei SchülerInnen, die viel Freiarbeit machen auch die Schularbeiten passen. Des gibt kaum jemanden, der sehr viel Freiarbeit hat, Schularbeiten aber durchwegs negativ schreibt. Weil eben durch die Freiarbeit die absolviert wird, die Übung gegeben ist.

I: … (Vergleich mit Regelschule, Matura)

B: Die Gewichtung kann nächstes Jahr schon wieder anders sein. Der Wunsch war auch dar, eigent- lich keine Schularbeiten zu machen. Aber nach den rechtlichen Grundlagen geht das nicht. Und auch mit der Aussicht auf die schriftlich Matura ist es einfach auch notwendig zu üben punktuell Leistung zu erbringen. Meiner Meinung nach widerspricht sich dies nicht mit dem Montessorimodell, weil es im leben wichtig ist auch punktuell eine Leistung zu erbringen. (Matura, Selektion im Bildungswesen, Ausbildung) Die Schularbeiten finden statt so wie überall. Flexibilität gibt es bei den Lernzielkontrol- len. Es gibt relativ viele Lernzielkontrollen zu ganz klein abgesteckten Themen. Wobei es zu jeder Lernzielkontrolle mindestens zwei Termine gibt. Die SchülerInnen können sich die Termine aussu- chen und dabei auch das Lernen auf einen bestimmten Punkt hin üben. Es besteht auch die Möglich- keit beide Lernzielkontrollen zu schreiben. Weil für mich ist es egal ob sie in dieser Woche oder in der nächsten Woche das Lernziel erreicht haben. Wenn sie es erreichen, erreichen sie es.

I: Dies ist organisatorisch auch nicht ganz einfach, oder?

B: Das ist nicht so tragisch, wegen der Freiarbeitszeit. Die Lernzielkontrollen werden in der Freiar- beitszeit geschrieben. Die SchülerInnen die schreiben wollen bleiben in einem Teil der Klasse. Die Klassen oben sind zweigeteilt, also zwei Räume mit Verbindungstür, so ist dies gut zu organisieren.

I: Das heißt es gibt einfach auch viel Platz?

B: Ja, und es braucht auch mehr Platz, weil wenn die SchülerInnen zu arbeiten beginnen müssen sie sich ein wenig ausbreiten können. Die Arbeitseinstellung wird auch besser wenn sie genügend Platz haben. In den niedrigeren Schulstufen ist gebäudebedingt weniger Platz.

I: Die Lernzielkontrollen dient nur dazu dir einen Überblick zu schaffen?

B: Nein, diese werden schon auch in die Note miteinberechnet. Und sie beziehen sich auf kompe- tenzorientierte Lernziele, die damit dann erfüllt werden. … Um auch kleine Portionen an Lernzielen zu erreichen und nicht nur große Ziele in der Schularbeit. Und natürlich auch eine gewisse Kontrolle über die Freiarbeit zu haben. Was passiert in der Freiarbeit? Und natürlich auch eine Rückmeldung an die SchülerInnen, ob sie etwas können oder nicht. Der eigene Eindruck muss nicht immer mit der Tatsächlichen übereinstimmen, denn gerade mit der Freiarbeit kann leicht der Eindruck entstehen, dass man eh alles kann. … Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung sind oft unterschiedlich und diese Lernzielkontrollen sind Momente, wo man das üben kann.

I: … (Vergleich mit Regelschule, da gibt es die Fremdeinschätzung ständig) … Wie lange unterrichtest du schon?

B: 7 Jahre.

I: Wie war dein Weg zu Montessori-Pädagogik?

B: Ich hab mein Schulpraktikum an einer Regelschule gemacht, meine Diplomarbeit aber schon zum Thema Projektunterricht geschrieben und dadurch das Reformpädagogische kennen gelernt. War dann ein Jahr in Deutschland, weil es in Salzburg gerade keine Anstellungsmöglichkeit gab. Zur Schul- gründung des MORG bin ich dann zurück nach Salzburg. Mich hat es gereizt dabei zu sein um eine Schule neu auf zu bauen und auch das Reformpädagogische. Ich hatte davor keine Montessoriausbil- dung oder ähnliches gehabt. Wir haben in der Schule gemeinsam zwei Jahr lang diese Ausbildung gemacht. Dabei ist für die Oberstufe eine Fortbildung konzipiert worden und dies ist mit der Schul- entwicklung Hand in Hand gegangen.

I: Wer hat diese Fortbildung durchgeführt?

B: Leute aus München, denn in Deutschland ist die Montessoripädagogik in der Oberstufe weiter verbreitet. Die Namen fallen mir nicht mehr ein.

I: … (Situation Deutschland, Erdkinderplan Umsetzungen)

B: Da gibt es einige interessante Umsetzungen. Der von Montessori Konzipierte Erdkinderplan schaut nicht aus wie ein Gymnasium. Wir haben diesen Erdkinderplan kennen gelernt und versuchen immer wieder Teile von dem umzusetzen und zu schauen was geht in der Umsetzung. Eine zukünftige Idee wäre zum Beispiel auch eine Schulfirma, was in diese Richtung geht. Mein Eindruck ist schon, dass so etwas den SchülerInnen sehr gut tun würde. Nicht nur das gymnasiale mit dem sitzenden Unterricht, sondern auch Tieferes zu tun. Nur ist dies mit der Organisationsform eines Gymnasiums sehr schwer vereinbar. Wir versuchen immer wieder von verschiedensten Konzepten anleihen zu nehmen. Und die Ideen zu integrieren, soweit dies möglich ist. Wir versuchen auch immer wieder Schulversuche zu starten, in alle möglichen Richtungen. Weil man dadurch ein bisschen freier ist, weil im Rahmen eines Schulversuches mehr erlaubt ist.

I: Vernetzen sich Schulfächer untereinander?

B: An dem arbeiten wir auch sehr stark. Wir möchten in Zukunft noch Themenzentrierter arbeiten. Dies ist ein Prozess der in Gang ist und noch nicht perfekt umgesetzt ist. Wir haben jedes Jahr zwei Tage Klausur vor Schulbeginn, in den Ferien, wo sehr oft zu solchen Themen gearbeitet wird. Es wird versucht ähnliche Inhalte in allen Fächern zeitgleich, zeitgebündelt unterrichtet werden. Teamtea- ching ist auch ein Thema dabei.

I: Gibt es da Erfahrungen von dir bzgl. Mathematik?

B: Mathematik und Musik – Akustik und Schwingungen. Mathematik und Physik - Geschwindigkeit, Bewegungsaufgaben. Aber Mathematik ist nicht sehr leicht zu integrieren in dieses Konzept. Da ist es bei Musik beispielsweise viel leichter, weil man sich an Epochen halten kann. Mathematik ist immer dies Zulieferdisziplin, die im Hintergrund ist, aber schwer anknüpfbar ist bei Themen in anderen Fä- chern. Meiner Meinung nach ist dies ein wenig schwierig. Wir kommen in Teamsitzungen immer wieder darauf, dass Mathematik sehr heraussticht und eben nicht so leicht integrierbar ist. Auch von der Freiarbeit her, sehe ich durch die Erfahrung, dass die SchülerInnen ausschließlich durch Eigener- arbeitung sich den Stoff der Mathematik beibringen können. Weil der Stoff zu komplex ist, die Schul- bücher nicht schülerfreundlich genug formuliert sind. Es gibt Fächer in denen dies viel besser funkti- oniert, zum Beispiel in Deutsch, bei den KollegInnen, wird viel Stoff selbstständig erarbeitet und noch mehr in freier Arbeit unterrichtet. Auch in Musik sehe ich mehr Möglichkeiten, doch in Mathematik ist inhaltlich doch sehr viel, was gemeinsam erarbeitet wird. Ich versuche die Basis gemeinsam zu erarbeiten und alles was darüber hinausgeht ist dann eigentlich Freiarbeit. Es gibt natürlich die Mög- lichkeit der inneren Differenzierung, wenn sich die SchülerInnen ihre Freiarbeit selber wählen.

I: Inhalt des Unterrichts ist der Lehrplan, da die Schule ein Öffentlichkeitsrecht hat?

B: Ja. Danach müssen wir uns richten.

I: Ergänzungen?

B: Der Schulalltag ist ein bisschen anderes als an Regelschulen. Der Tag beginnt mit einer 10miütigen Stilleübung in der Früh. Diese 10 Minuten gehören noch nicht zur Unterrichtszeit und werden in jeder Klasse von einem Lehrer gestaltet. Dies wird sehr unterschiedlich angenommen, aber grundsätzlich gewöhnen sich die SchülerInnen schon sehr daran und schätzen diesen gemeinsamen Start.

I: Wie schauen diese Stilleübungen aus? Ich kenne diese nur aus dem Kindergarten und Volksschul- bereich.

B: Diese können sehr unterschiedlich sein. Ich mache sehr gern etwas mit Musik. Das man sich zum Beispiel Musik anhört. Es gibt auch beispielsweise Traumreisen, Bewegungsübungen, kinesiologische Übungen, usw. Es geht darum einen gemeinsamen Start zu haben und ist dem/der LehrerIn in der Umsetzung überlassen, der die erste Stunde in der Klasse unterrichtet. In der 5.6. und 7. Klasse gibt es an unserer Schule Soziales-Lernen eine Stunde in der Woche. Das ist eine Art Klassenvorstandsstunde, wo sehr viel an der Klassengemeinschaft gearbeitet wird. Das ist ein Vorteil an unserer Schule, die Klassengemeinschaften sind sehr, sehr gut. Es gibt kaum Streiterei- en, kaum Konkurrenz zwischen den Klassen und allgemeines ein gutes soziales Klima. Es werden auch immer wieder soziale Projekte gemacht, das liegt dann am Klassenvorstand. Zum Beispiel mit einer Notschlafstelle, 72-Stunden ohne Kompromiss, das kommt auch vom evangelischen Diakoniegedan- ken. Wir haben den Schulversuch Integration in der Oberstufe, dies ist eine Besonderheit österreichweit. Dabei verbinden sich der Diakonie- und der Montessorigedanke Integration zu leben. Dies hat in der 5. Klasse begonnen, sind im Schuljahr 2012/13 in der 6. Klasse. Vier behinderte Kinder sind im Klas- senverband. Inklusion ist hier das richtige Wort. Es gibt immer einen Integrationslehrer, der in den einzelnen Fächern hilft und es wird versucht so viel wie möglich gemeinsam zu machen. Der Unterricht beginnt immer erst um halb neun, dabei sielen chronobiologische Überlegungen eine Rolle. Dadurch gibt es natürlich relativ viel Nachmittagsunterricht. Die SchülerInnen haben grund- sätzlich vier Nachmittage Unterricht. Die Standardunterrichtszeit ist von halb neun bis vier Uhr Nachmittags. Es gibt eine Mittagspause von einer Stunde in der die SchülerInnen auch Mittagessen bekommen. Freitagnachmittags ist grundsätzlich frei.

I: Verbringen auch LehrerInnen mehr Zeit in der Schule?

B: Bedingt durch Besprechungen ja. Die Arbeitszeit selbst ist ziemlich gleich Verteilt wie in Regelschu- len, weil die räumlichen Gegebenheiten noch nicht so ausgebaut sind. Die Arbeitsplätze in der Schule sind für die LehrerInnen ok, aber nicht so ausgerichtet, dass die ganze Vorbereitung in der Schule statt finden könnte. … (Gespräch über den Schulbeginn um halb 9)… Die Schulbeginnzeit um halb 9 wird auch durch die teilweiße sehr langen Anfahrtszeiten (1- 1endhalb) der SchülerInnen bedingt.

I: Gibt es viele Interessiert, dich auch zur Hospitation an euere Schule kommen?

B: Es wird immer mehr. Deshalb wird das Hospitationsangebot durch die Direktorin dosiert. Aber das Interesse ist sehr groß. Sehr interessiert sind auch die Leute von der COOL-Ausbildung.

I: Diese Ausbildung steht auch in einer Strömungslinie. Montessori – Daltonplan – COOL.

B: Ja, die Direktorin kommt auch aus dieser Ausbildung. Teilweise kommen Studenten zum Hospitie- ren, auch Lehrer aus Schulen, es wird auch innerhalb des Diakonievereins oftmals hospitiert bei- spielsweise kommen die Hauptschullehrer um sich Unterricht anzuschauen. Dadurch kann man die gemeinsame Linie schärfen.

I: Werden im Lehrerkollegium viele weitere Ausbildungen absolviert?

B: Das Lehrerkollegium ist sehr aktiv. Zentral war die gemeinsame Montessoriausbildung, die sehr aufwendig war über diese zwei Jahre, das hat auch sicher dem Schulprofil geholfen. Das Anliegen der Schule ist es schon das jeder Lehrer eine Montessoriausbildung hat in irgendeiner Form. Die die neu hinzu kommen müssen eben versuchen das nach zu holen, aber der Grundstock durch die gemein- same Ausbildung ist da. Da die Montessoristufe für die Oberstufe anders ausschaut ist es auch notwendig interessiert zu sein. Es wird auch sehr viel mit Nachfolgerkonzepten von Montessori gearbeitet, beispielsweise Dalton- plan, weil dies besser in die gymnasiale Form passt, an der wir uns orientieren müssen. Grundsätzliche Orientierungshilfe ist aber immer die dahinterliegende Montessoriphilosophie. Wenn beispielsweise Entscheidungen getroffen werden sollen über Konzeptionelle Dinge. Auch in den Teamsitzungen versucht man sich immer wieder an diesen Grundfesten zu orientieren, weil man sehr schnell weg davon durch das Regelschulsystem, das hier über das Öffentlichkeitsrecht repräsentiert wird.

8.6 Ausgearbeiteter Pfad von Waski – entnommen aus (Waski 2010, S76 -80)