Henryk Szeryng – Weltbürger Und Weltklasse-Geiger (3)
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SWR2 Musikstunde Henryk Szeryng – Weltbürger und Weltklasse-Geiger (3) Von Jörg Lengersdorf Sendung vom: 18. August 2021 (Erstsendung 19. September 2018) Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2018 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen … Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app Die Jugend des Geigers Henryk Szeryng ist vorbei, das Studium fast beendet. Eine Weltkarriere scheint auf ihn zu warten. Doch dann sucht der Krieg Europa heim, alles kommt anders… Im Juli 1937 hat der 18jährige Henryk Szeryng gerade einmal 8 Monate in Paris studiert, als er sein Studium am Konservatorium beim Abschlusskonzert mit dem Prestigeträchtigen und begehrten ersten Preis der Kohorte abschließt. Neben Szeryng erhält der ebenfalls bald zur Weltelite gehörende Geiger Yfrah Neaman diese Auszeichnung. Der später legendäre Solist und langjährige Star-Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Michel Schwalbé, bekommt dagegen nur den zweiten Preis. Ein Detail am Rande, das immerhin illustriert, was für ein Niveau die Pariser Professoren in dieser Prüfungsphase 1937 serviert bekommen. In einigen biografischen Abrissen (ausführliche Biografien gibt es noch nicht) liest man nun, Szeryngs Eltern hätten ihm zum Pariser Abschluss eine wertvolle Geige das Cremoneser Meisters Andrea Guarneri geschenkt. An den finanziellen Möglichkeiten der Szeryngs kann kein Zweifel bestehen. Allerdings hat Szeryng später selbst gesagt, er habe in den Jahren nach dem Studium vor allem eine vergleichsweise billige Violine gespielt, vom Tiroler Geigenbauer Eberle. Diese Version ist nun leider nicht so glamourös wie die Guarneri-Variante. Fakt ist: nicht wenige Artikel vorbreiten noch Jahre später die Geschichte, Henryk Szeryng habe in seiner Jugend jene Guarneri Violine gespielt, die einst dem Barockvirtuosen Giuseppe Tartini gehört habe. Dem Teufelstriller Tartini, dem vor Jahrhunderten im Traum der Satan persönlich eine Sonate mit höllischen Trillern diktiert habe. Musik 1 Giuseppe Tartini: Finale aus „Teufelstriller Sonate“ (3.31) Henryk Szeryng (Violine) Charles Reiner (Klavier) Henryk Szeryng mit dem Finale aus Giuseppe Tartinis "Teufelstriller“ jenem angeblich im 17. Jh. satanisch eingeflüsterten Werk, dessen Legende auch in Szeryngs Biografie mittelbar weitergesponnen wird, indem manche Artikel behaupten, Szeryng habe von seinen Eltern in der Jugend Tartinis Geige geschenkt bekommen. Vielleicht stimmt es, die Quellenlage ist jedenfalls nicht eindeutig. 2 Sicher ist auch hier: selbst Giuseppe Tartini dürfte nach der Heimsuchung durch den Teufel keineswegs vollendeter gespielt haben, als Henryk Szeryng. Komposition studiert der 20jährige inzwischen bei Nadia Boulanger in Paris. Nadia Boulanger gibt im Lauf ihres Lebens in Paris so unterschiedlichen Künstlernaturen wie Klavierwunder Dinu Lipatti, Tango Nuevo König Astor Piazzolla, dem amerikanischen Musikerneuerer Philip Glass oder dem späteren Michael Jackson Produzentin Quincy Jones Kompositionsunterricht. Mit Henryk Szeryng wird in der 1937 er Klasse der Boulanger auch Aaron Copland im Tonsatz unterwiesen. Mindestens so aufregend wie der Unterricht bei der Professorin dürften aber wohl ihre legendären Salons sein. Ravel, Stravinsky, Alfred Cortot, Pablo Casals, es kommen nicht nur die Musikerlegenden der Zeit regelmäßig zu Gesellschaften, im Promi Hotspot der 30er trifft der junge Szeryng auch Pablo Picasso und Kunst Revoluzzer Jean Cocteau. Während sich also eine Menge künstlerischer Sprengmeister in Madame Boulangers Wohnung versammeln, dürfte Henryk Szergng hier eher als Vertreter einer konservativen Noblesse wahrgenommen werden. Kurz vor Weihnachten 1938 debütiert Szeryng da, wo er viel später einmal wohnen wird. Im Paradies der Reichen und Schönen der Welt, Monte Carlo. Zuerst gibts Mozart, in der zweiten Konzerthälfte die unwiderstehlichen Bravourstücke seines Repertoires. Musik 2 Pablo de Sarasate: Zapateado (3.23) Henryk Szeryng (Violine) Tasso Janopoulo (Klavier) Henryk Szeryng und Pianist Tasso Janopoulo mit Pablo da Sarasates „Zapateado". Auch der 30 Jahre vor Szeryngs Pariser Jahren verstorbene Sarasate ist ein ehemaliger Schüler des Pariser Konservatoriums, das auch in den 30ern noch als Kaderschmiede des Weltvirtuosentums gilt. Mit Sarasates Miniaturen debütiert Szeryng in Monaco, wo schon damals Autorennen und Casino den frühen Luxus-Tourismus anheizen. Eine Glitzerwelt in strahlenden Farben, die vielleicht einen jungen Mann für Momente vergessen lassen kann, dass sich ein schwarzer Schatten über Europa legt. Spätestens zurück in Paris im Sommer 1939 darf man vermuten, dass der Zündfunke zum Weltenbrand 3 von der politisch kulturellen Elite bemerkt wird. Zuerst verdunkelt die faschistische Finsternis den Himmel der polnischen Heimat des Juden Szeryng. Unaufhaltsam. Anfang September 1939 marschiert Hitlers Armee in Polen ein. Drei Tage vorher hatte sich Vater Szymon Szeryng von seiner Familie in Paris verabschiedet. Wegen der allgemeinen Mobilmachung muss der Patriarch nach Polen zurück. Die Karriere des Sohnes wird nun einen völlig anderen Verlauf nehmen, als wohl jemals geplant. Vater Szeryng aber wird den Rest seiner Familie nie wiedersehen. Musik 3 Karol Szymanowsky: Anfang aus dem Violinkonzert Nr. 2 (5.17) Henryk Szeryng (Violine) Bamberger Symphoniker Leitung: Jan Krenz Henryk Szeryng im Beginn des 2. Violinkonzerts von Karol Szymanowsky, dessen düsterer Impressionismus von Mitte der 30er Jahre die Schatten der folgenden Jahre beängstigend vorauszuahnen scheint. Im Herbst 1939, nach dem Einmarsch der Nazi Truppen in Polen, gerät der nunmehr 21jährige Szeryng ins Zentrum der sich radikal verändernden politischen Tektonik seiner Heimat. Über künstlerische Umwege, denn der französische Premierminister ist verheiratet mit der Konzertpianistin Juliette Durand. Über diese musikalische Querverbindung lernt Szeryng den Premierminister der in Paris installierten polnischen Exilregierung kennen. General Sikorski koordiniert den polnischen Befreiungskampf in einem Hotelzimmer in der Rue de Rivoli. Nach einem Treffen meldet sich der Ausnahmegeiger, der sich gerade noch am Beginn einer hoffnungsvollen paneuropäischen Karriere wähnte, freiwillig zur polnischen Armee im Ausland. Szeryngs erste Aufgabe für Sikorski: mit Konzerten Gelder einspielen zur Finanzierung der Befreiung. Bald jedoch marschieren die Deutschen auch in Frankreich ein. Sikorski und sein Stab müssen aus Paris fliehen. Szeryngs Versuch, von der Küste aus ein Boot nach England zu bekommen, um weiterhin für die Exilregierung arbeiten zu können, scheitert. Frauen und Kinder werden vorrangig eingeschifft, ansonsten nur bewaffnete Soldaten. Im Chaos des Sommers 1940 strandet der polnische Jude Szeryng also irgendwann in Lourdes, wo er völlig unerwartet in einer Menschenmenge auf seinen Bruder Georges trifft, der auf der Suche nach Mutter Alina ist. 4 Musik 4 Alban Berg: Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ (4.23) Henryk Szeryng (Violine) Symphonieorchester des BR Leitung: Rafael Kubelik Henryk Szeryng im Violinkonzert von Alban Berg. Mutter Szeryng wird kurz vor dem Einmarsch der Hitler Truppen in Paris von einer Fluchthelferin mit einem Auto ins kleine Örtchen Albi in der Nähe von Toulouse gebracht. Dort trifft sie einige Tage später mit ihren Söhnen zusammen, doch bald schon trennen sich die Wege der vaterlosen Familie wieder. Während Georges und Mutter Alina in Europa bleiben wollen, will Henryk Szeryng ins südamerikanische Exil. Immerhin kommt er von Marseille über Casablanca bis nach Dakar, doch von hier aus wird die Weiterfahrt über den Atlantik unmöglich. Das Gefecht von Dakar, bei dem die mit Deutschland kollaborierende Vichy Regierung vormalig verbündete Verbände angreifen lässt, kann Szeryng vom Schiff aus verfolgen und empfindet das alles vermutlich ausgesprochen verstörend. Wieder werden die Karten neu gemischt, Fluchtrouten unpassierbar. Nach dem Ende der Kämpfe bleibt für das Flüchtlingsboot nur die Fahrt zurück nach Casablanca. Schließlich gelingt es jedoch, via Lissabon eine Passage nach Rio do Janeiro zu organisieren. Im November 1940, ein Vierteljahr nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich, betritt Henryk Szeryng erstmals lateinamerikanischen Boden, was sowohl diplomatisch wie musikalisch nicht ohne weitreichende Folgen bleibt. Musik 5 Manuel Ponce: Violinkonzert (6.22) Henryk Szeryng (Violine) Association Artistique des Concerts Colonne Paris Leitung: Ernest Bour Den Komponisten dieses Stücks, den Mexikaner Manuel Ponce, hatte Henryk Szeryng noch in den Pariser Künstlerzirkeln der Mittdreißiger Jahre kennengelernt. Während des Weltkriegs, der Europa in Brand setzt, kommt es in Mexiko City zur Uraufführung von Ponces Violinkonzert, das der inzwischen ausgereiste Komponist dem phänomenalen Geiger und Freund gewidmet hat. 5 Das Konzert mit der Premiere markiert gleichzeitig Szeryngs Mexiko-Debut. Bislang hatte er von Rio de Janeiro aus nicht nur konzertierend Mittel und Südamerika