Freitag 3."10."2014'4. Jahrgang' 5.– www.tageswoche.ch Nr. Gerbergasse 30 4001 40 T 061 561 61 61 DER Arnold Gjergjaj kämpft um den EM-Titel – fr sich, seine Familie und das Seite Image der Albaner. 32 TRAUM DES BOXERS Armut «Sozial-Irrsinn»: Worum es bei der Kampagne gegen Seite FISCHER AUREL FOTO : die Schwachen geht. 6 Vision Von minimal bis multifunktional – USM Möbelbausysteme sind das flexible Programm für wechselnde Ansprüche und neue Ideen.

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INHALTPaola Gallo!FOTO: NILS FISCH

Die «Surprise»-Geschäftsleiterin über die neue Armut, das Kesseltreiben gegen die Seite Schwachen und ihren Werdegang vom «Tschingg» zur Chefin. 18

Sozialwesen!FOTO: ZVG Stadtentwicklung!FOTO: PETER SENNHAUSER

Warum wird die «Sozialindustrie» Seite Wo sollen all die Leute leben? Auf Seite bekämpft? Ein Klärungsversuch. 8 der Suche nach neuem Wohnraum. 12

Kino MÓnica Wohlwend S. 4 Bestattungen S. 16 Aktuell werden mehr Bücher Kulturflash S. 41 Sie, er, es S. 43 verfilmt denn je. Die Gründe dafr Impressum S. 43 sind vielfltig und reichen von Kultwerk S. 44 der Hollywoodkrise bis zum Wochenendlich S. 45 Seite Zeitmaschine S. 46 Marketing. 38

TagesWoche 40/14 EDITORIAL PORTRÄT 4

Vorsicht, Sozialhilfetouristen! Mónica Wohlwend von Mara Wirthlin ozialhilfe-Industrie: Es war eine Frage der Die Leiterin macht am Kindertheater Zeit, bis dieses hässliche Wort wieder Basel schüchterne Mäuschen zu hochgespült würde. Seit Tagen übertrefen strahlenden Bühnensternen. Sie selbst Remo Leupin S hat nie das Rampenlicht gesucht. sich Medienschafende beim Fahnden nach «teu- Leiter Print ren Fehlern» im Sozialhilfesystem. Dieses, so ein ls wir uns im märchenhaft-waldi- gen Eingangsbereich des Basler oft kolportierter Vorwurf, bekämpfe Armut nicht, Kindertheaters treffen, fragt sondern produziere noch mehr Arme. Ganz nach Mónica Wohlwend als Erstes, ob Aman das Foto nicht weglassen könnte. dem Motto: Das Angebot schaft die Nachfrage. Die 47-jährige Teaterleiterin steht nicht In dieses Weltbild fügen sich angebliche gerne im Rampenlicht. Lieber bleibt sie im Hintergrund, zieht die Fäden und feiert mit «Sozial schmarotzer» bestens ein. Oder «Sozial- viel Freude die Erfolgserlebnisse der thea- hilfetouristen». Damit sind Leute gemeint, die terbegeisterten Kinder. So viel Zurückhal- tung wirkt ungewohnt fr eine Teaterfrau. ihre Wohngemeinde nach den jeweils lukrativsten Wohlwend kommt ursprünglich auch Hilfsangeboten auss uchen. Eine Basler Zeitung aus einer anderen Ecke: Früher war sie im Marketing tätig. Vor über 15 Jahren hatte sie ortete hier jüngst ein Riesenproblem – bis eine das Bedürfnis nach mehr Kreativität und andere Basler Zeitung diese Tese widerlegte. Kontakt zu den Menschen. So stiess sie erst zu der angegliederten Bastelschule, dann Was läuft schief in der Sozialhilfedebatte? zum Kindertheater selbst. Warum faszinieren uns angebliche Sozial miss- In jeder Saison, die von September bis Juni dauert, werden vier Produktionen ein- stände so sehr, wo es doch ziemlich gut läuft? «Es studiert und auf die Bühne gebracht. Diese ist eine Gehirnwäsche im Gang – auch wenn dies Weiterlesen, S. 18 Monate sind fr Wohlwend eine intensive Zeit: «Ich bin meistens sieben Tage die viele Leute nicht wahrhaben wollen», sagt W oche im Teater.» Dabei ist sie nicht die «Surprise»-Geschäftsfhrerin Paola Gallo. Statt Einzige, die mehr arbeitet, als ihre Stellen- prozente es verlangen würden. Armut bekämpfe man heute die Armen. Das Kindertheater wird zwar zum Teil Aktuell unter die Räder geraten sind die vor «Statt Armut subventioniert, doch Wohlwend sagt: «Wir bekämpft man können finanziell nur überleben, weil wir zwei Jahren per Volksentscheid eingefhrten Kin- die Armen», alle unseren ehrenamtlichen Teil dazu bei- des- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), tageswoche.ch/ tragen.» Schwer falle dies aber niemandem: die das alte Vormundschaftswesen ablösten. Statt +q2mun «Dieser Job ist fr alle eine Leidenschaft.» Laien kümmern sich seit Anfang Jahr Profis um Aufwendige Accessoires Wohlwend ist fr die Finanzen und För- das Schicksal von Menschen, die nicht allein fr derbeiträge zuständig, sie bestimmt aber sich sorgen können. Eine sinnvolle S ache. Doch auch den Spielplan und ist bei allen Proben dabei. Regie fhrt sie selber nicht, das über- dummerweise kostet das professionalisierte Sys- lasse sie lieber den «Profis». Dabei gibt sie tem mehr Geld – darum wird es bereits nach weni- gerne jungen Nachwuchsregisseuren eine Chance: «Hier sollen nicht nur Kinder, son- gen Monaten radikal in Frage gestellt. dern auch junge Erwachsene gefordert und Was in der Empörung völlig untergeht, ist die Weiterlesen, S. 6 gefrdert werden.» Die Zusammenarbeit mit Bühnenbildner George Steiner ist fr langfristige Sicht der Dinge. Natürlich kosten die Wohlwend zentral: «Er ist enorm professio- neuen Kesb mehr Geld. Natürlich gibt es grossen nell und schaft es immer wieder, eine ein- zigartige Welt auf der Bühne zu kreieren.» Optimierungsbedarf. Doch was passiert, wenn Sozialstaat im Laut Wohlwend ist es fr Kinder hilf- junge Menschen nicht frühzeitig professionell Gegenwind reich, wenn das Bühnenbild und die Kostü- tageswoche.ch/ me professionell sind: «Sie können dann betreut werden? Vielleicht finden sie keinen Job, +sk70n besser in ihre Rollen schlüpfen.» Zudem werden frsorgeabhängig oder gar strafllig. seien sie stolz auf diese aufwendigen Acces- soires und fhlten sich ernst genommen. Und das verursacht viel höhere Sozialkosten. Ihren Theatergeschmack bezeichnet tageswoche.ch/+uwh4n × Mónica Wohlwend selbst als eher traditio-

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Überlässt das Rampenlicht lieber den Kindern: Mónica Wohlwend, Leiterin des Basler Kindertheaters. FOTO: NILS FISCH nell. Zwar besuche sie manchmal auch Diese Art Theater bedeutet für die Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist moderne Teaterdarbietungen, doch zwei Kinder aber auch, dass sie oft richtig viel ebenfalls ein wichtiger Punkt von Wohl- Aufhrungen jährlich würden ihr reichen. Text auswendig lernen müssen, sie werden wends Arbeit. «Sie vertrauen uns jedes Vom klassischen Teater hingegen kriegt also kaum «geschont». Die Teilnahme an Mal gewissermassen ihre Kinder an.» sie kaum genug: «Die traditionellen Insze- den Stücken ist kostenfrei und steht allen D abei erhält Wohlwend einen intimen nierungen sind fr mich zeitlos und wun- Kindern zwischen vier und sechzehn Einblick in die jeweiligen familiären derbar unterhaltsam.» J ahren ofen, doch müssen sie bereit sein, V erhältnisse. «Kinder können sich kaum In die Saison startete das Kindertheater während zwei bis drei Monaten «alles zu verstellen, sie sind sehr aufrichtig und Anfang September mit «Aschenputtel», geben», sich mit viel Herzblut in die Probe- transparent – man merkt schnell, wenn auch sonst werden vor allem Märchen wie und Vorfhrungszeit zu stürzen. etwas nicht stimmt.» etwa das «Rumpelstilzchen» auf die Bühne In fast jeder Gruppe befinde sich jemand gebracht. Dieser klassische Stil komme Intime Einblicke mit einer schwierigen Biografie. Doch die sowohl bei den Kindern als auch beim er- Bereut hätten es bisher die wenigsten: Erfolgserlebnisse und Schicksale, die sie wachsenen Publikum sehr gut an: «Ich «Die Teilnahme ist fr Kinder enorm berei- positiv berühren, überwiegen: «Es ist ein- habe manchmal den Eindruck, dass die chernd. Manchmal kann man buchstäblich fach unglaublich, was fr eine Entwicklung heutige Zeit fast schon ein bisschen über- beobachten, wie ein schüchternes Kind Kinder über die Jahre durchmachen. Aus sättigt ist, was abstraktes Teater anbelangt. den Knopf aufmacht.» Eher zappelige so manch einer grauen Maus wurde eine Da sieht man sich hin und wieder gerne die Kinder hingegen könnten sich im Teater Bühnenprinzessin!» guten, altbewährten Stücke an.» austoben und Dampf ablassen. tageswoche.ch/+1×lho ×

TagesWoche 40/14 6 Sozialhilfe Eine Familie, die 60#000 pro Monat kostet, ein junger Straftäter, auf einem Segelschif: Weshalb faszinieren uns angebliche Missstände im Sozialwesen, wo es doch eigentlich ganz gut läuft? SOZIALSTAAT

IM GEGENWIND

Von Jeremias Schulthess

eit vier Monaten ist er auf hoher punkt ist hochbrisant. Ausgerechnet nach Die Sozialhilfe sichert das Existenzmi- See und sorgt fr Rauschen im der Berichterstattung zum «Luxus-Segel- nimum, sie sorgt fr alles, was «fr ein men- Schweizer Boulevardblätterwald: törn» interveniert die Behörde – Zufall oder schenwürdiges Dasein unerlässlich» ist – ein verhaltensauflliger Jugendli- Öfentlichkeitsdruck? Es habe nichts mit so steht es in der Bundesverfassung. Die Scher (14), der an einer sozialpädagogischen den Kosten zu tun, sagt das Jugendamt ge- Höhe der Sozialhilfe ist von Gemeinde zu Massnahme teilnimmt. Der «Blick» nennt genüber der NZZ. Gemeinde unterschiedlich und orientiert ihn den «Carlos von Schmerikon», sein Se- «Sozial-Irrsinn» ist in aller Munde, das sich an festgesetzten Parametern: Grund- geltörn wird als Ferienplausch kolportiert. Wort hat längst Eingang in das Alltagsvoka- bedarf, Mietkosten, Kosten fr Kranken- Dabei sprechen die Kommentatoren nur bular gefunden. Warum beschäftigt uns das versorgung. Der Fachverband Schweizeri- über die exorbitanten Kosten, von einem Tema straflliger Jugendlicher in sozial- sche Konferenz fr Sozialhilfe (Skos) legt möglichen Nutzen kein Wort. pädagogischen Massnahmen? Und warum die Richtlinien fest, die fr die meisten Ge- Der Fall fasziniert und wirft schweizweit können wir nicht sachlich darüber reden? meinden verbindlich sind. Die Mietkosten hohe Wellen. Nun will das Jugendamt , Punkt eins ist die totale Diskurs-Verwir- etwa legen die Gemeinden nach regional das den Segeltörn verschrieben hat, die rung. Sozialhilfe und sozialpädagogische unterschiedlichen Kriterien fest. «Hochseesegelschule» abbrechen. Die Massnahmen werden fahrlässig bis vor- Von sozialpädagogischen Massnahmen Massnahme habe «pädagogische Mängel», sätzlich vermischt, dabei sind es komplett spricht man dann, wenn es darum geht, je- sagen Jugendamt-Mitarbeiter. Der Zeit- unterschiedliche Gebiete. manden zu behandeln, der beispielsweise

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Die Arbeit auf dem Sozialschiff «Salomon» verlangt Disziplin und Teamwork – genau das, was schwierige Jugendliche brauchen. FOTO: ZVG

TagesWoche 40/14 8 psychische Probleme hat. Das können te eine Debatte über «Sozialfirmen» und lie genommen wurde. Man kennt sich in Massnahmen sein, die auf den ersten Blick die profitorientierte «Sozial-Industrie» an. kleinen Gemeinden und weiss über schwie- erstaunen: Yoga, Reittherapie oder eben Und der Fall stiess eine Debatte darüber rige Familien Bescheid. Die Personen ent- Segelausflüge. Häufig helfen diese Tera- an, wie viel Gemeinden an Sozialausgaben schieden häufig ohne fachliches Wissen, pien, junge Erwachsene in die Gesellschaft zahlen sollen. Der Konflikt liegt darin, dass geleitet von subjektiven Eindrücken. zu integrieren. die Gemeinden die Sozialkosten – wie im «Als die Vormundschaftsbehörde über Die sozialpädagogischen Massnahmen Fall Hagenbuch – ungefragt zahlen müssen die Gemeinden lief, gab es das Risiko, dass werden meistens von den zuständigen Kin- und in Einzelfllen unter der finanziellen die Entscheide nicht primär nach fachli- des- und Erwachsenenschutzbehörden Last ersticken. Früher, so die Kesb-Kritiker, chen Kriterien getrofen wurden», sagt die (Kesb) veranlasst. Ein klassischer Fall fr hätten die Gemeinden selbst entschieden, SP-Nationalrätin Silvia Schenker. Sie arbei- ein Eingreifen der Kesb ist häusliche Ge- welche sozialen Massnahmen notwendig tet selbst bei der Kesb Basel-Stadt und walt: Der neunjährige Robin wird zu Hause seien, und deshalb seien die Kosten auch kennt die Materie als praktizierende Sozial- geschlagen. Eine Lehrerin bekommt davon tief gehalten worden. arbeiterin. Wind und informiert die Kesb. Dann ent- Die Vormundschaftsbehörde sollte pro- scheidet ein Gutachter, dass Robin in einem Bei Schutzmassnahmen fessionalisiert werden, darüber «gab es im Heim platziert wird. Die Eltern sind Sozial- Parlament einen breiten Konsens», so hilfebezüger und können dieses Heim nicht heisst die Devise oft: Es Schenker. 2006 präsentierte der Bundesrat bezahlen – also muss die Sozialhilfe dafr – damals unter der Ägide von Christoph aufommen. Am Ende fallen die Kosten bei darf nichts passieren, aber Blocher – eine Revision zum Kindes- und der Sozialbehörde der Gemeinde an. Erwachsenenschutzrecht. So oder so ähnlich könnte es sich in der es darf auch nichts kosten. Nach Einfhrung der Kesb folgte rasch Zürcher Gemeinde Hagenbuch abgespielt der erste Aufschrei: Die Behörde war völlig haben, wo sich die Betreuung einer Flücht- Das macht Sinn. Wenn die Gemeinde überlastet, zu bürokratisch und kostete zu lingsfamilie auf 60&000 Franken pro Monat entscheidet, dann geht es oft in erster Linie viel. Die grundsätzliche Richtung zur Pro- belaufen haben soll (so berichtete der darum, Kosten zu sparen. fessionalisierung stimmte zwar, aber auf «Blick» vor zwei Wochen). Vier Kinder der Wie liefen die Entscheidungen der Vor- dem Weg dorthin lief noch einiges schief. Familie mussten in Heimen platziert wer- mundschaftsbehörde vor 2013? Ein Jurist, Vor zwei Wochen flammte die Debatte den, dazu kam die sozialpädagogische Be- seine Sekretärin und einige Mitglieder des mit ungekannter Empörung wieder auf. treuung – Zoo-Besuch inklusive. Der Fall Gemeinderats entschieden, ob ein Kind, «Hilfe, die Helfer sind da», skandierte der sorgte schweizweit fr Aufsehen und heiz- das häusliche Gewalt erlebte, aus der Fami- «Blick», die Kesb treibe «Gemeinden in den Ruin», schrieb die «Basler Zeitung». Was ist daran, an dieser Kritik? Feindbild: Für die Rechten sind Sozialhilfebezüger faule Stubenhocker. FOTO: ISTOCK Ein Vergleich zwischen der Situation vor und nach der Kesb-Einführung ist schwierig. Die Verwaltungskosten der Sozi- albehörde wurden früher anders verbucht als heute. Das heisst, man weiss nicht ge- nau, wie teuer die Kesb ist – es gibt jedoch Anzeichen dafr, dass die Kesb mehr Kos- ten verursacht als das frühere Vormund- schaftswesen. Das ist keine Überraschung: Es ging darum, die Behörde zu professio- nalisieren – und Fachkräfte haben ihren Preis. «Die Devise heisst häufig: Es darf nichts passieren, aber es darf auch nichts kosten», sagt Silvia Schenker.

Ein Berufsstand mit wenig Prestige Die Terapien fr verhaltensaufllige Jugendliche dienen auch der gesellschaftli- chen Sicherheit und schafen sozialen Frie- den. Es gibt Studien, die das belegen. Eine Untersuchung aus der Schweiz zeigt, dass die Folgekosten von psychisch Erkrankten massiv gesenkt werden, wenn frühzeitige Massnahmen getrofen werden. Und trotzdem erregen sich die Gemüter, wenn die hohen Kosten fr extravagante Terapien genannt werden. Peter Sommer- feld von der Hochschule fr Soziale Arbeit kennt dieses Problem. Er sieht ein Defizit darin, dass die Soziale Arbeit so wenig An- erkennung in der Gesellschaft geniesst: «Der Berufsstand der Sozialarbeiter wird zu wenig erklärt. Es bräuchte klarere Darstel- lung und Begründungen, weshalb eine be- stimmte Massnahme getrofen wird.» Leichter gesagt als getan. Was bewirken denn Segelausflüge fr schwererziehbare Jugendliche konkret? Sommerfeld hat dar- über eine Dissertation geschrieben. Es sei schwierig, den Nutzen in wenigen Sätzen

TagesWoche 40/14 9 zu erklären. «Kurz gesagt, geht es darum, junge Erwachsene oder Jugendliche mit massiven sozialen Schädigungen in ein ge- schlossenes soziales System zu bringen, in dem sie aufeinander angewiesen sind.» Da- durch würden Entwicklungen angestossen, die gewisse soziale Defizite beheben, sagt Sommerfeld. Der Jugendstraftäter «Carlos» zog vor genau einem Jahr das mediale Interesse auf sich. Im Zentrum der Berichterstattung stand damals ein Sondersetting fr 29$000 Franken pro Monat, welches ein Jugend- anwalt in Auftrag gab. So viel Ausgaben fr einen Messerstecher? Die Bevölkerung konnte nicht nachvollziehen, weshalb dies nötig war. Die Zürcher Justizdirektoren setzten das Sondersetting ab – unter dem Druck der Öfentlichkeit.

Die Sündenböcke der SVP Anfang dieses Jahres folgte ein neues Ausweiden und entsorgen: Sozialfirmen bieten anspruchslose Arbeit. FOTO: KEYSTONE Gutachten im «Fall Carlos»: Das Sonderset- ting sei berechtigt gewesen. In der Presse Sozialwesen folgte die Erkenntnis: Vielleicht waren die teuren Massnahmen fr «Carlos» gar nicht so verkehrt. Der mediale Sturm flaute ab. Chance oder moderne Sklaverei – was Ofenbar braucht es Erklärungen dafr, was sozialpädagogische Massnahmen nut- Arme im Arbeitseinsatz erleben. zen – immer und immer wieder. Die derzeitige Debatte sei «ein Spiel mit dem Feuer», sagt Peter Sommerfeld. «Die In der Welt der Sozialfirmen mediale Empörung untergräbt die Werte- basis einer demokratischen Gesellschaft von Jeremias Schulthess und Reto Aschwanden und spielt insofern rechten Kräften in die Hände.» atthias Bachmann* arbeitete zu tun haben und nicht zu Hause beim Die SVP zeigt Tatendrang und fordert – vier Monate bei der Firma Nichtstun verkümmern. inmitten der Empörungswelle über den Dock in Basel. Elektronische De facto sind es fr «Dock» sehr günsti- «Sozial-Irsinn» – eine Sozialhilfereform. Geräte auseinandernehmen, ge Arbeitskräfte. Auf der Chefetage wird je- Zufall? Der Fall Hagenbuch, Ausgangs- MBodenplatten aus Kork herstellen. Die Vor- doch nicht abgesahnt, wie manche es von punkt der Debatte, wurde von einer ver- gesetzten grüssten morgens jeden mit den profitorientierten Sozialfirmen vermu- zweifelten SVP-Gemeindepräsidentin an- Handschlag: «Das wirkt freundlich und ver- ten. Die fnf Geschäftsleitungsmitglieder gestossen. bindlich, gleichzeitig ist es eine Kontrolle, verdienen je 140$000 Franken im Jahr, der Gegenüber der NZZ sagte SVP-Natio- wer da ist», sagt Bachmann rückblickend. Reingewinn lag im letzten Jahr bei 37$000 nalrat Tomas Müller: «Am gegenwärtigen «Dock» gilt als Paradebeispiel einer So- Franken, wie die «Schweiz am Sonntag» re- System verdient eine ganze Sozialindustrie zialfirma. Wie funktioniert das Modell? cherchierte. gut, inklusive Rechtsanwälten. Auch die Bachmann fragte als Sozialhilfebezüger Dass private Unternehmen mit der Be- Fachhochschulen sind mitschuldig, wel- beim Sozialamt nach, ob es nicht eine Be- schäftigung von Sozialhilfebezügern Ge- che fr die Ausbildung der Sozialarbeiter schäftigung fr ihn gebe. «Dann ging es ras- schäfte machen, sorgt trotzdem fr Unmut. zuständig sind.» sig.» Bachmann wurde an «Dock» überwie- Und genau deswegen sorgt das Wort Sozial- In der Aussage werden sämtliche Te- sen und konnte wenig später beginnen. firma fr Schlagzeilen: Kann eine profitori- menbereich als buntes Potpourri ver- Manchmal vermitteln auch extra dafr entierte Firma gleichzeitig sozial sein? mischt: Sozialhilfe, soziale Massnahmen, eingerichtete Fachstellen wie das Arbeits- Eine Studie der Fachhochschule Nord- Soziale Arbeit. Das Tema wird von rechts- integrationszentrum (AIZ) oder die Interins- westschweiz und anderen Instituten soll konservativer Seite intensiv bewirtschaftet. titutionelle Zusammenarbeit (IIZ) Leute an Licht ins Dunkel bringen. Ziel der Studie ist Und was sagen die anderen Parteien? die Sozialfirmen. So kommt der Sozialhilfe- es unter anderem, alle Sozialfirmen zu er- Die SP hat im Nationalrat Vorstösse ein- bezüger zu einem Job im geschützten Rah- fassen, die zur Arbeitsintegration beitragen. gereicht, die Transparenz fordern und men – dem zweiten Arbeitsmarkt. Dort spie- Die Studie wird voraussichtlich Ende mehr Erkenntnisse zur Kesb. Die Sozialhil- len nicht die gängigen Marktmechanismen, 2015 erscheinen, doch bereits jetzt kursieren fe wird vehement verteidigt, allerdings feh- die Stellen sind quasi subventioniert. Zahlen daraus: Es gebe in der Schweiz rund len der SP die überzeugenden Argumente Bachmanns Stundenlohn bei «Dock» 400 solcher Firmen, die insgesamt einen gegen den «Sozial-Irrsinn». betrug anfangs 14 Franken pro Stunde. Die- Umsatz von 630 Millionen Franken aufwei- Was fehlt, sind handfeste Gründe, wes- ses Geld erhielt «Dock» vom Sozialamt zu- sen – so schrieb die «Schweiz am Sonntag». halb ein Segelausflug fr schwererziehbare rückerstattet – «refinanziert» heisst das in An der Fachhochschule Nordwest- Jugendliche sinnvoll sein kann. Denn: Was Bürokraten-Deutsch. Je höher der Lohn, schweiz gibt man sich bedeckt: Es sei noch passiert, wenn der «Carlos von Schmeri- desto weniger Sozialhilfegeld erhielt Bach- viel zu früh, von Ergebnissen zu sprechen. kon» nicht in eine Terapiemassnahme mann. Auf diese Weise konnte er bis maxi- Alles nur Efekthascherei der Medien also? versetzt wird? Dann ist die Wahrscheinlich- mal 400 Franken mehr verdienen, als er Das Tema passt jedenfalls bestens zur keit gross, dass er später viel höhere Kosten vom Sozialamt kriegen würde. aktuellen Sozialhilfe-Debatte, bei der alle verursacht: kein Job, Sozialhilfe oder gar Das Modell ist umstritten. «Moderne Fakten zu einem undurchsichtigen Brei Gefngniskosten. Sklaverei» sagen manche, andere loben es vermischt werden. tageswoche.ch/+sk70n × als Chance, damit Sozialhilfebezüger etwas tageswoche.ch/+ 5ined ×

TagesWoche 40/14 10 – also wochenweise mal hier, mal da, bei Be- kannten, bei Verwandten. Bei anderen sozialen Einrichtungen mit einem niederschwelligen Angebot wird diese Einschätzung nicht geteilt. Die Woh- nungsnot sei unverändert auf einem hohen Stand. Die Leiterin der Sozialhilfe Basel, Nicole Wagner, sagt, man habe keine Hin- weise darauf, dass es mehr Menschen ohne festen Wohnsitz gebe: «In der Notschlaf- stelle gibt es noch freie Betten.»

Eine neue Klientel für Gassenarbeiter Geben freie Betten in der Notschlafstelle Auskunft über die Situation der Obdachlo- sen? Kaum. Rolf Mauti kennt die Situation der Randständigen in Basel, er war mehrere Jahre obdachlos. Er nennt die Notschlafstel- le «eine einzige Katastrophe»: «Ich habe auf jeder Baustelle besser geschlafen.» Er rate niemandem, auf der Notschlafstelle nachts barfuss auf die Toilette zu gehen. Nimmt das Phänomen «versteckte Ob- Caritas-Markt: Längst kaufen hier nicht mehr nur Randständige ein. FOTO: KEYSTONE dachlosigkeit» zu? Es gibt keine Statistik, in der die Personen ohne feste Wohnadresse Obdachlose auftauchen. Die Zahlen vom Schwarzen Pe- ter sind ein wichtiger Indikator fr einen Anstieg – erhärten lassen sie sich nur schwer. Beim Gassenverein «Schwarzer Peter» Der Gassenarbeiter Michel Steiner meint, dass sich die Klientel der Obdachlo- klopfen immer mehr Menschen an, die sen gerade verändert. «Heute ist es nicht mehr die klassische Stammklientel, die bei bis vor Kurzem bestens integriert lebten. uns an die Türe klopft. Seit zwei bis drei Jahren kommen Leute zu uns, von denen ich es niemals annehmen würde.» Arbeiter aus dem unteren Mittelstand, Frauen wie Alexandra. Es brauche heute nur wenig, dass jemand aus dem System rauskippt, Der Mittelstand sagt Steiner. Das Verhältnis Frauen – Männer sei etwa ausgeglichen bei Menschen ohne fes- ten Wohnsitz. Bei Obdachlosen, die im klassischen Sinne unter der Brücke schla- auf der Strasse fen, betrage der Anteil der Frauen aber nur etwa ein Viertel, so Steiner. Die Problematik ist komplex. Ist es die Wohnungsknappheit, sind es die präkeren von Jeremias Schulthess Verhältnisse, die dazu fhren, dass Leute aus dem unteren Mittelstand von der Woh- ie fhrt mit ihren lackierten Fin- Eine bezahlbare Wohnung zu finden war nungsnot betrofen werden? gernägeln über den Tisch, die ge- fr sie sehr schwierig – fast unmöglich, wie Politische Vorstösse zur Bekämpfung schminkten Lippen zusammenge- sie sagt. Die Wohnung darf ohne Nebenkos- der Wohnungsnot gibt es beispielsweise presst. Vor einigen Jahren wurde ten nicht mehr als 700 Franken kosten, von der linken Partei BastA!. Auch in der SP SAlexandra* aus ihrer Wohnung geworfen. mehr zahlt die Sozialhilfe nicht. Und mit werden solche Ideen diskutiert: Die An- Alexandra gehörte zu jenen Menschen, den kleineren Jobs, die sie machte, konnte laufstelle fr Wohnungssuchende stärken? die ihre Adresse beim Verein fr Gassenar- sie sich keine teurere Wohnung leisten. Mehr Kompetenzen fr die Sozialhilfe? beit «Schwarzer Peter» angeben. Der Ver- Mehr subventionierte Wohnungen? ein dient unter anderem als Postfach fr Die versteckte Obdachlosigkeit steigt Am Ende bleibt unklar, was Menschen Menschen ohne feste Wohnung. Der Gas- Für Sozialhilfe-Empfnger sei die Woh- wie Alexandra helfen könnte. Seit einiger senarbeiter Michel Steiner zeigt die vollen nungssuche noch schwieriger als fr ande- Zeit ist sie wieder auf Wohnungssuche. Sie Schränke mit der Post der Wohnungslosen. re, erklärt Steiner. Wenn als bisherige Ad- will mit ihrem kranken Bruder und einem Alexandra kam zum Schwarzen Peter, resse der Schwarze Peter angegeben sei, «guten Kollegen» zusammenziehen. Eine als sie ihre Wohnung verlor. Es gab Streit wissen die Immobilienfirmen Bescheid: behindertengerechte 4-Zimmer-Wohnung mit der Sozialhilfe, das Geld fr Wohnbe- ohne festen Wohnsitz, Sozialfall. wäre perfekt. Aber mit ihren Voraussetzun- darf wurde gestrichen und sie flog aus der Die Zahl der Meldeadressen hat beim gen ist das schwierig. Das Schlimmste sind Wohnung, stand sozusagen auf der Strasse. Schwarzen Peter in den letzten Jahren mas- fr sie die Vorurteile. «Wir nehmen keine Als Notlösung zog sie zu ihrem Freund in siv zugenommen. 2010 waren es 213 Perso- IV-Bezüger, Sozis oder andere Wohnnoma- eine kleine 2-Zimmer-Wohnung. nen, die sich beim Schwarzen Peter melde- den. Das sind alles Messis – so denken die Die ofzielle Adresse hatte Alexandra ten, in diesem Jahr rechnet Michel Steiner Leute bei den Immobilienfirmen.» aber beim Schwarzen Peter, nur so erhielt mit gesamthaft 500 Personen. Er schliesst tageswoche.ch/+ lbndj × sie das Geld von der Sozialhilfe, das sie zum daraus, dass in Basel immer mehr Men- Leben brauchte. schen in versteckter Obdachlosigkeit leben * Name geändert.

TagesWoche 40/14 REAKTIONEN 11

Abstimmungen Die Community zu den Abstimmungsergebnissen der Stadtrandentwicklung und Fusionsprüfung.

Cemal Pnin, Stadtrandentwicklung Mehr Reaktionen Mich hat das Nein etwas überrascht, aber mit einem Ja wären die gegenwärtigen Probleme auch nicht gelöst worden. Bis mal diese Siedlungen gebaut wären, hätte es etwa 10 bis 15 Jahre gebraucht. Indes wächst aber die Stadt jährlich um einige Tausend Personen, sodass die Wohnungsnot trotzdem bestehen würde.

Jürg S Zweimal Nein zur Vielen Dank all den Stimmenden, die den Erhalt der Grünflächen und des Erholungsraums aus Respekt Stadtentwicklung, für die Zukunft und die Natur ermöglicht haben. Die Tatsache, dass die Bevölkerung unserem Umfeld tageswoche.ch/ mehr Gewicht beimisst als der aktuellen Wohnungssituation, werte ich als positives Zeichen für die weitere +bwlzn Entwicklung der Stadt.

Glaubauf Ob der Entscheid gut oder schlecht ist, weiss ich nicht – aber wieder einmal gibt die Gemeinde Riehen bei einer reinen Gemeindeangelegenheit der (nicht existenten) Gemeinde Basel-Stadt den Ausschlag. Dass dieser fundamentale Konstruktionsfehler bei der letzten Verfassungsrevision nicht beseitigt wurde, ist mir unverständlich. Im anderen Stadtkanton (Genf) gibt es das nicht. Und trotz aller Beschaulichkeit ist Riehen die zweitgrösste Gemeinde der Nordwestschweiz – nicht irgendein nicht gross ins Gewicht fallendes Dorf.

Michael Steiner Etwas Gutes hat das Ganze: Erstmals nimmt ein Regierungsrat das Wort «Wohnungsnot» als eines der grössten Probleme Basels in den Mund.

Karl Linder Nachdem die Riehemer aus ihrer mehrheitlichen Einfamilienhaus-Perspektive das Projekt der Stadt Basel versenkt haben, fragt man sich, ob sich demnächst Basel auch in Riehemer Wohnentwicklungs-Fragen einmischen darf.

Kulturbetrachter Basel, Fusionsprüfung Mehr Reaktionen Ich frage mich, wie viele Personen Nein gestimmt haben, in der festen Überzeugung sie stimmen schon über die Fusion ab und nicht nicht über eine Fusionsprüfung!...

Der Schwob «Jetzt wird wieder Schön, dass Exponenten im Baselbiet der Meinung sind, dass man die Zusammenarbeit weiter intensivie- in die Hände ren muss. Mal sehen, wie es die Verantwortlichen in der Stadt sehen. Schliesslich muss ein so umfangrei- gespuckt», ches Vertragswerk durch unzählige Staatsbedienstete umgesetzt werden, welche man eventuell gar nicht tageswoche.ch/ mehr gebraucht hätte nach einer Fusion. Geld, welches man wohl besser ausgeben kann. +scix4

Fritz Weber Ich hätte wohl auch Ja eingelegt, aber der Hass, der einem vonseiten der Oberpatrioten entgegenschlug, entsetzte mich und bewegte mich zu einem Nein. Ich denke, ich will in Zukunft keine Kooperation mit einem Kanton, aus welchem einem solcher Hass entgegenschlägt. Und ich bin der Meinung, Basel-Stadt sollte sich in Zukunft wieder auf sich konzentrieren und kann das Baselbiet links liegen lassen.

TagesWoche 40/14 12 Stadtentwicklung ter Politik beim Basler Gewerbeverband. Allerdings schätzt er hier das Potenzial Nach der Abstimmung geht die Suche als nicht allzu gross ein. Auch einer Um- nutzung von Büroflächen steht er nicht nach Wohngebieten von vorne los. ablehnend gegenüber. «Von einer Umnut- zung der letzen Gewerbeflächen auf dem Das bringt Unternehmen unter Druck. Stadtgebiet halten wir aber gar nichts», betont er. Konkret spricht Erny neben dem Drei- spitz das Lysbüchel-Areal an, das sich im St.-Johann-Quartier vom Vogesenplatz entlang der Elsässerbahnstrecke bis hinauf Gewerbe frchtet zur Landesgrenze zieht. Der Grossverteiler Coop, der sich 2016 aus seinem dort ange- siedelten Verteilzentrum zurückziehen möchte, hat sein rund 461600 Quadrat- meter grosses Areal der Stiftung Habitat Verdrängung und der Einwohnergemeinde Basel-Stadt verkauft. Der Rest des insgesamt gut 1101000 Quadratmeter grossen Gebiets ge- hört den SBB. von Dominique Spirgi Die Landbesitzer haben das Lysbüchel- Areal zum Entwicklungsgebiet erklärt. Klar ie Gegner der Stadtrandent- Basel auch andere Areale für die Neu- ist, was die Stiftung Habitat mit ihren rund wicklungs-Projekte Ost und erschliessung als Wohngebiete eignen wür- 121000 Quadratmetern am südlichen Rand Süd, die am vergangenen Ab- den. Dieser Ansicht ist im Grundsatz auch vorhat: «Die Stiftung plant, günstigen stimmungssonntag als Sieger der Gewerbeverband, der zu den Verlierern Wohnraum und eine lebenswerte Wohn- Dhervorgegangen sind, haben immer wieder der Abstimmung gehört. umgebung zu schafen», ist auf deren Web- betont, dass sich neben der Verdichtung «Die innere Verdichtung ist ein mögli- site zu lesen. Das dürfte keine grossen gewisser Wohnzonen in den Quartieren in cher Ansatz», sagt Patrick Erny, Projektlei- Probleme bereiten, denn dieses Gebiet ist

Ein Ort für Wohnraum statt Gewerbe? Das Lysbüchel-Areal im St. Johann. FOTO: PETER SENNHAUSER

TagesWoche 40/14 13 der Wohnzone 5a (Geschlossene Über- Stadtentwicklung bauung mit fnfgeschossigen Bauten) zu- geordnet. Was mit dem Rest geschieht, der als Ge- Die Verwaltung sucht nach neuen Orten werbe- und Industriezone 7 ausgewiesen ist, ist noch ofen. Aber sowohl Basel-Stadt fr mehr Wohnraum in der Stadt. als auch die SBB haben bereits durchbli- cken lassen, dass sie vom reinen Gewerbe- gebiet absehen und auch Platz fr Wohnun- «Wir haben keinen Plan B» gen und Dienstleistungsbetriebe schafen möchten. Solche Aussagen haben dazu ge- von Dominique Spirgi fhrt, dass das Lysbüchel-Areal in städte- bau-kritischen Kreisen als quantitativ voll- uf dem Papier sieht eigentlich al- Auch der Leiter der Kantons- und Stadt- wertiger Wohngebiet-Ersatz fr die gebo- les gut aus. Im neuen Wohn- entwicklung, Tomas Kessler, kann keine digten Stadtrandentwicklungs-Gebiete Ost raumfrdergesetz ist festgehal- Ersatzstandorte aus dem Ärmel schütteln. und Süd ins Feld gefhrt wird. ten, dass der soziale, namentlich Aber er behält sich vor, «in aller Freiheit Agenossenschaftliche Wohnungsbau gefr- über Alternativen nachzudenken». «Allen- Das Gewerbe ist alarmiert dert werden soll. Dass fr «besonders be- falls könnte es sich – natürlich unter Einbe- «Das Lysbüchel-Areal ist eines der letz- nachteiligte Personen» günstiger Wohn- zug der Hauptargumente der Gegnerschaft ten zusammenhängenden Gewerbegebiete, raum bereitgestellt werden soll. Und dass – lohnen, darüber nachzudenken, ob auf die in Basel-Stadt verblieben sind», sagt Ge- zur Erleichterung des Neubaus von Wohn- dem Stadtrandentwicklungs-Areal eine re- werbevertreter Erny. Eine Umnutzung hät- häusern bürokratische Hürden abgebaut duzierte Überbauung möglich wäre», sagt te nach Ernys Ansicht nicht nur fr die heu- werden sollen. er. Mit weniger hohen Häusern und einer te dort ansässigen Betriebe tiefgreifende «Damit verfgt der Kanton über eine Bebauung, die sich auf den heute bereits Folgen: «Die Gewerbetreibenden müssten gute gesetzliche Grundlage, um den Woh- überbauten Teil westlich der Allmendstras- wohl oder übel ins Umland ausweichen nungsbau und die Bereitstellung von be- se konzentriert. und von dort zu ihren Arbeitseinsätzen in zahlbaren Wohnungen voranzutreiben», die Stadt fahren, was wiederum zu mehr sagt der Leiter der Kantons- und Stadtent- Ein Nein ist ein Nein Verkehr fhrt und ökologisch höchst un- wicklung, Tomas Kessler. An den Abstim- Für das federfhrende BVD ist eine re- vorteilhaft wäre.» mungsurnen wurde der Gegenvorschlag duzierte Neuauflage des Stadtraument- Das Gewerbe und ihre Vertreter blicken zur Mieterschutzinitiative vor Jahresfrist wicklungsprojekts Ost aber keine Option: nicht erst seit dem Abstimmungswochen- mit stattlichem Mehr angenommen. «Ein Nein ist ein Nein, das haben wir zu ak- ende mit Sorge auf die Arealentwicklung, Wohnbaufrderung funktioniert aber zeptieren», betont Keller. Eine Neuauflage die sich gegenwärtig in einer Testphase be- nur, wenn auch Platz vorhanden ist, um könnte nur zur Option werden, wenn sie findet. Im April 2013 hatte der damals noch neue Wohnungen zu erstellen. Mit dem aus dem Grossen Rat oder vielleicht gar als Grossrat amtierende neue CVP-Regie- doppelten Nein zu den Stadtrandentwick- von der Bau- und Raumplanungskommis- rungsrat Lukas Engelberger in einem Vor- lungsprojekten Ost und Süd wurde nun sion eingebracht würde. Das aber ist zum stoss nachdrücklich fr den Erhalt der Ge- eine Möglichkeit, die Wohnbaufrderung jetzigen Zeitpunkt noch reine Hypothese. werbeflächen plädiert. «Das Lysbüchel- zu konkretisieren, verbaut. Wohnungen fr Ganz mit leeren Händen steht die Ver- Areal eignet sich hervorragend fr gewerb- weit über 2000 Menschen können nun waltung zwar nicht da. Die Optionen der in- liche Nutzungen. Die Anzugsteller wollen nicht gebaut werden. neren Verdichtung in den Quartieren und das Areal deshalb weiterhin in dieser Nut- Basel braucht neuen Wohnraum, das ist der Umnutzung von leerstehenden Büro- zung erhalten und in der Industriezone be- unbestritten. Die Leerstandsquote von häusern sind vorhanden. Kessler schränkt lassen», heisst es im Vorstoss, der auch von 0,2 Prozent ist ein deutliches Zeichen hier- aber ein: «Wir haben das Potenzial von Um- Vertreterinnen und Vertretern des Grünen fr. Kurzfristig dürfte sich diese Situation nutzungen seriös abgeklärt, wir sprechen Bündnisses und der SP mitunterzeichnet zwar wieder etwas entschärfen: «Im ver- hier von der Möglichkeit, Wohnraum fr wurde. gangenen Jahr sind relativ wenig neue 400 bis maximal 600 Menschen schafen zu Wohnungen auf den Markt gekommen», können», sagt er. «Mehr als ein Beitrag im Platz für laute Arbeitsplätze sagt der Leiter der Kantons- und Stadtent- beschänkten Rahmen ist das nicht.» Das sind klare Worte, die auch nicht als wicklung, «das wird sich aber in naher Zu- Und auch die geplante Umwandlung ei- Plädoyer fr eine mögliche Mischnutzung kunft mit den aktuellen Bauprojekten zum nes Teils des Hafenareals bietet kurz- bis zu verstehen sind. Auch Erny kann mit dem Beispiel auf dem Erlenmatt-Areal ändern.» mittelfristig keine Lösung. «Wir sind noch Zauberwort Mischnutzung zumindest in Mittel- und langfristig sieht Kessler aber weit von der konkreten Hafenentwicklung diesem konkreten Fall nicht viel anfangen: Probleme auf die Stadt zukommen: «Wenn entfernt», sagt Marc Keller. Bevor auf die- «Es gibt nicht nur lautloses Gewerbe, wir der Bevölkerungszuwachs von jährlich 1 bis sem Areal Wohnungen gebaut werden kön- brauchen in Basel auch Platz fr lautes Ge- 1,5 Prozent anhält, und davon gehen wir aus, nen, muss nämlich zuerst die Hafeninfra- werbe.» Und solche Betriebe konnten auf werden diese Projekte bei Weitem nicht aus- struktur gehörig umgekrempelt werden – dem Lysbüchel-Areal bislang ungestört ar- reichen.» Für Kessler ist jetzt nicht «Alar- Stichworte Hafenbecken 3, Neubau eines beiten. «Ein konfliktfreies Nebeneinander mismus» angesagt, aber die Situation zwin- Containerterminals und Verlegung der von Recyclingfirmen mit Lastwagenver- ge die Behörden zu konkretem Handeln. Bahnanlagen. «Die Logistik hat ganz klar kehr und Familienwohnungen mit spielen- Nur weiss man gegenwärtig nicht wie Vorrang», betont Kessler. den Kindern ist nicht vorstellbar.» und wo. Im Bau- und Verkehrsdepartement Mit dem Entwicklungsgebiet Lysbü- Erny befrchtet, dass sich der Druck auf (BVD) herrscht nach der verlorenen Ab- chel-Areal im nördlichen St. Johann hat der solche Gewerbebetriebe mit dem Nein zu stimmung Katerstimmung und etwas Rat- Kanton noch ein weiteres Projekt in der den Stadtrandentwicklungs-Projekten ver- losigkeit: «Das Problem des Unterangebots Hinterhand. «Wir können heute aber noch stärken wird. Noch ist aber nichts konkret an Wohnraum bleibt, aber wir haben kei- nicht sagen, wie viele neue Wohnungen beschlossen. Bis Ende Jahr bereits soll ein nen Plan B, wie wir den mittelfristigen Be- dort erstellt werden können», sagt Marc städtebauliches Konzept vorliegen, das der darf decken können», sagt Departements- Keller. Ausserdem hat das dort ansässige Startschuss zu einer wohl wiederum ange- sprecher Marc Keller. «Ofensichtlich ist Gewerbe angekündigt, dass es von einer all- regten Debatte über die Wohn- und Städte- die Dringlichkeit des Problems bei der flligen Mischnutzung auf diesem Areal baupolitik Basels sein wird. Stimmbevölkerung nicht richtig wahrge- wenig hält. tageswoche.ch/+j63qy × nommen worden.» tageswoche.ch/+ jxa9f ×

TagesWoche 40/14 14 Universität Antonio Loprieno tritt überraschend als Rektor der Uni Basel zurück. Im Interview erläutert er die Gründe und sagt, weshalb er trotz Rücktritt an der Uni bleiben möchte. «Ich spüre eine Erleichterung»

«Macht kontaminiert, auch wenn ich nur wenig davon besitze», sagt der scheidende Uni-Rektor Antonio Loprieno. FOTO: NILS FISCH

TagesWoche 40/14 15 von Simon Jäggi Inwiefern? Aber nicht als Person, welche sich ganz Es vermittelte mir eine Art Abhängigkeit dieser modernen Universität ver- ir trefen Antonio Loprieno meiner Funktion vom politischen Gesche- schreibt. in seinem Büro am Peters- hen, die mir zu denken gegeben hat. Nein, dafr bin ich wahrscheinlich zu graben. Letzten Sonntag hat Und dann haben Sie Ihren Entscheid geisteswissenschaftlich kritisch. er überraschend seinen an jenem Sonntag bekannt gegeben, an Was kommt für Sie danach? WRücktritt bekannt gegeben. Im Gespräch dem die Kantonsfusion abgelehnt Sie dürfen mir glauben, ich weiss es macht er einen entspannten Eindruck und worden ist. noch nicht. Ich kann mir aber gut vorstel- erzählt von Anzeichen der Amtsmüdigkeit Da hingegen gibt es keinen Zusammen- len, an der Basler Universität zu bleiben. und seinen Zukunftsplänen an der Univer- hang, das kann ich sogar empirisch bele- sität. Sämtliche Gründe fr seinen Rück- gen. Ich habe den Universitätsrat bereits «Wenn ich am Morgen tritt kennt vermutlich nur er selber. eine Woche vor der Abstimmung infor- Herr Loprieno, Sie haben am Sonntag miert. Obwohl ich selber eine Fusion als Erstes schaue, wo Ihren Rücktritt angekündigt. Sind Sie begrüssen würde. froh über Ihren Entscheid? Der Universität Basel steht mit der Basel im Uni-Ranking Ich möchte nicht den Eindruck erwe- Strategie 2014 ein grosser Umbau cken, ich sei glücklich über meinen Rück- bevor. Inwiefern haben diese steht, kann ich kein tritt. Dafr liebe ich das Amt noch sehr. Zukunftsaussichten Ihren Entscheid Aber ich spüre eine Erleichterung. beeinflusst? guter Forscher sein.» Wann genau haben Sie sich zu Ihrem Zur Strategie 2014 bekenne ich mich Rücktritt entschieden? vollumfnglich und engagiere mich auch Nach Ihrer Amtszeit? Innerlich im Sommer dieses Jahres, als persönlich fr einige Bestandteile davon, Ja, in einem gewissen Sinn ist das ein ich die Ferien auf Malta verbracht habe. etwa fr den Studiengang Urban Studies Novum. Früher wurden Rektoren nach ih- Eine Auszeichnung eines Professors brach- und die Partnerschaft mit der University of rer Amtszeit pensioniert. Ich würde das te mich zum Nachdenken, und ich merkte, Cape Town. Doch fr die Zeit nach 2017 bin gerne anders machen und der Universität wie gut die Universität vorbereitet ist fr ich nicht der richtige Mann. erhalten bleiben. die Zukunft. Das ist ein guter Zeitpunkt fr Was für einen Mann wird es dann statt In welcher Form? einen Rücktritt. Ihnen brauchen? Als Ägyptologe oder in der Lehre, etwa Das klingt sehr selbstlos. Vielleicht braucht es eher eine Frau! im Bereich University Management. Viel- Es gibt persönlichere Aspekte. Ich spür- Aber wenn es ein Geschäft gibt, zu dem ich leicht kommt es auch ganz anders. In ei- te in vergangener Zeit etwa auch Zeichen nichts zu sagen habe, dann zu meiner nem Jahr beginnt fr mich eine dritte Pha- von Amtsmüdigkeit. Nachfolge. Die neue Person muss neue Per- se meines beruflichen Lebens, und die Wie zeigt sich das? spektiven öfnen. Und das geht nur, wenn möchte ich jetzt noch nicht abschliessend Wenn an und fr sich kleine Probleme ich mich dazu nicht äussere. Irgendwann definieren. Wissen Sie warum? plötzlich zu einer schlaflosen Nacht fhren. ist Schluss. Sagen Sie es uns. Und zuweilen kommt mir auch die Neugier Als welcher Rektor wollen Sie in Weil man eine Form von Reinigung etwas abhanden, die Dinge beginnen sich Erinnerung bleiben? braucht. Das ist ein Amt, das einen leicht zu wiederholen. Verstehen Sie mich nicht Für eine Bilanz ist es noch zu früh, ich kontaminiert. Macht kontaminiert, auch falsch, ich komme nicht ungern zur Arbeit. möchte mich im verbleibenden Jahr noch wenn ich nur wenig davon besitze. Ich Dass ich nicht als Rektor der Universität in weiter einsetzen. Ich verstehe mich aber als könnte nicht am Tag nach meinem Rück- Pension gehen möchte, war mir aber be- Mann der Überbrückung. Zwischen der tritt an der Universität weiterarbeiten. reits länger klar. klassischen und der modernen Universität. Wenn ich am Morgen als Erstes schaue, wo Weshalb haben Sie sich vor einem Jahr Wir freuen uns am selben Tag über 15 Milli- Basel im Uni-Ranking steht, kann ich kein dennoch für eine dritte Amtszeit onen von Siemens und müssen gleichzeitig guter Forscher sein. Dafr brauche ich in- wählen lassen? fr diese Finanzierung in der Öfentlich- nere Freiheit und Distanz zu meinem vor- Vor meiner Wahl liess ich bereits durch- keit geradestehen. Und ich spüre mich als herigen Amt. Und das wiederum braucht blicken, dass ich voraussichtlich nicht bis Person, welche diese Dualität miteinander etwas Zeit. zum Ende meiner Amtszeit Rektor bleiben vereint. tageswoche.ch/+ 9ikjf × werde. Eine konkrete Vorstellung hatte ich damals aber noch nicht, die kam erst in die- ANZEIGE sem Sommer. adrian.mueller «Ich verstehe mich als ImmoTreuhand Mann der Überbrückung zwischen der klassischen Stilvoll Wohnen beim Paradies…

und der modernen Neubauprojekt im Baurecht «Paradies in Allschwil» Spitzwaldstrasse 206 | 4123 Allschwil

An zentraler, sonniger Wohnlage, Nähe dem Einkaufszentrum «Paradies» erstellen wir ein kleines Universität.» Mehrfamilienhaus mit sieben modernen Eigentumswohnungen mit Lift und einer Autoeinstellhalle: 2 × 3.5-Z’ Gartenwohnung 91–93 m2 | Sitzplatz 12 m2 | Gartenfläche 232 m2 Es war für Sie als Rektor ein schwieri- Verkaufspreis CHF 535’000.00 – CHF 555’000.00 ges Jahr. Die Annahme der SVP-Mas- 4 × 3.5-Z’Etagenwohnung 91–93 m2 | Balkon 12 m2 seneinwanderungsinitiative hat für Verkaufspreis CHF 555’000.00 – CHF 595’000.00 die Universität unangenehme Folgen. 1 × 4.5-Z’Dachwohnung 145 m2 | Balkon 21 m2 | Verkaufspreis CHF 930’000.00 Die hell und klar strukturierten Eigentumswohnungen bieten ein hohes Mass an Wohnkomfort. War das mit ein Grund für Ihren Die Wohnungen und vorgelagerten Sitzplätze und Balkone sind nach Südwesten ausgerichtet. Entscheid? adrian.mueller ImmoTreuhand Es wäre falsch, wenn ich sagen würde, Viaduktstr. 65 | 4002 Basel das hatte gar keinen Einfluss. Die Folgen Tel: +41 61 205 90 25 [email protected] des 9. Februar haben mein Gefhl einer ge- www.am-immotreuhand.ch wissen Amtsmüdigkeit verstärkt.

TagesWoche 40/14 16 Bestattungsanzeigen Basel-Stadt und Region

Basel riet SG (Neuensteinerstrasse 10). Zehnder-Schüpfer, Bertha Elisa- ber, 14 Uhr. Besammlung Friedhof Baberschke-Weisskopf, Esther, geb. Trauerfeier im engsten Kreis. betha, geb. 1926, von Basel BS Birsfelden. 1940, von Pratteln BL (Bäumlihof- Pfunder, Walter, geb. 1952, von (Holeestrasse 119). Trauerfeier im Ticozzi-Bötschi, Nelly, geb. 1938, strasse 144). Trauerfeier im engsten Basel BS und Dürrenroth BE (Rei- engsten Kreis. von Faido TI (Am Stausee 1). Kreis. nacherstrasse 10). Wurde bestattet. Zuppinger-Grio, Walter, geb. 1939, Abdankung Freitag, 3. Oktober, Bichsel-Ingold, Verena, geb. 1922, Refer-Schaub, Lotty, geb. 1940, von von Bettingen BS (Bruderholzweg 14 Uhr. Besammlung Friedhof von Eggiwil BE (Feierabendstras- Basel BS (Gustav Wenk-Strasse 11). 21). Wurde bestattet. Birsfelden. se 1). Trauerfeier im engsten Kreis. Wurde bestattet. Riehen Münchenstein Bignens-Crameri, Emilia Bianca, Ridolfi-Schindler, Gertrud, geb. 1917, Berger-Frei, Paul Werner, geb. 1924, Blatter-Durnwalder, Sylvia, geb. geb. 1928, von Basel BS und Pos- von Basel BS (Im Burgfelderhof 30). von Basel BS (Kilchgrundstrasse 1926, von Münchenstein BL und chiavo GR (Sempacherstrasse 22). Trauerfeier im engsten Kreis. 38). Trauerfeier Freitag, 3. Oktober, Zürich ZH (Schulackerstrasse 32). Trauerfeier im engsten Kreis. Ruch-Meier, Klara Maria, geb. 1930, 11 Uhr, Kirche St. Franziskus, Beisetzung im engsten Familien- Braschler-Schönenberger, Alice von Basel BS (Largitzenstrasse 40). Riehen. und Freundeskreis. Adelheid, geb. 1919, von Basel BS Trauerfeier Donnerstag, 9. Oktober, Nickler-Büchli, Nelli Rösli, geb. Greiner-Thevenet, Marcelle, geb. (Wiesenstrasse 2). Trauerfeier im 10.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. 1919, von Riehen BS und Basel BS 1935, von Basel BS (Gutenberg- engsten Kreis. Rüegger-Weber, Jeanne Louise (Steingrubenweg 67). Trauerfeier strasse 17). Abdankung Freitag, Fürstenberger-Weiss, Markus, geb. Isabelle, geb. 1925, von Basel BS Dienstag, 14. Oktober, 14 Uhr, 3. Oktober, 14.30 Uhr, Leonhardskir- 1929, von Basel BS (Mülhauser- (Gartenstrasse 69). Trauerfeier im Kapelle Gottesacker Riehen. che, Basel. Beisetzung im engsten strasse 35). Trauerfeier Samstag, engsten Kreis. Schärer, Raimund, geb. 1953, von Familien- und Freundeskreis. 18. Oktober, 9.30 Uhr, St. Clarakir- Russano-di Costanzo, Maria Riehen BS (Rainallee 165). Trauer- Hänggi, Hans, geb. 1957, von Mel- che Basel. Palma, geb. 1925, aus Italien (Clara- feier Montag, 6. Oktober, 13.30 Uhr, tingen SO (Binningerstrasse 31). Grieder-Grosjean, Marie Louise, graben 84). Trauerfeier Freitag, Friedhof am Hörnli. Wurde bestattet. geb. 1923, von Wintersingen BL (Im 3. Oktober, 13.30 Uhr, Friedhof am Allschwil Miéville-Brunner, Lina, geb. 1920, Burgfelderhof 30). Wurde bestattet. Hörnli. Binder-Lang, Hans, geb. 1928, von von Milvignes NE und Essert-Pittet Halbeisen, Elisabeth Bertha, geb. Schelker-Berchtold, Margretha, Rottenschwil AG (Schützenweg 94). VD (Alters- und Pflegeheim Hof- 1925, von Basel BS (Falkensteiner- geb. 1928, von Ramlinsburg BL Wurde bestattet. mann, Pumpwerkstrasse 3). Abdan- kung und Bestattung Freitag, strasse 30). Trauerfeier Dienstag, (Feierabendstrasse 1). Trauerfeier Gürtler-Heller, Frieda, geb. 1915, 7. Oktober, 10.30 Uhr, Heiliggeist- Freitag, 10. Oktober, 14.30 Uhr, 10. Oktober, 14 Uhr, ref. Dorfirche, von Allschwil BL (Neuweilerstrasse Kirchgass 2, Münchenstein Dorf. kirche. Friedhof am Hörnli. 21). Trauerfeier und Beisetzung Zürcher, Hugo Max, geb. 1946, von Hochuli-Geissmann, Ida Marie, Schendel-Duccoli, Werner Otto, Montag, 13. Oktober, 14 Uhr. Trub BE (Bruckfeldstrasse 15). geb. 1919, von Reitnau AG (Gundel- geb. 1924, von Basel BS (Sierenzer- Besammlung Kapelle Friedhof Stille Bestattung. dingerstrasse 274). Trauerfeier strasse 73). Trauerfeier Mittwoch, Allschwil. eitag, 3. Oktober, 14 Uhr, Zwing- 22. Oktober, 14.30 Uhr, Friedhof Fr Speck-Saccani, Albert, geb. 1941, Muttenz lihaus, Gundeldingerstrasse 270, am Hörnli. von Basel BS und Zofingen AG Häberli-Jenny, Anna Margaretha, Basel. Schilling-Jung, Hasso, geb. 1935, (Baslerstrasse 353 b). Trauerfeier geb. 1918, von Muttenz BL und Hugentobler, Erika, geb. 1938, von von Leibstadt AG (St. Johanns-Ring Freitag, 3. Oktober, 14 Uhr. Münchenbuchsee BE (Reichenstei- Oppikon TG (Malzgasse 10). Wurde 122). Wurde bestattet. Besammlung Kapelle Friedhof nerstrasse 55, APH Käppeli). Trau- bestattet. Schneider, Lotty Helene, geb. 1926, Allschwil. Beisetzung im engsten erfeier im engsten Familienkreis. Jacot-Ittig, Melanie, geb. 1920, von von Basel BS (St. Alban-Vorstadt 85). Familien- und Freundeskreis. Schlittler-Kofel, Liselotte, geb. Basel BS (Mülhauserstrasse 35). Trauerfeier im engsten Kreis. Steiger, Mechtilde Margrith, geb. 1928, von Basel BS (Feldrebenweg Wurde bestattet. Steiner-Kaufmann, Heidi Isabella, 1926, von Altstätten SG (Basler- 45). Urnenbeisetzung Mittwoch, Mihindukulasuriya-Sander, Hed- geb. 1920, von Riehen BS und strasse 208). Trauerfeier und Bei- 8. Oktober, 14 Uhr, Friedhof wig Elisabeth, geb. 1938, aus Herzogenbuchsee BE (Hirzbrun- setzung Freitag, 10. Oktober, Muttenz, anschliessend Trauer- Deutschland (Drahtzugstrasse 10). nenstrasse 50). Wurde bestattet. 10.30 Uhr. Besammlung Kapelle feier in der ref. Kirche St. Arbogast, Muttenz. Wurde bestattet. Tasca-Furlanetto, Mario, geb. 1935, Friedhof Allschwil. Kienast, Hanspeter, geb. 1942, von aus Italien (Burgfelderstrasse 255). Streissguth-Gengenbach, Rolf Pfeffingen Basel BS (Gundeldingerstrasse 156). Trauerfeier Donnerstag, 9. Oktober, Karl, geb. 1923, von Laupen BE Backer, Ingeburg Johanna, geb. Trauerfeier Freitag, 3. Oktober, 14.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. (Strengigässli 1). Trauerfeier und 1942, von Lützelflüh BE (Aufenthalt im AZ Im Brüel, Aesch). Urnenbei- 13 Uhr, Kapelle Gottesacker Wolf. Tschan, Elisabeth, geb. 1919, von Beisetzung Freitag, 10. Oktober, Lüchinger-Beckermann, Gisela Känerkinden BL (Rheinsprung 18). 14 Uhr. Besammlung Kapelle setzung Dienstag, 7. Oktober, Lina Hermine, geb. 1927, von Ober- Trauerfeier im engsten Kreis. Friedhof Allschwil. 11 Uhr. Besammlung Friedhof Arlesheim Pfefngen. Bürgin-Zwirner, Hannelore Lis- Pratteln beth Anna, geb. 1939, von Basel BS Wiprächtiger-Moser, Peter Karl, (Birseckstrasse 48). Trauerfeier im geb. 1946, von Ruswil LU (Rütsche- engsten Familienkreis. tenweg 35). Wurde bestattet. Fiechter-Bischof, Marianne Hel- Reinach vetia, geb. 1915, von Basel BS und Büchel, Meinrad, geb. 1928, aus Wir nehmen Buckten BL (Baselstrasse 8). Trau- Liechtenstein (Aumattstrasse 79). erfeier Samstag, 4. Oktober, 11 Uhr, Urnenbeisetzung im engsten Abdankungshalle Friedhof Dor- Familienkreis. Todesanzeigen fr nach. Frei-Hügel, Albertine, geb. 1925, Jeanneret, Hermann Joseph, geb. von Neckertal SG (Aumattstrasse alle Zeitungen der Region 1925, von Basel BS und Val-de-Tra- 79). Wurde bestattet. vers NE (Mattweg 61). Trauerfeier Pauletto-Villa, René, geb. 1938, von entgegen Dienstag, 21. Oktober, 15.30 Uhr, Zürich ZH (Dachsweg 13). Wurde Abdankungshalle Friedhof Brom- beigesetzt. hübel, Arlesheim. Rudin-Bucher, Ruth, geb. 1928, Wir beraten Sie gerne persönlich vor Ort, Zwicky-Meyer, Susi Evelyn Gina, von Ziefen BL (Aumattstrasse 79). geb. 1928, von Glarus Nord GL Trauerfeier und Urnenbeisetzung an der Ecke Rümelinsplatz!/!Grünpfahlgasse. (Finkelerweg 60). Trauerfeier im Neue Medien Basel AG!!!|!!!Tel. 061!!561!!61!!50 Mittwoch, 8. Oktober, 14 Uhr, engsten Familienkreis. Friedhof Fiechten, Reinach. Öfnungszeiten: Birsfelden Windler-Stäheli, Hans, geb. 1923, Mo. bis Fr. von 8.30–12 Uhr und von 13–17 Uhr Julmy, Joseph, geb. 1925, von Basel von Basadingen-Schlattingen TG [email protected] BS und St. Antoni FR (Hardstrasse (In den Gartenhöfen 25). Wurde 71). Abdankung Dienstag, 7. Okto- beigesetzt.

TagesWoche 40/14 17 unangenehmen Spätfolgen dieser Beschlüs- se fr die Studentinnen und Studenten hatte damals niemand gerechnet. «Die Rede war von sechs bis acht Wo- chen zusätzlicher Bearbeitungsfrist», sagt Claudio, «diese Frist ist aber längst abge- laufen.» Um den finanziellen Engpass überbrücken zu können, musste er ein Ausbildungsdarlehen aufnehmen. Ein un- angenehmer Schritt fr ihn: «Ich wollte mich für meine Ausbildung eigentlich nicht verschulden müssen.»

Software-Probleme sind schuld Rund 2000 bis 2500 Gesuche um Beiträ- ge erreichen die Direktion Bildung, Kultur und Sport pro Jahr. Hier ist man sich des Problems bewusst, dass sich einige Bittstel- ler in einer ähnlichen Situation wie Claudio befinden. Der Kanton habe deswegen auch schon Anrufe von verärgerten Studenten er- halten, sagt Dieter Tommen. «Ich habe vol- les Verständnis fr die Wartenden, die nun in einer schwierigen Situation sind», sagt der Leiter Ausbildungsbeiträge, «aber ich kann keine Prognose machen, wann wir die Anträge bearbeiten können.» Kein Geld, keine Kreditpunkte: Den Studierenden fehlen Zuschüsse. FOTO: H. PFARRHOFER Sechs bis acht Wochen waren vorgese- hen, um die Anpassungen der neuen Ver- Bildung ordnungen im Bearbeitungssystem zu pro- grammieren. Insbesondere der Landratsbe- schluss bereitete allerdings Probleme, da Das Baselbiet kann Stipendien zurzeit mit der neuen Berechnungsgrundlage die zumutbaren Elternbeiträge viel detaillierter nur mit Verzögerung ausbezahlen. Eine berechnet werden und damit aufwendiger zu bewältigen sind. Mit der Umstellung sind schwierige Situation fr Studenten. Software-Probleme aufgetreten, die das Be- arbeiten der Anträge vorübergehend un- möglich machen. Damit habe niemand rechnen können, sagt Tommen: «Wir set- zen aber alles daran, die Bearbeitung der Anfragen aufnehmen zu können.» Das Warten Auch auf Hilfe aus Bern kann Claudio nicht hofen. In der Bundesverfassung (Ar- tikel 66) steht zwar, dass der Bund «in Er- gänzung zu den kantonalen Massnahmen [...] eigene Massnahmen zur Förderung der aufs dringend Ausbildung ergreifen» könne. Doch ein zeitliches Limit fr die Zurückhaltung von Stipendien gibt es nicht, wie das Staatsse- kretariat fr Bildung, Forschung und Inno- vation auf Anfrage antwortet. Die Auszah- benötigte Geld lung der Ausbildungszulagen liege in der Verantwortung der Kantone. Ausserdem würden die Zuschüsse ja nicht ausfallen, ihre Auszahlung sei lediglich verzögert. von Daniel Faulhaber Das bestätigte auch Tommen: «Sobald wir die Bearbeitung der Anträge wieder laudio* ist frustriert. Der Student Der Student reichte seinen Antrag ord- aufnehmen können, werden die Beiträge absolviert gerade sein letztes nungsgemäss im Frühjahr ein. Die Behörde rückwirkend ausbezahlt.» Nur einen Tag Ausbildungsjahr an der Fach- wies ihn darauf hin, dass sich die Bearbei- nach dem Gespräch folgte die gute Nach- hochschule Nordwestschweiz tung um ein paar Wochen verzögern werde. richt fr die Baselbieter Studenten: Der Cund würde sich gerne auf den bevorstehen- Der Grund sei eine Anpassung der Verord- Kanton hat eine erste laufhige Version den Abschluss vorbereiten. nung zum Gesetz über Ausbildungsbeiträge. der Software, die Bearbeitung der Anträge Anstatt sich aber den fehlenden Kredit- Diese Anpassung geht zurück auf zwei kann wieder aufgenommen werden. punkten auf seinem Leistungsausweis wid- Abstimmungen des vergangenen Jahres. Am Claudio kann nun bald sein Ausbil- men zu können, musste er sich in den letz- 9. Juli 2013 beschloss das Baselbieter Stimm- dungsdarlehen bei der Bank zurückzahlen ten Wochen mit einem anderen Defizit her- volk mit grossem Mehr den Beitritt zum – und wird sich endlich wieder voll auf sein umschlagen: Ihm fehlen die Ausbildungs- Stipendienkonkordat. Und in der Sitzung Studium konzentrieren können. zulagen des Kantons Baselland, auf die er vom 31. Oktober beschloss der Landrat die tageswoche.ch/+ z5ezy × bisher zählen konnte und auf die er auch Massnahme Ü-8 «Reduktion Subventionen weiterhin dringend angewiesen ist. durch neue Berechnungsgrundlage». Mit *Name der Redaktion bekannt.

TagesWoche 40/14 18 Interview Paola Gallo Paola Gallo, Geschäftsleiterin des Vereins «Surprise», über die neue Armut in der Schweiz, Kampagnen gegen die Sozialhilfe und ihren Weg vom Migrantenkind zur Chefposition. «Statt Armut bekämpft man die Armen»

von Remo Leupin und Dani Winter

lar, eine Zeitschrift wird am Bas- dergeben. Ich finde, wir sollten im Umgang eine Industrie, die von der Armut lebe, ler Spalentorweg 20 auch pro- mit solchen Begrifen sehr vorsichtig sein. immer mehr wachse und Steuergelder duziert. Vor allem aber ist der Diese Begriffe haben aber wieder verschleudere. Was halten Sie den Verein Surprise eine Sozialfir- Hochkonjunktur. Warum eigentlich? Kritikern entgegen? Kma, die dort ansetzt, wo die staatlichen Weil sie eine komplexe Tematik simpel Es ist eine ganz schlimme Polemik, die Behörden an ihre Grenzen stossen. «Sur- herunterbrechen. Die Gesamtausgaben der hier stattfindet. Es ist heute leider so, dass prise» bietet Menschen, die beruflich und Sozialwerke sind nicht gestiegen. Realität nicht mehr die Armut bekämpft wird, son- sozial ganz nach unten gespült worden ist aber: Die Sozialwerke sind den gegen- dern dass die Armen verfolgt und verun- sind, einen kleinen Verdienst, Tagesstruk- wärtigen Problemen nicht mehr gewachsen. glimpft werden. Die Sozialhilfedebatte läuft turen, Beratung, eine Art Ersatzfamilie. Es gibt schon lange keine Vollbeschäftigung völlig an der Realität vorbei und deckt sich Seit bald vier Jahren leitet Paola Gallo mehr. Wir sind mit vielen Langzeitarbeits- überhaupt nicht mit meinen Erfahrungen. «den Laden», wie sie sagt. Derzeit herrscht losen konfrontiert. Die Zahl der Menschen, Wie sehen denn Ihre Erfahrungen aus? ein wenig Hektik: Diese Woche ist Premiere die auf Sozialhilfe angewiesen sind oder Seit einem Jahr bietet der Verein Surpri- fr die «sozialen Stadtrundgänge» in Zürich; wären, aber keine beziehen, wächst bedroh- se «soziale Stadtfhrungen» in Basel an, in Basel werden die «Surprise»-Rundgänge lich. Und es gibt immer mehr Obdachlose seit Anfang Oktober auch in Zürich. Diese seit rund anderthalb Jahren angeboten. in der Schweiz. Die Begrife, die Sie genannt stossen auf grosse Nachfrage. Rückmel- «Mein Kalender ist ziemlich voll», meint haben, sind deshalb gefhrlich, weil sie insi- dungen zeigen mir: Den Teilnehmerinnen die 49-Jährige beim Vorgespräch. Sie findet nuieren, dass viele Menschen unser Sozial- und Teilnehmern wird bewusst, dass es al- dann doch einen Termin – und nach dem system missbrauchen. Doch das ist nicht les andere als erstrebenswert ist, von staat- Interview will sie uns nicht gehen lassen, der Fall. Es ist nur eine ganz kleine Minder- licher Sozialhilfe abhängig zu sein. Nie- bevor nicht eine Flasche Amarone geleert heit, die Lücken im System findet und diese mand will so leben. Niemand will in dieser ist: «So viel Zeit muss sein.» ausnützt. Die grosse Mehrheit der Betrofe- Art abhängig sein und entmündigt werden. Frau Gallo, was geht Ihnen bei Begrif- nen braucht unsere Unterstützung. Niemand will in einem System landen, das fen wie «Sozialhilfetourismus», Derzeit sind nicht nur die Sozialhilfe- einem sagt, was man zu tun und zu lassen «Sozialschmarotzertum» oder «Asyl- Klienten unter Beschuss, sondern hat. Unser Sozialsystem bietet keine Alter- missbrauch» durch den Kopf? auch die Helfer. In Sonntagszeitungen, nativen und schon gar keine Arbeitsplätze. Das sind Schlagworte, die ein scheinba- aber auch in Basler Medien wird die Bei uns arbeiten Leute, die schon seit res Missbehagen in der Bevölkerung wie- sogenannte Sozialindustrie kritisiert: 15 Jahren das Magazin «Surprise» auf der

TagesWoche 40/14 19

Paola Gallo, 49, wuchs im Wallis auf und kennt als Tochter sizilianischer Eltern die Probleme von Einwanderern. In ihrer Karriere engagierte sich die 49-Jährige im sozialen Bereich: als Koordinatorin von Erwerbslosenkursen, als Geschäftsleiterin der Basler Regionalstelle des Berufs-, Bildungs- und Forschungsinstituts ECAP und seit bald vier Jahren als Geschäftsleiterin von «Surprise». Paola Gallo ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

Paola Gallo: «Früher fühlte ich mich manchmal dreifach benachteiligt: als Sizilianerin, als Frau, als Walliserin.» FOTO: NILS FISCH

TagesWoche 40/14 20 Strasse verkaufen. Diese Menschen sind arm, und niemand bietet ihnen einen pas- senden, niederschwelligen Arbeitsplatz an. Wir bieten ihnen eine Verdienstmöglich- keit, beraten sie und sind fr einige von ih- nen auch eine Ersatzfamilie. Das ist die Re- alität. Eine besonders schlimme Form der Armut ist Obdachlosigkeit. Laut dem Gassenverein «Schwarzer Peter» sind in Basel rund 500 Personen obdachlos. Spüren auch Sie diese Verschärfung des sozialen Klimas? Ja. Bis vor Kurzem hatten wir es mit einer Handvoll Obdachloser zu tun. Deren Zahl ist stark gestiegen. «Surprise» kann diesen Leuten immerhin einen kleinen Verdienst garantieren. Seit 2008 ist es aber leider so, dass selbst das Verkaufen von Zeitungen auf der Strasse zunehmend unattraktiver wird. Weshalb? «Surprise»-Verkäufern, die Sozialhilfe beziehen, werden – je nach Kanton höhere oder tiefere – Freibeträge zugestanden, die nicht von den staatlichen Zuschüssen ab- gezogen werden müssen. Doch seit eini- gen Jahren handhabt die Sozialhilfe die Freibeträge viel restriktiver. 2007 hat jeder Surprise-Verkäufer im Schnitt etwa 140 Hefte verkauft, heute nur noch um die Paola Gallo: «Die Opferrolle ist unattraktiv. Ich habe mich durchgekämpft.» FOTO: NILS FISCH 65, da er das Geld der Sozialhilfe wieder ab- geben muss. Diese Entwicklung ist fatal. betroffen. Wie erklären Sie sich diese haben. Leute, die im Niedriglohnbereich Sie untergräbt bei vielen Bedürftigen den Entwicklung? arbeiten und schlechte Startchancen ge- Anreiz, sich überhaupt noch fr einen Job Der soziale Abstieg kann heute sehr habt haben. Oder Menschen, die über zu engagieren. rasch passieren. Man muss nur krank wer- 50 Jahre alt sind und ihre Stelle verlieren. Sie sagen also, dass die Sozialhilfe- den, seinen Job und sein soziales Netz ver- Am meisten trift Armut alleinerziehende behörden überfordert sind? lieren. Gemäss Caritas Schweiz sind hierzu- Frauen. Wir haben in der Schweiz ein Sys- Die Sozialhilfe ist in einer Zeit entstan- lande rund eine Million Menschen von tem, das nicht wirklich durchlässig ist und den, als die Zahl der Armutsbetrofenen Armut betrofen. Von diesen sind 230,000 nicht allen dieselben Chancen bietet. noch sehr klein war. Sie war eine Art Brü- Sozialhilfebezüger. Etwa 350,000 Men- Seit dem 1. Januar 2008 gilt in der ckenangebot, das Leuten befristet über die schen leben unter dem Existenzminimum, Schweiz das neue Asyl- und Auslän- Runden half, bis sie wieder im Arbeitsleben und über 600,000 können sich gerade noch dergesetz, in dem das aus Basel stam- Fuss fassten. Das hat sich geändert. Die So- knapp durchschlagen. Beängstigend ist, mende Prinzip «Fordern und Fördern» zialhilfe ist heute fr viele die Endstation. dass sich die Situation immer mehr zuspitzt. auch auf nationaler Ebene gesetzlich Wie liesse sich dieses Problem lösen? verankert wurde. Funktioniert das Die Wirtschaft müsste gemeinsam mit «Die Sozialhilfe Modell im Alltag? dem Staat wieder niederschwellige Arbeits- Was man vor allem durchsetzen will, ist plätze fr Ungelernte etablieren. Langfris- ist heute für viele das «Fordern». Man vergisst hierzulande tig senkt das die Kosten und nützt allen. gerne, dass sich viele Ausländerinnen und Einen solchen zweiten Arbeitsmarkt die Endstation.» Ausländer seit bald 100 Jahren sehr wohl gibt es doch schon. und sogar erfolgreich selber integrierten – Ja, aber der vom Staat organisierte zwei- Wie beurteilen Sie die Situation der bevor überhaupt jemand das Wort «Integ- te Arbeitsmarkt erschöpft sich in Beschäf- Migrantinnen und Migranten in Basel? ration» in den Mund genommen hat. 1924 tigungsprogrammen. Das reicht nicht. Es Welche Migranten meinen Sie? Jene, die zum Beispiel ist in Genf der erste italieni- braucht wieder bezahlte niederschwellige bei Novartis und Roche arbeiten? Oder sche Verein, die Colonia Libera Italiana, Arbeitsplätze wie Tankstellen-Service oder jene, die die Strassen putzen? entstanden. Mittlerweile gibt es landesweit das Einpacken und Transportieren von Letztere. etwa 140 solche Vereinigungen. Einkäufen. Arbeitslose Menschen brau- In den letzten Jahren sind vor allem Warum ist denn diese Botschaft nie so chen eine Tagesstruktur, sie brauchen das hochqualifizierte Menschen in die Schweiz richtig ins öffentliche Bewusstsein Gefhl, benötigt zu werden. eingewandert. Rund 60 bis 70 Prozent da- gelangt? Und wer soll diesen zweiten Arbeits- von stammen aus EU- oder Efta-Staaten – Weil niemand über Integrationserfolge markt organisieren? die sogenannten Migranten zahlen übri- sprechen will. Wer erwähnt etwa die von Ita- Wir von «Surprise» tun das zum Beispiel gens mehr in die Sozialwerke ein, als sie be- lienern gegründete Stiftung ECAP, die seit – und zwar nach wirtschaftlichen Kriterien. ziehen. Dann haben wir noch Asylsuchen- 45 Jahren Erwachsenenbildung fr Zuge- Wir erhalten keine staatliche Unterstüt- de, aber die machen nur 0,6 Prozent der wanderte anbietet? ECAP wurde die ersten zung und sind zu 65 Prozent selbstfinan- Schweizer Bevölkerung aus. 15 Jahre von Italien bezahlt, um den in der ziert; der Rest kommt über Spenden und Das heisst also, dass die Sozialhilfe- Schweiz ansässigen Landsleuten die Integ- Sponsoring zusammen. Und mit neuen An- diskussion von falschen Annahmen ration zu ermöglichen. Heute ist es eine un- geboten wie den sozialen Stadtrundgängen ausgeht? abhängige Stiftung nach Landesrecht. erschliessen wir neue Geschäftsfelder. Tatsache ist: Armut kann viele trefen – Im Februar wurde die Masseneinw an- Immer mehr Menschen aus dem unabhängig von der Nationalität. Gefhr- de rungsinitiative angenommen, die unteren Mittelstand sind von Armut det sind Menschen, die risikoreiche Jobs Asylgesetzgebung wird stetig verschärft,

TagesWoche 40/14 21 im November stimmen wir über die ANZEIGE Ecopop-Vorlage ab, die die Zuwande- rung nochmals massiv begrenzen will. Was geht Ihnen als Tochter italieni- scher Einwanderer durch den Kopf? 15. Tour Es macht mir Angst. Und ich habe Mühe, diese Vorgänge zu verstehen. Fakt ist doch: de Hieber 60 55 30 5 Jede dritte Ehe in der Schweiz ist binational, Sonntag, 5.10.2014 25 5 50 10 in den Städten sogar jede zweite. Es haben 20 10 von 10 – 18 Uhr 15 einige Leute für die Masseneinwande- in Binzen 45 15 rungsinitiative gestimmt, die selber einen GARLUET 40 20 Migrationshintergrund, einen ausländi- Tour-Start 10 Uhr 1/5 swiss made schen Ehepartner oder zugewanderte 35 25

>@66').>&+/1'2#.+/3>/3=+3> 411/3-+3> >@66').>&+/1'2#.+/3>/3=+3> 30 Freunde haben. Ihr Votum richtet sich Auch wieder – nicht gegen bekannte Personen, sondern gegen ein Phantom. Zeitfahren in Kandern Sie sind SP-Mitglied. Warum schafft es Strecke: 9,2 Kilometer mit 450 Höhenmeter. Ihre Partei nicht, solchen ausländer- Mehr Infos und Anmeldung feindlichen Tendenzen mit guten unter www.hieber.de

Argumenten entgegenzutreten? unter www.hieber.de mehr Infos Weil es viel einfacher ist, zu polemisie- ren als diferenziert zu diskutieren. Es ist Am Freitag, 03. Oktober 2014 bleiben unsere eine Gehirnwäsche im Gang – auch wenn Märkte wegen des Feiertages geschlossen. dies viele Leute nicht wahrhaben wollen. Angebot gültig von Montag, 29.09. Ihre Eltern sind sizilianische Einwan- bis Samstag, 04.10.2014 Sie sind an weiteren Angeboten interessiert? Dann melden Sie sich für unseren Newsletter unter Newsletter Angeboten interessiert? Dann melden Sie sich für unseren Sie sind an weiteren gültig bei Barzahlung. 2150 nur 1, : Super-Wechselkurse an. www.hieber.de … geh lieber gleich zu Hieber unter Anderem in Anderem … geh lieber gleich zu Hieber unter derer, Sie wuchsen im Wallis auf und 6+3=').>#.+/3,+1*+3 leben heute in Basel: Fühlen Sie sich mehr als Italienerin oder mehr als Schweizerin? Ich bin beides. Aber früher fhlte ich mich manchmal dreifach benachteiligt: als Sizilianerin, als Frau, als Walliserin. Rinderflet Als Walliserin? Suppenfeisch aus Südamerika, (lacht) Die Walliser sind doch diejeni- mit Knochen, von € 5.55 zart und optimal € 29.99 gen, die immer betrunken sind. Und man der Querrippe, 1 kg CHF 6,74 gereift, 1 kg CHF 36,44 versteht ihre Sprache nicht! Sie machen nicht unbedingt den Center Eindruck, besonders unter Ihrem Schicksal zu leiden … Die Opferrolle ist unattraktiv. Ich habe Unsere mich durchgekämpft. Damals, in den Heimat – 1970er-Jahren, war ich ein «Tschingg», im echt & gut Feldsalat aus Deutschland, Kabeljauflets aus MSC Kindergarten und später in der Schule. 150-g-Schale € -.79 zertifzierter Fischerei, € 1.99 Und wie hat sich das geäussert? (100 g = € 0,53) CHF 0,96 ohne Haut, 100 g CHF 2,42 Bei ganz Banalem. Zum Beispiel in der Handarbeit, wenn wir als Hausaufgabe et- was stricken mussten. Natürlich haben die Mütter uns Mädchen jeweils geholfen. Frische Dummerweise aber stricken Italienerinnen Original anders als Schweizerinnen. Das hat meine Wagner Steinofen Pizza ver- Lehrerin natürlich sofort bemerkt und mei- Schwarzwaldmilch Schlag- schiedene Sorten, z. B. ne Strickarbeit aufgerissen. Für ein Kind sahne mind. 32% Fett, Salami-Paprika 340 g 200-g-Becher € -.69 (1 kg = € 4,88), tief- € 1.66 sind das unverständliche Hürden. (100 g = € 0,35) CHF 0,84 gefroren, Packung CHF 2,02 Sie sind dreifache Mutter, politisch aktiv, engagieren sich nebst Ihrer NEU eingetroffen Arbeit bei «Surprise» auch im Vorstand und nur für des internationalen Strassenmagazin- kurze Zeit: Verbands und beim Basler Italiener- Marktbier Festbier /3*+6 A-+1 verein Colonia Libera Italiana – wie Kühne Rotkohl, Apfelrotkohl fasche zzgl. Pfand kriegen Sie das alles unter einen Hut? Abtropfgewicht 650 g (1 kg = (lacht) So wie jeder andere Geschäfts- € 1,35) oder Rotkohl fx & fertig 700 g € -.88 € 2.45 mann auch! (1 kg = € 1,26), Glas CHF 1,07 CHF 2,98 In der Regel haben «Geschäftsmänner» heute nach wie vor Frauen im Rücken, die den Familienalltag managen"…                  Hieber‘s Heute kann man das Ganze mit Teilzeit- Persil arbeit regeln. Und mit aufwendiger Organi- Wasch- sation. Zudem hatten mein Partner und ich mittel Whiskas Katzennahrung verschiedene Sorten, z. B. Universal- verschiedene Sorten, das Glück, dass es staatliche T agesschulen Pulver 4,225 kg, z. B. Senior 12 x 100 g gab, die uns ein gemeinsames Berufs- und 65 Waschladungen (1 kg = € 3,29), € 12.75 € 3.95 ein Familienleben ermöglichten.  &E  CHF 15,49 Multi-Packung CHF 4,80 tageswoche.ch/+q2mun ×

TagesWoche 40/14 22 Dublin-Abkommen von Georg Kreis Es wird Zeit, dass sich die Schweiz etzte Woche war unsere Justizminis- terin Simonetta Sommaruga beim und Europa auf eine gemeinsame deutschen Bundesinnen minister Tomas de Maizière in Berlin. Dort Flüchtlingspolitik verständigen. Lerörterte sie die Probleme, die sich mit dem Flüchtlingsstrom übers Mittelmeer fr die europäischen Zielländer ergeben. Man war sich in Berlin gemäss ofziel- ler Meldung einig, dass die Migrationspoli- tik eine europäische Verbundaufgabe sei. Jeder fr sich Zugleich wurde bekräftigt, dass sich alle Staaten, die im sogenannten Dublin-Ab- kommen verbunden sind, an die Regeln halten müssten. Dies umfasst auch die voll- ständige Sicherstellung der automatischen und alle gegen Registrierung von Asylsuchenden an der Schengen-Aussengrenze. Und genau da liegt das Problem. Einer- seits wollen Menschen in wachsender Zahl übers Mittelmeer nach Europa, andererseits die Flüchtlinge wollen die Zielländer sich dieser Herausfor- derung so wenig wie möglich stellen. Das Dubliner Übereinkommen wurde im Juni 1990 von 12 EG-Mitgliedstaaten un- terzeichnet, inzwischen haben es neben den 28 EU-Mitgliedern auch die Nicht-EU- Staaten Norwegen, Island und die Schweiz

Italien bittet die EU um Hilfe: Syrische Flüchtlinge warten am Bahnhof Milano Centrale auf die Weiterfahrt. FOTO: KEYSTONE

TagesWoche 40/14 23 übernommen. An sich handelt es sich um Bereitstellung von Asylunterkünften betrie- Da erfahrungsgemäss über 90 Prozent ein Vereinheitlichungsprojekt wie viele ben werden. Eine bequeme Rechtfertigung der Flüchtlinge wieder zurück müssen, andere: Es strebt eine Standardisierung der fr unkooperatives Verhalten ist das Argu- liegt der Gedanke nahe, die rund 10 Prozent Aufnahmepolitik an, es will eine korrekte ment, man möchte vermeiden, dass «die akzeptabler Menschen bereits in den Abwicklung sicherstellen und insbesonde- Stimmung kippt»; ein Argument, das zu die- H erkunftszonen zum Beispiel in UNHCR- re mit dem EDV-gestützten Informations- sem Kippen geradezu einlädt. Lagern herauszufiltern und den anderen austausch (System Eurodac) vermeiden, In Europa kommt schnell die irrige mit dem Grenzschutz der «Festung Euro- dass in mehreren Ländern Asylanträge Meinung auf, «die ganze Welt» wolle hierher pa» die vergebliche Reise gleichsam zu eingereicht werden können. kommen. Dem hält Vincent Cochete, Europa- ersparen. Anders gesagt: punktuelle Hu- Das Abkommen hat eine grosse Schwä- Direktor des Hochkommissariats der Verein- manität in Kombination mit grossflächiger che: Es bürdet die Aufnahmelast weitge- ten Nationen fr Flüchtlinge (UNHCR) ent- Notwendigkeit zum Inhumanen. hend den Ländern der Erstankunft auf und gegen, dass von den rund 51 Millionen Men- enthält keine Regeln, wie die Flüchtlinge schen, die weltweit auf der Flucht sind, bloss Schlechtes Gewissen nach objektiven Kriterien und festen Kon- ein ganz kleiner Teil nach Europa will, der- Im Kleinen könnten die europäischen tingenten auf die Dublin-Gemeinschaft weil ein grosser Teil in den schwachen Nach- Botschaften in Krisengebieten solche verteilt werden sollen. barländern des Südens unterzukommen ver- «Lager» bilden, wie es sie in der Flüchtlings- Wir haben sie gesehen, die Bilder der sucht. Die Türkei, sozusagen zwischen Süden geschichte immer wieder gegeben hat (in unregistrierten Flüchtlinge, welche von der und Norden gelegen, zählt ohne die aktuellen Chile 1973 oder in Prag 1989). Die Schweiz Insel Lampedusa herkommend die Böden Belastungen aus dem S yrienkonflikt rund strich «als letztes Land» im April 2013 das der Eingangshalle des Mailänder Bahn- 1,5 Millionen Flüchtlinge. Botschaftsasyl. Zuvor waren in der Ära von hofs belegen. Justizminister Christoph Blocher Tausen- Wenn in Italien nicht alle Ankünfte Politiker wollen vor den de von Anträgen in Damaskus und Kairo r egistriert werden und so die Möglichkeit einfach schubladisiert worden. besteht, dass Flüchtlinge weiterreisen und Wählern nicht mit einer zu Gemäss einer viel beachteten Stellung- in anderen Ländern einen Asylantrag nahme von Oktober 2013 ist fr Sommaruga stellen können, wird dies – gerade in der gutmütigen Humanität auch die Wiedereinfhrung des Botschafts- Schweiz – als typische Nachlässigkeit des asyls eine «Überlegung» wert. Das könne «unseriösen» Südens gesehen. Das Gegen- «blöd» dastehen. die Schweiz aber nicht alleine, sondern nur stück zum Registrierungsversäumnis ist mit anderen Ländern zusammen tun. Am jedoch die weitgehende Gleichgültigkeit Diejenigen, die nach Europa kommen, anderen Ende des Spektrums liegt die «Lö- gegenüber der Last der Mittelmeerländer verteilen sich sehr ungleich. 80 Prozent der sung» derjenigen, die per Initiative nur Italien und Griechenland. geflüchteten Syrer verteilen sich auf fnf noch Flüchtlinge zulassen wollen, die In Italien sind seit Jahresbeginn rund EU-Staaten. Die meisten Flüchtlinge lan- direkt (also nicht über ein Nachbarland) in 130(000 Flüchtlinge angekommen. Darun- den in Deutschland (bis Jahresende rech- die Schweiz kommen, also eigentlich keine. ter sind viele, die durch die italienische net man mit einem Anstieg auf 200(000) Das bei manchen doch zu Recht beste- M arine vor dem sicheren Tod gerettet und innerhalb Deutschlands landet etwa hende schlechte Gewissen lässt sich ein we- w orden sind. Nachdem im vergangenen die Hälfte in den drei Bundesländern nig beruhigen, wenn wir uns anstrengen, Jahr vor Lampedusa 366 Männer, Frauen Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden- den kleinen Prozentsatz der Aufnahmen und Kinder beim Brand eines Flüchtlings- Württemberg. möglichst gross zu halten. Dass man «nie boots umgekommen waren, startete Italien Das Departement Sommaruga hat in alle» aufnehmen kann – ein Slogan, der aus eigenem Antrieb fr ein Jahr das Ret- den letzten Tagen angeboten, Italien bei sicher einen wahren Kern enthält – darf tungssystem «Mare nostrum». Zum Dank der Flüchtlingsregistrierung technisch zu uns nicht dazu verleiten, weniger zu tun, als wurde Rom mit dem Vorwurf eingedeckt, unterstützen. Die wichtigere Hilfe würde wir tun können. es vergrössere damit den Flüchtlingsstrom allerdings darin bestehen, punkto Aufnah- tageswoche.ch/+ pjdi7 × nur, denn damit würden sogenannte Anrei- mezahlen, aber auch Behandlung der Auf- ze geschaft. genommenen mit gutem Beispiel voranzu- ANZEIGE

gehen. Dies in Verbindung mit dem Ziel, 124 Harzige Kooperationen einer gesamteuropäischen Flüchtlings- Im Oktober läuft diese Aktion aus. Itali- politik näherzukommen. en erwartet, dass die EU diese Aufgabe Es gibt in der Flüchtlingspolitik keine übernimmt. Eigentlich müsste ganz Euro- idealen Lösungen. Es bleibt aber die Aufga- pa ein «Mare nostrum» sein. Mit «Frontex be, unter den unidealen die besseren anzu- Staatlich anerkanntes Hilfswerk plus» steht ab dem 1. November ein schwa- streben. Rein nationale Lösungen tragen die cher Ersatz in Aussicht. schlechte, aber verständliche Tendenz in › Gratisabholdienst Unterdessen hat es neben den tagtägli- sich, möglichst wenig von der Gesamtauf- und Warenannahme chen Katastrophen Mitte September vor gabe zu übernehmen, weil man sich insbe- für Wiederverkäufliches Malta erneut ein grösseres Unglück gegeben: sondere vor der eigenen Wählerschaft nicht Über 500 Migranten ertranken, weil Schlep- dem Vorwurf aussetzen will, mit einer zu › Räumungen und per ein Schif versenkten. Entsetzte Reaktio- gutmütigen Humanität «blöd» dazustehen. Entsorgungen nen, wie sie im Vorjahr in ganz Europa zu ver- Kollektive Haltungen eines Nationenver- zu fairen PPrreeisenisen nehmen waren, blieben diesmal aus. bundes (Dublin) enthalten dagegen die Man ist versucht, darin den typischen Chance, dass man seinen Anteil beiträgt, Staatenegoismus auch in der EU festzustel- weil es andere ebenfalls tun. Es braucht drin- Brockenstube Basel len. Es gibt in diesem Bereich keine verbind- gend eine gemeinsame Kontingentspolitik. Klybeckstr. 91, Tel. 061 683 23 60 www.hiob.ch, [email protected] liche Solidarität unter den Mitgliedstaaten Da geht es um nötige Soforthilfe. Die län- und auch nur eine sehr beschränkte Solida- gerfristigen Massnahmen zur Reduktion der Weitere HIOB Brockenstube rität gegenüber Menschen, die aus den ver- Flüchtlingsströme durch die Bekämpfung Münchenstein, Birseckstr. 62 schiedensten Gründen auf der Flucht sind. politischer und wirtschaftlicher Elendsver- Tel. 061 411 89 88 Die harzige Kooperation im grossen euro- hältnisse in den Herkunftsländern wie etwa päischen Raum erinnert an die Verweige- Eritrea müssen gewiss ebenfalls angestrebt Helfen wo Not ist rungshaltungen, wie sie im Kleinen von ein- werden, sie sind oder wären aber kein Recht- Mit Ihrem Einkauf helfen auch Sie! zelnen schweizerischen Gemeinden bei der fertigungsgrund, keine Soforthilfe zu leisten.

TagesWoche 40/14 24 Ladensterben Inhaberin Sabine Zemp und Geschäfts- Nebst Grillgut hatte der Quartierladen fhrerin Irene Longoni bedauern, dass sie Gewürzmischungen, Spezialitäten aus ihren Laden nicht länger halten konnten. dem Kanton Uri sowie portugiesische und Witwe Bolte «Viele Leute fanden die Idee toll – und doch brasilianische Lebensmittel im Sortiment. wurden wir zu wenig unterstützt», sagt Mit dem Raben «Hans Huckebein», einer Longoni. Dabei seien es erstaunlich viele weiteren Figur des Zeichners Wilhelm zieht um Kunden von ausserhalb gewesen, die dem Busch, hatte der Laden ein eigenes Bio- Laden die Stange gehalten hätten: «Per Label, das Produkte aus regionalen Bau- von Michel Schultheiss Facebook wurden sogar Leute aus dem Aar- ernhöfen garantierte. Auf Anfrage sind gau, Solothurn, Bern oder Zürich auf den diese Produkte beim Party-Service noch as hat das erste Opfer der Laus- lustigen Namen aufmerksam.» immer zu haben. bubenstreiche von «Max und Mo- W ritz» mit dem Quartierladen an «Ideen, die dem Quartier Zurück zur Ursprungsidee der Vogesenstrasse 123 gemeinsam? Genau, Es sei die Idee gewesen, «etwas zu bie- sie teilen sich den Namen, sind bekannt fr eigentlich guttun, werden ten, das die Grossverteiler nicht haben». ihre Kost und haben mit Problemen zu Man habe «nicht einfach nur mit dem Alko- kämpfen. Der Witwe Bolte in Wilhelm leider zu wenig gefördert», hol das Geschäft machen» wollen, erklärt Buschs Bildergeschichte machten aller- Geschäftsfhrerin Longoni. dings nur zwei dreiste Flegel das Leben klagt die Inhaberin. Nach dem Aus fr den Laden muss sie schwer. Beim gleichnamigen Spezialitäten- wieder einmal flexibel sein. Das ist Longo- geschäft im St. Johann übernimmt dies Aus den Reihen der Anwohner gehörten ni allerdings gewohnt: Mit einer Haus- dagegen das Ladensterben. vor allem auch finanziell schlechter gestell- warts- und Charcuterieausbildung s owie Wo bis im Sommer noch «Witwe Bolte’s» te Menschen zur treuen Stammkundschaft. Erfahrungen in Malerarbeiten und Pro- stand, herrscht nun gähnende Leere. Dabei «Witwe Bolte’s» entwickelte sich so zu einer duktemanagement hat sie bereits einiges war es so etwas wie ein Unikum: Vor seinem Art Trefpunkt – Randständige und Leute gemacht. Dazu gehörte auch ein Grillstand, Eingang wurde stets auch gegrillt und aus der UPK kamen oft vorbei. «Vielleicht den Longoni fr private Feierlichkeiten oft geplaudert. hat das andere Leute abgeschreckt», glaubt betrieben hatte. Zemp. Zudem hätten auch sie die Euro- An solch einer Feier sei denn auch die Treffpunkt im Quartier krise zu spüren bekommen. Und es fehlten ursprüngliche Idee fr «Witwe Bolte’s» ent- Nach vier Jahren Betrieb ist das St. Jo- die Mittel, um den Laden auf Vordermann standen. Die Gäste am Grillstand hätten sie hann wieder um einen Tante-Emma-Laden zu bringen. immer wieder ermuntert, einen Party-Ser- ärmer. «Witwe Bolte’s» wird neuen Büro- «Ideen, die dem Quartier eigentlich gut- vice daraus zu machen. Zu diesem Ur- flächen weichen. Der Party-Service besteht tun, werden leider zu wenig gefrdert», sprungskonzept kehrt Longoni also wieder aber weiterhin. Die kalten Platten, indisch- klagt die Inhaberin. Die viel diskutierte zurück. Und das mitsamt dem bewährten Na- pakistanischen Gerichte und brasiliani- Stadtentwicklung im St. Johann habe dem men aus Wilhelm Buschs «Max und Moritz». schen Churrasco-Spiesse bereitet «Witwe Tante-Emma-Laden nicht viel gebracht. tageswoche.ch/+w5fgk × Bolte’s» in der Küche des Restaurants Die potenzielle Kundschaft vom Novartis «Biryani Haus» an der Amerbachstrasse 14 Campus etwa sei ausgeblieben, da es dort Eindrücke von «Witwe Bolte’s Party- zu. schon Verpflegungsangebote gebe. service» gibt es auf Facebook.

Gesehen von Tom Künzli

Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 40-Jährige wohnt in Bern.

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Das Hotelschiff wurde evakuiert. FOTO: TAWO-LESER TIZIAN90

Feuer In Basel brannte ein Hotelschif

von Marc Krebs

Grosse Dimension, grosser Eindruck: Werke von Toon Verhoef. FOTO: SERGE HASENBÖHLER ie liegen nicht nur während der gros- sen Messen in Basel vor Anker: die Kunsthaus Baselland tigende Aufnahme, wie die Kamera vom S Hotelschife. Am Samstag kam es auf Panorama zur Hand wechselt und sich alles, einer schwimmenden Herberge zu einem worum es im Film geht, in einem Moment Brand. Um 4 Uhr morgens stellte die Besat- Malerei in verdichtet.» Diese kurze Sequenz wollte der zung starken Rauch auf dem Schif fest. Künstler in abstrakte Malerei bannen. In der Folge verständigte sie telefonisch Entstanden ist ein Bild, das auf den die Notfallinstitutionen, worauf das Schif Übergrösse ersten Blick wenig mit der erwähnten S zene evakuiert wurde. 67 Passagiere und eine gemeinsam hat: grosse gelbe Flächen, 25-köpfige Crew hatten sich darauf befun- von Naomi Gregoris durchzogen von weissen Striemen und Fle- den. Eine Person war verletzt und musste cken in hellem Türkis. Dazu kommt eine mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in oon Verhoef lächelt. «Manchmal ist eigenartige Oberfläche: Verhoef arbeitet die Notfallstation eingewiesen werden. es schön, ein Geheimnis zu erzäh- mit Transfers, er macht Abzüge mit farblo- Durch die Berufsfeuerwehr der Rettung T len.» Der holländische Künstler steht sem Acrylbinder und malt darauf, um die Basel-Stadt konnte der Brand, der in der im Kunsthaus Baselland und fhrt durch die dünnen Schichten dann verkehrt herum auf Lingerie im untersten Stock des Schifes Ausstellung. Gerade mal fnf Stück sind es, die Leinwand zu kleben. Das verleiht den ausgebrochen war, gelöscht werden. aber wem der H olländer ein Begrif ist, der Bildern eine Dreidimensionalität, die den Die Brandursache ist noch unbekannt weiss: Fünf Verhoef-Gemälde in einen Aus- Betrachter regelrecht ins Bild hineinzieht. und Gegenstand der Ermittlungen der Kri- stellungsraum zu kriegen, ist nicht leicht. Das fasziniert auch Kuratorin Ines minalpolizei und der Kriminaltechnischen Das liegt zum einen an den Dimensio- Goldbach: «Das Gefhl bei Verhoefs Bil- Abteilung. nen der Werke: Sie sind knapp drei auf dern ist, wie wenn jemand eine geheime tageswoche.ch/+e6cph × sechs M eter gross und konnten nur mit viel Tür aufmacht und man plötzlich von dem, Fingerspitzengefhl durch das Eingangs- was sich dahinter versteckt, angesprungen Um sachdienliche Hinweise wird vonsei- tor des Ausstellungshauses gebracht wer- wird», sagt sie. Man fhle sich angezogen, ten der Polizei Basel-Stadt gebeten: den. Mindestens ebenso vereinnahmend man trete näher – und plötzlich fliegt ei- Tel. 061 267 71 11. wie die Grösse ist die Präsenz, die von den nem alles entgegen. gewaltigen Bildern ausgeht. Dank der unüblichen Raumeinteilung im Ausstellungsraum sind die Werke gross- Alfred Hitchcock als Inspiration zügig gehängt und stehen einander nicht im Aber zurück zum Geheimnis: Verhoef Weg. So kann sich der Betrachter auf jedes steht vor einem grossen gelben Bild und Geheimnis einzeln einlassen. hat sich entschieden, es uns anzuvertrauen. tageswoche.ch/+4asfy × «In Vertigo von Alfred Hitchcock gibt es diese Szene, wo Kim Novak die Altersringe «Toon Verhoef», Kunsthaus Baselland, eines Baumes berührt. Es ist eine überwäl- 19. September bis 16. November.

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Verkehr Regierung lässt die Pläne frs Gundeli fallen von Simon Jäggi

er Widerstand der Gundeli-Be- wohner hat gewirkt. Über Monate D hatten sie sich hartnäckig gegen das geplante Verkehrskonzept gewehrt. Sie sammelten Unterschriften, gründeten eine Vereinigung und machten an Podien laut- stark ihrem Ärger Luft. Vor allem die ge- Ein Trio für einen schönen Flecken Land: Pascal Moor, Gabriel Pellicano und Thomas Gander. plante Linienführung des 36er-Busses durch die Güterstrasse sorgte fr grosse Gastronomie Der Dritte im Bunde kümmert sich um Befrchtungen. das «Sozialraummanagement». Im Klartext: Der Regierungsrat nahm den Wider- Tomas Gander wird als Ansprechperson stand zur Kenntnis und hat nun die Das Birsköpfli bereitstehen. «Ich bin aber nicht der Sozial- Konsequenzen gezogen: Am Dienstag arbeiter vom Birsköpfli», sagt der SP- legte er das Konzept zu den Akten. Die «Sis- Grossrat und ehemalige Fanarbeiter des tierung» des Projekts begründet er mit erhält ein neues FC Basel. Er wird dennoch bei allflligen «unüberwindbaren Diferenzen innerhalb Konflikten als Ansprechperson dienen. des Gundeldingerquartiers». Restaurant Daneben pflegt er Kontakte zur Jugend- Plangemäss hätte sich als Nächstes der arbeit und zur Polizei (Stichwort Commu- Grosse Rat mit dem Konzept befassen sol- von Brendan Bühler nity Policing). Gander betont aber, dass das len. Dass der Regierungsrat das Projekt Birsköpfli kein Problemraum ist, sondern stoppt, kommt für alle Betroffenen m Sommer hat der bisherige Pächter ein «toller Flecken Land». unerwartet, auch fr Projektleiter Florian des Pavillons am Bisköpfli aufgehört. Mathys: «Ich hätte mir eine Diskussion im I Nun übernimmt ein Trio die Lokalität: Den Umbau macht der Kanton Grossen Rat gewünscht. Der Entscheid hat Gabriel Pellicano, Pascal Moor und Tomas Geplant sind auch bauliche Massnah- mich überrascht.» Gander. men: Der Pavillon soll ofener werden, das Es ändern sich aber nicht nur die Besit- Planschbecken dahinter saniert. Gebaut Keine schlüssige Erklärung zerverhältnisse. Die Christoph Merian werden auch neue Toiletten. Die Allmend- Im Gundeli ist das Bedauern kleiner. Be- Stiftung (CMS) hat eine Nutzungsstudie in verwaltung zieht mobile Pissoirs in Erwä- atrice Isler, Präsidentin des Neutralen Auftrag gegeben, die Handlungsbedarf in gung, sagt deren Leiter Niklaus Hofmann. Quartiervereins, unterstützte den Kanton fnf Punkten erkennt: «Qualitäten wahren Diese Massnahme schlägt auch die CMS- zu Beginn noch. «Ich wollte dem Konzept und in Teilen optimieren», «Raum lassen», Studie vor. eine Chance geben.» Heute ist sie froh über «Öfentliches WC bereitstellen», «Chance Die Kosten des Basis-Umbaus des Pavil- den Entscheid der Regierung. «Ich finde Pavillon ausgestalten» und «Littering ge- lons trägt der Kanton. Dazu gehört unter das mutig. Es zeigt, dass sie die Bedenken zielt angehen». anderem das Verschieben der Wände in- im Quartier ernst nimmt.» Die Stadt macht sich nun gemeinsam mit nerhalb des Pavillons. Isler meint, das Konzept sei schlussend- den neuen Betreibern daran, die Empfeh- Ein Problem ist die Stadt bereits in die- lich an der Kommunikation gescheitert. lungen der Studie umzusetzen – und dabei sem Sommer angegangen: das Littering. «Der Kanton hatte uns grundlegende Ver- kümmert sich jeder um einen Teilbereich. Vermehrt wurden grosse Container aufge- besserungen versprochen. Auf eine schlüs- stellt. Weitere Massnahmen sollen folgen, sige Erklärung, weshalb dieses Konzept Drei Leute, drei Bereiche sagt Hofmann. Unter anderem sollen die das richtige sei, warteten wir aber bis zum Für die Verpflegung im neuen Pavillon Reinigungsintervalle am Ufer «optimiert» Schluss.» ist Gabriel Pellicano zuständig: «Es geht ein werden. Beim Kanton plant man kein Folge- Traum in Erfllung», sagt der Betreiber Arbeit bleibt fr die neuen Pächter aber konzept, wie Mathys sagt. «Wenn man nicht eines italienischen Spezialitätenladens. Er auch so genug: Sie müssen in den kommen- über Anpassungen in der Verkehrsfhrung plant eine mediterrane Küche, mittags wer- den fnf Jahren beweisen, dass die Stadt bei nachdenken kann, ist der Spielraum zu den Snacks und Imbisse angeboten, mögli- der Ausschreibung die Bewerber mit dem gering.» Ofenbar sei die Unzufriedenheit cherweise auch zwei verschiedene Menüs. richtigen Konzept ausgesucht hat. × über die aktuelle Verkehrssituation im Pascal Moor ist im Trio fr das kulturel- Gundeli kleiner als gedacht. le Angebot zuständig. Geplant sind Anlässe Mehr Bilder, detaillierte Ergebnisse der tageswoche.ch/+6ihzu × in Kooperation mit Quartierinstitutionen Studie der CMS sowie die Studie selbst und der Stadt Basel. sind online: tageswoche.ch/+1hbj1

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Auch auf der Gay-Pride findet sich der Heiland, und zwar auf dem T-Shirt eines Demonstranten – bei ihm sieht Jesus aller- dings deutlich besser gelaunt aus. Teilge- nommen haben auch der serbische Kultus- minister Ivan Tasovac und der Belgrader Bürgermeister Sinisa Mali. Auch Tanja Miscevic, die Verhandlungsfhrerin bei den Beitrittsgesprächen mit der EU, war vor Ort und sagte: «Diese Veranstaltung zeigt, dass Serbien bereit ist, fr dieselben Werte einzutreten wie die Staaten der EU.»

Schwule interessiert die Demo nicht Für die serbischen Regierungspolitiker stellt die Gay-Pride eine Herausforderung dar. Am 21. Januar 2014 begannen die ofzi- ellen Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU. Einerseits gilt es der Auch Lesben besuchten die Parade, in der Mehrheit waren NGO-Mitarbeiter und Politiker. FOTO: REUTERS Europäischen Union zu zeigen, dass man grundlegende Menschenrechte achte, an- Gay-Pride in Belgrad Die Gay-Pride wurde in Serbien haupt- dererseits will man die eigene schwulen- sächlich als Sicherheitsthema diskutiert. feindliche Wählerschaft nicht vergraulen. Dabei lief das Spektakel nach 2010 immer Der serbische Premierminister Alek- Polizeiparade nach demselben Drehbuch ab: Die Regie- sandar Vucic erklärte vor der Presse: «Es rung betonte, die Veranstaltung schützen ist meine Aufgabe fr die Sicherheit der zu wollen, und sagte sie daraufin immer Bürger zu sorgen. Dennoch ist es meine fr die Freiheit kurz zuvor aus «Sicherheitsgründen» ab. Entscheidung, nicht an der Parade teilzu- Auch in diesem Jahr war bis zum Morgen nehmen, und es fllt mir nicht ein, dort der Minderheit der Demonstration nicht klar, ob sie statt- hinzugehen.» finden könne. Nach dem Umzug legte Vucic noch einen von Krsto LazareviĆ Noch am Abend vor der Gay-Pride drauf: «Wir haben das nicht getan, weil uns kam es zu homophoben Protesten, deren die EU dazu gezwungen hat, und auch nicht, egenbogen, fröhliche Teilnehmer Teilnehmer forderten, die Veranstaltung weil wir die homosexuelle Bevölkerung und eine ausgelassene Stimmung. abzusagen. Organisiert wurden diese von mehr respektieren als die Kirche. Wir haben R So stellen sich die meisten Men- der rechtsextremen und religiös-funda- es getan, weil unsere Verfassung, unser Ge- schen eine Gay-Pride-Parade vor. Bis es in mentalistischen Partei Dveri. Die Teilneh- setz und unser Respekt vor den Menschen- der serbischen Hauptstadt so weit ist, mer der Demonstration beteten zu Heili- rechten es fordern. Dies gilt, auch wenn die könnten noch einige Jahre vergehen. genbildern, auf einem grossen Plakat sah Veranstaltung nicht im Einklang mit unse- Vor dem Beginn der diesjährigen Belgra- man einen finster dreinblickenden Jesus ren persönlichen Überzeugungen steht.» der Gay-Pride durfte niemand die Haupt- Christus. Bei den Demo-Teilnehmern handelt es strassen der Innenstadt betreten. Das Zent- sich überwiegend um Aktivisten, NGO- rum Belgrads war menschenleer; die Teil- Die Regierung will zeigen, Mitarbeiter, Politiker und andere Personen nehmer der Parade in einer Polizeiblase ein- aus dem öfentlichen Leben. Es ist ein ofe- gekesselt. Etwa 6000 Polizisten in Schutzan- dass sie Menschenrechte nes Geheimnis, dass es ohne den Druck der zügen begleiten die Demonstranten, von Europäischen Union keinen Christopher denen weit weniger als tausend gekommen achtet, ohne damit die Street Day in Belgrad geben würde. Wer waren. Goran Miletic, einer der Hauptorga- ehrlich ist, weiss auch, dass die meisten nisatoren, kommentierte das massive Poli- schwulenfeindlichen Schwulen und Lesben in Serbien nicht viel zeiaufgebot ironisch mit den Worten: «Das auf die Demonstration geben. Die Belgra- ist die serbische Version des Rechts auf Ver- Wähler zu vergraulen. der Gay-Pride ist keine Gay-Pride – sie ist sammlungs- und Meinungsfreiheit.» ein Indikator dafr, ob die serbische Regie- Die Geschichte der Belgrader Gay-Pride Als Serbien im Mai diesen Jahres von rung bereit ist, grundlegende Menschen- ist eine von Misserfolgen, Nationalismus, der schlimmsten Flutkatastrophe seit Be- rechte zu schützen oder nicht. Gewalt und bröckelndem Engagement aus ginn der Wetteraufzeichnungen heimge- Ein paar Dutzend Personen, die gegen der Community selbst. Bereits 2010, als die sucht wurde, war die Schuldige schnell ge- die Parade demonstrieren wollten, wurden letzte Belgrader Gay-Pride stattfand, haben funden. Der serbisch-orthodoxe Metropo- von der Polizei aufgehalten. Verglichen mit die Demonstranten innerhalb des Polizei- lit Amfilohije Radovic beschuldigte Con- den Ausschreitungen von 2010 haben es die gürtels nichts von den Reaktionen der Aus- chita Wurst und sagte: «Gott schickte den Gegner dieses Jahr nicht geschaft, eine senwelt mitbekommen. Trauriger Höhe- Regen, um uns daran zu erinnern, dass wir grosse Anzahl von gewalttätigen Gegende- punkt waren massive Ausschreitungen, an nicht die wilde Seite wählen dürfen.» Iriney, monstranten auf die Strasse zu bekommen. denen sich damals bis zu 6000 Gegende- der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kir- Das ist der grösste Fortschritt der vergange- monstranten beteiligt hatten, hauptsäch- che, brachte Homosexualität mit Pädophi- nen vier Jahre. lich Neonazis und Hooligans. lie in Verbindung. tageswoche.ch/+bptx8 ×

TagesWoche 40/14 28 Bildstoff 360° tageswoche.ch/360

Simferopol Vom Erdboden verschluckt: keine Beleuchtung auf der Autobahn und keine Chance zum Ausweichen. Beim Sturz des vollbe- setzten Autos in das acht mal acht Meter grosse Erdloch kamen sechs Perso- nen ums Leben. Zwei Kinder konn- ten gerettet werden. PAVEL REBROV/REUTERS

Jinhua Dass sich Men- schen zum Feiern etwas durch die Nase ziehen – okay, nicht unser Bier. Dieser Mann, der den 65. Geburtstag der Volksrepublik China zelebriert, übertreibt es mit seiner «Line» aber schon ein bisschen. STRINGER/REUTERS

Amriswil Auch noch nie eine Landung gemacht: Nach unfreiwilli- gem 20-Meter- Sprung krachte ein 78-Jähriger in eine Hauswand. Er zog sich dabei «nur» Prellungen und Schnittwunden zu. KANTONSPOLIZEI THURGAU

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Sanaa Grosser Scherben- haufen im Armen- haus Arabiens: Die schiitischen Huthi-Rebellen halten nach bluti- gen Kämpfen die Hauptstadt Jemens besetzt. Dem Land droht der Bürgerkrieg. MOHAMED AL-SAYAGHI/ REUTERS

Charkow «Lasst ihn doch stürzen»: Lenins Statue, eine der monumentalsten im postsowjeti- schen Raum, hät- ten die Behörden der ostukraini- schen Millionen- stadt eh entfernt. Ein paar Dutzend antirussiche Akti- visten aber waren schneller. Innen- minister Arsen Awakow hatte explizit nichts dagegen, solange «diese verdammte Kommunisten- Ikone» keine Ver- letzten fordere. STRINGER/REUTERS

TagesWoche 40/14 30 Kolumbien von Oliver Schmieg In Buenaventura herrschen Drogen- ibiana Peñaranda wählt die Strassen mit Bedacht, die sie kartelle. Frauen leiden unter ihrer in Buenaventura benutzt. Menschenansammlungen ver- Gewalt. Eine Gruppe hält nun dagegen. Bmeidet sie, vor Bars und Diskotheken wech- selt sie den Gehweg. Seit die Menschen- rechtsaktivistin vor vier Jahren als Mitgründerin die Frauenrechtsgruppe «Red Mariposas de Alas Nuevas Con- struyendo Futuro» («Netzwerk der Schmet- Schmetterlinge terlinge, die mit neuen Flügeln eine Zukunft aufbauen») ins Leben gerufen hat, scheut sie laute und unübersichtliche Häuserzeilen. Ihre Organisation betreut über 1000 im Drogenkrieg Frauen und junge Mädchen, die Opfer von Vertreibung und sexueller Gewalt gewor- den sind – oftmals veschuldet von den Mitgliedern bewafneter Gruppen, die dem organisierten Verbrechen angehören. Seit Jahren herrscht in Kolumbiens grösster Hafenstadt ein blutiger Konkur- renzkampf zwischen verschiedenen

Das Labyrinth im Armenviertel Bajamar bietet ideale Bedingungen für den Umschlag von Drogen auf Motorboote.

TagesWoche 40/14 31 Drogenkartellen. Sie streiten um die Kont- rolle über lukrative Schmuggelrouten nach Zentralamerika und in die USA. Davon ab- gesehen ist Kolumbien nach Syrien wegen eines seit fnf Jahrzehnten herrschenden Bürgerkrieges mit 5,7 Millionen Vertriebe- nen die Region mit den meisten Binnen- flüchtlingen weltweit.

Der Kampf ums Vertrauen «Bewafnete Bandenmitglieder glauben, die Frauen unserer Stadt wären ihr Privat- eigentum», sagt Bibiana Peñaranda. «Wir kümmern uns zum Beispiel um 11-jährige Mädchen, die vergewaltigt und danach in die Prostitution gezwungen wurden.» Dem Netzwerk gehören 125 Frauen an. Sie helfen Gewaltopfern dabei, medizini- sche oder psychologische Hilfe zu beantra- gen. Oder sie begleiten sie, um deren Peini- ger bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. «Insbesondere in den armen Stadtvierteln leben Opfer und Täter in der Regel Tür an Tür – die meisten Frauen sehen deshalb aus Angst von rechtlichen Schritten ab», weiss die Frauenrechtlerin. Bei ihrer täglichen Arbeit stützen sich die Frauen der NGO deshalb auf ein soziales Konzept, das in der überwiegend afro-ko- lumbianischen Bevölkerung Buenaventuras Bibiana Peñaranda kämpft mit ihrer NGO für das Wohl der Frauen in Buenaventura. FOTOS: OLIVER SCHMIEG als «Comadreo» bekannt ist: ein Zusammen- wirken von Nachbarschaftssolidarität, ge- genseitigem Respekt, Loyalität und Vertrau- Dem Gerichtsmedizinischen Institut Beistand zu leisten, setzen sie sich selbst en. «Wir bekämpfen die Bandenkriminalität, zufolge sind in Buenaventura während der schutzlos denen aus, die Frauen von hier die uns umgibt, nicht mit Gewalt, sondern letzten zehn Jahre 195 Frauen gewaltsam sexuell missbraucht oder vertrieben haben. wir helfen den Opfern, das Vertrauen in sich ums Leben gekommen. Da zahlreiche Fa- «Wir müssen bei unserer Arbeit sozusagen selbst und in die Gesellschaft zurückzuge- milien aus Angst schweigen, dürften es lautlos vorgehen, andernfalls würden wir winnen», erklärt Peñaranda. aber weit mehr sein, glaubt Carlos Valdés, selbst sehr schnell ins Kreuzfeuer kriminel- Leiter der kolumbianischen Ermittlungs- ler Banden geraten», erklärt Peñaranda ihr Vertrieben und vergewaltigt behörde. Vorgehen. Luz Dary Santiesteban ist eine Frau, die Vor wenigen Monaten hat er gegenüber sowohl Opfer sexueller Gewalt als auch der dem Radiosender RCN den Wunsch geäus- Preisverleihung in Genf Wirren des Bürgerkrieges wurde. Ihr Hei- sert, eine spezielle Investigationseinheit in Die Arbeit der Frauenrechtlerinnen, die matdorf Juradó musste sie 1994 verlassen, die 370'000 Einwohner zählende Stadt zu sich selbst liebevoll «Las Mariposas» – also nachdem sie zusammen mit ihrer Familie entsenden, die sich ausschliesslich Gewalt- «die Schmetterlinge» nennen, wird in Bu- ins Kreuzfeuer rechter Paramilitärs und fllen gegen Frauen widmen soll. enaventura von Maritza Asprilla organi- der linksgerichteten Farc-Guerilla geraten siert. Sie selbst hatte als junges Mädchen war. Einer ihrer Brüder hatte dabei sein Le- «Wir müssen lautlos unter einem gewalttätigen Stiefvater zu lei- ben verloren. den. Ihr Engagement fr die NGO habe ihr In Buenaventura versuchte die heute vorgehen, sonst geraten dabei geholfen, ihr in der Kindheit verlore- 53-Jährige daraufin einen Neuanfang. Als nes Vertrauen in sich selbst zurückzuge- die Bandenmitglieder eines Drogenkartells wir selbst ins Kreuzfeuer», winnen. «Anstatt die Schule zu besuchen, vor zehn Jahren ihre Töchter vergewaltigen musste ich bereits mit sieben Jahren arbei- und einen ihrer Söhne rekrutieren wollten, erzählt Peñaranda. ten. Ich werde sicher nicht erlauben, dass widersetzte sie sich – mit brutalen Folgen: meine Kinder einmal das gleiche Schicksal Sie wurde in Gegenwart ihrer Kinder stun- Besonders betrofen von der Gewalt ge- erleiden», sagt sie heute. denlang sexuell missbraucht. Lange Jahre gen Frauen ist das Armenviertel Bajamar, Am 29. September ist Maritza Asprilla litt sie unter dem Verbrechen, bis sie sich das sich über Jahrzehnte hinweg um Bu- trotz ihres zurückgewonnenen Selbstbe- der NGO anschloss, die ihr vor allem auch enaventuras Hafen herum gebildet hatte. wusstseins nervös gewesen. In Genf durfte psychologische Unterstützung bot, erzählt Die Bewohner haben Tausende Pfahlbau- sie stellvertretend fr alle «Mariposas» den sie auch im Video-Interview. ten weit ins Meer hinein gebaut, wo sie vom UN-Hochkommissariat fr Flüchtlin- Die Täter wurden bis heute nicht belangt. meist ohne Strom und fliessendes Wasser ge (UNHCR) mit 100'000 US-Dollar dotier- Doch die Tat hat Santiesteban verarbeitet, leben müssen. In diesem unübersichtli- ten Nansen-Flüchtlingspreis 2014 entge- dank der Hilfe der NGO und deren Mitarbei- chen Labyrinth schmaler Holzstege finden gennehmen. Zusammen mit Gloria Ampa- terinnen. «Jemanden zu haben, mit dem Drogenkartelle ideale Bedingungen, um ro und Mery Medina wurde sie von ihren man sprechen kann und der einen versteht, Kokain, Marihuana und Heroin auf kleine NGO-Kolleginnen für die Reise in die weil er das Gleiche durchgemacht hat – das ist Motorboote zu verladen. Schweiz ausgewählt. Für die bescheidene der erste Schritt im Heilungsprozess», sagt Die Mitarbeiterinnen der NGO «Red Kolumbianerin war es das erste Mal, dass sie. Die Erinnerung an den verhängnisvollen Mariposas de Alas Nuevas Construyendo sie ihr Heimatland verlassen hat. × Tag schmerzt zwar noch immer. Trotzdem Futuro» wagen sich täglich dort hin, ob- habe sie ihren Peinigern verziehen: «Wo Bö- wohl Bajamar zu den gewalttätigsten Stadt- Mehr Bilder und Video-Interviews ses geschieht, muss man Liebe aussäen.» vierteln Lateinamerikas zählt. Um ihren online unter: tageswoche.ch/+ijvb4

TagesWoche 40/14 32 Boxen Als erster Schwergewichtsboxer mit Schweizer Lizenz könnte Arnold Gjergjaj diesen Samstag einen europäischen Titel holen. Sein Nachname hat ihm auf seinem Weg nicht geholfen. Der Schweiss und die Tränen der Kobra

von Florian Raz, Fotos: Aurel Fischer

amstagmorgen kurz vor elf, Keller Inzwischen sind die ersten Trainings- Gjergaj arbeitet mit dem Hilfswerk «Ter- des Boxclubs Basel. Angelo Galli- gegner doch noch im Boxkeller eingetrof- re des Hommes Schweiz» zusammen. Und na ist nicht zufrieden. Im Ring fen. Gallina mahnt zur Eile, stellt die Musik- er schämt sich nicht zuzugeben, dass er läuft sich einer warm, den er sein anlage an, deckt die gefhrlichen Kanten weint, wenn ein Stammkunde nicht mehr S«Baby» nennt: Arnold Gjergjaj, 197 Zenti- der Heizkörper ab. Die Einrichtung des im Geschäft seines Bruders erscheint, weil meter gross, Kampfname «The Cobra», Boxclubs atmet den Hauch der Geschichte. er gestorben ist. Schwergewichtsboxer aus Pratteln. Mit der Ein Ring in Originalgrösse hätte gar keinen Ein Werber müsste nicht einmal eine Sanftmut eines Lamms ausserhalb des Platz hier unten. Gjergjaj beginnt mit Schat- gute Story erfinden, um mit Gjergjaj sein Rings – und der Wucht von 550 Kilogramm tenboxen. Produkt zu verkaufen: Die positive Ge- in der rechten Faust, die er einsetzt, wenn Für Gallina ist der Kampf um finanzielle schichte liefert der 29-Jährige gleich mit. der Gong geschlagen hat. Unterstützung der härteste, den er mit sei- Sie handelt von einer Familie, die zusam- Sechs Jahre lang haben Gallina und nem Schützling zu bestreiten hat. Und er menhält. Von jemandem, der vieles opfert, Gjergjaj daran gearbeitet, dass sie einen Ti- glaubt auch zu wissen, warum er auf seiner um seinem grossen Traum zu folgen. Und telkampf bestreiten können. Und jetzt, da Suche nach Sponsoren reichlich erfolglos von einer erfolgreichen Integration. es am 4. Oktober um einen kontinentalen Klinken putzt: «Die Kombination von Bo- Aufgewachsen ist Gjergjaj als jüngstes Gürtel geht, verspäten sich die Sparring- xen und einem albanischen Nachnamen von sieben Geschwistern in Gjakova. Ein Partner? Nein, Gallina ist ganz und gar sorgt an vielen Orten fr geschlossene Tü- kleines Dorf im , wo jeder stehen nicht zufrieden. ren.» Kampfsportler und Albaner? So bleibt, um ein paar Minuten zu plaudern, Aber was soll er machen? Eigentlich schnell kannst du gar nicht gucken, wie du wenn er den anderen trift. Für den jungen müsste der Manager und Trainer seinem da in der Schublade «Schläger und Raser» Arnold eine ländliche Idylle, die jäh endet, Schützling ein Trainingscamp mit vier pro- verschwunden bist. als der Krieg hereinbricht. «Mir kommt es fessionellen Trainingspartnern hinstellen. vor, als habe ich zwei Leben gelebt», sagt Bloss fehlt dazu das Geld. Also ist Gallina Der schlagkräftigste Gjergjaj, «eines vor und eines nach dem um jeden valablen Boxer froh, der sich vor Krieg.» Noch heute zuckt der schlagkräftigs- Gjergjajs Fäuste stellt. Das ist nicht unbe- Mann des Landes zuckt te Mann des Landes zusammen, wenn in sei- dingt ein Vergnügen; 2008 ging einer der ner Nähe plötzlich etwas knallt. damals besten Schweizer Schwergewichts- zusammen, wenn es in Erst als der Krieg beendet ist, wird Gjer- boxer im Sparring gegen Gjergjaj k.o. gjaj von seinem Vater in die Schweiz geholt. Das war ganz am Anfang der Zusam- seiner Nähe knallt. Nach Pratteln, wo ihn die vielen Leute und menarbeit; und fr Gallina einer der Mo- Strassen verwirren, wo er die Sprache nicht mente, in denen er daran zu glauben be- Wer Arnold Gjergjaj kennenlernt, den versteht – und wo er zu Beginn fast jeden gann, dass es mit Gjergjaj ganz nach oben springt es geradezu an, wie absurd solch Tag weint, weil er sich so fremd fhlt. gehen könnte. Der heutige Präsident des rassistische Kategorisierungen sind. Steht Heute sagt Gjergjaj: «Ich möchte nicht Boxclubs Basel stellte also einen Drei-Pha- er nicht auf der Boxmatte, strahlt dieser mehr zurück in den Kosovo, denn ich habe sen-Plan auf. Die letzte Stufe bringt Gjerg- Hüne eine Ruhe und Gutmütigkeit aus, die hier meine Familie und meine Freunde.» Er jaj auf einen kurzen Nenner: «Ich will Welt- jeden nur überraschen kann, der ihn zum hat sich durchgebissen. Ist zweieinhalb Jah- meister werden.» ersten Mal trift. Das also soll der Typ sein, re in die Schule gegangen und hat danach der im Ring so hart zuschlägt, dass 19 seiner eine Lehre als Heizungsmonteur begonnen. Der härteste Kampf ist jener ums Geld bislang 25 Gegner das Kampfende auf dem Eine harte, körperlich anstrengende Arbeit. Das klingt ziemlich einfach. Ist aber ver- Boden des Rings erlebt haben? Sechs Jahre lang hat er auf dem Job ge- dammt kompliziert. Da ist einerseits die Nein, Gjergjaj hat so rein gar nichts zu arbeitet, dann konnte er den Beruf nicht Boxwelt mit ihrer unübersichtlichen Struk- tun mit den xenophoben Stereotypen. Die- mehr mit seiner Berufung vereinbaren. tur und schier unzähligen Verbänden, in ser Mann hat in diesem Jahr als Anerken- Wer im Ring etwas erreichen will, der muss der jeder Box-Profi als Ich-AG auf sich nung fr seine lokale Jugendarbeit den Boxer sein. Boxer – und nichts anderes. selbst gestellt ist. Und wenn einer in Prat- Prattler Stern erhalten. Vom Preisgeld hat er Sonst kann er sich den Traum von einem teln wohnt, nicht Meier, sondern Gjergjaj als Erstes dem Jugendhaus eine komplette WM-Gürtel gleich abschminken. heisst, im Kosovo geboren wurde und erst Boxausrüstung gekauft, weil er selbst erlebt Boxer – und nichts anderes, das ist Ar- mit 14 Jahren in die Schweiz gezogen ist, hat, wie ihm der Kampfsport geholfen hat, nold Gjergjaj derzeit tatsächlich. Nicht, dann wird es noch etwas schwieriger. sich in der Schweiz zurechtzufinden. dass er bereits von seinem Sport leben

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könnte. Aber er wird durch den Boxclub unterstützt, sein Trainer und Manager Gal- lina leistet viel Fronarbeit. Und dann ist da eine Art Familiensponsoring: Bruder An- ton hat an der Birsstrasse eine Spar-Filiale, ein Familienunternehmen, in dem Arnold in Teilzeit-Anstellung hinter der Kasse sitzt oder die Gestelle einräumt und dafr hun- dert Prozent verdient. Derzeit hat Anton Gjergjaj seinem Bru- der komplett freigegeben, damit dieser sich auf seinen EM-Kampf vorbereiten kann: «Für uns war immer klar, dass wir ihn bei seinem Traum unterstützen.» Dieser Traum verlangt viel Abeit. Von Anton, dem leidenschaftlichen Verkäufer, der sein Geschäft aufaut und gleichzeitig den Bruder finanziert. Und von Arnold, der an diesem Samstag zwölfmal drei Minuten duchboxt, während sich die Sparring-Part- ner laufend abwechseln. Der 29-Jährige braucht diese Kampfsi- mulation über die volle Distanz. Noch nie ist Gjergjaj länger als sieben Durchgänge im Ring gestanden. Seine letzten zwölf Kämp- fe hat er alle durch Knock-out gewonnen, nur einer ging länger als drei Runden. Im März dieses Jahres war das, gegen Emilio Ezequiel Zarate, dem Gjergjaj vor dem Kampf eine anständige Hose leihen musste, damit der überhaupt Einlass ins Grand Casino Basel erhielt. Der Argentini- er war chancenlos – aber immerhin blieb er erst nach dem vierten Niederschlag liegen. Und behielt dafr die Hose. Das ist die Kategorie von Boxern, mit denen sich Gjergjaj bislang herumzuschla- gen hatte: Aufaugegner, die fr ein paar Tausender plus Flug und Übernachtung in

TagesWoche 40/14 35 im Schwergewichtsboxen. Heute ist es Gjergjaj, der mit einem Sparring-Partner und dessen Coach posiert. Gjergjaj boxt mit einer Schweizer Li- zenz, ist hierzulande aber noch kaum je- mandem ein Begrif. Im Kosovo dagegen, wo Boxen ein populärer Sport ist, werden grosse Hofnungen auf ihn gesetzt. Im Ring aber, da steht Gjergjaj jeweils allein. Nur er verspürt den Schmerz. Nur er kann die Angst überwinden, die jedem eigenen Angrif vorausgeht, weil dieser dem Gegner zugleich die Chance zum Konter gibt. Bleibt die Frage, wie er, der ausserhalb des Rings lieber schweigt, als einen Konflikt zu suchen, im Ring so aggressiv sein kann, dass er sein Gegenüber k.o. schlägt. Erklären kann er es selbst nicht richtig. Wahrscheinlich ist es seine Lust daran, sich mit anderen zu messen, die er bereits als Kind im Kosovo verspürt hat. Schon früh war er ein kräftiger Junge, einer, der Ringen mochte, Armdrücken: «Einfach schauen, wer stärker ist.» Und eines steht fr ihn fest: Dass es im Boxen nicht darum geht, Gewalt auszuleben: «Es geht um Spass. Da stehen zwei Menschen im Ring, die das gerne ma- chen. Es geht darum, dass beide den Ring als Sieger verlassen wollen.» Das wird auch am 4. Oktober so sein, wenn Gjergjaj gegen den Bosnier Adnan «Te Bosnian Lion» Redzovic in seinen bis- lang wichtigsten Kampf steigt. Erstmals geht es fr den Prattler um einen Titel, zum ersten Mal wird der Sieger des Kampfes mit einem Gürtel ausgezeichnet.

Eine Faust reicht – und alles ist vorbei Noch ist es ein kleiner Titel eines klei- nen, aber wenigstens international aner- kannten Verbandes. Es geht um den Gürtel, den die European Union fr euro- päische Boxer aus Nicht-EU-Staaten ver- Der EM-Kampf von gibt. Welchen sportlichen Wert dieser Titel Arnold «The Cobra» hat, ist gar nicht so sehr ausschlaggebend. Gjergjaj gegen Viel wichtiger ist der Titelkampf, weil er Adnan «Bosnian bislang verschlossene Türen öfnen soll. Lion» Redzovic den Ring steigen. Die Finanzierung ist im- der Verzicht auf ein Privatleben, Verletzun- Bei Gallina haben sich seit Bekanntma- findet am Samstag, mer eine Aufgabe von Manager Gallina und gen, das harte Training.» chung des Kampfes zwei potenzielle Gross- 4. Oktober um des Boxclubs Basel. Wer einen Boxer auf- Aber er hat das Ding durchgezogen, weil Sponsoren gemeldet. Und der EM-Kampf 20 Uhr in der bauen will, der muss als Erstes richtig Geld er weiss: «Es ist zwar hart. Aber nur was hart ist auch dazu da, sich fr einen interkonti- St. Jakobshalle statt. in die Hand nehmen. ist, hat auch einen Wert.» Er ist damit auch nentalen Titelkampf in Stellung zu bringen. www.boxeo.ch Damit soll nun Schluss sein. Auch dafr zu einem Helden seiner Landsleute gewor- «Das alles ist erst der Anfang», gibt sich Ar- schwitzt Gjergjaj im Ring. Mit dem EM- den. Viele Albaner sind in der Schweiz in- nold Gjergjaj sicher, «glücklich bin ich erst, Kampf will er eine neue Stufe erklimmen. zwischen KMU-Gründer, arbeiten hart fr wenn ich einen WM-Titel habe.» Eine, in der er Anerkennung verdient – und ihren Erfolg. «Arnold lebt ihren Werdegang Dazu muss die Kobra den bosnischen vielleicht auch etwas Geld. Dafr haben er im Ring nach», sagt Gallina, «es geht um Löwen besiegen. Der scheint kein über- und Gallina sechs Jahre lang gearbeitet. Kampf, Verzicht, Bescheidenheit.» mächtiger Gegner zu sein. Aber im Schwer- Eine lange Zeit, über die Gallina sagt: «Wie Die zwölf Runden sind um. Arnold Gjer- gewichtsboxen ist schon mancher schmerz- viele Leute gehen mit dir in ein auf mindes- gjaj umarmt seine Sparring-Partner, die er haft aus Titelträumen gerüttelt worden. Wie tens sechs Jahre angelegtes Projekt, ohne eben noch mit Hieben eingedeckt hat. An sagt Angelo Gallina? «Seit sechs Jahren lebe Aussicht auf grossen Ertrag?» der Wand hängen Bilder von den Trainings, ich mit dem Risiko, dass eine Faust reicht – Im Ring geht es inzwischen zur Sache. die er mit den Grössen seiner Zunft absol- und alles ist vorbei.» Der südbadische Meister setzt Gjergjaj viert hat. Es sind diese Sparrings, die ihm Der Keller des Boxclubs leert sich. Die beim Sparring unter Druck, der rächt sich und seinem Trainer die Gewissheit geben, Sparring-Partner sind gegangen, Arnold mit einem Konter. Trotzdem findet Gallina dass er dereinst mit den Besten der Welt mit- Gjergjaj tänzelt alleine durch den Ring. die Kobra zu passiv: «Antäuschen Arnold! halten kann. «Wenn Arnold dort nicht gut Noch ein paar Schrittfolgen, ein paar Versuch mal eine Finte, Arnold!» gewesen wäre, wäre er sofort nach Hause ge- Schlagkombinationen gegen einen imagi- Würde er heute gefragt, er wüsste nicht, schickt worden», sagt Gallina. nären Gegner. Das Boxen hat ihm geholfen, ob er noch einmal in dieses Projekt einstei- Auf einem Bild sind Gallina und Gjergjaj in der Schweiz anzukommen. Er scheint gen würde, gibt Gjergjaj später zu: «All die zu sehen, wie sie mit bereit fr einen Schritt nach vorn. Entbehrungen, die Probleme auf der Arbeit, posieren, dem unbestrittenen Dominator tageswoche.ch/+ zrb9r ×

TagesWoche 40/14 36 Boxen von Florian Raz Gjergjaj ist nicht der erste erfolgreiche enn einer den Übernamen «K.o.-Müller» hat, dann Basler Boxer: Hans K.o.-Müller wäre kommt das nicht von unge- fhr. 360 Kämpfe soll der 1948 beinahe Olympiasieger geworden. WBasler Hans Müller bestritten haben. 240 davon gewann er durch Knock-out, was um so beeindruckender ist, als seine Ama- teurkämpfe jeweils nur über drei Runden gingen. Der am 22. Dezember 1915 geborene «Hans, machs Müller war der beste Schweizer Schwerge- wichtsboxer der Geschichte. Und wäre ihm nicht der Zweite Weltkrieg dazwischen ge- kommen, er hätte wohl eine Profikarriere eingeschlagen. kurz, wir haben So aber blieb Müller Amateur, arbeitete im Wasserwerk Birsfelden und feierte in seiner Karriere zwischen 1934 und 1952 14 Schweizer Meistertitel. Boxte der «Hans- li» in Basel, dann war das eine grosse Schau. Durst!» Fans schrieben vor den Kämpfen schon mal einen Schnitzelbangg, in dem ge- wünscht wurde: «Nitt boxe, fr im ‹Volk› si Gluscht Das wär jo numme Zytverluscht. Nur glii di Hammer, waisch di harte Nitt dass i zlang muess uf di warte.»

Ein Schwergewicht wurde er erst später: Hans Müller in jungen Jahren. FOTO: HISTORISCHES ARCHIV BIRSFELDEN

TagesWoche 40/14 37 Die «Basler Nachrichten» stellten nach Er habe Nilsson «in jeder Runde zwei- Boxverbände seinem Tod fest, Müller sei in Basel so popu- mal zu Boden» geschickt, soll Müller später lär gewesen wie die Fussballer Seppe Hügi erzählt haben. Ganz so einseitig war der und Karli Odermatt. Seine Kämpfe müssen Kampf aber wohl nicht, wie die Zeitungsbe- Verwirrende eine Art Volksfest gewesen sein mit einem richte aus dem Jahr 1948 nahelegen. Publikum, das aktiver Teil der Veranstaltung Müller musste seinen Halbfinal noch am war und mit Zwischenrufen fr einen Teil gleichen Tag wie seinen über drei Runden Vielfalt an Titeln der Unterhaltung sorgte. «Hansli, lass ihn hart erkämpften Viertelfinal-Sieg über doch auch noch etwas boxen!» Oder: «Hans, Gardner bestreiten. Um Kraft zu sparen, von Florian Raz machs kurz, wir haben Durst!» setzte der Basler auf seine bewährte Taktik, Seinen grössten Erfolg und zugleich sei- die er in fast jedem Kampf anwandte: «Lan- ie Fifa mag derzeit nicht den ne bitterste Niederlage aber erlebte Müller ges Abtasten lag mir nicht. Ich ging sofort besten Ruf haben. Aber dem fern der Heimat. 1948 boxte er sich an den auf den Gegner los und deckte ihn mit Seri- Weltfussballverband ist es ge- Olympischen Spielen in London bis in den en ein. Meist war mit sofortigem Zuschlagen lungen, seinen Sport weltweit Halbfinal. schon der Grundstein zum Erfolg gelegt.» Dso zu strukturieren, dass niemand bezwei- Das Rezept schien auch gegen Nilsson felt, dass der Sieger der WM auch Welt- «Unfassbares Fehlurteil» aufzugehen. «Auf einen frchterlichen Di- meister ist. Dabei besiegte Müller den Uruguayer rekten in der ersten Runde fiel der Schwede Ganz anders ist es im Profi-Boxen, wo es Augustin Munis im Achtelfinal, seinem wie ein Sack zu Boden», schrieb die «Sport nie eine weltumspannende Organisation Übernamen entsprechend durch K.o., ob- Information». Dann aber – damit zum Skan- gab, die verbindliche Ranglisten aufstellte. wohl ihm die «National-Zeitung» wenig zu- dal – habe der Ringrichter vergessen, Nils- Inzwischen listet Wikipedia nicht weniger getraut hatte: «Die Chancen des Schwei- son auszuzählen: «Er war so überrascht, als 13 Boxverbände auf, die ihre eigenen zers standen auf dem Gefrierpunkt.» Doch dass er Sekunden vergehen liess, ehe er Profi-Box-Weltmeister küren. Müller gelang eine taktische Meisterleis- überhaupt zu zählen begann. Nach der Mei- Wirklich anerkannt sind die grossen tung: «Da machte dieser Müller, was ihn nung eines französischen Ofziellen, der Vier: die World Boxing Association (WBA), zum Sieg fhren sollte: Er nahm ihm die die Zeit privat gestoppt hatte, war Nilsson das World Boxing Council (WBC), die Inter- Luft weg!» während 13 Sekunden down!» national Boxing Federation (IBF) und die Die Schläge in die Magengegend waren Müller muss sich kurz wie der Sieger ge- World Boxing Organisation (WBO). Alle an- Müllers Lieblings-Strategie, wie er später fhlt haben, ehe er realisierte, dass der deren bieten ihre Titelkämpfe mehr oder dem «Sport» erzählte. «Drei Amateurrun- Ringrichter den Schweden bloss bis acht weniger jedem an, der die Gebühren bezahlt. den sind rasch vorbei», habe er sich gesagt. angezählt hatte. Nilsson kam zurück in Der Prattler Arnold Gjergjaj kämpft am Einer oder mehrere harte Uppercuts in den den Kampf und erholte sich in der Folge so 4. Oktober um keinen Titel der grossen Vier. Magen, der Gegner senkte die Deckung, gut, dass Müller in der zweiten Runde Der Schwergewichtsboxer von Manager neigte vornüber und lieferte sich automa- selbst kurz zu Boden ging. In der Schluss- Angelo Gallina boxt um einen Gürtel der tisch seinem schweren rechten Kinnhaken runde kam der Basler dann «kaum mehr zu European Boxing Union (EBU). Sie gehört aus. «Ich brauchte nur noch zu zielen.» Wort und musste sich nach Punkten ge- zu den ältesten Boxverbänden der Welt, ist Im Viertelfinal besiegte Müller noch schlagen geben», notierte die «Sport Infor- aber nur in Europa tätig. Für Gjergjaj geht etwas überraschender den Engländer Jack mation». es allerdings nicht um den EBU-Haupt- Gardner nach Punkten. Gardner sollte spä- gürtel, sondern um einen untergeordneten ter noch Europameister der Profiboxer Als der Boxhandschuh zu eng wurde EE-EU-Titel: um den des Europameisters werden. Nun hatten sich die Ringrichter an die- der Nicht-EU-Staaten. Was dann gegen Gunnar Nilsson ge- sem olympischen Turnier nicht eben mit Der Titel ist derzeit vakant – wie fast alle schah, wuchs mit der Zeit zu einer Art My- Ruhm bekleckert. Mehrere Kampfrichter EE-EU-Titel in den anderen Gewichtskate- thos heran. Der «Sport» schreibt in den wurden sogar noch während der Wett- gorien, was etwas über das mässige Presti- 1960er-Jahren von einem «unfassbaren kämpfe nach haarsträubenden Fehlurtei- ge des Gürtels aussagt. Trotzdem kann der Fehlurteil». Im Jahr 1995 war Müllers Halb- len ausgeschlossen. Doch die NZZ hielt Titelkampf Gjergjaj weiterbringen, weil er final dann im «Magazin» der «Basler explizit fest, die «erstaunlichen Leistungen von einem international anerkannten Box- Zeitung» schon zu «einem der beschä- der Ringrichter» hätten zwar auch an Mül- verband lizenziert wird. mend-sten Tiefschläge der olympischen lers Halbfinaltag angedauert, aber: «Es be- Boxgeschichte» geworden. trift nicht das Urteil gegen den Schweizer.» Sprungbrett für einen grossen Kampf Fakt ist, dass Müller seinen Halbfinal Für Müller aber hatte das langsame Zäh- Daniel Hartmann liess 2009 seinen Mit- gegen Nilsson nach Punkten verlor. Eine len des Ringrichters gleich doppelt negati- telgewichtler Yves Studer um den EE-EU- Niederlage, die ihn bis an sein frühes Le- ve Folgen: Er verlor nicht nur seinen Halb- Titel kämpfen. Und der Berner Box-Mana- bensende 1967 verfolgen sollte, weil er über- final, er musste auch fr den Kampf um ger ist heute noch davon überzeugt, dass zeugt war, dass er den späteren Goldgewin- Bronze Forfait geben. dieser Gürtel seinen Wert auf dem Weg zu ner Rafael Iglesias im Final besiegt hätte. Die «Basler Zeitung» behauptet 1995, die einem grossen Titelkampf hat: «Ein Sieg in Schweizer Delegation sei «unter Protest» diesem Kampf wird Gjergjaj in den Rang- abgereist. Die Zeitungen von 1948 erzählen listen der grossen Verbände nach vorne Hans Müllers Palmares aber eine andere Geschichte. Müller hatte bringen.» sich im Kampf gegen Nilsson verletzt: «Sei- Studer stand nach dem Gewinn des EE- Schweizermeister Mittelgewicht: ne rechte Hand war derartig geschwollen, EU-Titels kurz davor, um einen WM-Titel 1939, 1943. dass er den Boxhandschuh nicht anziehen der IBF boxen zu können – und damit vor Schweizermeister Halbschwergewicht: konnte.» (NZZ) einem richtig grossen Kampf. Schliesslich 1940, 1941, 1942, 1944, 1945, 1946. So oder so reiste Hans Müller ohne fehlte ihm aber das nötige TV-Geld, um den Schweizermeister Schwergewicht: Edelmetall zurück nach Basel. Und die Er- Titelkampf finanzieren zu können. 1944, 1948, 1949, 1950, 1951. innerungen an «K.o.-Müller», den besten Hartmann glaubt jedoch, dass Gjergjaj Dazu einmal Schweizer Militärmeister. Schweizer Schwergewichtsboxer der diesem Schicksal entgehen könnte: «Er Olympia-Teilnehmer: Geschichte, sie verblassten nach seinem kommt in eine Position, in der er um einen 1948 (4. Platz), 1952. Tod nach und nach. Bis schliesslich nur grösseren Titel boxen könnte. Und da muss Europameisterschafts-Teilnehmer: noch der Skandal von London schemen- nicht er das Geld bringen. Da bezahlt der 1942, 1951. haft übrig blieb. Promoter, der den Kampf durchfhrt.» tageswoche.ch/+ti42a × tageswoche.ch/+fovl6

TagesWoche 40/14 38 Literaturverfilmungen Aktuell werden mehr Bücher verfilmt denn je. Die Gründe dafr sind vielfltig und reichen von der H ollywoodkrise bis zum Marketing. Der Stof, aus dem die Filme sind

«Liebes Tagebuch!…»: Rosamund Pike spielt in David Finchers «Gone Girl» eine Frau, die spurlos verschwindet. FOTO: MERRICK MORTON

TagesWoche 40/14 39 von Karen N. Gerig dem Roman «Sieben verdammt lange Tage» Kino als die trägen Filmstudios», bestätigt von Jonathan Tropper. «The Hundred- auch Binotto. en Betrachter von Filmplakaten Foot-Journey» beruht auf «Madame Mallo- Mittlerweile sind auch die Stars den Au- befllt manchmal ein Déjà-vu. ry und der kleine indische Küchenchef» toren gefolgt. Preisgekrönte Schauspieler, Dieser Titel, «Gone Girl», kenne von Richard C. Morais. die man von der grossen Leinwand kennt, ich den nicht? Schnell auf You- Ende Oktober kommt mit «Te Maze übernehmen vermehrt Rollen in TV- DTube den Trailer angeklickt, und dann steht Runner» Teil eins der Serie um «Die Auser- Produktionen – seien es Kevin Spacey und da gross: «Nach dem Bestseller von Gillian wählten» von James Dashner in die Kinos. Robin Wright in «House of Cards», Claire Flynn». Genau, das wars, das Buch steht Tomas Paul Anderson hat grade Tomas Danes in «Homeland» oder Matthew schon länger in den Regalen der Buch- Pynchons «Inherent Vice» verfilmt. Und M cConaughey und Woody Harrelson in handlungen. Und bildet keine Ausnahme: hinter dem Dreamworks-Animationsfilm «True Detective». Dasselbe gilt fr Regis- Ob «Der Hundertjährige, der aus dem «Drachenzähmen leicht gemacht» steht seure: Steven Soderbergh, Martin Scorsese Fenster stieg und verschwand», «Der Koch», gleich eine ganze Kinderbuchreihe der und Steven Spielberg – sie alle drehen im «Der Hobbit» oder «Te Hunger Games», britischen Autorin Cressida Cowell. Moment TV-Serien. die Romane waren uns ein Begrif, bevor Die Filmregisseure sehen sich gezwun- wir ins Kino gingen und uns die Verfilmun- Masse an Literaturverfilmungen gen, ihre Geschichten wieder anderweitig gen ansahen. Fängt man einmal an, darauf zu achten, zu suchen. Und sie werden auf dem Litera- Die Kinos sind gerade voll von Filmen, so fllt die Masse an Literaturverfilmungen turmarkt fndig. Schon an Buchmessen die es zuerst in Buchform gab. Bei man- auf. Und man fragt sich, ob den Filme- kommen Vertreter der Filmstudios zum chen ist uns das bewusst, bei anderen weni- machern die Stoffe ausgehen, was sie Einsatz: Möglichst früh sichern sie sich die ger. «Te Giver» zum Beispiel basiert auf v ermehrt dazu bringt, den Buchmarkt zu Rechte an den Werken, manchmal nur auf- dem Buch «Hüter der Erinnerung» von durchforsten. Nein, sagt der Literatur- und grund einer vielversprechenden Inhaltsan- Lois Lowry, «Tis is where I leave you» auf Kulturwissenschaftler Johannes Binotto, gabe. Der Schnellere ist der Geschwindere. der seit Jahren über Filme publiziert: «Be- Und so sind schon manche Filmrechte ver- ziehungsweise: Das Phänomen ist zumin- kauft und dann auf Eis gelegt worden – weil dest nicht neu – diese Praktiken gab es ein Buch schliesslich doch nicht den schon seit Anfang der Filmgeschichte. Be- g ewünschten Erfolg hatte. reits die Pioniere adaptierten die Klassiker. Georges Méliès verfilmte mit Erfolg Jules Filmstudios sichern sich Verne, Louis Feuillade basierte seine Fantô- mas-Filme auf den zeitgenössischen Fort- früh die Rechte an Werken, setzungsromanen von Marcel Allain und Pierre Souvestre.» und sei es nur aufgrund Auch im Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre sei der Trend noch stärker einer !vielversprechenden gewesen als heute: Zwischen dem Erschei- nungstermin des Buches und des Films Inhaltsangabe. vergingen oft nur ein paar Monate. Film- studios liessen sich bei Buchautoren inspi- Für Alfred Hitchcock wäre dies kein rieren und schlossen direkt mit ihnen Ver- Problem gewesen: Manchmal habe der träge ab. Verträge, die manch einen Autor «Master of Suspense» sich die Rechte an zu einer Fortsetzung verknurrten, die er einem Buch gesichert, nur um eine einzige möglicherweise gar nie zu schreiben beab- Idee daraus verwenden zu können, erzählt sichtigt hatte. Binotto. Robert Blochs «Psycho» zum Bei- So ging den Studios der Stof nie aus. spiel hielt er fr ein schlechtes Buch, was Manche Autoren wie etwa F. Scott Fitz- ihn freilich nicht daran hinderte, daraus gerald verdingten sich gar als Handlanger ein Meisterwerk zu machen. bei den Filmstudios, um Drehbücher auf- Entsprechend verärgert mögen manche zubessern – obwohl er es hasste, nur aus Autoren über den freien Umgang mit ihrer reiner Geldnot. Vorlage sein. Von Bret Easton Ellis etwa Diese Praxis begann sich im Zeichen wurden vier Romane verfilmt, aus seiner von «New Hollywood» und seiner Expo- Unzufriedenheit mit den Adaptionen hat er nenten wie Arthur Penn, Robert Altman nie einen Hehl gemacht. Halbwegs zufrie- oder Woody Allen ab den Sechzigerjahren den war er nur mit der Umsetzung von unter dem Einfluss des europäischen Auto- «American Psycho». renkinos zu verändern. Mit dem zuneh- menden Selbstverständnis des Films als Interpretation statt Imitation eigenständige Kunstform wollte das Kino Manche Autoren versuchen dieses Risi- sich auch von den literarischen Vorbildern ko zu minimieren, indem sie am Film mit- emanzipieren. Statt existierende Romane arbeiten. Joanne K. Rowling etwa grif stark zu verfilmen, galten nun Originaldreh- in die Drehbücher zu den «Harry Potter»- bücher als Mass der Dinge. Doch diese Filmen ein. Und auch Gillian Flynn, die Blütezeit ist längst vorbei. A utorin von «Gone Girl», setzte sich fr «Seit Jahren laufen Hollywood die Dreh- D avid Fincher erneut an die Tastatur. Sie buchautoren davon», sagt Binotto. Nach änderte gar den Schluss ihres Buches ab. den Streiks 1988 und 2007 bis 2008, in Auf den ersten Moment mag eine solche denen die Drehbuchautoren gegen ihre Einmischung vernünftig klingen und wün- schlechte Bezahlung protestierten, haben schenswert erscheinen. Stattdessen aber immer mehr von ihnen das Fernsehen als schadet sie in vielen Fällen. Denn ein Autor sehr viel kreativeres und auch lukrativeres weiss nicht unbedingt, was das Beste fr Betätigungsfeld entdeckt. «Das US-Fern- eine Verfilmung ist. «Adaptionen sind im- sehen macht unterdessen das lebendigere mer auch Interpretationen. Und je eigen-

TagesWoche 40/14 40 ständiger und eigenwilliger diese ist, umso besser. Wenn hingegen der Film versucht, ein Buch zu sein, kann er nur scheitern», sagt Binotto. Schliesslich haben die beiden Medien ganz unterschiedliche Mechanis- men und Erzählweisen und müssen des- halb ihre je eigenen Vorteile ausspielen, anstatt zu versuchen, sich gegenseitig zu imitieren. «Gone Girl» ist diesbezüglich ein miss- lungenes Beispiel: Wer Buch und Film kennt, weiss nach zweieinhalb Stunden Filmzeit, dass der Plot im Buch besser funk- tioniert, da vieles auf einer nicht sichtbaren und nicht darstellbaren Ebene passiert. Dem unwissenden Kinobesucher wird das wahrscheinlich nicht aufallen. Er wird aber, sollte er sich nachträglich dazu ent- scheiden, das Buch zu lesen, einiges klarer sehen.

Filmplakat als Buchcover Will man es nun böse formulieren, so Verzweifelt gesucht: Ben Affleck ist Nick in «Gone Girl». FOTO: MERRICK MORTON könnte man Finchers Film als gut gemach- ten Trailer fr Flynns Buch betrachten. «Gone Girl» Dieses liegt denn auch seit Kurzem in den Buchläden nicht nur in der altbekannten Fassung mit roten Titellettern auf schwar- David Fincher verfilmt den Bestseller von zem Grund auf, sondern mit dem Film- plakat als Cover – damit der Kinogänger es Gillian Flynn allzu buchstabengetreu. auch sicher findet. Wiedererkennung als Marketing-Instrument. Denn natürlich profitieren in diesem Bis dass der Tod sie scheidet Geschäft nicht nur die Filmstudios von den Ideen der Literaten, sondern auch die von Hannes Nüsseler A utoren beziehungsweise die Verlage von den Verfilmungen: Die Filme pushen die m liebsten würde Nick Dunne Amys sentimentalen, aber zunehmend Bücher. Was vorher kein Bestseller war, seiner Frau Amy den hübschen verängstigten Tagebucheintragungen wird vielleicht so zu einem gemacht. Dazu blonden Schädel knacken, um wird filmisch zum ermüdenden Flash- wird von den Verlagen dann nicht nur das ihre Innenwelt zu ergründen: back-Hindernislauf, den Fincher reich- Cover angepasst, sondern manchmal auch AWas geht im Kopf der marmorblassen lich lustlos absolviert. gleich der Titel. Schönheit vor? Ihre Ehe liegt im Argen, Die «Drachenzähmen leicht gemacht»- seit die beiden arbeitslosen Journalisten Pervertierter Feminismus Bücher etwa wurden früher unter dem aus New York in Nicks ländliche Heimat- Viel spannender als im Buch gestaltet Obertitel «Hicks, der hartnäckige Wikin- stadt gezogen sind, wo Nick mehr schlecht sich in der Verfilmung dagegen das media- ger» verlegt. Heute fhrt der Arena Verlag als recht eine Bar betreibt. Doch dann le Hintergrundrauschen, welches die Su- die beiden Serien parallel: Cover und Titel kommt der fnfte Jahrestag ihrer Hochzeit che nach der Vermissten begleitet. Nick ge- unterscheiden sich – der Inhalt hingegen und Amy verschwindet. Nicht spurlos rät in die Fänge der Talkshow-Hexen, die ist Wort fr Wort derselbe. allerdings: Die Polizei findet Reste einer an dem unbedarft grinsenden Schönling In den Vierziger- und Fünfzigerjahren Blutlache, später auch Amys Tagebuch. ein Exempel statuieren wollen und ihn des 20. Jahrhunderts, als die Literaturver- Darin traut sie ihrem Ehegatten das zum Mörder stempeln. Mit der Hilfe eines filmungen das letzte Mal einen Höhepunkt Schlimmste zu. Staranwaltes lässt sich Nick zum fern- erlebten, wurden die Buchcover auf Junge trifft Mädchen, Mädchen ver- sehtauglichen Waschlappen trimmen, und die Filmplakate gedruckt. Heute werden schwindet, Polizei ermittelt – David Fin- da macht sich gelegentlich die bitterböse potenzielle Leser mittels Kinotrailer ange- cher («Te Girl with the Dragon Tattoo») ist Satire auf einen Feminismus bemerkbar, worben. «Nach dem Bestseller von» ist eine zurück auf dem vertrauten Terrain der der auf dem hart umkämpften Markt der Information, die man als Kinogänger nicht Thrilleradaption, diesmal mit Gillian Wahrnehmungsökonomie zur Unkennt- unbedingt braucht. Flynns Bestseller «Gone Girl». Dass die Au- lichkeit pervertiert. Die Formulierung spricht ein bestimm- torin das Drehbuch gleich selbst verfasst Ben Afeck verleiht Nick eine solide tes, literaturafnes Publikum an, das im im- und das Ende umschreibt, klingt natürlich Präsenz, die Bewunderinnen im Film zu mer grösser werdenden Buchdschungel verlockend. So wartet man auch als Viel- einem Selfie mit dem mutmasslichen Killer nach Orientierung heischt. Alle anderen leser im Kino gespannt darauf, dass die Ge- verleitet, während Rosamund Pike als Amy werden einfach drüberweglesen – zum Vor- schichte eine unerwartete Wendung rätselhaft distanziert bleibt wie eine Sphinx. teil der Filme. nimmt. Es bleibt dann aber doch bei einer Anders als im Buch sind die Sympathien im tageswoche.ch/+j4nku × kompetenten, wenn auch allzu buchsta- Film klarer verteilt, auch wenn man sich bengetreuen Verfilmung. nicht zu sehr auf den ersten Eindruck ver- Denn darin ist die Literatur dem Kino – lassen sollte. Am Ende, so viel sei verraten, und Nick – voraus: Sie kann in die Köpfe wird ein Mensch tot sein und die Institu- ihrer Figuren blicken, ohne einen einzi- tion Ehe um ein dunkles Kapitel reicher. gen Tropfen Blut dabei zu vergiessen. tageswoche.ch/+6u7n2 × Das aufreizende Versteckspiel zwischen Nicks unzuverlässiger Erzählstimme und «Gone Girl» läuft jetzt in den Basler Kinos.

TagesWoche 40/14 41 Literaturverfilmungen FLASH Verleger sind froh über das Interesse KULTUR der Filmproduzenten an Literatur – zum Konzert Beispiel der Diogenes Verlag. Der Weg vom Buch zum Film von Karen N. Gerig Ebo Taylor iteratur ins Kino zu bringen ist fr Im Normalfall bringt der Verlag das Hautnah eine Legende erleben, das ist am Verlage ein wichtiges Geschäft betreffende Buch dann in einer neuen Sonntag in der Kaschemme möglich. Ebo g eworden. Denn ist ein Film ein A uflage heraus, die sich in der Gestaltung Taylor, mittlerweile 78-jährig, legt einen Erfolg, so bringt er im besten Fall an den Film anlehnt: mit dem Filmplakat Zwischenhalt in Basel ein. Wir erinnern Lden Kinobesucher dazu, sich das Buch als Coverbild – und notfalls auch mit einem uns, vor zwei Jahren fhrte ihn schon ein- auch noch zu Gemüte zu fhren. Dass den neuen Titel. mal eine Tour in die Kaserne. Jetzt kehrt der Filmstudios die Drehbuchschreiber ghanaische Gitarrist und Sänger mit seiner weglaufen und sie so ihr Augenmerk noch Erfolg verspricht Erfolg Band, der Afrobeat Academy, zurück und stärker auf Verlage richten, kann diesen Natürlich hilft der Erfolg eines Buches lädt zu Highlife und Afrobeats. Vor dem daher nur recht sein. oder eines Autors dabei, Filmrechte zu Konzert gibts übrigens Köstlichkeiten aus Auch beim Schweizer Diogenes Verlag verkaufen. Meistens handelt es sich dabei der afrikanischen Küche, dazu Sounds von setzt man auf Filme. Der nach eigenen An- um Einzelvergaben, sagt Bauknecht. den Konzeptlos DJs. Die Anzahl Tickets ist gaben «grösste belletristische Verlag Euro- «Ausser bei einer Serie wie beispielsweise limitiert auf 130 Stück. × pas» hält unter anderem die Filmrechte von Martin Suters ‹Allmen›-Krimi – dort wer- Autoren wie Patrick Süskind, Bernhard den die Rechte an der ganzen Serie Sonntag, 5.#10., ab 18 Uhr. Kaschemme, Schlink, Petros Markaris, Ingrid Noll oder verkauft.» Lehenmattstrasse 356, Basel. Benedict Wells, aber auch jene von Klassi- Das Interesse der Filmproduzenten kern wie Friedrich Dürrenmatt oder Patri- setzt manchmal schon sehr früh ein: cia Highsmith. Aushängeschild unter den Sobald der Verlag sein Programm veröf- Theater noch lebenden Autoren ist aber Martin fentlicht, kommen die ersten Anfragen. Suter, von dem zuletzt «Der Koch» die Leu- «Wenn sich etwas gut anhört, sind sie inte- te in die Kinos lockte. ressiert – selbst wenn das Buch noch nicht 1440 Minuten erschienen ist», bestätigt Susanne Bau- knecht. «Sie fragen auch schon im Voraus Die Kleine Bühne des Teaters Basel gibt an, was kommt.» Man kenne sich schliess- Einblick in ein Experiment – ein Experi- lich gegenseitig, und so sei es ein Geben ment mit fnf Männern und fnf Frauen und Nehmen, sprich: Der Verlag geht ab 16, die sich 24 Stunden lang mit ihren auch von sich aus auf die Produzenten zu. Geschlechterrollen auseinandersetzen. Und das international. Insgesamt zehn Freiwillige suchen im «Natürlich eignen sich nicht alle Bücher Nachtleben nach Antworten auf Fragen gleich fr alle Länder», sagt Bauknecht. Ist wie: «Was erfahre ich als einzigartige Frau der Autor beispielsweise in den USA kein über mich, wenn ich die Männerwelt beob- Begrif, so bringt es kaum etwas, seine achte, imitiere, befrage?» Diese Fragen sol- B ücher einem Hollywoodproduzenten len mithilfe verschiedener Aufgabenstel- Vorher–Nachher: Buchcover zu Martin verkaufen zu wollen – ausser, die Geschich- lungen beantwortet werden. Das Erlebte Suters «Der Koch». FOTOS: DIOGENES te ist problemlos adaptierbar. Ob ein in werden die Forschenden in einer verkürz- Deutschland produzierter Film wie etwa ten Version dem Publikum präsentieren. «Der Koch» es dann zumindest in die ame- Um so das Bewusstsein fr die Inszenie- Susanne Bauknecht, die beim Verlag rikanischen Kinos schaft, ist dem Filmver- rung der Geschlechter zu wecken. × A nsprechpartnerin für die Vergabe der leih überlassen. Lizenzen ist, bestätigt, dass fr den Verlag Bessere Chancen haben hier natürlich Sonntag, 5.#10., ab 19 Uhr. Theater Basel, die Filme etwas sehr Wichtiges sind. Und international bekannte Klassiker wie etwa Kleine Bühne, Theaterstrasse 7. dass es dabei vor allem um Marketing gehe. Dürrenmatt, dessen «Versprechen» bei- «Wir nutzen die Gelegenheit, mit dem Film- spielsweise schon mehrmals verfilmt verleih eng zusammenzuarbeiten und zum wurde – zuletzt als grosse Hollywoodpro- Beispiel ein Werbekonzept zu erstellen», duktion «Te Pledge» (2001) mit Jack Ni- Ausgehen sagt Bauknecht. Das fngt im Kleinen an: cholson in der Hauptrolle. «Idealerweise sollte ein Film immer so heis- tageswoche.ch/+mwy21 × Mehr Tipps gibt es unter: sen wie das Buch – was leider nicht immer • tageswoche.ch/kulturflash der Fall ist.»

TagesWoche 40/14 BASEL CAPITOL PATHÉ KÜCHLIN • TAKING 42 WOODSTOCK Kinoprogramm Steinenvorstadt 36 kitag.com Steinenvorstadt 55 pathe.ch [12/9 J] • CAN A SONG • DER KLEINE NICK SA: 15.15 E/d/f SAVE YOUR LIFE? [10/8 J] MACHT FERIEN [6/4 J] • LES BONNES FEMMES [16/14 J] Basel und Region 15.00/17.30/20.00 E/d/f 12.30/14.45/17.00— SA: 17.30 F/e • DIE BIENE MAJA – SA/SO: 10.20 D • THE ICE STORM [12/10 J] DER KINOFILM [4/4 J] • DRACULA UNTOLD [14/12 J] SA: 20.00 E/d/f 3. bis 9. Oktober 15.00 D 12.30/14.40/21.10/21.30— • LA CÉRÉMONIE [12/10 J] • THE GIVER – HÜTER FR/SO/DI: 16.50—SA/SO: 10.20— SA: 22.15 F/d DER ERINNERUNG [10/8 J] SA/MO/MI: 19.00—SA: 23.20 D • UNE AFFAIRE E/d/f FR/SO/DI: 19.00—FR: 23.20— 17.30 E/d/f DE FEMMES [16/14 J] • LUCY [16/14 J] SA/MO/MI: 16.50 SO: 13.00 F/e ANZEIGEN 20.00 E/d/f • THE GIVER – HÜTER • LUST, CAUTION [16/16 J] DER ERINNERUNG [10/8 J] SO: 15.15—MI: 18.00 E/d/f KULT.KINO ATELIER 12.30/14.45—FR/SO/DI: 19.15— SA/SO: 10.15 D • CROUCHING TIGER, Theaterstr. 7 kultkino.ch SA/MO/MI: 19.15 E/d/f HIDDEN DRAGON [12/10 J] SO: 18.15 E/d/f • L’ABRI [10/8 J] • WALKING ON SUNSHINE [8/6 J] F/d/f 12.30—SA/SO: 10.20 D • LES COUSINS [12/10 J] FR/SA/MO-MI: 12.15 SO: 20.30 F/e • EVERYDAY • WENN ICH BLEIBE [12/10 J] FR/SA: 12.30—SA: 10.15— REBELLION [12/10 J] D STUDIO CENTRAL FR-SO: 12.20 Ov/d/f SO-MI: 13.10 • FINDING • DIE BIENE MAJA – Gerbergasse 16 kitag.com DER KINOFILM – 3D [0/0 J] VIVIAN MAIER [16/14 J] D • DER KOCH [12/10 J] 12.30 E/d/f 12.45—SA/SO: 10.45 15.00/20.00 D • LES VACANCES • DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT 2 – 3D [6/4 J] • THIS IS WHERE DU PETIT NICOLAS [6/4 J] D I LEAVE YOU [12/10 J] 14.00 D 13.30 17.30 E/d/f 16.45 F/d • GONE GIRL – DAS PERFEKTE • CALVARY [16/14 J] OPFER [16/14 J] FRICK MONTI E/d/f 14.00/20.15—FR/SA: 23.20— 14.15/18.45/21.00 SA/SO: 11.00—SA/MO/MI: 17.10 D Kaistenbergstr. 5 fricks-monti.ch • MONSIEUR CLAUDE FR/SO/DI: 17.10 E/d/f UND SEINE TÖCHTER [6/4 J] • MONSIEUR CLAUDE 14.30/16.30/18.40/20.45 F/d • MÄNNERHORT [12/10 J] UND SEINE TÖCHTER [6/4 J] 14.40/16.50/19.00/21.10— FR: 18.00 D SO: 18.00 F/d • PHOENIX [12/10 J] FR/SA: 23.30 D D • GONE GIRL – DAS PERFEKTE 16.00/18.15/20.30 • SEX TAPE [14/12 J] OPFER [16/14 J] • LA CHAMBRE BLEUE [16/14 J] 14.40/16.45—SA/MO/MI: 21.10 D SO: 12.15 F/d D FR/SO/DI: 21.10 E/d FR-MO/MI: 20.15 • DER KOCH [12/10 J] • MONSIEUR CLAUDE D KULT.KINO CAMERA UND SEINE TÖCHTER [6/4 J] SA: 18.00 Rebgasse 1 kultkino.ch FR/SA: 14.45—FR: 19.10— • DIE BIENE MAJA – SA: 17.00/21.20—SO-MI: 15.30— DER KINOFILM – 3D [0/0 J] • YALOM’S CURE [8/6 J] D SO/MI: 13.30 D E/d/f SO/MO/MI: 17.40—MO/MI: 20.00 14.45/19.00 FR: 17.00/21.20—SA: 19.10— • DRACHENZÄHMEN LEICHT • DER KREIS [14/12 J] Ov/d [6/4 J] Dialekt/e SO/DI: 20.00—DI: 17.40 GEMACHT 2 – 3D 15.00/18.15/20.30 • CAN A SONG SO/MI: 15.30 D • OF HORSES AND MEN [16/14 J] SAVE YOUR LIFE? [10/8 J] 16.45 Ov/d/f 15.45/20.30 E/d/f LIESTAL ORIS • MY NAME IS SALT [16/14 J] 18.10—SA/SO: 11.15 D Kanonengasse 15 oris-liestal.ch 17.15 Ov/d/f • SIN CITY: A DAME • DER KOCH [12/10 J] TO KILL FOR – 3D [16/14 J] • MONSIEUR CLAUDE D E/d/f UND SEINE TÖCHTER [6/4 J] 20.45 17.00—FR/SA: 23.40 D • MITTSOMMER- • SIEBEN VERDAMMT 18.00 NACHTSTANGO [10/8 J] LANGE TAGE [12/10 J] • GONE GIRL – DAS PERFEKTE Ov/d/e FR/SO/DI: 18.50 E/d/f OPFER [16/14 J] SO: 13.00 D • DIPLOMATIE [10/8 J] SA/MO/MI: 18.50 D FR-SO/DI/MI: 20.15 SO: 13.15 F/d • 20 REGELN • DIE BIENE MAJA – FÜR SYLVIE [14/12 J] DER KINOFILM – 3D [0/0 J] KULT.KINO CLUB 19.10 Ov/d SA/SO: 14.00 D Marktplatz 34 kultkino.ch • LUCY [16/14 J] • DIE BIENE MAJA – 21.15—FR/SA: 23.15 D DER KINOFILM [0/0 J] • WIR SIND DIE NEUEN [14/12 J] • HERCULES – 3D [12/10 J] MO/MI: 14.00 D 16.15/20.45 D FR/SA: 22.50 D • DER 7BTE ZWERG – 3D [0/0 J] • HECTOR AND THE SEARCH • THE EXPENDABLES 3 [14/12 J] SA/SO: 16.00 D FOR HAPPINESS [12/10 J] FR/SA: 23.20 D • DER 7BTE ZWERG [0/0 J] 18.15 E/d/f • KATAKOMBEN [16/14 J] MO/MI: 16.00 D • IL CAPITALE UMANO [16/14 J] FR/SA: 23.30 D • SEX TAPE [14/12 J] SO: 14.00 I/d • THE WIND RISES [8/6 J] MO: 20.30 D SO: 10.30 Ov/d • FASCINATING INDIA – 3D NEUES KINO [0/0 J] Klybeckstr. 247 neueskinobasel.ch PATHÉ PLAZA DI: 14.15 D Steinentorstr. 8 pathe.ch GOLDEN AGE NACHMITTAGSKINO • THE BALLAD OF GENESIS MIT KAFFEE UND KUCHEN AND LADY JAYE • DER 7BTE ZWERG [0/0 J] FR: 19.00 E/d 15.40—FR/MO/DI: 13.30 SPUTNIK • PAS DE REPOS SA/SO/MI: 13.30 D FRANKENSTEIN Version Cumberbatch as Creature POUR LES BRAVES • HERCULES – 3D [12/10 J] Poststr. 2 palazzo.ch MITTWOCH, 15. OKTOBER | 20h00 (OV) FR: 21.00 F/d 17.45 D • 20 REGELN • PORN SHORTS [18 J] • GONE GIRL [16/14 J] [14/12 J] SKYLIGHT DONNERSTAG, 23. OKTOBER | 20h00 (OV) Ov FÜR SYLVIE FR: 23.00 20.00 E/d/f 18.00 D FRANKENSTEIN Version Miller as Creature • VULVA 3.0 – ZWISCHEN TABU • MONSIEUR CLAUDE MITTWOCH, 12. NOVEMBER | 20h00 (OV) UND TUNING REX UND SEINE TÖCHTER [6/4 J] SA: 18.00 D/e Steinenvorstadt 29 kitag.com FR-MO: 20.15 F/d JOHN DIENSTAG, 9. DEZEMBER | 21h00 (OV) ANSCHL. DISKUSSION • DER KLEINE NICK • SOMETHING MUST BREAK – • GONE GIRL [16/14 J] TREASURE ISLAND DONNERSTAG, 22. JANUAR | 20h00 (OV) 14.00/17.15/20.30 E/d/f MACHT FERIEN [6/4 J] NÅNTING MÅSTE GÅ SÖNDER SA-MI: 15.00 Dialekt SA: 20.00 Schwed/d • GUARDIANS OF THE GALAXY – 3D [12/10 J] • MITTSOMMER- • HOLOPAW – DIRTY BOOTS E/d/f NACHTSTANGO [10/8 J] SA: 22.00 E 14.30—FR-DI: 18.00/21.00 Ov/d • Swisscom Ladies Night: DI/MI: 20.15 • FASTER, PUSSYCAT! WIE IN ALTEN ZEITEN KILL! KILL! E/d/f SISSACH PALACE E MI: 20.00 SA: 22.01 Felsenstrasse 3a palacesissach.ch • KOPFKINO STADTKINO SO: 17.00 D/e • WENN ICH BLEIBE [12/10 J] • DER UNFERTIGE Klostergasse 5 stadtkinobasel.ch 18.00 D SO: 19.00 D • LE BEAU SERGE [12/10 J] • MÄNNERHORT [12/10 J] • EIN WOCHENENDE FR: 16.30—MI: 21.00 F/e 20.30 D IN DEUTSCHLAND • EAT DRINK MAN WOMAN • DER KLEINE NICK SO: 19.01 D [6/4 J] MACHT FERIEN [6/4 J] • ERDBEER UND SCHOKOLADE FR: 18.30—MO: 21.00 E/d/f SA-MI: 14.00 D – FRESA Y CHOCOLATE • QUE LA BÊTE MEURE [16/14 J] • DER 7BTE ZWERG [0/0 J] SO: 21.00 Sp/d FR: 21.00—MO: 18.30 F/d SA-MI: 16.00 D

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Impressum

TagesWoche Chefredaktion Karen N. Gerig, Simon Jäggi, Korrektorat Werbemarkt 4. Jahrgang, Nr. 40; Dani Winter (Redaktionsleiter), Christoph Kieslich, Yves Binet, Balint Csontos, Cornelia Breij, Felix Keller, verbreitete Auflage: Remo Leupin (Leiter Print) Valentin Kimstedt, Marc Krebs, Irene Schubiger, Martin S tohler, Hana Spada, 23%846 Exemplare (prov. Wemf- Digitalstratege Hannes Nüsseler (Produzent), Dominique Tommen Cheryl Dürrenberger beglaubigt, weitere Infos: Tom Nagy Matthias Oppliger, Lesermarkt (Assistenz), Tel. 061 561 61 50 tageswoche.ch/+sbaj6), Creative Director Florian Raz, Tobias Gees Abonnemente Gerbergasse 30, Hans-Jörg Walter Jeremias Schulthess, Abodienst 1 Jahr: 220 Franken 4001 Basel Redaktion Andreas Schwald, Tel. 061 561 61 61, (50 Ausgaben), 2 Jahre: Herausgeber Amir Mustedanagić Livio Marc Stöckli [email protected] 420 Franken (100 Ausgaben), Neue Medien Basel AG (Leiter Newsdesk), (Multimedia- Redaktor) Verlag Ausland-Abos auf Anfrage. Redaktion Reto Aschwanden Redaktionsassistenz Olivia Andrighetto, Alle Abo-Preise verstehen sich Tel. 061 561 61 80, (Leiter Produk tion), Béatrice Frefel Tel. 061 561 61 50, inkl. 2,5 Prozent Mehrwert- [email protected] Renato Beck, Layout/Grafik [email protected] steuer und Versand Schweiz Tino Bruni (Produzent), Petra Geissmann, Geschäftsleitung Druck Die TagesWoche erscheint Brendan Bühler (Praktikant), Daniel Holliger Tobias Faust Zehnder Druck AG, Wil täglich online und jeweils am Yen Duong, Bildredaktion Leitung Werbemarkt Designkonzept und Schrift Freitag als Wochenzeitung. Daniel Faulhaber (Praktikant), Nils Fisch Kurt Ackermann Ludovic Balland, Basel 44 Kultwerk #150 verschanzt: Radioaktive Strahlung, eine Sonde von der Venus – irgendetwas hat Seit 46 Jahren lehrt George A. Romeros die frisch Verstorbenen tollwütig werden lassen, quäkt der Sprecher hilflos aus dem «Night of the Living Dead» das Publikum Radio. mit alltäglichen Monstern das Gruseln. Zuletzt stirbt die Hoffnung Der Geniestreich Romeros lag darin, dass er den Zombie einbürgerte: Der leben- de Tote war nicht länger ein B-Movie-Gast- arbeiter aus der Karibik, sondern unser «Nachbar», wie der Regisseur ihn vertrau- Unsere lieben lich nennt. Die marodierenden Monster dienen als Katalysator und Kontrastmittel fr das wirklich Böse, das im Menschen lauert – Feigheit, Dummheit, Gier. Die Situation im belagerten Haus Nachbarn eskaliert rasch: Der Schwarze Ben über- nimmt die Führung, doch seine Hautfarbe macht ihn zur Zielscheibe rassistischer Ressentiments. Zuletzt stirbt auch die von Hannes Nüsseler Hofnung. Obwohl die Kritiker «Night of the Li- chokoladensirup als Blutersatz – Druck des «American Way of Life» und ving Dead» anfnglich in der Luft zerrissen, und trotzdem: Den Zuschauern, den medialen Horror des Vietnamkrieges wurde die Independent-Produktion zum die am 1. Oktober 1968 «Night of zur bissigen Endzeitvision einer sich Kultfilm, der seine Kosten um das 260- the Living Dead» erstmals sahen, selbst kannibalisierenden Zivilgesell- fache einspielte. Ironischerweise verlor Sverging der Appetit auf ihr Popcorn gründ- schaft. Romero die Rechte an seinem Werk, weil lich. Für gerade einmal 114-000 Dollar der Verleiher auf dem Filmstreifen einen klatschte Spielfilmdebütant George A. Appetit auf Menschenfleisch Copyright-Hinweis vergessen hatte. Romero einen Schwarzweiss-Schocker auf Alles fngt mit einem schlechten Scherz «Night of the Living Dead» unterliegt die Leinwand, der eher Kriegszustand als an. «Sie werden dich holen, Barbara!», der Gemeinfreiheit: Er ist der zweitmeist Gruselkabinett war. macht Johnny seiner Schwester bei einem heruntergeladene Film auf der gemein- Der Zombiefilm, in dem das Wort Zom- Friedhofsbesuch Angst, und dann kom- nützigen Plattform Internet Archive, und bie kein einziges Mal fllt, revolutionierte men sie tatsächlich: schlurfende Gestalten auf Youtube finden sich gleich mehrere den Kinohorror. Blutrünstig, aber ohne mit Appetit auf Menschenfleisch. Versionen, darunter nachträglich einge- Farbe, mit weissen Untoten und einem Johnny geht als Erster hops, Barbara frbte. Es geht eben nichts über gute Nach- schwarzen Helden, verdichtete «Night flüchtet in ein abgelegenes Haus, in dem barn mit Schokoladensirup! of the Living Dead» den konformistischen sich ein kleines Grüppchen Überlebender tageswoche.ch/+ 1ofes ×

Die lebenden Toten kommen zu Besuch. FOTO: EVERETT COLLECTION

Ein Leben für die Toten

George A. Romero wurde 1940 in New York geboren und zog für ein Kunststudi- um nach Pittsburgh, Pennsylvania, wo er neben Lehrfilmen und Werbespots «The Night of the Living Dead» als Freizeitpro- jekt mit Freunden drehte. Nach mehre- ren Publikumsflops gab er 1978 sein Comeback mit der konsumkritischen Splatterkomödie «Dawn of the Dead». Seitdem hat Romero vier weitere Filme mit den lebenden Toten gedreht, die oft als sympathischere Alternative zu den le- benden Lebenden auftreten.

TagesWoche 40/14 45 Wochenendlich in Reykjavík in dem verwinkelten Chaos sucht nicht der Käufer das Buch aus, sondern das Buch ihn. Sehr zu empfehlen fr eine Kafeepause Die Wellblechhaus-Oase ist charmant mit Glace oder Wafeln ist das «Eldur & Ís». Hier gibt es hausgemachte Süssigkeiten und bunt. Bekannt fr heisse Quellen, und Glace mit einer fast überfordernd gros- sen Auswahl an Streuseln. Abends kommt bietet sie noch heissere Nächte. das «Tíu Dropar», Café und Bar, besonders gut. Hin und wieder ein Spaziergang die Seitenstrassen hoch oder runter lohnt sich. Wer allerdings versucht, dem Tourismus gänzlich zu entkommen, wird scheitern. Widerstand ist zwecklos in einer Stadt, in Nicht schön, der während der Hauptsaison die Anzahl Touristen die der Einwohner um das Drei- fache übertrift. Beim Erkunden der Stadt merkt man: Hier passiert viel. Baustellen an allen Ecken, aber reizvoll Häuser schiessen wie Pilze aus dem Boden. Überwiegend sind es Hotels und Gasthäuser. Man rüstet sich fr die jährlich wachsende von Antonia Brand Anzahl Feriengäste. EasyJet hat mit seinem Direktflug Basel–Keflavík dem Islandtouris- ach Island reisen die meisten turschock bleibt aber vorerst aus. Das mus aus der Schweiz und dem Dreiländer- mit grossen Erwartungen. Die Nachtleben ist ein bisschen wie in der eck Tür und Tor geöfnet. Dass die Einheimi- Wörter, die hier in Unterhal- Schweiz. Im Schritttempo fhrt die Jugend schen von dem Touristenstrom nicht tungen mit anderen Touristen ihre Autos aus, hört laut Musik und sam- erdrückt werden, liegt vor allem daran, dass Nbesonders häufig fallen, sind «Challenge», melt Kollegen fr den Ausgang ein. Trotz- sie keine Berührungsängste kennen. «Experience», «Passion» und «Change». Ob dem schafen es die Isländer, dabei wenig Ein Lokal, in dem nur Fremde oder nur es nun darum geht, ihre ganz eigene Grenz- proletenhaft, aber umso sympathischer zu Reykjavíker verkehren, finde ich nicht. Vie- erfahrung zu machen, sich erden zu wollen, bleiben. Freitag und Samstag wird die sonst le kommen am Wochenende auch in die ihr Kleinkunstprojekt voranzutreiben oder geltende Polizeistunde von 1 Uhr exzessiv Bars der Jugendherbergen und mischen ihre Mitte wieder besser zu spüren, fast alle weggefeiert. sich unter das reisende Volk. Nicht einmal sind auf persönlicher Mission hier – und sie nehmen sich die Mühe, den Invasoren versprechen sich viel aus der Mischung Auf ausgetretenen Pfaden auf Zeit auszuweichen. Im Gegenteil. von isländischer Entschleunigung und Wer ein Weilchen sucht, der findet am Der Besucher fhlt sich überall willkom- dem ausgeflippten Nachtleben. Laugavegur neben den ofensichtlichen men und integriert. Denn die Isländer wis- Tatsächlich – am Wochenende lebt die Touristenfallen auch interessante Läden sen, im Winter werden sie die Stadt sowieso Stadt. Entlang des Laugavegur reihen sich und heimelige Cafés. So zum Beispiel das wieder fast fr sich alleine haben. × Bars, Restaurants und Läden aneinander. «Bókin», einen chaotischen Bücher- und Hippe Isländer vermischen sich mit Hips- Plattenladen, der sich ein wenig wie ein Mehr Bilder, Tipps und Links online: ter- und Trekkingtouristen, der grosse Kul- Paralleluniversum anfhlt. Beim Stöbern tageswoche.ch/+cv5nj

Ausschwärmen Sieht aus wie ein Café, hat aber die Karte einer Bierstube: das «Stofan». Auf einer «Haunted Tour» durch die Stadt, die über die nach wie vor dort lebenden Geister aufklärt.

Einkehren Im «Volcano House», dem wohl romantischsten Fish-and-Chips- Restaurant der Welt. Tryggvagata 11.

Einkaufen Im «Bókin», einem Bücher- und Plattenladen wie ein Paralleluniver- sum. Hier findet nicht der Käufer das Buch, sondern das Buch ihn. Klap- parstígur 25–27.

Einschenken Süssigkeiten und Gammelhai runter- spülen im «Tíu Dropar». Laugavegi 27.

Mehr Einschenken Im «Kex Hostel», wo nicht nur Reisende was trinken, sondern auch Locals vorbeischauen. Skúlagata 28.

TagesWoche 40/14 46 Zeitmaschine von Hans-Jörg Walter Anfang der Achtzigerjahre tobte der ie Jugendbewegungen kämpf- ten Anfang der Achtzigerjahre Kampf zwischen Jugendbewegung und in den Schweizer Städten mit Besetzungen und Demonstrati- Vater Staat. Mit unerwarteten Folgen. Donen fr Autonome Jugendzentren (AJZ) und die Polizei schützte den Rechtsstaat mit Tränengas und Wasserwerfern vor der befrchteten Revolution. Die samstäglichen Demonstrations- umzüge waren recht spannend und das da- Wie mir die mit verbundene Räuber-und-Poli-Spiel gefiel uns Halbwüchsigen nicht nur aus politischen Gründen. Als wieder einmal eine unbewilligte AJZ-Gedenkdemo angekündigt war, nahm Polizei bei der ich die Kamera meiner Eltern mit und knipste das bunte Treiben der Bewegten und meiner Kumpels. Ein älterer Teilneh- mer forderte mich auf, diese Männer mit Schnäuzen, die in sicherem Abstand dem Berufswahl half Demonstrationszug folgten, unbemerkt zu fotografieren, das seien Zivilpolizisten und somit Feinde. Das tat ich dann ausgiebig, bis der Film fertig war. Die Demo besetzte spontan das Gas- Meine erste Entwicklungsdose. werksareal im St. Johann (heute St.#Jo- hanns-Park). Das Areal wurde aber noch gleichentags geräumt, und ich wurde wie viele andere Demonstranten festgenom- men und zur Kontrolle auf den Lohnhof, das damalige Untersuchungsgefngnis, transportiert. Beim Warten auf die Six- packs (so nannte man die weissen Trans- portautos der Polizei) gelang es mir, den belichteten Film aus der Kamera zu fum- meln und ihn unter einen Stein zu stecken.

Der Fehler des Fotofachgeschäfts Nach der heissen Nacht mit 24 Leuten in einer mittelalterlichen Achterzelle folgte ein amüsantes Verhör. Der Kommissär wollte wissen, wo der Film sei. Ich spielte den Unschuldigen und meinte, ein Polizist mit Schnauz habe ihn mir abgenommen. Dann wurde ich von meinem nicht gerade erfreuten Vater abgeholt. Wir bargen den Kleinbildfilm, und ich brachte ihn in ein Fotofachgeschäft. Als ich ihn später abholen wollte, wurde mir er- klärt, der Film sei beim Entwickeln beschä- digt worden, es würde ihnen sehr leid tun, und ich erhielt fnf Ersatzfilme als Wieder- gutmachung. Das war natürlich ärgerlich, meine El- tern, links, rot und pazifistisch geprägt, konnten das nicht glauben und gingen da- von aus, dass die Sicherheitspolizei die Fo- tos abgefangen hatte. So nicht! Also beglückten sie mich mit der Finanzierung eines eigenen Fotolabors. Das war der Grundstein meiner Karriere, und ich durfte zwanzig Jahre lang Filme selber entwickeln, bis diese alchimistische Tätigkeit von der digitalen Fotografie abge- löst wurde. tageswoche.ch/+ 86hd4 ×

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