Jö Rg WIDMANN
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WIDMANN 180 BEATS PER MINUTE FANTASIE MENDELSSOHN S I N F O N I E 3 SCHOTTISCHE” ” I r IS h C h AM b E r O rC h ES t rA C 945 181 A J ö rg W IDMANN Die vorliegende CD ist die dritte von drei CDs, in denen das Irish Chamber Orchestra und ich die Mendelssohn’schen Symphonien meiner Musik gegenüberstellen wollen. Wie in einem Konzertprogramm ist es unser Wunsch, dass durch die Gegenüberstellung mit den Strukturen und Klängen aus unserer Zeit das Unerhörte, die Dissonanzen, der Farb- und Erfindungsreichtum der herrlichen Mendelssohn-Symphonien noch einmal ganz anders und neu erfahrbar werden. Und natürlich verstehen wir unsere Interpretation der Mendelssohn-Symphonien selbst als ein glühendes Plädoyer für diese genialisch durchglühten und inspirierten symphonischen Landschaften. Es ist eine wahre Freude, sich über Jahre hinweg der spezifischen Mendelssohn‘schen Klangwelt immer wieder auf’s Neue anzunähern. Sie ist so frisch und aktuell wie am ersten Tag. Und nebenbei die beste Orchesterschule – klanglich, ästhetisch, formal. Wir wünschen Ihnen, den Hörern, ebensolche Freude mit den jeweiligen Gegenüberstellungen. Jörg Widmann im März 2016 The present CD is the third of three in which the Irish Chamber Orchestra and I will be placing Mendelsohn’s symphonies alongside my own music. Just like in a concert programme, it is our desire that this juxtaposition with the structures and sounds of our time will allow us to experience these magnificent symphonies by Mendelssohn in a very different way – letting us hear anew what was so remarkable, dissonant, colourful and imaginative about them. And of course, we also see our interpretations of these symphonies as an ardent declaration of our admiration for these brilliantly passionate, inspired symphonic landscapes. It is a true joy to be able to engage with Mendelssohn’s individual sound-world time and again over the years. It remains as fresh and topical as it was on the very first day. And it’s also the best way of training an orchestra – in terms of sound, aesthetics and formal understanding. We hope that you, our listeners, will have just as much joy in these juxtapositions as we do. Jörg Widmann, March 2016 FELIX MENDELSSOHN (1809 –1847) 1 Ouvertüre Die Hebriden (Fingalshöhle) op. 26 9’39 JÖRG WIDMANN (1973*) 2 180 beats per minute für Streichsextett (1993) 5’11 3 Fantasie für Klarinette solo (1993) 7’51 FELIX MENDELSSOHN (1809 – 1847) Symphonie No. 3 a-Moll op. 56 Schottische 4 Andante con moto – Allegro un poco agitato 15’41 5 Vivace non troppo 4’09 6 Adagio 9’22 7 Allegro vivacissimo – Allegro maestoso assai 10’07 Irish Chamber Orchestra JÖRG WIDMANN Barden und Beats: Musik von Mendelssohn und Widmann 1829 unternahm der junge Felix Men- von Sir Walter Scott, Ossian und der delssohn, mit zwanzig Jahren längst »Ancient Poetry«, zu den Original- kein Unbekannter mehr, eine Schott- schauplätzen der sagenhaften Epen land-Reise in Begleitung seines und altschottischen Balladen. Klin - Freundes Karl Klingemann: eine lite- gemann versuchte sich als dichten - rarische Pilgerfahrt auf den Spuren der Reiseleiter: Hohe Berge steigen himmelaufwärts, und die Moore liegen rabenschwarz dazwischen, Felsen, Schluchten, Schlösser, Trümmer reden von uralter Vergangenheit, und sinnverwirrend umrauscht es die Neuen, die davon träumen, ohne es zu verstehn. Doch lebte, wie Klingemann fortfährt, einer flüchtigen Begegnung mit dem great wizard of the North. Und trotz- ein Weiser, der Rätsel kundig ist, dem ging diese Reise, mittelbar zu - und der alles Alte neu ans Licht bringt. mindest, in die Musikgeschichte ein, da zwei Kompositionen Felix Men - Mit dieser betont geheimnisvollen Um- delssohns hier ihren Anfang nah - schreibung war natürlich niemand men, im Sinne einer Initialzündung: anderes als Sir Walter Scott gemeint, die Schottische Symphonie und die der damals vielgelesene und -be - Hebriden-Ouvertüre, musikalische wunderte Autor historischer, aus der Reisen ins Innere, ins kollektive Unbe - jüngeren schottischen Geschichte wusste, in die uralte Zeit der Roman- bis ins Mittelalter ausgreifender Ro - tik, für die das Schottland der Dichter mane, deren unwiderstehliche Mi - die ideale Szenerie bot. schung aus Abenteuer, Zeitkolorit, schwungvoller Erzählkunst und peni- Von gräßlichster Seekrankheit gepei- bler Chronistentreue die Zeitgenos - nigt, erreichte Felix Mendelssohn am sen verzückte. Auch Mendelssohn 7. August 1829 auf einem Dampf - und Klingemann, die old Sir Walter schiff die sagenumwobene, vor der auf Schloss Abbotsford besuchten. schottischen Westküste gelegene In- Allerdings war der Hausherr gerade sel Staffa, die zu der Gruppe der In - im Aufbruch begriffen – es blieb bei neren Hebriden gehört und vor allem durch die Fingalshöhle (Fingal’s Ca - – und es schließt sich eine Skizze von ve), eine von sechseckigen Basalt - 21 Takten an (sogar mit Hinweisen auf säulen umstandene Grotte, Berühmt- die Instrumentation), die dem An - heit erlangte. Klingemann schickte fang der wesentlich später erst be - einen ausführlichen Reisebrief an die endeten Hebriden-Ouvertüre op. 26 Familie des Komponisten: Je tiefer schon sehr nahekommt. das Barometer fiel, desto höher stieg die See. Die reckte ihre tausend Fühl- Mendelssohns Konzertouvertüre ver- fäden immer ungeschlachter und rät im Titel ihren zugleich landschaft- quirlte immer mehr. [...] Die Ladies fie- lichen und literarischen Ursprung. len um wie die Fliegen, und ein und Das bereits im ersten Takt exponierte der andere Gentleman tat’s ihnen Grundmotiv, das die gesamte Hebri- nach; ich wollte, mein Reisepechbru- den-Partitur variantenreich durch- der Felix wäre nicht unter ihnen ge - zieht, vergegenwärtigt die Bewe - wesen, aber er verträgt sich mit dem gung des ewig wogenden, grauen, Meere besser als Künstler, denn als unwirtlichen und einsamen Meeres. Mensch, oder als Magen. [...] Staf - Unverkennbar für den Hörer ist auch fa, mit seinen närrischen Basaltpfei- der Topos der Sturmmusik, den Men- lern und Höhlen, steht in allen Bilder- delssohn am Schluss der Durchfüh - büchern; wir wurden in Böten ausge- rung eindrucksvoll in Szene setzt: setzt und kletterten am zischenden Das nordische Meer ist kein fried - Meere auf den Pfeilerstümpfen zur liches Gewässer, der geplagte Kom - sattsam berühmten Fingalshöhle. Ein ponist wusste das nur allzu gut. Der grüneres Wellengetose schlug aller- Alternativtitel der Ouvertüre lautet dings nie in einer seltsameren Höhle Die Fingals-Höhle, ein Name, der li- – mit seinen vielen Pfeilern dem In - terarische Assoziationen weckt und nern einer ungeheuren Orgel zu ver - wecken soll. Fingal (auch Fionn oder gleichen, schwarz, schallend und Fionnghal), nach dem die Grotte ganz, ganz zwecklos für sich allein auf der Hebrideninsel Staffa benannt daliegend – das weite graue Meer ist, war nach irischer und schottischer darin und davor. Mendelssohn hat- Überlieferung der Anführer einer Krie - te nicht versäumt, unmittelbar vor gerschar aus dem 3. Jahrhundert. diesem meerumtosten Ausflug einen Aber Mendelssohn, Klingemann und Gruß an seinen Vater zu schreiben: ihre Zeitgenossen dachten bei »Fin - Um zu verdeutlichen, wie seltsam mir gal« nicht an die historische Ge - auf den Hebriden zu Muthe gewor- stalt, sondern an das gleichnamige den ist, fiel mir eben folgendes bey epische Gedicht des blinden Sän - gers Ossian. Dieser Homer des det haben. Der Kapelle daneben Nordens, ein keltischer Barde und fehlt nun das Dach, Gras und Epheu Sohn des Fingal, repräsentierte wie wachsen viel darin, und am zerbro - kein Zweiter die graue Vorzeit sa - chenen Altar wurde Maria zur Köni - genhafter Helden, die versunkene gin von Schottland gekrönt. Es ist da Welt der edlen Wilden, Mythen Alles zerbrochen, morsch und der von ungezähmter Natur und rauher heitere Himmel scheint hinein. Ich Menschlichkeit. An der Echtheit und glaube, ich habe heut da den An - Ursprünglichkeit der ab 1760 pub- fang meiner Schottischen Sympho- lizierten Poems of Ossian kamen nie gefunden. Stünden diese Zeilen frühzeitig Zweifel auf, da der Ver - in einer aus dem Abstand der Jahre dacht bestand, die uralten, aus dem verfassten Autobiographie, man wä- Gälischen übertragenen Epen und re geneigt, sie für eine Legende zu Lieder könnten in Wahrheit ganz halten. So aber, als ein unmittelbares oder teilweise das Werk ihres ver - Zeugnis, ist die Schilderung nicht von meintlichen Entdeckers und Über- der Hand zu weisen, zumal Mendels- setzers sein, des verarmten schot - sohn noch am selben Tag tatsächlich tischen Hauslehrers James Macpher- einen 16-taktigen, mit Andante be- son, im Klartext: ein effektvoller zeichneten Entwurf notierte, der eine Schwindel. Wie auch immer – zu den Vorform darstellt zur langsamen Ein - glühenden Ossian-Verehrern zählte leitung der a-Moll-Symphonie op. 56. auch Goethes Werther, der wie be- sinnungslos in den schaurig-schö - Aber den in der Korrespondenz als nen Bildern einer imaginären schot - Arbeitstitel verwendeten Beinamen tischen Seelenlandschaft schwelgte. Schottische mochte Mendelssohn der Öffentlichkeit nicht preisgeben. Am 30. Juli 1829 berichtete Mendels- In der Erstausgabe der Partitur er - sohn seiner Familie aus Edinburgh: In klärte der Komponist: Für die Hörer der tiefen Dämmerung gingen wir kann der Inhalt der einzelnen Sätze heut nach dem Palaste, wo Königin auf dem Programm des Concertes Maria gelebt und geliebt hat; es ist angegeben werden wie folgt: Intro - da ein kleines Zimmer zu sehen, mit duction und Allegro agitato. – Scher- einer Wendeltreppe an der Thür; da zo assai vivace. – Adagio canta - stiegen sie hinauf