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o arbeitshilfe schriftverwendung 5.0 aKtuelle informationen rund um das Thema Schriften, Fonts und Typografie ooo j X seite 1 139 kapitel 1.0 2.0X 3.0X 4.0 o5.0 6.0 X 7.0 8.0 9.0 10 11 12 13 14  inhalt

Inhalt 02 Einleitung 03 Kapitel 1 Schriftentwicklung: Von Gutenbergs Bleiletter zum digitalen Font 05 Kapitel 2 Technics: Alles ist unterschiedlich (Typo und Betriebssysteme) 11 Kapitel 3 Juristisches: Was darf man mit Fonts? 19 Kapitel 4 Statements Fonts & Schrift-Lizenzen 27 Kapitel 5 OpenType: Anwender-Reife (fast) gelungen 32 Kapitel 6 Schriften im Internet 40 Kapitel 7 Schriftverwaltung 46 Kapitel 8 Hersteller 54 Kapitel 9 Internationalisierung 66 Kapitel 10 Geschichte der Typografie 75 Kapitel 11 Schriftklassifikation 84 Kapitel 12 Schriften und Crossmedia-Publishing 97 Kapitel 13 Typografie und Farben 110 Kapitel 14 Pflicht oder Kür? Typo-Regeln 123 Kooperationspartner 138 Impressum 139

seite 2 139 kapitel 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0 6.0 7.0 8.0 9.0 10 11 12 13 14 Arbeitshilfe Schriftverwendung | Einleitung  einleitung Das Handling digitaler Schriftfonts gestaltet sich angesichts neuer Publikationsmöglichkeiten zunhe- mend komplizierter.

Das Arbeiten mit digitalen Schriftfonts nimmt systemsschriften sind Zeichensätze, die auf 16 Bit immer vielschichtere Ausmaße an. Beherrschte und dem Standard Unicode basieren, mittlerweile die Druckvorstufe vor fünfzehn Jahren gerade mal nicht mehr Ausnahme, sondern die Regel. Hinzu die einigermaßen sichere Ausgabe von PostScript- kommen die neuen Entwicklungen im Internet: Schriften, führt das multimediale Produzieren in Sachen kommunikative Beteiligung (Stichwort: heutiger Tage zu neuen Problem-Konstellationen. Web 2.0), typografisch und nicht zuletzt auch bei Agenturen müssen Projekte nicht nur "zielsicher" der Distribution und Vermarktung digitaler Schrif- zur Druck-Reife führen, sondern zunehmend auch ten selbst. Auch juristisch werfen die neuen Formen multimedial aufbereiten: PDF-Ansichtsdaten für des Online-Publishings neue Fragen auf. Kunden, Inhalte, die ins Web gestellt oder auf einem Fragen zu unterschiedlichen Lizenzaspekten waren Datenträger wie CD oder DVD publiziert werden, ein wesentlicher Anstossgeber für die vorliegen- sind im Publishing mittlerweile normaler Alltag. de "Arbeitshilfe Schriftverwendung". Fragen: Was Die aktuellen Produktionsweisen werfen eine Reihe dürfen Sie als Productioner, Grafiker – schlichtweg von Fragen auf. Veränderungen gibt es auch bei als Anwender oder Anwenderin – mit lizenzierten den Schriften selbst. Neue (und interessante) Fonts Schriftfonts konkret anfangen? Ein kritischer Blick erscheinen fast im Monats-Turnus. Stilistisch hat auf die Lizenzbestimmungen, welche die Schrift- sich der Trend zur kompakten, großangelegten Anwendung konkret regeln, ist dabei ebenso von- Lösung verstärkt: Weitverzweigte Schriftsippschaf- nöten wie eine thematische Aufbereitung alter und ten wie etwa die Rotis oder die Thesis sind immer neuer Praxis-Unklarheiten. Beispiele: Font-Mit- stärker im Kommen. Im Mittelpunkt der Diskussi- gabe bei Ausbelichtungen oder Font-Embedding on steht aktuell jedoch vor allem das Format Open- in PDFs. Den – teilweise widersprüchlichen und Type. Ein neuer Standard? Auch bei den Betriebs- uneinheitlichen – Lizenz-Auslegungen geschuldet:

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Ein juristischer Ratgeber kann diese Arbeitshilfe nicht sein. Eher schon eine Landkarte, die Ihnen als Anwender nach bestem Gewissen Auskunft gibt über die im Umgang mit Fonts zu beachtenden "Hot Spots": wo es möglich ist, mit konkreten Hin- weisen, wie diverse Stolpersteine zu umgehen oder zu vermeiden sind.

Ziel dieser professionellen Online-Hilfe sollte nicht nur ein juristisch unbeschwerterer und technisch versierterer Umgang mit digitalen Schriften sein, sondern auch ein kreativer freier Kopf – nicht zuletzt auch für eine ästhetisch kompetente und zum jeweiligen Job passende Schrift-Auswahl. Günter Schuler

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Die Feststellung, dass sich Berufsfelder verändern, gelehrt. Basiswissen und Fortgeschrittenen-Kennt- ist angesichts der rasant fortschreitenden Verän- nisse sind seit Mitte der Achtziger, dem Beginn der derung in der Druckindustrie fast eine Untertrei- sogenannten "DTP-Revolution", laufenden Verän- bung. Schriftsetzer heißen heute genreübergreiend derungen ausgesetzt. Ein Ende der Entwicklung ist Mediengestalter; statt solidem Handwerk in Blei nicht abzusehen; das neue Branchen-Schlagwort heisst die Herausforderung der Zukunft multi- lautet: multimediales Publizieren. Fünfzehn Jahre mediales Gestalten. Wie sich die stattfindenden nach der Etablierung von DTP hat das Internet, Veränderungen auf die Handhabung von Schriften selbst eine Erfindung der Neunziger, bereits neue niedergeschlagen haben, untersucht der folgende Verwendungsfelder geschaffen für die Anwendung Beitrag. von Schriften. Parallel dazu verändert sich auch das technische Handling von Schriftfonts. Zu den klas- "Digital in motion" - Satz-Branche in sischen Formaten PostScript und TrueType-Font Veränderung sowie den systembedingten Inkompatibilitäten ist Schon traditionell ist die Typografie ein Zwitterge- mittlerweile ein neues Format gestoßen – Open- schöpf: ein Drittel solides Schriftsatz-Handwerk, Type. OpenType-Schriften versprechen eine ein- ein Drittel Computertechnik und ein Drittel krea- fachere, kompakte Handhabung auf unterschiedli- tive Grafik. Das Basiswissen gehört zum traditio- chen Betriebssystemen und bei unterschiedlichen nellen Ausbildungskanon in Druck und Druckvor- Sprachausstattungen. Zudem bringen sie ein weite- stufe, weiterführende wissenschaftliche Grundla- res Thema (wieder) in die Diskussion: edeltypogra- gen, Historie sowie grafikdesignerische Kenntnisse fische Finessen. werden an Fachhochschulen und Kunstakademien

Alte Tradition digital dargestellt: Die Bleisatzkasten-Szene wurde im 3D-Erstellungsprogramm Cinema 4D der Firma Maxon komponiert. Die Spot-Bewegungsunschärfe steu- erte Photoshop bei.

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"Digital in motion" – wie es ein Sammelband zur Satzbranche sowie den "Umgang mit Schrift" hat- typografischen Entwicklung auf den Punkt zu ten sie indes ebenso. bringen versuchte? Betrachtet man die technische Entwicklung des Genres Schriftsatzes von der Gutenbergs Vermächtnis: "Altlast" Bleisatz grossen historischen Warte aus, relativieren sich Bereits die grundlegende Innovation – die legen- die gegenwärtigen Veränderungen. Innovationen däre Erfindung der beweglichen Bleiletter durch verschiedenster Natur waren schon seit jeher der Gutenberg – wirkt sich mehr auf die Alltagsarbeit Treibstoff der Fortentwicklung. Die zunehmend in QuarkXpress und InDesign aus, als mancher digitalisierten Arbeitsabläufe, beginnend mit der Anwender annimmt. Adobe Garamond, Helvetica DTP-Revolution und weitergeführt im World oder auch digitale Fraktur-Exponate basieren auf Wide Web, werden vielerorts verglichen mit der Schriftmodellen, die ursprünglich für das Gies- Innovation des legendären Meisters aus Mainz: sen in Blei erstellt wurden. Das Vervielfältigen Johannes Gutenberg. Was Tiefe und Konsequen- von Dokumenten, Texten und Schriften, wie wir zen der stattfindenden Veränderungen angeht, mag es heute kennen, wäre ohne die Basis-Innovation diese Wertung stimmen. Sieht man sich die tech- Gutenbergs – die Erfindung beweglicher Bleilet- nologische Entwicklung im Schriftsatz seit 1450 tern – gar nicht denkbar. allerdings genauer an, ändert sich das Bild. Ent- Vom Bleisatz zum Beimaschinensatz zum Fotosatz wicklungsschübe, Erfindungen und Verbesserungen zum Computersatz. In Blei gegossene Schrift- fanden eher stetig statt als abrupt. Für die techno- Typen, teilweise noch in traditioneller Fraktur, logische Entwicklung der Satz-Branche sind dar- teilweise bereits in "moderner" Antiqua, standen über hinaus nicht zwei Schübe relevant (Erfindung am Anfang dieser Entwicklung. Konsequenz dieser des beweglichen Drucks 1450 und Digitalisierung um das Jahr 1450 stattfindenden Revolution: die der Arbeitsabläufe ab 1985), sondern vier. Zwar bis dato üblichen handschriftlichen Vervielfälti- kann man die dazwischenliegenden Erfindungen gungsverfahren werden obsolet; für die Geschichte Bleisatzmaschine und Fotosatz als Zwitter abtun; der modernen Medien ist die Neuzeit eingeläutet. wesentliche Veränderungen auf die Struktur der Zwei technische Einzelinnovationen markieren gut

Der Schriftschöpfer Giambattista Bodo- ni (1740–1813) spielt mit diversen Bodoni-Versionen auch im digitalen Publishing noch eine Rolle.

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400 Jahre später den Übergang vom Handwerk Die Ära der schweren Satzcomputer: Fotosatz zur Industrie. Erfindung Nummer eins ist die Stärker als Bleisatzmaschinen, die zunächst vor Satzmaschine. 1885 meldet Tolbert Lanston seine allem Umstellungen in Grossbetrieben zur Folge "Monotype"-Satzmaschine als Patent an; ein Jahr haben, rüttelt der Fotosatz an den Arbeitsbedin- später folgt Otmar Mergenthaler mit seiner "Lino- gungen in der Druckindustrie. Im Gegensatz zu type". Lanstons Einzelbuchstaben-Satzmaschine den Gerätschaften Marke Monotype und Linotype, und Mergenthalers Zeilensatzgerät revolutionieren die lediglich den alten Bleisatz effizienter gestal- vor allem den Mengensatz: die Anordnung der ten, führt die ab 1945 in Europa aufkommende Blei-Typen in die Druck-Vorlage kann nunmehr Fotosatz-Technik auch physisch neue Satzverfah- maschinell gesteuert werden; die Maschine giesst ren ein: Als Innovation erweist sich vor allem die und setzt Zeichen oder Zeilen, die nach dem fotomechanische Übertragung, die aus der Foto- Druckprozess eingeschmolzen und rezykelt wer- technik übernommen wurde. Modifiziert und auf den können. Dem Satzgerät des 20. Jahrhunderts den Stand der Zeit gebracht ist sie bis heute Basis richtig auf die Sprünge hilft dann allerdings ein von Ausbelichtungen geblieben. Allerdings funk- Instrument, welches aus der allgemeinen Bürokom- tionieren die Fotosatzgeräte der ersten Generation munikation kommt und diese verändert wie kaum allenfalls "halbdigital". Die Computertechnik steckt ein anderes. Die Schreibmaschine, ebenfalls eine noch in den Kinderschuhen. Neben- und nach- Erfindung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, stan- einander kommen in der Fotosatz-Ära zwischen dardisiert auch die Texteingabe: über eine festlie- 1960 und 1990 drei alternierende Techniken und gende Tasten-Anordnung. Von der Schreibmaschi- Maschinentypen zum Zug. Typ Nummer eins, das ne abgeleitete Tastaturen spielen auch bei den bei- sogenannte Titelsatzgerät, funktioniert noch rein den folgenden Innovations-Schüben eine tragende fotomechanisch auf der Basis von Schrift-Scha- Rolle: dem Fotosatz und der digitalen Produktion blonen. Folgerichtig finden die Geräte der ersten auf Desktop-Computern. Generation ihre Domäne vor allem im grafisch orientierten Headline-Satz. Die Geräte der zwei- ten und dritten Generation arbeiten bereits auf der

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Basis lasergesteuerter Lichtstrahlen. Fotosatzgeräte der Geräte-Herstellerfirma für das entsprechende und Fotosatzmaschinen übertragen Schriftträger Gerät lizenziert/gekauft. per Kathodenstrahlröhre. Letztere basieren schon Ab Mitte der Achtziger Jahre wirft das Aufkom- auf digitalen Daten und lösen ab Anfang der Sieb- men des Desktop Publishing diese herstellerabhän- ziger den letzten "grossen, vor DTP" stattfindenden gige Produktionsweise in fast jeder Beziehung über Strukturwandel in der Druckindustrie aus. Die den Haufen. Auch für den Umgang mit Schriften Fotosatzgeräte von Linotype, Scangraphic sowie der hatte die DTP-Revolution nachhaltige Konse- von Blei- auf Fotosatz-Hard- & Software umge- quenzen: Kostete ein Fotosatz-Schriftschnitt noch stellten Traditionsfirma Berthold verwenden Dis- mehrere hundert Mark, sorgte die mit DTP einset- ketten als Datenträger und werden über eine erwei- zende Schrift-Inflation nicht nur für einen bis dato terte Schreibmaschinen-Tastatur gesteuert – wobei unbekannten Preisverfall, sondern auch für eine bis Formatierung und Layout über codierte Satzbefehle dahin unbekannte Freiheit beim Einsetzen digitaler zugewiesen werden. Schriften. Grundlage für Satz unter Apples Mac Auch physisch macht sich die Umstellung bemerk- OS sowie dem in der PC-Welt verwandten, MS bar. Die Technologie ändert sich grundlegend. DOS-basierenden Windows wurden frei instal- Gehörten zur Bleisatzära oppulent ausgestatte- lierbare, kleine Software-Applikationen: sogenann- te sowie in Punktgrössen, Figuren und Schrift- te Fonts – kleine Koffer-Dateien, die, entweder schnitte vorsortierte Materialkästen, funktionierten gesplittet wie beim PostScript-Format oder "all in die Fotosatzgeräte "der zweiten Generation" mit one" wie beim Konkurrenzformat TrueType, Datei- Schriftscheiben, welche an die Software der jeweili- en enthielten mit allen nötigen Schrift-Parametern: gen Geräte angekoppelt waren und nur zusammen für die Monitor-Darstellung ebenso wie für die mit diesen funktionierten. Beide – die Software hochauflösende Ausgabe. zum Betreiben der jeweiligen Geräte sowie die zu lizenzierenden Schriften – sind noch exklusiv. Die Software ist in die Satz-Computer ein-implemen- tiert, die zu verwendenden Schriften werden von

Bleisatzschriften, Fotosatz-Portie- rungen & PostScript-Neuschöp- fungen: Noch immer basiert die überwiegende Mehrzahl von Schrift- Typen auf klassischen Vorlagen. Bodoni-Varianten: (Linotype) Bodo- ni, Bauer Bodoni, Berthold Bodoni, Bodoni Classico (Linotype Library), URW Bodoni und ITC Bodoni 6.

Ausgreifende Bleisatzkästen statt Rechner und mehr Fabrik als Büro: Setzerei Klingspor in Offenbach/Main.

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Desktop Publishing & Neue Medien: Zwar sind seit der Einführung von PostScript- Alles wird variabel Ausgabegeräten die grundlegenden Rahmenbedin- Eine weitere Veränderung wird – je nach Stand- gungen unverändert. Die Hinterlassenschaft der punkt – begrüsst oder kritisiert: DTP brachte eine DTP-Pionierära – unterschiedliche Font-Formate, wahre Schrift-Flut mit sich. Für Satzbetriebe heute abweichende Zeichenbelegungen auf unterschied- ist es hinsichtlich der Funktionsfähigkeit völlig lichen Betriebssystemen, typografisch uneinheit- unrelevant, ob die verwendete Times vom Traditi- liche Benennungs-Konventionen, Handhabung onshersteller Linotype kommt oder etwa vom kon- zusätzlicher Schrift-Versionen mit ergänzenden kurrierenden Anbieter URW++. Einsetzen lassen Zeichensets – sorgen jedoch nach wie vor für Trou- sich beide. Als Standard für die Ausgabe durch- ble. Sie werden im folgenden Beitrag eingehen- gesetzt hat sich lediglich die von Adobe 1987 auf der behandelt. Ein weiterer Beitrag ("OpenType: den Markt gebrachte Seitenbeschreibungssprache Anwender-Reife (fast) gelungen") widmet sich der PostScript. Die jedoch funktioniert applikationsu- zunehmenden Aktualität des systemübergreifenden nabhängig und ist – zumindest grundsätzlich – in OpenType-Formats. Über die systemübergreifen- der Lage, auch Schrift-Beschreibungen im Konkur- de Verwendbarkeit hinaus offeriert der Format- renzformat TrueType codetechnisch zu integrieren Newcomer jedoch weitere Vorteile. Am Horizont und auszugeben. Die Schrift-Vielfalt brachte jedoch auf schimmert ein verbesserter Umgang mit dem auch Probleme mit sich. Vor allem ästhetisch: Faktor Typografie. Womit sich der Kreis schließt Schrift ist nicht gleich Schrift. Neben x-Versionen und das DTP einer alten Kritik – nunmehr auf eingeführter Bleisatz-Klassiker, tummeln sich unter technisch modernster Stufe – gerecht würde. anderem Namen daherkommende Plagiate sowie Zu den "traditionellen" Herausforderungen im als Shareware vertriebene Amateur-Schriften auf Publishing sind mittlerweile neue getreten. Seit- dem Markt. dem Daten nicht mehr exklusiv für ein Medium Zurechtkommen müssen PublisherInnen heutiger aufbereitet werden, sondern als Basis-Vorlage für Tage jedoch nicht nur mit einer kaum noch zu verschiedene Plattformen dienen sollen, wird auch bewältigenden Vielfalt an verfügbaren Schriftfonts. der Begriff "Crossover-Publishing" immer kon-

Eindeutig „Büro“ vermittelt der im DTP oft verwandte Power-Macintosh der ersten Generation.

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kreter: Gemeint ist damit die Herausforderung, Basis sind ein weiterer Sonderfall. Technologisch Inhalte sowohl für Print als auch fürs Web oder sind sie nahe Verwandte des OpenType-Formats; Multimedia-Datenträger aufbereiten. Tangiert wer- anwendungstechnisch sind sie ebenso Sonderfälle den vom medienübergreifenden Publizieren jedoch wie die alten Systemschriften älterer Mac Os- und auch lizenzrechtliche Bestimmungen, deren Konse- Windows-Versionen. Mehr zu diesem Typus erfah- quenzen so vor Jahren noch nicht absehbar waren ren Sie in den beiden Kapiteln über OpenType und (siehe auch Beitrag 3: "Juristisches: Was darf man Schriften im Internet. mit Fonts?"). Tradition und Veränderung – zwischen diesen bei- Eine zunehmende Bedeutung gewonnen hat auch den Polen spielen sich auch die ästhetischen Trends der rein "online" stattfindende Kontakt zwischen im Schriftmetier ab. Vom Blei zur fotomechanisch Schrift-Hersteller und Schrift-Anwender. Der Ver- projozierten Schablone zum digital verarbeiteten trieb hochqualitativer Schriften über das World Datenträger: Obwohl die Schrift-Hersteller mit Wide Web – vor Jahren von den grossen Schrift- durchaus aufsehenerregendem Neuem aufwarten, Herstellern noch eher reserviert eingeschätzt – hat die überwiegende Mehrzahl der in Verlagen, ist mittlerweile selbstverständlich geworden. Per Druckvorstufenbetrieben und von Freischaffenden bequemem Klick im Internet-Browser bezahlen eingesetzten Schriften bereits zu Bleisatzzeiten ihre und zuschicken lassen sich jedoch nicht nur "her- Dienste getan – insbesondere diejenigen Klassiker, kömmliche" Fonts. Zwei Außenseiter-Formate die noch immer die Mehrzahl der Publikationen sind im professionellen Troubleshooting ebenfalls bestimmen. Typisch für das Metier Schriftsatz zu handlen: Multiple Master-Fonts und System- dürfte so die Geschichte der für ihre Schriften schriften. Adobes Multiple Master-Format kann nahezu als legendär geltenden Berthold AG aus man mittlerweile als Auslaufmodell betrachten. Die Berlin sein. Ehemals führend in der Entwicklung usergenerierbaren Schriftfont-Ableger gewannen neuer Bleisatz-Vorlagen, stellte Berthold schon nie breite Akzeptanz. Folgerichtig ist die Multiple frühzeitig auf Fotosatzgeräte und -schriften um. Master-Technologie aus der Diskussion weitge- Die Firma ging bekanntlich in Konkurs. Digitale hend verschwunden. Systemschriften auf 16 Bit- Neuauflagen von Bleisatz-Schriften hingegen erle-

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ben in der gegenwärtigen Typografie nachgerade einen zweiten Frühling. Fazit: Die technologischen Veränderungen in der Satzbranche mögen immens sein, beeindruckend, revolutionär oder was auch immer man für Adjektive vergeben möchte. Bei aller Innovation erweisen sich jedoch bestimmte Entwicklungen nachgerade als zeitlos. Auch wenn sie – wie aktuell etwa edeltypografische Funktionen in OpenType-Schriften – in neuem technologi- schen Gewand wiederkehren.

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Betriebsysteme, Formate, Schrift-Versionen, Frage? Adobe Garamond? ITC Garamond? Gara- Schrift-Verwaltung: Angesichts diverser Unter- mond Nummer drei oder sechs, Stempel Gara- schiedlichkeiten ist es bei der Handhabung digitaler mond, Sabon, Sabon Next? Das Außenseitermodell Fonts oft schwer, noch den Überblick zu behalten. Simoncini Garamond? Oder der besonders "oldsty- Zu den technischen Unterschiedlichkeiten gesellen lig" wirkende Geheimtipp Garamont Amsterdam? sich die typografisch bedingten: Schrift-Versionen, In die weitere Auswahl kämen schließlich noch Benennungen, Qaulitäts- und Preisgefälle. Der Granjon oder Plantin – zwei Schriften, die durch- Beitrag thematisiert die wichtigsten und zeigt – wo aus als Garamond-Varianten konzipiert waren. möglich – Lösungen auf. Unterschiedlichkeit Nummer eins also: Welche Das Problem kann bereits bei der Wahl der Grund- Version von welchem Hersteller? Dies kann nicht schrift zu Tage treten. Beispiel: Beim Festlegen nur anschaffungstechnisch, sondern unter Umstän- der Grundschrift für eine Buch-Neuauflage soll den auch lizenzrechtlich zum Problem werden – bei die spezifische Garamond-Version der noch aus der Ausbelichtung nämlich, wie in Beitrag 3 näher Bleisatz-Zeiten stammenden Vor-Auflage über- beschrieben wird. Nicht um "Originale", sondern nommen werden. Zunächst einmal erfordert die um "Nachschnitte" handelt es sich in der Regel bei Identifikation der Manuskript-Version bereits ein allen. Ob ambitioniert-gelungen für die digitale überdurchschnittliches typografisches Gespür. Falls Medienproduktion adaptiert wie die Adobe Gara- die Originalschrift ausfindig gemacht werden kann, mond oder Bleisatz-werkgetreu wie die Stempel- geht die Suche erst richtig los: nach der geeigneten Variante – beide Varianten liegen als niedlicher Version für den Neusatz. In Sachen unterschiedli- Zeichensatzkoffer in den dafür vorgesehenen Fest- cher Versionen nämlich ist der Renaissanceantiqua- platten-Ordern und Schriftverzeichnissen. Aller- Klassiker bis heute ungeschlagen. Was käme in dings: Nicht nur die "Firmenbezeichnung" – auch

Technics, Typografisches & Hersteller-Bedingtes: Productioner müssen diverse Font-Unterschiedlichkeiten in den Griff kriegen.

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die Schrift-Ausstattungen weisen markante Unter- wichtigsten Punkte: schiedlichkeiten auf. Dies betrifft auch die Stan- dardwahl "Garamond": Die ITC-Variante offeriert Italic oder Oblique? Namens- und Firmen- zwar mehr Schnitte. Allerdings fehlen hier die im bezeichnungs-Konventionen High End-Schriftsatz begehrten Kapitälchen- und Originalschnitte versus Nachschnitte. Obwohl Expert-Zeichen. Mit diesen punkten kann wieder- sämtliche digitalen Schriften streng genommen um die Adobe-Variante; dafür fällt hier die Schnitt- Nachschnitte sind, gelten Markenführer wie die Anzahl recht karg aus. Für mehrsprachigen Satz Neuschöpfung Adobe Garamond sowie die Werks- ist zusätzlich der Internationalisierungsgrad einer Neubearbeitung Stempel Garamond gleichermas- Schrift relevant: Osteuropäische Alphabete warten sen als Originale. Um qualitativ oft fragwürdige mit zahlreichen Akzent-Zeichen auf, kyrillische Plagiate handelt es sich hingegen bei Low-Budget- und griechische Schriften mit komplett ande- Bibliotheken, die Originalfonts – oft unter anderem ren Buchstaben. Konsequenz: Bei mehrsprachigen Namen – unters Volk bringen. Abgesehen von der Satzprojekten sollte man sich nach entsprechend Umgehung urheberrechtlicher Fragen: Was die oft ausgestatteten Schriften umsehen. Am kompak- aufwändige technische Bearbeitung hochwertiger testen funktionieren in dieser Hinsicht nicht her- Schriften angeht, müssen Dumping-Anbieter hier kömmliche PostScript- oder TrueType-Schriften, schon aufgrund der knappen Gewinn-Margen pas- sondern OpenType-Fonts. Da die Mehrzahl aller sen. Fonts aktuell in allen drei Formaten zu haben ist, Einzelfamilien versus Schriftsippen. Die meisten ein weiterer Punkt somit auf der Unterschiedlich- Schriften – auch Textschriften – kommen als Ein- keits-Liste. Ebenso: das Betriebssystem, auf dem zelfamilien. Das heißt: eine Gill Sans oder Bembo der Font eingesetzt werden soll. hat eine bestimmte einheitliche Ausprägung als Fazit: User haben beim Umgang mit digitalen Serifen- oder Nicht-Serifenschrift. Seit den Neun- Schriften eine Menge herstellerspezifischer, ben- zigern liegen mehr oder weniger umfassend aus- nungstechnischer und formattechnischer Konven- gebaute Schrift-Sippschaften zunehmend jedoch tionen im Auge zu behalten. Im folgenden die mehr und mehr im Trend. Hierbei handelt es sich

Übersicht: die im Beitrag aufgeführten Unterschiedlichkeiten als Tabelle.

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um Schriften, die gleich in mehreren Schriftgrup- erwerben sind für die begehrten Kapitälchen- und pen zuhause sind und sowohl - als auch Sans Mediaevalziffern-Zusatzzeichen – oder ob diese in Serif-Versionen aufweisen. Da das Konzept erfolg- den entsprechenden OpenType-Schriftversionen reich ist, bekommen in letzter Zeit auch "norma- enthalten sind. Als Zurichtungs-Konvention auf- le" Schriftfamilien Sippen-Zuwachs. Beispiele: die geführt werden sollte auch ein weiterer Punkt: Gibt Syntax und die Meta, beide mittlerweile mit Serif- es unterschiedliche Versionen für Text- und Dis- Ablegern versehen. play – mit resultierenden Detail-Unterschieden bei Zurichtung und Ausstattung. Die Benennung der Schriftkerning und Laufweite? Relevant wird diese einzelnen Fettungsgrade ist nicht einheitlich. Neben Frage bei Fonts vom aus der Plotter- und Werbe- Roman existiert die Bezeichnung Regular; einige schriften-Szene kommenden Hersteller URW++. Schriften – wie etwa Neue Helvetica und Univers Ausgangsmass: Didot-Punkt oder Pica-Point? Die – weisen eine geradezu wissenschaftliche Stringenz Ausgangsgrösse bei der Entwicklung von Schrift auf. Dies ist jedoch nicht zwingend: Wie benannt ist durchaus unterschiedlich. Obwohl sich im DTP wird und wie nicht, liegt im freien Ermessen von heutiger Tage allenthalben der geringfügig kleine- Designer und Hersteller. Dasselbe gilt für schmal re Pica-Punkt aus dem angelsächsischen Sprach- und breit gestaltete Varianten (Bezeichnungen in raum durchgesetzt hat; spielt sein Kontrapart aus der Regel: Condensed und Expanded). Kursiv: bei Blei- und Fotosatz-Zeiten, der Didot-Punkt fran- den designerisch kursiv ausgestalteten Antiqua- zösischen Ursprungs, durchaus noch eine Rolle. Schriften hat sich die Bezeichnung Italic als Quali- Deutlich wird der Unterschied beim Vergleich: tätsstandard eingebürgert; Oblique hingegen deutet etwa einer 9-Punkt-Fotosatz-Times mit ihrem auf eine rein elektronisch vorgenommene Schräg- DTP-Äquivalent. Nicht ohne Bedeutung ist jedoch stellung hin. Da diese unter Typografen allgemein auch die designerisch gewollte Schriftgrößenwir- schlecht angesehen ist, wartet heutzutage jede bes- kung. Konkret: das grösser-gedrängtere Erschei- sere Textschrift mit handdesignten Italics auf. Beim nungsbild der Helvetica im Vergleich zu den hier High End-Satz wird zudem auch die Frage inter- luftiger daherkommenden Serifenlosen Gill Sans essant, ob - und Expert-Zusatzsets zu und Futura begründet sich aus den unterschiedli-

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chen Schriftdesign-Konzeptionen ihrer Entwerfer den Landestastaturen unterschiedlich belegt sind, Miedinger, Gill und Renner. weisen westeuropäische Schriften den gleichen Bestand auf und benötigen deswegen keine "lan- Mehrsprachen-Satz: Wie internationalisiert ist des-angepassten" Schrift-Versionen. Der Akzen- eine Schrift? treichtum zentral- und osteuropäischer Schriften Die Lage: Gegenwärtig ist die Mehrzahl der klas- hingegen ist ohne CE-Version kaum zu handlen. sischen Standardschriften internationalisiert und Wichtig: CE- und griechisch/kyrillische Schrift- wartet – je nach Schrift unterschiedlich – mit einer versionen korrespondieren eng mit entsprechenden mehr oder weniger umfangreichen Liste von Lan- Landes-Tastaturtreibern, die gegebenenfalls hinzu- desversionen auf. Vermutlich keine Überraschung: installiert werden müssen. der am stärksten durchinternationalisierte Schrift- Lateinische Schrift versus kyrillische/griechische klassiker ist die Times. Gefolgt von der Helvetica, Schrift. Zu ersteren gehören neben den in Amerika landen jedoch selbst Klassiker wie Excelsior, Rock- und Europa verwandten Normalversionen auch well oder Bodoni bei diesem Kriterium schnell auf die CE-Anpassungen. Kyrillische und griechische den Rängen im Mittelfeld. Generell ist mittlerweile Belegungen enthalten im Gegensatz dazu komplet- jedoch ein Trend zu stärker internationalisierten te kyrillisch-(russische) oder (alt-/neu-)griechische Schriftversionen abzusehen. Begünstigt wird diese Zeichen und Buchstaben. Entwicklung durch das technische Format Open- Europäisches Alphabet versus aussereuropäisches Type. Bei Schriften im Format OpenType Pro Alphabet. Im globalisierten Publishing unserer sind Zeichenausstattungen für mitteleuropäische Tage keine rein theoretische Problemlage mehr: Sprachen Pflicht. Weltweit gesehen staffeln sich die Drucksachen, die in aussereuropäischen Sprachen möglichen Zeichenausstattungs-Unterschiedlich- wie etwa Chinesisch, Hebräisch oder Arabisch keiten wie folgt: gesetzt werden. Besonderheiten: je nach Sprache/ Westeuropäische Schrift versus Zentral-/Osteu- Schrift eine weitaus höhere Anzahl an Zeichen und ropäische Schrift. Bis auf wenige Zeichen, die in Symbolen; divergieren kann auch die Ausrichtung

Garamond-Varianten: Adobe Gara- mond, ITC Garamond, Garamond Classico, Stempel Garamond und Garamont Amsterdam.

Internationalisierte Schrift-Versionen erfordern, um richtig zu funktionie- ren, die Aktivierung eines passenden Tastatur-Treibers.

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der Schrift. Generell lässt sich sagen, dass Schrif- TrueTypes vor allem seitens semiprofessioneller ten für nah- und fernöstliche Alphabete gesondert Kundschaft sowie Fremd-Daten konfrontiert – erworben werden müssen. Anbieter wie FontShop vor allem auf der Windows-Seite. Die Crux: Das und Hersteller wie Linotype können hier wei- Handling von TrueType-Schriften ist zwar prin- terhelfen. Entsprechende Schriften sind auch im zipiell möglich, bleibt allerdings im PostScript- Lieferumfang aktueller Betriebssystems-Versionen basierenden Ausgabe-Handling ein Fremd-Faktor. enthalten. Speziell für DTP entwickelte, professionelle Post- Zu beachten ist: Andere Landesalphabete benöti- Script-Schriften gelten im Publishing darum als gen, um richtig zu funktionieren, die Aktivierung ästhetische wie sicherheitstechnische Standards. des Landes-spezifischen Tastaturtreibers! Beachten Troubleshooting: Probleme verursachende Fonts sollte man zudem, dass sich entsprechende Treibe- in Pfade umwandeln (Illustrator; FreeHand); Font rauswahlen nicht nur auf eingetippten Text auswir- über spezielle Software (FontoGrapher) in anderes ken, sondern auch auf Tastaturbefehle in Software- Format umkonvertieren. Applikationen. OpenType. Eine immer weiter verbreitete Lösung für diverse Fontdatei-Unzulänglichkeiten offeriert PostScript, TrueType, OpenType: Technische das OpenType-Format. Es integriert nicht nur die Konventionen beiden bislang gängigen Formate TrueType und Font-Formate und unterschiedliche Betriebssyste- PostScript unter einer gemeinsamen, systemüber- me erweisen sich im Produktions-Workflow leider greifend verwendbaren Plattform. Es bietet zusätz- oft als die grössten Hemmnisse. Geschuldet ist dies lich auch verbessertes Handling im Hinblick auf vor allem den beiden dominierenden Betriebssyste- internationalisierte Schriften sowie typografische men Mac OS und Windows sowie den Fontforma- Funktionen. Im Unterschied zur "Entwicklungs- ten PostScript und TrueType. phase" Ende der Neunziger Jahre geben Branchen- PostScript versus TrueType. Während im profes- insider dem OpenType-Format mittlerweile gute sionellen Publishing fast ausschliesslich PostScript- Chancen, langfristig neuer Standard zu werden. Schriften eine Rolle spielen, sind Productioner mit Aufgrund seiner unterschiedlicher Schwerpunkte

Format-Unterschiedlichkeiten PostScript, TrueType und OpenType: Auf dem Mac tritt die unterschiedliche Dateistruktur der drei Font-Formate auch visu- ell klar zutage. PostScript-Schriften kommen stets mit zwei unterschiedlichen Komponenten: dem oder den Display-Fonts für die Bildschirmdarstellung sowie den eigentlichen Printer-Fonts, welche für die korrekte Umsetzung der Outlines verantwortlich sind. TrueType-Schriften hingegen kommen zunächst einmal als einzelne Datei – allerdings sind ähnliche Komponenten im Dateiinneren implementiert. Auch OpenType-Schriften benötigen nur eine einzige Datei. Das interne Fontformat spielt dabei keine Rolle mehr und taucht lediglich als Suffix im Dateinamen auf.

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sowie unterschiedlicher Software-Unterstützung abschließend der Verweis auf den separaten Beitrag wirft der Newcomer jedoch eine Reihe von Fragen zum Thema OpenType. auf. Mehr zum Thema darum in Kapitel 4. Schriftverwaltung: Suitcase Fusion, FontExplorer X Mac OS versus Windows. "Mac oder PC?" gilt im und der Rest. Auch hier hat sich – verglichen mit digitalen Publishing als die "Systemfrage" schlecht- der Situation im alten Jahrtausend – einiges getan. hin. Zwei eng miteinander verbundene Problem- Da die aktuellen Betriebssystems-Varianten nun- bereiche machen hier zu schaffen. Zum einen: mehr selbst PostScript-Schriften auf dem Monitor Herkömmliche Schriftfont-Dateien für Macintosh darstellen können, hat sich die traditionelle Lösung und Windows sind prinzipiell nicht portierbar. Ein- Adobe Type Manager (ATM) weitestgehend erüb- zukalkulieren sind bei "systemüberschreitenden" rigt. Auch für die Verwaltung von Schriften gibt es Workflows zudem geringfügige Abweichungen, mittlerweile System-Alternativen. Mac Os X etwa welche unter Umständen umbruchs-relevant wer- offeriert seit Version 10.3 das Tool Schriftsamm- den können. Weiteres Hindernis: die Schnittmenge lung. Für die professionelle Schriftverwaltung auf plattformübergreifend verfügbarer Schriften ist zwar dem Mac empfehlen sich derzeit vor allem zwei im High End-Sektor sehr hoch, allerdings gibt es Lösungen: Suitcase Fusion von Extensis und Font- auch eine Reihe von Ausnahmen – insbesondere bei Explorer X von Linotype. Bei letzterem handelt es Schriften von Kleinst-Herstellern. Problembereich sich um eine kostenlos zur Verfügung gestellte Ver- zwei ist schließlich die unterschiedliche Zeichenbe- waltungslösung mit integrierter Funktion für den legung: Geht es über die normalen Tastaturzeichen Kauf von Fonts bei Linotype. Unter Windows stellt hinaus, weisen Windows-ASCII und Mac-ASCII sich die Situation vielschichtiger dar. Zu berück- nicht nur unterschiedliche Belegungs-Kennziffern sichtigen ist hier insbesondere die Organisation auf, sondern zusätzlich auch einzelne Zeichen, die von Schriftschnitten, der eine etwas restriktiviere es auf dem anderen System nicht gibt. Konsequenz: Struktur zugrunde liegt. Soll eine digitale Arbeit auf das jeweils andere Regel oder Ausnahme? "Normale" Schrift oder System übertragen werden, sollten diese "Exoten- Multiple Master? Eine Zeitlang waren neben fest- Zeichen" unbedingt gemieden werden. Auch hier stehenden, lediglich über Skalierungsfunktionen

Format der Zukunft? OpenType-Icon einer Adobe-Schrift unter Mac OS 9.

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im Layoutprogramm beeinflussbare Schriften auch schen PostScript- und TrueType-Schriften sowie sogenannte Multiple Master-Schriften erhältlich. die Handhabung von Schriftschnitten für andere Die von Adobe entwickelten Multiple Master- Sprachsysteme. Gegenwärtig sieht es so aus, als ob Fonts (MM …) lassen eine über die üblichen Modi- OpenType die Lösung wäre für diese Probleme – fizierungen weit hinausgehende Beeinflussung des und, als eierlegende Wollmichsau, einen drastisch eigentlichen Schrift-Erscheinungsbildes zu. Gene- aufgestockten Vorrat an Zeichen mitliefert. Die rieren lassen sich MM-Schnitte mit dem ATM, das Tatsache, dass die Etablierung des neuen Formats Ergebnis sind neue Font-Dateien, deren Weiterga- auch neue Probleme mit sich bringt, ist zwar eben- be seitens der Lizenzvereinbarungen eingeschränkt falls absehbar. Allerdings: Zukünftige Probleme ist (siehe auch folgenden Beitrag.) Allerdings: Über gleich mit zu lösen, wäre auch etwas zu viel verlangt. zwei, drei oder gar vier Design-Achsen veränder- bare Schriften waren, was die Nachfrage anging, wohl zu Viel des Guten. Konsequenz: Adobe hat die Weiterentwicklung des MM-Formats einge- stellt und wird keine neuen MM-Schriften auf den Markt bringen. Ist der Umgang mit digitalen Schriftfonts der reinste Konventions-Dschungel? Zugegeben – die aufgeführte Liste ist lang. Allerdings relativiert sich das Problem recht bald wieder: Die Mehrzahl der professionellen Satzanwender ist mit den aufgeli- steten Konventions-Unterschiedlichkeiten durch- aus vertraut und weiß entsprechend damit umzu- gehen. Als wirkliche Herausforderungen haben sich lediglich zwei erwiesen: die "Systemfrage" Mac oder PC inklusive dem ständigen Spagat zwi-

Hoffnung für viele: Das Open Type- Format. Als erweitertes TrueType- Format mit zusätzlicher PostScript- Unterstützung soll Open Type vor allem die Ausgabe zuverlässiger gestalten. Als praktisch angewandtes Schriftformat spielt Open Type bis- lang jedoch kaum eine Rolle.

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Zur Belichtung mitgegebene Fontdateien sowie Typo des Auftrags selbstredend aus Nicht-Stan- im Internet dowloadbare PDFs mit eingebetteten dardschriften besteht, enthält die gebrannte CD- Schriften haben eines gemeinsam: im heutigen ROM mit den Belichtungsdaten auch die verwand- Produktions-Alltag mehr oder weniger mit Beru- ten Fonts – "zur Sicherheit". Dass die zur Ausbe- fung auf das Gewohnheitsrecht gehandlet, stellen lichtung nötigen Printer-Fonts vom Dienstleister sie für die Font-Hersteller ein echtes Ärgerniss dar. nach Gebrauch gelöscht werden, wird dabei als Kavaliersdelikt oder juristisch ahnbar? Der folgende stillschweigender Branchen-Usus angesehen oder Beitrag zum Thema Fonts & Lizenzen umreisst die allenfalls – zur Absicherung – im Begleitschreiben juristische Situation. explizit formuliert. 2. Ein Verlag hat für eine hochwertige PostScript- Praxis und Lizenzbestimmungen: Schrift-Hand- Schriftfamilie vorsorglich eine Multilizenz für 50 ling im Produktionsalltag Rechner erworben. Da in die konkrete Produktion Darf man mit Fonts alles? Der Blick auf den des Verlags jedoch eine Reihe Externe, Freischaf- real stattfindenden Publishing-Produktionsalltag fende sowie weitere Sub-Unternehmen involviert scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Einmal sind, wird die für die Verlagsdarstellung grund- gekauft = immer verwandt? Zum Teil aus produk- legende CI-Schrift den konkreten Produktions- tionsbedingten Nöten resultierend, hat sich in der Erfordernissen entsprechend weitergegeben. Der Praxis ein aus der Sicht der Hersteller zumindest Verlag geht stillschweigend davon aus, dass seine fragwürdiger Umgang mit Schriftfonts entwickelt. Praxis juristisch durch die erworbene Multilizenz Drei Beispiele, die wohl jeder Productioner kennt: abgedeckt ist. 1. Ein freier Grafiker gibt seine offenen Quark- 3. Crossover-Publishing: Eine Multimedia-Firma XPress-Dateien an ein Belichtungsstudio. Da die bereitet für verschiedene Kunden Medien-Inhalte

Lizenzbestimmungen näher geregelt. Problem: Konkrete Situationen sind oft nicht ausformuliert.

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für unterschiedliche Medien auf. Zum Auftragspro- Begriff die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen mit fil gehören auch Web-Sites und CD-ROMs, welche den eigenen MitarbeiterInnen? Fazit: Klärungsbe- Firmen-Broschüren und andere Inhalte als PDF darf. offerieren. Eine potenziell problematische Angele- Im Gegensatz zur lapidar untersagten Weitergabe genheit – dann nämlich, wenn für die Schriftdar- von Schriftfonts an Dritte wird das im Zuge der stellung der PDF-Dokumente lizenzierte Schrift- multimedialen Verbreitung von Inhalten zuneh- fonts eingebettet wurden. mend Bedeutung gewinnende "Font Embedding" Von der Alltagspraxis zur juristischen Situation: von den Anbietern etwas differenzierter gese- Obwohl in der Medienpraxis Tag für Tag vorkom- hen. Als Verstoss gegen die Lizenzbestimmun- mend, sind – aus der Sicht der Font-Anbieter – alle gen sehen diese die Bereitstellung downloadbarer drei Beispiele eindeutig: nicht lizenzgemässer oder PDF-Dateien mit eingebetteten Fonts im Internet zumindest fragwürdiger Umgang mit erworbenen sowie deren Zur-Verfügungstellung auf CD-ROM. Schriften. Die Weitergabe von Schriftdateien – Grundlage für die insgesamt nicht ganz einheitliche insbesondere der für die Ausgabe zuständigen, Einschätzung von Font Embedding generell ist die hochwertigen Printer-Fonts – an Dritte ist in den Frage, inwieweit aus entsprechenden PDFs funk- allermeisten Lizenzbestimmungen untersagt. Frag- tionsfähige Fontdateien extrahiert werden können. würdig ist jedoch auch die Praxis des Unterneh- Die Erstellungsapplikation Acrobat Distiller offe- mens aus Beispiel 2. Zwar winken die Hersteller riert hierzu abgestufte Einbettungs-Möglichkeiten; mit günstigen Konditionen für sogenannte Multi- zusätzlich werden die Editier-Möglichkeiten von Lizenzen; deren Verwendung bezieht sich jedoch Acrobat sowie anderen PDF-Tools als problema- auf eine maximale Zahl von CPUs (Rechnern) und tisch eingeschätzt: Online oder auf CD-Roms Ausgabeeinheiten (Druckern; Belichtern) der eige- publizierte PDFs stellen in den Augen der Font- nen Firma. Was – und wer – zählt jedoch (noch) Hersteller ein potenziell gigantisches Daten-Reser- zur eigenen Firma? Ist unter "eigene Firma" ein voir für Schrift-Piraten dar. Weniger kritisch als örtlich-physisch vorhandenes Grossraumbüro (oder sonst wird hingegen der übliche Datentausch in Gebäudekomplex) zu verstehen, oder tangiert der der Druckvorstufe beurteilt: die Abgabe von PDFs

Unterschiedliche Hersteller, unter- schiedliche Lizenzen: Nicht nur die Firmen-Logos der Font-Icons – auch das "Toleranz-Level" bezüglich dem, was Sie mit Schrift-Daten tun dürfen, kann im Detail durchaus voneinander abweichen.

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mit eingebetteten Fontdaten an Belichtungsstu- sondern vor allem die Fülle möglicher Eventualitä- dios – alternativ zu den traditionell kapriziösen ten im Produktionsalltag. Problematiken wie Font und mittlerweile nur noch wenig gebräuchlichen Embedding sind noch vergleichsweise neu; auch die PostScript-Druckdateien. Auf Toleranz stößt auch Schriftenhäuser müssen sich auf diese Anforderun- die Weitergabe von Ansichts-PDFs an Kunden: gen nach und nach einstellen. Ein dritter Punkt im dann jedenfalls, wenn die Datei so erstellt ist, dass lange währenden Hick-Hack zwischen "Verkäufer" der Empfänger sie nur lesen kann. und "Käufer" ist jedoch ein von letzterem rekla- miertes "Notwehrrecht". Für die Herstellerseite ein Schriften anwenden: User-Sicht und Ärgernis ist die bereits seit Jahren bestehende Pra- Hersteller-Sicht xis, Font-Dateien an Ausgabe-Services mitzugeben. Schriften in Druckvorstufe & Medienproduktion, Umgekehrt ist für den Teil der Kundschaft, der in und was man mit ihnen darf: ein leidiges Thema Sachen Printdatenaufbereitung unbeschlagener ist, – geht es in aller Regel doch nicht um raubko- die Mitgabe-Option praktisch alternativlos – will pierte Font-Dateien auf Rechner XY, sondern um man die erworbenen Font-Lizenzen wirklich effek- ehrlich erworbene (und bezahlte) Lizenzen. Was tiv einzusetzen. jedoch darf man mit ihnen? Oft führt nicht böser Die Situation ist durchaus verfahren: Von den Wille, sondern einfache Unkenntnis zum nicht Font-Herstellern nach wie vor als illegal angesehen, lizenzkonformen Umgang mit den erworbenen erweist sich die stattfindende Praxis – angesichts Fontdateien. Grund: Die juristisch-umständlich von in die hunderttausend gehender, erwerbbarer formulierten Bestimmungen der Hersteller sind, wo Fonts – oft als einzige Alternative. Die (investiti- es um konkrete alltägliche Fragen geht, oft wenig onskapazitätsbedingte) Reduktion auf Memphis, hilfreich und bieten so jede Menge Interpretations- Helvetica und andere Klassiker-Standards wird – Spielraum. Die Situation ist verworren: Wenn es stillschweigend – von niemand als Ausweg gesehen. darum geht, was Anwender A mit Schrift B von Ein Punkt, wo User wie Anbieter wohl einer Mei- Hersteller C konkret anfangen darf, spielen weniger nung sind: Die Beschränkung auf die ästhetischen nicht durchgelesene ReadMe-Dateien eine Rolle, Vorgaben zufällig am Ort befindlicher (und mögli-

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cherweise preisgünstig operierender) Dienstleister sind für die Font-Hersteller einer der beiden Wege wäre mittelfristig voraussichtlich der Killer für die aus der Misere. Entgegen den von manchen Use- von allen begrüßte Angebots-Vielfalt. rInnen noch immer gehegten Illusionen gilt näm- Von Seiten der Schrift-Schmieden und Vertriebe lich generell: Mit dem Erwerb einer Schrift, einer her gesehen sieht die Sache anders aus. An der Schriftfamilie, eines Bundles oder einer kompletten juristischen Front wird seit Jahren ein verbissen Library erwirbt der Lizenznehmer mitnichten das geführter Kampf um das geistige Recht ausge- Eigentum am Inhalt der zugesandten Verpackung fochten. "Schrift ist Kulturgut!", behaupten die oder den übertragenen Daten, sondern nur ein Anbieter nicht zu Unrecht und verweisen auf die Nutzungsrecht. Dessen genaue Konditionen sind im Vergleich zu Fotosatzzeiten komfortable Preissi- Inhalt der Lizenzbedingungen, welche spätestens tuation. Tatsächlich hat die – im vorletzten Kapitel beim Installieren der Software auf dem Rechner in beschriebene – Umstellung von exklusiven Foto- Kraft treten. satzgeräten auf potenziell für jedermann erschwing- Von Weg zwei – dem attraktiver gestalteten Preisan- liche Desktop-Rechner entscheidend zur heute gebot – profitierten die Anwender: Kostete ein erhältlichen Font-Fülle beigetragen. Die Vielfalt Fotosatz-Schriftschnitt noch vor 20 Jahren meh- hat jedoch auch ihren Preis: Zum einen sind DTP- rere hundert Mark, hat sich das Preis-Level für Schriften – im Gegensatz zu ihren Vorgängern – einen hochqualitativen PostScript-Font seit Jahren nicht mehr an die Belichtungsgeräte der jeweiligen konstant um die 35-Euro-Schallmauer herum ein- Satzhersteller gebunden. Was tun gegen die tech- gependelt. Parallel angebotene OpenType-Schrift- nisch mögliche, aber unerwünschte Weitergabe? versionen, vom Anwender zum Neupreis zu erste- Heutige Belichter funktionieren einheitlich auf der hen, scheinen zwar den Trend zu konterkarrieren. Basis der Beschreibungssprache PostScript. 1987 Da Bundles und Preisnachlässe für Multilizenzen noch versuchte Adobe sich mit einem Kopierschutz und Komplettbibliotheks-Erwerbe das Preisniveau für PostScript-Schriften, hatte damit jedoch keinen zusätzlich absenken, warnen längst auch namhafte Erfolg. Lizenzrechtliche Anwender-Restriktionen, Schriftdesigner (Beispiel: Underground-Typopapst entsprechend denen anderer Software-Produkte, Neville Brody) vor einem allmählichen Ausverkauf

Alternative zu offenen Belichtungs-Daten: PostScript-Files. Aus der Sicht der Hersteller galten sie lange Zeit als unproblematischste Ausgabe-Lösung. Mitt- lerweile sind PostScript-Files meist nur noch Zwischenschritte zur Erzeugung entsprechender PDF-Dateien.

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des "Kulturgut Schrifts". Die Sorge von Herstellern Standardsituationen & Lösungen wie Fontshop oder Linotype: Aufgrund des Preis- Was Unternehmen, Freischaffende, Angestellte und verfalls bei Schriften können ästhetische Innova- Privatpersonen mit lizenzierten Schriften tatsäch- tionen – insbesondere die naturgemäss aufwändige lich anfangen dürfen und was nicht, hat Fontshop Neuentwicklung umfangreicher Profi-Schriftfami- in einer kostenlos beziehbaren Broschüre ("Alles lien – kaum noch stattfinden. Fazit: Schriftent- was Recht ist") zusammengefasst. Im Folgenden wicklung wird zunehmend zum beruflichen Risiko. eine Aufstellung der wichtigsten, im Produktions- Ähnlich wie MusikerInnen, Autoren und andere alltag auftretenden "Lizenzrechts-Fragen": Kulturschaffende leben auch Type-Designer von 1. Schriften für die Ausbelichtungen offener Doku- verkaufsabhängigen Tantiemen-Einnahmen. Die mentdateien mitgeben. Der klassische Fall in der knapperen Margen tangieren jedoch auch hau- Publishing-Herstellung. Die Lizenzbestimmungen sinterne Entwicklungsabteilungen – sofern sich sind hier eindeutig: Das Weitergeben von Fonts an ein Label nicht gleich darauf beschränkt, ähnlich Dritte ist von den meisten Herstellern eindeutig wie ein Verlag lediglich eine Vertriebsplattform untersagt. In den Augen der Font-Hersteller haben bereitzustellen. Zusätzliche Konkurrenz macht den Vorstufen-Dienstleister dafür Sorge zu tragen, vom High-End-Anbietern die Billig-Konkurrenz, wel- Kunden gewünschte Schriften bereit zu halten. che minderwertige Versionen klassischer Standards Aufgrund des hohen Durchsatzes an offenen Daten wie Helvetica, Gill Sans oder Futura anbietet – gilt diese Klausel in der Branche jedoch weiterhin unter anderem Namen. Was ist Original und was als wenig praktikabel – auch wenn sich aufgrund Plagiat? Fontshop Berlin, einer der führenden der immer anwenderfreundlicheren Möglichkeiten, Font-Hersteller, erwirkte im Januar 2000 vor dem druckfähige PDF-Dateien zu generieren, das Pro- Landgericht Köln immerhin ein Präzedenzurteil. blem wohl nicht mehr in der Drastik stellt wie noch Erfolg: Das Gericht wertete die Entwicklung einer vor wenigen Jahren. Software zur Darstellung von Schrift als persönli- 2. PostScript-Druckdateien anlegen statt offene che geistige Schöpfung. Dokumentdateien weggeben. Lizenztechnisch sind PostScript-Dateien kein Problem. Das Verfahren:

Font-Embedding: Die "Untergruppen"-Option in den Schrift-Grundeinstellungen bettet nur die im Dokument verwandten Schriftzeichen ein.

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Mit dem Erstellen einer PostScript-Ausgabedatei 4. PDF-Dateien mit Font Embedding. Ein weites simulieren Sie einen Belichter auf Ihrem Rechner – Feld, da PDF als Allround-Format nicht nur in der indem Sie alle Belichtungs-Parameter im Drucker- Druckindustrie zunehmend an Bedeutung gewinnt, Dialog festlegen und in eine Datei "hineindrucken". sondern auch – da zum Anschauen nur der überall Diese kann jedes Service-Büro und jede Druckerei erhältliche, kostenlose Acrobat Reader erforderlich ausbelichten. Vorteil: PostScript-Dateien können ist – zum allumfassenden, plattformübergreifenden aus jeder DTP-Applikation hinaus geschrieben Datenaustausch dient. PDFs mit eingebetteten werden. Nachteil: PS-Dateien sind weder anseh- Fonts werden von den Schriftherstellern insge- noch editierbar; sie können nur gedruckt werden. samt unterschiedlich und demzufolge uneinheitlich Folge: Korrigierende Eingriffe vor Ort sind nicht gewertet. Eine Rolle spielt vor allem, zu was das mehr drin; desweiteren gilt die Methode – aufgrund PDF dient. der korrekt einzugebenden Druck-Parameter, wel- a) PDFs für die Ausgabe an Belichtern. Insgesamt che auch die passende PPD-Datei des Belich- beobachten Font-Hersteller und Type Designer tungsstudios voraussetzt – als handhabbar "just for die Entwicklung bei PDF & Fonteinbettung kri- professionals". Da sich das PDF-Format mittler- tisch. Als Alternative zu PostScript-Dateien werden weile zum neuen Druckstandard entwickelt hat und Druck-PDFs jedoch als das geringere Übel ange- selbst das direkte Erzeugen von PDF-Daten aus sehen – im Vergleich zu online publizierten PDFs, Profi-Anwendungsprogrammen heraus als unpro- die strikt untersagt sind. Unterschiedliche Wertung blematisch eingeschätzt wird, zeichnet sich hier erfährt auch die Art des Einbettens: Acrobat Distil- eine anwenderfreundlichere Variante ab. ler bietet beim Erstellen eines PDFs die Option 3. "Exotische" Schriften in Pfade umwandeln. "Nur Untergruppen einbetten" (Voreinstellungen/ Grafik-Programme wie Illustrator oder Freehand Schrift). Diese bewirkt, dass nur die Zeichen eines bieten die Option, Schrift-Outlines in Pfade umzu- Fonts eingebettet werden, welche für die spätere wandeln. Vorteil: Eine Weitergabe der entspre- Darstellung am Monitor oder die Bearbeitung mit chenden Schrift wird damit obsolet. Nachteil: Die Acrobat wirklich gebraucht werden. Methode eignet sich nur für Headlines oder kurze b) PDFs zur Weitergabe an Kunden. Da die Font- Textpassagen. Anbieter PDF & Embedding insgesamt kritisch

Font-Embedding: Die "Untergruppen"-Option in den Schrift-Grundeinstellungen bettet nur die im Dokument verwandten Schriftzeichen ein.

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sehen, kann hier keine Aussage gemacht werden. Praxisnähe. Ob die Multilizenz konkret in einem Der korrekte Rat daher: Fragen Sie konkret bei Netzwerk stattfinden muss oder flexibel gehand- Ihren Font-Herstellern nach. habt werden kann, ist den in der Regel allgemein c) PDF-Dokumente online publizieren. Das Ein- gehaltenen Lizenz-Bestimmungen nicht zu ent- betten von Fonts in online gestellte oder auf CD- nehmen. ROM includierte PDF-Dateien ist von den mei- 7. Modifizieren von Schriften. Die elektronische sten Fontherstellern strikt untersagt. Veränderung von Schriften gestatten alle Herstel- 5. Einzel-Lizenzen: mehrere Rechner, aber nur ein ler. Spezielle Varianten sind usererstellte Multiple Drucker. Gewöhnliche Einzellizenzen beinhalten Master-Fonts. In den meisten Fällen ist deren den Gebrauch einer Schrift an fünf Eingabe- Weitergabe erlaubt – allerdings nur unter der Vor- Einheiten (Rechnern) sowie einem Ausgabegerät aussetzung, dass der Empfänger die Originalschrift – wobei bei mehreren Rechnern eine gleichzeitige besitzt. Nutzung durch mehrere UserInnen im Netzwerk 8. Konvertieren von Schriften. Das Konvertieren ausgeschlossen bleibt. Da laut Lizenzbestimmungen von Schriften in ein anderes Format (Beispiel: die Ausgabe jedoch auf eine Einheit limitiert ist, PostScript-Font zu TrueType-Font) ist lizenztech- hiesse die konsequente Auslegung dieser Bestim- nisch gesehen ebenfalls in Ordnung. Technische mung, dass selbst freischaffende GrafikerInnen und Voraussetzung hierfür ist allein eine entsprechende Illustratoren kaum noch mit einer Einzel-Lizenz Konvertier-Software – wie zum Beispiel FontoGra- hinkommen dürften. pher. 6. Multilizenzen: mehrere Rechner, mehrere Druk- ker, aber nur eine Firma. Font-Hersteller werben Resummee: Klärungsbedarf für die Zukunft mit Multilizenz-Vereinbarungen, die – verglichen Insgesamt bleibt zu konstatieren: Die aufgeführten mit Einzellizenzen – in der Tat vergleichsweise Problemfelder werden – ungeachtet der anskiz- günstig zu haben sind. Wie eingangs beschriebenes zierten Lösungs- oder Umgehungsmöglichkeiten Beispiel aufzeigt, glänzen jedoch auch in diesem – weiterhin für genügend Zündstoff und Zwist Fall die Lizenzbestimmungen nicht gerade durch zwischen User- und Herstellerseite sorgen. Viel-

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leicht gerät an der Lizenz-Front doch noch Einiges qualitativ gute, klassische wie neue – und natürlich in Bewegung? Auf dem Wunschzettel professio- bezahlte Schriften. neller Font-Anwender stünde durchaus einiges. Zum Beispiel: Weniger restriktive Auslegungen Weiterführende Infos zum Thema Schriftfonts & – vor allem beim Druckvorstufen-Normalfall "mit- Rechtsfragen: gegebene Fonts bei Ausbelichtungen". Auch die "Alles was Recht ist". Herausgeber: Fontshop Ber- lapidare Festlegung auf ein einziges Ausgabegerät lin. Kostenlose Broschüre, 16 Seiten; zu bestellen bei Einzellizenzen wäre angesichts veränderter Pro- über Fontshop; Bergmannstr. 102, 10961 Berlin duktionsbedingungen durchaus überdenkenswert: gehört doch die Konfiguration Laser plus Tinten- "Internet-Recht – Rechtsfragen der Online-Kom- strahldrucker selbst bei Homeoffice-Ausstattungen munikation". Artikel-Nr.: 81 012, ISBN: 3-88 701- zum Grundinventar. Dass ein weiteres Lizenz- 226-7; Mitgliederpreis: DM 49,–. Bezug: Verbände "Essential" effektiver Schrift-Ausnutzung ebenfalls der Druckindustrie. im Wege steht, leuchtet ein. PDFs mit effekti- vem Schrift-Kopierschutz wären lizenzrechtlichen "DigiREcht – digiSchrift – InternetRecht". Arti- Publikations-Beschränkungen sicherlich vorzuzie- kel-Nr.: 81 009; ISBN: 3.88 701-227-5; Mitglie- hen. Online ist Trend – dass dies auch künftig nur derpreis: DM 89,–. Bezug: Verbände der Druckin- in Times, Helvetica oder Arial geschehen sollte, dustrie. ist eigentlich schlecht einzusehen. Fazit: Gute Schriften sollten angemessen honoriert werden; sie sollten sich jedoch auch effektiv anwenden lassen. Angesichts der fortschreitenden technischen Ent- wicklung stehen Font-Hersteller wie Anwender vor neuen Herausforderungen. Diese einvernehm- lich zu lösen, käme nicht zuletzt dem zugute, um dass sich das Bemühen beider letztendlich dreht:

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Jürgen Siebert, ehemaliger Chefredakteur der Zeit- Fonts kostenlos oder für ein paar Pfennige down- schrift PAGE, ist Marketing Director bei Font- loaden kann. Es steht jedem Schriftentwerfer frei, shop/Berlin und Mitinitiator der Broschüre "Alles seine Schriften kostenlos über das Internet zu ver- was Recht ist". treiben, so wie es Musiker und Schriftsteller auch machen (können). Wenn sie sich von einem Verlag 1. Fonts sind teuer – zumindest hochwertige Post- vermarkten lassen, sprechen mehr Gründe dafür als Script-Schriften etablierter Anbieter. Stimmt das? dagegen. Niemand fragt einen Zahnarzt, ob er den hochwer- tigen Bohrer eines etablierten Herstellers als teuer 3. Diverse Lizenzbestimmungen machen gerade empfindet. Schriften sind Werkzeuge, Investitions- den ehrlichen Anwendern Probleme. Font-User güter, die ein Grafikbüro erwirbt, um eine Kommu- fragen sich: Schriften zum Belichten mitgeben nikationsaufgabe zu lösen. Wenn eine Schriftfami- verstößt gegen die Lizenz-Bestimmungen. Was, lie dies erfüllt, ist sie ihren Preis wert. Gemessen am wenn PostScript-Files nicht möglich sind und das Gesamtetat eines professionell betreuten Corpora- Belichtungsstudio die konkrete Schrift für den te-Design-Projekts sind die Kosten für eine gute Satzauftrag nicht hat? Schriftfamilie vernachlässigbar. Die Lizenzbedingungen für das Verwenden von Schriften im Pre-Press-Workflow unterscheiden 2. Wie wirkt sich die gegenwärtige Markt-Situation sich nicht von denen anderer Softwares (zum Bei- auf die Entwicklung neuer Schriften aus? spiel für Quark Xpress oder FreeHand). Aufgrund Ich kann keine spezielle Marktsituation erkennen. der Vielzahl der existierenden Schriften auf dem Manche Schriftenfreunde glauben, dass das Inter- Markt entsprechen diese Lizenzbedingungen mög- net eine neue Marktsituation schaffe, indem man licherweise nicht mehr den realen Anforderungen

Jürgen Siebert, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift PAGE, ist Marketing Director bei Fontshop/Berlin.

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der grafischen Branche. Gleichwohl existieren sie, 5. Acrobat Distiller macht es möglich, die Schrift- manche Hersteller haben sie auch für den Fall der Anbieter untersagen es: "Font-Einbettung in Belichtung liberalisiert. Ein rechtlich und technisch PDFs" ist ein weiterer strittiger Punkt zwischen sicherer Weg ist Adobe-Acrobat-Technologie, die Herstellern und Anwendern - zumindest, was die das (verschlüsselte) Einbetten von Schriften in Publikation im Internet angeht. Wird hier nicht ein elektronische Dokumente erlaubt und sich in der Softwarebranchen-interner Streit auf dem Rücken Druckvorstufe als Standard durchsetzen wird. der End-Anwender ausgetragen? Nicht die Schriftanbieter, sondern die Schrift- 4. Ein freier Grafiker mit zwei Ausgabeeinhei- entwerfer wehren sich - und das zu recht - gegen ten - verstossen Laser-Korrektur- und ergänzende das Veröffentlichen von PDFs mit eingebetteten Tintenstrahler-Präsentationsausdrucke gegen die Schriften im Web. Anders als im Pre-Press-Work- Lizenzbestimmungen? flow, bei dem ein PDF zwecks Weiterverarbeitung Fast alle Schriftenhäuser definieren ihre Grundli- gezielt an einen Dienstleister gesendet wird, haben zenz wie folgt: eine (PostScript-)Schrift darf auf 5 im Internet theoretisch Millionen User Zugriff auf Rechnern oder einem Drucker installiert werden. ein dort veröffentlichtes PDF. Darunter gibt es Diese deckt den oben genannten Fall ab, weil der ausreichend Experten, denen das "Herausoperie- Grafiker seine Schriften wahrscheinlich nicht in ren" der eingebetteten Schriften keine Probleme beiden Druckern fest installiert; dies würde den bereitet. Weil die Schriftentwerfer befürchten, das Einbau eines Schriftenservers (Festplatte) in die diese wieder verwendbaren Fonts von den glei- Drucker voraussetzen. Alltäglich ist die Arbeitswei- chen Personen kurzerhand auf Font-Napstern zum se, dass eine zu druckende Datei auf dem Rechner kostenlosen Download verfügbar gemacht werden, mit den dort installierten Schriftdaten "gerippt" versagen sie in diesem Punkt den Schriftenhäusern und dann an als Pixeldatei an den Drucker gesen- eine liberale(re) Lizenzpolitik. det wird; auch das temporäre Downloaden von Ottmar Hoefer ist Leter des Font-Marketings beim PostScript-Schriften an einen PostScript-Drucker Schriftanbieter Linotype Library in Bad Homburg/ fällt unter diese Lizenzinterpretation. Taunus.

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1. Fonts sind teuer – zumindest hochwertige Post- Belichtungsstudio die konkrete Schrift für den Script-Schriften etablierter Anbieter. Stimmt das? Satzauftrag nicht hat? Fonts sind mehr wert, als sie kosten. Sie erhalten Wenn ein Belichtungsunternehmen die gewünschte mit einem Font ein einheitliches künstlerisches Schrift nicht hat und auch nicht von PDF-Datei- Alphabet und Zeichen, um damit zum Beispiel en ausbelichten kann, dann kann es die Schrift eine Headline für einen Handzettel zu setzen. Sie auch nicht ausbelichten oder das Belichtungsun- können aber auch damit ganze Romane, Zeitungen, ternehmen erwirbt für den Auftrag die Schriften. Bücher mit Millionen von Buchstaben und einer Sonst gibt es andere Belichtungsunternehmen, die Millionen Druckauflage erstellen. die fehlenden Schriften lizenziert haben und die bekommen den Auftrag. 2. Wie wirkt sich die gegenwärtige Markt-Situation auf die Entwicklung neuer Schriften aus? 4. Ein freier Grafiker mit zwei Ausgabeeinhei- Die Schriftentwicklung wird heutzutage größten- ten – verstossen Laser-Korrektur- und ergänzende teils direkt vom Schriftentwerfer am Rechner aus- Tintenstrahler-Präsentationsausdrucke gegen die geführt. Linotype Library ist der Schriftverleger, Lizenzbestimmungen? der mit seiner Erfahrung den Schriftdesignern wei- Nach den Lizenzbedingungen der Linotype Libra- terhilft und berät und sich bei der fertigen Schrift ry verstößt er nicht gegen die Lizenzbedingungen, um die Vermarktung und Werbung der Schriften denn bei Linotype Library gibt es schon seit vielen kümmert, damit sie an einen breiten Markt kom- Jahren keine Berücksichtigung der Ausgabeeinhei- men. ten im Lieznzvertrag. Einzig zählen hier die Rech- ner, auf denen die Schriften fest installiert sind. Die 3. Diverse Lizenzbestimmungen machen gerade Lizenzen für Schriften sind größtenteils für einen den ehrlichen Anwendern Probleme. Font-User Einsatz auf 5 Rechner lizenziert. fragen sich: Schriften zum Ausbelichten mitgeben verstösst gegen die Lizenz-Bestimmungen. Was, 5. Acrobat Distiller macht es möglich, die Schrift- wenn PostScript-Files nicht möglich sind und das Anbieter untersagen es: "Font-Einbettung in

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PDFs" ist ein weiterer strittiger Punkt zwischen a) Obwohl unser Workflow für die Verarbeitung Herstellern und Anwendern – zumindest, was die von PostScript- und PDF-Dateien optimiert ist Publikation im Internet angeht. Wird hier nicht ein und eine entsprechende Datenanlieferung offensiv Softwarebranchen-interner Streit auf dem Rücken gefordert wird, erhalten wir von unseren Kunden der End-Anwender ausgetragen? nach wie vor einen nicht zu unterschätzenden Bei Linotype Library Schriften erlauben die Nut- Anteil an Daten in offenen Dateiformaten. Dies zungsbedingungen das Einbetten in elektronische können und möchten wir unseren Kunden nicht Dokumente oder Internet Seiten, sofern zweifelsfrei verbieten, jedoch bestehen wir darauf, dass bei sichergestellt ist, dass der Empfänger die Schrif- der Anlieferung von offenen Datei-formaten alle tensoftware nicht zum Editieren oder Erstellen verwendeten Schriften mitgeliefert werden, da die neuer Dokumente verwenden kann. Sie sind mit Produktionssicherheit sonst nicht gewährt ist. einer ReadOnly Funktionalität auszustatten. Eben- b) Fremddaten in offenem Dateiformat werden von so muss es unmöglich sein die Schriftensoftware uns in PostScript-Daten gewandelt und danach in aus den Dokumenten zu extrahieren. unseren Workflow eingeleitet (digitales Ausschie- Martin Schöllhorn ist staatlich geprüfter Druck- ßen und Kontrollausdrucke, Druckplattenausgabe techniker für die Druckvorstufe bei der Großdruk- über ein CtP-System). Die jeweiligen Kunden- kerei Kösel GmbH & Co. KG in Kempten. schriften werden mit dem Auftrag gespeichert und archiviert. Mit der Übernahme von Kundenschrif- 1. Zu Belichtungsaufträgen mitgegebene Schrift- ten verpflichten wir uns dazu, die Schriften von fonts werden von den Schriftherstellern immer unseren hauseigenen Schriften getrennt zu halten noch als Ärgernis angesehen. a) Spielt derartiges und nicht für andere Aufträge zu verwenden. Dies Schrift-Handling nach Ihren Erfahrungen in der lässt sich auch in der Praxis konsequent durchfüh- Branche eine Rolle? b) Wie handelt eine Groß- ren, zumal mit der Fertigstellung und Archivierung druckerei wie Kösel die Belichtung von Fremdda- eines Auftrags die Schriften nicht mehr zugänglich ten? c) Wie könnte Ihrer Meinung nach das Pro- sind und durch die auftragsbezogene Aufbewah- blem lizenzrechtlich gelöst werden? rung keine Verwechslungen entstehen können.

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c) Aus lizenzrechtlicher Sicht sehe ich einen besitzt bzw. sich die Mühe machen wird, Schriften Lösungsansatz in der Möglichkeit, bei der Wei- aus einem PDF-Dokument zu generieren und für tergabe von Daten verwendete Schriften direkt ins eigene Zwecke einzusetzen. Zudem hat sich das Layoutprogramm zu integrieren, was eine ander- PDF-Format im Informationsaustausch als Quasi- weitige Verwendung wesentlich erschwert. Leider Standard etabliert, so dass Neuregelungen bzw. wird diese Option bisher nur in wenigen Grafik- neue Technologien in diesem Bereich kaum mehr und Layoutprogrammen angeboten – in dieser Einzug halten könnten. Richtung könnten die Anbieter einschlägiger Soft- ware den Schriftherstellern in Zukunft so manche Sorge ersparen.

2. Das Online-Stellen von Inhalten spielt eine immer größere Rolle. Wie beurteilen Sie die Pro- blematik der Font-Einbettung speziell bei down- loadbaren PDF-Dateien? a) Durch die stetig anwachsende und weiterführen- de Vernetzung unserer Gesellschaft wird die Trans- parenz von Daten und deren Inhalte grundsätzlich zum Problem in allen Bereichen des Lizenzrechts. Dem muss man jedoch gegenüberstellen, dass diese Vernetzung das Publizieren fördert und so bei- spielsweise den Schriftherstellern weitere Klien- tel zukommt. Downloadbare PDF-Dateien mit eingebetteten Schriften stellen in meinen Augen eine untergeordnete Problematik dar, da in der Pra- xis kaum jemand die technischen Möglichkeiten

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OpenType-Schriften gewinnen mehr und mehr an bungen allgemein als zuverlässiger. Mit begünstigt Akzeptanz. Was noch vor einigen Jahren als For- wurde ihre Ausbreitung allerdings auch von pro- mat-Hype erschien, wird nun Stück für Stück mit fessionell bestückten Hersteller-Bibliotheken – in praktischem Leben erfüllt: OpenType-Schriften, der Anfangsphase Anfang der Neunziger vor allem unterstützenden Applikationen, Betriebssystemen. derjenigen von Adobe und Linotype. Den Stand der Dinge auf der OpenType-Baustelle Trotz dieser allgemeinen Akzeptanz war die Hand- beleuchtet der folgende Beitrag. habung von Schriften unter Satz-Profis noch vor Jahren eher von Arrangement als von Liebe geprägt. Warum ein neues Format? Die Haupt-Kritiken an den beiden Standardfor- Die Gründe, ein einfacheres und moderneres maten: a) die Konkurrenz zweier unterschiedli- Schriftformat zu etablieren, sind im Grunde altbe- cher Schriftformate an sich, b) die Festlegung von kannt. Seit den Achtzigern bzw. den frühen Neunzi- Schriftfonts auf ein bestimmtes Betriebssystem. gern beherrschen zwei Fonttechnologien die Szene: Bei PostScript-Schriften kam schließlich noch ein PostScript und TrueType. Während das von Apple dritter Faktor hinzu: das "Nimm zwei"-Prinzip und Microsoft lancierte TrueType-Format in der – unterschiedliche Dateien für Monitordarstellung professionellen Medienproduktion nie so recht Fuß und Print-Outlines. fassen konnte, entwickelten sich PostScript-Schrif- Das deren Handhabung im Grunde lästig ist, liegt ten zum allgemein verwendeten Standard. Die auf der Hand. Auch über die Tatsache, dass zwei Gründe hierfür waren teils technischer, teils ästhe- konkurrierende Formate lediglich das Arbeiten tischer Natur. Zum einen erwiesen sich PostScript- verkomplizieren, braucht man wohl wenig Worte Schriften in PostScript-dominierten Arbeitsumge- zu verlieren. Ein weitaus größeres Handikap ist allerdings die Systemgebundenheit herkömmlicher

Vereint OpenType unvereinbare Gegensätze? Das Potenzial steckt durchaus drin. Darüber hinaus vereinfacht der Format-Newcomer nicht nur das Passieren von Betriebssystems-Grenzen, sondern auch die Handhabung landessprachlicher und typografischer Funktionen.

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Schriftfen. Während die meisten Anwendungspro- intern umkonvertiert. Für rund anderthalb Dutzend gramme auf beiden wichtigen Publishing-Plattfor- Figuren gilt dies jedoch nicht; sie haben auf dem men – Macintosh und Windows – zur Verfügung jeweils anderen System schlichtweg keine Entspre- stehen (und "nachhelfendes" Troubleshooting nur chung. Verantwortlich für die meisten der aufge- noch in wenigen Fällen nötig ist), gilt dies für führten Missstände ist eine simple Limitierung. Schriften nach wie vor nur bedingt. Ein InDesign- In der Anfangszeit der Computerentwicklung, als Dokument vom Mac etwa läßt sich mit einer PC- Speicherplatz noch kostbar war, legte man das Zei- Version des Programms ohne Probleme öffnen. chenvolumen von Schriftfonts auf 8 Bit fest. Dies Das Gleiche gilt für XPress, Illustrator und andere entspricht einer Maximal-Anzahl von theoretisch Medienproduktions-Standards. Bei Schriften indes 256, in der Praxis um die 240 Figuren. Im Ver- gestaltet sich die Sache bis heute knifflig. Post- gleich zum alten Bleisatz garantieren herkömmliche Script- und TrueType-Fonts müssen bei der Daten- Schriften also gerade mal Grundversorgungsniveau weitergabe von Mac auf Win (oder umgekehrt) bis – einer jener Gründe, die dazu führten, dass versier- heute mit entsprechenden Pedants auf der anderen te Typografen das Desktop Publishing anfangs eher Seite substituiert werden. Selbst dann, wenn die- verächtlich abtaten. Zwar sind die typografischen selbe Schrift auf der anderen Plattform vorhanden "Kinderkrankheiten" des DTP längst ausgemerzt. ist, können Schwierigkeiten auftauchen – zwar Die Notwendigkeit, immer wieder zu improvisie- nicht im Großen, allerdings bei den Details, dem ren, kennzeichnet den Einsatz von Schriften jedoch Umbruch. Identische Metriks – das heißt Schutz bis heute. vor Umbruch-Veränderungen – verhießen bislang lediglich die Fonts der Adobe-Schriftbibliothek. Systemübergreifend, internationalisiert & typogra- Über diese diversen Inkompatibilitäten hinaus fisch anspruchsvoll: Die Vorteile von OpenType gibt es bei herkömmlichen Schriften ein weite- An diesem Punkt setzt die OpenType-Technologie res Problem: die differierenden Belegungen des ein. In der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre von Standard-Zeichensatzes unter Mac und Win. Die den beiden Software-Branchenführern Adobe und meisten dieser Zeichendifferenzen werden zwar Microsoft entwickelt (in Kooperation mit fast allen

Die neue Regel: eine Schriftdatei pro Schriftschnitt. Obsolet machen OpenType- Fonts nicht nur unterschiedliche Schriftdatei-Versionen für Mac und Win, sondern auch sprach- oder zeichenspezifische Zusatzsets. Voraussetzung: Letztere sind im OpenType-Font vorhanden.

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namhaften Schriftherstellern), entstand ein Schrift- Script- oder TrueType-Schriften – wahlweise auf format, welches sehr viele Vorteile unter einem Macs oder PCs einsetzen. Die alten Dateiformate Hut vereint. Technologische Basis von OpenType werden dabei nicht gänzlich abgeschafft, sondern sind zwei sehr grundlegende Innovationen: 16 existieren unter der Haube weiter. OpenType-Fonts Bit Datentiefe und Unicode. Die neue Datentie- können intern sowohl im PostScript- als auch im fe – gängig mittlerweile auch bei einer Reihe von TrueType-Format vorliegen. Auskunft darüber gibt Systemschriften – ermöglicht eine Zeichenfülle die Datei-Endung: ".otf" für PostScript und ".ttf" von theoretisch mehr als 65000 Zeichen. Für die für TrueType. Zusammengefasst warten OpenTy- Tatsache, dass die neue Zeichenfülle nicht völlig pe-Fonts mit folgenden Vorteilen auf: nach Belieben definiert wird, sorgt der OpenType- Systemübergreifende Verwendbarkeit. OpenType- Schriften zugrundeliegende Standard Unicode. Das Fonts lassen sich sowohl unter Mac OS als auch alternativ zu ASCII bestehende Belegungssystem Windows installieren und verwenden. Probleme (von dem es übrigens auch auf 7, 8 und 32 Bit tauchen lediglich bei alten Betriebssystems-Versio- basierende Spezifikationen gibt) gab es zwar schon nen auf – wie etwa Windows 95. Neuere Betriebs- seit Beginn der Neunziger. Ähnlich wie der Lab- systeme unterstützen nicht nur OpenType-Fonts, Farbraum bei digitalen Bildern ist Unicode jedoch sondern warten selbst mit OpenType-ähnlichen ein recht großangelegter Entwurf, unter dessen Formatvarianten auf. Beispiele etwa: die Mac OS großem, in einzelne Sektoren untergliedertem Dach X-Systemschriften Geneva oder Lucida Grande. letztendlich alles seinen genau definierten festen Internationalisierungsfähigkeit. OpenType-Schrif- Platz findet: landesprachlich angepaßte Zeichenbe- ten erlauben das problemlose Unterbringen unter- legungen bis hin zu Kyrillisch, Arabisch, fernöstli- schiedlicher Alphabet- und Zeichenfiguren in chen Sprachen und umfangreichen typografischen einem Font. Das Kompilieren separater Schrift- Zusatz-Gimmicks. font-Dateien, wie es bei herkömmlichen Formaten Ein weiterer großer Vorteil: Das neue Format macht üblich ist, kann entfallen. Auch handhabungstech- die alten Systemgrenzen. obsolet OpenType-Fonts nisch bereitet dieser Aspekt wenig Probleme. Die lassen sich – im Gegensatz zu herkömmlichen Post- eigentliche Eingabe der Texte wird wie gehabt

Die auf dem umfangreichen Unicode basieren- den OpenType-Schriften enthalten – zumindest potenziell – genug Platz zum Unterbringen diverser Zeichensets. Abbildung: Kyrillic-Set der Warnock Pro – dargestellt über die Funktion "Zeichenpalette" unter Mac OS X.

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durch das Anwählen der passenden Tastatureinstel- enproduktionsprogramme fällt die Unterstützung lung unterstützt – ebenso wie bei herkömmlichen jedoch unterschiedlich aus. CE- oder Cyrillic-Spezialfonts. Der Unterschied bei OpenType-Schriften: Die Zeichen sind in Unterschiedlich ausgebaut, unterschiedlich der Standard-Schriftdatei bereits enthalten; ein unterstützt: Die Probleme von OpenType Wechsel zu einem entsprechenden Zusatzschnitt Dass der OpenType-Zug die letzten Jahre sichtlich erübrigt sich. Zu beachten ist allerdings, dass längst an Fahrt gewonnen hat, lässt sich auf drei Faktoren nicht jeder OpenType-Font zwangsläufig interna- zurückführen: neue Betriebssysteme, neue Applika- tionalisiert ist. Abhängig ist diese Funktion von tions-Versionen und neue Schriften. War OpenTy- dem Vorhandensein entsprechender Figurensets im pe noch zur Jahrtausendwende eine Domäne tech- jeweiligen OT-Font. nisch versierter Fach-Insider, finden mittlerweile Typografische Zusatzfunktionen. Ergänzend zu auch Praktiker genügend Gelegenheit, sich eine landessprachlich angepassten und erweiterten Zei- Meinung über Pro und Kontra zu bilden. Markan- chenbelegungen lassen sich in OpenType-Schriften te Einschnitte bilden die beiden Betriebssysteme auch typografische Zusatzfunktionen unterbringen: Windows 2000 und Mac OS X, das Erscheinen Mediaevalziffern, gleichlaufende Tabellenziffern, von Adobes Creative Suite sowie die mittlerweile erweiterte Ligaturen, Swash-Zierfiguren, Expert- fleißig aufs neue Format hin erweiterten Ange- Sätze, echte Kapitälchen, optimierte Fußnoten- bote der Schrifthersteller. Was das Ausschöpfen und Bruchziffern, und so weiter. Im Unterschied zu typografischer Zusatzfunktionen angeht, offerieren den bereits aufgeführten Vorteilen bedürfen diese insbesondere InDesign und Illustrator anspruchs- allerdings unterstützender Features seitens der ein- vollste Gestaltungsmöglichkeiten - wobei sich die gesetzten Applikationen. Auch aktuell unterstützt in einem Font enthaltenen Schönsatz-Gimmicks längst nicht jedes Anwendungsprogramm typo- teilweise per simples Button-Anklicken zuweisen grafische OT-Zusatzfunktionen. Zwar hat auch lassen. Ähnliche Funktionen, allerdings mit etwas QuarkXPress 7 nunmehr in dieser Beziehung auf- umständlicherer Zugriffsweise, enthält auch App- geschlossen. Außerhalb der gängigen Profi-Medi- les Textprogramm TextEdit. Auch QuarkXPress

Typografische OpenType-Funktionen: Die OpenType-Palette in Illustrator CS3 ermöglicht das Zuweisen von Schönsatz- (rot) und Ligaturen per Button-Klick. Die Mediaevalziffer-Varianten im Beispiel unten wurden über die Popup-Liste Zahl ausgewählt.

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unterstützt seit Version 7 die erweiterten OpenTy- OpenType Pro. Im Unterschied zu OpenType Stan- pe-Zeichensätze mit entsprechenden Funktionen. dard-Fonts, deren Zeichenaufkommen eher nach Die gute Frage allerdings ist, für wie wichtig pragmatischen Kriterien zusammengestellt sind, Anwender und Herstelle diese Funktionen halten. forcieren die mittlerweile rund drei Dutzend Pro- Dass das typografische Aufbrezeln des breiten Fonts aus dem Haus Adobe das möglichst umfas- Sortiments in vielen Fällen weder äthetisch noch sende Ausschöpfen diverser typografischer und/ kommerziell einen Sinn ergibt, leuchtet ein. Folge: oder landessprachlicher Figuren-Sortimente. Auch Altbetagte Werbeschrift-Klassiker (wie etwa die sprachbelegungstechnisch sind bei den Pro-Fonts Copperplate oder die Gillies Gothic) werden ihre zumindest mitteleuropäische Zeichenaustattungen OpenType-Karrieren vorwiegend als systemüber- Pflicht. In der Summe hat das Pro-Unterformat greifend verwendbare Fonts erleben. Nicht mit nicht unwesentlich dazu beigetragen, den Markt für wesentlichen Zeichenset-Aufstockung zu rechnen OpenType-Schriften in zwei unterschiedliche Seg- ist wohl auch bei den Textschrift-Klassikern aus mente auszudifferenzieren: auf der einen Seite die der dritten und vierten Reihe. Vielen UserInnen Standard-Schriften, bei denen vor allem die Frage kommen offensichtlich auch ohne zusätzliche Zei- der systemübergreifenden Verwendbarkeit im Vor- chensets aus; der Spezialmarkt bezüglich Expert-, dergrund steht, auf der anderen hochversierte Pro- Small Caps- oder Landessprachen-Versionen kon- Schriften mit mitteleuropäischer Sprachausstattung zentrierte sich bereits bislang vorwiegend auf die (als Minimum) sowie zahlreichen typografischen kommerziell erfolgreiche(r)en Modelle: Frutiger, Zusatz-Gimmicks. Helvetica, Meta, Times, Stempel & Adobe Gara- Auf den Pro-Zug springen mittlerweile zahlreiche mond, und so weiter. Schrifthersteller auf. Ins Pro-Format neu kompi- Typografisch anspruchsvoll oder nur system- liert sind mittlerweile auch einige Textschrift- und übergreifend verwendbar? Hier scheiden sich die Schriftsippen-Exponate aus der FontFont-Biblio- Geschmäcker. Die unterschiedlichen Akzentuie- thek. Auch andere Hersteller – wie zum Beispiel rungsmöglichkeiten haben mittlerweile eine eige- Linotype, Monotype, Elsner + Flake sowie URW++ ne OpenType-Unterspezifikation hervorgebracht: – verschließen sich dem Trend zu besser ausge-

Schrift-Menü in InDesign CS3: Die jeweiligen Schrift-Formate können auf Wunsch mit angezeigt werden. Anschauungshalber ist die Schrift Chalet (oben) in allen drei Format- varianten installiert.

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bauten Schriften nicht. Ob mit oder ohne explizi- Schriften sieht es ähnlich aus. Daumen mal Pi lässt te Zusatzbezeichnung im Schriftnamen: komplett sich folgende Regel aufstellen: Gab es bereits zu den relaunchte Edel-Editions alter und neuer Schrift- entsprechenden PostScript-Varianten zusätzliche klassiker sind in den letzten Jahren dutzendweise Zeichensets, sind diese in der OpenType-Variante erschienen. Überarbeitet, aufgebrezelt, erweitert, in den Standardschnitt integriert. neu kompiliert und bei der Gelegenheit ins Open- Type-Format transformiert sind mittlerweile auch Die Zukunft von OpenType viele Schriften, die nicht explizit mit dem Namen Wie sieht die Sache auf Anwenderseite aus – also "Pro" winken. Ein Beispiel für extensive Ausstat- bei den Programmen? Grundsätzlich gilt: Installa- tung mit Akzentzeichen, Ligaturen und weiteren tion und Anwendung auf beiden Standardplattfor- zusätzlichen Zeichensätzen ist etwa die Mrs Eaves men bereiten keine besonderen Probleme. Für das des US-amerikanischen Typolabels Emigre – keine Nutzen der potenziell in den Schriften steckenden Pro-Schrift, aber ausstattungstechnisch mit diesen Zusatzzeichen offerieren Betriebssysteme, XPress durchaus vergleichbar. 7 sowie die Klassiker aus der Creative Suite spe- Andere OpenType-Fonts liegen ausstattungstech- zielle Zeichen- oder Glyphen-Paletten. Begriffe, nisch ungefähr in der Mitte zwischen "Pro" und der auf die OpenType-Anwender in Zukunft genau- herkömmlichen Standardausstattung. Beispiel: die er achten sollten: In der OpenType-Terminologie Stempel Garamond von Linotype. Die OpenType- nämlich charakterisieren Glyphen als Oberbegriff Version der Stempel Garamond wartet zwar mit eine bestimmte Figur – beispielsweise die Ziffer 1. der "Standard"-Kennung "Std" auf. Ausstattungs- Vorkommen kann diese Ziffer in einem OpenType- technisch beinhalten die entsprechenden Schnitte Font jedoch in unterschiedlichen Agregatzuständen: jedoch das Zeicheninventar, dass bei der Post- als Normalziffer, als Tabellenziffer, als Mediaeval- Script-Version von entsprechenden Zusatzschnitten ziffer, in Kapitälchen- oder in Fußnotengröße. abgedeckt wurde – im konkreten Fall Small Caps, Die konkreten, im Erscheinungsbild voneinander Mediaevalziffern sowie die Basicausstattung für abweichenden Ausgestaltungen werden der Unter- zentraleuropäische Sprachen. Bei anderen OT- scheidung halber daher als Zeichen bezeichnet.

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Da PostScript-, TrueType- und OpenType-Schrif- skizzieren selbst aktuelle Pro-Schriften lediglich ten in der aktuellen Produktion nebeneinander einen Teil der Möglichkeiten, die in dem neuen koexistieren und parallel eingesetzt werden, stellt Format noch schlummern. Angedacht wird gegen- sich die Frage, wie lange dieser Zustand wohl wärtig einiges: Via OpenType-Funktion regulieren noch andauern wird. Die Antwort: Vermutlich ließen sich auch weitere mikrotypografische Details noch eine ganze Weile. PostScript- und TrueType- – etwa unterschiedliche Laufweiten und Buch- Schriftversionen sind – vor allem, was die Altbe- stabenzurichtungen für Kleingedrucktes, Grund- stände angeht – weiterhin erhältlich und können schrift-Größen und Headlines. Auch Alternate- wie bisher eingesetzt werden. Was den Umstieg Versionen – also Glyphen mit unterschiedlichen aufs neue Format angeht, spielen natürlich auch Buchstabenvarianten sind denkbar. Ein ebenfalls die finanziellen Dimensionen eine nicht unwesent- weiterverfolgbares Potenzial verdeutlicht etwa die liche Rolle. Sämtliche Schrifthersteller verlangen Linotype-Schreibschrift Zapfino, bei der sich über für OpenType-Schriften Neu-Preise. Argumen- die Ligaturenfunktion unterschiedliche Zeichenva- tiert wird damit, dass OpenType-Schriften nicht rianten generieren lassen. Ergebnis: eine Schrift, die nur eigenständige Neuanschaffungen sind, sondern aufgrund der unterschiedlichen Buchstabenvarian- – über die systemübergreifende Verwendbarkeit ten noch stärker "handgeschrieben" aussieht. Eine hinaus – oft auch umfangreichere Zeichenbestände andere Verwendungsmöglichkeit dieser Art von aufweisen und daher vielseitiger nutzbar seien. Wie Semiintelligenz wäre eine automatische Höhen- sich die Nachfrage nach OpenType-Schriften oder reduzierung bei Versalsatz – also Großbuchstaben Schriftversionen in der Zukunft gestaltet, kann an kleiner als herkömmliche Versalzeichen, aber größer dieser Stelle nur vermutet werden. Angesichts der als Kapitälchen. Einige dieser High End-Typogim- bereits lizensierten Altbestände ist eher mit einem micks liegen derzeit bereits als OpenType-Schrift langsamen, sich bestenfalls kontinuierlich vollzie- vor. Beispiel: die Minion Pro, die nicht nur eine henden Umstieg auf OpenType zu rechnen als mit Condensed-Nebenreihe enthält, sondern unter- einem abrupten Wechsel. schiedliche Varianten für unterschiedliche Schrift- Andererseits: Vom innewohnenden Potenzial her größen. Allerdings: Steuerbar ist diese Funktion

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bislang nur über das Auswählen unterschiedlicher Schriftschnitt-Varianten. Zukunftsmusik? Möglich, dass all diese Variati- onsmöglichkeiten nach und nach in OpenType- Schriften auftauchen. Paradoxerweise könnte das neue technische Format so jenen Satz-Detailreich- tum wiederbringen, dessen Verlust einige Typogra- fen schon länger beklagen. Geht diese Entwick- lung konform mit unterstützenden Programmen, systemübergreifend einsetzbaren Schriften und ent- sprechend anwenderfreundlichen Funktionen, wäre gegen derlei Satz-Eleganz auf allermodernstem Level sicher nichts einzuwenden, im Gegenteil. In dem Sinne hat OpenType seine große Zukunft fraglos noch vor sich.

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Vielseitig genutzt, ist das World Wide Web mittler- Punkt bringt diese Entwicklung der gerade einige weile das Medium Nummer eins. Auch für Schrift- Jahre alte Begriff Web 2.0. Verändert haben sich anwender werden seine Möglichkeiten und Heraus- jedoch nicht nur Breitendurchdringung, Techno- forderungen immer wichtiger. Ob "nur" Konsument logien und Interaktionsverhalten. Auch in Sachen oder Betreiber einer Site, ob Schriftenkauf für Schrifttechnologie, Medienpublizieren allgemein herkömmliche Print-Dienstleistungen oder Anbie- unterstützte Grafikfeatures hat sich seither einiges ter in Sachen Webdesign – beim Thema "Internet getan. Für die Anwender digitaler Schriften machen und Schriften" kommen eine Reihe Aspekte zum sich die Veränderungen vor allem in folgenden vier Tragen. Die für professionelle Medienproduktioner Bereichen bemerkbar: relevanten beschreibt der folgende Beitrag. - den Distributionsmöglichkeiten von Schriften Noch vor zehn Jahren galt Internet-Publishing - der Verwendung monitor- und zeichenausstat- zwar als zukunftsträchtig. Vom Arbeitsalltag her- tungsoptimierter Systemschriften kömmlicher Mediengestalter, Freischaffender und - der Verwendung von Schriften im Webdesign Print-Publisher allerdings war das Genre recht weit selbst und schließlich entfernt. Konkret hieß das: "Webdesign" war eine - den Webdesign-Fähigkeiten klassischer DTP- Angelegenheit technisch entsprechend versierter Applikationen Spezialdienstleister. Jahre nach dem spektakulären Sehen wir uns die aufgeführten Aspekte etwas Platzen der Dotcom-Blase hat sich zum einen näher an. jedoch die Anzahl der Webanbieter drastisch ver- Schrift-Anbieter im Internet vielfacht. Verstärkt ins Spiel kamen zusätzlich neue Die Headline "Schriften im Internet" darf mittler- Technologien und Interaktionsformen. Auf den weile wortwörtlich ausgelegt werden. Beschränkten

Im Internet ist alles anders – auch der Umgang mit Schriften. Anstatt festumrisse- ner Outlines zählen Pixel. Schriftvielfalt reduziert sich auf die Systemschriften des Anwenders. Aller scheinbaren Widrigkeiten ungeachtet: Gut aussehende und gut lesbare Typografie ist auch beim Webdesign drin.

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sich die klassischen Font-Großanbieter vor einem lizenzrechtlich fragwürdige Exponate, sind vorbei. Jahrzehnt noch vorwiegend auf das Online-Stellen Unabhängige Foundries offerieren oft nicht nur mehr oder weniger aussagekräftiger Schriftmu- typografisch liebevoll gestaltete Seiten, sondern ster, ist kommerzieller Schriften-Download mitt- auch Qualitätsfonts, an die man sonst wohl nur lerweile business as usual. Auch am Angebot gibt schwerlich herankäme. es mittlerweile kaum noch etwas auszusetzen. Ob Auftrieb bekommen hat mit dem Wachsen des Schriftmuster, Suchfunktionen, begleitende Infos Internets auch der Faktor typografische Informa- zu einzelnen Schriften, die grafische Struktur der tion. Ob eher technisch oder eher ästhetisch: Dem einzelnen Hersteller-Portale oder der Kaufvorgang Wissen rund um den Einsatz digitaler Schriften als solcher: Webseiten-Schriftmuster mit selbst ein- widmen sich eine Reihe unterschiedlicher Seiten. tippbarem Mustertext ersetzen zwar kaum gedruck- Verstärkt zum Zuge kamen die letzten Jahre auch te Schriftmuster. Vielen Anwender reichen derarti- sogenannte Typo-Wikis – Fach-Webseiten, die ge Online-Proben jedoch offensichtlich aus für die interaktiv funktionieren, und in denen auch User Kaufentscheidung. ihre Erkenntnisse eingeben können. Die meisten Längst hat sich die flächendeckende Online-Dis- Info-Seiten zum Thema Typografie funktionie- tribution zum Normalfall entwickelt. Linotype, ren allerdings entweder nach dem herkömmlichen einer der größten Traditionsanbieter, offeriert sein Prinzip oder offerieren eine Mischform aus her- kostenloses Schriftverwaltungstool Font Explorer X kömmlicher Info und Fach-Forum. mit integrierter Kauf-Funktion. In Sachen Webprä- senz voll auf der Höhe der Zeit sind zudem nicht Systemschriften: Optimiert für Monitordarstel- nur Branchengrößen wie Linotype, Monotype, lung und Zeichensätze Fontshop oder URW++. Zugute gekommen ist der Fortgeschritten ist im Zuge der zunehmenden Internetboom vor allem den kleineren, unabhängi- Internationalisierung auch die Entwicklung bei den gen Anbietern. Die Zeiten, in denen Schrift-Adres- Systemschriften. Im herkömmlichen Print-Publis- sen im Internet vorwiegend Fundgruben waren für hing gelten Arial, System-Times, System-Helveti- ästhetisch umstrittene, technisch unzulängliche und ca, Lucida Grande oder Geneva zwar nach wie vor

Schriftbezug im Internet: Die Webauftritte großer und kleiner Hersteller sorgen für einen schnellen Zugang zu neuen Schriften. Abbildungen: Webseiten von FontShop und Linotype.

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als nicht produktionstauglich. Was den Rechner- Ohne stark aufgestockte Zeichensets, basierend Betrieb angeht, die Darstellung von Menüs etwa auf 16 Bit Datentiefe und dem einheitlichen Zei- oder auch die Frage, welche Schrift aktiviert wird chenbelegungsstandard Unicode, wären aktuelle für das Browsen im Internet, sind die aufgeführ- Systeme allerdings nur noch beschränkt arbeits- ten Systemschriften unabdingbar. Im Zuge der fähig. Hauptgrund für diesen Trend zu Schriften Etablierung neuer Betriebssystems-Varianten hat mit mehr Zeichen ist die im Vergleich zu früher sich hier einiges getan. Waren vor zehn Jahren stärker präsente Internationalisierung. Der stärkere noch TrueType-Fonts mit 8 Bit, systemabhängiger internationale Austausch von Dokumenten und ASCII-Zeichenbelegung und maximal 256 Zei- Information allgemein betrifft technisch gesehen chen die Standards im Metier, handelt es sich bei nicht nur Printjobs, sondern auch eine Reihe von der aktuellen Generation von Systemschriften eher Systemfunktionen sowie die Textdarstellung von um nahe (allerdings systemgebunden-proprietäre) Internetseiten. Praktische Folge: Um möglichst Verwandte von OpenType-Schriften. viele Zeichen möglichst einheitlich abzudecken, Von ihren Vorgängern beibehalten haben aktuelle muss eine Systemschrift auch mitteleueropäische Systemschrift-Varianten vor allem eine Eigenschaft: Zeichen – eventuell auch griechische, kyrillische Sie sind nach wie vor Monitorschriften; das heißt, oder nahöstliche – in petto haben. ihre Darstellungsqualitäten sind vor allem auf die Monitorwiedergabe hin optimiert. Technologischer Begrenzte Möglichkeiten: Schriftverwendung im Vorreiter in dieser Beziehung ist die aktuelle Win- Webdesign dows-Version Vista, für das der Berliner Schrift- Aufgrund ihrer Monitoroptimierung sind Lucida entwerfer Lucas de Groot die beiden Systemfonts Grande, Arial & Co. auch Standardschriften für Calibri und Corpid entwarf. Mit ClearType offe- die Darstellung von Internetseiten. Einer grund- riert Vista auch eine neue Glättungstechnologie, legenden Spielregel muss bei der Erstellung von die in der Lage ist, etwas mehr an Detailschärfe zu Webseiten stets Rechnung getragen werden: Wie liefern als andere gängige Algoritmen. eine Webseite konkret aussieht, hängt wesent- Verbesserte Darstellung mag zwar nützlich sein. lich mit ab von den jeweiligen Einstellungen des

Systemschriften sind Monitorschriften. Die Mac Os X-Systemschrift Lucida Grande ist nicht fürs Printdesign opti- miert, sondern soll vor allem auf dem Monitor eine gute Figur machen.

Internationalisierung: Systemschriften wie die Lucida Grande sind mit Tausenden von Zeichen ausgestattet. Der dahintersteckende Sinn: Abdeckung möglichst vieler Sprachen und Alphabete.

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Empfängers. Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe Zwischenüberschriften oder Auflistungen um so von Beeinflussungsmöglichkeiten. Von der Schrift wichtiger. Eine regelmäßig auftauchende Stolper- selbst einmal abgesehen, lassen sich beim Webde- falle ist der Faktor Umwandlung von Umlauten. sign sehr viele Formatierungsparameter festlegen. Da längst noch nicht alle Browser Umlautzeichen Folgerichtig sollten die allgemeinen typografischen selbsttätig umwandeln, bietet lediglich die ent- Gestaltungsregeln natürlich auch beim Gestalten sprechende HTML-Zeichenfolge absolute Sicher- von Internetauftritten zum Zug kommen. Als heit. Die sieben wichtigsten Zeichencodierungen: schlechter typografischer Stil gelten insbesondere "ä" für "ä", "Ä" für "Ä", "ö" für folgende Punkte: "ö", "Ö" für "Ö", "ü" für "ü", "Ü" - viele unterschiedliche Schriftgrößen durcheinander für "Ü" und schließlich "ß" für "ß". - viele Farben allgemein sowie wenig Kontrast zwi- Was die Schriftwahl anbelangt, orientieren sich schen Hintergrund und Text im Besonderen professionelle Webseitengestalter an dem System- - Bleiwüsten ohne Absätze und sonstige Untertei- schriften-Inventar des Endanwenders – also vor lungen allem Times, Helvetica und Arial. Anders als bei- - wilder Mix von Schriften spielsweise im Buchsatz gelten bei Webseiten seri- - Unterstreichungen und Versal-Text fenlose Schriften als besser lesbar. Da im Detail Zwar hat das Internetdesign seine eigenen Gesetz- nicht absehbar ist, welche Schrift genau auf dem mäßigkeiten. Allerdings: Unschönheiten, die im Rechner des Empfängers zur Verfügung steht, wer- Metier Gewohnheitsrecht beanspruchen (wie etwa den in den Font-Tags zur Festlegung der Schrift unterstrichene Hyperlinks), lassen sich mittlerweile meist mehrere Schriften angegeben. Sicher ist recht elegant umgehen (beispielsweise, indem eine sicher: Ist die erste Schrift nicht vorhanden, ver- andere Farbe als Linkfarbe definiert wird – ohne sucht der Browser auf die nächste angegebene zuzu- Unterstreichung). Auf andere sollte man verstärkt greifen. Letzter Bestandteil des Font-Tags ist in der achten. Da die Textlänge auf Internetseiten – anders Regel die allgemeine Angabe "sans-serif", "serif" als bei Buch- oder Zeitschriftenseiten – nicht limi- oder "monospace". Sie gewährleistet, dass ganz tiert ist, sind untergliedernde Komponenten wie sicher eine Schrift der entsprechenden Schriftgrup-

Auch typografisch up to date: das Webportal von tagesschau.de. Ob die einzelnen Formatierungen so auch angezeigt werden, hängt jedoch davon ab, ob beim User die entsprechenden Systemschriften aktiviert sind.

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pe aufgerufen wird. Gängige Gruppenkonstellation Zuge kommenden Style Sheets ermöglichen das bei der Angabe von Font-Tags sind entsprechend: Anlegen stilvorlagenähnlicher Typoattribute – etwa - "Arial, Helvetica, sans-serif", "Verdana, Arial, für den Grundtext, für Zwischenüberschriften, für Helvetica, sans-serif", ""Trebuchet MS", Helvetica, Zitatpassagen, für technische Zusatzangaben, und sans-serif" und ""Lucida Sans Unicode", "Luci- so weiter. Angelegt werden können Style Sheets da Grande", sans-serif" zur Anwahl serifenloser sowohl innerhalb einer HTML-Datei als auch im Schriften, Rahmen einer eigenständigen CSS-Datei. Da bei - ""Times New Roman", Times, serif" oder "Geor- der Definition von CSS-Formaten auch Attribute gia, "Times New Roman", Times, serif" zur Auf- wie Zeilenabstand, Schriftgröße, Zeichenabstand wahl einer Seifenschrift und schließlich das Tag und – begrenzt – Schriftschnitt bestimmt wer- - ""Courier New", Courier, monospace" zur Aus- den können, erlaubt das Arbeiten mit ihnen eine wahl einer Schrift mit einer einheitlichen Laufwei- weitaus größere Kontrolle über das typografische te. Erscheinungsbild einer Website als die in dieser Auch in Sachen Schriftgröße erlaubt die HTML- Hinsicht eher grobmotorisch funktionierende Aus- Auszeichnungsmethode durchaus Variationen; zeichnungssprache HTML. unterstützt werden sechs Überschriftenebenen in entsprechend unterschiedlich großen Schriftgrö- Webdesign und "klassisches" Publishing ßen. Mit den beiden Standardtags und Gut geeignet sind Style Sheets auch für das Hin- (für den Abschluss der Formatierung jeweils wie- terlegen typografischer CI-Vorgaben. Fazit: Von derholt mit Schrägstrich vor dem Buchstaben) der Schriftwahl abgesehen, ist eine einigermaßen lassen sich auch fette und kursive Textpassagen manierlich daherkommende Typo auch im Internet auszeichnen. Über die eher rudimentären HTML- durchaus herstellbar. Zu erwähnen sind schließ- Formatierungsmöglichkeiten hinaus hat sich die lich noch zwei Sonderformen: zum einen die letzten Jahre vor allem das Arbeiten mit soge- in Wikis gebräuchlichen Formatierungstechniken, nannten Cascading Style Sheets (abgekürzt: CSS) zum zweiten die Einbindung von PDF-Dokumen- etabliert. Die als Erweiterung von HTML zum ten in Internet-Seiten. Die bei Wikis zum Zuge

HTML-Quellcode: Richtiger Code sorgt für eine saubere Anzeige von Webseiten. Mit Cascading Style Sheets (CSS) läßt sich auch feintypogra- fisch einiges einstellen.

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kommenden Formatierungsbefehle, in der Regel Trotz besagter Einschränkungen sind PDFs im Web eine vereinfachte, möglichst anwenderfreundlich längst eine vielverwendete Ergänzung – ähnlich wie gehaltene Zeichensyntax, dürften für die meisten Bilder, Töne oder Movies. Auch die Browsertechno- Mediengestalter eher eine periphere Angelegenheit logie kommt mit PDF-Dokumenten mittlerweile darstellen. Anders verhält es sich bei der Aufberei- recht reibungslos klar. Vielseitig – sprich: medien- tung von PDF-Dokumenten für das Internet. Über übergreifend verwendbar – sind im Verlauf der den Umweg von Grafiken ermöglicht zwar auch letzten Jahre auch die klassischen Layoutapplika- HTML die Verwendung exotischer Schriften. Da tionen geworden. Quark XPress ermöglicht bereits dies jedoch bei Fließtext wenig Sinn ergibt, hat sich seit Version 4 das Anlegen und Exportieren einfach vor allem das PDF-Format als favorisierte Lösung aufgebauter Webseiten. Konkurrent InDesign baut etabliert für das Festlegen einer typografisch-layou- in dieser Beziehung traditionell auf die Kraft vieler terischen Feingestaltung. Hände – sprich die in den Creative Suite-Paketen Der Vorteil von PDF liegt auf der Hand. Anders enthaltenen Spezialanwendungen. Neuerung hier: als bei Webseiten kann bei PDF-Dokumenten mit Bot InDesign CS2 noch den Exportbefehl "Verpak- herkömmlichen Seitenaufbau-Strukturen gearbeitet ken für GoLive", offeriert die aktuelle Suite-Version werden. Auch das Einbetten professioneller Schrif- 3 ein neues Tool – nicht mehr GoLive, sondern ten ist – zumindest grundsätzlich – nicht ganz das ehemalige Makromedia-Produkt Dreamwea- unmöglich. Allerdings: Wie von Jürgen Siebert in ver. Fazit: Sieht man von der Tatsache ab, dass die dieser Broschüre näher ausgeführt, gibt es auch Schriftwahl beim Webdesign wohl auch in Zukunft hier Einschränkungen. Dies betrifft vor allem den auf den Fundus vergleichsweise weniger System- Kopierschutz. Dies heißt konkret: Viele Lizenzbe- schriften beschränkt bleibt, haben sich Internet und stimmungen enthalten beim Thema "Einbettung klassisches Publishing mittlerweile auf eine viel- von Fonts in PDF-Dokumente" eine Restriktion, fältige Art und Weise durchdrungen. Wie sich die dass eine Schrift allenfalls auf eine solche Weise Entwicklung in der Zukunft gestalten wird, darauf eingebettet werden darf, die ein späteres Extrahie- darf man gespannt sein. ren der Fonts unmöglich macht.

Webseiten-Design in Adobe Dreamwaver: Wie die Schriftliste zeigt, werden bei der Formatierung nicht feste Schriften angesprochen, sondern Gruppen. Ist Nummer eins auf dem Rechner des Users nicht vorhanden, sucht der Browser eben die nächste.

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Verglichen mit anderen Computer-Anwendungs- oder einzelnen Anwendungen installiert werden. bereichen, ist das Schriften-Aufkommen in Druck- Eigene Schriften, Kundenschriften, Systemschrif- vorstufe, Reinzeichnung und Satz immens. Wie ten und Programmschriften: Summa summarum schafft man Überblick im alltäglichen Schriften- ergibt sich so ein Schrift-Konklomerat, angesichts Dschungel? Welche Strategien empfehlenswert sind dessen manche Anwender am liebsten laut "Hilfe!" und welche Tools dabei helfen können, beschreibt rufen würden. Was tun? Der Fall liegt auf der Hand: das folgende Kapitel. Der Rechner, oder das Netzwerk, brauchen eine Schriftverwaltung. Fonts ohne Ende? Die Schriften-Problematik Schriftverwaltung ist in der Print-Produktion ein Eine gute Frage ist, welche. Gerade im Bereich zeitloses Dauerthema. Ob Mac oder PC: Anders Schriftverwaltung herrschte lange Jahre ein unüber- als normale Consumer, Officeprogramm-Anwen- sichtliches Nebeneinanderher unterschiedlicher der oder andere Computer-User müssen Grafi- Systemerweiterungen, Hilfstools und Anwendun- ker, Setzer, Service-Dienstleister und Kreative mit gen. Nachdem Adobe seinen Adobe Type Manager einer Vielzahl unterschiedlicher Schriften jonglie- für den Mac einstellte, blieb auf dieser Plattform ren. Überdurchschnittlich hoch ist zum einen die zunächst nur die Lösung Suitcase von Extensis. Menge. Zur Bibliothek mit den eigenen Favoriten Als zweite Profi-Anwendung gesellte sich in den gesellen sich jobspezifische Fontzusammenstellun- letzten Jahren die Software FontExplorer X von gen. Besonderheit: Sie müssen nicht ständig, son- Linotype hinzu. Auch unter Windows haben sich dern lediglich zeitweilig aktiviert werden. Ein wei- alternierende Lösungen zum Adobe Type Manager terer Faktor sind Schriften, die vom Betriebssystem bzw. der Windows-Systemfunktion "Schriftarten"

Um mit dem Texten richtig loszu- legen, muß die Schriftverwaltung schon stimmen.

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fest etabliert. Abgesehen von der reinen Windows- großteils unverzichtbar, für die Print-Produktion Lösung Fontmanager von Typograf stehen für PC- jedoch eher nicht geeignet. In der Vergangenheit Umgebungen mittlerweile auch Suitcase und Font- ließ sich dieser Konflikt vergleichsweise einfach Explorer zur Verfügung. Welcher Applikation man lösen: indem man die nicht benötigten System- auch immer den Vorzug geben will – eines haben schriften deinstallierte. Mac-User beispielsweise sie alle gemeinsam: Sie erweitern die systemeigenen benötigten auf dem klassischen Mac OS lediglich Schriftverwaltungsfunktionen durch eine dezidier- die drei Systemfonts Chikago, Geneva und Monaco. tere, übersichtlichere und detailgenauere Übersicht. Bei den modernen Betriebssystem-Versionen Das Herzstück aller Schriftverwaltungen schließ- ist derartiger Systemschriften-Minimalismus ist lich ist die Möglichkeit, Fonts und Fontpakete nicht mehr praktizierbar. Der Grund: System und bedarfsweise zu aktivieren und zu deeaktivieren. Anwendungen benötigen heutzutage weitaus mehr "Objektiv" hat sich in den letzten Jahren der Bedarf Schriften als noch vor zehn Jahren. Schriften für die nach einer spezialisierten, professionellen Fontver- Darstellung nichtlateinischer Schriftsysteme etwa waltungs-Software zweifelsohne erhöht. Die bei- sind mittlerweile geradezu unverzichtbar (siehe den Hauptgründe hierfür hängen eng miteinander hierzu auch die Beiträge zu den Themen "Open- zusammen. Der erste sind die in der Druckpro- Type", "Schriften im Internet" und "Internationa- duktion nötigen Qualitätsanforderungen. Hier hat lisierung"). Bereits das Betriebssystem benötigt so sich die Branche recht früh auf das von Adobe mit weitaus mehr Schriften als früher. Hinzu kommen lancierte PostScript-Format festgelegt. TrueType- die Schriften, die von Anwendungen installiert Schriften hingegen gelten drucktechnisch gesehen werden. Ein nicht unbeträchtliches Schriftpaket als heikel – eine Einschätzung, in die oft auch ist im Lieferumfang der Creative Suite von Adobe von ästhetischen Vorbehalten untermauert ist. Das enthalten. Zwar handelt es sich hierbei teilweise um Problem ist, dass ein nicht unerheblicher Teil an recht hochwertige Schriften – eine Art Schnupper- Computerschriften eben aus TrueType-Schriften paket für das Ausprobieren typografischer Open- besteht. Hierzu zählen insbesondere die aktuellen Type-Funktionen. In der Summe führen die von Systemschriften – für den aktuellen Rechnerbetrieb System und Programmen vorinstallierten Fonts

Systemschriften unter Mac OS 10.5: Die Fonts in diesem Ordner sollte man nicht antasten. Allerdings besteht die Möglichkeit, sie via Schriftverwaltungssoftware mitzu- verwalten.

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allerdings zu Hauptgrund Nummer zwei für eine installierte Schrift dabei wäre. Fazit: Der Leistungs- professionelle, DTP-gerechte Schriftverwaltung: umfang professioneller Verwaltungs-Software bein- den Faktor Komplexität. Bereits die Verwaltung haltet zwar auch das Mitverwalten von System- und von System- und Programmschriften ist mittler- Programmschriften. Wer allerdings wissen möchte, weile eine nicht ganz unanspruchsvolle Aufgabe. welche Schrift was auf seinem Rechner tut (und Mac OS X etwa offeriert vier unterschiedliche welche benötigt wird und welche nicht), sollte sich Stellen für Fonts: den Font-Ordner in der Library mit den systemeigenen Schriftbeständen etwas des Systems (die eigentlichen Systemschriften), den näher beschäftigen. Font-Ordner unter "Library" (zusätzlich installierte Schriften), die "Font"-Ordner in den "Library"- Systemschriften ausmisten Ordnern des Benutzers oder der Benutzer und Ob Windows XT, Vista oder Mac OS X: Ein, schließlich den Ordner "Zeichensätze" im Syste- zwei Handvoll Schriften sind für den Betrieb von mordner der Classic-Umgebung. Hinzu kommen System und Programmen unabdingbar. Doch längst weitere "Fonts"-Ordner unter Library > Applika- nicht alle Schriften, die unter System > Library > tion Support. Adobe etwa legt seine CS-Schriften Fonts (Mac OS) oder im Verzeichnis Windows dort im Unterverzeichnis Adobe > Fonts ab. Auch > Fonts (WIndows) abgelegt sind, zählen zu die- diese Ablageorte sind eventuell doppelt zu checken ser Gruppe. Bei vielen handelt es sich lediglich – einmal nämlich im "Library"-Hauptordner und um Betriebssystems- oder Programm-Zugaben. einmal in den jeweiligen "Library"-Ordnern des Die eigentliche Grundausstattung ist auf beiden oder der Benutzer-Accounts. Standardsystemen überschaubar. Unter Windows Die beschriebene Komplexität ist einer der Haupt- besteht sie aus den Standards Times New Roman, gründe, warum selbst erfahrene Anwender kaum Arial, Verdana, den beiden neuen Vista-Schriften noch Hand an den Dschungel der unterschiedli- Calibri und Corpid sowie den Schriften, die zur chen Ordner legen möchten. Folge: überquellende Darstellung fremder Schriftsysteme wie zum Bei- Schriftmenüs in InDesign, Illustrator, XPress & Co. spiel Arabisch oder Japanisch benötigt werden. Mac – und das, ohne dass auch nur eine einzige selbst OS X benötigt Lucida Grande, Geneva, Helvetica,

Kein Schriftschnitt-Korsett: Auch unter Windows zeigt das InDesign-Schrift- menü die Schnitte der Adobe Garamond so an wie vom Hersteller vorgesehen.

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Times sowie – falls fremde Schriftsysteme ange- Format handelt, sollten sie – eigentlich – durch ent- zeigt werden sollen – ein paar weitere Schriften sprechende Fontvarianten in den Formaten Post- aus dem Ordner System / Library Fonts. Frage: Script oder OpenType ersetzt werden. Die Option, Sollte man die Schriften zur Darstellung fremder anstelle der System-Helvetica eine PostScript- oder Schriftsysteme deaktivieren? Die korrekte Antwort: OT-Helvetica zu aktivieren, ist grundsätzlich zwar Jein. Via Schriftverwaltungs-Systemerweiterung möglich, aktuell jedoch allerdings mit Schwierig- oder Schriftverwaltungssoftware lassen sich zwar keiten und Unabwägbarkeiten behaftet. Technisch auch diese Systemschrift-Komponenten problemlos gesehen ist diese Koexistenz zweier unterschiedli- deinstallieren. Lediglich Texte in entsprechenden cher Schriftvarianten zwar kein größeres Problem Schriftsystemen lassen sich dann nicht mehr anzei- mehr. In Sachen Klarheit und Übersicht besteht gen. Osteuropäische, griechische oder kyrillische hier jedoch nach wie vor Verbesserungspotenzial. Zeichen hingegen werden bereits von den Basis- Letzte Grundsatzfrage vor dem Etablieren einer Systemschriften abgedeckt. professionellen Schriftverwaltungssoftware: Soll Ein nicht unwesentliches Problem ist, dass einige man die zusätzlichen Font-Ordner von Hand aus- dieser System-Basisschriften mit Basisschriften für räumen, oder soll man diesen Job der Verwal- die Druckproduktion kollidieren. Auf dem Mac tungssoftware überlassen? Die Beantwortung dieser etwa wird die Schrift-Grundversorgung durch zei- Frage hängt von der persönlich präferierten Stra- chentechnisch stark aufgestockte Versionen von tegie ab. Bevorzugt man aufgeräumte Verzeich- Arial, Lucida Grande und Helvetica aufrechter- nisse mit möglichst wenig "Ballast", bietet es sich halten. Konkrete Auswirkung: Unter Mac OS 10.5 sicherlich an, vorab aufzuräumen und der Verwal- sind System-Helvetica und System-Neue Helvetica tungssoftware so eine klare Struktur vorzugeben. normalerweise nicht deaktivierbar. Dies beinhal- Der Nachteil beim Auslagern (Tipp: ausgelagerte tet einen latenten Konflikt beim Einrichten einer Schriften nie löschen, sondern in ein unverfängli- eigenen Schriftverwaltung. Da es sich bei diesen ches Auslagerungsverzeichnis verschieben) besteht Helvetica-Varianten um schnittechnisch abgespek- darin, dass auch hier einige Details wichtig sind. te Systemschrift-Varianten in einem proprietären Die Schriften des Creative Suite-Pakets etwa lassen

Format-Anzeige: Icons für TrueTy- pe, PostScript und OpenType liefern auch in Anwendugsprogrammen wertvolle Informationen.

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sich zwar auf diese Weise deaktivieren. Zu beachten Systemschriften – eine wichtige Funktion, die es ist hier allerdings, dass nur die CS-Zusatzschrif- ermöglicht, diese Komponenten auch mit Bordmit- ten ausgelagert werden. Unbedingt im jeweiligen teln weitgehend unter Kontrolle zu bringen. Der Application Support-Font-Unterordner verbleiben Rest ist optional. Ob man die in Schriftsammlung müssen die Cmap-Unterordner mit den darin ent- enthaltene Gruppenuntergliederung verwenden halten Fontlist-Dateien (bei der Creative Suite 3 möchte oder nicht, ist Geschmackssache. Ein wich- sind diese unabkömmlichen Bestandteile in einen tigerer Grund für professionelle Verwaltungssoft- eigenen Ordner namens "TypeSupport" ausgela- ware ist allerdings, dass Print-Produktioner mehr gert). Vorteil einer derartigen Auslagerungsstrategie Überblick, mehr Strukturmöglichkeiten und mehr wiederum ist, dass man sich sein CS-Schriftpaket Info-Details benötigen als etwa ein Officepro- so in eigene Unterpakete unterteilen und bei Bedarf gramm-Anwender. laden kann. Erleichtert wird das Verwalten der diversen Schrif- Warum eine Schriftverwaltung? ten auf dem Rechner durch systemeigene Hiflstools Ob systemeigenes Zusatztool oder eine zusätzliche, oder Systemerweiterungen. Auf dem Mac ist dies professionelle Schriftverwaltungsanwendung: Die das Hilfsprogramm Schriftsammlung, unter Win- Anforderungen steigen, je mehr Schriftfonts ins dows die Systemerweiterung Schriftarten. Beide Spiel kommen. Da viele bis sehr viele Fonts im ermöglichen ein zumindest rudimentäres Verwal- Publishing alles andere als ungewöhnlich sind, muss ten der auf dem Rechner vorhandenen Schriften. eine Schriftverwaltungssoftware eine Reihe unter- Sowohl Schriftsammlung als auch Schriftarten schiedlicher Funktionen beinhalten. Eine wesentli- können das Aussehen von Schriften probehalber che ist das Anlegen eigener Schriften-Sammlungen. anzeigen. Beide unterstützen das Anlegen eigener Auch das bedarfsweise Aktivieren und Deaktivieren Fontpaket-Zusammenstellungen und beide ermög- sollte problemlos über die Bühne gehen. Darüber lichen – das Wichtigste natürlich – das bedarfswei- hinaus sind im professionellen Anwendersegment se Aktivieren und Deaktivieren von Schriften. Last jedoch noch ein paar weitere Qualitäten gefragt. but not least: Beide erlauben das Mitverwalten von Wichtig sind zum einen Managementfunktionen

System-Zusatztool auf dem Mac: das Programm Schriftsammlung ermöglicht zumindest eine rudimen- täre Schriftverwaltung.

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für die Handhabung von Schriftkonflikten sowie Schriftverwaltung unter Windows für das Aussortieren defekter Schriften. Zusätzlich Grundsätzlich gesehen ähneln die Schriftverwal- gefragt sind oft auch Info-Anzeigen – beispielswei- tungs-Mechanismen unter Windows denjenigen se darüber, welche Zeichen in einem bestimmten unter Mac OS X stark, siehe auch weiter oben. Eine Unicode-Block eine bestimmte Schrift beinhaltet. angenehme Überraschung: Die traditionelle Win- Aufschlußreich sein kann auch die Anzeige, von dows-Schriftschnittaufgliederung in die vier Vari- welchem Hersteller eine bestimmte Schrift kommt, anten Regular, Italic, Bold und Bold Italic scheint in welche Klassifikationsgruppe sie einzuordnen ist, eher in Consumer- und Office-Programmen ein welche Schriftsysteme oder Sprachen sie bewältigen Problem zu sein. Die Schriftmenüs professioneller kann oder welche Version gerade installiert ist. Standard-Layoutprogramme präsentieren Schrift- Nicht wenige Fragen also. Auch wenn die meisten schnitte so, wie sie der Hersteller vorgesehen hat Anwender vor allem an einer funktionierenden und wie sie auch auf dem Mac erscheinen. Obliga- Aktivierung und Deaktivierung interessiert sind, torisch unter beiden Plattformen sind auch visuelle ist die Prozedere des Verwaltens auf heutigen Anzeigen für das jeweilige Format. Fester Bestand- Betriebssystemen vergleichsweise komplex – siehe teil sind diese Anzeigen nicht nur in Anwen- auch letzten Abschnitt. Welche Lösungen stehen dungsprogrammen, sondern auch in den gängigen konkret zur Verfügung? Zumindest diese Frage Schriftverwaltungs-Tools. lässt sich vergleichsweise einfach beantworten: eine Auffällig auf der Windows-Plattform ist eine runde Handvoll. Von den systemeigenen Tools Besonderheit: die vergleichsweise starke Präsenz abgesehen, hat sich unter Windows vor allem der des Adobe Type Manager Deluxe. Der vormals Adobe Type Manager Deluxe etabliert. Auf dem auch auf Macintosh-Rechnern weit verbreitete, für Mac hingegen sind vor allem zwei Lösungen geläu- Mac OS X allerdings nicht mehr weiterentwickelte fig: Suitcase Fusion von Extensis und der Font Type Manager ist somit komplett auf die Win- Explorer X von Linotype. dows-Plattform migriert. Grundsätzlich kommen jedoch mehr und mehr dieselben Verwaltungstools zum Zug. Extensis liefert seine Schriftverwaltung

Profi-Lösung: Font Explorer X von Linotype.

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Suitcase Fusion auch für Windows aus. Ebenso ist Tool Schriftsammlung ist Universal Type Server die Lage beim Font Explorer X, dem kostenlosen allerdings keine Lösung für Einzelplatz-Rechner. Fontverwaltungstool von Linotype. Darüber hinaus Vielmehr ist er speziell auf die Erfordernisse von existieren auf der Windows-Plattform noch eini- Firmen- oder Verlags-Netzwerken abgestellt. ge spezielle Lösungen. Aufzuführen sind hier vor Im Großen und Ganzen offeriert Suitcase Fusion allem das Programm Typograf sowie der Bitstream und Font Explorer X ähnliche Funktionen. Zentral Font Navigator von Corel. ist das Anlegen benutzerdefinierter Font-Zusam- menstellungen – eine Aufgabe, die sich sowohl über Schriftverwaltung auf dem Mac Programmfunktionen als auch über Drag-and- Auf dem Mac hat sich das Angebot in Sachen Drop-Routinen bewerkstelligen läßt. Insbesondere Schriftverwaltung in den letzten Jahren nur wenig beim Aktivieren und Deaktivieren von Fontpaketen verändert. Der Adobe Type Manager, unter Mac bieten beide Programme eine wesentliche Arbeits- OS 9 zusammen mit Suitcase von Extensis eine erleichterung. Ebenso wichtig in der professionellen der beiden favorisierten Lösungen, steht zwar nicht Medienproduktion sind auch einige weitere Dinge: mehr zur Verfügung. Aus füllt diese Lücke ein das Aussortieren defekter Fonts, das Management vergleichsweise neues Programm: der kostenlose, von Fontkonflikten und schließlich das Mitver- auf der Webseite des Schriftherstellers Linotype walten der Systemschriften. In all diesen Bereichen downloadbare Font Explorer X. Font Explorer X bieten die aufgeführten Standardtools solide, zum von Linotype sowie Suitcase Fusion von Exten- Teil recht detaillierte Verwaltungs- und Anzeige- sis sind derzeit die beiden Programme, die im funktionen. Eine Aussage, die ebenso auch auf den Profi-Segment standardmäßig zum Zuge kommen. unter Windows zum Zuge kommenden Adobe Für die Schriftverwaltung in größeren Netzwer- Type Manager Deluxe zutrifft. ken hat Extensis 2008 eine zusätzliche Server/ Client-Lösung auf den Markt gebracht: Universal Fazit Type Server. Anders als die beiden zuvor aufge- In Sachen Schriftverwaltung also alles paletti? führten Programme oder das Mac-OS-X-eigene Im Großen und Ganzen: durchaus. Zwar sorgt

Profi-Lösung: Suitcase Fusion von Exensis.

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die Weiterentwicklung von Betriebssystemen und Schriftformaten bisweilen für Turbulenzen. Ein aktuelles Beispiel etwa ist die Rolle der System- schrift Helvetica unter Mac OS X. Mac OS 10.5 hat hier zwar einige Verbesserungen gebracht. Komplett konfliktfrei wird Schriftverwaltung ver- mutlich jedoch auch in zehn Jahren nicht über die Bühne gehen. Immerhin: Anzeigemöglichkeiten, Troubleshooting und Verwaltungsluxus der heuti- gen Tools übersteigt die entprechenden Funktionen ihrer Vorgänger von vor zehn oder gar fünfzehn Jahren gewaltig. In diesem Sinn: Man darf gespannt sein, was die Zukunft noch bringt.

Lösung unter Windows: ATM Deluxe.

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Woher Schriften nehmen und nicht stehlen? Die "Digitalisierte Schriften", das derzeit rund viermal meisten Medienproduktions-Profis kaufen ihre jährlich erscheinende Kunden-Infoheft des Berliner Schriften bei einem halben Dutzend großer Her- Distributors FontShop AG, offeriert darum zwei steller. Helche Hersteller es gibt, welches Angebot getrennte Bestseller-Top 10 – einmal Klassik und sie in petto haben und in welchen Bereichen sie sich einmal Pop. Bestseller "Klassik" im Frühjahr 2008: unterscheiden, beleuchtet der folgende Beitrag. FF Meta Serif, Univers, FF Din, Interstate, FF Fago Pro, Thesis Sans, Bank Gothic, Corporate S, Überblick: der Markt FF Strada und Rotis. Im Bereich "Pop" am meisten Grob überspitzt gliedert sich der Profimarkt für nachgefragt waren: FF Good, P22 Zaner, Simian, Schriften in Deutschland in zwei Hauptsegmente. Ambroise, FP Dancer, Malaga, Cholla, Klavika, Im ersten – hierzu zählen vorwiegend Druckvor- Bello und FF Absara. stufen-Dienstleister, Verlage sowie weitere bran- Die Auflistung zeigt, dass auch im weniger tren- cheneinschlägige Firmen – sind nach wie vor dorientierten Marktsegment verstärkt auf neuere solide Klassiker nachgefragt: Helvetica, Garamond, Exponate zurückgegriffen wird. Die Zweiteilung Bodoni, Syntax sowie einige neuere Exponante des Marktes für digitale Schriften perpetuiert sich wie etwa Minion, Thesis oder Rotis. Die zweite jedoch auch in den Angeboten der Hersteller. Der große Anwendergruppe – hierzu zählen vor allem Berliner FontShop-Ableger hat als Distributor für Werbeagenturen und sonstige Kreative – ist bei der mittlerweile rund 60 kleine und große Schrifther- Schriftwahl insgesamt experimentierfreudiger, stets steller zwar sowohl Klassik als auch Pop im Ange- auf der Suche nach neuen, unverbrauchten Schrif- bot. Von der FontShop AG vertrieben werden alle ten und aktuellen Typomodetrends gegenüber offen. wichtigen Hersteller: Linotype, Adobe, Monotype,

Welche Schrift, welcher Hersteller? Die Digitalisierung der Schriftkul- tur hat auch das Angebot immens verbreitert.

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AGFA, URW++, Elsner + Flake, ITC und andere. ausgebauten Textschriften liegt locker im Tausen- Die eher trendorientierte Kundschaft hingegen der-Bereich. Geht es allerdings ins Detail, tun sich hat die Qual der Wahl zwischen Dutzenden von schon Fragen auf: zur Angebotspalette an sich, Import-, Independent- und Typedesigner-Labels. zu den preislichen Konditionen dieser oder jener Wobei die Trennung zwischen Pop und Klassik in Schrift, zum Format, zur Ausstattung oder, even- der Praxis weitaus weniger konturiert ausfällt, als es tuell, zum Inhalt eines bestimmten Komplett- oder der einleitende Absatz nahelegt: Auch eingeführ- Schnupperpakets. te Traditionshersteller wie Linotype, Monotype Beispiel Garamond. Der Bad Homburger Herstel- oder AGFA haben selbstredend Trendschriften im ler Linotype, im Bereich Traditionsschriften hier- Angebot. Oft werden die Newcomer in eigenen zulande der Anbieter überhaupt, offeriert folgende Reihen präsentiert. Umgekehrt ist es FSI Font- Varianten: Adobe Garamond, Stempel Garamond, Shop, dem mit dem gleichnamigen Distributor eng Simoncini Garamond, ITC Garamond, die Sabon verbundenen Designer-Fontlabel, gelungen, sich sowie weitere Variationen ohne speziellen Marken- gerade im Bereich gut ausgebauter Textschriften zu namen. Die Unterschiede dieser allesamt auf Ent- profilieren: FF Meta, FF Din und andere Exponate würfen des Renaissance-Stempelschneiders Claude der letzten fünfzehn Jahre lassen grüssen. Garamond beruhenden Schriften sind deutlich, Klassik oder Pop? Geht es um die Lizensierung zum Teil sogar frappierend. Noch unübersichtlicher neuer Schriften, mögen stilistische Präferenzen die wird es bei den diversen Bodoni- und Baskerville- Entscheidung zwar beeinflussen. Wer jedoch nicht Varianten. Auch hier führt Linotype eine erkleck- den Insider-Überblick hat über das, was sich aktu- liche Anzahl unterschiedlicher Markenmodelle ins ell in der Schriftenszene tut, steht oftmals wie der Feld. Bei den Bodonis konkurriert die Bauer Bodo- Ochs vorm Berg. Rein zahlentechnisch gesehen ist ni mit der eher klassischen Version aus dem Haus das Angebot an digitalen Schriften zwar so groß Monotype. Weitere Bodonis offerieren zusätzlich wie noch nie. Szenen-Insider gehen mittlerweile auch die Bibliotheken von URW++ und FontShop von einem fünf- bis sechsstelligen Schriftenangebot International. Was tun angesichts dieser Vielfalt? aus; selbst die Anzahl der gut bis superoppulent Antwort: Ein genauerer Blick in einen Schriften-

Klassische Schriften, klassische Her- steller: Sabon, Syntax und Helvetica von Linotype, Adobe Garamond, Myriad und Minion von Adobe und Times, Gill Sans und Rockwell von Monotype.

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katalog (angefragt werden kann ein solcher bei fast ste Spektrum, das eng mit FontShop verbundene allen Herstellern), auf die Schriftmuster der Her- Designerschriften-Label FSI hingegen enthält nur steller-Website, die Schnittausstattung, den Preis eigene Exklusivschriften. und das Format kann nicht schaden. Insgesamt kaufen Schriftanwender im deutschspra- Neben einer speziellen "Marke" sowie der Schnitt- chigen Raum vor allem bei vier Anbietern: Font- Ausstattung spielt bei der Kaufentscheidung auch Shop, Linotype, URW++ und Elsner + Flake. Über das Format eine nicht unbeträchtliche Rolle. Zwar die aufgeführten Anbieter hinaus sind noch drei liegen fast alle relevanten Schriftbestände mittler- weitere relevant: Adobe, Monotype und AGFA. weile im Format OpenType vor. Da sich hier die Über die aufgeführten hinaus gibt es allerdings Szene mehr und mehr ausdiffenziert (siehe auch eine unübersehbare Anzahl kleinerer und kleiner eigenen Beitrag zum Thema OpenType), ist es rat- Anbieter. Frage: Welches sind die Alleinstellungs- sam, auf Zusatzbezeichnungen im Schriftnamen zu merkmale? Wie groß ist das Angebot und wo liegen achten. Paradebeispiel: die Bezeichnung "Pro" für die Schwerpunkte? Und: Wie sieht es aus in Sachen OpenType-Schriften mit Typo-Zusatzgimmicks OpenType-Portierung? und erweiterter Sprachausstattung. Hilfreich zu wissen ist auch, dass die Angebote großer Herstel- Linotype ler recht heterogen sind und aus unterschiedlichen Der im hessischen Bad Homburg ansässige Her- Bibliotheken stammen. So offeriert Linotype etwa steller ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor nicht nur Schriften aus dem Schriftbeständen von eine der ersten Anlaufstellen für digitale Schriften. Linotype sowie der ehemaligen Frankfurter Schrift- Die aus dem deutschen Ableger des gleichnami- gießerei Stempel AG, sondern auch Schriften von gen US-amerikanischen Satzmaschinenherstellers Adobe, Monotype, ITC und einer Reihe weiterer hervorgegangene Schriftenfirma firmiert seit 2007 Hersteller. Desgleichen URW++ und der gleichfalls zwar unter der Ober-Ägide des britischen Her- in Hamburg ansässige Hersteller Elsner + Flake. stellers Monotype, agiert unter diesem Dach aller- Die FontShop AG als hersteller-unabhängiger dings weiterhin eigenständig. Das Schriftenangebot Mailorder-Versand offeriert insgesamt das breite- von Linotype umfasst derzeit rund 20.000 Schrif-

Neue Schriften und Importware: die Textschriften Meta, Scala und Qua- draat von FontShop International; Triplex, Matrix und Remedy vom US-Label Emigre.

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ten. Renomméestücke der "Linotype Library" sind Software Font Explorer X. Die Software genügt ein rundes Dutzend Schrift-Klassiker von Welt- professionellen Ansprüchen; als Zusatzfunktion ruhm: Helvetica, Univers, Sabon, Syntax, Frutiger, ermöglicht sie die Online-Distribution von Schrif- Optima sowie ein paar weitere. Die aufgeführten ten direkt im Portal des Herstellers. Die Preise pro Schrift-Standards werden gehegt und gepflegt; die Font bewegen sich im üblichen Rahmen zwischen aufgeführten Exponate können in unterschiedli- Schnäppchen-Angebot für einige Bundles und den chen CD-Editions erstanden werden. In Sachen obligatorischen 25 bis 50 Euro pro Schnitt. Als OpenType Pro hält sich Linotype eher bedeckt. Schnupperangebot offeriert Linotype CDs mit Zwar beinhalten mittlerweile eine Reihe Linotype- ausgesuchten Schriften und Schnitten zu einem Schriften Pro-ähnliche Zeichen-Umfänge. Was die günstigen Preis. Formatpolitik angeht, forciert der hessische Her- steller jedoch vorwiegend die OpenType-Variante Adobe Standard. Vom Angebot her bildet die Adobe Library der- Über die aufgeführten Klassiker hinaus enthält zeit eine Teilmenge des Linotype-Schriftangebots. das Linotype-Angebot Schriften aus allen mögli- Umgekehrt findet man Adobe Garamond Pro, Tek- chen Beständen. Neben ITC und einigen kleineren ton Pro und andere Adobe-Schriften nicht nur beim Herstellern sind hier vor allem die Bestände von hessischen Traditionsschrift-Anbieter, sondern auch Monotype aufzuführen, die der ehemaligen Frank- in dem Komplettbibliotheken anderer Anbieter wie furter Schriftgießerei Bauer sowie die Bibliothek zum Beispiel Monotype. Die unter dem Namen von Adobe. Da Linotype seine Bibliothek Ende der "FontFolio" firmierende Adobe-Bibliothek ist mit Achtziger mit derjenigen von Adobe zur Linotype– rund 2500 Schriften nicht gerade klein. Als Pio- Adobe-Bibliothek vereinigte, besteht ein vielfälti- nier in Sachen PostScript-Schriftformat etablierte ges und reichhaltiges Angebot. Marktstrategisch Adobe den Grundstock seiner Schriften-Bibliothek begünstigt wird die Stellung von Linotype auf dem bereits in den Achtzigern. Die Schriften des Adobe- deutschsprachigen Schriftmarkt durch die kosten- Typedesignerteams Sumner Stone, Carol Twombly los zur Verfügung gestellte Schriftverwaltungs- und Robert Slimbach prägten das neu entstandene

Schrift-Klassiker im Internet: der hessische Hersteller Linotype.

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Desktop Publishing der Neunziger Jahre wesentlich gesehen und vom Angebot her sind sie jedoch zwei mit. Schriften wie Myriad, Stone, Adobe Garamond Paar Schuhe. FontShop International als Schriftla- oder die weitverbreitete Minion sind aus der aktu- bel offeriert derzeit rund 7.500 Originalschriften. ellen Mediengestaltung kaum noch wegzudenken. Einige davon, wie beispielsweise Meta, Fago, Din Vom Profil her ist der Adobe-Schriftbestand mehr oder Scala, sind aus der aktuellen Schriftenland- auf Alltagstauglichkeit ausgelegt als auf ausgefal- schaft ebenfalls kaum noch wegzudenken. Neben lenes Typedesign. Von sich reden machen Adobe- neuen, unverbrauchten Textschriften bedient das Schriften darum vor allem aufgrund einer for- Designerlabel vor allem Zeitgeist-Trends. Schrif- mattechnischen Innovation: die OpenType-Spe- ten wie Harlem, Mambo und andere verschönern zialvariante OpenType Pro. Die Pro-Spezifikation Flyer, CD-Booklets und Anzeigen. Man findet (Minimalanforderungen: CE-Zeichensätze sowie sie auf Markenetiketten im Supermarkt ebenso zusätzliche Glyphen-Sets für Typo-Funktionen wie auf Plakaten an der Litfaßsäule oder in der in InDesign & Co.) wird mittlerweile auch von U-Bahn-Station. Formattechnisch liebäugelt man anderen Herstellern verwandt. Adobe selbst hat bei FontShop International verstärkt mit der Güte- derzeit rund drei Dutzend Pro-Fonts im Angebot. spezifikation OpenType Pro; Klassiker des Labels Tendenz: steigend, allerdings eher kontinuierlich liegen mittlerweile als entsprechend relaunchte und langsam als rapide. Die FontFolio-Komplett- CD-Edition vor. bibliothek ist als CD-ROM erhältlich. Allerdings Anders als das FSI-Label mit dem "FF" im Schrift- distributiert Adobe seine Schriftbestände derzeit namen offeriert der Berliner FontShop-Ableger nicht direkt, so dass Interessenten am besten bei Schriften von allen möglichen Anbietern. Die FontShop in Berlin nachfragen. Schriftbibliotheken von Linotype, AGFA, Adobe und Monotype sind im FontShop-Sortiment eben- FontShop so enthalten wie die kleinerer Anbieter. Spezialisiert Die Berliner FontShop AG und das Schriftenla- hat sich Europas größte Mailorder-Zentrale für bel FontShop International verbindet zwar eine Schriften und Stock-Bilder zum einen auf Import- gemeinsame Herkunft. Organisationstechnisch ware. Direkt ordern lassen sich hier auch Schriften

Neue Schriften und Importware: die Textschriften Meta, Scala und Qua- draat von FontShop International; Triplex, Matrix und Remedy vom US-Label Emigre.

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US-amerikanischer Hersteller wie beispielsweise unbeträchtlichen Teil um hausinterne Produktionen Emigre, dem Font Bureau oder House Industries. handelt. Der Grund: Die Vorläuferfirma URW Interessant ist die FontShop-Produktpalette auch war in den Achtzigern federführend in Sachen wegen der assoziierten Schriftentwerfer-Labels – Digitalisierungstechnologie für Schriftfonts. Die beispielsweise der Fontfabrik des Thesis-Erfinders von URW entwickelte Fonterstellungs-Software Lucas de Groot oder von Ole Schäfers Label Ikarus spielt im Schriftdesign nach wie vor eine Primetype. Typo ist nicht nur nützlich, sondern Rolle. Für den Anwender von URW++-Schriften hat auch einen "Rock-Faktor". Dass Schrift bei zeigt sich die hauseigene Überarbeitung vor allem FontShop auch kulturell-kommunikativ verstanden in einem Punkt: Anders als andere Hersteller wird, zeigen die alljährlich stattfindende "Typo splittet URW++ sein Schriftangebot großteils auf Berlin" sowie der flankierende Typo-Blog unter der in Schnitte für normale Textschrift-Größen und Webadresse www.fontblog.de, der – nicht immer besonders zugerichtete Display-Versionen. ganz ernst gemeinte – News aus dem Typo-Alltag Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Hambur- blogt. ger Firma ist ihre Verankerung im Bereich Außen- werbungs- und Plotter-Schriften. Der firmenspezi- URW++ fische Schwerpunkt Werbeschriften offenbart sich Zwischen den großteils auf gemeinsamen Kernbe- beim näheren Blick auf die Schriftbestände im ständen aufbauenden Bibliotheken von Linotype, Detail. Größentechnisch enthält auch die URW++- Adobe und Monotype einerseits und dem herstel- Komplettbibliothek "Font Collection" eine vierstel- lerunabhängigen Schriftvertrieb FontShop nimmt lige Anzahl unterschiedlicher Schriften. Umfang- der Hamburger Hersteller URW++ eine Zwischen- reicher als sonstwo vertreten sind hier insbesondere position ein. Einerseits offeriert URW++ zahlreiche ITC-Schriften sowie solche aus den Altbeständen Schriften, die man auch in den Sortimenten von von Letraset, Scangraphic und AGFA. Die Über- Linotype, Monotype oder anderen Herstellern fin- schneidungsmenge mit anderen Herstellern bleibt det. Besieht man sich die URW++-Schriften näher, in diesem Bereich zwar groß. Wer jedoch explizit stellt man allerdings fest, dass es sich zu einem nicht nach speziellen Display-Schriften aus den Siebzi-

Auf Plotter- und Displayschriften versiert: der Hamburger Hersteller URW++.

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gern und Achtzigern sucht, ist hier an der richtigen Elsner betriebenen Vertrieb ist vor allem die mit Adresse. Über die eigentliche URW++-Bibliothek Sachverstand und Engagement Schrift-Auswahl. hinaus vertreibt URW++ auch die Schriften der Anfang 2008 etwa projektierte das Label eine Dutch Type Library (DTL). Initiiert von den nie- designerisch erweiterte OpenType Pro-Ausgabe derländischen Schriftentwerfer Eric van Blokland, des Klassikers Futura – angesichts konkurrierender enthält sie neu aufgelegte niederländische Traditi- Futura-Relaunches ein Wagnis, dass man nur mit onsschriften. Last but not least: Flankiert wird das Liebe zur Typografie rechtfertigen kann. Angebot des Hamburger Anbieters durch kleinere, Das Format OpenType Pro wird offensichtlich auch auf neue bzw. experimentelle Schriften forcierte beim kleinsten unter den vier großen Schriftan- Nebenreihen. bietern im deutschsprachigen Raum als innovativ angesehen. Ob Bodoni oder ITC Honda: Auch bei Elsner + Flake den herkömmlichen Formaten stehen typedesigne- Das Angebot des ebenfalls in Hamburg beheima- rische Kriterien ersichtlich im Vordergrund. Für teten Designerfont-Labels Elsner + Flake ähnelt in Anwender, die sich mit dem Angebot des Hambur- vielerlei Hinsicht demjenigen von URW++. Hierzu ger Herstellers näher vertraut machen möchten, gibt zählen auch personelle Kontinuitäten. Mitbegrün- es ebenfalls eine Schnupper-CD mit vielen Schrift- der Günter Flake arbeitete in den Neunzigern schnitten zum günstigen Einstiegspreis. Obwohl für URW. Mengentechnisch ist das Angebot von Werbe- und Designerschriften im Angebot von Elsner + Flake nicht so umfassend wie das der bis- Elsner + Flake einen überproportionalen Anteil her aufgeführten Großhersteller. Aktuell umfasst einnehmen, findet man hier natürlich aus das Gros das Sortiment zwischen 1000 und 2000 Schriften. der Klassiker – Futura (normal), Folio sowie unter- Ebenso wie bei anderen Schrift-Tankstellen ist auch schiedliche Garamond- und Bodoni-Varianten. hier das Angebot gemischt. Exklusivschriften wie beispielsweise der Schriftclan Thordis stehen neben Monotype und AGFA ITC-Schriften sowie Fonts anderer Hersteller. Auf- Über Jahre offerierten der britische Monotype- fällig bei dem von Günter Flake und Veronika Nachfolger und der deutsche Fotoequipment-Kon-

Schriften für Designer: Webseite des Hamburger Schriftanbieters Elsner + Flake.

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zern die wohl größte Schriftbibliothek überhaupt. geniesst die Klassiker-Bibliothek des ehemaligen Vertrieben unter dem Namen "Creative Alliance", Bleisatzmaschinenherstellers in der Branche einen fasste sie fast 10.000 Schriften von Dutzenden ebenso guten Ruf wie diejenige des ehemaligen unterschiedlicher Einzelanbieter unter einem Dach Konkurrenten Linotype. Wie die Übernahme von zusammen. In großen Teilen ähnelte das Sorti- Linotype zeigt, mischt Monotype auch im Geschäft ment zwar dem Linotype-Komplettangebot. Auf- mit digitalen Schriften weiterhin mit. Auch die grund der Hersteller-Breite enthielt die "Creati- Monotype-Klassiker, unter anderem Standard- ve Alliance"-Komplettedition jedoch zahlreiche schriften wie Times, Gill Sans oder Rockwell, zäh- Exponante, die woanders nur unter großen Schwie- len zum Grundinventar jedes Traditionsschriften- rigkeiten zu beschaffen waren. Zwei Besonderhei- Bestands. Da Monotype in Deutschland keine Prä- ten sind zu diesem Schriftpaket anzumerken. Ähn- senz unterhält, lassen sich alte und neue Schriften lich wie die Schriftbibliothek von Adobe ist sie nur aus diesem Bestand aktuell ebenfalls am besten über über Zwischenanbieter zu bekommen – wobei sich Zweitanbieter bestellen – entweder über Linotype auch hier die Berliner FontShop-Zentrale als beste (die meisten Monotype-Schriften sind im Kom- Adresse anbietet. Zweites Problem ist die Konstel- plettsortiment enthalten) oder über die Berliner lation an sich. AGFA als Schrift-Anbieter ist im FontShop-Zentrale. Geschäft mit digitalen Schriften lediglich indirekt präsent. Zwar firmiert unter der Ägide des Kon- Importschriften: Emigre, Font Bureau und House zerns auch der Schrift-Nachlass des ehemaligen Industries Fotosatz-Herstellers Scangraphic. Da Herkünfte Was ist mit Remedy, Solex, Miller Text oder Chalet? und Quellen hier jedoch schwieriger zu eruieren Gemeinsam ist den aufgeführten Schriften, dass sie sind als anderswo, bleibt im Fall des Falles nichts in den aufgeführten Schriftsortimenten nicht ent- anderes übrig, als selbst Nachforschungen anzu- halten sind. Der Grund: Als Vertriebs-Plattform für stellen oder beim FontShop-Team nach dieser oder Designerschriften spielen die drei beteiligten US- jener Schrift nachzufragen. Labels Emigre aus Sacramento, Font Bureau aus Bei Monotype verhält es sich anders. Zum einen Boston und House Industries aus Wilmington im

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US-Bundesstaat Delaware in einer ähnlichen Liga Schriftkatalog lässt sich via Mail anfragen. Das wie FontShop International: Sie sind Designerlabels Gleiche gilt für das Bostoner Font Bureau sowie die und vermarkten allesamt neue, originäre Schriften. Webseite von House Industries. Weiterer Vorteil Der US-Markt für Schriften ist zwar ein Thema der Online-Infomationseinholung: Die Gestaltung für sich. Die allgegenwärtige Präsenz von Apple-, der einzelnen Webauftritte verrät recht viel über Microsoft- und Adobe-Produkten hat jedoch auch das jeweilige Firmenprofil. Der Ruf von Emigre als die Typografie-Szene hierzulande internationalen avantgardistisch-postmodern orientiertes Designer- Trends gegenüber offener gemacht. Bestes Beispiel: Label etwa schlägt sich auch in dem spartanischen die Schriften des kalifornischen Designerlabels Look der Emigre-Webseite unübersehbar wieder. Emigre. Template Gothic und Remedy waren in An der Ostküste dagegen lässt man es etwas nüch- den Neunziger Jahren aus kaum einem Zeitgeist- terner angehen. Font Bureau, eines der führenden Design wegzudenken. Auch Schriften wie Triplex US-Labels, hat sich vor allem auf Text-, CI- und oder der Font-Bureau-Shootingstar Interstate sind Zeitungsschriften kapriziert. Während bei Emigre längst ein fester Bestandteil der deutschen Typede- vor allem die Label-Mitbegründerin Zuzana Licko sign-Landschaft geworden. immer wieder mit aufsehenerregenden Schriftpro- Was den Erwerb dieser oder anderer Importschrif- duktionen aufwartet, konzentriert sich die Desi- ten angeht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gnerelite der Ostküsten-Konkurrenz vor allem auf man weiß, was man will und erwirbt die ent- Gebrauchs- und Textschriften. House Industries sprechende Schrift über den Berliner Distributor hingegen fällt als Anbieter komplett aus diesem FontShop. Vorteil: Bei FontShop im Angebot sind Raster und hat sich als Markenname vor allem über die drei aufgeführten Labels hinaus mehrere aufgrund seiner hochwertigen Retro-Fonts etabliert Dutzend kleinerer Design- und Zeitgeistschrift- – Spaßfaktor inklusive. Foundries. Für das unverbindliche Sich-Umsehen sind hingegen die Webseiten der Hersteller die Designerschriften: FontFabrik, Primetype & Co. beste Anlaufadresse. Emigre etwa stellt dort recht Das Internet begünstigt nicht nur typografisch aussagekräftige Schriftmuster zur Schau; auch ein ambitionierte Klein-Schriftschmieden, sondern

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auch den Trend hin zum eigenen Typedesigner- Die Grenzen zwischen Import- und Designer- Vertrieb. Online präsent sind derzeit wohl ein gutes schriften sind übrigens fließend. Der Begriff Dutzend – allein für den deutschsprachigen Raum. "Import" trägt lediglich der Tatsache Rechnung, Obwohl eine Reihe namhafter Typedesigner den dass die Internet-Distribution von Fonts in den Weg des Online-Direktvertriebs wählt, sind es angelsächsischen Ländern schon länger gängig ist vor allem zwei, die sich in der deutschsprachigen als hierzulande. Ein ebenso wichtiges Motiv beim Typografie-Szene mittlerweile als feste Größe eta- Rumstöbern abseits ausgetretener Pfade ist natür- bliert haben: Lucas de Groot und seine FontFabrik lich die Entdeckerfreude – die Neugierde auf das, und Ole Schäfer mit seinem Label Primetype. Die was außerhalb des (geografischen) Horizonts gera- beiden Labels offerieren nicht nur den aktuellsten de "en vogue" ist. Ansonsten unterscheiden sich die Stand in Sachen Schriften der beiden Entwerfer. sogenannten Schrift-Independents in fast allem: Interessant sind Typedesigner-Auftritte grundsätz- Die Anzahl der bei einem Klein-Label präsenten lich auch dann, wenn eine bestehende Schrift für Designer schwankt zwischen einem und mehreren. einen bestimmten Zweck modifiziert werden soll. Stilistisch ist das angesagt, was gefällt. Generell Insbesondere im Zeitungsmetier kommt dies öfter gilt: Kommerziell beständigere Labels offerieren vor – beispielsweise bei einem Grafik-Relaunch, meist mehr konventionelle Textschriften; der Preis bei dem die bereits vorhandene Schrift X auf einen pro Font entspricht meist dem konventioneller ganz bestimmten Zweck hin angepasst werden Hersteller oder liegt, in Einzelfällen, sogar darüber. soll. Ähnliches gilt für Schriften, die als CI- und Ähnliches gilt für die Qualität. Der Ruf, Internet- Korrespondenzschriften in Firmen fungieren. Die Websites offerierten vor allem minderqualitative aufgeführten Anforderungen sind zwar nicht neu. Trash-Fonts, kann längst nicht mehr verallgemei- Wer Schriftangebote möglichst nah am "Werkszu- nert werden. Auch in Europa haben sich längst ver- stand" sucht, ist bei den Designerlabels am besten sierte Zusammenschlüsse kreativer Schriftentwer- aufgehoben – auch wenn das Gros der Angebote, fer etabliert. Beispiele: das niederländische Label wie beispielsweise der Thesis-Clan, über den Groß- Underware oder die Porchez Typofonderie des Distributor FontShop ebenso erhältlich ist. französischen Typdesigners Francois Porchez.

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Fazit Labels werfen oder diesen eventuell kontaktieren. Wie kaufe ich am besten Schriften ein? Die Liste Fazit: Die Schrift-Vielfalt war noch nie so groß wie der unterschiedlichen Hersteller – aufgrund der heute. Auch die Qualität hat sich, dank der vielen Vielfalt sowieso nur in einem gerafften Überblick im Web präsenten Typedesigner, spürbar erhöht. möglich – ist derzeit groß wie nie. Als Anwender Trash war gestern. Die Wahl heutzutage wird nicht hat man somit die Qual der Wahl – allerdings durch das Angebot begrenzt, sondern allenfalls auch die Möglichkeit des ausgiebigen Vergleichs. noch durch die Zeit, die man in die Suche nach Dies betrifft zwar auch die Preise. Bei eingeführ- einer geeigneten Schrift investieren möchte. ten Qualitätsschriften geht der Trend allerdings eher hin zu Edel-Editions – Schriften also, die Hersteller-Adressen nach Open-Type-Pro-ähnlichen Kriterien ausge- Neben den im Beitrag aufgeführten Herstellern baut wurden und entsprechend auch preislich etwas enthält die Liste noch einige weitere. Nähere Kon- stärker zu Buche schlagen. Das andere Ende des taktangaben finden sich auf der Webseite des jewei- Sortiments markieren preisgünstige Schnäppchen ligen Herstellers. – nicht unbedingt der letzte Schrei, allerdings ein Adobe breites Spektrum unterschiedlicher Schriften für www.adobe.com/de/type/ ganz unterschiedliche Zwecke. Wer umfangreiche Bitstream Sortimente mit vielen "eingeführten" Schriftnamen www.bitstream.com bevorzugt, ist bei etablierten Herstellern wie Lino- Elsner + Flake type, URW++ oder Elsner + Flake gut aufgehoben. www.fonts4ever.com Wer vor allem nach Designschriften mit hohem Emigre Zeitgeistfaktor sucht, ist bei FontShop oder direkt www.emigre.com an der Quelle, beim Webportal des entsprechenden Font Bureau Herstellers, an der richtigen Adresse. Wer sich nach www.fontbureau.com Schriften möglichst nah ab Werk umsieht, sollte FontFabrik hingegen einen Blick auf die Website des Designer- www.fontfabrik.com

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FontShop www.fontshop.de Hoefler www.typography.com House Industries www.houseindustries.com Neufville Digital www.neufville.com International Corporation (ITC) www.itcfonts.com Linotype www.linotype.com/de Monotype www.fonts.com/de Porchez Typofonderie www.typofonderie.com Primetype www.primetype.de Type-Ø-Tones www.type-o-tones.com Typos Type & Image Design www.typos.net URW++ www.urwpp.de www.dutchtypelibrary.com

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Auch ins Schriftmetier hat die Globalisierung längst dies: In begrenzter Auswahl standen Schriften für Einzug gehalten. Konkrete Auswirkung: Mehr und mitteleuropäische Sprachen, für Kyrillisch, Grie- mehr Drucksachen sind mit mehr als einem Alpha- chisch, Arabisch, Hebräisch oder gar Chinesisch bet gesetzt. Neben kyrillischen und osteuropäischen oder Japanisch zwar durchaus zur Verfügung. Der Texten sind dabei auch solche zu handhaben, die technische Umgang damit hielt jedoch einige Tük- auf nah- oder fernöstlichen Schriften basieren. ken und Hürden bereit. Den Stand der Schrift(en)-Internationalisierung Die Probleme, die der Einsatz nicht lateinischer beschreibt der folgende Überblick. Schriften bereitet, sind wohl jedem geläufig, der regelmäßig mit dem Satz von Texten in nicht-west- Fonts und Technik europäischen Sprachen zu tun hat. Grundsätzlich Der Umgang mit fremden Schriften und Alpha- zu handhaben sind im Fremdsprachensatz gleich beten ist in der Druckbranche alles andere als vier Probleme: die fremde Sprache, das andere Zei- neu. Fremde Einflüsse gibt es an allen Ecken und chen- und Alphabetsystem, die Tastaturbelegung Enden. Bekanntestes Beispiel sind die arabischen des jeweiligen Landessprache und schließlich die Ziffern. Sie fanden bereits Jahrhunderte vor Guten- Schriftauswahl. Während bei den beiden ersten vor berg ihren Weg ins lateinische Alphabet. Doch auch allem allgemeine Sprach- und Schriftkenntnisse nah- und fernöstliche sowie kyrillische Texte waren gefragt sind, stehen bei den beiden letzten com- im Satzalltag hierzulande immer wieder zu hand- putertechnische Hürden im Vordergrund. Grund- haben. Der Austausch entsprechender Schriften sätzlich hat sich am softwaretechnischen Workflow allerdings hielt sich bis weit in die Fotzosatz- und bis heute wenig geändert. Die nötigen Tastaturbe- DTP-Ära in engen Grenzen. Konkret bedeutete legungen stellt das Betriebssystem zur Verfügung.

Auch in Sachen Schriften ist die Globalisierung auf dem Vormarsch.

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Sowohl Mac OS als auch Windows stellen für fonts für nicht-europäische Alphabete – also für alle Sprachen dieser Welt entsprechende Tastatur- arabisch, hebräisch sowie fernöstliche Schriftsyste- treiber zur Verfügung. Lediglich das eigentliche me. Tastatur-Keyboard ist auf eine spezielle Zeichen- Mit der Installierung eines Schriftfonts allein ist belegung "fixiert". Detaillierter beschrieben finden es jedoch nicht getan. Vor allem ost- und südasia- Sie die Wechselwirkung zwischen System, Tastatur, tische Schriftsysteme sind handhabungstechnisch Tastaturtreiber und Font im zweiten Kapitel dieser eine ganz spezielle Herausforderung. Der Grund: Arbeitshilfe. Im Unterschied zu anderen Schriften und Alpha- Wie sieht es auf Font-Seite aus? Internationalisierte beten erfordert der Satz ostasiatischer Sprachen Schriftvarianten gibt es schon seit langem. Linotype die Beherrschung von Alphabeten, welche auf Sil- etwa, im deutschsprachigen Raum der mit bedeu- ben- und/oder Symbolzeichen beruhen und die oft tendste Einzelanbieter digitaler Schriften, stellte mehrere Tausend Zeichen enthalten. Trotz dieser bereits in den Neunzigern eine Reihe spezieller Unterschiede sind uns Schriften aus anderen Welt- CE-, Greek- und Cyrillic-Sprachvarianten ein- gegenden mitterweile weitaus vertrauter als noch zelner Schriften zur Verfügung. Im Wesentlichen vor zehn oder fünfzehn Jahren. Auch computer- umfasste das Sortiment zwar die üblichen Verdäch- technologisch hat sich einiges getan. Haupttrieb- tigen: die schon von je her überdurchschnittlich kraft dieses weiterhin anhaltenden Fortschritts ist "internationalisierte" Times, Helvetica, Excelsior, mit Sicherheit das Internet. Flankiert und ergänzt New Century Schoolbook, Cooper Black, Sabon, wird diese durch die vergleichsweise weit voran- Gill Sans, Frutiger, Futura sowie ein paar weite- geschrittene "Internationalisierung" der aktuellen re Klassiker. Da internationalisierter Satz in aller Desktop-Rechnergeneration. Weil die skizzierte Regel Mengensatz bedeutet, war die Konzentration Sprachvielfalt mittlerweile einfach als Standard auf bereits eingeführte, allseits bekannte Schrift- angesehen wird, haben Apple und Microsoft ihre marken nichts weiter als eine bedarfsorientierte Betriebssysteme bereits seit längerem mit entspre- Entscheidung. Flankiert wurde das aufgeführte chenden Fonts aufgestockt. Grundbedarfs-Angebot durch zusätzliche Schrift-

Glyphen-Palette in Adobe InDesign: die Schrift Hiragino Kaku Gothic.

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Ganz unproblematisch ist das nicht. Auf der Ebene Systemschriften, welche auf aktuellen Rechnern der Schriftverwaltung führt die neue Vielfalt bereits zum Einsatz kommen. Die Unterstützung des seit Jahren zu immer wiederkehrenden Konflikten neuen Standards Unicode ist mittlerweile so weitge- – insbesondere bei Rechnerkonfigurationen, die hend, dass die Beerdigung des altbetagten ASCII- eigentlich auf klassisches Print-DTP abgestellt sind. Standards nur noch eine Frage der Zeit ist. Die Der Grund: Die betagten, vielerorts jedoch weiter auffälligste Neuerung im Computeralltag ist, dass zum Zuge kommenden PostScript-Versionen von auch die installierten Systemschriften längst nicht Times und Helvetica genügen einfach nicht mehr mehr auf 256 Zeichen beschränkt sind. Standard- den Ansprüchen aktueller Rechner-Konfiguratio- schriften auf dem Mac wie etwa die Lucida Grande nen. Um auch Webseiten adäquat anzeigen zu kön- oder die System-Helvetica enthalten Tausende von nen, offeriert Mac OS 10.5 etwa drei unterschied- Zeichen. Neben gebräuchlichen Symbolen stehen liche Systemschriften: Times, Helvetica und Neue vor allem mitteleuropäische Sprachen sowie Kyril- Helvetica. Benötigt werden diese nicht nur für den lisch im Mittelpunkt des erweiterten Zeichensatzes. Betrieb von Webbrowsern wie etwa dem Mac OS Formattechnisch gesehen ist das dfont-Format der X-eigenen Safari, sondern für eine ganze Latte wei- aktuellen Apple-Systemschriften zwar ein Unterab- terer potenzieller Anwendungen. Folge: die Zeiten, leger des TrueType-Formats. In der Praxis hat sich als DTP-Profis ihre Mac-Systemschriften radikal diese proprietäre Schriftlösung jedoch längst zu abspeckten und mit Monaco, Geneva und Chi- einer eigenen Schrift-Klasse entwickelt. Ähnliches kago allein auskamen, ist unwiderruflich dahin; gilt für die neue Generation der Systemschriften System-Times, System-Helvetica sowie zusätzliche unter Windows. Systemschrift-Exponante müssen in irgendeiner Zur Seite stehen den aufgeführten Standard- Weise mit gemanagt werden. Systemschriften weitere, optional aktivier- oder Technologisch gesehen ist der Zeichenbelegungs- deaktivierbare Schriften. Viele von ihnen dienen Standard Unicode mittlerweile eine zentrale Größe. speziell der Bewältigung nah- und fernöstlicher Auf ihm basieren nicht nur Schriften im neuen Sprachen. Einen Basis-Baukasten für den interna- Format OpenType, sondern auch die proprietären tionalen Satz stellt auch das Schriftpaket von Ado-

Unicode, Basisebene: Den unter- schiedlichen Schrift- und Zeichen- systemen sind klar identifizierbare Blöcke zugewiesen.

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bes Creative Suite zur Verfügung. Neben den auch für Vokale und Konsonanten beruhen, sind fern- für mittel- und osteuropäische Sprachen geeigneten östliche Schriften entweder Symbolzeichen- oder OpenType-Pro-Schriften wie Adobe Garamond Silben-Schriften. Betrachten wir die Systematik der Pro, Warnock Pro, Minion Pro oder Myriad Pro weltweit wichtigsten Alphabete und Schriftspra- offeriert das CS3-Fontpaket auch speziell ausge- chen etwas näher im Detail. baute Schriften für asiatische Sprachen wie etwa Das westeuropäische Alphabet. Das in Westeuropa, die Kozuka. Servicetechnisch gesehen sind die Amerika, Australien sowie weiten Teilen Afrikas beschriebenen Schriften zwar recht hilfreich. Medi- etablierte lateinische Alphabet ist nicht nur flä- enproduktions-Profis benötigen für ihre Handha- chenmäßig gesehen das verbreiteste weltweit. Auch bung allerdings auch etwas zusätzliches Wissens- computertechnisch wartet es mit einem stark ver- Know-how – beispielsweise über den Grundcha- einheitlichten Zeichensatz auf. Im Prinzip wird die rakter der weltweit gebräuchlichsten Alphabete. Menge der benötigten Zeichen bereits durch die altbetagte ASCII-Zeichenbelegung vollends abge- Alphabete deckt. Variationen gibt es lediglich in einigen Details Ein wesentliches Merkmal einiger nichtlateinischer – beispielsweise den Umlauten fürs Deutsche, den Schriften ist, dass sie nicht von links nach rechts nordischen Ligaturen oder einigen Akzentzeichen geschrieben werden, sondern umgekehrt – von links wie etwa der Tilde für das Spanische. Entsprechend nach rechts. Dies trifft beispielweise für die nahöst- den landessprachlichen Eigenheiten weichen auch lichen Schriftsysteme Arabisch und Hebräisch zu. die Tastaturbelegungen der wichtigen westeuropä- Bei anderen ist anstatt einer horizontalen Zeichen- ischen Sprachen leicht voneinander ab. Allerdings: führung eine vertikale gebräuchlich – auch wenn Insgesamt sind diese Detailunterschiede so gering- hier seit längerem eine Annäherung an die horizon- fügig, dass ein Deutscher oder eine Spanierin wohl tale Schreibweise vonstatten geht. Zusätzlich zur nur wenig Mühe haben, sich auf einer englischen Schreibrichtung ist auch die Zeichenstruktur des Tastatur zurechtzufinden. jeweiligen Schriftsystems zu beachten. Während Auch in Sachen Schriftauswahl ist die Situation europäische und nahöstliche Schriften auf Lauten äußerst kommod. Allen Globalisierungstendenzen

Schriftsysteme. Linke Seite: latei- nisch-mitteleuropäisch, griechisch und kyrillisch, indische Schriften, Thai (ganz unten). Rechte Seite: arabisch, hebräisch, japanische Kan- ji-Zeichen, Hiragana, Koreanisch.

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ungeachtet, orientiert sich der Schriftmarkt weiter- diesem Sprachen gehäuft vorkommen, existiert für hin an den jeweiligen landessprachlichen Präferen- sie eine separate Zeichenbelegung sowie ein spezi- zen. Schriften, die auf dem lateinischen Alphabet eller Unicode-Sektor. Wichtig ist: Bei herkömmli- basieren, sind hierzulande der Normalfall. Und chen PostScript-Schriften muss für mitteleuropä- hier ist die Auswahl geradezu gigantisch. Zur Not ische Sprachen eine eigene Central European-Vari- brauchbar sind normale Schriften selbst für den ante (Kennung bei den meisten Schriftherstellern: Satz von Texten in mitteleuropäischen Sprachen. CE) lizensiert werden. Bei OpenType-Schriften im Das komplette Besteck an Akzent-Sonderzeichen Format OpenType Standard sind diese meist dann wird von normalen Schriften zwar nicht abgedeckt. im Zeichensatz mit enthalten, wenn es zur ent- Zieht man allerdings in Erwägung, bestimmte Son- sprechenden PostScript-Schriftvariante bereits ein derzeichen – etwa im Polnischen, Tschechischen optional lizensierbares CE-Set gab. Beim Format oder Ungarischen – zusammenzubasteln, kommt OpenType Pro hingegen gehören Schriftzeichen man zur Not auch ohne spezielle CE-Schnitte oder für mitteleuropäische Sprachen fest zum Inventar. OpenType-Schriften über die Runden. Vergleichbare Konventionen gelten auch für das Das Alphabet mitteleuropäischer Sprachen. Spra- Türkische – eine Schriftsprache, die ebenfalls auf che und Schriften in vielen Ländern des ehema- dem lateinischen Alphabet basiert. ligen Warschauer Pakts beruhen zwar ebenfalls Griechisch und Kyrillisch. Etwas komplizierter auf dem lateinischen Alphabet. Anders als die verhält es sich bei griechischen und kyrillischen westeuropäischen Schriftsprachen sind Ungarisch, Schriften. Historisch gesehen basieren zwar sowohl Litauisch oder Kroatisch jedoch in weitaus stärke- die griechische als auch die kyrillische Schrift auf rem Ausmaß von Akzentzeichen und Buchstaben Vorläufern beziehungsweise Abwandlungen des mit Akzentzeichen geprägt. Grundsätzlich kenn- lateinischen Alphabets. Anders als die mitteleu- zeichnen die rund ein Dutzend unterschiedlichen ropäischen Sprachen warten sie allerdings mit Akzente entweder bestimmte Vokalbetonungen eigenen Buchstaben auf. Vorlage des griechischen oder aber Laute, für die sich im lateinischen Grun- Alphabets ist die Schrift der Phönizier. Phönizisch dalphabet direkt kein Äquivalent findet. Da sie in und Griechisch sind zwar ebenfalls Lautsschriften.

Die wichtigsten Schriftsysteme weltweit: lateinisch (inklusive mit- teleuropäisch), kyrillisch, arabisch, hebräisch, süd- und ostasiatische Schriften. Andere Alphabete wie etwa die äthiopische Schrift sind regional begrenzt.

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Zudem hat das Buchstabenset große Ähnlichkeiten Groß- und Kleinbuchstaben. Ebenso wie das grie- mit dem in West- und Mitteleuropa gebräuchlichen chische Alphabet oder Schriften mit CE-Zeichen- lateinischen Alphabet. Ein Großteil der Zeichen belegung kommt es nicht nur in Russland zum Zug, unterscheidet sich allerdings stark – obwohl einige sondern auch in anderen, in der Regel benachbarten Buchstaben wie etwa Alpha, Beta oder Gamma Ländern: der Ukraine etwa, Serbien oder einigen auch im Westeuropäischen als mathematische Spe- zentralasiatischen Republiken. zialzeichen verwandt werden und daher ebenfalls Nahöstliche Alphabete und Schriften. Die Schrift- nicht unbekannt sind. Häufig findet man diese sprachen im Nahen Osten entwickelten sich aus Spezialzeichen auch im Zeicheninventar normaler unterschiedlichen Quellen. Eine wesentliche Schriften. Zu unterscheiden ist heute übrigens zwi- Grundlage ist das aramäische Alphabet – ein wei- schen dem Altgriechischen und dem Neugriechi- terer Abkömmling des phönizischen Alphabets. schen. Für beide gibt es Schriften. Allerdings: Die Einerseits ist Aramäisch eine Sprache, die auch Abweichungen in beiden Alphabeten sind in der heute noch in einigen Teilen der Region eine Rolle Summe marginal. spielt – etwa in der Türkei, Teilen von Syrien, dem Das kyrillische Alphabet basiert auf dem griechi- Iran und dem Irak. Andererseits ist das aramäische schen. Ausgangspunkt ist die Glagoliza, ein Alpha- Alphabet ein historischer Vorläufer des hebräischen bet, das ursprünglich dafür geschaffen wurde, die Alphabets. Das arabische Alphabet enthält zwar Bibel in slawische Sprachen zu übersetzen. Anders ebenfalls einige Zeichen, die aus dem Aramäischen als das griechische Alphabet enthält das kyrillische abgeleitet sind. Insgesamt ist es jedoch ein weiterer teilweise unterschiedliche Zeichen für Klein- und eigenständiger Ableger des phönizischen Alpha- Großbuchstaben. Einige davon sind nahe Abwand- bets. lungen lateinischer Buchstabenformen oder sogar Arabisch und Hebräisch sind derzeit die wich- mit solchen identisch. Eine Besonderheit des kyril- tigsten Verkehrsschriften in der nahöstlichen und lischen Alphabets sind einige Zusatz-Zeichen, für nordafrikanischen Region. Die Menge der Buch- die es im lateinischen Alphabet kein Äquivalent staben entspricht grosso modo derjenigen des latei- gibt. Insgesamt umfasst das kyrillische Alphabet 33 nischen Alphabets: Das aramäische Alphabet ent-

Nahöstliche Schriftsysteme: Hebräisch und Arabisch.

Vorherrschende Schriftsysteme in Europa: Lateinisch, Griechisch und Kyrillisch.

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hält 22 Zeichen, das arabische 28, ebenso das auf Wortsymbole. Hinzu kommen Ideogramme, welche dem Äramäischen aufbauende hebräische Alpha- die Bedeutung der entsprechenden Wörter konkre- bet. Darüber hinaus gibt es zwei Unterschiede zu tisieren. Ähnlich verhält es sich im Japanischen. Die den bislang aufgeführten Alphabeten. Wichtigstes japanische Schrift baut historisch gesehen auf der Unterscheidungsmerkmal: Anders als lateinische chinesischen auf. Auch hier entwickelte sich die für Schriften hierzulande werden nahöstliche Schrif- fernöstliche Schriften charakteristische Mischung ten von rechts nach links gelesen – und folglich aus Symbolzeichen- und Silbenschrift. Im Lauf der auch gesetzt. Technisch gesehen heißt dies: Um Zeit vereinfachte und standardisierte sich das Japa- die entsprechende Schrift korrekt abzusetzen, wird nische zunehmend. Heraus bildeten sich in diesem eine zusätzliche Steuerungssoftware benötigt. Ein Prozess auch die beiden Silbenschriften Hiragana weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die und Katana. Die moderne japanische Schrift besteht reale Zeichenvielfalt: Da das arabische sowie das vorwiegend aus diesen Zeichen. Hinzu kommen hebräische Alphabet lediglich Konsonanten bein- noch circa 10000 zusätzliche Kanji-Zeichen, wel- halten, müssen diese durch zusätzliche Zeichen (in che aus dem Chinesischen übernommen wurden. der Regel unterschiedlich angeordnete Punkte oder Darüber hinkaus ist in Japan auch die sogenannte Striche) modifiziert werden. Folge: In der Praxis ist Romaji-Schrift gebräuchlich – eine Umsetzung der ein Buchstabenset von hundert oder mehr unter- japanischen Sprache in lateinische Schriftzeichen. schiedlichen Zeichen zu handhaben. Besonderheit: Auf japanischen Computern kann Fernöstliche Schriften. Noch komplizierter ist der diese Schrift via Konvertierungssoftware in tradi- Umgang mit fernöstlichen Schriften. Schwierig tionelle Kanji-, Hiragana- und Katakana-Zeichen dabei ist nicht nur der Umstand, dass sie oftmals umgewandelt werden. von oben nach unten geschrieben werden. "Kompa- tibilitätsschwierigkeit" Nummer eins ist die Tatsa- Unicode che, dass sie nicht auf Alphabeten basieren, sondern Die aufgeführten Haupt-Schriftgruppen umfassen auf Symbol- und Silbenzeichen. Das Chinesische zwar nicht alle Sprachen und Alphabete, die welt- etwa besteht aus vielen Tausend unterschiedlicher weit zum Einsatz kommen. Lateinisch, Mitteleuro-

Ostasiatische Schriftsysteme: tradi- tionelle Kanji-Zeichen, Hiragana- Silbenschrift, Koreanisch.

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päisch, Griechisch, Kyrillisch, Arabisch, Hebräisch gruppe wird ein bestimmter, durch Unicode fest sowie die fernöstlichen Verkehrssprachen dürften definierter Sektor zugewiesen. Die Identifizierung jedoch mehr als neunzig Prozent des Schriftauf- von Zeichen kann so global erfolgen. Die ständig kommens ausmachen. Zusätzlich bedeutend sind weitergepflegte Spezifizierung enthält nicht nur lediglich die Schriften des süd- und südostasia- Sektoren für die großen, etablierten Schrift- und tischen Kulturkreises. Teilweise – wie in Indien Zeichensysteme, sondern auch für solche für kleine- – koexistieren hier unterschiedliche Regional- und re, native Alphabete, für Sonderschriften wie etwa Offizialschriften; in anderen Ländern der Region die Braille-Schrift sowie solche für weltweit ver- haben sich landesweite Schriften etabliert, die mit wandte Piktogramme, Nummern, Zeichenfiguren, der indischen Schriftfamilie weitläufig verwandt mathematische Symbole, ausgestorbene Schriften sind. Um alle Schriftsysteme dieser Welt auch und andere Zeichen-Sets. computertechnisch einfach zugänglich zu machen, Dass ein Schema für sämliche Schrift- und Zei- existiert seit Anfang der Neunziger Jahre eine neue chensysteme weltweit seine eigenen Schwierigkei- Kennungs-Spezifikation. Ihr Name: Unicode. In ten hat, stellt auch die Aufgliederung der einzelnen der aktuellen Schrifttechnologie-Diskussion ist der Unicode-Sektoren unter Beweis. Einerseits offeriert Begriff Unicode mehr oder weniger eng verbunden die Aufteilung eine hohe Stringenz. Die Unicode- mit dem Fontformat OpenType. Was die Fonttech- Belegung beginnt mit den gängigen Zeichensekto- nologie angeht, ist Unicode allerdings vollkom- ren für das lateinische Alphabet: Basic Latin, Latin men agnostisch. Auch TrueType- oder PostScript- 1 Supplement, Latin Extended A und B. Es folgen Schriften können durchaus auf Unicode basieren; einige Zeichen-Specials wie zum Beispiel Sektoren wie weiter oben ausgeführt, ist dies bei aktuellen für Akzente. Recht kompakt folgen im Anschluss Systemschriften sogar meist der Fall. Für einen die Sektoren für kyrillische, armenische, hebräische, internationalen Belegungsstandard erfüllt Unicode arabische und syrische Schriften. Etwas komplexer alle Voraussetzungen. Berücksichtigt sind in dieser ist die Aufteilung indes bei den ostasiatischen Spra- Spezifikation alle Sprachen, Alphabete und Zei- chen weiter hinten im zweiten Hauptbereich. Um chensysteme dieser Erde. Vorteil: Jeder Zeichen- dem immensen Zeichenreichtum dieser Schrif-

Süd- und südostasiatische Schrift- systeme: indische Offizialschrift Devanagari, Tamil, Thai

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ten gerecht zu werden, offeriert Unicode mehrere Fazit Blocks, deren Inhalt unter dem Kürzel CJK firmiert Die Verwendung unterschiedlicher Schriftsysteme – eine Zusammenfassung für die drei auf dem Chi- wird auch in den Zeiten der Globalisierung immer nesischen aufbauenden Schriftsprachen Chinesisch, wieder an technische Grenzen stoßen. Nichtsdesto- Japanisch und Koreanisch. Der Inhalt dieser Blocks: trotz haben Unicode sowie das OpenType-Format unterschiedliche Baukasten-Segmente dieser mit- die Handhabbarkeit fremder Schriften immens einander verwandten Schriftsysteme. vereinfacht. Befördert durch die Entwicklung hin zu einem gemeinsamen EU-Wirtschaftsgroßraum, Schriften wird Mitteleuropäisch perspektivisch wohl zu einer Den aufgeführten Sachverhalten entspricht grosso Erweiterung des bisherigen Standards werden. modo auch das Angebot. Ob OpenType oder her- Auch Griechisch und Kyrillisch sind – sowohl ver- kömmliches Fontformat: Schriften für den inter- ständnistechnisch als auch von der geografischen nationalen Bedarf sind bei den meisten Schrift- Nachbarschaft her – "naheliegende" Schriften. Das herstellern zu haben. Verstärkt hinzu gesellen sich babylonisch anmutende Sprachgewirr mag sich, Spezialanbieter, die eine bestimmte Angebotsnische verglichen mit den Zeiten Gutenbergs, letztlich besetzen. Ein Beispiel ist das Label Paratype (www. zwar nur wenig geändert haben. Der Unterschied paratype.ru), welches sich auf kyrillische Schriften jedoch ist der, dass wir über die Unterschiede und versiert hat. Auch Bezüge "direkt an der Quelle" die Vielfalt weitaus mehr Bescheid wissen als noch dürften im Zeitalter der Globalisierung kein größe- vor einigen Jahrzehnten. Insofern trägt Schrift auf res Problem mehr darstellen. Im Zweifelsfalls wei- dem Computer durchaus einen Teil dazu bei, dass terhelfen kann entweder die Suche via Internet oder sich Sprachen und Kulturen dieser Welt ein Stück aber auch FontShop, Europas größtes Mailorder- weit annähern. Haus für digitale Fonts.

Schriftfonts fürs Arabische: Bagdhad, Geeza Pro, Kufi Standard GK.

Schriftfonts für ostasiatische Sprachen: Hiragino Kaku Gothic Pro, Apple LiGothic, Kozuka Mincho Pro.

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Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen beweglichen Lettern – also die Zeit von ungefähr Lettern durch den Mainzer Johannes Gutenberg 1450 bis heute. Da Druckbuchstaben den Stand vor rund 500 Jahren gilt immer noch als die der gesamten Schriftentwicklung wiederspiegeln, Geburtsstunde der modernen Typografie. Wie ent- ist die Geschichte der Typografie mit derjenigen der wickelte sich unsere Schrift? Und wie sind all die Schrift an sich eng verbunden. unterschiedlichen Typen entstanden? Im histori- schen Schnelldurchlauf hier die Entstehungsge- Vorgeschichte: Vom Altertum bis in die schichte der modernen Typografie. frühe Neuzeit Die Zeiten haben sich, dank der digitalen Revolu- Schriftliche Ausdrucksformen nahmen bereits im tion, grundlegend geändert. Auch Typografie funk- Altertum feste Konturen an. Die Hieroglyphen der tioniert Anfang des 21. Jahrhunderts selbstredend Ägypter sind allseits bekannt; auch die Phönizier computergestützt. Wichtigste Innovationen derzeit, und Griechen kannten bereits feste Schriftsyste- unter anderem: das Format OpenType sowie das me. Im Hinblick auf die internationale Entwick- internationale Zeichenbelegungssystem Unicode. lung bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen Allerdings: Im Großen und Ganzen betrachtet, symbol- und silbenbasierenden Schriftsystemen sind Computertechnologie sowie ein internationali- einerseits, lautbasierenden Schriften andererseits: siertes Zeichensystem, welches alle Sprachen dieser Während einige Kulturen – zum Beispiel die fern- Welt integriert, nicht mehr als die derzeitigen End- östlichen – im Lauf ihrer Entwicklung zeichen- punkte einer Entwicklung, deren Anfänge mehrere und silbenbasierende Schriftsysteme entwickelten, Tausend Jahre zurückliegen. Im Mittelpunkt der favorisierten andere lautbasierende Schriften (siehe Typografie-Historie steht zwar die Geschichte der auch Kapitel 8 zum Thema "Schriften und Interna-

Das Alte und das Neue: Die Schriftgeschichte beginnt mit der Bleisatz- und endet (vorerst) mit der Computerära.

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tionalisierung"). Eine solche ist auch das lateinische te ausschließlich handgeschrieben vervielfältigt. Alphabet. Es besteht aus rund zwei Dutzend Zei- Nichtsdestotrotz hat sich der Fundus der frühen chen für Vokale und Konsonanten und etablierte Schriftgeschichte auch in aktuellen Fontsammlun- sich ungefähr zu Beginn unserer Zeitrechnung. Die gen unübersehbar verewigt. Historisierende Schrift- Grundformen der heutigen Großbuchstaben leiten entwürfe wie etwa Capitalis-Nachempfindungen sich von der römischen Offizialschrift ab – der oder Unzialschriften (man denke nur an den Film Capitalis Monumentalis. Neben der Capitalis exi- "Der Herr der Ringe") kamen auch in der neueren stierten eine Reihe informellerer Schriftvarianten. Schriftgeschichte immer wieder vor. Dies betrifft Diese wiederum bildeten den Rohstoff, aus dem auch einen weiteren Schrifttyp, der sich im hohen sich die Schriften des Mittelalters entwickelten. Als Mittelalter entwickelte: die Textur. Geprägt vom Offizialschrift des Mittelalters etablierte sich um Stilempfinden der Gotik, bevorzugte sie hohe, das Jahr 800 die sogenannte Karolingische Minus- eng zugerichtete, gebrochene Zeichenformen. Die kel – ein Kleinbuchstaben-Alphabet, das seiner- Textur wurde zum Vorläufer weiterer gebrochener seits von den frühmittelalterlichen Unzialschriften Schriftformen – des weicheren, runderen rund- abgeleitet war. Schrifttyptechnisch gesehen war gotischen Typs (Rotunda), der Schwabacher und die Karolingische Minuskel die Grundlage für die schließlich der Frakturschriften im engeren Sinn. Schreibkultur des hohen Mittelalters. Letztere konnten sich vor allem im deutschsprachi- Mit beweglichen Lettern, oder gar computerge- gen Raum zeitweilig als vorherrschender Schrifttyp stützten Fonts unserer Tage hatten diese Alphabet- etablieren. typen zwar wenig gemein. Bis ins hohe Mittelalter wurden Bücher, Urkunden und andere Dokumen-

Historische Schriftformen: frühmittelalterliche Unzialschrift und Fraktur

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1450 bis 1800: Von der Renaissanceantiqua zur nischen Verlegers und Buchdruckers Aldus Manu- klassizistischen Antiqua tius. Die von Manutius' Stempelschneider Johannes Die Entwicklung des heute vorherrschenden, gän- Griffo entwickelte Bembo zählt nach wie vor zu gigen Schrifttyps, der Antiqua, fand ungefähr zeit- den Klassikern des Buchdrucks. Dasselbe gilt für gleich mit der Erfindung des Buchdrucks statt. die Garamond. Die von Claude Garamond Mitte Beeinflusst von der Renaissance des antiken Gedan- des 16. Jahrhunderts entwickelte Antiqua wurde kenguts, entwickelten Buchdrucker und Schrift- die Vorlage zahlloser weiterer Schriften. Angeboten künstler des ausgehenden 15. Jahrhunderts einen heute in unterschiedlichen Varianten (Marktführer: Schrifttyp, welcher die Großbuchstaben des klassi- Stempel Garamond, die Sechzigerjahre-Neuent- schen römischen Alphabets und die Kleinbuchsta- wicklung Sabon sowie die Adobe Garamond von ben der karolingischen Minuskel zu einem neuen Robert Slimbach), etablierte die Garamond-Schrift Alphabet kompilierte. Historisch gliedert man die den Prototyp der älteren Antiqua – die französische Entwicklung der sogenannten Renaissanceantiqua Renaissanceantiqua. Merkmale: ein weiches, gefäl- in zwei Phasen. Der erste Typ, die venezianische liges Schriftbild, kalligrafische Formen mit nicht zu Renaissanceantiqua, enthält noch eine Reihe spät- starken Strichunterschieden sowie klare, eindeutige mittelalterlicher Formen. Die meisten aktuellen Zeichenformen. Schriften dieses Typs sind mehr oder weniger Die Entwicklung neuer Druckschriften verlagerte historische Nachempfindungen – etwa die Centaur, sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts zunehmend in die Stempel Schneidler, die ITC Weidemann oder die neuen Handelszentren Westeuropas, vor allem die Adobe Kepler. Ihre heute gebräuchliche Form in die Niederlande. Beeinflusst durch die zeitweilig bekam die Antiqua durch die Schriften des venetia- sehr populäre Kupferstichtechnik, legen die Schrift-

"Erfinder" der Bembo: der venezianische Verleger Aldus Manutius (1449 bis 1515). Claude Garamond (1499 bis 1561)

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entwickler und Stempelschneider des 17. und 18. der Welt, die Times, rechnet man diesem Typus zu. Jahrhunderts zunehmend mehr Wert auf die Form Weitere Neuinterpretationen, beispielseise die DTL – die äußere Erscheinungsweise der Zeichen. Die Fleischmann, finden sich in der Bibliothek des Strichkontraste werden zunehmend deutlicher, die von URW++ vertriebenen holländischen Anbieters Zeichenformen normierter und, wenn man so will, Dutch Type Library. gestylter. Die Schriftgeschichte bezeichnet den in Die bekanntesten Prototypen der Übergangsantiqua dieser Epoche entstandenen Schrifttyp als Barock- sind allerdings die Schriften der beiden britischen oder Übergangsantiqua. Der Begriff "Übergang- Drucker William Caslon und John Baskerville. antiqua" deutet bereits an, dass hier keinesfalls ein Während sich die Caslon noch stark am niederlän- Stilbruch stattfand, sondern vielmehr eine Verfeine- dischen Modell orientiert, schlagen Strichkontraste rung der Zeichenzurichtung. Vom Erscheinen her und Zurichtung der Baskerville den Bogen zur drit- bieten typische Barockantiquas oft wenig Unter- ten und bislang neuesten Ausprägung der Antiqua: schiede zu Garamond-Varianten oder anderen der klassizistischen Antiqua. Neue Innovationen Schriften der Renaissanceantiqua-Gruppe. Im 17. – zum Beispiel die Entwicklung des Punkt-Maßes Jahrhundert vorherrschend sind vor allem nieder- durch den französischen Drucker Jean Fournier – ländische Schriften – robuste Old Style-Antiquas, sowie der aufgeklärte Geist der Zeit beeinflussen die sich mehr am Gebrauchswert orientieren als an auch die typografischen Formen. Genreübergrei- exquisiten Formen. Typisch für diesen Schrifttyp ist fender Hauptstil der Epoche ist der Klassizismus. die Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte und Die klassizistischen Antiquas des ausgehenden 18. nach dem gleichnamigen Verleger benannte Plan- Jahrhunderts treiben das Spiel mit den Strichkon- tin. Auch die wohl meistangewandte Serifenschrift trasten auf die Spitze. Die Zeichen wirken nicht

Bleisatz ist Trumpf: Setzerwerkstatt im 17. Jahrhundert (aus der Enzyklopädie von Diderot und D'Alembert)

Schrift-Namensgeber: der niederländische Verleger Christoffel Plantin (1520 bis 1589).

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mehr kalligrafisch-geschrieben, sondern vielmehr lich als Egyptiennes bezeichnet und vom Namen geometrisch konstruiert und designt. Anders als her Bezug nehmend auf die Orientbegeistung die geometrischen Schriften der Bauhaus-Ära 150 während der Napoleanischen Feldzüge, etablieren Jahre später suchen die Schriftentwerfer der klassi- sich im Lauf der Zeit unterschiedliche Varianten zistischen Ära jedoch nicht die Vereinfachung der dieses Typs. Einige, wie zum Beispiel die 1845 auf Form an sich, sondern vielmehr die formale Ele- den Markt gekommene Clarendon, sind einfach ganz in der Ausführung. Typische Schriften jener serifenverstärkte Antiqua-Zeitungsschriften klas- Zeit sind die Bodoni, die Didot sowie die Walbaum sizistischen Typs. Andere steigern die Serifen ins des Wetzlarer Stempelschneiders und Druckers Extreme; bekannte Exponate sind etwa typische Justus Walbaum. Westernschriften. Im 20. Jahrhundert kam die Gestaltungstechnik der Serifen-Anhängung auch 1800 bis 1980: Egyptiennes und Groteskschriften bei einem weiteren Schrift-Grundtyp zur Anwen- Die industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert dung: der serifenlosen Grotesk. wartet vor allem mit technischen Innovationen Schrifthistorisch zunächst eher umstritten, entwik- auf. Beeindruckend sind vor allem die Weiterent- kelten sich serifenlose Schriften schließlich zu dem wicklungen in der Drucktechnik. Zusätzlich tritt Protoyp des 20. Jahrhunderts. Obwohl Vorformen eine weitere neue Technik auf den Plan: die Foto- bereits Ende des 18. Jahrhunderts auftauchen, grafie. Auch in Sachen neue Schrift-Grundtypen etablierten sie sich ungefähr zeitgleich mit dem ist die Ära der Industrialisierung recht innovativ. Aufschwung des Werbe- und Grafikdesign-Markts Zunehmend Verbreitung finden im Verlauf des 19. Ende des 19. Jahrhunderts. Ein erster wichtiger Jahrhunderts serifenverstärkte Schriften. Ursprüng- Prototyp ist die von der Berliner Schriftgießerei

Entwicklung der Antiqua: Bembo und Garamond sind die wichtigsten Marksteine der französischen Renais- sanceantiqua. Die Baskerville zählt zur Barockantiqua, die Bodoni zur klassizistischen Antiqua. Die Clarendon John Baskerville (1706 bis 1775) aus dem 19. Jahrhundert markiert die Entstehung eines eigenen Haupttyps: der serifenverstärkten Antiqua.

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Berthold entwickelte Akzidenz Grotesk. Im weite- sowie die Anfang der Siebziger Jahre erschienene ren Verlauf des 20. Jahrhunderts bildeten sich drei ITC Avant Garde. Klassizistische Formmerkmale Hauptgruppen heraus: kalligrafisch-frei gezeichne- hingegen enthalten vor allem die Neutralgrotesk- te, sich mehr oder weniger an herkömmliche Anti- schriften, die Ende der Fünfziger Jahre entstanden quas anlehnende Groteskschriften, geometrisch und stark von der Schweizer Typografie beeinflusst zugerichtete und schließlich neutral-zurückhalten- waren: Helvetica, Univers sowie die französische de mit klassizistischen Stilmustern. Aufgrund der Antique Olive. fehlenden Serifen sowie der insgesamt recht ein- Stilgeschichtlich und technologisch wurde das 20. heitlichen Strichstärken sind die aufgeführten Stil- Jahrhundert stark von funktionalistischen Konzep- merkmale zwar eher mit Vorsicht zu genießen. Als ten geprägt. Pioniere dieser Richtung waren das stilistische Schulen sind Humanismus, Konstruk- Bauhaus sowie die Elementare Typografie. In den tivismus und Klassizismus allerdings bis auf den Zwanziger Jahren stark polarisierend und von den heutigen Tag präsent. Wie auch bei den aktuellen Nazis schließlich unterdrückt, entfalteten sie sich Antiqua-Schriften orientiert sich die überwiegende erst richtig nach dem Ende des Zweiten Welt- Anzahl der Serifenlosen am humanistischen Muster. kriegs. Einher ging die funktionalistische Strömung Bekanntester Prototyp ist die 1928 entstandene Gill im Grafikdesign mit neuen, wissenschaftlichen Sans. Der humanistischen Stiltradition zuzurech- Konzepten in Sachen grafischer Informationsver- nen sind darüber hinaus eine Reihe Schriften, die mittlung. Richtungsgebend in den Jahrzehnten später entstanden sind – beispielweise die Syntax nach 1945 wurden der Internationale Stil sowie die oder die Thesis Sans. Eindeutige Abkömmlinge der stark auf funktionalistischen Konzepten basieren- geometrischen Schule sind die Futura, die Bauhaus de Schweizer Typografieschule. Innovationsgeber

Klassiker des 20. Jahrhunderts: Gill Sans, Times, Futura, Helvetica sowie der Schrifclan Thesis

Giambattista Bodoni (1740 bis 1813)

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waren unter anderem der Schweizer Grafikdesigner Monotype und Linotype. Für die Zeitungs- und Max Bill, die Ulmer Hochschule für Gestaltung Buchproduktion bedeutete die Entwicklung von sowie der Grafikdesigner und Schriftentwerfer Otl Bleisatzmaschinen ein wesentlicher Schub – weg Aicher. Trotz allem Funktionalismus war das 20. vom manuellen Handwerk und hin zu automatisier- Jahrhundert auch in Sachen Werbeschriften äußerst ten Produktionsabläufen. Auch in Sachen Typede- produktiv: Dekorative Stile wie der Jugendstil, die sign erwiesen sich die beiden Firmen Monotype Neue Buchkunst, die avantgardistischen Strömun- und Linotype als mit federführend. Andere bedeu- gen der Zwanziger sowie die Pop Art der Sechziger tende Schrifthersteller dieser Phase: die Schrift- schlugen sich in Schriftenwürfen ebenfalls nieder. gießereien Bauer und Stempel ( beide Frankfurt Vorerst letzter Ausdruck dieses Zeitgeist-Typede- am Main), die in Berlin ansässige Berthold AG, signs ist der Trend zu postmodernen Stil-Samples die US-amerikanische American Type Founders sowie zum Typo-Crossover. (ATF), die Firma Nebiolo in Turin, Deberny & Der neue Stellenwert von Designer-Schriften, wie Peignot in Frankreich sowie andere. Als besonders er sich auch im Erfolg der in New York ansässigen "werbeschriftenfreundlich" erwies sich eine aus der International Typeface Corporation (ITC) nieder- Fotografie und Reprografie kommende Erfindung: schlug, basierte zum Teil auf neuen technologischen der Fotosatz. Zunächst vor allem im Headlinesatz Innovationen. Nach wie vor beruhen die meisten zum Zuge kommend, entwickelte er sich in den aktuellen Standardschriften auf Schriftentwürfen sechziger und siebziger-Jahren zur vorherrschenden aus den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts. Satz-Technologie und verdrängte den alteingesesse- Befördert wurde diese Schrift-Massenprodukti- nen Bleisatz zunehmends. on durch die beiden Bleimaschinensatz-Hersteller

Schrifttheoretiker und (zunächst) Fürsprecher der Elementaren Typo- grafie: Jan Tschichold (1902 bis 1974) Eric Gill (1882 bis 1940)

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Seit 1980: Computersatz, Postmoderne, der Achtziger soweit abgeschlossen war, etablierten Schriftsippen sich zunehmends neue Schrift-Entwürfe auf dem Letzte – und bis heute anhaltende – Entwicklung Markt. Ein wesentlicher Trend ging dabei hin zu war das Aufkommen der Computersatz-Techno- gruppenübergreifenden Schrift-Clans oder Schrift- logie sowie der damit eng verbundenen Fonttech- Sippschaften. Hierbei handelt es sich um Schriften, nologien PostScript, TrueType und (schließlich) die nicht nur in einer Variante vorliegen – also als OpenType. Der Vorteil: Anders als zuvor waren Antiqua, Groteskschrift oder Serifenverstärkte –, Schriften nicht mehr an die Technologie des jewei- sondern in mehreren: als Sans, als Serif oder als Mix ligen Satzmaschinenherstellers gebunden. Während aus beiden. Standards dieser Richtung sind etwa die es einigen Schriftenanbietern wie Monotype und Thesis des in Berlin ansässigen Schriftentwerfers Linotype gelang, Anschluss an die neue Entwick- Lucas de Groot oder die Rotis von Otl Aicher. lung zu finden, verschwanden andere nach und Das Schriftsippen-Konzept erfreut sich insgesamt nach von der Bildfläche. Ab Ende der Achtziger weiter zunehmender Beliebtheit. Zunehmend zum traten zunehmend neue Anbieter auf den Plan: der Clan erweitert werden aktuell auch Schriften, die Software-Hersteller Adobe etwa, der international bislang nur in einer Ausfertigung vorlagen. Beispie- agierende Mailorder-Schriftdistributor FontShop, le: die Meta von FontShop International oder die der auf Fontentwicklungstechnologie versierte Syntax von Linotype. Ein weiterer Trend derzeit ist Anbieter URW (heute: URW++) sowie zahlreiche eher technologischer Natur – der hin zum Format andere Labels. Schriftentwicklungstechisch verlegte OpenType, zu zeichentechnisch breit bestückten man sich zunächst auf das Konvertieren der bereits Zeichensätzen mit internationalisierten Alphabet- vorhandenen Bestände. Nachdem diese Phase Ende Sets und typografischen Zusatzformen. Ein weiterer

Display-Schriften im Verlauf der Geschichte: Das Design der Algerian beruht auf Entwürfen aus dem 19. Jahrhundert. Die Souvenir ist eine bekannte Werbeschrift der Siebziger. Die Blur hingegen zählt zum festen Inventar des Underground-Designs der Neunziger.

Schriftclan: Thesis in den Ausfertigungen Sans, Mix, Serif und Antiqua.

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Typo-Trend ist die Etablierung und Verfeinerung man die von der Underground- und Popkultur- von Schriften speziell für Monitordarstellungs- und inspirierten Display-Schriften als eigene stilistische Webdesign-Zwecke. Allerdings stehen hier weni- Gruppe betrachtet oder sie in bereits vorhandene ger neue Formen im Vordergrund als vielmehr die Schubladen einsortiert, mag Ansichtssache sein. Modifizierung bestehender Modelle für spezielle Das Schrift-Angebot als solches jedenfalls ist aktu- Zwecke. Stilistisch gesehen scheint die Palette der ell breitgefächert und vielfältig wie nie. Eine vor- Grundtypen derzeit erschöpft zu sein; ein neuer ist sichtige Renaissance erfährt die letzten Jahre auch gegenwärtig nicht in Sicht. Auffällig ist allenfalls ein Modell, dass im deutschprachigen Raum lange der zunehmende Hang zum Stil-Crossover – also als das "deutsche" Schriftmodell schlechthin galt – hin zu Schriften, die Stilmerkmale mehrerer Grup- die Fraktur, bzw. gebrochene Schriften im weiteren pen oder Epochen enthalten. Wie dieser Trend Sinn. Auch wenn die Einführung der Fraktur als weitergeht und ob überhaupt wieder ein neuer Grundschrift nicht ernsthaft zur Disposition steht, Grundtyp auf den Plan tritt, lässt sich naturgemäß zeigt diese Entwicklung doch, dass die Etablierung schwer voraussagen. und Weiterentwicklung von Schriftmodellen kei- Als Computerfont recyklet werden darüber hin- nesfalls statisch ist, sondern auch vom jeweiligen aus auch einige Spezialformen, die im Schriftsatz Zeitgeist abhängt. Fazit: Dass sich die Geschichte irgendwann aufgetreten sind und sich als spezi- der Typografie auch zukünftig mit einigen Überra- elle Form für spezielle Anlässe etabliert haben. schungen aufwarten wird, ist wahrscheinlicher als Ein wichtiges Beispiel sind Schreibschriften – ein das Szenario, dass in 400 Jahren noch alles so sein Typus, der im Verlauf der Zeit eine Vielzahl unter- wird, wie wir es heute kennen. schiedlicher Untertypen hervorgebracht hat. Ob

Spezial-Schrifttypen: Schreibschrift und Monospace.

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Bereits an professionellen, gut ausgebauter Text- deplatziert. Was für Werbe- und Displayschriften schrift-Familien gibt es Tausende. Hinzu kommen gilt, gilt auch für Textschriften. Ob im konkreten Unmengen von Display-Schriftten sowie Variatio- Fall eine nüchtere Serifenlose besser passt als eine nen historischer Schriftypen. Wie Schrift A von klassische Antiquaschrift, hängt von der konkreten Schrift B unterscheiden? Der folgende Beitrag stellt Publikation ab. Im Buchsatz etwa bestimmen klas- alte und neue Schrift-Klassifikationssysteme vor. sische Antiquas nach wie vor das Bild. In techni- schen Broschüren, in Anzeigetexten und ähnlichen Warum Schriftklassifizierung? Publikationen hingegen ist eher Grotesk angesagt. Wozu Schriften überhaupt klassifizieren? Unter- Eine weitere Frage ist die nach der Lesbarkeit einer schiedliche Katalogisierungen des bestehenden Schrift. Obwohl über die Frage, ob Serifenlose nicht Schriftbestands gibt es zwar bereits lange. Aller- gleich gut lesbar (oder sogar besser lesbar) sind als dings: Angesichts der kaum noch zu überblicken- Schriften mit Serifen, nach wie vor keine Einigkeit den Typ- und Sti-Vielfalt greifen nicht wenige herrscht, ist die Gruppe der Schriften, die allge- Anwender auf die Methode "kreative Eigenkom- mein als mengentexttauglich angesehen wird, nach position" zurück. Dass das Ignorieren historisch wie vor überschaubar. Neben Antiqua- und Gro- gewachsener Typ- und Stil-Festlegungen leicht teskschriften zählen hierzu vor allem sogenannte daneben gehen kann, zeigt das abgebildete Beispiel. Slab Serifs oder Serifenverstärkte. Zusammen mit Die Verwendung einer Underground-Schrift für ein Serif- und Sans-Serif-Schriften bilden sie heute Bestattungsinstitut etwa wird allgemein für unpas- den Pool, aus dem Textgestalter, Typografen, Lay- send gehalten. Umgekehrt wirkt Frakturschrift bei outer und Setzer Grundschriften für Publikationen einem trendigen Second-Hand-Laden ebenfalls auswählen. Doch welche genau nehmen? Bei dieser

Schriftklassifikation: angesichts vieler unterschiedlicher Schriftarten eine wichtige Hilfestellung.

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Frage bieten Klassifikationsschemen eine wertvolle Renaissanceantiquas, Übergangs- oder Barockan- Hilfestellung. tiquas und schließlich klassizistische Antiquas. An und für sich sind Schrift-Klassifikationssysteme Historische Modelle lassen sich in dieses Schema recht einfach. Es gibt zwar eine Reihe. Fast alle noch vergleichsweise einfach einsortieren. Aktuelle jedoch orientieren sich an bestimmten historischen Schriften hingegen – insbesondere solche, deren Perioden – der Renaissance, dem Klassizismus, der Outfit nicht eindeutig zuordbar ist – erweisen sich geometrischen Gestaltungsschule, und so weiter. oft als sperrig. Zuordnen lassen sich diesen Stil-Perioden auch Fazit: Die Entscheidung, ob es sich bei einer die drei oben aufgeführten Textschrift-Grundty- vorliegenden Schrift um eine Renaissance- oder pen. Große Unterschiede gibt es hingegen bei eine Barockantiqua handelt, ist oft nicht einfach. der Einordnung der restlichen Schrifttypen – der Erleichtert wird das Feststellen des Typs zwar vielen unterschiedlichen Display-Schriften sowie durch eine Reihe formaler Kriterien – beispielswei- der Schriftarten, die von historischen Vorläufer- se Strichkontraste, Ausprägung der Serifen, eher und Nebenmodellen abgeleitet werden. Bekann- geschriebene, eher gezeichnete oder eher konstru- te Beispiele hier: Fraktur- und Schreibschriften. ierte Anmutung. Viele Typografen und Setzer ori- Der Grund für diese Ratlosigkeit: Die Bedeutung entieren sich bei dieser Zuordnung jedoch lieber an einzelner Schrifttypen wechselt im Lauf der Zeit. Publikationen, in denen diese Arbeit bereits erledigt Ein weiteres Problem ist die Detailuntergliederung wurde – zum Beispiel dem Titel "Schriften erken- der großen Haupttypen. Die meisten Klassifika- nen" des vor einigen Jahren verstorbenen Typo- tionssysteme gliedern Antiquaschriften in folgen- grafen Peter Wilberg. Eine weitere Gruppe von de Untergruppen: venezianische und französische Klassifikationssystemen sind die Zuordnungssyste-

Passt – passt nicht: Bei den Anzeigevarianten in der linken Spalte ist unübersehbar der Schrifttyp falsch gewählt. Auch der rechten Seite die passende Variante.

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me großer Hersteller. Im Mittelpunkt der bei Font- male dieser Klassifikationsraster sind Stilmerkmale Shop, Linotype und anderen Firmen zur Anwen- und Schrifttypen. Ihr Vorteil besteht darin, dass dung kommenden Klassifikationsmethoden steht sie stärker auf gruppenübergreifende, gemeinsame weniger die gruppentechnische Feinaufgliederung, Merkmale achten als ihre traditionellen Vorgänger. sondern vielmehr die Zuordnung zu einem griffi- Der Nachteil ist, dass derart versierte Raster das gen Haupttyp. Serif, Sans Serif oder Slab Serif? Für Einordnen nicht gerade einfacher machen. viele Anwender sind Zuordnungen dieser Art das Für die Raster-Einordnungsweise spricht schließ- probateste Mittel, um sich im Dschungel der unter- lich noch ein weiteres Argument: die in den letzten schiedlichen Haupt- und Untergruppen überhaupt zwei Jahrzehnten immens gestiegene Bedeutung zurechtzufinden. gruppenübergreifender Schrift-Großsippschaften. Offizielle Vorgabe für die Schriftklassifikation ist Insgesamt sind Rastersysteme zur Klassifikation in Deutschland immer noch die aus den Jahr 1963 hier auf der Höhe der Zeit. Sie wirken sehr stammende DIN-Norm 16518. Da sie aus einer modern und sehr wissenschaftlich. Letztendlich anderen Zeit stammt, sieht sie ein Großteil der heu- allerdings liefern sie nichts weiter als ein modernes, tigen Typografen als überholt und überarbeitungs- vielleicht gestaltungswissenschaftlicheres Gewand bedürftig an. In den letzten Jahren gab es einige für die traditionellen, schon lange angewandten neue Vorschläge und Diskussionsansätze. Interes- Sortierungskriterien. Ähnliche Überalterungser- sant an ihnen ist, dass sie oft keine herkömmlichen scheinungen wie die deutsche DIN-Norm 16518 Gruppenaufgliederungen mit Haupt- und Unter- weisen auch entsprechende Klassifizierungssysteme gruppen, sondern vielmehr eine Art Rasterschema anderer Länder auf – etwa das französische Sche- präsentieren. Wesentliche Unterscheidungsmerk- ma nach Vox, die britische Klassifitionsnorm oder

Schriftgruppen nach der DIN-Norm 16518

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die italienische. Frage: Wann, wie und zu welchem Schriften. Einen ähnlichen Ursprung hat das Wort Zweck sind sie entstanden und welche Entwicklun- "Grotesk" – ursprünglich eine weniger schmeichel- gen haben schließlich dazu geführt, dass heutzutage hafte Beschreibung für serifenlose Schriften. allgemein Überarbeitungsbedarf angemeldet wird? Immer dringlicher wurde die Notwendigkeit genauerer, branchenweit vereinheitlichter und "tie- Schriftklassifizierung in Vergangenheit fenschärferer" Klassifizierungsysteme im Verlauf und Gegenwart des 20. Jahrhunderts. Die Ursachen: immer mehr Bereits die Schriftsetzer zu den Zeiten von William unterschiedliche Typen, die auf den Markt kamen, Caslon und Giambattista Bodoni hatten durch- sowie eine immer stärkere Verbreitung von Schrift- aus ihre Methoden, unterschiedliche Schrifttypen Prototypen und Schrift-Marken. Während "Bodo- auseinanderzuhalten. Allerdings liegt man sicher ni" im 18. Jahrhundert wenig mehr bedeutete, als nicht falsch mit der Generalisierung, dass sich die dass eine bestimmte Schrift von dem italienischen Unterscheidungen in früheren Jahrhunderten auf Startypografen Giambattista Bodoni stammte, die Rubriken Textschriften und sonstige Schriften rückte im 20. Jahrhundert die Problematik unter- beschränkte. Zwar sorgte spätestens der Industria- schiedlicher Firmen- und Designer-Ausfertigungen lisierungsprozess innerhalb der Druckbranche im stärker in den Vordergrund. Ob eine Bodoni von 19. Jahrhundert für die Etablierung branchengän- der Frankfurter Schriftgießerei Bauer stammte oder giger Schrifttyp-Bezeichungen. Die bekannteste ist dem britischen Satzmaschinenhersteller Monotype, wohl der Begriff "Egyptienne" – ein Anfang des 19. machte sich auch im Design der Zeichen mehr oder Jahrhunderts aufgekommenes Schlagwort für die weniger stark bemerkbar. Die wichtigsten, teilweise damals in Mode gekommenen serifenverstärkten noch heute gültigen Klassifizierungssyteme wurden

Schriftgruppen nach der französischen Klassifikationsnorm von Maximilien Vox

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so in den Nachkriegsjahrzehnten zwischen 1950 und Haupt-Zuordnungen orientieren sich zwar an und 1970 festgelegt: das französische Klassifika- den offiziellen Normen. Im Vordergrund stehen tionsschema von Maximilien Vox ("Classification jedoch griffige, anwenderfreundliche Hauptgrup- typographique de Vox AtypI") im Jahr 1954, das pen – Sans Serif, Serif, Blackletter, Script, und so nach seinem Urheber Aldo Novarese benannte weiter. Folge: Die aus dem Englischen entlehnten italienische Klassifikationsschema "Classificazione Begriffe sind in der aktuellen Mediengestalter- Novarese" im Jahr 1957, die bundesdeutsche DIN- Szene weitaus gängiger als die älteren und spezi- Norm 16518 im Jahr 1963 und schließlich die elleren Fach-Termini der traditionellen Schemata britische Variante "Typeface Classifications British (Beispiel: "Venezianische Renaissance-Antiqua"). Standards" anno 1967. Zum Problem für die traditionellen Klassifikati- Gemeinsam ist den vier aufgeführten Klassifikati- onseinteilungen wurden in den letzten Jahrzehnten onsnormen, dass sie – bei allen Unterschieden in vor allem drei Entwicklungen: a) die stark gewan- der Grundkonzeption – in Teilbereichen ausge- delte Bedeutung einiger historischer Schrifttypen prägte Feingliederungen offerieren. Nachteil: Bei (Beispiel: Fraktur), b) die immer weiter gestreute anderen Teilbereichen sind sie geradezu unglaublich Stilvielfalt im Bereich der Zier-, Display- und unscharf und vage. Insgesamt fokussieren sie stark Werbeschriften (Stichwort: Schriften, deren Design auf die historisch gewachsenen Formen und Haupt- stark von pop- und jugendkulturellen Einflüssen gruppen. Eine gewisse Konkurrenz zu den eher wis- inspiriert ist) und schließlich c) Vereinheitlichung- senschaftlichen Aufgliederungen der aufgeführten stendenzen bei den drei großen Textschrift-Grup- Normen boten die Schriftkataloge und Angebots- pen Serif, Sans Serif und Slab Serif (Stichwort: Aufbereitungen von Schrifthersteller. Terminologie Schriftclans und CI-Schriften). Die erwähnten

Schriftgruppen nach der britischen Klassifikationsnorm

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Rastersysteme heutiger Typografen kann man ins- Klassifizierung-Modelle gesamt als Versuche werten, dieser stattgefunde- Die klassischen Systeme. Ungeachtet dem Über- nen Auffächerung stärker Rechnung zu tragen. In alterungsvorwurf ist die klassische DIN-Norm der typografischen Fachdiskussion zirkulieren die 16518 nach wie vor Ausbildungs- und Verständi- letzten Jahre vor allem drei Vorschläge: einer von gungsgrundlage. Die von ihr offerierte Gruppen- dem Typografen Max Bollwage, der im Gutenberg- aufteilung orientiert sich stark an formalistischen Jahrbuch 2000 ein kartesisches Rastersystem für Kriterien, also am Erscheinungsbild einer Schrift. die Zuordnung präsentierte, ein stärker die optische Insgesamt listet die DIN-Norm elf unterschied- Wirkung in den Vordergrund stellendes Modell liche Hauptgruppen. Die ersten vier sind den von Peter Willberg und Indra Kupferschmid und klassischen Antiquaschriften vorbehalten – der schließlich die "Matrix Beinert" von dem Berli- venezianischen Renaissance-Antiqua (Beispiele: ner Typografen Wolfgang Beinert. Zur Verfügung Stempel Schneidler, Centaur, Guardi), der franzö- stehen gegenwärtig so drei unterschiedliche Grup- sischen Renaissance-Antiqua (Beispiele: Bembo, pen von Klassifikationssystemen: die traditionel- Garamond, Palatino), der Barock-Antiqua (Bei- len Normen, Hersteller-Unterteilungen und einige spiele: Caslon, Baskerville, Times) und schließlich neue Ansätze. Frage: In welchen Punkten unter- der klassizistischen Antiqua (Beispiele: Bodoni, scheiden sich die einzelnen Modelle und wo liegen Didot, Walbaum). Zwei weitere Gruppen nehmen ihre Gemeinsamkeiten? Slab-Serif- und Sans-Serif-Schriften in Beschlag; Bezeichnungen laut DIN-Norm: serifenbetonte Linearantiqua und serifenlose Linearantiqua. Grup- pe Nummer sieben ist unterschiedlichen Antiqua-

Serifenformen: Vorhandensein und Gestalt von Seri- fen geben einen wichtigen Anhaltspunkt darüber, welcher Gruppe eine bestimmte Schrift zuzuordnen ist.

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Varianten vorbehalten – ein Container sowohl für Modelle. Das britische Schema offeriert insge- Display-Schriften als auch für solche, die in keine samt zwölf Gruppen, darunter die beiden gängigen der anderen Kategorien fallen. Gruppe Nummer Hauptgruppen Sans Serif und Slab Serif sowie wird von dem klassischen Schreibschrift-Typ ver- die vier Antiqua-Gruppen Old Face Venetians, anschlagt, Gruppe neun für handschriftlich anmu- Old Face, Transitional und Modern Face. Gesam- tende Antiqua-Schriften, Gruppe zehn für Fraktur- teuropäisch gesehen ist der Sinn einer separaten Schriften (Untergruppen: Gotisch, Rundgotisch, Hauptgruppe für Barock- bzw. Übergangsantiquas Schwabacher, Fraktur und Fraktur-Varianten) und umstritten. Historisch lässt sich dieser Schrifttyp Gruppe elf schließlich für fremde Schriften, die zwar durchaus lokalisieren; als "Transitionals" auf- nicht auf dem lateinischen Alphabet basieren. geführt werden in der Regel die holländischen und Mit einer ähnlichen Grobeinteilung warten auch britischen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts. das britische und das französische Schema auf. Angelsächsische Typo-Autoren neigen indes dazu, Das von Maximilien Vox entwickelte Schema etwa lediglich zwischen Old Face und Modern Face präsentiert für Antiqua-Schriften die Aufteilung zu unterscheiden. Hierzulande eine etwas gewöh- Humanes, Garaldes, Réales und Didones, für Seri- nungsbedürftige Aufteilung: Während die mit star- fenverstärkte und Groteskschriften die beiden ken Strichkontrasten aufwartende Baskerville näm- Gruppen Mécanes und Linéales, für klassische lich den klassizistischen Modern Faces zugeschla- Schreibschriften die Rubrik Scriptes, für handge- gen wird, fällt das Baskerville-Konkurrenzmodell schrieben wirkende Exponate die Gruppe Manu- Caslon noch unter die Old Face-Antiquas. aires, eine Gruppe für den Rest und eine schließlich Hersteller-Systeme. Bei den von diversen Fon- für gebrochene Schriften sowie andere historische therstellern praktizierten Katalogisierungssystemen

Haupt- und Untergruppen der wichtigsten Textschrift-Typen Serif, Slab Serif und Sans Serif. Obere Reihe: Venezianische Renaissanceantiqua, französische Renaissanceantiqua, Barock- oder Übergangsantiqua, klassizistische Antiqua. Mittlere Reihe: klassizistisch orientierte Zeitungsschriften des Clarendon-Typs, geometrisch-konstruierte Slab Serif, von der Grotesk abgeleitete Slab Serif, von der Antiqua abgeleitete Slab Serif. Untere Reihe: Sans Serif der humanistischen, der geometrischen und der klassizistischen Gestaltungstradition.

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steht vor allem die praktische Auffindbarkeit im sifizieren von Schriften anhand von vier Klassen Vordergrund. FontShop etwa offeriert in seinem und fünf Gruppen. Historische Zuordnungen tre- herstellerübergreifenden Musterkatalog "Font- ten in den Hintergrund; im Vordergrund steht Book" folgende Hauptgruppen: Serif, Sans Serif, das optische Erscheinungsbild einer Schrift. Die Slab Serif, Display, Script, Blackletter, Pi & Symbol Gruppen-Indikatoren enthalten neben den beiden sowie Non-Latin Alphabets. Andere Hersteller ver- historischen Stilmerkmalen humanistisch und klas- zichten entweder ganz auf eine Strukturierung des sizistisch zwei weitere Form-Zuordnungen: frei- Sortiments oder haben ähnliche Grobeinteilungen dekorativ und geschrieben. Während bei den Grup- in petto. Die Absicht liegt auf der Hand: Hier geht pen stilistische Merkmale im Vordergrund stehen, es weniger um typografische Feineinteilungen als fragen die Klassen-Merkmale rein äußerliche Kri- vielmehr darum, Schriften an die Anwenderin und tierien ab: Serifenschrift mit deutlichem Strichkon- den Anwender zu bringen. Da die Feineinteilungen trast, Serifenschrift mit geringem Strichkontrast, der traditionellen Systeme überaltert und in Teilbe- Serifenlose mit deutlichem Strichkontrast, Serifen- reichen auch umstritten sind (und darüber hinaus lose mit geringem Strichkontrast sowie schließlich ganz grundsätzlich die Frage im Raum steht, wer Schriften mit anderen Strukturen. Zehntausende von Schriften eindeutig klassifizie- Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die Unter- ren soll), erweisen sich Grob-Rubriken oft als die scheidung nach dynamischen und statischen Stil- praktikableren Wegweiser. merkmalen nach dem Schema von Peter Willberg Aktuelle Klassifizierungsvorschläge. Das karte- und Indra Kupferschmid. Anstatt Gruppe und sische Raster von Max Bollwage, vorgestellt im Klasse kommen bei ihrem Raster die beiden Krite- Gutenberg-Jahrbuch 2000, ermöglicht das Klas- rien Stil und Form zur Anwendung. Bei dem Stil-

Interpolationsschema eines Schriftclans. Die Rotis (oben) liefert eine Antiqua, eine Grotesk und zwei androgyne Zwischenformen. Die Thesis (unten) hingegen interpoliert zwischen Sans Serif und Slab Serif (TheSerif ). Hinzu kommen eine Zwischenform und eine Antiqua (Antiqua B).

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merkmalen unterscheiden Willberg/Kupferschmid pen und Untergruppen für Symbolelemente sowie zwischen dynamisch (= eher humanistisch), statisch nichtlateinische Alphabete. Im Mittelpunkt dieses (= eher klassizistisch), geometrisch, dekorativ und Ansatzes steht, wenn man so will, eine Typologie provozierend. Die äußeren Formmerkmale dieses des aktuellen Schriftaufkommens, welche auch den Rasters orientieren sich stark an den Hauptgrup- neuen Belegungsstandard Unicode sowie compu- pen der klassischen Systeme. Sie enthalten je eine tertechnisch bedingte Anwendungsschwerpunkte Gruppe für Antiqua-Schriften, Antiqua-Varianten, mit einbezieht. Groteskschriften, Egyptiennes, Schreibschriften und für fremde Schriften. Ein konkretes, hand- Zuordnungen in der Praxis habbares Instrumentarium liefert dieses stark von Die beschriebenen Klassifikationsmethoden mögen intuitiven Kriterien geprägte Schema vor allem für sich zwar in einer Reihe von Details unterscheiden. Gestalter, Kreative und Typophile. Die grundlegenden Schrifttypen der Typografie Etwas anders verhält es sich bei der Matrix Beinert sind jedoch in allen vertreten – und das ziemlich von Wolfgang Beinert. Sie liefert kein kartesisches konsistent. Neben den drei grundlegenden Text- Rastersystem im engeren Sinn, sondern eher ein schriftgruppen Serif (bzw. Antiqua), Sans Serif klassisches Ordnungssystem mit vergleichsweise (Groteskschriften) und Slab Serif (Serifenverstärk- detailliert festgelegten Gruppen und Untergrup- te) sind dies vor allem Schreibschriften unterschied- pen. Im Unterschied zur betagten DIN-Norm lichster Couleur, historische Schriftformen (Capita- ermöglicht die Matrix Beinert allerdings auch lis, Unziale und Gebrochene), das breite Spektrum das Verorten von Webfonts, System, CI- und unterschiedlichster Display-, Werbe- und Zeitgeist- OCR-Schriften. Zusätzlich enthält sie auch Grup- schriften sowie schließlich einige Spezialtypen wie

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zum Beispiel Monospace- oder Stencil-Schriften. dieses Typs entsprechen. Beispiele: Granjon, Mini- Ergänzend hinzu kommen schlussendlich noch all on, Stone Serif, ITC Galliard, ITC Gamma, Goudy jene Schriften, die nicht auf dem lateinischen, son- Old Style, die Bembo-ähnliche Dante MT, die dern auf einem anderen Schriftsystem basieren wie Garamond-Neuinterpretation Sabon, die Plantin, zum Beispiel kyrillische oder chinesische Schriften Meredien sowie eine ganze Reihe ähnlicher Schrif- (siehe auch Kapitel zum Thema "Internationalisie- ten. Aufgrund seiner klaren, geschrieben wirkenden rung"). Gestaltungsweise ist dieser Schrifttyp vor allem im Wenig strittig sind auch die Binnenunterteilungen klassischen Buchsatz nach wie vor sehr begehrt. der drei grundlegenden Textschrift-Gruppen. In Ähnliches gilt auch für Antiquaschriften des vielen Fachtiteln zum Thema Typografie finden sich Übergangs- oder Barockantiqua-Typs. Neben den zudem auch nähere Formkriterien – oft kombiniert bekannten Schriften Caslon, Baskerville und Times mit bereits vorgenommenen Zuordnungen. Die zählt man hierzu unter anderem die Janson Text, venezianische Renaissanceantiqua etwa weist recht DTL Albertina, DTL Fleischmann, die DTL geringe Strichkontraste auf. Schriften dieses Typs Elzevir, die Concorde sowie die vergleichsweise wirken sehr handgezeichnet; ein typisches Merkmal neue US-Schrift Mrs Eaves. Insgesamt sind die ist der leicht schräg angesetzte Strich des kleinen Strichkontraste dieses Typs etwas stärker ausge- "e". Vom Vorkommen her ist diese Sorte Antiqua prägt als bei der französischen Renaissancean- eher selten. Anders die französische Renaissancean- tiqua; gelegentlich wirkt auch das Design etwas tiqua. Neben der Garamond sowie dem frühen, in formaler. Ansonsten ähneln sie den Schriften des Italien entstandenen, Prototyp Bembo gibt es eine Vorgängertyps stark. Auch Schriften dieser Unter- Unmenge von Antiquaschriften, die den Kriterien gruppe werden in der Buchproduktion oft einge-

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setzt. Anders verhält es sich mit den ab Mitte des robuste Zeitungsschriften. Auch sie ähneln her- 18. Jahrhunderts aufkommenden klassizistischen kömmlichen Antiquas weitaus stärker als Grotesk- Antiquas (siehe auch eigenen Beitrag zum Thema schriften. Auffällig hier sind die stark präsenten Schriftgeschichte). Wichtigste Merkmale: deutliche Serifen sowie die insgesamt robuste Gestaltungwei- bis extreme Strichstärkenkontraste und eine ver- se. Klassizistische Stilmerke finden sich bei diesem gleichsweise designt wirkende Zeichenzurichtung. Typ eher als humanistische. Bekannte Schriften Wichtigste Schriften dieser Gruppe sind Bodoni, dieser Couleur sind vor allem Excelsior, Gazette, Didot und Walbaum. Neuere Exponate sind die Impressum, Century und New Century Schoolbool , die Bodoni-Interpretation Gianotten sowie sowie der "Urtyp" dieses Modells, die 1845 erst- die ITC Fenice. mals angefertigte Clarendon. Komplettiert wird die In Untergruppen untergliedern lassen sich auch Hauptgruppe der Serifenverstärkten durch einen Slab-Serif-Schriften. Ein grundsätzliches Unter- vierten Untertyp: Groteskschriften der geometri- scheidungskriterium ist hier, ob der Zeichen- schen Schule mit angehängten Serifen. Bekannte Grundtyp eher von der Antiqua oder eher von Beispiele: Memphis, Lubalin Graph sowie die etwas Groteskschriften abgeleitet ist. Letzteres trifft etwa zurückgenommenere, lesefreundlichere Rockwell. auf die ITC Officina Serif zu oder auf die The- Bei den Groteskschriften unterscheidet man drei sis Serif. Die Grundfiguren der Scala Serif, einer Untergruppen: solche, die sich an humanistischen, weiteren Slab Serif, hingegen ähneln stark tradi- renaissancehaften Stilmerkmalen orientieren, geo- tionellen Renaissanceatiqua-Schriften. Day gleiche metrisch-konstruierte und schließlich sogenannte gilt auch für die von Eric Gill. Andere Neutralgrotesken: Groteskschriften mit gemäßigt Slab-Serif-Schriften profilieren sich vor allem als klassizistischen Stilmerkmalen und einer formal

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zurückgenommenen Gesamtausdrucksweise. Zur das Gestaltungsspektrum dieses Schrifttyps recht letzten Gruppe zählen vor allem die drei Schriften weitgefächert: Es reicht von Schriften mit starken Helvetica, Univers und Akzidenz Grotesk. Ähnliche kalligrafischen Merkmalen wie beispielsweise der Stilmerkmale weisen darüber hinaus auch einige Goudy Sans bis hin zu Neutralgrotesk-ähnlichen US-Schriften auf wie beispielsweise die Interstate Exponaten wie etwa der Frutiger, der Myriad oder oder die Franklin Gothic. Einige Klassifikations- der Meta. schemen sortieren diese in eine eigene Untergrup- Typologisch ein besonderer Fall sind androgyne pe. Anzahlstechnisch ebensowenig ins Gewicht Schriften: Schriften, deren Outfit irgendwo in der fallen Groteskschriften der geometrischen Schule. Mitte liegt zwischen Antiqua und Groteskschrift. Bekannteste Exponate: Futura, Bauhaus, Kabel Bekanntestes Beispiel ist die Optima. Ein weite- und Avant Garde. Hinzu kommen einige post- rer Fall ist die Rotis – ein Schriftclan mit unter- moderne Schriften, die diese Gestaltungsweise im schiedlichen Abstufungen zwischen Antiqua- und Retro-Stil neu aufgreifen (Beispiel: die Chalet des Groteskschrift. Weitaus gängiger ist allerdings das US-amerikanischen Herstellers House Industries). Schriftclan-Konzept der Thesis. Sie liegt in den Die weitaus meisten Groteskschriften orientieren Varianten Sans, Slab Serif (Serif ), Serif (Antiqua) sich allerdings an der humanistischen Gestaltungs- sowie einer Mix-Variante vor. Weitere bekannte methode. Merkmale: Sie wirken nicht so designt, Schriftclans sind: Stone, FF Scala, FF Quadraat nicht so perfekt wie diejenigen der beiden anderen und Lucida. Aktueller Typotrend: Immer mehr Gruppen. Paradebeispiel dieser Gruppe ist die Gill bislang “einschriftige" Fontfamilien werden von Sans, weitere Klassiker dieses Typs: Syntax, Fruti- ihren Herstellern auf Clan-Größe aufgestockt. Bei- ger, Myriad, Meta und Thesis Sans. Insgesamt ist spiele: die Syntax von Linotype und die FF Meta.

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Ähnliche Unterteilungen ließen sich auch für die Ansätze existieren, wird man wohl auch im Bereich restlichen Schrifttyp-Hauptgruppen vornehmen. Schriftklassifikation weiter herumlaborieren wie Bei einigen – wie zum Beispiel den Schreibschriften bislang – mit einigen festen Bezugspunkten für – unterteilen einige Klassifikationsschemata zwi- die wirklich wichtigen Schriften und weitgehender schen traditionellen, klassischen Schreibschriften Festlegungsfreiheit beim Rest. und sogenannten PEN-Schriften, also Handschrif- ten. Ob derartige Binnenuntergliederungen auch bei der unüberschaubar großen Gruppe von Dis- play- und Werbeschriften Sinn macht, ist jedoch umstritten. Ein Hindernis für eine detailliertere Klassifikation ist hier die Zeitgebundenheit vie- ler Schriften. Für Kreative, die mit den diversen Design-Stilepochen vertraut sind, wäre eine solche Sub-Unterteilung zwar durchaus hilfreich. Obwohl detailliertere Zuordnungen von einzelnen Autoren bereits in Angriff genommen wurden (unter ande- rem auch vom Autor dieses Beitrags in seinem Buch "Typo Atlas"), ist die große Schublade "Display" hier nach wie vor gängig. Fazit: Schriftklassifikation ist keine Sache für die Ewigkeit. Da auch in "gro- ßen" Typografiefragen mitunter unterschiedliche

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Crossmedia Publishing, medienübergreifendes ein bestimmtes Webdesign-Projekt – eindeutig Publizieren oder – wie es die Schweizer Fach- festgelegt ist, sind die "Ziele" beim Crossmedia zeitschrift "Publisher" im letzten Jahr bezeichnete Publishing nicht eindeutig definiert. – "Publishing 2.0" ist längst auch in Layoutbüros Das sich wandelnde Szenario stellt auch Schrift- und Druckvorstufe-Betrieben angekommen. Was anwender vor spezielle Herausforderungen. Ein bedeutet dies für die Verwendung von Schriften? Aspekt ist der, dass in einigen Crossmedia-Work- Der folgende Beitrag liefert einen Überblick. flows Schriften nicht konkret zugewiesen wer- den, sondern sozusagen abstrakt, in Form von Crossmedia: Neuer Trend im Publishing? Platzhaltern. Der Inhalt – so die Theorie, die Crossmedia Publishing ist im Kommen. Immer hinter XML und ähnlichen Umsetzungsstrategien mehr Inhalte – Texte, Bilder, Grafiken – sollen steckt – ist von der Form strikt zu trennen. Die medienübergreifend aufbereitet werden. Die Pra- Theorie kennzeichnet allerdings mehr den Ideal- xisanforderungen, die dabei anfallen, bereiten nicht als den real stattfindenden Ist-Zustand. In der nur Druckvorstufe-Lieferanten, Datenbank-Pro- aktuellen Medienproduktionspraxis koexistieren so grammierern und CI-Designern Kopfzerbrechen. die unterschiedlichsten Formen von "Crossmedia Auch was den Umgang mit Schriften anbelangt, Publishing". Softwarespezifische Umarbeitungen stellen sich plötzlich ganz neue Fragen. Anders von Inhalten, medienunabhängige Standardforma- nämlich als bei herkömmlichen Publishing-Pro- te wie zum Beispiel PDF oder erfindungsreiche jekten, bei denen das "Ziel" – eine bestimmte Behelfsmaßnahmen auf der Basis von Suchen/ Drucksache, das Einrichten eines einheitlichen Ersetzen-Routinen sind nach wie vor weitaus gän- CI-Erscheinungsbildes, eine Werbekampagne oder giger als hochentwickelte, auf XML und ähnlichen

Print alleine reicht nicht mehr aus: Viele Inhalte werden heute medien- übergreifend aufbereitet.

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Technologien basierende Arbeitsketten. Frage so: (zumindest in den Bereichen Korrespondenz und Wie sieht die Praxis eigentlich genau aus? Und Kommunikation) gleich, mit welcher Software der welche Problemzonen existieren jeweils in Bezug Inhalt eines PDFs ursprünglich erstellt wurde. Ob auf Schriften? Bild, Grafik, Layout oder Kombination aus allem – das PDF-Dokument offeriert eine getreuliche Schriften in PDF und PDF/X Dokumentkopie. Auch wenn es selten so genannt wird: Das gängig- In Bezug auf die Verwendung von Schriften sowie ste Beispiel für Crossmedia-Workflows sind immer konkrete Formatattribute bietet PDF (fast) alles, noch PDF-Daten. Als angehängte Attachments was man sich nur wünschen kann. Limitierungen oder via Datenträger wandern sie zigmillionen- gibt es allenfalls bei einer kleinen Anzahl von fach von Absender zu Empfänger. Auf den ersten Schriftfonts – Schriften, bei denen der Hersteller Blick ist die Schriftfrage hier vorzüglich gelöst. die Einbettung innerhalb von PDFs unterbindet. In Auch im allgemeineren Sinn sind PDFs eine sehr diesen speziellen Fällen bleiben lediglich die klas- gestaltungsfreundliche Lösung. Als Standardfor- sischen Workarounds: Text in Pfade umwandeln, mat für Korrespondenz-Inhalte, Web-Content und PostScript-Dateien schreiben (anstatt PDFs), ete- Druckdaten ist das Format ein pflegeleichter und cetera. Da diese Workflows sehr unhandlich sind, praxistauglicher Allrounder. Es erlaubt nicht nur trifft man diese Restriktion in der Praxis nicht so oft die Einbettung von Schriften, sondern auch die an. Nichtsdestotrotz hängt das Damoklesschwert Eins-zu-eins-Übernahme festgefügter Layouts. Da "Schriftlizenz" stets ein wenig über der PDF-Frage. sämtliche Profianwendungen PDF-kompatibel sind Aktueller Stand ist der, dass die meisten Schrifther- und in der Lage, PDF-Inhalte zu erzeugen, ist es steller das Einbetten von Untergruppen grundsätz-

PDF/X: Für die aktuellen PDF/X-Spezifikationen offeriert der PDF-Export von InDesign eine eigene Aufklappliste. Pflegeleicht, allzwecktauglich und unverzichtbar: PDF-Ansicht – hier von einem Buchlayout, dass zu Korrekturzwecken bestimmt ist.

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lich erlauben und auch die Weitergabe – sofern es 1.4. Der Grund: Drucktechnisch gesehen ist ein sich um Kopien für einen ganz bestimmten Zweck, Großteil der in den höheren Versionen enthaltenen etwa den Druck, handelt. Für den Rest – etwa das Features nicht zu gebrauchen. Ähnliche Restrik- Erzeugen von PDF-Dokumenten für das Inter- tionen wie PDF/X enthalten auch druckereispezi- net – sind die konkreten Lizenzbestimmungen zu fische PDF-Einstellungen. In aller Regel basieren konsultieren. diese auf PDF/X oder einer entsprechenden Sub- Crossmedia-tauglich ist das PDF-Format auch Spezifikation. Meist beinhalten sie zusätzliche Fest- in Bezug auf die beiden wohl wichtigsten Ver- schreibungen, die auf einen möglichst reibungslosen wendungszwecke. "Monitor-PDFs" und "Druck- Inhouse-Workflow hin abgestellt sind. PDFs" unterscheiden sich in mehrererlei Hinsicht. Während der Unterschied zwischen normalen Unabhängig von der Frage, ob das konkrete PDF PDFs und Druck-PDFs vor allem bei den bei- nun als Kundenlayout, als Layout-Zwischencheck den Fragen Bildauflösung sowie Einbettung von oder als Online-Inhalt erstellt wurde, können "nor- Farbprofilen zutage tritt, gibt es im Hinblick auf male" PDFs eine Reihe von Dingen enthalten, die die Verwendung von Schriften kaum Unterschie- in Druck-PDFs eher kontraproduktiv sind. Ebenso de. Der Wichtigste: Was die korrekte Einbindung wie die unmittelbaren Vorversionen ermöglicht von Schriftfonts angeht, sind die PDF/X-basier- auch die aktuelle Formatspezifizierung PDF 1.7 die ten Druck-Spezifikationen äußerst penibel. Regel: Integration von Inhalten, die mit der Weiterverar- Ohne korrekt eingebetteten Font kein PDF/X. Was beitung im Druck nichts zu tun wie zum Beispiel ja auch Sinn macht – schließlich soll die richtige Hyperlinks. Die Spezifikationen der Norm PDF/X Schrift gedruckt werden, und nicht eine andere. hingegen basieren auf dem Stand der PDF-Version

Schriften sind in PDFs meist einge- bettet. Hier die Optionseinstellungen in InDesign.

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Von Print zu Online und retour Betriebssysteme und Webbrowser favorisieren hier Doppelt – also sowohl in Printform als auch im andere "Helveticas" und "Times" als Druckvor- Web – publizierte Inhalte machen den Löwenan- stufe-Dienstleister oder Agenturen. Welche darf teil dessen aus, was gegenwärtig unter den Begrif oder sollte es sein? Grundsätzlich können Syste- Crossmedia Publishing subsummiert wird. Anders me und Browser zwar auch mit Druck-Helvetica als beim PDF-Format sind von Print zu Web und und Druck-Times. Browser und Betriebssysteme von Web zu Print einige spezielle Gepflogen- behandeln die systemeigenen Lösungen allerdings heiten zu berücksichtigen. Standard-Grundregel privilegiert. Die wiederum liegen a) in einem hier: Während in Print-Publikationen alle denk- TrueType-Format vor, b) sind sie schnittausstat- baren Schriften zum Einsatz gelangen können, tungstechnisch weitaus schlechter ausgestattet als sind Schriften auf Webseiten (zumindest, was die die Print-Versionen der beiden Typo-Standards. Textauszeichnungen angeht) auf einige Standard- Bei diesem wiederum sind aktuell die beiden For- schriften reduziert: Helvetica, Arial, Times und mate PostScript oder OpenType gängig. Schriftver- Courier. Hinzu kommen einige neuere System- waltungstechnisch genießen Helvetica und Times schriften, die ebenfalls vorwiegend für Online- – mit Abstrichen auch der Symbolzeichenfont Anwendungen konstruiert wurden: Verdana, die Zapf Dingbats – so eine Sonderrolle. Für das beiden Windows-Schriften Calibri und Consolas System sowie das Surfen im Internet empfehlen oder etwa die Tahoma. sich die System-Devirate, für die Druckvorstufe- Ein besonderes Problem besteht darin, dass bei Kundschaft sowie eigene Printproduktionen hinge- der Verwendung von Helvetica, Arial oder Times gen die Profi-Varianten im PS- oder OT-Format. unterschiedliche Varianten im Umlauf sind. Anders als früher lassen sich System-Helvetica &

Eingeschränkte Schrift-Auswahl, trotzdem professionelles Layout: der Webauftritt von heute.de.

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Co. nicht mehr so leicht ausgliedern. Unter Mac OS allenfalls in indirekter Form (als PDF) möglich 10.5 ist es technisch risikofrei machbar; empfohlen ist. Da dies in den seltensten Fällen erwünscht ist, wird es allerdings nicht. Allerdings ist es auch nicht heißt das: Beim Layout müssen Abstriche gemacht nötig. Moderne Fontverwaltungsprogramme wie werden. Zusätzlich zu berücksichtigen ist die völlig Suitcase von Extensis oder der Font Explorer X andere Struktur von Webauftritten. Während bei von Linotype unterscheiden die unterschiedlichen Print-Produkten die Grundeinheit durch das Sei- Versionen penibel. Fazit: Zumindest im Fontordner tenformat festgelegt ist, können Webseiten beliebig sind "Web" und "Print" keine Konkurrenten mehr, "lang" sein. Bei der Aufteilung der Inhalte gilt es die sich gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr allerdings auch, mediumsspezifische Gewohnheiten Partner, die die jeweils fehlenden Fähigkeiten des mit zu berücksichtigen – beispielsweise die, dass anderen sinnvoll ergänzen. eine Website zunächst nur kurz "angeklickt" wird. Print-Broschüren, Tageszeitungs-Inhalte und Für die Struktur bedeutet dies möglicherweise: die Datenbank-Content ins Web, Webseiten-Inhalte als erste Oberseite enthält lediglich einen Aufhänger; Broschüre, Flyer oder Katalog: Die Möglichkeiten, das Weiterlesen wird über entsprechende Links und Inhalte zwischen beiden Medienformen auszutau- Seitenstrukturen organisiert. schen, sind vielfältig. Betrachten wir zunächst den In Bezug auf die Schriftwahl gilt immer noch die typischen Normalfall: Die Broschüre von Kunde eiserne Internetregel: Die Grundschrift wird erst XY(das Beispiel ist völlig willkürlich gewählt) soll auf dem Rechner des Empfängers generiert. Da "auch" auf dessen Website. Arbeitstechnisch erge- allenfalls vermutet werden kann, welche Fonts dort ben sich hier mehrere Überlegungen. Zum einen installiert sind, hat sich im Webdesign die Lösung die, dass eine eins-zu-eins-Übernahme der Inhalte allgemeiner Schriftdefinitionen durchgesetzt, etwa

Dreamweaver CS4: Über CSS- Attribute lässt sich die Typo eines Webauftritts genauer steuern.

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"Serif", "Sans Serif" oder "Monospace". Vorteil: ten im Internet") ermöglichen – mit Ausnahme der Die Fragestellung, welche Schriften der End-User bereits erwähnten Limitierung bei der Schriftwahl installiert hat oder nicht, lässt sich so elegant – ein Typo-Finetuning, dass sich technologisch umgehen. Die Gruppendefinition sorgt dafür, dass gesehen keinesfalls mehr vor den Formatierungs- eine annähernd "richtige" Schrift gewählt wird. Die funktionen professioneller Print-Layoutprogramme Aufbereitung der Inhalte selbst ist applikations- verstecken muss. abhängig. QuarkXPress etwa erlaubt das direkte Auch in umgekehrter Richtung findet Crossmedia (featuretechnisch allerdings stark eingeschränkte) Publishing statt. Beispiel: Unser Kunde XY unter- Anlegen von Webseiten Layouts – Export ins hält einen großen Online Shop. Er möchte nun, dass HTML-Format inlusive. Adobes Konkurrenzan- die umfangreichen Produktbeschreibungen unter wendung InDesign setzt hingegen auf den star- www.xy.com in einen Katalog übernommen werden. ken Verbund der Creative Suite-Programmpakete. In Bezug auf die Schriftauswahl ist hier zunächst Nachdem Go Live nicht mehr weiterentwickelt einmal die quasi entgegengesetzte Herausforderung wird, favorisiert Adobe nunmehr die Ex-Makrome- zu bewältigen: das Transferieren von Text, der ent- dia Webdesignsoftware Dreamweaver. Ob Go Live, weder als Nur-Text, als Quelltext oder als vorforma- Dreamweaver oder ein anderer Web-Editor: In tierter HTML-Text vorliegt, in eine printgemäße allen Fällen fällt das Anlegen einer komplett neuen Typo-Formatierung – was möglicherweise auch die Umgebung an. Als Feinsteuerungsinstrument für Berücksichtigung bereits vorhandener Schrift-CIs die Typografie haben sich vor allem Style Sheets betrifft. Workflowtechnisch werden hier vor allem als Standardmittel etabliert. Cascading Style Sheets die entsprechenden Importoptionen von Quark- (siehe auch Arbeitshilfe Schrift, Kapitel 5 "Schrif- XPress und InDesign tangiert. Einstellbar ist dort

Adobe Digital Editions: Als Reader für elektronische Bücher kann das Pro- gramm nicht nur E-Books im epub- Format anzeigen, sondern auch PDFs.

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unter anderem, ob und, falls ja, wie bereits vorhan- Ersetzen heutzutage auch sehr spezielle Elemente dene Formatattribute in XPress-Stilvorlagen oder aussuchen – beispielsweise Formatierungsattribute InDesign-Formate transferiert werden. oder variable Elemente. Das Ganze hört sich einfacher an, als es in der Pra- Bei überschaubaren Projekten ist Suchen und xis ist. Wie gut der beschriebene Prozess gelingt, Ersetzen eine prima Angelegenheit. In vielen Fäl- hängt von mehreren Faktoren ab. Eine wichtige len jedoch reichen die herkömmlichen DTP-Werk- Frage: In welcher Form können die Webseiten- zeuge nicht mehr aus. Dies gilt insbesondere dann, Texte am einfachsten und kompaktesten importiert wenn immense Datenmengen zu verarbeiten sind. werden? Sind Besonderheiten zu beachten wie bei- Als Brücke zwischen programmierbasierten XML- spielsweise Tabellen, nicht printbare Inhalte oder und XHTML-Workflows und herkömmlichen ähnliches? Wie sieht es mit Bildern aus, wie ist das DTP-Routinen haben sich in den letzten Jahren Layout jeweils strukturiert? Und schließlich: Ist zunehmend scriptbasierte Automatisierungshilfen es praktikabel bzw. sinnvoll, Web-Formatierungen etabliert. Ihre Gemeinsamkeit: Meist liefern sie durch XPress- bzw. InDesign-Formatierungen aus- keinen Workflow in einem großen Guss, sondern zutauschen? In der Praxis, das heißt beim Lösen kaprizieren sich auf Teillösungen – beispielsweise dieser ganz konkreten Fragen sind oftmals nicht den automatischen Import von Text und Bildern, die ganz großen Technologiewürfe gefragt, son- das Bereinigen von Text oder ähnliches. Zusätzlich, dern vielmehr praktikable Workflow-Hilfen. Als quasi als übergreifende Technologie, hat sich die hilfreich erweist sich in solchen Fällen meist der letzten Jahre jedoch ein Standard etabliert, der es Einsatz von Suchen/Ersetzen-Routinen. Anders als erlaubt, Inhalte grundsätzlich in einer variablen in der Frühära des DTP lassen sich via Suchen & Form zu halten und, je nach Bedarf, mit zusätz-

XML-Umgebung in InDesign: links die XML-Struktur, rechts das Layout. Über zusätzliche Features können XML-Tags und Formate synchroni- siert werden.

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lichen Anweisungen anzureichern. Sein Name: terschriften, und so weiter. XML. Anders als die Web-Befehlssprache HTML, die dies im Grunde ja auch tut, sind die eng mitein- XML und Publishing ander verwandten Meta-Befehlssprachen XML, Der grundsätzliche Vorteil von XML ist der, XHTML und SGML kein auf bestimmte Stan- dass es sich hierbei, ähnlich wie bei der Web- dardbefehle reduzierter Befehlsbaukasten mit Befehlssprache HTML, um einen offenen Stan- einem festgelegten, beschränkten Befehlssortiment. dard handelt. Anders als vorformatierte Inhalte in Die Werkzeuge dieses Baukastens sind anwender- InDesign-Dokumenten oder RTF-Dateien sind definierbar. Konkret: Ob ich für die Markierung XML-Inhalte "offen". Das heißt: XML-Dateien einer Überschrift das Tag

oder aber, nicht sehr liegen in Quelltextform vor und können mit jedem elegant formuliert, einfachen Texteditor geöffnet und editiert werden. verwende, bleibt sich ergebnistechnisch gleich. Das Auch Formatierungen lassen sich über XML-Tags Grundprinzip XML-basierter Workflows ist nicht problemlos anbringen. Allerdings: Konkrete For- schwer. Damit das Ganze funktioniert, sind ledig- matierungsanweisungen sind nur ein kleiner Teil lich ein paar Prozederes zu beachten. Eine weitere der Möglichkeiten, die sich über XML-Strukturen elementare Regel ist die, dass jedes einleitende Tag definieren lassen. Anders als CSS-Tags legen XML- durch ein abschließendes Tag abgeschlossen werden Tags allerdings keine konkreten Formatattribute muss. Da XML-Regeln oft komplex sind, sind die fest. Vielmehr kennzeichnen sie bestimmte Struk- Regelwerke für einen speziellen Workflow oft in turelemente eines Textes – beispielsweise die Head- separate Dokumente ausgelagert. Gängig sind etwa line, die Subhead, das Intro, den Fließtext, Bildun- Doctype-Dokumente oder DTD-Dateien (Docu-

Wie siehts mit der Schriftübernahme aus? Eine grobe Orientierung liefert diese Tabelle.

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ment Type Definition); alternativ kommen jedoch XML-Inhalte die passende Struktur haben für das auch andere Schemenbeschreibungssprachen zu anvisierte Layout. Einsatz. Weil XML letzten Endes eine sehr abstrakte, aus Zusätzlich einbinden lassen sich in XML-Work- der Welt der Programmierung kommende Befehls- flows natürlich auch externe Stylesheet-Dateien sprache ist, sind datenbankbasierende Anwen- mit Formatierungsanweisungen. Gerade weil sich dungsbereiche immer noch der Hauptschwerpunkt XML (bzw. ähnliche Sprachen wie XHTML oder dieser Technologie. Ihre Hochburg haben XML- SGML) so vielfältig ausweiten lassen, sind sie auch Workflows im Bereich technische Dokumenta- sehr komplex. In der Praxis heißt dies: Die Auf- tionen, multimediale Aufbereitung von Daten- gleisung funktionierender XML-Arbeitsstrecken bank-Inhalten (wie zum Beispiel Gesetzestexte ist nach wie vor meist Programmier(er)sache. Der etc.) und Katalogproduktion. Allerdings kommt die Grund: Anders als andere, ebenfalls quelltextbasie- XML-Welt langsam auch in der konventionellen rende Hilfsauszeichnungen wie zum Beispiel Style Medienproduktionswelt an. Eine spezielle Variante Sheets können XML-Strukturen recht komplexe ist aktuell sehr stark in der Diskussion: die Weiter- Anweisungen enthalten. Aufgrund dieser Komple- verarbeitung von Buch- oder Magazin-Inhalten zu xität sind XML & Co. immer noch Neuland im ektronischen Büchern. Als vorläufiger Standard hat Publishing. Der Stand der Dinge: InDesign, XPress sich hier das epub-Format etabliert. Epub ist, wenn und ähnliche Programme enthalten mittlerweile man so will, ein weiterer entfernter Verwandter von zwar sehr versierte Schnittstellen für die Weiter- XML. Adobe, im Bereich Medienproduktion der verarbeitung von XML-Inhalten. Entscheidend ist zentral aufgestellte Hersteller, bietet, ebenso wie für letzten Endes jedoch die Frage, ob die importierten XML, mittlerweile auch für epub-Dokumente ent-

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sprechende InDesign-Exportbefehle an. Flankiert passenden Textformaten aufzufangen. Das Syn- werden diese durch Software-Applikationen, die chronisieren – sprich: das Zuweisen konkreter sich als Lesegerät-Ersatz am Monitor verwenden InDesign-Formate – lässt sich in Adobe InDesign lassen. Tool hier: der kostenlos downloadbare epub- recht mondän bewältigen: über eine Funktion, in Reader Adobe Digital Editions. der sich via Popup-Liste jedem Strukturelement ein In Bezug auf die Handhabung von Schriften sind InDesign-Format zuweisen lässt – oder umgekehrt. XML, Epub & Co. ein sehr weites Terrain. Beim Epub-Format etwa – beispielsweise beim Export Schrift in 3D und Movie aus InDesign CS4 heraus – ist die Integration Die bislang beschriebenen Wege decken zwar ein von Schriften grundsätzlich zwar möglich. Da Großteil dessen ab, was aktuell unter dem Begriff Epub jedoch – anders als PDF – ein variables "multimediales Publizieren" zusammengefasst wird. Format ist, ist die Schriftwahl in der Praxis eine Da zur gegenwärtigen Medienproduktion allerdings eher heikle Angelegenheit. Grundsätzlich ist die- auch Inhalte zählen, die weder mit Webtexten noch ses Manko weniger beim Format selbst zu suchen, mit konventionellem Print etwas zu tun haben, sondern mehr in den aktuell noch recht provi- stellt sich auch die Frage, welchen Stellenwert Typo sorischen Software-Werkzeugen, mit denen sich in Animationen, in Movies oder in 3D-Umge- epub-Dokumente erstellen lassen. Beim Import von bungen innehat. Die passende Antwort hängt von XML-Inhalten nach InDesign oder XPress herein der jeweiligen Position innerhalb des Workflows existieren derlei Beschränkungen naturgemäß nicht. ab. Für die Erstellung von bewegten Web-Anima- Hier ist die Anforderung eher die, entsprechende tionen, Kurzfilmen oder 3D-Szenarien hat Typo Strukturanweisungen in der XML-Struktur mit einen ähnlichen Stellenwert wie im konventionellen

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Publishing. Mediumsbedingt spielt die Frage nach größen. Letztere sind übrigens ein Grund dafür, der Lesetauglichkeit von Grundschriften hier zwar dass Movie-Dateien auf Internet-Portalen wie etwa eine vergleichsweise geringe Rolle. Kommen aller- YouTube selten in High End-Qualität zu sehen dings Typo-Elemente ins Spiel, sind designerische sind. Ein nicht unweichtiger Nebenaspekt ist hier und lesetechnische Aspekte letztlich ebenso gefragt auch die Downloadbarkeit oder Nicht-Download- wie im Print. Anders sieht es bei der Weiterverar- barkeit von online gestellten Inhalten. Aktuell setzt beitung für konkrete Medien aus. Grundsätzlich sich bei movieähnlichen Inhalten mehr und mehr sind Print-Layouter eher selten mit multimedialen das Flash-Format durch. Grund: Neben anderen Inhalten konfrontiert – zumindest in ihrer unmit- Vorzügen ermöglicht es eine Form der Webseiten- telbaren Form. Falls doch, kommen die üblichen Integration, welches Downloads über Speicher- Umkonvertierungsmechanismen zum Zug – beim Funktionen etcetera auschließt. "Unknackbar" sind Umwandeln von Movie-Sequenzen in Einzelbilder, Flash-Movies zwar nicht. Allerdings erfordert es beim Importieren gerenderter 3D-Szenarien oder schon einigermaßen versierte Formatkünste. beim Umkonvertieren von Animationen in druck- Was den Umgang mit bzw. die Verwaltung von taugliche Grafiken. Fonts angeht, enthalten die aufgeführten Multi- Etwas etwas variableren Umgang erfordert das media-Typen keine weiteren Herausforderungen. Webdesign. Hier besteht die Aufgabe weniger Etwas anders aus sieht die Chose bei Inhalten, die darin, Inhalte in eine printkompatible Form umzu- aus der Office-Welt ins Reich der Medienprodukti- wandeln. Der Job von Webdesignern hier ist mehr on herüberkommen. Großteils zählt dieser Bereich der, multimediale Inhalte in Webseiten einzubinden zum normalen Business as Usual. Zu importie- – inklusive der dazu nötigen Formate und Daten- rende Word-Dokumente sind im Bereich Layout

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Standardanforderungen. Hauptproblem hier: die in – also bei der Aufbereitung offener Daten für den den Formatvorlagen hinterlegten Officeschriften Druck. Hier hat sich die Spezifikation PDF/X als durch professionelle Medienproduktionsschriften hilfreicher Standard etabliert. Beim Crossmedia zu ersetzen. Ähnlich sieht es mit Power Point- und Publishing von Print zu Web oder umgekehrt kom- Datenbank-Inhalten (beispielsweise aus FileMa- men die speziellen Besonderheiten des jeweiligen ker) aus. Allerdings spielt die Schrift-Frage hier Mediums zum Tagen. Für die Schiene Print zu eine weitaus geringere Rolle als bei Inhalten, die Web bedeutet dies Reduktion – das Ersetzen der aus Textverarbeitungsprogrammen stammen. Vor- vorhandenen Schrift-Ausstattung durch die Web- gehensweise: Falls ein Font fehlt, wird in gehabter Allrounder Helvetica, Arial, Times & Co. (bzw. all- Manier substituiert. gemeine Substitute à la "Sans Serif" oder "Serif"). Die Feinformatierung lässt sich über Cascading Fazit Style Sheets recht mondän regeln. Umgekehrt – Im Detail betrachtet, schlüsselt sich das Thema also von Web zu Print – kommen die üblichen "Schriften-Handling in Crossmedia-Prozessen" in Import- und Formatzuweisungsmechanismen zum unterschiedliche Sub-Themen auf. In Bezug auf die Tragen. Schriftauswahltechnisch kann hier das volle Handhabung von Schriften offeriert jedes dieser Inventar angewendet werden. Sub-Themen eine spezielle Konstellation. PDF- Die restlichen Crossmedia-Wege liegen, was Ein- Daten sind gemeinhin am problemlosesten. Auf- schränkungen anbelangt, mehr oder weniger in grund der Tatsache, dass hier eins-zu-eins publi- der Mitte zwischen PDF (freie Schriftwahl) und ziert wird, ist die Medienfrage zweitrangig. Eine "Print zu Web" (Standardschriften). Während das Rolle spielt sie lediglich bei der Druckausgabe epub-Format eine Kreuzung ist aus lesegerätbezo-

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genen Attributzuschreibungen und rudimentärem HTML-Layout, eignen sich XML, SGML und Verwandte vor allem als Automatisierungshilfen, als Umgebungen für die Steuerung größerer Pro- jektabläufe. Die restlichen Multimedia-Formate – Animationen, Movies und 3D-Elemente – bringen wenig spezielle Anforderungen ins Publishing. Die Zuweisung typografischer Attribute geschieht vor Ort; konkretes Problem sind hier eher Konvertie- rungs- oder Formatfragen. Die Office-Welt schließ- lich ist irgendwo zwar auch "Crossmedia". Weil ihre Inhalte jedoch schon seit Jahrzehnten weiterverar- beitet werden, werden ihre Anforderungen kaum als "Crossmedia-Problem" wahrgenommen, sondern vielmehr als normale Weiterverarbeitungsprozedur. Business as Usual eben.

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Typo ist schön. Farben auch. Letztere haben dar- Tag aufsuchen und schließlich die Textbotschaften über hinaus die angenehme Eigenschaft, dass sie die im öffentlichen Raum: Außenwerbungen, großfor- Botschaften eines Textes herausstreichen können. matige Anzeigen an Litfaßsäulen und Plakatwän- Allerdings gibt es beim Zusammenspiel zwischen den, Hinweisschilder und sonstige Info-Orientie- Text und farblicher Gestaltung einiges zu beachten. rungshilfen. Auch bei Nacht schlafen ruhen die Textbotschaften nicht. Betroffen ist davon auch die Farben und Textbotschaften Umwelt. Wie das Nachrichtenmagazin "Spiegel" Die Konstellation Text plus Farbe ist so vielseitig, Anfang 2009 berichtete, halten Wissenschaftler den dass sie gemeinhin gar nicht besonders auffällt. Lichtsmog, an dem die x-Millionen Leuchtrekla- Bereits die Textbotschaften als solche sind von einer men wohl einen nicht unerheblichen Anteil haben, beeindruckenden Unterschiedlichkeit. Textnach- mittlerweile für ein nicht unerhebliches Umwelt- richten, beispielsweise in einer Tageszeitung oder problem. einem Magazin, sind davon nur ein kleiner Teil. Zu Ein erstrangiges Mittel bei der Vermittlung von den Printmedien, die bereits dem Selbstverständnis Textbotschaften ist der Faktor Farbe. In klassi- nach der Informationsvermittlung verpflichtet sind, schem Schwarz auf Weiß kommt mittlerweile nur kommt die alltägliche Geschäfts-, Behörden- und noch eine Minderheit des verabreichten Textvolu- Bürokommunikation, Info-Postillen, Werbe-Flyer, mens. Selbst bei den klassischen Tageszeitungen gedrängte, tabellarisch aufbereitete Informationen gilt das Bonmot "Schwarz auf Weiß" nur noch die wie etwa in einer TV-Illu, die Textflut auf Inter- eigentlichen Textbeiträge. Das Umfeld hingegen – netseiten, die wir zwischendurch aufrufen, die Ver- die Werbung sowie das Fotomaterial – bemühen packungen im Supermarkt, den wir irgendwann am sich immer offensichtlicher, "Farbe" zu zeigen. An

Schrift und Farben: Aussage, Ästhetik und technische Reproduktion müssen stimmen

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den Zeitschriftenauslagen ist Farbe längst ein stra- Daneben tummeln sich natürlich die berühm- tegischer Hauptfaktor beim Kampf um den Kun- ten Ausnahmen: grellbunte Aufmachungen, oft den. Das Stichwort lautet Aufmerksamheit. Nach kombiniert mit ebenso grellen Button-Bausteinen, wie vor ist Farbe ein Hauptfaktor, um diese auf sich Animations-Gimmicks sowie anderen Elementen zu ziehen. Die klassische Signalfarbe Rot wird am aus der Trickkiste aktueller Webdesign-Technik. Kiosk übrigens mehr und mehr abgelöst von alter- Auch in der weiteren Umwelt – auf der Straße, im nierenden Farbstrategien. Die neuen Farben sind Supermarkt und im öffentlichen Raum allgemein – zielgruppenorientiert. Während Rot weiterhin die werden die Beschränkungen, die vor fünfzig Jahren Farbe des Boulevards bleibt, bevorzugen Zeitgeist- allerorten noch galten – mehr und mehr überwun- magazine mehr und mehr modische Spotfarben den. Schöne neue Welt? – Pink und Violett etwa, gekoppelt mit klassisch- Teils, teils. Zugegeben: Die Farbwirkungen, welche edler Schwarzweißfotografie. Print-Ingenieure und Webdesigner mittlerweile Im Internet macht sich der Faktor Farbe auf ande- erzeugen können, sind beeindruckend. Andererseits: re Weise bemerkbar. In Rechnung zu stellen ist Wer jemals einen Flyer unter die Hände bekam mit hier, dass die herkömmlichen Beschränkungen von schlecht zusammengestellten, ungünstig überfüllten Printmedien – Kosten für Druckfarben, Beschaf- und sichtbar aufgerasterten Textbestandteilen, wer fenheit des Papiers und so weiter – hier nicht gelten. schlecht gestaltete, jedoch farblich schrille Web- Nichtsdestotrotz: Was die Aufbereitung größerer auftritte kennt, der wird wissen, dass ein beherztes Texteinheiten angeht, bevorzugen nicht wenige Hineingreifen in den Farbpott allein nicht reicht, Webseiten die klassische Konstellation schwar- um typografisch-textliche Botschaften zielsicher zer Text auf weißem (bzw. hellem) Hintergrund. an den Mann und an die Frau zu bringen. Regel

Kampf um Aufmerksamkeit: Die Fernsehillustrierte "TV Digital" setzt auf grelle Primärfarben, Rot sowie ausgeprägte Bunt-Kontraste. Das Musikmagazin "Rolling Stone" kommt hier urban- unterkühlt und mit monochromen Farben. Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" hingegen setzt bereits seit Jahrzehnten auf den Erkennungswert seines signalroten Titelrahmens.

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Nummer eins: Gelungene Farbdesigns sind unter die billigste. Auch psychologisch lässt sich mit der anderem deswegen gelungen, weil sie unterschied- Konstellation Schwarz und Weiß einiges machen. lichen Farb-Gesetzmäßigkeiten gerecht geworden Schwarz–Weiß-Kontraste sind deutlich, taugen gut sind – den Gesetzmäßígkeiten der Farbpsychologie, zum Setzen klarer Akzente und sind zudem vielsei- den computerbedingten Beschränktheiten beim tig. Viel Weißfläche betont die Eigenaussage von Anlegen und der Darstellung von Farben, den Weiß, die Reinheit. Grafisch gesehen sind Weiß- Gesetzmäßigkeiten der unterschiedlichen Farb- räume darüber hinaus ein Signal für Großzügigkeit. kontrast-Typen und schließlich den technischen Ob High-End- oder Low-Budget-Produktion: Als Beschränkungen bei der Reproduktion von Farben Ruhezonen tun Weißräume dem Auge auf jeden generell. Fall gut. Auch Schwarz kann ein Bringer sein. Schwarz Farbe und Psychologie wirkt zwar düster. Andererseits ist Schwarz jedoch Farbpsychologische Aspekte sind bei der Kombi- ein Indikator für Edles und Vornehmes. Kom- nation von Textwirkung und Farbe ein wichtiger biniert mit den zahlreichen Facetten von Grau Faktor. Die klassischste aller Kombinationen – (neutral, zurückhaltend, in bestimmen Kombina- schwarzer Text auf weißem Hintergrund – mag tionen: ebenfalls edel), ergibt sich für Schwarz und interpretationstechnisch gesehen zwar wenig her- Weiß ein weites Einsatzfeld. Wird Negativschrift geben. Dafür erfüllt sie mehrere andere Vorzüge: verwandt, sind allerdings ein paar optische Gesetz- Sie wirkt neutral, birgt kontrasttechnisch gesehen mäßigkeiten zu beachten. Da weißer Text auf die günstigsten Voraussetzungen für das Sich- schwarzem Hintergrund mehr strahlt als schwarzer Aneignen der Textbotschaft und ist drucktechnisch Text auf weißem Hintergrund, sollte bei Negativ-

Die Farben des Farbkreises können in drei Richtungen variiert werden: nach Grau, nach Weiß und nach Schwarz. Farbmodelle wie HSV, HSB und HSL sind nach diesem Grundschema konstruiert.

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Fließtext die Laufweite leicht geöffnet werden. für Gelb, Orange und Pink (Magenta). Den kalten Wie andere Farbkonstellationen auch bietet die Farben hingegen – Blau, Cyan-Türkis und Grün – Kombination Schwarz und Weiß Ansatzpunkte für sagt man allgemein eine beruhigende Wirkung zu. die gängigen technischen Veredelungsmethoden: Farbpsychologisch gilt diese Zuweisung vor allem Einsatz von Tiefschwarz (Schwarz plus zusätzli- für Grün. Blau- und Blauviolett-Töne hingegen che CMY-Anteile), Spotlackierung oder Prägung. strahlen Zuverlässigkeit aus und Autorität – ein Grau kann sowohl als eigene Zusatzfarbe eingesetzt nicht unwesentlicher Grund, warum sie vor allem werden (beispielsweise als HKS-Farbe) als auch im technischen Umfeld, in der Autowerbung sowie als Rasterton. Verglichen mit den Möglichkeiten allgemein bei der Werbung für klassische Produkte der Print-Veredelung, sind Webdesigner bei dieser eingesetzt werden. Farbkombination etwas benachteiligt: Tiefschwarz Auch die Mischfarben haben festgelegte Bedeutun- ist auf dem Monitor nicht möglich. Ausgleichende gen. Brauntöne etwa rufen ein ganz eigenes Spek- Gerechtigkeit: Über Raster für Grauabstufungen trum an Assoziationen hervor. Als Farbe der Erde brauchen sich Webdesigner grundsätzlich keine und der Natur gilt Braun als Synonym für Gemüt- Gedanken zu machen. lichkeit und Wärme. Entsprechend der skizzierten Rot ist auch Anfang des 21. Jahrhunderts die Bedeutungen werden Farben auch in der Textkom- Signalfarbe schlechthin. In der Farbpsychologie munikation eingesetzt. Cyan und Blau kommen vor steht Rot für Liebe und Leidenschaft. Von der allem im Bereich Technik, Banken und Versiche- Wirkung her gesehen wirken Rot und verwandte rungen zum Zug. Grün ist die Öko-Farbe schlecht- Töne anregend und stimulierend. Ähnliches gilt für hin. Darüber hinaus wird sie auch bei der Werbung die meisten Farben des warmen Spektrums, also für Lebensmittel sowie in der allgemeinen Kom-

Die neun wichtigsten Kontrasttypen

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munikation gern eingesetzt. Gelb ist neben Rot die technischen Hintergründen nicht zu belästigen. Spotfarbe schlechthin. Als helle, mit Weiß stark Dahinter steht allerdings Technik pur. Dies bewei- verwandte Farbe eignet sich Gelb generell gut als sen bereits die Farbräume, mit denen Photoshop, Signalverstärker. Dasselbe gilt für Orange und Rot InDesign, XPress und andere Programmen arbei- – wobei Rot als eingeführte Aufmerksamkeitsfarbe ten. Ob RGB, CMYK oder CIE-Lab: Jede Farb- einen besonderen Stellenwert innehat. Magenta nuance setzt sich aus unterschiedlichen Werten von als eng mit Rot verwandte Farbe hat sich ebenfalls drei (oder vier) Grundfarben zusammen. RGB gilt einige spezielle Marktnischen erobert: als Spotfarbe dabei allgemein als monitor- und mediumgerech- für Zeitgeist- und Wellness-Produkte. Weiß, Grau tester Farbmodus. CMYK-Farben hingegen setzen und Schwarz schließlich kommen – abgesehen von den Anwender in die Lage, druck-like Farbwerte ihrer Eigenschaft als universale Informationsträ- zu erzeugen für den Vierfarbdruck. Das CIE-Lab- ger – vor allem in den Bereichen Kunst, Mode und Farbmodell hingegen gilt eher als theoretisches Design verstärkt zur Anwendung. Farbmodell. Obwohl es den Anspruch erhebt, sämtliche existierende Farben in sich zu beherber- Farbe am Computer gen, ziehen Dienstleister und Kreative im allgemei- In der IT-Technik ist letztlich alles eine Frage von nen die beiden Farbmodelle RGB und CMYK vor. Bits und Bytes. Folgerichtig wird Farbe am Com- Über die drei aufgeführten Grundmodelle hinaus puter vorwiegend von technischen sowie mathema- hält die Computerwelt eine Reihe weiterer Farb- tischen Kriterien bestimmt. Auf den ersten Blick modelle parat. Das HSV-Farbmodell sowie seine schaffen es die Farb-Features moderner Anwen- zwei gängigen Abarten HSB und HSL etwa haben dungsprogramme recht gut, die Anwender mit den Ruf, Farbe(n) auf besonders benutzerfreund-

Text und Hintergrund: Nicht alle Farbkombinationen passen gleicher- maßen gut zueinander. Schwarz auf Weiß ist stets unproblematisch. Rot auf Gelb funktioniert gut wegen des Farbkontrastes. Bei Rot und Cyan ist dieser entschieden zu niedrig – abge- sehen von den Überfüllungen, die bei dieser Kombination zusätzlich anfal- len würden.

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liche Weise zu präsentieren. Ausgangspunkt ist Anwendungstechnisch haben Farben am Compu- ein Zylinder, um dessen Außenrundung sich das ter mehrere Nachteile. Zum einen sieht man am Spektrum der reinen Farben befindet: Rot, Orange, Bildschirm nicht, was später genau gedruckt wird. Gelb, Grün, Cyan, Blau und Magenta, nebst Abstu- Moderne Farbmanagement-Technologie bemüht fungen. Während die Farben nach innen zu – zur sich zwar nach Kräften, diesen Missstand erträg- Zylinderachse hin – immer grauer und entsättigter licher zu gestalten. Im besten Fall simuliert sie am werden, werden sie nach oben und unten hin immer Monitor das anvisierte Ergebnis und reichert die heller und dunkler (im Detail variiert der Zylinder- dazugehörige Datei mit entsprechenden Ausgabe- Aufbau der einzelnen Modelle). Auch in Photo- Informationen an. Beim Druck von Zeitungen shop und anderen Anwendungsprogrammen sind lautet diese etwa: Die und die Tonwerte heller HSV & Co. unabkömmlich – als interne Faktoren halten; das Papier saugt und der zu erwartende etwa bei der Steuerung der Farbsättigung. Über die Druckpunktzuwachs ist beträchtlich. Auch im Hin- aufgeführten Modelle hinaus liefert die Welt der blick auf die Gestaltung von Text bieten Anwen- Technik weitere Farbmodelle. Beispiel: das YUV- dungsprogramme unterschiedliche Stolpersteine. Farbmodell. Ähnlich wie das CIE-Lab-Farbmodell Zum einen sind weder Softwareapplikationen noch besteht es aus einem Helligkeitskanal und zwei Monitore in der Lage, Rasterungen für den Druck Farbspektren. Unterschiedlich ist allerdings der zuverlässig anzuzeigen. Insbesondere beim Satz von Zweck: Während das CIE-Lab-Modell dazu dient, Kleingedrucktem haben Layouter keine Gewiß- möglichst alle existierenden Farben kartographisch heit, wie das Endprodukt aussehen wird. Einzige zu verorten, dient YUV der Komprimierung von Möglichkeit, dies annäherungsweise herauszufin- Farben in der TV-Übertragungstechnik. den, sind Proofs.

Vergrößert: aufgerasterter Text

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Hinzu kommen mediumbedingte Eigenheiten von niert, bleiben sie auf dem Bildschirm irgendwie RGB- und CMYK-Farben. Bestimmte CMYK- farblos und erscheinen letztlich klar als das, was sie Farben sind auf dem Monitor nicht darstellbar. Für sind: mediumsbedingte Kompromißlösungen. RGB im Druck gilt dasselbe. Mehr oder weniger Auch die Textdarstellung auf dem Monitor ist nicht große Abweichungen gibt es so bei allen sechs ganz unheikel. Rasterung ist hier zwar kein Thema Grundfarben: bei Rot, Grün und Blau ebenso wie – dafür allerdings die monitorspezifische Auflösung. bei Cyan, Magenta und Gelb. Am farbgetreuesten Intern arbeiten sowohl Anwendungsprogramme als verhalten sich hier noch die beiden Signalfarben auch Betriebssysteme mit speziellen Glättungs- Gelb und Rot. Ihre monitorspezifische (RGB-) Algoritmen für Text. Gäbe es diese nicht, wären Leuchtkraft ist im Druck zwar nicht reproduzier- Textelemente auf dem Monitor eine Zumutung. bar. Die Farbwirkung als solche differiert indes Weil Text auf Bildschirmen vergleichsweise groß- kaum. Anders verhält es sich Grün, Cyan, Magenta pixelig dargestellt wird, ist auch der Faktor Schrift- und Blau. Volles Monitor-Grün entwickelt eine größe limitiert – zumindest nach unten. Anders als Leuchtkraft, die mit CMYK-Prozessfarben nicht in Verträgen oder in technischen Dokumentationen einmal annäherungsweise wiederzugeben ist. Die funktioniert "Kleingedrucktes" auf dem Monitor größten Problemfälle sind jedoch Blau, Cyan und schon rein physisch nicht. Unterhalb von 10 Punkt Magenta. Leuchtendes Blau ist im 4C-Druck nicht wird Schrift auf dem Bildschirm zunehmend unles- zu produzieren. Für reine Cyan- und Magenta-Wer- bar. Abhängig ist diese Eigenart übrigens auch von te hingegen gibt es unter RGB keinerlei Äquivalen- der eingestellten Monitor-Auflösung. Faustregel te. RGB-Cyan wirkt grell helltürkis, RGB-Magenta hier: Je filigraner die Monitor-Auflösung, desto als ebenso grelles Pink. Im CMYK-Modus defi- kleiner kann auch die Schrift ausfallen.

Stark übertriebenes Schema: Mit berücksichtigt werden sollten bei der Farbwahl auch eventuelle Überfüllun- gen sowie Aufrasterungen.

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Farbe und Kontraste patibel mit der klassischen Lesetypografie; auch im Auch ästhetische Eigenheiten spielen bei der Kom- Schwarzweißdruck voll einsetzbar. bination Farbe und Computer eine Rolle. Farbmo- Hell–Dunkel-Kontrast. Merkmale: Erweiterung delle verführen dazu, bei der Farbzusammenstellung des Schwarz-Weiß-Kontrasts unter Einbeziehung das jeweilige Farbmodell als Bezugspunkt zu neh- aller Farben. Bei den Reinfarben ergibt das Duo men. Folge: Reine Farben werden unangemessen Blau–Gelb den deutlichsten Kontrast; gängig sind favorisiert. Programmhersteller Adobe hat mittler- darüber hinaus auch die Kombinationen Rot und weile eine softwarebasierende Lösung zur Behe- Gelb sowie Grün und Gelb. Hell–Dunkel-Kontra- bung dieses Mankos in petto. Die Kernprogramme ste wirken deutlich und strukturierend. Sie eignen des Creative-Suite-Pakets offerieren seit Version sich generell gut für das Rüberbringen einer klaren 4 eine Erweiterung, die es erlaubt, Farben unter "Message". farbharmonischen Gesichtspunkten zusammenzu- Komplementärfarben-Kontrast. Merkmale: Die stellen. Allerdings: Die im CS4-Programmpaket Kontrastwirkung wird hier erzeugt durch das implementierte Erweiterung mit dem Namen Kuler Gegeneinanderüberstellen von Farbnuancen, die offeriert lediglich einen Teil der Kontrasttypen, die sich im Farbkreis gegenüberliegen. Typische Kom- in der Gestaltungslehre bekannt sind. Gängig sind plentärfarben-Konstellationen sind: Rot und Cyan, vor allem folgende Kontraste: Blau und Gelb sowie Grün und Magenta. Bei der Schwarz–Weiß-Kontrast. Merkmale: Kontrastab- Farbwahl zu beachten ist die Helligkeitswirkung stufungen werden allein unter Verwendung von der ausgewählten Farbnuancen. Da bei jeder der Schwarz, Weiß sowie unterschiedlichen Grau- beiden gewählten Komplementärfarben ein breites Abstufungen vorgenommen. Vorteile: Gut kom- Spektrum an Nuancen mit zur Auswahl steht, dürf-

Typo und Farbe im öffentlichen Raum: Neonreklame

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te die Wahl nicht schwer fallen. Geeignet ist dieser wirkung wird vor allem durch die Verwendung ähn- Kontrasttyp dort, wo eine auffallende oder auch licher, miteinander benachbarter Farben gesucht. polarisierende Wirkung gesucht wird. Ein typisches Monochrom-Farbspektrum: Gelb bis Kalte Farben–Warme Farben-Kontrast. Merkmal: Rot (unter Einbeziehung von Rotgelb-Tönen bis Der Kontrast wird durch das Gegeneinanderüber- hin zu Rotorange). Gut geeignet ist dieser Kon- stellen von warmen und kalten Farbtypen erzeugt. trasttyp für die Herstellung einer harmonischen Anders als beim Komplemenärfarben-Kontrast Farbwirkung. wirken Inszenierungen, die auf diesem Kontrast- Bunt–Unbunt-Kontrast. Merkmale: Gezielter Ein- typ aufbauen, recht freundlich und lebhaft. Je nach satz von Farbtupfern in einer von Schwarz, Weiß verwendeten Farben kann der Gegensatz aus kalten und/oder Grau dominierten Farb-Umgebung. Das und warmen Farben jedoch auch eine dramatische Setzen von Akzenten mittels Farbtupfern macht Wirkung entfalten. neugierig. En vogue ist dieser Kontrasttyp bei Bunt-Kontraste. Merkmale: Zum Zug kommen Gestaltungen, die bewusst eine urban-coole Wir- vor allem gesättigte Farben aus dem Grundfarben- kung erzeugen wollen. spektrum. Da die Kontrastwirkung vor allem über Sättigungs-Kontrast. Merkmale: Der Kontrast wird das "Bunt"-Merkmal anvisiert wird, wirkt dieser hier erzeugt durch die Gegeneinanderüberstellung Kontrasttyp sehr lebhaft – allerdings auch etwas von reinen, grellen Grundfarben und zurückhal- kindhaft. In Reinform kommt dieser Kontrasttyp tenden, gedeckten, entsättigten Farbtönen. Von eher selten vor – vorzugsweise dort, wie bewusst der Wirkung her gleicht diese Kontrastart dem eine kreative, spielerische Wirkung gesucht wird. Bunt–Unbunt-Kontrast. Die Wirkung ist ähnlich, Monochrom-Kontraste. Merkmale: Die Kontrast- allerdings nicht ganz so plakativ.

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Reine Farben–Unreine Farben-Kontrast. Merk- Farbe, Typo und Technik male: Anders als beim Bunt–Unbunt- und beim Nicht alles, was gut aussieht, lässt sich technisch Sättigungs-Kontrast werden reine Farben hier mit auch realisieren. Einige Handicaps wurden bereits Mischfarben wie beispielsweise Braun kontrastiert. im Abschnitt "Farbe am Computer" beschrieben. Die Wirkung ist ähnlich wie bei den beiden vor- Reines, leuchtendes Blau etwa lässt sich im Druck hergehenden Kontrasttypen. Da das Spektrum der nur durch eine zusätzliche Druckfarbe erzeugen. unreinen Farben sehr vielfältig ist, sollte man bei der Viele Firmen sind sich dieser Wirkung durchaus Wahl dieses Kontrasttyps zusätzlich einen anderen bewusst – ein Grund, warum Blautöne nicht selten berücksichtigen. Insbesondere bei der Kombinati- als fünfte Druckfarbe gewählt werden. Doch auch on mit Farbbildern aus der Natur ist dieser Kon- matte, gedeckte Farben bergen ihre Tücken – vor trasttyp sehr naheliegend. Farb-Overkill lässt sich allem bei Text in Grundschriftgrößen. Der Grund: vermeiden, indem für Textpassagen entweder eine Jede Farbe – mit Ausnahme von Schwarz, Cyan, bestimmte Bildfarbe aufgegriffen wird oder indem Magenta, Gelb, den Mischfarben Rot, Grün und man sich auf Weiß oder Schwarz beschränkt. Blau sowie von Papierweiß – muss im 4C-Druck Glanz–Matt-Kontrast. Merkmale: Kontrasterzeu- aufgerastert werden; bei hochauflagigen Zeitschrif- gung durch das Gegeneinanderstellen von glänzen- ten und Magazinen werden auch die aufgeführten den und matten Partien. Im Webdesign lässt sich Grundfarben mit aufgerastert. Generell gilt: Mittel- dieser Kontrast durch die Verwendung von reinen große, kräftige Textpassagen werden bei den gängi- und nicht so reinen Farben erzeugen. Im Print- gen Druckverfahren wenig tangiert. Kleintextiges, Bereich lassen sich spezielle Veredelungsverfahren eventuell noch in filigranen Schriften, wird durch in die Kontrastwirkung einbeziehen. Rasterung tendenziell unlesbarer.

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Bei kurzen Textpassagen, Headlines oder Her- aufwerten können. Gängig sind vor allem folgende vorhebungen kann über diese Handicaps schon Verfahren: mal hinweggesehen werden. Bei längeren Tex- Vergrößerung des CMYK-Kontrastumfangs. Ein ten hingegen bewirkt die verminderte Kanten- weit verbreitetes Mittel ist der Einsatz von Tief- schärfe eine entsprechend herabgesetzte Lesbarkeit. schwarz. Durch das Beimischen von Cyan-, Magen- Zusätzlich beeinflusst wird diese dann, wenn der ta- oder Gelb-Anteilen lässt sich ein satteres, tiefe- Hintergrund nicht weiß ist, sondern ebenfalls aus res, plastischer wirkendes Schwarz erzielen. Auch in einer gerasterten Farbe besteht. Da abhängig von die umgekehrte Richtung kann der Kontrastfaktor der verwendeten Farbkonstellation zusätzlich auch ausgeweitet werden: durch die Wahl eines beson- Überfüllungen bzw. Unterfüllungen zum Tragen ders weißen, glänzenden Papiers. Vor allem bei kommen, kann es im ungünstigsten Fall sein, dass hochqualitativen Drucksachen werden beide Fak- ein Entwurf, der am Monitor noch recht gelungen toren bewusst eingesetzt. Flankiert werden sie hier aussah, in der Praxis verwaschen und weichgezeich- meist durch weitere Qualitäts-Indikatoren: feine bis net aussieht. Fazit: Raster und Überfüllungen pas- sehr feine Raster, vereinzelt auch durch den Einsatz sen zu Kleinschriftigem nur bedingt. Bei Headlines frequenzmodulierter Raster. und größeren Textelementen kann man kreativ sein Erweiterung des Farbspektrums durch eine oder – bei Bodytypes bleibt Schwarz und Weiß einfach mehrere zusätzliche Farben. Obwohl Druckver- die beste Kombination. fahren, die über konventionelles 4C herausgehen, Neben den aufgeführten Qualitäts-Handicaps sind immer wieder für Furore sorgen, wird der her- schließlich auch durckspezifische Verfahren aufzu- kömmliche CMYK-Druck wohl auch langfristig führen, die die Qualität von Drucksachen gezielt die Standardmethode sein bei der Herstellung

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"bunter" Drucksachen. Verbreiteter ist die gezielte stiniert. Nebenwirkungen und Stolperfallen: bis auf Aufwertung von Drucksachen durch die Verwen- die zu erzeugenden Auszüge wenig. Nachteil: Die dung von Schmuckfarben. Auch bei Drucksachen aufgeführten Verfahren kosten entsprechend mehr. im Low Budget-Bereich ist man sich über die Besondere Träger-Materialien. Als zusätzlicher Wirkung von Farben durchaus bewusst. Bestimmte Gestaltungsfaktor einzubeziehen ist schließlich das Kontrasttypen lassen sich durch die Verwendung Print-Material als solches – das Papier. In der von zwei nur Farben recht gut in Szene setzen – Regel wird Papier lediglich als qualitativer Faktor beispielsweise durch ein leuchtendes Orange plus wahrgenommen; neben der Materialbeschaffenheit ein leuchtendes Blau. Nicht selten lässt sich das ist meist die Weiß-Wirkung von Interesse. Denkt herkömmliche 4C-Farbspektrum durch die Ver- man Papier (oder den Werkstoff allgemein) rein als wendung entsprechender Sonderfarben aufbrechen. Träger-Material, ergeben sich jedoch zusätzliche Effekt: mehr Leuchtkraft – und das auch noch für Optionen: beispielsweise transparentes, oder farbig- weniger Kohle. transparentes Papier. Bewusst eingesetzt wird diese Spotlackierungen, Relief-Prägungen und Ausstan- Gestaltungsoption bislang nur punktuell – etwa zungen. Im Buchdruck sowie in der Verpackungs- beim Druck von Produkten, die eine kunsthand- industrie sind Spot-Lackierungen, Prägungen und werkliche oder künstlerische Eigenaussage trans- Ausstanzungen längst alltägliche Mittel bei der portieren sollen. Schlacht um den Faktor Aufmerksamkeit. Alle drei Formen weiten den Faktor Kontrast aus in Fazit die Dreidimensionalität. Für Text-Elemente wie Das Thema Typo und Farbe ist sehr vielgestaltig. beispielsweise Headlines sind sie geradezu präde- Beim Setzen und Layouten von Mengentext kom-

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men klassische Konstellationen wie Schwarz und Videos zumindest grob mit Typo am Monitor Weiß nach wie vor am besten – unabhängig davon, vergleichen lassen (zumindest bei den Passagen, ob der Inhalt klassisch geprintet wird oder im Inter- die Schriftelemente beinhalten), weiten Autobahn- net erscheinen soll. Darüber hinaus haben beide Schilder und Neonreklamen die beschriebenen Medien – das bedruckte Papier und der Computer- Kontrastgesetze aus in die dreidimensionale Reali- Monitor – ihre spezifischen Eigenheiten. Bei der tät. Bei den einen kommen bewusst gewählte Info- Gestaltung von Webseiten ist man im Hinblick auf Signalfarben zum Zug. Neonreklamen hingegen die Farbauswahl freier – dafür jedoch beschränkter lassen die üblichen Farbkontraste noch weiter hin- bei der Schriftauswahl und bei den Schriftgrößen. ter sich. Extremster Kontrast hier: Leuchtkraft pur Beim Medium Print sollte man bei der Auswahl auf der einen Seite, schwarze Nacht auf der anderen. von Typo und Farbe die technischen Reprodukti- Letztlich beweisen jedoch auch Neon-Schriftzüge, onsbedingungen im Auge behalten. Dafür winken dass die erste Regel des Genres universelle Gültig- Print-Produkte mit haptischen Vorzügen sowie keit hat: Sag es möglichst deutlich. Und lesbar. Veredelungsoptionen, für die es am Bildschirm kein Pendant gibt. Erwähnt werden sollten schließlich noch jene Typo– Farbe-Kombinationen, die weder mit Print noch mit Web unmittelbar zu tun haben: die bewegten Bilder in Film und Fernsehen sowie die Schilder, Außenwerbungen, Schriftzüge und Neonreklamen im öffentlichen Raum. Während sich Movies und

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Jeder braucht sie, doch nicht jeder kennt sie: Die man sagen. Wo bliebe sonst der Ansatzpunkt für Anwendung typografischer Regeln ist auch in der Gestaltung – das teils spielerische, teils systematisch modernen Medienproduktion alles andere als eine betriebene Suchen nach der typografisch optima- Selbstverständlichkeit. Frage: Was ist Pflicht, und len Lösung? Frage also: Was ist im typografischen wo fängt die Kür an? Im folgenden ein Überblick Regelwerk wirklich Regel? Und was sind eher Hil- über das Terrain der typografischen Do's And festellungen für kreative Spielräume? Dont's. Den Sinn typografischer Regeln könnte man unge- fähr wie folgt auf den Punkt bringen: Regeln und Typo-Regeln und Projekt-Umfelder Spielfreude sollten sich zu beiderseitigem Vorteil Zugegeben: Hinter dem provokativen Beiklang in ergänzen, im Sinn des jeweiligen Projekts. Ebenso der Fragestellung "Pflicht oder Kür" steckt Absicht. wie im Sport, in der Musik oder bei einer anderen Auch in der modernen, rationalen Medienproduk- aktiven Betätigung führt die Freude auch in der tion werden die großteils aus dem traditionellen Typografie nur dann zu nachhaltigen Ergebnissen, Satzmetier stammenden Typo-Regeln nämlich nur wenn nach bestimmten Regeln gespielt wird. Da selten hinterfragt. Einerseits liegt der Grund auf Publishing-Projekte meist arbeitsteilig funktionie- der Hand. Divis-Zeichen als Bindestriche, falsche ren, ist es hier ganz aufschlussreich, als erstes einen Kapitälchen, elektronisch verschmälerte, zu klei- Blick auf die Workflows zu werfen, innerhalb der ne, zu große, zu eng oder zu weit gesetzte Texte Typo-Fehler entstehen – oder aber, in Gegenzug, sind einfach falsch, peinlich und unprofessionell. das meiste richtig gemacht wird. In den meisten Andererseits gibt es in der typografischen Gestal- Fällen nämlich ist Satz keine Einzel-, sondern tung durchaus den Faktor Kür. Natürlich, möchte Teamarbeit. In der Praxis heisst dies: Die Mehrzahl

Für ansprechende Drucksachen ist das Beachten typografischer Grundregeln unerläßlich.

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der Daten, die in InDesign oder Quark XPress zu das Arbeiten mit sogenannten Wildcards. Hinzu Firmenbroschüren, Flyern, Zeitschriften, Büchern kommen standardisierte Einstellungen für das Ent- oder Katalogen weiterverarbeitet wird, wurde extern fernen von Doppel-Leerzeichen und Ähnlichem. erfasst. In der Regel stammen sie entweder aus Frage: Wenn die Programme so fortgeschrittene einer Textverarbeitungsanwendung oder aus einer Funktonen enthalten – ist es da überhaupt noch Datenbank. nötig, sich näher mit Satzregeln zu beschäftigen? Halb- oder ganzautomatische Workflows, etwa auf Die Antwort lautet: selbstverständlich ja. Wenn der Basis von XML, mögen spezielle Fehleranfäl- man möchte, kann man die vielgerühmten Typo- ligkeiten zwar erhöhen. Die typischen "Ur-Fehler" Regeln zwar durchaus in "Basic-Regeln" und sind allerdings alt. Lapidar gesprochen basieren "Fortgeschrittenen-Regeln" untergliedern. Auffällig sie auf dem Unterschied zwischen Setzkasten und allerdings ist, dass die unschönsten Fehler auf dem Schreibmaschinentastatur. Typische "Schreibma- Basic-Level passieren. Ursache: Die Zeichenvielfalt schinenfehler" sind: mit Leerzeichen gestaltete normaler Eingabetastaturen, deren Oberfläche sich Einzüge, Zollzeichen anstatt richtige Abführungs- auf 97 Zeichen beschränkt. Das Ergebnis: die weit- zeichen oder drei etwa Punkte für ein Ellipse- verbreitete ASCII-Typo mit den bekannten Folgen. Zeichen. Da Patzer dieser Couleur ganz oben Leerzeichen als "Gestaltungsmittel", Divis-Zeichen stehen in der Hitliste häufiger Typofehler, bieten als Mittel der Satzuntergliederung sowie falsche professionelle Layoutprogramme mittlerweile recht An- und Abführungszeichen machen schätzungs- pflegeleichte Routinen, um sie aus Dokumenten weise siebzig Prozent dessen aus, was in der Außen- herauszusuchen und zu ersetzen. InDesigns Suchen wirkung als typografischer Fehler wahrgenommen und Ersetzen-Tool etwa ermöglicht seit längerem wird. Weitere zwanzig Prozent gehen auf das Konto

Falsch und Richtig. Das "Falsch"- Textbeispiel zeigt in konzentrierter Form die schlimmsten Basic-Fehler: falsche An- und Abführungszeichen, Satzeinschübe mit Divis-Zeichen sowie Auszeichnungen mit falschen Kapitälchen, Unterstreichungen und Versal-Hervorhebungen. Auch die Umbrucherzeugung ist unterirdisch. Das "Richtig"-Beispiel zeigt korrekte Alternativen für die aufgeführten Problemfelder auf.

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falscher beziehungsweise unschöner Texthervor- Abführungszeichen. In "Zöller" eingefasste wört- hebungen: unterstrichener Text, Versaltext, falsch liche Rede etwa wirkt nicht nur deswegen äußerst gesperrter Text, falsche Kapitälchen, und so weiter. peinlich, weil die verwendeten Zeichen unangemes- Die restlichen zehn Prozent schließlich lassen sich sen globig wirken. Die unprofessionelle Wirkung unter den Begriff "Kür" subsummieren: suboptima- ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die falschen les Zeichenkerning, suboptimaler Zeilenabstand, Zeichen Unterschiede und Feinheiten einebnen, die ein paar Umbruch-Details, die besser sein könnten, sich historisch-landessprachlich-typografisch ein- zu wenig Raster. Wie das Wörtchen "suboptimal" gebürgert haben. Variiert werden dabei zwei unter- schon sagt, geht es hier eher um Beurteilungsfragen schiedliche Grundformen: kommaförmige Häk- als um eindeutiges "Richtig" und "Falsch". Fazit: chen (traditionell deutsch mit zwei 9er-Kommas Typo-Regeln sind ein recht komplexes Terrain. unten und zwei 6er-Kommas oben sowie angel- sächsisch mit zwei 6er-Kommas oben und zwei Basics: Vom (richtigen) Umgang mit den Zeichen 9er-Kommas oben) und sogenannte Guillemets (in Zeichen-Fehler sind die mit häufigste Ursache einigen Ländern mit den Spitzen nach innen, in der für unschöne, unprofessionell wirkende Textbilder. Schweiz sowie anderen Ländern mit den Spitzen Untergliedern lassen sie sich in zwei Gruppen: nach außen). Zeichenfehler im eigentlichen Sinn und unpas- Zusätzlich verkompliziert wird die Angelegenheit sende, unprofessionelle Formatierungen. Die erste dadurch, dass das Zollzeichen mit einem weite- Gruppe bewegt sich streng genommen in einer ren, ähnlichen Zeichen konkurriert – dem schräg Grauzone zwischen Typo-Fehler und Syntaxfehler. gestellten Doppelstrich für die Angabe von Sekun- Bestes Beispiel: Zollzeichen als (falsche) An- und den. Auch beim Auslassungszeichen macht es einen

Basics An- und Abführungszeichen. Im Deutschen üblich sind kommaför- mige Häkchen in 66er- und 99-Form sowie Guillemets, deren Spitzen nach innen zeigen. Grau: angelsächsisch sowie Guillemets in einigen anderen Ländern. Rot: Inch-Zeichen; definitiv falsch.

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Unterschied, ob man eine echte Ellipse setzt, bei zwischen Regel und gestalterischer Geschmacks- der die Punkte etwas weiter auseinanderliegen oder note. Die meisten Zeichen-Regelverstösse basieren aber drei Punkt-Zeichen, die im Normalfall dicht im Grunde auf Texterfassungs-Fehlern. Ursache ist aneinander sitzen. Beim Rest der typografischen eine fehlerhafte oder unvollständige Ausnutzung Spezialzeichen hängt es oft vom Kontext ab, ob der insgesamt ansteuerbaren Zeichen. Zumindest eine Verwendung als angemessen, als unangemessen der allerhäufigste Basic-Fehler – die Verwendung oder als klar falsch wahrgenommen wird. Beispiele: des über der "2" liegenden Zollzeichens – wird geschweifte Klammern (Akkoladen), eckige Klam- von den allermeisten Text- und Satzprogrammen mern oder der Senkrecht-Strich. Alle drei aufge- mittlerweile substituiert. InDesign und QuarkX- führten Elemente sind traditionell im wissenschaft- press ermöglichen darüber hinaus das Festlegen des lichen Fachbuchsatz zu Hause. In den letzten zehn, speziellen Anführungszeichen-Typs, den man für zwanzig Jahren avancierten sie allerdings mehr und ein bestimmtes Dokument haben möchte. Darüber mehr zu einem rein gestalterischen Mittel – bei- hinaus offerieren sowohl Betriebssysteme als auch spielsweise für die Verwendung als Typo-Gimmick Anwendungen spezielle Glyphen- oder Zeichen- bei Kolumnentiteln oder Seitenzahlen. Erlaubt Paletten zum Ansteuern spezieller Zeichen – etwa ist das schon, schön im Zweifelsfall ebenfalls. des "at"-Symbols. OpenType-Schriften liefern hier Allerdings: Mittel der Edel-Typografie sollte man oft zusätzliche Ausdifferenzierungsmöglichkeiten. kontextbewusst einsetzen. Sie wirken sonst leicht Beispiel Währungssymbole: Ob eine OpenType- deplatziert. Schrift hier nur die standardübliche versalhohe Akkoladen bei Seitenzahlen und ähnliche Typo- Variante in petto hat oder auch eine zusätzliche Gimmicks zeigen auf, wie fließend der Übergang ist kleinere, hängt von der konkreten Zeichenausstat-

Basics: Falsche Kapitälchen (oben) sehen unelegant aus. Besser sind echte Kapitälchen aus Small Caps-Schrift- schnitten oder OpenType-Fonts.

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tung der Schrift ab. Bei OpenType Pro-Fonts ste- oder zwei Jahrzehnten. Die professionellen Formen hen die Chancen hier ziemlich gut. Bei anderen gibt wirken jedoch eindeutig eleganter. Hinzu kommt: im Zweifelsfall ein Check in der Glyphen-Palette Satztechnisch gesehen sind Unterstreichungen nur Auskunft. schwer steuerbar. Bei der Standardvorgehensweise über Schriftstil-Features sitzt die Linie zu eng an Ebenfalls Basic: Richtig formatieren der Grundlinie; Zeichen mit Unterlänge werden Eine weitere eherne Typo-Regel lautet: Unterstrei- unschönerweise mit durchgestrichen. chungen und Hervorhebungen in Versaltext sind Versalsatz wirkt ästhetisch gesehen ebenfalls äußerst tunlichst zu vermeiden. Stattdessen hebe man kur- unschön. Grund: Die Versalzeichen dominieren das siv, mit (echten) Kapitälchen oder einem (halb)fet- Textbild auf unangemessene Weise. Dies gilt auch ten Schriftschnitt hervor. Auch für diese Regeln gibt für eine spezielle, unabkömmliche Variante: Orga- es eine Reihe guter Gründe. Textpassagen in Kursiv nisations-, Staaten- und andere Großbuchstaben- oder Kapitälchen sind vergleichsweise dezente Ver- Abkürzungen. Kommen Kurzkennungen wie CDU, änderungen. Zudem fügen sie sich gut in das typo- SPD, USA, RGB oder CMYK gehäuft in einem grafische Gesamtbild ein. Fettungen sollten explizit Text vor, stört das ebenfalls die Lesbarkeit. Abhil- bei Hervorhebungen zum Zug kommen. Auch sie fe: ein etwas kleinerer Schriftgrad; Perfektionisten wirken typografisch gesehen organisch. Das heißt: können zusätzlich einen minimal fetteren Schrift- Sie fügen sich harmonisch in das Gesamtbild eines grad nehmen – eine Lösung, die sich vor allem bei Textes ein. Anders Unterstreichungen und Versal- gut ausgebauten OpenType Pro-Schriften anbie- text. Im Web 2.0-Zeitalter mag man Unterstreichen tet mit unterschiedlichen Versionen für Caption-, zwar nicht mehr so explizit verdammen wie vor ein Text-, Subhead- und Headline-Schriftgrößen. Im

Verwendung Ansichtssache: Versalziffern und Mediaevalziffern mit Ober- und Unterlänge. Im klassischen Buchsatz und im gehobenen Zeitschriften- satz werden letztere nach wie vor bevorzugt.

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Kanon der Typo-Regeln firmiert diese Vorgehens- Typo-Attribute via OpenType-Feature zuzuwei- weise jedoch eindeutig als Schönheitskorrektur. sen. In diesem wird festgelegt, ob eine markierte Wichtiger sind ein paar andere Zeichen-Regeln. Textpassage Kapitälchen beinhalten soll, erweiterte Etwa die: Unechte, elektronisch erzeugte Kapi- Ligaturen oder Mediaevalziffern. Die Möglichkeit, tälchen sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Der unterschiedliche Zifferntypen zu verwenden, ist in Grund: Elektronisch auf Kapitälchengröße verklei- Bezug auf die Regeln zwar ebenfalls eher Kür. Die nerte Großbuchstaben haben eine sichtbar dünnere Möglichkeit, diese Entscheidung via Feature zu Strichstärke als Kleinbuchstaben. Sie wirken gewollt treffen, ist allerdings sehr praktisch. Schrift-Technik und fallen entsprechend unangenehm auf. Zwar las- und Programm-Technik zusammen liefern hier sen sich falsche Kapitälchen durchaus tunen. In der Finetuning At His Best. InDesign etwa unterschei- echten, wirklichen Typo-Oberliga spielen allerdings det nicht nur zwischen Versal- und Mediavalziffern nur echte Small Caps-Schriftschnitte – oder die mit Ober- und Unterlänge, sondern zusätzlich auch entsprechenden Kapitälchen-Zeichen einer Open- zwischen einheitlichen Laufweiten für Tabellen- Type-Schrift. ziffern und zeichenspezifischen Laufweiten für Ob Sets mit echten Kapitälchen-Zeichen oder Normalziffern. unterschiedliche Varianten von Währungssymbo- Eine weitere Kür-Frage war vor nicht allzulanger len: Mondän handhabbar werden derartige Typo- Zeit die (richtige) Behandlung von Ligaturen. Gimmicks erst durch die Errungenschaften der Allerdings: Die aktuellen Programmversionen sind OpenType-Technologie. Professionelle Publis- hier technisch auf Stand. Die Zeichenkombina- hing-Anwendungen wie InDesign, QuarkXPress tionen für Ligaturen (in der Regel ff, fi, fl sowie oder Illustrator bieten die Möglichkeit, bestimmte ffi und ffl) werden intern substituiert. Trennungen

Ligaturen: keine, fl-Ligatur und fl-Ligatur gesperrt. Die meisten Liga- tur-Fallstricke managen die aktuellen Satz-Profiprogramme selbsttätig.

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und Sperrungen sind ligaturtechnisch so kein Pro- unterscheiden zwei unterschiedliche Zeichenab- blem mehr. Technisch nicht unproblematisch ist stände: die Laufweite oder das Spacing, das stets der Einsatz von Kursiv- und Fettschnitten. Eine für eine Textpassage im Gesamten gilt, und das alte DTP-Regel besagt: Formatzuweisungen nie Kerning beziehungsweise den Zeichenpaar-Aus- über Schriftschnitt. Der Grund: Moderne Satz- gleich. Letzterer trägt der Tatsache Rechnung, dass und Layoutapplikationen substituieren hier zwar bestimmte Zeichenpaar-Konstellationen zusätzlich ebenfalls und setzen den passenden Italic- bzw. ausgeglichen werden müssen, damit das Textbild Fettschnitt automatisch ein. Problematisch wird das einheitlich und damit harmonisch wirkt. Schrift- allerdings dann, wenn es einen solchen nicht gibt. anwender brauchen sich um problematische Zei- Fazit: Zur professionellen Formatierung gehört chenpaare gemeinhin wenig Gedanken zu machen. auch, sich zu vergewissern, dass die verwendete Die Kerning-Werte sind bereits in der Schrift selbst Schrift alle Schnitte enthält, die man benötigt. So hinterlegt. Da das automatische Zeichenkerning vermeidet man einen weiteren typografischen Faux die Schriftgröße nicht mit berücksichtigt, offe- pas: elektronisch "kursivierte" Schrift – in der Liste riert Adobe InDesign im Kerning-Fenster seines der Typo-Fehler ein recht deutlicher Regelverstoß. Zeichen-Bedienfelds einen zusätzlichen Modus mit dem Namen "Optisch". Tipp: Wer Typo zusätzlich Zeichen, Wörter, Zeilen: Abstand halten trimmen möchte, liegt mit diesem nicht verkehrt. Nicht nur die Zeichen an sich sind wichtig. Fast In der Regel muss man sich um das Kerning aller- noch wichtiger ist der (richtige) Abstand zwischen dings wenig Gedanken machen. Die Ausnahme den Zeichen. Wie soll er sein – normal, eher weit sind große Headlines. Sie benötigen nicht nur eine oder eher eng? Typografen und Profiprogramme vergleichsweise engere Laufweite, sondern auch

Glyphen-Bedienfeld in InDesign CS4: Die Adobe Caslon Pro offeriert für Wahrungssymbole zwei unterschiedli- che Varianten.

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zusätzliche, manuelle Zeichenpaar-Ausgleiche. in einem Stück wird dadurch ebenfalls erschwert. Ausnahme von der Ausnahme: Ist die InDesign- Korrektur hier: eine entsprechende Verrringerung Kerningoption "Optisch" zugewiesen, nimmt das der Laufweite. Bei Negativtext schließlich kommt Programm, den Zeichenpaar-Ausgleich mit vor. das Gesetz der Überstrahlung zum Tragen: Weiße Die Laufweite einer Schrift erfordert meist eben- Zeichen auf schwarzem Grund wirken präsenter falls wenig Eingriffe. Ausnahme sind einige spe- und "fetter" als schwarze auf weißem. Behebungs- zielle Konstellationen – kleine Schriftgrade, große maßnahme auch hier: eine leichte Öffnung der Schriftgrade (siehe letzten Absatz) und Negativsatz. Laufweite. Optimierungen mögen zwar eher zur Kür zählen als Ergänzend aufzuführen sind hier spezielle Schrif- zur Pflicht. Allerdings führen sie zu einem spürbar ten, die bereits von Haus aus mit unterschiedlichen angenehmeren, lesbareren und damit professioneller Text- und Display-Varianten aufwarten. In dieselbe wirkenden Textbild. Auch Laufweiten-Veränderun- Richtung gehen einige gut ausgebaute OpenType- gen basieren auf den Gesetzen der optischen Wahr- Schriften – beispielsweise die Minion von Adobe, nehmung. Kleine Schriftgrade sind per se schwerer deren Vollversion unterschiedliche Caption-, Text-, zu lesen. Um die Zeichenerkennung zu erleichtern, Subhead- und Display-Varianten beinhaltet. Ein behilft man sich hier mit einer geringfügig höheren weiteres Thema sind die unterschiedlichen Schrift- Laufweite (in InDesign: Werte zwischen plus 3 und satz-Festabstände. Wer weiß schon, wann genau ein plus 10). Bei großen Schriftgraden macht sich die Viertel-, ein Achtel- oder ein Vierundzwanzigstel- Wahrnehmung umgekehrt bemerkbar. Unkorrigiert Geviert zum Zug kommen soll? Vieles ist einfach schieben sich die einzelnen Zeichen in den Vor- Erfahrungssache. Immer gültig sollte allerdings dergrund; das Erfassen der Wortzusammenhänge folgende Regel sein: Die Leertaste ist als Abstands-

Negativsatz: Eine leichte Laufweitenerhöhung (rechts) fördert die Lesbarkeit.

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Gestaltungsmittel ungeeignet. Gründe: Beim Block- also der richtige Zeilenabstand. Ab hängt dieser von satz besteht die Gefahr zu großer Löcher; innerhalb mehreren Faktoren: der Schriftgröße (genauer: der des Umbruchs die Gefahr, das auseinandergerissen optischen Größenwirkung), der optischen Präsenz wird, was zusammen bleiben soll. Im Klartext: der gewählten Bodytype und schließlich der Spal- Telefonnummern, Bankleitzahlen, Kontonummern tenbreite. Beginnen wir mit der Schrift als solchen. und ähnliche Angaben sollten immer in einer Zeile Ästhetische Faktoren spielen hier zwar ebenfalls stehen. Die korrekten Abstands-Intervalle sind rein. (Wozu hat man schließlich eine bestimmte erfahrungsabhängig; summa summarum sind Werte Schrift ausgewählt?) Wichtiger jedoch sind Fragen zwischen einem Viertel- und einem Drittelgeviert nach Ober- und Unterlänge sowie der Strichstärke. gängig. Zusätzlich zu beachten sind die Regeln Faustregel: Schriften, die präsenter, robuster und für die korrekte Unterteilung. Telefonnummern "fetter" wirken, benötigen einen etwas großzügiger etwa werden, von rechts beginnend, in Zweierblök- bemessenen Zeilenabstand als feinere, filigranere. ke unterteilt. Kontonummern und Bankleitzahlen Grundparameter Nummer zwei ist die Schrift- werden in Dreierblöcke untergliedert; die achtzif- größe. Da Schriften unterschiedlicher Designer frige Bankleitzahl endet rechts jedoch zweistellig. und Hersteller unterschiedlich groß wirken (und Allgemeine Zahlenangaben werden ebenfalls in teilweise auch auf unterschiedlichen Geviert-Aus- Dreiergruppen aufgeteilt, also in Tausenderstellen. legungen basieren), hilft hier nur Erfahrung sowie Vierstellige Zahlenangaben hingegen werden nicht Vergleichen. Faustregel hier: Zusätzlich zu Ober- untergliedert. und Unterlänge sollte ein minimaler Durchschuss Ebenso elementar wie Schriftweite und Festabstän- hinzukommen. Beispiel: Schriftgröße 11 Punkt, de sind passende Abstände zwischen den Zeilen – Zeilenabstand 13 Punkt (= 2 Punkt Durchschuss).

Unoptimierte und optimierte Head- line: Beim unteren Beispiel ist die Laufweite verringert. Hinzu kommt eine manuelle Optimierung der Zeichenpaar-Abstände. Die Kerning- Option "Optisch" in InDesign nimmt diese Korrekturen großteils automa- tisch vor.

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Vorgehenstechnisch gesehen liegt das Problem bei diesen Bereich nur schwer ausformulieren; hier der Bestimmung von Schriftgröße und Zeilenab- ist vor allem der Faktor Erfahrung gefragt. Bester stand darin, dass sich diese beiden Faktoren nicht Tipp: Man vergleicht die eigenen Layoutentwürfe linear aufeinander abstimmen lassen. Wäre dies so, mit ähnlichen Publikationen, druckt aus und korri- würde es genügen, in der Satzanwendung XY einen giert so lange, bis man (oder der Kunde) zufrieden optimalen Prozentwert für den automatischen Zei- ist. lenabstand festzulegen. Neben der optischen Grö- ßenwirkung von Schrift und Zeilen spielt aller- Schusterjungen, Hurenkinder & Co.: dings ein weiterer Faktor mit – die Spaltenbreite. der Umbruch Lesetechnisch gesehen gelten 40 Zeichen pro Zeile Die markigen Klassifizierungen aus der Bleisatzära als Untergrenze. 60 bis 80 Zeichen gelten als ideal, mögen nicht jedermanns Sache sein. Alleinstehende mehr als hundert Zeichen ebenfalls als problema- Zeilen am Beginn und Ende einer Seite sehen aller- tisch. Einerseits liefert eine Zeichentoleranz zwi- dings einfach unschön aus. Darüber hinaus wartet schen 40 und 100 einen großen Gestaltungsspiel- der Kanon der Typo-Regeln mit einigen weiteren raum. Andererseits erfordern unterschiedlich breite Umbruch-Regeln auf – beispielsweise Ermahnun- Spalten auch unterschiedlich enge Zeilenabstände. gen, Eigennamen nicht zu trennen, die vorletzte Im Buchsatz etwa sollte der Zeilenabstand großzü- Zeile eines Absatzes nicht zu trennen oder über gig bemessen sein – allerdings nicht zu großzügig. Seiten nicht zu trennen. Man kann sich darüber Bei schmalen Spalten hingegen ist ein eher kom- streiten, ob Trennvorgaben dieser Art "Basic" sind presser Satz gefragt – ebenfalls aus lesetechnischen oder eher "Fortgeschritten". Fakt ist allerdings, dass Erfordernissen. Eindeutige Regeln lassen sich für aktuelle Programme ein recht versiertes Befehls-

Die wichtigsten Konventionen für den Satz von Zahlenangaben

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instrumentarium bieten für die Feinsteuerung des Trennungshäufigkeit zusammen hängt die Frage, Umbruchs. Sowohl InDesign als auch XPress ent- wie sehr beim Generieren von Blocksatz Wort- halten spezialisierte Features für die Festlegung der und Zeichenabstände variiert werden dürfen. Der Trennhäufigkeit, der optimalen und noch tolerablen Zusammenhang hier: Je rigider die Trennvorgaben, Wortabstände und für das Zusammenhalten von desto schwieriger wird es für das Programm, gleich- Absätzen. förmige Wortabstände zu erzeugen. Das Gegen- Die Features gab es im Grunde bereits zu Fotosatz- mittel: höhere Toleranzwerte. Übrigens: Auch für Zeiten. In den Achtziger und Neunziger-Jahren Flattersatz lassen sich die Wortabstände anpassen. des letzten Jahrhunderts firmierten sie unter dem Wird für das Optimum ein Wert von 105 % fest- Begriff Ästhetikprogramm. Auch wenn die Ästhe- gelegt, erzeugt das Programm einen etwas weiteren tik letzten Endes immer vom Anwender stammt Wortabstand – nicht nur bei Block-, sondern auch – der Begriff bringt recht gut auf den Punkt, um bei linksbündigem Flattersatz. Fazit: In Sachen was es bei diesen Einstellungen geht: um eine Ästhetikeinstellungen lohnt sich ein Blick unter die ansprechende Umbruchsästhetik. InDesign und Haube fast immer. Eine letzte Basic-Regel ist eben- XPress etwa ermöglichen es gleichermaßen, allein- falls rein technischer Natur: der Adobe Absatzset- stehende Absatzzeilen zu unterdrücken. Ebenfalls zer in InDesign. Anders als der Ein-Zeilen-Setzer wichtig ist das Trimmen der Trennhäufigkeit sowie berücksichtigt er beim Erzeugen eines Blocksatz- der Toleranzwerte für Wort- und Zeichenabstände. Absatzes nicht nur jede Zeile für sich, sondern den Kurze Zeilen benötigen naturgemäß mehr Tren- gesamten Absatz. Ergebnis in den meisten Fällen: nungen. Im Buchsatz mit seinen breiteren Spalten ein harmonischeres, ausgeglicheneres Schriftbild. hingegen gilt die Regel "drei maximal". Eng mit der

Ästhetikeinstellungen in InDesign: Über die Umbruchoptionen können alleinstehende Zeilen unterdrückt werden.

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Weißräume, Bildräume, Texträume: das Layout Elemente ins Spiel, wird die Sache etwas kniffeliger Obwohl der Kanon der Typo-Regeln auf Außen- – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Lesbar- stehende rigide wirken mag, ermöglicht er einen keit. Hellgrauer Text auf mittelgrauem Untergrund immensen Gestaltungsspielraum. In der modernen etwa ist keine sehr gute Lösung – es sei denn, die Medienlandschaft gilt das mehr denn je. Da im erschwerte Lesbarkeit ist explizit beabsichtigt. Verlauf den 20. Jahrhunderts eine Reihe zusätzli- Beim Einsatz von Farben ebenfalls zu berücksich- cher Faktoren hinzugekommen ist, hat sich auch tigen ist der Faktor Überfüllung – jedenfalls dann, der Regelkanon entsprechend erweitert. Die mei- wenn Print-Produkte gestaltet werden. Überfül- sten der heute zum Zuge kommenden Gestaltungs- lungen kommen beispielsweise dann zum Tragen, grundsätze stammen aus dem Fundus der soge- wenn Textfarbe und Untergrundfarbe stark unter- nannten Schweizer Schule. Man muss kein Freund schiedliche Grundfarben-Komponenten beinhal- der Sechzigerjahre-Typografie sein, um Raster und ten. In den meisten Fällen werden diese Kon- weitere Errungenschaften gutzuheißen oder aktiv stellationen per Applikation geregelt – entweder anzuwenden. Viele dieser Regeln betreffen zwar im Erzeugerprogramm oder (spätestens) bei der allgemeine Gestaltungsfragen. Auch in Bezug auf Ausbelichtung. In den meisten Fällen ist dies kein den Umgang mit Text liefern sie jedoch effiziente Problem. Ausnahme: Texte in Grundschriftgröße. Hilfen. Beispielsweise bei der Farbgestaltung oder Überfüllungen führen hier notgedrungen zu einer bei der Beurteilung der Kontrastwirkung. Ist der gewissen Unschärfe – ein Eindruck, der im End- Text schwarz auf weiß und sind die Bildelemen- effekt ebenso störend sein kann wie die Blitzer, die te klar abgegrenzt, muss die Kontrastfrage nicht durch die Überfüllung kompensiert wurden. Fazit weiter erörtert werden. Kommen allerdings farbige hier: Wer eine gestochen scharfe Bodytype möchte,

Schrift und Farben: Aussage, Ästhetik und technische Reproduktion müssen stimmen

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nimmt Schwarz – oder aber eine andere kräfti- Zeilabstand; die Typo schnarrt sozusagen auf das ge, gut lesbare Grundfarbe. In Kapitel 11 dieser Grundlinienraster-Intervall ein. Arbeitshilfe finden Sie weitere Informationen zum Begründet wird die Notwendigkeit des Grundlini- Themenkomplex "Schrifteinsatz und Farbe". enrasters mit dem Faktor Registerhaltigkeit – dass Ein wichtiges Mittel für die Stukturierung von Sei- die Typo von Vorder- und Rückseite auf Stand sitzt tenlayouts ist der Einsatz von Gestaltungsrastern. und rückseitige Zeilen so kaum durchscheinen. Das Als nützlich erweisen sie sich vor allem im Hinblick ist richtig. Darüber hinaus eignen sich Grundli- auf die imaginäre Seitenaufteilung. Hier dienen nienraster jedoch auch als Hilfen für die seiten- sie als ordnende Faktoren, die dabei helfen, eine interne Anordnung der Typo. Vorteil: Auch bei Seite oder Doppelseite sinnvoll zu untergliedern. In mehrspaltigen Layouts inklusive Bildrahmen lassen der aktuellen Layoutproduktion kommt allerdings sich die Textbestandteile mühelos synchronisieren; nicht nur ein Raster zum Zug, sondern zwei unter- ein "schwimmender" Eindruck wird so vermieden. schiedliche mit zwei unterschiedlichen Funktionen: Bekanntes Beispiel: das Layout des Wochenma- a) das allgemeine Gestaltungsraster zur Struktu- gazins "Spiegel", welches sich fast vollständig am rierung der einzelnen Seiten, b) ein zusätzliches Grundlinienraster orientiert. Die unterschiedlichen Grundlinienraster für die vertikale Ausrichtung der Strategien beim Arbeiten mit Gestaltungsrastern Typo. Das Grundlinienraster ermöglicht das Festle- sind ein Thema für sich. In der Summe sind Gestal- gen eines einheitlichen Zeilensprung-Intervalls für tungsraster weniger ein feststehendes Regelsystem. ein Dokument, in Ausnahmefällen auch für Seiten Vielmehr stellen sie ein variables, kreativ einsetz- oder Textrahmen. Weist man es einer Schrift zu, bares Effizienzsystem zur Verfügung, mit dem man überschreibt die Grundlinienraster-Festlegung den Layouts besser in den Griff kriegen kann.

Schrift und Farben: Aussage, Ästhetik und technische Reproduktion müssen stimmen

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Ein weiterer Faktor, der mit der Seitenaufteilung Fazit eng verwandt ist, sind Weißräume. Als Weißräume Typo-Regel ist nicht gleich Typo-Regel. Nicht jede bezeichnet man generell nicht bedruckte Seiten- Regel ist gleich wichtig. Viele Do's und Dont's bereiche. Typografisch-gestalterisch gesehen sind liegen klar auf der Hand; die Regeln sind entspre- Weißräume weitaus mehr als die Seitenränder, die chend eindeutig. Dies betrifft insbesondere Basic- man halt eben nicht gedruckt (jedenfalls nicht mit Regeln für die Zeichenverwendung und Textaus- Text). Aus der Sicht der Wahrnehmungspsycholo- zeichnungen. Fehler in diesem Bereich wirken gie bieten sie dem Auge notwendige Ruhezonen. immer unprofessionel. Der beste Tipp, der hier zu Gestalterisch sind sie zudem ein Kontrastmittel geben ist, lautet: Verwenden Sie korrekte Zeichen – sowohl zu den Textpartien als auch zu den Bil- und typografisch korrekte Auszeichnungen. Andere delementen und Grafiken, die sich auf der Seite Fehler sind ebenfalls recht eindeutig, allerdings in befinden. Auch im Hinblick auf die Verteilung von der Auswirkung nicht (ganz) so folgenschwer. Hier- Weißräumen lassen sich schlecht verallgemeinerba- zu zählen etwa nicht vorgenommene Optimierun- re Regeln aufstellen. Obwohl ein bekanntes deut- gen in den Bereichen Laufweite und Kerning sowie sches Boulevardblatt täglich vormacht, dass auch leicht bis mittel-suboptimale Umbruchseinstellun- Layouts ohne Weißräume funktionieren können, gen. Auch falsch bzw. nicht abgetrennte Ziffern- sind Sie mit folgendem Tipp auf der sicheren Seite: kolonnen wirken zwar lästig. In der Auswirkung Sorgen Sie dafür, dass Ihre Layouts nicht überladen sind sie jedoch sicherlich weniger schlimm als etwa wirken. Beschränken Sie sich auf das Wesentliche. falsche An- und Abführungszeichen. Und: Ein paar Ruheflächen tun jedem Layout gut. Sie tangieren vor allem jene Bereiche, in denen pro- funde schriftsetzerische Erfahrung gefragt ist. Ob

Schrift und Farben: Aussage, Ästhetik und technische Reproduktion müssen stimmen

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man lieber Versalziffern verwendet oder Mediaeval- ziffern mit Ober- und Unterlänge, ist, wenn man so will, eine Ideologiefrage. Beide Richtungen haben ihre entschiedenen Anhänger. Fazit: Letzten Endes ist der Umgang mit Edeltypo-Zeichensets Geschmacks- oder Einstellungssache. Etwas anders sieht es schließlich beim Einsatz von Gestaltungs- rastern aus. In den meisten Fällen profitieren Seitenlayouts sichtbar von ordnenden Strukturen. Umgekehrt lassen sich hier schwer eindeutige Rat- schläge geben; "Typo-Regeln" für den Einsatz von Gestaltungsrastern gibt es so nicht. Obwohl die Beachtung typograscher Regeln sicherlich sinnvoll ist und zu besseren Ergebnissen führt, bleibt als abschließendes Fazit nur: Wo die Pflicht endet und die typografische Kür beginnt, muss jeder Anwen- der für sich entscheiden.

seite 137 139 kapitel 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0 6.0 7.0 8.0 9.0 10 11 12 13 14  Kooperationspartner

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