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SWR2 Musikstunde: Die großen Cellisten (4), 8.6.2012 Teil 4: „Die Eleganten“ – Starker und Fournier

Manchmal sagt ein einziger Begriff alles, bei Pierre Fournier ist es so. Der Aristokrat unter den Cellisten, wird er genannt, mehr ist nicht nötig. Allein sein Äußeres verrät ihn: ein vornehmer Herr durch und durch: silberweißes Haar, meist ein freundliches, zurückhaltendes Lächeln auf dem Gesicht, eine gerade aufrechte Haltung, nicht nur auf dem Cellohocker. Dass so jemand klar und schnörkellos spielt, ohne Manierismen ist naheliegend, hier müssen Lebensart und musikalische Überzeugung einfach übereinstimmen. Kultiviert und doch warm, mit einem Reichtum an Farben und Impressionen klingt das Cellospiel von Pierre Fournier, und "Très animé et gai", belebt und fröhlich wie hier im 3. Satz der Cellosonate von .

Musik 1: Poulenc: 3.Satz aus der Cellosonate M0060055 006 3‘36

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1971, Pierre Fournier und der Jacques Février mit dem 3. Satz der Cellosonate von Francis Poulenc. Pierre Fournier wird 1906 in geboren. Eigentlich spielt er Klavier, aber nach einer Kinderlähmung sattelt er mit neun Jahren um aufs . Seine Solistenkarriere startet er schon gleich nach dem Studium, in den 30er Jahren. Aber mindestens so wichtig wie die Auftritte mit Orchestern bleibt für ihn die Kammermusik. Und Fournier ist wählerisch bei seinen Partnern, immer sind es die besten Musiker seiner Zeit. 1940 wird er Nachfolger von Pablo Casals im legendären Klaviertrio mit Alfred Cortot und Jacques Thibaud, außerdem gründet er ein Duo mit und spielt später zusammen mit und . Hier treffen sich dann wirklich drei Gleichgesinnte, so viel Innigkeit und so viel Klangkunst ist einzigartig. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1972, der erste Satz aus dem c-Moll Klaviertrio von .

Musik 2: Brahms: 1.Satz aus dem Klaviertrio op.101 M0242787 001 7‘34

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Pierre Fournier zusammen mit dem Geiger Henryk Szeryng und Arthur Rubinstein am Klavier mit dem 1. Satz aus dem Klaviertrio in c-Moll von Johannes Brahms „Jede Passage auf dem Cello muss gesungen werden mit größtmöglicher Tonschönheit“, verkündet Pierre Fournier seinen Schülern immer und immer wieder. Er selbst macht es vor, vollendeter als sonst irgendjemand. Französische Noblesse, klangliche Eleganz, gepaart mit einem tiefen Wissen um das Wesentliche, den Gehalt der Musik, das bestimmt Fourniers phänomenales Cellospiel. Keine Ausfälle, keine Geschmacklosigkeiten, keine Effekthaschereien, Fournier bleibt immer Herr der Lage, mit seiner makellosen Technik formt er die Musik unter seinen Händen zu einem Abbild klassischer Schönheit. Das könnte einseitig werden, oder schlimmstenfalls langweilig. Merkwürdigerweise vermisst man aber nichts bei seinem Spiel. Es ist so stimmig und überzeugend, dass man hier selbst das Schmerzliche findet, das Herbe, das Ruppige, nur eben aus dem Blickwinkel einer gewissen apollinischen Noblesse. 1960 nimmt er die Bachsuiten auf, eine großartige Einspielung, in mancher Hinsicht bis heute unübertroffen. „Fournier war ein aristokratischer, äußerst selbstkritischer Künstler der alten Schule“, erinnert sich der Tonmeister der Aufnahme, “ihm lag bei den Aufnahmen besonders viel an einem Gefühl von Kontinuität, und er liebte lange Takes, oft ganze Sätze“. Man hört es. In einem Atem lässt Fournier sein Cello schwingen, legt mit seiner klanglichen Eleganz einen ungeheuren Glanz über das Werk, bringt die Musik fast zum Strahlen, mit tiefem Ernst und einem immensen Respekt vor dem Werk.

Musik 3: Bach: Prelude aus der d-Moll Suite 3‘26 3369072 007

Von einzigartiger Schönheit, das Prelude aus der d-Moll Suite von Johann Sebastian Bach gespielt von Pierre Fournier. Etwa 20 Jahre jünger als Fournier und eine Art Bruder im Geiste ist sein ungarisch- amerikanisches Pendant Janos Starker. Auch bei ihm fällt schon mal der Begriff Aristokrat, oder sogar ultimativer Aristokrat. Das sind dann die freundlicheren Urteile. Als vor einigen Jahren ein Kollege von ihm ein Karikaturenbuch veröffentlicht mit den schönsten Zeichnungen aller möglichen berühmten Musiker, da findet sich Janos Starker samt seinem Cello mitten in einem Eisblock. Fehlt eigentlich nur noch die obligatorische Zigarette und ein Glas Bourbon in 4 der Hand. Starker selbst kann darüber nur schmunzeln und schreibt sogar den Text dazu. „Emotional, aber niemals sentimental“, das ist und bleibt seine Devise. „Ist und bleibt“ ganz wörtlich. Der inzwischen 88jährige hat sich zwar von den weltweiten Konzertpodien verabschiedet, aber er unterrichtet tatsächlich immer noch. Und wenn er einem Studenten mal kurz was aus dem Schumann Konzert vorspielt, dann klingt das immer noch blitzsauber, makellos und ohne jede Anstrengung. Verdanken kann Starker das seinem phänomenalen Talent und seiner perfekten Technik. Er hat sie selbst entwickelt und vervollkommnet, "ganz einfach", wie er mit seinem schrägen Grinsen verkündet, "um es leichter zu haben, um nicht mehr Kraft und Einsatz zu brauchen als unbedingt nötig". Das bezieht sich auf die Technik - der Musik schenkt Janos Starker alle Aufmerksamkeit, die sie verdient, und bei ihm wird daraus ein ganzer Kosmos.

Musik 4: Lalo: Intermezzo aus dem Cellokonzert 5‘00 M0019215 006

Nach Eisblock klingt das wahrlich nicht, Janos Starker mit dem 2. Satz aus dem Cellokonzert in d-Moll von Edouard Lalo, zusammen mit dem London Symphony Orchestra unter Stanislaw Skrowaczeweski. Aber woher kommt eigentlich dieses harte Urteil Starker spiele kalt, rational und ohne Expressivität? "Zu leise" wirft man ihm auch noch vor. Wahrscheinlich weil er komplett auf jedes Pathos verzichtet, auf Manierismen, auf jede Bühnenhampelei, jede Art von Mätzchen. Er sucht die größtmögliche Wahrheit der Komposition, ohne sich damit jemals zu produzieren, will sich in keiner anderen Form ausdrücken als der rein instrumentalen. Exaltierte Mimik, Gymnastik auf dem Cellohocker oder Grunzlaute bei schwierigen Lagenwechseln verabscheut er genau so wie schwitzende Anstrengung. Körperliche oder geistige gleichermaßen. Denn das Entscheidende ist für ihn die Idee des Komponisten, sich selbst nimmt er nicht so wichtig. „Es ist nicht nötig, dass man Starker hört“, erklärt er in einem Interview, „sondern das Werk, und das soll man nicht an meinem Gesicht erkennen, sondern an meinem Spiel“. Der Witz dabei ist, dass man ihn in der Tat sofort erkennt. Sein ungewöhnlich klarer, makelloser Klang, seine schlackenlose Brillanz, seine genaue Artikulation, seine perfekte Intonation sind bis heute einzigartig, mit einem Ton von der Intensität eines Lasers. Sein emotionales Understatement kann er sich deshalb leisten, weil er so viele Gefühle hat 5 und so übervoll ist mit einer riesigen Achtung vor der Musik. Es ist faszinierend zu hören, wie bewusst Janos Starker seine Emotionen einsetzt. Nie gibt er zu viel davon, sondern immer so dosiert, dass er seine eigene Ergriffenheit optimal ausleben kann, um sie damit, was natürlich besonders wichtig ist, auf den Zuhörer zu übertragen. "Introvertierte Glut", hat es mal jemand treffend genannt. Ein amerikanischer Kritiker schwärmt von Starkers seidigem Legato, seinem großen, aber immer schlanken Ton, nennt seinen Ausdruck elegant, raffiniert und klar und Starker selbst eine faszinierende Verschmelzung aus Dichter, Denker und Virtuose, sein Spiel eine Mischung aus Feuer und Eis.

Musik 5: Faure: Apres un reve 2‘30 M0286936 003

Ein typisches Zugabestück, bei dem ganz schnell zu dick aufgetragen klingen kann. Bei Janos Starker niemals, „Apres un reve“ von Gabriel Faure, begleitet wurde der Cellist am Klavier von Shigeo Neriki. Diese kontrollierte Ekstase am Cello prägt Starkers ganzes Wesen. In den USA ist er ein echter Star, bleibt allerdings ohne Allüren, sympathisch und trotzdem distanziert. 1963 beschreibt ihn die Zeitschrift „Esquire“ als einen „muskulösen, erschreckend klugen jungen Mann“. Jung ist Janos Starker inzwischen zwar nicht mehr, aber sein Körper hat diese gewisse sehnige Drahtigkeit behalten und seine Klugheit paart sich nach wie vor mit einer beeindruckend natürlichen Autorität. Die lernen auch alle seinen Studenten kennen und - fürchten. An der Elite- Musikhochschule von Bloomington im US-Bundesstaat Indiana hat Starker zwischen lauter Maisfeldern eine Art Cellistenfabrik errichtet. Hier unterrichtet er seit mehr als 50 Jahren und produziert mehr erstklassige Cellisten und Cellistinnen als die Welt je brauchen wird. Er gilt als streng, als sehr streng. Starker weiß das, aber es stört ihn nicht „Ein Lehrer ist dazu da, Grenzen nicht zu akzeptieren“ lautet sein pädagogisches Credo. Er fordert bedingungslose Hingabe und bietet dafür selbst auch maximalen Einsatz. Wie viele andere Künstler seiner Generation hat auch er extrem harte Zeiten durchlebt. Als Jude in Ungarn wird er erst von den Nazis gejagt, nach dem Krieg von den Kommunisten. 1948 verlässt er seine Heimat und geht zuerst nach Frankreich, danach in die USA. 6

Hier arbeitet er zuerst in großen amerikanischen Orchestern, erst als man ihm 1958 den amerikanischen Pass ausstellt, kündigt er und startet seine Solokarriere, mit allem was dazugehört, Preise, Auszeichnungen, unzählige Plattenaufnahmen und natürlich hunderte Konzerte pro Jahr und auf den ganz wichtigen Podien. Immer wieder auf dem Programm steht dabei ein Stück, das er schon als 15jähriger Junge spielt, damals und heute eines der schwierigsten Werke der gesamten Celloliteratur: die Solosonate von Zoltan Kodaly. Es ist sein Stück, als er es 1939 zum ersten Mal aufführt, gilt er danach als lebendes Wunder, als er es 1948 auf Schallplatte einspielt, gewinnt er damit Frankreichs wichtigsten Musikpreis: den Grand Prix du Disc.

Musik 6: Kodaly: 1. Satz aus der Solosonate 5‘05 M0024094 001 (ab 3’20-8’25)

So geht das noch etwas eine halbe Stunde weiter, halsbrecherische Akkordfolgen auf dem Griffbrett, von Janos Starker scheinbar mühelos bewältigt, ein Ausschnitt aus dem 1. Satz der Solosonate von Zoltan Kodaly. 15 Jahre alt ist Janos Starker, als er dieses Ungetüm an Schwierigkeiten zum ersten Mal aufführt, „Dieser junge Körper bebt, wenn er die breiten Melodiebögen des ersten Satzes angreift“, schreibt ein ungarischer Kritiker, „Das Beben stammt jedoch nicht von dem alltäglichen Lampenfieber, sondern von erschütternd-frühreifen Emotionen des Erlebens und des Willens, würdig zu werden.“ „Würdig zu werden“, eine merkwürdige Formulierung, aber der Kritiker wird Recht behalten, damit, dass dieser Halbwüchsige mit seinem musikalischen Können die Welt beeindrucken wird und auch mit seiner inneren Haltung. Wenn Janos Starker von der Musik spricht und von seinem Cellospiel, dann tauchen oft solche Begriffe auf wie Pflicht, Disziplin, und vor allem Demut. Er weiß durchaus, was er kann, weiß aber auch, was er dem Genie des Komponisten schuldig ist. Und nicht nur dem. Starker möchte die Menschen glücklich machen. Mit seiner Musik, mit seinem Unterricht, mit seinen philosophischen Exkursen. Auf die Frage eines Journalisten, welches Cellokonzert er denn am liebsten spiele, antwortet Janos Starker mit seinem typisch sarkastischen Grinsen „das von Brahms, wenn er eines geschrieben hätte“. Nun hat er ja leider nicht, aber den Cellisten bleibt immerhin noch ein halbes Konzert, das sie sich allerdings mit den Geigern teilen müssen. Und sie müssen nicht nur teilen, sondern auch noch harmonieren, sonst funktioniert es nicht, das Doppelkonzert in a-moll. 7

Ein herrliches Werk, und wenn Janos Starker zusammen mit Henryk Szerynk die Kantilenen zelebriert, dann ist da eine Übereinstimmung, eine intuitive Verständigung, die niemals abgesprochen sein kann, sondern nur funktioniert zwischen zwei Gleichgesinnten in dieser legendären Aufnahme von 1970.

Musik 7: Brahms: Doppelkonzert für Violine und Violoncello 7‘34 M0048080 005

Henryk Szeryng und Janos Starker mit dem 2. Satz aus dem Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-moll op.102 von Johannes Brahms, Bernard Haitink leitete das Royal Concertgebouw Orchestra, eine Aufnahme aus dem Jahr 1970. Die großen Cellisten hieß diese Musikstundenwoche auf SWR 2. Was sie alle miteinander so groß macht, ist nicht nur ihr einzigartiges Cellospiel, ihre Fähigkeit Musik zu empfinden und sie auszudrücken, sondern auch ihr nachhaltiger Einfluss auf nachfolgende Generationen. Inzwischen sind hervorragende Cellisten und Cellistinnen nachgewachsen, schon etwas älter Truls Mörk, dann Daniel Müller-Schott, Johannes Moser, Julian Steckel, Nicolas Altstaedt, nicht zu vergessen die fantastische Sol Gabetta, um nur einen kleinen Teil zu nennen, alle mit einer Bravour, einem technischen Können und einer musikalischen Tiefe, die sie früher wahrscheinlich zu wahren Wundern erklärt hätte. Ihr Niveau ist inzwischen fast normal, so atemberaubend es auch sein mag. Zu verdanken haben sie es außer ihrem Talent und ihrem Fleiß aber auch der Tradition und dem Erbe der großartigen Cellisten früherer Zeiten. Sie haben, nach dem epochalen Cellogenie Casals die instrumentalen Grundlagen geschaffen, das Wissen vergrößert. Die Cellisten hatten im 19. Jahrhundert weder einen Paganini noch einen Liszt, ihre Zeit kam später, aber da mit aller Gewalt, oder sollte man lieber sagen, mit aller Schönheit.

Musik 8: Bach: Prelude aus der Suite Nr.6 5‘13 M0025439 031