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fergus kerr | martin knechtges Warum nicht Dominikaner? Katholische Intellektualität zwischen und Oxford

Mehr als dreißig Jahre hat der schottische Dominikaner Fergus Kerr OP Philosophie und Theologie in Oxford gelehrt, wo er auch einige Jahre dem renommierten College Blackfriars Hall vorstand. Seit Mitte der 1960er Jahre erlebte er hier die Blütezeit der Analytischen Philosophie und trug als Lehrender dazu bei, zwischen Theologie und dieser Form von Philosophie ein Gespräch zu entwi- ckeln. So lotete er in seinen Monographien I m m o r t a l L o n g i n g s (1997) und Tw e n t i e t h - C e n t u r y C a t h o l i c T h e o l o g i a n s (2006) intensiv das Verhältnis von zeitgenössischer Philosophie und Theologie aus und sorgte selbst mit Monographien über Thomas von Aquin und dafür, dass unter den philosophischen Fachkollegen die Austauschverhältnisse zwischen Katholizität und den Theorien mancher moderner Philosophen erkennbar blieben; zugleich tat er das seinige dazu, dass unter den Theologen das »dialektische Moment« im analytischen Blick der Philosophie nicht zu kurzsichtig geriet. Im Vereinigten Königreich gilt der katholische Wittgen- stein-Experte als einer der Intellektuellen, deren Stimme in der akademischen Welt wie auch über die Konfessionsgrenzen hinaus Gewicht haben. Mit F u g e -Herausgeber Martin Knechtges sprach er wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag in Edinburgh, wo Kerr seit 2005 an der Universitätskirche Dienst tut, über seinen Werdegang und das Verhältnis von Lehre und Predigt. Das Gespräch steht im Rahmen des anhaltenden Interesses der F u g e an den geistigen und geistlichen Verhältnissen im Vereinigten Königreich, das schon in Gesprächen mit dem katholischen Descartes-Forscher John Cottingham (Bd. 3) sowie dem linken Literaturtheoretiker und Kulturphi- losophen (Bd. 2) dokumentiert ist. Der anglikanische Theologe Graham Ward, der die F u g e von Beginn an im wissenschaftlichen Beirat und durch eigenständige Beiträge mitgeprägt hat und der kürzlich auf den renommierten Stuhl des Regius-Professors nach Oxford berufen wurde, ist einer der Garanten hierfür. Mit dem Blick nach Großbritannien soll in der F u g e nicht nur der Gefahr des Provinzialismus in den Debatten um die Kirche in Deutschland begegnet werden, sondern wir hoffen, aus dem eigenartigen intellektuellen Reichtum des Katholischen in der britischen Diaspora auch Impulse für das Nachdenken über Säkularisierung und Ökumene hierzulande zu gewinnen.

49 martin knechtges Fergus, Sie haben viele Jahre in Oxford, Edinburgh und St. Andrews unterrichtet und werden heute von zahlreichen Theologen und Philosophen als prägender Lehrer geschätzt. Wie hat sich das philosophische Denken dieses Lehrers geformt? fergus kerr Meine ersten Abschlüsse habe ich an der Universität von Aberdeen in English Literature und Language and Literature gemacht, doch die wirklich wichtige Person für mich dort war der Moralphilosoph Donald M. MacKinnon. Seinerzeit, in den 1950ern, war es im schottischen Hoch­ schulsystem üblich, ein Hauptfach zu studieren und außerdem zwei weitere Jahre noch andere Kurse zu besuchen, gewissermaßen nach Neigung. Ich studierte die gesamten zwei Jahre Philosophie mit Donald MacKinnon. Aus heutiger Sicht hätte ich sicher den sehr guten Studiengang English Literature and Moral wählen sollen, den es damals in Aberdeen auch gab. Doch so kam es, dass die beiden Jahre Philosophie mit MacKinnon prägend wurden. Wenn ich auf meine Entwicklung schaue, dann sehe ich überhaupt viele Zufälle, Glück und keinen Plan. Ich wollte zu dieser Zeit ja noch Rechtsanwalt werden, musste aber nach meinem ersten Abschluss zunächst noch für zwei Jahre Militärdienst zur Royal Air Force: zwei Jahre mit nicht viel mehr zu tun, als zu lesen! Damals begann ich, theologische Literatur zu lesen, und jemand, den ich noch von der Universität her kannte, lud mich überraschend in eine neue philoso­ phische Gruppe der Dominikaner ein. Er war selbst im Priesterseminar gewesen, hatte drei oder vier Jahre scholastische Philosophie studiert, das Seminar dann aber vor der Priesterweihe verlassen und war nach Aberdeen gekommen. MacKinnon, selbst Anglikaner in der Scottish Episcopal Church, war darüber ganz begeistert, denn er hatte eher romantische Vorstellungen von Rom und dem römischen Katholizismus. In Großbritannien war er der Erste, der sich für Hans Urs von Balthasar interessierte, und er schrieb selbst eine Einfüh­ rung in dessen Werk. Lange bevor die britischen Katholiken es erkannten, wusste er bereits, dass von Balthasar wichtig war. Für mich war diese Einladung zu jenem Zeitpunkt ein ganz außer­ ordentliches Ereignis: Ein Ex-Seminarist und Schüler MacKinnons lud mich in einen philosophischen Kreis ein, in dem sich die Dominikaner des Semi­ nars mit dem philosophischen Nachwuchs rund um Elizabeth Anscombe,

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