Niederer, W. & Schmidt, B. (2016): «Die Sibirische Winterlibelle paedisca (Brauer, 1877) in Vorarlberg mit besonderer Berücksichtigung des Rheindeltas». inatura – Forschung online, Nr. 33: 11 S.

Die Sibirische Winterlibelle Nr. 33 - 2016 (Brauer, 1877) in Vorarlberg mit besonderer Berücksichtigung des Rheindeltas Walter Niederer1 & Bertrand Schmidt2

1 Mag. Walter Niederer Im Wiesle 12, A-6974 Gaißau; E-Mail: [email protected] 2 Dipl.-Biol. Umwelttech. Bertrand Schmidt Alpenstraße 27, D-88045 Friedrichshafen; E-Mail: [email protected]

Abstract

Sympecma paedisca, an endangered is reported for Vorarlberg and its extension in Vorarlberg is shown. The nature re- serve Rhine delta, a marsh and lowland moor habitat mosaic provides many different nessessary reproduction sites and habitate structures. Also other rare dragonflies of marshes like Sympetrum depressiusculum were reported. Aspects of nature conversa- tion are discussed. Key words: dragonflies, , Sympecma paedisca, wetland, Natura 2000, nature conservation, Austria, Vorarlberg

Zusammenfassung 1 Einleitung mit isolierten Vorkommen entlang des nördlichen Alpenrands über die Die Situation der Sibirischen Winter- Die Sibirische Winterlibelle Sympecma Schweiz bis nach Frankreich und Nord- libelle (Sympecma paedisca), eine Art paedisca (Brauer, 1877) ist europaweit italien (Jödicke 1997). des Anhangs IV der FFH-Richtlinie, in bedroht und hat so Eingang in den An- Der Bestand der Sibirischen Winterli- Vorarlberg wird beschrieben. Anga- hang IV der FFH-Richtlinie gefunden. belle (Abb. 1, Abb. 2) in Vorarlberg mit ben zur Lebensweise und Verbreitung Das geschlossene Verbreitungsgebiet dem Rheindelta als Kerngebiet gehört in Europa werden gemacht. dieser Art reicht von Japan bis Ost- zu diesem südlichen Arealausläufer In Vorarlberg beschränken sich die europa. In Mitteleuropa ist es in zwei und ist innerhalb Österreichs von he- bodenständigen Populationen auf Teilareale aufgeteilt: Das nördliche rausragender Bedeutung (Raab et al. den Bereich des Bodenseeufers und Teilareal erstreckt sich von Nordpolen 2006). Übersichtsarbeiten behandeln des Unteren Rheintals. Alle Fundorte bis nach Holland, das südliche verläuft die ökologische Situation und die Po- in Vorarlberg und den benachbarten Gebieten werden genannt. Das Kern- gebiet der Metapopulation ist das Naturschutzgebiet Rheindelta. Sämtli- che im Jahresverlauf notwendigen Le- bensräume werden genannt und do- kumentiert. Die Gefährdungsursachen und die notwendigen Erhaltungs- und Fördermaßnahmen werden diskutiert.

Abb. 1: Paarungsrad von Sympecma pae- disca am rechten Rheindamm in Hard. (Foto: Manfred Loner)

Eingegangen: 08.06.2016; Publiziert: 11.11.2016 1 Erfassung erfolgte mittels Handfän- dern, die den Imagines als Überwinte- gen und Fotodokumentation, wobei rungsquartier dienen. zusätzliche Begehungen im Winter- Die Arten der Gattung Sympecma sind halbjahr bis Ende April, einer ansons- die einzigen Libellen in Mitteleuropa, ten libellenfreien Zeit, erfolgten. Dazu die im Adultstadium überwintern - da- wurde die bekannte Population im her der Name «Winterlibellen». Dabei Natura-2000-Gebiet Rheindelta unter- verteilen sich die Imagines, die erst sucht. Die benachbarten Gebiete am Anfang bis Mitte August schlüpfen, im Österreichischen Bodenseeufer und Herbst um die Entwicklungsgewässer im unteren Rheintal wurden ebenfalls und suchen gezielt feuchte, vollstän- in die Betrachtungen mit eingezogen. dig beschattete Plätze auf, wo sie sich Gleichzeitig wurde die Begleitfauna absetzen und in Kältestarre fallen. Erst der Libellen erfasst. Ein besonderes im Frühjahr erscheinen die Libellen Augenmerk lag dabei auf dem Natur- wieder am Gewässer, wo dann die schutzgebiet Rheindelta, dem Gebiet Paarung erfolgt. Bei der anschließen- mit dem größten Bestand an Sympec- den Eiablage stechen die Weibchen Abb. 2: Weibchen von Sympecma paedis- ma paedisca in Vorarlberg. Sämtliche schwimmende, lebende oder tote ca an einem dünnen Schilfhalm Anfang Sammel- bzw. Fundpunkte wurden Pflanzenteile an und legen darin ihre Oktober im Höchster Ried (Foto: Bertrand verortet, und die Daten in die Daten- Eier ab. Die Larven leben in geringer Schmidt) bank der inatura Dornbirn eingespeist. Tiefe auf verschiedenen Unterlagen. Ihre Entwicklung dauert 10 bis 12 pulationsbestände in den benachbar- Wochen. Durch ihre besondere Le- ten Gebieten Schweiz (Wildermuth et 3 Zur Lebensweise von bensweise können die Imagines eine al. 2005), Baden-Württemberg (Schmidt Sympecma paedisca Lebensdauer von bis zu 11 Monaten & Sternberg 1999; Hunger, Schiel & Kunz erreichen. 2006), Bayern (Kuhn & Burbach 1998) Die Sibirische Winterlibelle besiedelt und Tirol (Landmann et al. 2005). im Alpenvorland Verlandungsriede Die Erkenntnisse zur Biologie und von Seen und Weihern, deren Wasser- Ökologie der Sibirischen Winterlibel- stände schwanken, und die an Flach- le wurden von Schmidt (1990, 1993) moor-Pfeifengrasstreuwiesen oder im Wollmatinger Ried, Vorarlberger Über­gangsmoore angrenzen. Kleine Rheindelta und Niedermooren im All- Populationen existieren in Vorarlberg gäu und Oberschwaben erhoben und und Oberschwaben auch in verschilf- dargestellt. ten leicht fließenden Niedermoorgrä- Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, ben. den Wissenstand für Vorarlberg be- Die Reproduktionsgewässer zeich- züglich Verbreitung, aber auch der nen sich durch periodische Wasser- Habitatbindung zusammenzufassen, standsschwankungen mit sommer- zu dokumentieren und Vorschläge für licher Wasserführung aus. Meist sind Erhaltungs- und Fördermaßnahmen dies Bult-Schlenken-Komplexe in zu geben. Die aktuelle Situation im leicht verschilften Steifseggenrieden, Rheindelta wird beschrieben. Schneidriede und andere Großseg- gengesellschaften in Flutmulden. Ins- besondere die Bodenseeriede zeigen 2 Methodik ein Wassserregime, welches durch Frühjahrsschmelzwasser aus den Al- Alle bisher publizierten Daten wurden pen und damit höhere Wasserstände aufgenommen und digital erfasst. Zu- im Mai bis Juli gekennzeichnet ist. Die sätzlich wurden Kenner des Gebiets Fundorte liegen oft in der Nähe von befragt und deren Datensätze wurden Gehölzen und auch an Auwaldrän- ebenso eingebunden, wie die eigenen Beobachtungen der letzten Jahre, die im Zuge anderer Projekte gemacht Abb. 3: Verbreitung der Sibirischen Win- worden sind. Die projektbezogene terlibelle in Vorarlberg inatura – Forschung online 33 (2016) 2 et al. (2009) sichteten im Jahr 2003 am Mehrerauer Ufer 5 Individuen und bewerteten das Vorkommen als wahr- scheinlich bodenständig (Abb. 4). Bei Begehungen im Jahr 2010 wurde Sym- pecma paedisca von B. Schmidt nach- gewiesen. W. Niederer konnte Sym- pecma paedisca bei Untersuchungen zum Vorkommen von Wasserkäfern im Jahr 2014 im Bereich zwischen Be- obachtungssteg und Yachthafen (Abb. 5) feststellen. Eine Nachsuche im Jahr 2015 war ebenfalls erfolgreich. Nachweise im Gemeindegebiet Lus- tenau erfolgten hauptsächlich durch E. Hämmerle und sind in den Arbei- ten von Wust & Alge (1999), Hostettler (2001) und Hämmerle (2007) dargestellt. Abb. 4: Mehrerauer Seeufer im Spätsommer Im Jahr 2014 gelang W. Niederer im Rahmen einer Wasserkäferunter­ In Vorarlberg kommt neben Sympec- degebiet von Gaißau vor. Entlang des suchung ein Nachweis im Gebiet des ma paedisca noch die Gemeine Win- Alten Rheins auf dem Gemeindege- Alten Rheins auf Höhe des Schreber- terlibelle () vor. Diese biet von Höchst (vom Bruggerloch bis gartenloches (Abb. 6). ist weiter verbreitet und nicht selten. zum Eselschwanz) wurde Sympecma Im Bericht des OFEV (2015) zum Stand Detaillierte Informationen zur Aut- paedisca im Jahr 2015 nicht gefunden. der Arbeiten an der Roten Liste der ökologie der Sibirischen Winterlibelle Hostettler hatte die Sibirische Winter- Libellen der Schweiz wird Sympecma finden sich in Sonntag (2005), Stalder libelle 1996 in einem Einzelexemplar paedisca für 2015 auch aus Lustenau (2013) und Schmidt (1993). am Bruggerloch gemeldet. gemeldet. A. Rotach (mündl. Mitt.) be- Neben dem Rheindelta als Untersu- richtete von Sichtungen entlang der chungsschwerpunkt konnte auch Rheindämme im Bereich Lustenau. 4 Verbreitung und Bestand in Bregenz im Naturschutzgebiet Die Sibirische Winterlibelle nutzt die- in Vorarlberg Mehrerauer Seeufer - Bregenzer Ach- teilweise nicht gemähte, hohe Halmve- mündung eine kleine bodenständige getation (vergilbter Altgrasstreifen) an Der Verbreitungsschwerpunkt der Si- Populationen der Sibirischen Winter- den Rheindämmen als Herbstlebens- birischen Winterlibelle liegt im Natur- libelle ausgemacht werden. Chovanec raum (Abb. 7). Hier ist sie gut getarnt schutzgebiet Rheindelta (Hostettler 1993, 1996a, 2006), dies gilt für den Untersuchungsraum Vorarlberg eben- so wie für das gesamte Bundesgebiet Österreich. Fundmeldungen liegen von weiten Teilen des Naturschutzge- biets vor und verteilen sich auch alle Jahreszeiten. Außerhalb des Naturschutzgebie- tes kommt Sympecma paedisca im Rheindelta noch im Bereich der weiter flussaufwärts gelegenen Hinterwas- ser am AIten Rhein in Gaißau und im angrenzenden Ried auf dem Gemein-

Abb. 5: Die Situation im Naturschutzge- biet Mehrerauer Seeufer - Bregenzer Ach- mündung östlich der Beobachtungsplatt- form im Sommer inatura – Forschung online 33 (2016) 3 Abb. 6: Das Schrebergartenloch in Lusten­ au. Im Bereich des Dammes ist das Gebiet für Sympecma paedisca sicher nicht op- timal. Ob sich im Schilfgürtel geeignete Larvalhabitate befinden, konnte nicht ermittelt werden.

Abb. 7: Die Situation am Inneren Wuhr- damm im Rheinvorland. Diese Bereiche werden sehr spät gemäht. An den Bö- schungen bleiben immer wieder Vegeta- tionsstreifen auch im Winter ungemäht.

Abb. 8: Die Schmelzwiesen in Lochau im Frühsommer 2014.

inatura – Forschung online 33 (2016) 4 (Mimese) und findet windgeschützte Sitz- und Versteckstrukturen sowie in- sektenreiche Jagdlebensräume. Auch Wanderbewegungen entlang der Rheindämme scheinen wahrschein- lich. Dabei dringt sie auch in niedrige Weidenstrukturen (Purpur-, Silber-, Lavendelweide) ein, welche mit Land- reitgras, vergilbten Blütenständen von Kräutern sowie dünnen Schilfhalmen und dem stellenweise häufigen Klei- nen Igelkolben durchsetzt sind. Eine bodenständige, stabile Populati- on in Lustenau im Bereich des Natur- schutzgebiets Gsieg - Obere Mähder und den Bereichen am Alten Rhein scheint möglich und sogar wahr- scheinlich zu sein, das Fortpflanzungs- habitat konnte aber nicht gefunden Abb. 9: Streuewiesenstreifen als Imaginalhabitat im Herbst im Höchster Ried mit Ver- werden. nässungszone, die auch zur Eiablage geeignet scheint. An der Leiblachmündung wurde von Chovanec et al. (2009) im Jahr 2003 Auch aus anderen Gebieten Vorarl- leider nicht alle seine Fundorte ange- ein Einzelexemplar von Sympecma bergs liegen nur Einzelnachweise vor. führt worden sind. Raab et al. (2006) paedisca beschrieben. Im Rahmen Es sind dies das Lauteracher Ried (Hos- zählen 15 Fundpunkte für ganz Öster- der Erhebungen zur Bestandssituati- tettler 1996b), Dornbirn (Friebe 2013, reich auf. Historische Nachweise von on des Schmalbindigen Breitflügel- 2014) und Schlins (Amann 2013). Auch Sympecma paedisca aus Vorarlberg Tauchkäfers stellte W. Niederer im Mai aus Koblach liegen zwei Funde von M. beziehen sich neben dem Rheindelta 2014 im Bereich der benachbarten Berg vor (Datenbank der inatura Dorn- (Lauterborn 1941) auch auf den Raum Schmelzwiesen in Lochau ebenfalls birn). Feldkirch (Prenn 1924; St. Quentin 1963). ein Einzelexemplar fest. Eine Nachsu- Alle aktuellen Daten (ab 1990) sind in che im Spätsommer 2015 war nicht Abb. 3 dargestellt. erfolgreich. An der Leiblachmündung In seiner zusammenfassenden Arbeit 5 Die Situation im Rheindelta kann daher nicht von einem boden- über Vorarlberg gab Hostettler (2001) ständigen Vorkommen ausgegangen 18 Fundorte für das Bundesland Vor- K. Hostettler hat die Situation im werden. arlberg an, wobei in dieser Arbeit Rheindelta mit seinen Aufnahmen in den Jahren 1991 und 1992 sehr detail- liert erhoben. Seine späteren Erhebun- gen ebenso wie die Aufnahmen der beiden Autoren runden das Ergebnis ab. Meldungen von Spezialisten und interessierten Naturliebhabern wur- den ebenso aufgenommen, wie zur Verfügung gestelltes Bildmaterial. Bei der Arbeit von Chovanec et al. (2009) stand die Bewertung des Bodensee- ufers im Vordergrund. Die zusätzlichen Aufnahmen im Jahr 2015 dienten dazu, jene Bereiche zu erfassen, die bis dahin nur schlecht erhoben werden

Abb. 10: Streuewiesenstreifen als Imagi- nalhabitat im Herbst mit strukturiertem Vegetationsaufbau. inatura – Forschung online 33 (2016) 5 Abb. 11: Frühjahrshabitat / Larvalhabitat für Sympecma paedisca im Bereich des aufgestauten Steubitzegrabens.

Abb. 12: Frühjahrshabitate / Larvalhabi- tate für Sympecma paedisca im Bereich östlich des Hafens Salzmann.

Abb. 13: Larvalhabitat in den Schleien­ löchern in Hard

inatura – Forschung online 33 (2016) 6 Abb. 14: Die Larvalhabitate in den Groß- seggenriedern im Schilfgürtel können nur schwer erfasst werden.

Imaginalhabitate wie die Sibirische Winterlibelle. Ähnlich wie Sympecma paedisca kann sie ihre Eier auch in feuchte Habitate ablegen (Abb. 16), die dann durch Schmelzwasser oder Grundwasseraufstoß im Lauf des Frühsommers geflutet werden (vgl. Schmidt 1990, Leitarten der Libellen- zönose in Streuwiesen des Bodensee- ufers). Sie ist in den Nachbarländern stark gefährdet und von Rückgang betroffen. Auch für diese Libellenart hat das Rheindelta eine überregionale, internationale Bedeutung und Verant- wortung. konnten – sei es aufgrund erschwerter gangen worden sind, kann in diesem Im Rahmen der Erfassung der Begleit- Zugänglichkeit oder aufgrund der für rund 10 Hektar großen Bereich von fauna konnten für 32 Arten für das Na- Libellenkundler untypischen Jahres- rund 1.000 Individuen an diesem Tag turschutzgebiet Rheindelta erhoben zeit der Aufnahmen – und somit auch ausgegangen werden. werden. Stellvertretend sollen hier die um Wissenslücken zu schließen. In Anbetracht ähnlicher Verhältnis- Arten Brachytron pratense, Sympetrum Das Ergebnis der Aufnahmen im se in anderen Bereichen des Natur- pedemontanum und Gomphus vulga- Rheindelta ist beeindruckend und schutzgebiets und der Ergebnisse der tissimus erwähnt werden, von denen unterstreicht die überregionale Be- Aufnahmen von diesem Tag, kann auf bisher nur wenige Beobachtungen deutung des Rheindeltas aus libel- Gesamtpopulation von über 5.000 In- für Vorarlberg vorliegen. Auch die lenkundlicher Sicht. Bei einer Auf- dividuen geschlossen werden. Schwesternart der Sibirischen Win- nahme der Autoren am 02.10.2015 Bezugnehmend auf die Habitatselek- terlibelle, die Gemeine Winterlibelle konnten an einem einzigen Standort, tion und die speziellen Anforderun- (Sympecma fusca) wurde festgestellt. an nicht gemähten, stehen gebliebe- gen von Sympecma paedisca an ihren Es gibt wenige Stellen, an denen die nen Streue­wiesenstreifen im Höchster Lebensraum stellt das Rheindelta ein Ried ca. 120 Tiere festgestellt werden. Gebiet dar, das der Art ganzjährig ge- Die Tiere traten dabei geclustert, d.h. eignete Habitate zur Verfügung stellt. in Gruppen von rund 10 Tieren auf. Sie Diese einzelnen Habitate im Rheindel- bevorzugten eine spezielle Wuchsart ta werden im Folgenden anhand von der Streuewiese, ähnlich wie bereits Bildern dargestellt. für das Wollmatinger Ried beschrie- ben (Schmidt 1990,1993). Die Vegeta- tion bestand aus einem Steif- und Fa- 6 Begleitfauna denseggenrasen welcher bis zu einer Höhe von 70 cm sehr dichtwüchsig Bei den Erhebungen im Rheindelta war. Darüber waren nur mehr einige konnte auch eine große Population Halme von Gräsern (insbesondere der Sumpf-Heidelibelle (Sympetrum Pfeifengras) bis zu einer Wuchshöhe depressiusculum) dokumentiert wer- von 1,20 m, was den Bestand schon den. Diese Art hat ähnliche Lebensrau- deutlich lichter machte. Zudem war mansprüche bezüglich der Larval- und der Bestand noch mit Schilf durch- setzt, wobei diese einzelnen Schilfhal- me eine Höhe von 1,50 m erreichten. Abb. 15: Fortpflanzungs- & Reifungs- Aufgrund der ähnlichen Verhältnisse phase-Habitat an der linken Rheinmün- in den anderen Streuewiesenstreifen, dung, verschilftes Steifseggenried (Foto: von denen zwei stichprobenartig be- Bertrand Schmidt) inatura – Forschung online 33 (2016) 7 Abb. 16: Fortpflanzungs- & Reifungs­ phase-Habitat am Rohrspitz in Fußach (Foto: Bertrand Schmidt).

Abb. 17: Sommer- & Herbsthabitat im lin- ken Rheinvorland an der Grenze des Na- turschutzgebiets.

Abb. 18: Sommer- & Herbsthabitat an den Rheindämmen - hier ein Abschnitt mit un- terschiedlichen Mahdregime.

inatura – Forschung online 33 (2016) 8 beiden Winterlibellenarten syntop Auch das deutsche Bodenseeufer auch die großflächig gleichartige Pfle- vorkommen. Dies ist im Bereich der kann sicherlich von der großen Popu- ge sowie ein jahreszeitlich zu früher Gaißauer Teiche, am Bruggerloch in lation im Rheindelta profitieren. Die Schnitt. In Kleingewässern abseits des Höchst, sowie bei den Schleienlöchern größeren zusammenhängenden Be- Bodensees kann auch das Aussetzen in Hard der Fall. Diese Überschnei- reichen am westlichen Bodensee sind von Fischen gefährdend wirken. dungszonen sind jedoch nie sehr vielleicht ein bisschen weit entfernt, Vielen dieser Gefährdungsursachen groß. Am Alten Rhein scheint Sympec- das nahe gelegene Eriskircher Ried wurde bereits mit dem Erlass und der ma paedisca an den Gewässern am liegt aber sicher in einem Bereich, in Novellierung der Naturschutzverord- Unterlauf, die von den wechselnden dem ein direkter Austausch möglich nung Rheindelta ein Riegel vorge- Wasserständen des Bodensees beein- sein sollte. Hunger & Schiel (2014) ver- schoben. Zusätzlich wird durch die flusst werden, vorzukommen, wäh- öffentlichten eine aktuelle Arbeit über vom Naturschutzverein Rheindelta rend Sympecma fusca in jenem Bereich die Habitate der Sibirischen Winterli- umgesetzte Gebietsbetreuung die- zu finden ist, der noch als Fließstrecke belle am Untersee. sen Gefährdungsursachen im Natur- ausgebildet ist, und wo die angren- schutzgebiet Rheindelta bereits mit zenden Tümpel geringere Wasser- zahlreichen Fördermaßnahmen ent- standsschwankungen aufweisen. 8 Gefährdungsursachen - gegen gewirkt. Erhaltungs- und Förder­ In den Streuewiesen landseits des maßnahmen Polderdammes wird im Frühjahr der 7 Internationale Bedeutung Wasserspiegel in manchen Gräben Potenzielle Gefahren für den Bestand ab 15. März aufgestaut (Abb. 11 & 12). Der Bestand im Vorarlberger Rhein- der Population sind in erster Linie Im Bereich der Streuewiesen wurden delta gehört zum südlichen Arealaus- negative Veränderungen im Wasser- Entbsuchungsmaßnahmen gesetzt, in läufer des Verbreitungsgebiets und ist haushalt, entweder durch die Entwäs- Randbereichen werden jedoch wich- nicht nur für Österreich von herausra- serung von Mooren und der damit tige Gehölzstrukturen belassen (Abb. gender Bedeutung. verbundene Verlust geeigneter Fort- 19). Eine großflächige Mahd wird in Aufgrund der Mobilität der Art und der pflanzungsgewässer oder durch deren machen Jahren durch zu nasse Bo- möglichen Verdriftungen bei Stark- Eutrophierung durch angrenzende, denverhältnisse verhindert. Bei den windereignissen, kann davon ausge- intensive landwirtschaftliche Nutzung Flächen, die jedoch über das Manage- gangen werden, dass hier ein positiver (vgl. Pfändler 2013; NLWKN 2011). Aber ment vom Naturschutzverein Rhein- Einfluss auf die angrenzenden Gebiete auch Nutzungsintensivierung oder delta bewirtschaftet werden, werden besteht. Die potentiellen österreichi- Nutzungsaufgabe von Streuwiesen einzelne Streuewiesenstreifen immer schen Habitate wurden bereits aufge- kann zur Verschlechterung der Le- erst Anfang März gemäht oder für ein zählt. Aber auch in der benachbarten bensbedingungen führen. Dazu ge- Jahr generell nicht gemäht (Abb. 9 & Schweiz im Kanton St. Gallen sind in hört dann auch eine fortschreitende 10). den vergangen Jahren von Altenrhein Gehölzsukzession. Problematisch sind (mündl. Mitteilung A. Rotach) über Rheineck (eigene Beobachtung durch W. Niederer), St.Margrethen (Knaus & Vorburger 2001) bis Diepoldsau (OFEV 2015) immer wieder neue Sichtungen der Sibirischen Winterlibelle gemel- det worden. Die Situation im Kanton Thurgau wurde durch Hertzog (2010) beschrieben. Auf einen positiven Ef- fekt des Rheindeltas auf diese Berei- che wird auch in der Roten Liste der Schweiz ausdrücklich verwiesen (Gon- seth & Monnerat 2002).

Abb. 19: Faulbaumverbuschungen im Ried sind mögliche Winterhabitate. inatura – Forschung online 33 (2016) 9 Auch an den Rheindämmen wird im auch in anderen Bereichen durch den 10 Literatur Schutzgebiet ein abgestuftes Mahd- Aufstau von Gräben von MItte März bis management realisiert (Abb. 7 & 18), August die Habitatsituation verbessert Amann, P. (2013): Die Libellenfauna der Jagd­ sodass sowohl Nahrungshabitate als werden. berggemeinden. – in: Naturmonogra- auch Ruhe- und Versteckplätze in aus- Auf größeren landes- oder bundes- phie Jagdberggemeinden: 207-228; reichender Form zur Verfügung ste- eigenen Flächen sollten analog zum Dornbirn (inatura Erlebnis Naturschau hen. Dieses Mahdregime erfolgt durch Mahdregime an der Rheinmündung Dornbirn). den Landesflussbauhof und wird jähr- (Abb. 20) inselartige, nicht gemähte Chovanec, A., Schindler, M., Pall, K. & Hostettler, lich mit dem Naturschutzverein Rhein- Schilf- bzw. Streuewiesenbereiche er- K. (2009): Bewertung des österreichisch- delta abgesprochen. halten bleiben. Diese Bereiche sollten en Bodenseeufers auf der Grundlage Für das zukünftige Management ist eine Ausdehnung von mindestens libellenkundlicher Untersuchungen. – auch das Wasserregime im Natur- 5 x 20 m bzw. besser 8 x 50 m haben. Schriftenreihe Lebensraum Vorarlberg, schutzgebiet Rheindelta von zentraler Falls die Wiesen nicht sehr nass sind, ist 59: 43 S.; Bregenz. Bedeutung. Seeseits des Polderdam- entscheidend, dass in jedem Jahr ein Friebe, J.G. (2013): Libellen am Wassergarten mes unterliegt das Gelände den na- anderer Bereich nicht gemäht wird, im Dornbirner Stadtpark (Vorarlberg / türlichen saisonalen Wasserschwan- damit es nicht zu einer unerwünsch- Österreich) (Insecta: ). – ina-­ ­ kungen des Bodensees. Landseits des ten Verbuschung kommt. tura -­ Forschung online, 3: 1-8; Dornbirn. Polderdamms wird durch die Anlagen . spiegel reguliert. Dies hat auch Aus- Friebe, J.G. (2014): Libellen-Beobachtungen wirkungen auf das Naturschutzgebiet Wir danken der inatura Erlebnis Na- (Einzelfunde) aus Vorarlberg (Odonata / Rheindelta. Zahlreiche Streuewiesen turschau in Dornbirn, für die Finanzie- Österreich Austria occ.). – ­inatura - und Gräben sind daher im Sommer zu rung des Projekts «Erfassung der FFH- Forschung online, 9: 1-13. trocken, als dass sie als Larvalhabitate Anhang IV Art in Vorarlberg» und dem . Salzmann Rohrspitz wurde durch den Beobachtern, die Daten zur Verfügung Gonseth, Y. & Monnerat, Ch. (2002): Rote Liste Naturschutzverein Rheindelta der gestellt haben, es sind dies Manfred der gefährdeten Arten der ­Schweiz: Li- Wasserstand durch saisonale Absper- Loner, Dietmar Hollenstein und Georg bellen. – Vollzug Umwelt: 46 S.; Bern rungen in Gräben wieder angehoben. Friebe. Christine Tschisner sei gedankt (BUWAL) & Neuenburg (SZKF/CSCF). Dieses Wasserregime sollte unbedingt für die Hilfe bei der Dateneingabe und Hämmerle, E. (2007): Ergänzungen zur Libel- fortgeführt werden. Zudem sollte für die Durchsicht des Manuskriptes. lenfauna des Naturschutzgebietes Gsieg – Obere Mähder (Lustenau, Vor­ arlberg,­ Österreich). – Vorarlberger Naturschau­ – forschen und entdecken, 20: 313-318, Dornbirn.

Hertzog, M. (2010): Libellen und ihre Leben- sräume im Thurgau. – 111 S.; Scherzin- gen (Selbstverlag).

Hostettler, K. (1993): Libellenfauna des Natur- schutzgebietes Rheindelta. Bestands­ ­ aufnahme Sommer 1991 – Herbst 1992. – unveröff. Bericht: 104 S.

Hostettler, K. (1996a): Die Libellenfauna des NSG Rheindelta (Vorarlberg). – ANAX Mitteilungsblatt der österreichischen ARGE Libellen (ÖAL): 39-59; Wien.

Abb. 20: Altschilfbereiche im Rheinvor- land bei Hard sichern auch im Winter- halbjahr einen geeigneten Lebensraum für die Sibirische Winterlibelle. inatura – Forschung online 33 (2016) 10 Hostettler, K. (1996b): Libellenfauna im Rau- NLWKN (Hrsg.) (2011): Vollzugshinweise zum Schmidt, B. & Sternberg, K. (1999): Sympecma

me Lauterach – Lustenau – Dornbirn. – Schutz von Wirbellosenarten in Nieder- paedisca. – In: Sternberg, K. & Buchwald, Vorarlberger Naturschau – forschen und sachsen. Wirbellosenarten des Anhangs R. (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württem- entdecken, 1: 301-321, Dornbirn. IV der FFH-Richtlinie mit höchster Prior- bergs, Band 1: 440-451; Stuttgart (Ul-

Hostettler, K. (2001): Libellen (Odonata) in ität für Erhaltungs- und Entwicklungs- mer).

Vorarlberg (Österreich). – Vorarlberger maßnahmen. Sibirische Winterlibelle Sonntag, H. (2005): Schlupfbiologische Frei­ Naturschau – forschen und entdecken, (Sympecma paedisca). – Niedersäch- landuntersuchungen an Sympecma 9: 9-134, Dornbirn. sische Strategie zum Arten- und Biotop- paedisca. – Mercuriale, 5: 2-5.

Hostettler, K. (2006): Das Rheindelta und das schutz: 8 S. Stalder, G. (2013): Aktivitäten der Gemeinen

Vorarlberger Rheintal. – in: Raab, R. et al., pecma fusca und Sympecma paedisca)

Hunger, H., Schiel, F.-J. & Kunz, B. (2006): Ver- OFEV (2015): Strategie de Revision du statut im Spätherbst und Winter in ihrem Win- breitung und Phänologie der Libellen liste Rouge des espèces. – info fauna. terhabitat 2010-2013. – Mercuriale, 13: Baden- Württembergs (Odonata). – Li- CSCF & karch | News 40: 2-10. 11-20.

bellula, Supplement 7: 15-188. Pfändler, U. (2013): Merkblätter Arten. Libel- St. Quentin, D. (1963): Die infraspezifischen

Hunger, H. & Schiel, F.-J. (2014): Sympecma len. Sympecma paedisca. – 5 S.; Neuen- Formen von Sympecma paedisca BRAU- paedisca am westlichen Bodensee burg (Schweizerische Arbeitsgemein- ER. – Annalen des Naturhistorischen – neue Beobachtungen zu Bestands­ schaft für Libellenschutz, CSCF info Museums in Wien, 66: 381-383.

schwankungen und Fortpflanzungs­ fauna) & Bern (BAFU). Wildermuth, H., Gonseth, Y. & Maibach, A.

habitaten (Odonata: ). – Libel- Prenn, F. (1924): Sympecma paedisca BR. (Hrsg.) (2005): Odonata. Die Libellen der lula, 33 (3/4): 195-209. (Odonata, Lestidae) in Nordtirol. – Ver- ­Schweiz. – Fauna Helvetica, 12: 398 S.;

Jödicke, R. (1997): Die Binsenjungfern und handlungen der zoologisch botanisch- Neuchâtel (CFCS/SEG).

Winterlibellen Europas. – Die Neue en Gesellschaft in Wien, 74/74: 135-140. Wust, E. & Alge, R. (1999): Libellen und wir-

Brehm-Bücherei, 631: 277 S. Raab, R., Chovanec, A. & Pennerstorfer, J. (2006): bellose Wassertiere des Naturschutzge-

Knaus, P. & Vorburger, C. (2001): Neuer Fund­ Libellen Österreichs. – 343 S.; Wien bietes Gsieg-Obere Mähder, Lustenau

ort von Sympecma paedisca in der Ost­ (Umweltbundesamt); Wien – New York (Vorarlberg). – in: Alge, R. (Red.): Natur- schweiz (Odonata: Lestidae). – Libellula, (Springer). monographie Gsieg - Obere Mähder.

20 (1/2): 91-96. Schmidt, B. (1990): Faunistisch-ökologische Vorarlberger Naturschau – forschen und

Kuhn, K. & Burbach, K. (1998): Libellen in Bay- Untersuchungen zur Libellenfauna entdecken, 6: 111-120, Dornbirn. ern. – 333 S.; Stuttgart (Eugen Ulmer). (Odonata) der Streuwiesen im NSG Woll-

Landmann, A., Lehmann, G., Mungenast, F. & matinger Ried bei Konstanz. Auswirkun-

Sonntag, H. (2005): Die Libellen Tirols. – gen und Bedeutung der Streuwiesen- 324 S.; Innsbruck (Berenkamp). mahd und Überschwemmungen auf

Lauterborn, R. (1941): Faunistische Beobach- die Libellenbesiedlung.- Naturschutzfo- tungen aus dem Gebiet des Oberrheins rum 3/4 (1989/1990): 39-80.

und des Bodensees. 10. Reihe. – Mit- Schmidt, B. (1993): Die Sibirische Winterlibelle teilungen des Badischen Landesvereins (Odonata) im südwestlichen Alpenvor- für Naturkunde und Naturschutz e.V., land. – carolinea, 51: 83-92; Karlsruhe. NF 4 (7): 249-252.

inatura – Forschung online 33 (2016) 11