XVIII. Die Auswanderung Aus Makedonien
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XVIII. Die Auswanderung aus Makedonien Christos Mandatzis Makedonien, immer schon ein traditionelles Zentrum des Zusammentreffens, der Kommuni- kation und der Koexistenz der Balkanvölker, war eine der dynamischsten Regionen des Balkans, ein Raum, wo sich zahlreiche der sozioökonomischen Aktivitäten der Balkanländer entwickelten. Gleichzeitig stellte es den Schauplatz zahlreicher Kriege und Zusammenstöße und somit den Gegenstand von Ansprüchen dar, die alle Nachbarländer mit militärischen und diplomatischen Mitteln durchzusetzen versuchten. Außerdem war Makedonien auch eine Re- gion, in der sich umfassende – vorübergehende oder bleibende – Migrations- oder Auswanderungsbewegungen aus diesen Ländern vollzogen. Diese Studie soll die Aspekte der Entwicklung des Auswanderungsphänomens in Makedonien, insbesondere vom Ende des 19. bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, be- leuchten. Dabei werden die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ursachen, die zum Auftreten dieses Phänomens führten und jeweils auch die Art und Weise beeinflussten, wie diese Migration sich entwickelte, nur kurz berührt werden. Denn diese Ursachen, die direkt mit der Geschichte der Region in Verbindung stehen, werden anderswo ausführlich behandelt. Von primärem Interesse ist dabei die Abwanderung von Bewohnern Makedoniens in Länder des Auslandes, wo sie sich gewöhnlich bessere Perspektiven für ihr persönliches oder familiäres Leben erhofften. Nicht berücksichtigt werden dabei andere Massenmigrations- bewegungen (sei es in Form freiwilliger Abwanderungen oder erzwungener Vertreibung), wie sie im 20. Jahrhundert auf Grund der politischen Entwicklungen oder der Änderungen des Grenzverlaufs auf dem Balkan stattfanden, meist im Anschluss an bewaffnete Konflikte und internationale Abkommen, wie z.B. die mehr als siebzehn Migrationsströme (oder zutref- fender Flüchtlingsströme), die in Makedonien im Zeitraum von 1912 bis 1924 zu verzeichnen waren, oder die Abwanderung von etwa 56.000 Personen, die nach dem Ende des griechischen Bürgerkriegs in die Länder des damaligen Ostblocks flohen. In der Emigrationsgeschichte Makedoniens lassen sich im Wesentlichen sechs Zeiträume erkennen (wie auch in der Emigrationsgeschichte des Griechenlands der Neuzeit im Allgemeinen), und zwar im 19. Jahrhundert, 1890-1920, 1920-1940, 1941-1954, 1955- 1977 und zwischen 1977-19841. 1. Die migratorische Vergangenheit von Makedonien Bereits im 16. Jahrhundert führte der geringe Bedarf an Bauern in den wenig fruchtbaren Ebenen von Makedonien (wie etwa in den Landgütern in den Ebenen von Thessalien) zu den ersten beachtenswerten Migrationsströmen innerhalb dieser Regionen. Später (gegen Ende des 17. Jahrhunderts, während des 18. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Bildung von Landgütern) riefen die feudalistischen Umwälzungen zur Einnahme und zur Kontrolle der nicht bebauten staatlichen Böden zu einer breiten Abwanderung der ein- heimischen Bevölkerung Makedoniens nach Bulgarien. Die Armut und die unerträgliche Sklaverei verstärkten den Strom jener, die aus Make- donien in jene Länder des Osmanischen Reichs, in Länder der weiteren Balkanregion oder des übrigen Europas abwanderten, wo die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen besser waren. Die ersten Emigranten, die nach dem Fall von Konstantinopel bis zum 18. Jahrhundert abwanderten, taten dies, da die Gebirgs- und Wald- und abgelegenen Randgebiete Makedoni- ens nicht die Bevölkerung ernähren konnten, die vor den Unterdrückungen der Osmanen in CHRISTOS MANDATZIS 417 diese Regionen geflohen waren. Weitere Gründe waren das allgemeine Fehlen von Sicherheit, insbesondere in den nördlichen Regionen von Griechenland, nach dem 17. Jahrhundert, die Wiederaufnahme von Wirtschaftskontakten zwischen Westen und Osten, die nach dem Fall der byzantinischen Hauptstadt unterbrochen wurden, sowie die Verringerung der Bevölkerung in den benachbarten ungarischen Provinzen des Habsburgerreichs. Die Tendenz der Makedonier zur Emigration wurde durch die geographische Nähe der Städte, Kleinstädte oder Dörfer insbesondere von Westmakedonien zu Italien und Venedig, zu den südlichen Balkanländern und Mitteleuropa über das Tal des Aliakmon, des Axios, des Morava und der Donau, erleichtert. Nach 1600 nahm die Emigrationsbewegung aus Makedonien nach Serbien, Rumänien und insbesondere nach Österreich-Ungarn deutlich zu. Von Siatista und Kastoria, von Kozani und Grevena brachen die Karavanen in Richtung Belgrad, Zemun, Wien und Budapest auf. Andere Wege führten von Thessaloniki nach Sofia, Vidin und von dort nach Wien oder in die Walachei oder Moldavien. Makedonische Emigranten aus Kozani, Siatista, Naoussa, Selitsa, aber auch aus Veria, Kastoria, Vogatsiko, Doirani, Servia, Moschopoli, Serres, Thessaloniki, Monastir, Gavrovo gründeten bereits während des 18. Jahrhunderts Handels- und Gewerbe- Kolonien sowie Handels- und Finanzhäuser in Ungarn und Österreich. Die Emigranten verbrachten Monate oder auch Jahre in der Fremde, insbesondere als Saisonarbeiter, aber auch als Handwerker – Bauarbeiter, Schreiner, Schmiede, Erfahrene oder Lehrlinge – oder als Händler, die für eine längere Zeit, von fünf bis zwanzig Jahren, im Ausland blieben, meist mit dem Ziel des Erwerbs von Reichtum. Während dieser frühen Phase war eine Abwanderung der ganzen Familie eher die Ausnahme. In der Regel ging der Mann der Familie ins Ausland, um mit der Zeit eines oder mehrere männliche Mitglieder der Familie und seltener die Ehefrau nachzuholen. Irgendwann wurde dieser Aufenthalt dann zu einem dauerhaften. Der nächste Emigrationsstrom begann im Jahr 1804 und erreichte im Jahr 1830 seinen Höhepunkt. Hauptgrund war die Hoffnung auf Reichtum im damals halbautonomen Serbien sowie das Scheitern der Aufstandsbewegung in Makedonien in den Jahren 1821-22. Die Ge- metzel und Plündereien, die auf die Unterdrückung der Bewegung folgten, veranlassten viele Makedonier aus Kleissoura, Siatista, Pissoderi, Selitsa, Serres, Katranitsa (Pyrgoi), Eordaia, Thessaloniki, Vlatsi und Meleniko dazu, ihre Heimat zu verlassen, und sich in Städten wie Nis, Kragoujevats und anderen kleineren Städten, in Belgrad, Zemun, Novi Sad, Zagreb u.a. niederzulassen. Vorrangige Tätigkeitsbereiche waren der Handel und damit verwandte Ar- beiten, wie der Bank-, Post, Transport- und Kommunikationssektor. Eine fundierte Untersuchung bestätigt die Niederlassung der Griechen in Regionen, die für den Handel, den Erwerb von wirtschaftlichem Wohlstand und die Gründung von Unternehmen geeignet und günstig waren, wie es später in Kanada, den USA und Australien der Fall sein sollte2. 2. Der Zeitraum 1890 – 1920 Während des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts begann die Abwanderung aus der europäischen Türkei und dem damals von den Türken beherrschten Makedonien auf den amerikanischen Kontinent (etwa zur gleichen Zeit, als auch allgemein die griechische Migra- tionsbewegung in die USA einsetzte). Jener Zeit waren eine starke Assimilierungspolitik der Nationalstaaten des Nordbalkans sowie Mittel- und Westeuropas zu Lasten der Makedonier und anderen Auslandsgriechen sowie die Ergreifung von immer mehr Maßnahme, die ihre wirtschaftlichen und sonstigen Aktivitäten einschränkten, vorausgegangen. 418 DIE AUSWANDERUNG AUS MAKEDONIEN Darüber hinaus war die Abwanderung in andere Balkanländer und innerhalb der Gren- zen des Osmanischen Reichs für eine Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme Makedoniens nicht mehr ausreichend. Der makedonische Emigrant hatte es in den anderen Balkanländern (Bulgarien, Rumänien, Serbien) versucht, hatte für seine Handelsziele Kolo- nien in den Ländern Mitteleuropas gegründet, hatte es in Ägypten und in anderen Ländern des schwarzen Kontinents versucht, und betrachtete nun die Möglichkeit einer Abwanderung auf den amerikanischen Kontinent als eine Art Ausdehnung der Reisen, die er bereits unternom- men hatte. Einige dieser Länder, wie etwa Ägypten, waren häufiger nichts anderes als eine erste Zwischenstation, bevor der Makedonier (oder der Grieche allgemein) zu einem der neuen Kontinente aufbrach. So wurde die überseeische Migration nach Amerika zu einem Teil des Migrationskreises, der zunächst das Mittelmeerbecken, später Europa und schließlich andere Länder auf anderen Kontinenten umfasste. Bis etwa in das Jahr 1903 vollzog sich die Auswanderung nach Amerika nur sehr zöger- lich und betraf insbesondere die Bewohner von Westmakedonien. Zwischen 1895 und 1901 sind den Aufzeichnungen nach 500 Männer aus der Region von Florina nach Amerika abge- wandert. Doch die Lage, die sich in Makedonien nach dem Jahr 1903 und nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes von Ilinden durch das osmanische Heer herausgebildet hatte, ließ die Abwanderung, insbesondere jene in ein Land außerhalb des Bal- kans, zu einer Notwendigkeit werden. Während der folgenden sechs Jahre vor 1908 zeigte der Migrationsstrom in die USA einen beträchtlichen Zuwachs. Auch wenn es auf Grund der Un- zuverlässigkeit der Daten nicht möglich ist, eine genaue Zahl anzugeben, so sind Schätzungen nach in den Jahren 1903-1908 etwa 30.000 Bewohner Makedoniens in die USA ausgewan- dert. Davon sollen, so die Schätzungen, etwa 80% aus den Regionen von Florina-Kastoria und Monastir gewesen sein. In den Wirbeln des Makedonischen Kampfes (1904-1908) und der Zusammenstöße zwischen rivalisierenden bewaffneten Truppen weitete sich das Phänomen der Abwanderung von diesen Regionen auch auf die Vilayets Kosovo und Thessaloniki aus. Von ihnen kehrten während des gleichen Zeitraums etwa 4.000 Auswanderer in alle drei Vi-