Rezension Über: Charles D. Gunnoe, Thomas Erastus and the Palatinate
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Zitierhinweis Strohm, Christoph: Rezension über: Charles D. Gunnoe, Thomas Erastus and the Palatinate. A Renaissance Physician in the Second Reformation, Leiden/Boston: Brill, 2011, in: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF), 40 (2013), 3, S. 512-513, DOI: 10.15463/rec.1189724069 First published: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF), 40 (2013), 3 copyright Dieser Beitrag kann vom Nutzer zu eigenen nicht-kommerziellen Zwecken heruntergeladen und/oder ausgedruckt werden. Darüber hinaus gehende Nutzungen sind ohne weitere Genehmigung der Rechteinhaber nur im Rahmen der gesetzlichen Schrankenbestimmungen (§§ 44a-63a UrhG) zulässig. Pfad: L:/Archiv/2013/ZE/ZHF/3-2013/ZHF-3-2013 03-Buchbesprechungen.3d (NR/AR) Union / Heinr 28. 1. 2014 S. 512 ( von 554 ) 512 Buchbesprechungen während Birgit Emich Herzogin Elisabeth und ihre Gerichtsreform darstellt und in ihre Zeit einordnet. Ein Beitrag zur Entwicklung des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds von Manfred von Boetticher sowie die vollständige Edition eines Inven- tars über die Besitztümer von Herzogin Elisabeth, darunter ihrer Bibliothek, aus dem Jahr 1539, Register und Literaturverzeichnis schließen den Band ab. Katrin Keller, Wien Gunnoe, Charles D., Thomas Erastus and the Palatinate. A Renaissance Physician in the Second Reformation (Brill’s Series in Church History, 48), Leiden/Boston 2011, Brill, XVI u. 525 S., € 119,00. Bis zur Publikation des vorliegenden Werkes gab es keine umfassende kritische Darstellung des Lebens und Werkes Thomas Erastus’. Allein die auf das Thema „Kir- chenzucht“ konzentrierte Studie von Ruth Wesel-Roth von 1954 bot einschlägige In- formationen. Dieser Sachverhalt ist umso erstaunlicher, als der langjährige Leibarzt Kurfürst Friedrichs III. (des Frommen) und Medizinprofessor der Universität Heidel- berg eine zentrale Rolle beim Übergang der Kurpfalz zum reformierten Protestantis- mus Anfang der sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts gespielt hat. Schon im Titel kündigt der Verfasser an, dass die Studie schwerpunktmäßig die Jahrzehnte der Wirksamkeit in der Kurpfalz behandelt. Dies ist insofern sachgemäß, als die frühen Jahre und die Studienzeit weitgehend im Dunkeln liegen. Die wenigen erhaltenen relevanten Quellen werden in einem einleitenden Teil diskutiert (1–48). Schon das Geburtsdatum ist unsicher und lässt sich nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf das Jahr 1524 festlegen. Beim Herkunftsort Baden handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den im Schweizerischen Kanton Aargau (und nicht den im Südwestdeutschen) liegenden Ort. Ausbildung und Studium erfolgten wohl in Zürich und Basel sowie an verschiedenen Orten Italiens. Mit dem Wechsel nach Bologna 1544 begann ein bis 1555 dauernder Aufenthalt in Italien. Im Jahr 1552 wurde Erastus in Bologna promoviert. Die erhaltenen Briefe und die Arbeit an einem (erst 1565 gedruckten) Werk zur Logik zeigen ihn als einen dem Humanismus verbundenen Gelehrten. Nach einer ungefähr zweijährigen Anstellung am Hof des Grafen von Hen- neberg (ca. 1555–1557) übernahm er im Jahr 1558 eine Professur an der Medizi- nischen Fakultät der Universität Heidelberg. In seinen medizinischen Schriften ist Erastus als profilierter Gegner des Paracelsis- mus hervorgetreten (263–333). In der Frage der Behandlung der Hexen hat er das Plä- doyer des Arztes Dietrich Weyer, diese als verwirrte Frauen mit Milde zu behandeln und auf die Todesstrafe zu verzichten, zurückgewiesen (339–374). Zu Recht widmet der Verfasser Erastus’ Mitwirkung an den konfessionellen Entwicklungen der Kur- pfalz deutlich mehr Aufmerksamkeit als dem medizinischen Werk (51–260). Denn hier hat Erastus die nachhaltigsten Wirkungen entfaltet. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Heidelberg brach der Streit über das Abendmahl aus und bald wurde Erastus zu ei- nem der wichtigsten Akteure in den Auseinandersetzungen, die den Übergang der Kurpfalz zum reformierten Protestantismus mit sich brachten. Bereits ab 1559 oder 1560 war er Mitglied des Kirchenrats. Die Jahre 1560 bis 1563 erscheinen als die Zeit seines größten Einflusses auf die kurpfälzische Kirchenpolitik (75). Der Zuzug nieder- ländischer und französischer Glaubensflüchtlinge wirkte dem jedoch bald entgegen. Mit Hilfe einer eingehenden Analyse des Briefwechsels werden die engen Verbin- dungen Erastus’ zu Heinrich Bullinger und anderen Zürichern rekonstruiert. Diese Zusammenhänge sind von besonderer Relevanz für die Frage der Entstehung und des Pfad: L:/Archiv/2013/ZE/ZHF/3-2013/ZHF-3-2013 03-Buchbesprechungen.3d (NR/AR) Union / Heinr 28. 1. 2014 S. 513 ( von 554 ) Buchbesprechungen 513 Profils des Heidelberger Katechismus. Der Verfasser kann einen stärkeren Einfluss Erastus’ auf die Entstehung des Katechismus wahrscheinlich machen, als das bisher geschehen ist. Nicht nur der Briefwechsel, sondern auch zwei in deutscher Sprache verfasste und vom Kurfürsten geschätzte Schriften zum Abendmahl erweisen den Laientheologen Erastus als wichtigen Impulsgeber (107–131). Neben der Mitwirkung am Übergang der Kurpfalz zum reformierten Protestantis- mus zeichnet der Verfasser den Verlust des „reformierten Konsenses“ in der Kurpfalz im Zuge der Auseinandersetzungen um die Kirchenzucht nach (135–260). Erastus wurde zum profiliertesten Gegner der kurpfälzischen Theologen und Räte, die ein konsistoriales Kirchenzuchtmodell nach Genfer Vorbild errichten wollten. Er selbst orientierte sich an der Züricher Lösung, in der die Sittenzucht in den Händen der weltlichen Obrigkeit lag. Darüber hinaus suchte er die Exkommunikation als unbib- lisch zu erweisen und erläuterte das in einer allerdings erst 1589 (nicht 1598, wie 389 angegeben) gedruckten Schrift. Anhand der Analyse verschiedener Korrespondenzen werden die Auswirkungen der Heidelberger Auseinandersetzungen auf das Verhältnis Heinrich Bullingers in Zürich und Theodor Bezas in Genf herausgearbeitet. Während diese eher auf Mäßigung drangen, verschärfte sich der Konflikt insbesondere mit Cas- par Olevian. Eine klare Entscheidung zugunsten der „Disziplinisten“ um Olevian fiel erst, als antitrinitarische Umtriebe in Erastus’ engerer Umgebung Aufsehen erregten. Mit der Flucht Adam Neusers 1571 und der Hinrichtung Johann Sylvans 1572 war Erastus’ Niederlage besiegelt (229–242). Der Verfasser zeigt ferner auf, dass auch die wachsende Bedeutung der Theologen der Flüchtlingsgemeinden, insbesondere Petrus Dathenus’, maßgeblich dazu beigetragen hat. Im Schlussteil wird ein Überblick über die Rezeption der Bezeichnung „Erastianis- mus“ sowie die weiterwirkenden Überlegungen Erastus’ zum Verhältnis von Kirche und Staat gegeben. Das früheste Wirkungszentrum waren die Niederlande, wo sich die Gegner der calvinistischen Kirchenzucht (wie zum Beispiel Caspar Coolhaes) seit den 1570er Jahren daran orientierten. Einer der wichtigsten Vertreter des Erastianis- mus in den Niederlanden war Johan van Oldenbarnevelt, der 1568 an der Universität Heidelberg eingeschrieben war, genau zu dem Zeitpunkt, als hier der Konflikt um die Kirchenzucht ausbrach. Noch wichtiger sind die Bezugnahmen in Hugo Grotius’ Werk „De Imperio Summarum Potestatum circa Sacra“ (395 f.). Ein weiterer Schwerpunkt der Rezeption war England (396–410). Auch hier nennt der Verfasser die wichtigsten Namen, skizziert die unterschiedlichen Frontstellungen. Zu Recht hebt er – wie jüngst auch Eric Nelson – die Verknüpfung des Erastianismus mit jüdischen Studien hervor; sichtbar zum Beispiel an Thomas Coleman (1597/9–1646) oder John Selden (1584– 1654). In verschiedenen Anhängen werden eine Übersicht über die Professoren der Uni- versität Heidelberg von 1560–1577, Exzerpte aus Erastus’ Briefen mit englischer Übersetzung sowie eine nach Korrespondenzpartnern geordnete Auflistung des ca. 400 Stücke umfassenden Briefwechsels gegeben. Gunnoes Studie bietet einen rei- chen Ertrag. Leben und Werk des Mediziners und Laientheologen Erastus, der einen wichtigen Beitrag zur kurpfälzischen Reformationsgeschichte wie zur Diskussion um die Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Frühen Neuzeit geleistet hat, werden unter eingehender Auswertung der erreichbaren Quellen aufgehellt. Dass man dabei besser nicht das problematische Konzept der „Zweiten Reformation“ zu- grundelegen sollte („A Renaissance Physician in the Second Reformation“), fällt ange- sichts des erheblichen Forschungsertrags nicht weiter ins Gewicht. Christoph Strohm, Heidelberg.