Mitteilungen aus dem Biosphärenreservat Rhön 9. Monografie (2019)

Historische Landnutzung im UNESCO-Biosphären- reservat Rhön

– Thüringer Teil –

Görner, Martin Informationsmaterial des Biosphärenreservats Rhön / Verwaltung Thüringen

9. Monografie 2019

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Umschlag: Heuernte mit Ochsengespann in Thüringen um 1900 (Foto: Archiv AAT)

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Gestaltung: K. Maltzahn Druck: Druckhaus Gera GmbH Inhalt

Vorwort ...... 4

1. Einleitung ...... 5

2. Struktur des Gebiets ...... 6

3. Landnutzung ab etwa 1850 ...... 13

4. Landwirtschaft ...... 21

5. Forstwirtschaft ...... 48

6. Das Gebiet zwischen 1961 und 1990 ...... 60

7. Entwicklung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön in Thüringen ...... 64

8. Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt der Thüringer Rhön ...... 68

9. Literatur ...... 78

3 Vorwort

Landschaften haben sich durch vielfältige na- Mit der Einführung der Großflächenbewirt- türliche Einflüsse, z. B. durch Klimaverände- schaftung durch die Landwirtschaftlichen rungen, immer wieder gewandelt. Pflanzen Produktionsgenossenschaften (LPG) ab den und Tiere mussten sich an die neuen Bedin- 1960er Jahren veränderte sich das Gesicht gungen anpassen – oder sie verschwanden. der thüringischen Rhön kolossal und in ei- Auch neue Arten wanderten ein und besetzten nem sehr kurzen Zeitraum. Unzählige Klein- frei gewordenen Räume. Diese Prozesse las- strukturen wie Heckenraine, Streuobstwie- sen sich auch heute noch beobachten. sen, Feuchtflächen und Feldwege verschwan- Solche natürlichen Veränderungen der Land- den. Kleingewässer wurden begradigt oder schaft liefen meist langsam und in relativ verrohrt. langen Zeiträumen ab. Als die Menschen vor Die vorliegende Monografie aus der Reihe ca. 10.000 bis 12.000 Jahren im Südosten der „Mitteilungen aus dem Biosphärenreservat heutigen Türkei und im fruchtbaren Halb- Rhön“ zum Thema „Historische Landnut- mond im Nahen Osten (vom Süden des heu- zung“ zeigt diese Landschaftsveränderungen, tigen Irak über Nordsyrien, den Libanon, Is- die Änderungen der landwirtschaftlichen rael, Palästina und Jordanien) von Jägern und Kulturen und Erntemethoden in den letzten Sammlern zu sesshaften Ackerbauern und 100 Jahren und die damit verbundenen Aus- Viehzüchtern übergingen, begannen sie die Le- wirkungen auf das Vorkommen von Pflanzen bensräume zu gestalten. Aus Naturlandschaf- und Tieren in der Kulisse des heutigen thürin- ten wurden schrittweise Kulturlandschaften. gischen Teils des UNESCO-Biosphärenreser- Mit der Sesshaftwerdung und der Entwicklung vats Rhön auf. immer besserer und effektiverer Werkzeuge Diese Monografie ist für Fachleute, aber auch wurden die Naturräume, z. B. durch Waldro- für interessierte Laien, eine Fundgrube. dungen zur Gewinnung von Ackerflächen, im- mer schneller verändert. Damit einher ging auch die Verschiebung des Artenspektrums Liebe Leserinnen und Leser, von Pflanzen und Tieren in der Landschaft. Mit der einsetzenden Industrialisierung im ich wünsche Ihnen eine interessante und 18. und 19. Jahrhundert begann sich die Spi- spannende Lektüre. rale der Umgestaltung der Landschaft um ein weiteres wesentlich schneller zu drehen.

Karl-Friedrich abe Leiter der Thüringer Verwaltung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön

4 1. EINLEITUNg

Die Darstellung einer historischen Landnut- zung in einem Territorium, hier der thüringi- sche Teil des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön, ist immer heikel. Dafür gibt es mehrere Gründe. Da es um weit zurückliegende Zeiten geht, spielt die Qualität der historischen Quellen eine entscheidende Rolle. Daher gilt die Aufmerksamkeit mehr der Dokumentation als einer Bewertung. Es wird auch nicht der Versuch unternommen, die Entwicklungen in dem zu betrachtenden Gebiet zu kritisieren, zumal die Grenzen des heutigen Untersuchungsgebiets (vgl. Abb. 1) keine natürlich gewachsenen sind. Der Rück- blick auf diesen Teil des heutigen Biosphä- renreservats soll die Entwicklungen in diesem Landschaftsraum ab etwa 1850 skizzieren und die Veränderungen in dem dortigen Ge- biet in unser Bewusstsein einbringen. Nur so kann es möglicherweise gelingen, Landschaft als ein dynamisches Gebilde zu verstehen. Abb. 1: Der thüringische Flächenanteil am Als Belege halfen topographische Karten, Fo- Biosphärenreservat Rhön. In der Karte sind tos und Literaturquellen zur Aufhellung des die unterschiedlichen Zonen dargestellt. Themas. Es kommt darauf an, die Formen- vielfalt der betreffenden Landschaft zu deu- ten und ihre Landnutzungen zu verstehen. rungen langsam und werden daher kaum Der Mensch vermag, aus welchen Interessen wahrgenommen. Die Landschaftsgeschich- auch immer, das Antlitz von Landschaften zu te spiegelt die gesellschaftliche Entwick- verändern. Oft waren und sind es wirtschaft- lung wider. Uns muss bewusst werden, dass liche Gründe, die ihn dazu zwingen. spätestens seit den frühen mittelalterlichen Heute gelingt es den Menschen immer weni- Waldrodungen der Mensch der entscheiden- ger, sich in die Lage zu versetzen, sich nach de Landschaftsgestalter ist. Inzwischen sind Jahren zu erinnern, wie einst die Landschaft überall in Mitteleuropa Kulturlandschaften ausgesehen hat. In der Regel verlaufen vom entstanden, die eindeutige Spuren des Men- Menschen ausgeübte Landschaftsverände- schen dokumentieren.

5 2. STRUkTUR dES gEBIETS

Naturräumlich gehört der Thüringer Teil des Weideflächen, Gehölzstreifen sowie kleinere länderübergreifenden UNESCO-Biosphären- Waldflächen. Ein besonders hervorzuheben- reservats mit seinem kleinsten Flächenanteil des Landschaftselement stellen die Lesestein- zur Hohen Rhön, zur Vorderrhön und zum wälle dar. Flächen, die nicht gehölzbestanden Buntsandstein-Hügelland (vgl. hieKel et al. sind oder Siedlungen tragen (Birx, Franken- 2004). Die Anteile der drei landschaftlichen heim, ), wurden früher auch als Einheiten sind aus Abb. 2 ersichtlich. Ackerland genutzt. Das Plateau der Hohen Rhön in Thürin- Die Vorderrhön umfasst den thüringischen gen befindet sich 600 bis über 900 m ü. NN Teil der Basaltkuppen-Vorländer sowie das und umfasst eine Fläche von ca. 20 km². Ty- Triasberg- und -hügelland. Hier sind als ty- pisch für diese Landschaft sind heute größere pisch die bewaldeten Basaltkuppen und Mu- schelkalkhöhen zu bezeichnen, wobei die Vorderrhön ein stark reliefiertes Berg- und Hügelland ist. Hier reichen die Höhenlagen von ca. 250 m in den Flussauen bis zu über 700 m ü. NN der Hohen Geba. Neben dem relativ hohen Flächenanteil von Halbtrockenrasen in diesem Naturraum sind auch die Ackerterrassen sowie die landwirt- schaftliche Nutzung der sonstigen Feldflä- chen hervorzuheben. Die Böden sind nähr- stoffreich. Im Bereich des Basaltes durchragen oft kleinere bis größere Steine die Erdoberflä- che. Im Muschelkalkgebiet sind auch Skelett- böden keine Seltenheit. Der Waldanteil wurde in der Hohen Rhön seit mehreren Jahrhunderten zurückgedrängt, so dass die Gesamtfläche innerhalb des Biosphä- renreservats derzeit ca. 30 % beträgt (Thürin- ger Teil). Erstmalig propagierte KöniG im Jahr 1815 das Anlegen von Windschutzstreifen und Schutz- aufforstungen mit Fichte, wodurch sich spä- Abb. 2: Flächenanteile an den unterschied- ter die Waldfläche vergrößerte (vgl. Abb. 3). lichen Naturräumen innerhalb des BR Rhön Das Buntsandstein-Hügelland ist ein Thüringer Teil (nach Hiekel et al. 2004) stark bewaldeter Naturraum mit Kiefer,

6 Abb. 3: Waldflächenveränderungen in der thüringischen Hochrhön von 1857 bis 1956 nach ScHwartz (1962)

Fichte und Rotbuche. Es liegt zwischen 300 2.1 geländeaufnahmen bis 500 m ü. NN. Typisch sind die Kuppen, Riedeln und Hochflächenreste. Mehrere Im Jahr 1857 und den nächsten Jahren erfolg- Bachtäler mit Quellen und Bächen, deren te erstmals die topographische Aufnahme des Wasserführung weitgehend ausgeglichen ist, heutigen Territoriums des thüringischen Teils zeichnet das Gebiet aus. Das Feldatal weist des Biosphärenreservats. Die Topografie des beispielsweise mehrere und unterschiedliche Gebiets ist der Abb. 4 zu entnehmen, die Kar- Biotoptypen auf. tengrundlagen wurden ab 1874 veröffentlicht.

7 Abb. 4: Topografische Geländeaufnahme auf Messtischblattbasis aus dem Jahr 1857

2.2 Politische Zuständigkeiten Aus den Abb. 5, 6 und 10 sind die politischen können der jeweiligen Karte entnommen wer- Zuständigkeiten des heutigen Thüringer An- den. Heute haben Teile des Wartburgkreises teils des Biosphärenreservats zu erkennen. und des Landkreises -Meinin- Die historischen Zeitschnitte liegen um 1700, gen im Freistaat Thüringen an diesen Flächen 1800 und 1918. Die weiteren Einzelheiten entsprechende Anteile.

8 Abb. 5: Politische Einteilung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön Thüringer Teil im Jahr 1700 (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Politische Entwicklung Thüringens, Karte 7)

9 Abb. 6: Politische Einteilung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön Thüringer Teil im Jahr 1800 (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Politische Entwicklung Thüringens, Karte 7)

10 Abb. 7: Grenzstein am Windberg Abb. 8: Wappenstein bei Mieswarz (Foto: K.-F. Abe) (Foto: K.-F. Abe)

Die Abbildungen 7 bis 9 von verschiedenen Grenzsteinen legen Zeugnis aus vergange- nen Jahrhunderten ab. Diese Grenzsteine be- finden sich im Thüringer Teil des UNESCO- Biosphärenreservats Rhön. Die Erhaltung und Pflege dieser Steine ist eine kulturhistorische Aufgabe. Die Schriftzeichen GHSW (Abb. 9) stehen für das Großherzogtum Sachsen-Weimar.

Abb. 9: Grenzstein zwischen den ehemaligen (Groß-) Herzogtümern Sachsen-Weimar und Sachsen- bei und Kaltenlengsfeld (Foto: K.-F. Abe)

11 Abb. 10: Politische Einteilung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön Thüringer Teil im Jahr 1918 (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Politische Entwicklung Thüringens, Karte 7)

12 3. LaNdNUTZUNg aB ETwa 1850

Die kärglichen Verhältnisse in Landwirtschaft nigte, Quellen fassen und Drainagegewässer und Industrie kennzeichnen die wirtschaft- in Rohrleitungen den Viehtränken zuführen liche Situation in der thüringischen Hohen ließ (KaiSer 1933). Rhön seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Tierzucht und Viehhaltung, hier beson- Die Lebensbedingungen der Bewohner der ders die Schafhaltung, hat auch zur Züchtung Hohen Rhön schilderte KöniG 1827 wie folgt: des Rhönschafes geführt. „Seit Eineinhalb Jahrhundert ist diese Land- In vielen thüringischen Rhöndörfern ent- schaft als unwegsam und arm, ihr Klima als wickelten sich die Holzschnitzerei, auch Peit- rauh und unwirtlich bekannt.“ riehl (1856) schenstock- und Korkschnitzerei. Als Heimin- behandelt den zentralen Teil der Rhön als „Das dustrie dieses Landstriches sei die Weberei Land der armen Leute“ (vgl. Schwartz 1962). zu erwähnen, die auf Flachsanbau gegründet In der thüringischen Rhön beträgt der An- war. Ebenso ist die ehemalige Verarbeitung teil des Acker- und Gartenlandes etwa 20 von Tabak in Frankenheim, Oberweid, Kal- bis 40 % der Gesamtfläche. Hier wurden be- tensundheim und Kaltennordheim zu nen- vorzugt Hafer und Roggen angebaut. Nach nen. KaiSer (1933) erreichen die Wiesen auf den Weitgehend unbekannt ist heute auch der in ausgedehnten Hochflächen der Rhön, wo Ab- der thüringischen Rhön über 200 Jahre be- holzungen in früheren Jahrhunderten Hoch- triebene Braunkohlenbergbau, der um 1900 weiden und Hutungen entstehen ließen, ihre eingestellt wurde. größten Flächen. Das höchst gelegene Dorf der thüringischen Der thüringische Staat vollbrachte von 1924 Rhön ist Frankenheim in Hochflächen-Mul- bis 1928 eine „Kulturtat“, indem er 1.000 ha denlage. Noch Ende des 18. Jahrhunderts war Rhönhutungen von ihrer „Blockstreu“ berei- es von Wald umgeben. Seit 1824 gab es keinen

Abb. 11: Hutung bei Unterweid (thüringische Rhön) vor und nach der Melioration (aus kaiSer 1933)

13 zustellen. Beispielsweise Hafer, ein typisches Pferdefutter, wurde auch zur menschlichen Ernährung verwendet. Die kleinbäuerliche Struktur in den verschie- denen Gebieten der thüringischen Rhön war durch eine unterschiedliche Viehhaltung ge- kennzeichnet. Zahlreiche Grünlandflächen der Rhön waren zu feucht, aber auch zu hän- gig. Daher ließen sich solche Flächen nicht in Acker umwandeln. Andererseits gestaltete ein Abb. 12: Der letzte Peitschenmacher der hoher Grünlandanteil eine Viehhaltung, die Rhön: Gustav Rauch aus Frankenheim im auch Stallmist für Acker und Wiese als hoch- Jahr 2006 (Foto: K.-F. abe) wertigen Dünger bereitstellte. Nach 1800 war die Kartoffel für die Ernäh- rung der ärmeren Landbevölkerung bedeut- Wald mehr, so dass die Dorfbewohner sogar sam. Sie wurde nicht nur auf geeigneten Fel- die Holzpfähle für die Hutungswege kaufen dern, sondern auch im Hausgarten angebaut. mussten und das Eschenholz für die Herstel- Es muss auch bedacht werden, dass um 1850 lung von Peitschen weiter hergeholt wurde. die Industrialisierungsphase begann und Die Hutungen bestimmten das Landschafts- wohl auch Landwirte oder andere Dorfbe- bild. Somit hatte die Viehzucht eine Entwick- wohner aus der Region abwanderten. lungsmöglichkeit. 1878 setzte die Aufforstung Industrie und Handwerk benötigten Arbeits- ein, um einen Waldzustand im NO und W des kräfte, so dass es auch Verschiebungen bei Dorfes und einen Waldschutzstreifen zum in der Landwirtschaft voll tätigen Menschen Schutz des Weideviehs anzulegen (KaiSer gab. Bei den Landwirten der Region spielten 1933). Neben dem Anbau von Hafer, Kartof- die Arbeitszeiten der Frauen, die meistens er- feln und Gerste lag der Schwerpunkt der land- heblich waren, kaum eine Rolle. wirtschaftlichen Nutzung in der Viehzucht. In der Zeit von 1945 bis 1990 vollzogen sich Die Weideflächen entwickelten sich zu ma- in der ostdeutschen Landwirtschaft bemer- geren Borstgrasmatten, die in der Nähe des kenswerte und für jedermann sichtbare Dorfes beweidet und weiter abseits liegend strukturelle Veränderungen. In dieser rela- einmal im Jahr gemäht wurden. tiv kurzen Zeit gab es vielfältigere Umbrü- Die Anbauflächen der betreffenden Kultur- che und Einschnitte als in den vergangenen pflanzen auf den Feldern geben einen Hin- Jahrhunderten. Hier seien nur die Stichworte weis auf die pflanzlichen Erzeugnisse. Nimmt „Bodenreform“, „Phase der Kollektivierung“, die Viehhaltung zu, muss auch das notwendi- „Stabilisierung der landwirtschaftlichen Pro- ge Futter auf den Feldflächen gewonnen wer- duktionsgenossenschaften (LPG) und Volks- den. Es ist schwer, eine Beziehung zwischen eigenen Güter (VEG)“ angeführt. den Erzeugnissen auf dem Feld und dem ver- Die Bodenreform nach 1945 hatte unter ande- wendeten Futter für das gehaltene Vieh her- rem das Ziel:

14 • das Ackerland der bereits bestehenden Bau- trotz der ungünstigen territorialen Bedingun- ernhöfe unter 5 ha zu vergrößern gen größere LPGs entstanden. So betrug die • an Umsiedler und Kriegsvertriebene Land durchschnittliche Betriebsgröße in ha land- zu vergeben. wirtschaftlicher Nutzfläche im Zeitraum 1961 (219), 1965 (252), 1969 (365) und 1971 (504) Hierbei sei auch auf die Tatsache hingewie- (Verband für Agrarforschung 1999). sen, dass 1945 die Thüringer Landwirtschaft Erwähnenswert aus der Sicht der Landnut- besonders durch fehlende Männer infolge der zung ist auch die ab 1971 einsetzende betriebli- Kriegsjahre, fehlende Maschinen und Dünger che Trennung von Pflanzen- und Tierproduk- sehr stark beeinträchtigt war. tion. Somit war der Übergang zu industrie- Zwischen 1952 bis 1960 vollzog sich der mäßigen Produktionsmethoden vollzogen. Schritt vom Einzelbauern zur Landwirtschaft- Die Landwirtschaft und ihre Intensivierung lichen Produktionsgenossenschaft. in der DDR führten zu einer weitgehenden Ein besonderes Problem der 1950er Jahre standörtlichen Nivellierung (z. B. Beseiti- stellte sich bei der Neueinteilung der Feldflu- gung von Kleinstrukturen, Umwandlung von ren. Die immer leistungsfähigere Großtech- Dauergrünland in Ackerland, Verlust an Ar- nik, die zum Einsatz kommen sollte, zwang tenvielfalt, Bodenwasserregulierung, Nähr- zur Schaffung größerer Feldschläge. stoffanreicherung). Die Großschläge, oft mehr In diesem Zusammenhang muss auch die Er- als 60 bis 100 ha umfassend, tragen zur struk- höhung der Tierbestände und die Produktion turellen Verarmung der Lebensräume in den von tierischen Erzeugnissen gesehen werden. Kulturlandschaften bei. Bei den Betriebsgrößen im Bezirk Suhl (hier Im Jahr 1989 hat diese Entwicklung der Land- auch Anteil an der heutigen Fläche des wirtschaft nach etwa 45 Jahren in der DDR ei- Biosphärenreservats) wird deutlich, dass nen gewissen Abschluss gefunden.

Abb. 13: Der Ort Kal- tensundheim mit sei- nen Feldfluren um 1900 (historische An- sichtskarte)

15 Abb. 14: Blick vom Dachstein zur Alten Mark um 1960 mit ihren verschiedenen Feldgrößen und landwirtschaftlichen Kulturen (Foto: E. Abe)

Abb. 15: Die Größe der Feldflächen in diesem Landschaftsraum im Jahr 2017 ist deutlich zu erkennen (Foto: K.-F. Abe).

16 Abb. 16: Der Grimmelbach mit den umliegenden Feldflächen um 1960 (Foto: E.A be)

Abb. 17: Mit dem Anstau des Gewässers entstand ein Wasserspeicher, der den Landschafts- charakter völlig verändert hat. Die Aufnahme zeigt das Tal im Jahr 2017 (Foto: K.-F. Abe).

17 Abb. 18: Die landschaftliche Struktur des Feldatales bei Fischbach um 1960 (Foto: E. Abe)

Abb. 19: Der Blick auf den gleichen Landschaftsausschnitt im Jahr 2018. Die Kleinteiligkeit der Feldfluren ist nicht mehr vorhanden (Foto: K.-F. Abe).

18 Abb. 20: Blick auf den Leichelberg bei Kaltensundheim in den 1960er Jahren. Im Vordergrund sieht man aufgestellte Getreidepuppen auf den kleinparzellierten Feldflächen (Foto: E. Abe).

Abb. 21: Blick auf den gleichen Landschaftsausschnitt im Jahr 2019. Die Größe der Feldflä- chen ist deutlich sichtbar (Foto: K.-F. Abe).

19 Abb. 22: Die Kammerung der Felder um 1960 im Bereich südlich des Graswäldchens ist deut- lich erkennbar (Foto: E. Heim).

Abb. 23: Der Landschaftsausschnitt, wie er 2019 landwirtschaftlich bewirtschaftet wurde (Foto: K.-F. Abe).

20 4. LaNdwIRTSCHafT

Im Jahr 1878 wurde erstmals im Deutschen Die Lage und Flächenanteile im Grünland Reich die landwirtschaftliche Bodenbenut- sind aus Abb. 25 ersichtlich. Hier liegen die zung dokumentiert. Die Ergebnisse wurden Werte bei 0,2 % bis 10 %, bei 19,6 % bis 20 %, im Atlas „Die Bodenkultur des Deutschen bei 54,8 % bis 35 %, bei 20,2 % bis 50 % und Reichs“ niedergelegt. 5,2 % bis über 50 %. Die letzte Aufnahme der Anbauverhältnisse Auch die Kartendokumentation belegt den erfolgte 1927; in Jahr 1928 wurde diese im Grünlandanteil über 50 % der landwirt- Heft 357 der Deutschen Landwirtschafts-Ge- schaftlichen Flächen in der Hohen Rhön. Die sellschaft veröffentlicht. Die hier dargestell- unmittelbar anschließenden Flächen wei- ten Werte und Ergebnisse beziehen sich sen ebenfalls einen hohen Anteil aus (vgl. auf das Jahr 1927 bzw. 1937 des Thüringen- Abb. 25). Atlas. Diese Karten der betreffenden Feldfrüchte Da sich die Anbauverhältnisse zwischen 1878 und Ackernutzungen ergeben ein objektives und 1927 außer denen der Ackernutzungen Bild. Die hier dargestellten Ausschnitte der kaum geändert haben – die Verteilung von Umgrenzung des thüringischen Anteils des Acker- und Gartenland, Wiesen, Weiden und Biosphärenreservats zeigen einen Überblick Wald blieb erhalten – wird nachfolgend die der angebauten unterschiedlichen Feldfrüch- Situation von 1927 oder 1937 gezeigt. te. Interessant sind die Darstellungen der Kar- In der thüringischen Rhön, wie in anderen tengrundlagen aus dem Jahr 1937, wo die Mittelgebirgen, wurde wenig Winter-Weizen, Nutzung des heutigen Untersuchungsgebiets dafür aber mehr Winter-Roggen angebaut. als Acker- und Grünland in Prozentangaben Der Haferanbau wurde bevorzugt, während innerhalb der ausgewiesenen Bereiche doku- Luzerne sehr wenig Verwendung fand. mentiert ist (vgl. Abb. 24 und 25). In der Tab. 1 werden die Nutzungen des Im Jahr 1937 wurden, bezogen auf die Ge- Ackerlandes am Beispiel von Geisa und Kal- samtfläche des Thüringer Teils des Biosphä- tennordheim dargestellt. renreservats Rhön, bezüglich des Ackerlandes Bezüglich der landwirtschaftlichen Kulturen in den einzelnen Bereichen nach Abb. 24 etwa und den jeweils erzielten Erträgen werden 1,8 % bis 20 %, etwa 20,2 % bis 35 %, etwa Weizen, Sommergerste, Hafer, Mais, Erbsen, 74,8 % bis 50 % und etwa 3,2 % bis 60 % ge- Ackerbohnen, Möhren, Kartoffeln, Zuckerrü- nutzt. ben, Futterrüben, Flachs, Tabak, Luzerne und Somit wird deutlich, dass in der Hohen Rhön weitere Futterpflanzen aus den Jahren 1928 der geringste Anteil der Ackernutzung lag und und gelegentlich 1937 in den einzelnen Karten liegt. Der Flächenanteil der Ackernutzungen für die Flächen im Biosphärenreservat Rhön geht aus Abb. 24 deutlich hervor. Die höchste (Thüringer Anteil) ausgewiesen. Dichte der Ackernutzung befindet sich im Be- Bemerkenswert ist die Vielfalt der Kulturen, reich des Buntsandsteins. die zu jener Zeit zum Einsatz kamen.

21 Tab. 1: Landwirtschaftliche Kulturen, die 1927 im Raum Geisa und Kaltennordheim ange- baut wurden. Die Werte des gesamten Getreideanbaus beziehen sich auf 100 % der mit Ge- treide bestellten Ackerfläche. Der Anteil der weiteren Kulturen an der restlichen Feldfläche ist ebenfalls in Prozent ausgewiesen.

Hauptnutzung des ackerlandes geisa kaltennordheim Winter-Weizen 17,3 % 16,6 % Sommer-Weizen 0,5 % 1,5 % Winter-Roggen 31,7 % 29,3 % Sommer-Roggen 0,1 % 0,0 % Winter-Gerste 0,1 % 0,1 % Sommer-Gerste 15,7 % 8,5 % Hafer 32,5 % 31,8 % 100,0 % 100,0 % Erbsen 2,7 % 2,8 % Linsen 0,6 % 0,8 % Pferdebohnen (= Ackerbohnen) 3,1 % 0,2 % Lupinen - 0,0 % Mischfrucht (Futter) 0,5 % 0,7 % Mischfrucht (Körner) 0,5 % 2,2 % Kartoffeln 14,6 % 23,7 % Runkelrüben (= Futterrüben) 5,3 % 4,7 % Kohlrüben 1,5 % 2,2 % Flachs 0,3 % 0,0 % Klee 11,7 % 10,2 % Luzerne 0,9 % 1,3 % Esparsette 5,7 % 2,5 % Grassaat 2,8 % 2,3 % Ackerweide 1,5 % 2,1 % Brache 10,1 % 16,2 %

Die Kleinheit der Felder, verbunden mit dem nutzen konnten. In den folgenden Abbildun- wechselnden Einsatz der genannten Feld- gen 26 bis 41 sind die betreffenden Kulturen kulturen ergaben Habitatstrukturen, die die dargestellt, die Einzelheiten sind der jeweili- unterschiedlichen Tierarten als Verstecke, gen Karte zu entnehmen. Reproduktionsräume oder Nahrungsbiotope

22 Abb. 24: Ackerland 1937 in Prozent der Gesamtfläche (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Karte 20)

23 Abb. 25: Grünland 1937 in Prozent der Gesamtfläche (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Karte 21)

24 Abb. 26: Anbau von Weizen 1937 in Prozent der Ackerfläche (Quelle: Thüringen-Atlas Gotha (1942), Karte 23)

25 Abb. 27: Anteil von Sommergerste im Verhältnis zur Getreidefläche in Prozent (Quelle: Die Feldfrüchte des Deutschen Reichs in ihrer geographischen Verbreitung, Erster Teil (1928), Karte 8)

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