Medizingeschichte an Der Universität Bern
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Medizingeschichte an der Universität Bern Von den Anfängen bis 2011 Medizingeschichte an der Universität Bern Von den Anfängen bis 2011 Von Urs Boschung Mit einem Beitrag von Susi Ulrich-Bochsler Bern 2014 In der Schrift «50 Jahre Institut für Medizingeschichte der Universität Bern, 1963-2013», hrsg. von Hubert Steinke, Bern 2013, finden sich Illustrationen zum Thema und eine ge- kürzte Fassung dieses Textes. Umschlag: Titelkupfer von Christian Gottlieb Geyser (1742-1803) zu: Johann Daniel Metzger, «Skizze einer pragmatischen Literärgeschichte der Medicin», Königs berg, bey Friedrich Nicolovius, 1792 (IMG, WZ260 M596) © Institut für Medizingeschichte, Universität Bern, 2013 www.img.unibe.ch Redaktion: Urs Boschung Gestaltung: Hannes Saxer, Grafikatelier Saxer, Bern Druck: Edubook AG, Merenschwand 2 Inhalt Medizinhistorische Praktiker im 19. und 20. Jahrhundert ...................... 7 Medizingeschichte als akademische Disziplin: Henry E. Sigerist ......... 14 Die Gründung der Schweizerischen Fachgesellschaft, 1921 .................. 19 Medizingeschichte an den Schweizer Universitäten ............................... 24 Deutschschweiz .................................................................................... 24 Westschweiz .......................................................................................... 27 Medizingeschichte wird Pflichtfach, 1964 ........................................ 28 Medizingeschichte an der Universität Bern: Die Anfänge ..................... 36 Nebenamtlich tätige Dozenten und Forscher .................................. 36 Die ersten Dozenten für Geschichte der Medizin ........................... 40 Lehrstuhlangebot für Henry E. Sigerist, 1950-1951 ........................ 49 Die Ära Erich Hintzsche, 1963-1975 ......................................................... 55 Erich Hintzsches Gründungsschenkung, 1963 ................................ 58 Curt Hallauers Schenkung der Brillensammlung, 1963 ................. 62 E. Hintzsche, Leiter Medizinhistorische Bibliothek, 1965-1975 ....... 65 Die Kommission von Prof. Marcel Bickel, 1970-1982 ..................... 76 Die Ära Esther Fischer-Homberger, 1978-1984 ...................................... 94 Die Ära Urs Boschung, 1985-2011 .......................................................... 107 Die Jahre 1985-1990 .......................................................................... 107 Die Jahre 1991-2003 .......................................................................... 114 Die Jahre 2004-2011 .......................................................................... 127 Susi Ulrich-Bochsler: Historische Anthropologie 1991-2010 ...... 140 Rücktritt U. Boschung, Amtsantritt H. Steinke, 2011 .................... 147 Quellen und Literatur ............................................................................... 148 Dissertationen 1944-2013 ........................................................................ 152 3 4 Einleitung s hat stets etwas Willkürliches, wie Jubiläen festgelegt und vergangene EEreignisse durch eine bestimmte runde Anzahl Jahre in Beziehung zur Gegenwart gesetzt werden. 50 Jahre sind es her, seit der Regierungsrat des Kantons Bern am 1. Oktober 1963 beschlossen hat, die vom Anatomen Prof. Dr. med. Erich Hintzsche gesammelten Bücher und Gegenstände als Schenkung anzunehmen und als «Medizinhistorische Bibliothek der Universität Bern» weiterzuführen. Seit 50 Jahren also besteht jene Insti- tution, die 1978 als Grundlage für die Errichtung eines Extraordinariates für Medizingeschichte diente, die 1979 in «Medizinhistorisches Institut» umbenannt wurde und seit Herbst 2004 «Institut für Medizingeschichte» heisst. Im Vergleich mit anderen Instituten des Fachs ist Bern eines der jüngsten. Zu den Veteranen zählen die Gründungen in Leipzig 1905, Wien 1907, Würzburg 1921, Johns Hopkins Baltimore 1929, Düsseldorf 1931, Yale New Haven 1940, Zürich 1951. Lausanne folgte 1989, Genf 1990. Dass aber die Institutionalisierung der Medizingeschichte nicht einfach einem Automatismus entsprach, zeigt das Beispiel von Basel, wo trotz guten Voraussetzungen bis heute ein Institut fehlt. Die folgende Darstellung möchte die Vorgeschichte und Umstände der Berner Entwicklung aufzeigen, die Bemühungen der Gründer wür- digen und die Etappen, Arbeiten und Resultate bis 2011 skizzieren. Sei- tenblicke fallen auch auf das schweizerische Umfeld. Eingangs soll zur Ehrenrettung der sogenannt «in Medizingeschichte dilettierenden pensionierten Mediziner» an einige nebenamtlich tätige Ärzte erinnert werden, deren Werke bis heute ihren Wert nicht eingebüsst haben. Sie waren es, die gemeinsam mit H. E. Sigerist 1921 die Schwei- zerische Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissen- schaften (SGGMN) gründeten, dreissig Jahre bevor in Zürich das erste Universitätsinstitut eingerichtet wurde. Die Erhebung zum Pflichtfach im Medizinstudium (1964) hatte die Medizingeschichte in erster Linie dem Eintreten des Zürcher Klinikers Prof. Wilhelm Löffler und dem Wohlwol- len von Bundesrat Hans-Peter Tschudi zu verdanken. Für Bern kam das Obligatorium im neuen Medizinalprüfungs-Reglement genau zur rechten 5 Einleitung Zeit. Mit Verweis auf das künftige «Pflichtfach» befürwortete die Medizi- nische Fakultät 1963 die Annahme der Bibliotheksschenkung von Prof. E. Hintzsche, und im Wahlbeschluss von Prof. Esther Fischer-Homberger berief sich auch die Regierung 1977 auf das Obligatorium. Im Zuge der Experimentier- und Reformphasen verloren Angaben, wie sie 1964 im Reglement standen, bald an Bedeutung. Aber einmal etabliert, vermochte sich das Fach in der Folgezeit offensichtlich aus sich selbst zu legitimieren. 6 Medizinhistorische Praktiker im 19. und 20. Jahrhundert ls sich die Medizingeschichte mit eigenen Dozenturen und einer Aspeziellen nationalen Gesellschaft als Fach zu etablieren begann, war dies nur möglich, weil zuvor – und dies seit längerem – Ärzte privat oder als universitäre Lehrer in ihrer jeweiligen Disziplin sich mit der Herkunft und Entwicklung ihrer Wissenschaft und Praktik, mit ihren beruflichen Vorgängern, mit der Entstehung lokaler Institutionen – kurz, mit der Anamnese der Medizin und des ärztlichen Berufes ernsthaft beschäftig- ten im Bestreben, sich der historischen Bedingtheit des Gegenwärtigen bewusst zu werden. Einige dieser medizinhistorisch tätigen Schweizer Ärzte seien im folgenden genannt. Conrad Meyer-Ahrens (1813-1872) von Zürich hatte 1835 in Berlin bei Johannes Müller doktoriert. In seiner Vaterstadt führte er eine Praxis, betä- tigte sich in der Spitalverwaltung und durchforstete den reichen Quellen- bestand der Zürcher Archive und Bibliotheken. In der «Schweizerischen Zeitschrift für Natur- und Heilkunde», in der «Beiträge zu medizinischen Kulturgeschichte» ausdrücklich erwünscht waren, veröffentlichte er seine ersten Studien über die Entwicklung des Zürcher Medizinalwesens. Im Zuge der von der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG) angestrebten Erhebung einer «Statistik» befasste er sich mit dem Kretinis- mus und davon ausgehend mit der Verbreitung anderer, auch exotischer Krankheiten, für die er neuere und ältere Literatur beizog und über die er in deutschen Zeitschriften berichtete. Monographische Studien widmete er Jakob Ruf (Rueff, Ruoff), Johannes von Muralt und Wilhelm Fabry von Hilden.1 Sein umfangreiches Werk über die «Heilquellen und Kurorte der Schweiz in historischer, chemischer, topographischer und therapeutischer Beziehung» (Zürich 1860, 2. Aufl. 1867, 812 Seiten) führt auch heute noch ein massgebendes Literaturverzeichnis zu diesem Thema an.2 Léon Gautier (1853-1916) liess sich nach Studium und Promotion in Paris in seiner Vaterstadt Genf als Arzt nieder (1882). Wie sein Vater wirkte 1 Röthlisberger 1973; HLS 8, 529: «bedeutendster Schweizer Medizin historiker des 19. Jahrhunderts». 2 Vgl. den Artikel «Bäder» im HLS 1, 657-660. 7 Medizinhistorische Praktiker im 19. und 20. Jahrhundert er neben seiner Privatpraxis als Internist am Hôpital Butini. Er war Privat- dozent an der Medizinischen Fakultät (1899), Genfer Grossrat von 1907 bis 1916, ab 1902 Mitglied und ab 1908 Vizepräsident der Schweizerischen Ärztekommission und präsidierte von 1908 bis 1916 die Société médicale de la Suisse romande. 1906 erschien, herausgegeben von der Genfer So- ciété d’Histoire et d’Archéologie sein Hauptwerk «La médecine à Genève jusqu’à la fin du XVIIIe siècle», 696 Seiten. Zum 125-jährigen Bestehen der Genfer Medizinischen Fakultät erlebte das Werk 2001 einen Reprint. Im «Avant-Propos» würdigt es Jean Starobinski: «Bien construit, plaisant à lire, riche en documents [...]», sei Gautiers Werk als «tableau complet» immer noch unerreicht. Micheline Louis-Courvoisier und Vincent Barras zeichnen in der Einleitung auf, wie Gautier über zwanzig Jahre die Quellen sichtete, Material sammelte und ordnete und damit die Grundlage schuf für den 200-seitigen dokumentarischen Anhang und ebenso sehr für die von ihm angestrebte «historisch objektive» Darstellung im Hauptteil.3 Eugène Olivier (1868-1955) studierte Medizin in Würzburg, Strass- burg und Lausanne und promovierte 1896 zum Dr. med. Schwer erkrankt an Tuberkulose, verbrachte er mehrere Jahre in Leysin zur Kur. Nur kur- ze Zeit als Landarzt praktizierend, engagierte er sich von 1911 an mit seiner Frau, Dr. med. Charlotte Olivier-von Mayer, in der Waadtländer Tuberkulose-Liga, deren Sekretär er 1913 wurde. Wegen eines schweren Rückfalls musste er 1926 von diesem Amt zurücktreten. 1928 erschien in der «Revue historique vaudoise» sein Beitrag über Tissots