SWR2 Lesenswert Feature Die Jahre Der Wahren Empfindung Wie Sich Die Revolte Von 1968 Auf Die Bundesdeutsche Literatur Auswirkte

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SWR2 Lesenswert Feature Die Jahre Der Wahren Empfindung Wie Sich Die Revolte Von 1968 Auf Die Bundesdeutsche Literatur Auswirkte SWR2 Lesenswert Feature Die Jahre der wahren Empfindung Wie sich die Revolte von 1968 auf die bundesdeutsche Literatur auswirkte Von Helmut Böttiger Sendung: Dienstag, 20. November 2018 Redaktion: Gerwig Epkes Regie: Ulrich Lampen Produktion: SWR 2018 SWR2 Lesenswert Feature können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Musik O-Ton 2 Heiner Egge: Wir waren ja eher die schüchternen Literaten, wir schrieben ja so mehr für uns und hatten ja auch oft damals noch Schwierigkeiten, bei Lesungen groß aufzutreten! Musik O-Ton 3 Alfred Eckerle: Man war auf der Suche nach sich selbst und hat sich auch prompt gefunden! Regie: Musik O-Ton 4 Peter Handke: Manchmal denke ich: Was ist denn eigentlich los? Musik Erzähler: Im November 1968 erscheint die Nummer 15 der einflussreichen Zeitschrift „Kursbuch“. In einigen Aufsätzen darin geht es um den Tod der bürgerlichen Literatur. In der Studentenbewegung, im Aufstand gegen den Vietnamkrieg und gegen die alten Nazis in den Schlüsselpositionen spielen Schöngeister kaum eine Rolle. Dennoch: Im Vorfeld der Revolte gilt der junge österreichische Schriftsteller Peter Handke als einer der provokativsten Aufrührer. Am 8. Juni 1966 inszeniert Claus Peymann im kleinen Frankfurter Theater am Turm Handkes Stück „Publikumsbeschimpfung“. O-Ton 5 Uraufführung „Publikumsbeschimpfung“: Ihr Siebengescheiten. Ihr Neunmalklugen. Ihr Lebensbejaher. Ihr Damen und Herren ihr. Erzähler: Geplant ist ein Skandal. Und es wird einer. O-Ton 6 Uraufführung „Publikumsbeschimpfung“: Ihr Claquere, ihr Cliquenbildner, ihr Pöbel, ihr Schweinefraß, ihr Knicker, ihr Hungerleider, ihr Griesgrame, ihr Schleimscheißer, ihr geistiges Proletariat, ihr Protze, ihr Niemande, ihr Dingsda. 2 Erzähler: Als die Schimpfkanonaden auf das herausgeputzte Premierenpublikum niederprasseln, wenden sich die kulturbeflissenen Damen und Herren entrüstet ab. Sie tuscheln und zetern. Sie fühlen sich gemeint. Nach der Aufführung setzt sich der Autor feixend auf die Bühne und lässt die Beine baumeln. Mit seiner Pilzfrisur sieht er aus wie ein Popstar. Und genau darum geht es. Musik. (Rolling Stones, Satisfaction) Erzähler: (zunächst auf Musik): Mick Jagger – so einer will der junge, schüchterne Peter Handke auch sein. Er will den Literaturbetrieb aufmischen. Und er hat dafür einen Plan. Bereits im April 1966, ein paar Wochen vorher, sorgt er für ein paar aufsehenerregende Minuten. Schauplatz ist die US-amerikanische Universitätsstadt Princeton. Die Gruppe 47, die mächtigste Schriftstellervereinigung der jungen Bundesrepublik, ästhetisch tonangebend, politisch über jeden Zweifel erhaben, hat den vielversprechenden Autor zu ihrer repräsentativen Tagung eingeladen. Eine große Ehre für einen jungen Schriftsteller. Peter Handke reist an, kümmert sich nicht um das strenge Reglement, nach dem die Treffen gewöhnlich ablaufen, steht nach einer der Lesungen plötzlich auf, ergreift das Wort und lässt es, obwohl ihm fast die Stimme bricht, nicht mehr los. O-Ton 7 Peter Handke: Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht. Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man überhaupt nur Literatur machen kann. Wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben. (...) Das Übel dieser Prosa besteht darin, dass man sie ebenso gut aus einem Lexikon abschreiben könnte. Man könnte den Sprachduden, diesen Bilderduden verwenden und diese Bilder aufschlagen und auf die einzelnen Teile hinweisen. Und dieses System wird hier angewendet und es wird vorgegeben, Literatur zu machen. Was eine völlig läppische und idiotische Literatur ist. (schallendes Gelächter) Und die Kritik... ist damit einverstanden, weil eben ihr überkommenes Instrumentarium noch für diese Literatur ausreicht, gerade noch hinreicht. Weil die Kritik ebenso läppisch ist wie diese läppische Literatur. (schallendes Gelächter) Erzähler: Schlaksig, etwas unbeholfen und immer wieder stotternd attackiert Peter Handke die mit Schlips und Kragen angetanen Literaten. Die Gruppe 47 reagiert genauso wie kurz danach das Frankfurter Theaterpublikum: Man ist empört und weist alles weit von sich. Schließlich fühlt man sich selbst als Avantgarde. Nur ein alter marxistischer Recke, der eine Rebellion junger Leute tendenziell immer gut findet, zeigt Verständnis. Hans Mayer versucht, Handke in Schutz zu nehmen. Doch gegen das Fußvolk hat der Theoretiker keine Chance: O-Ton 8 Hans Mayer: Was Handke meint, ist folgendes – (schallendes Gelächter) 3 Erzähler: Handke hat ein Gespür für den Zeitgeist, das stellt er in Princeton unter Beweis. Denn 1966 liegt etwas in der Luft, und er gibt dem literarisch eine Stimme. Die Altvorderen tun ihm den Gefallen, emotional zu reagieren, gereizt und mit dem Hohnlachen der Etablierten. Das macht Handke sofort zum Kultautor. Regie: Musikakzent (Satisfaction) Erzähler: Handkes Auftritt in Princeton ist nichts anderes als die Geburt der deutschen Popkultur aus dem Geist der Gruppe 47. Innerhalb von zwei, drei Minuten wird Handke zum Markenzeichen. Einen besonderen Effekt erzielt die Diskrepanz zwischen seiner radikalen Rede und seinem äußeren Erscheinungsbild: er sieht aus wie ein etwas verklemmter Klosterschüler, der stotternd und nach Luft schnappend auf sich aufmerksam machen will. Er hat sich aber einen ganz speziellen Haarschnitt zugelegt, einen „Pilzkopf“ wie die Beatles, die allgemein den Gipfel an Lebensgier darstellen. Ein solcher Pilzkopf ist in der Literaturszene ein Motiv aus anderen Sphären. Und es wirkt ungemein. In Gazetten und Magazinen genügt in den nächsten Wochen und Monaten als Illustration bloß eine Art Schattenriss, die schwarze Silhouette eines Pilzkopfs mit Sonnenbrille und halblangem Haar, und jeder weiß: das ist Peter Handke. Er hat völlig unverblümt die Andy-Warhol-Ästhetik übernommen und gilt damit in Deutschland wie dieser in den USA als Trendsetter. Regie: Musikakzent (Satisfaction) Erzähler: Die „Publikumsbeschimpfung“ im Frankfurter Theater am Turm schließt konsequent daran an. Peter Handke scheint ein Teil der Revolte zu sein, die im Jahr 1968 kulminiert. Aber dieser Teil der Revolte gestaltet sich sehr kompliziert. Denn das Verhältnis zwischen Politik und Poesie wird in den Jahren unmittelbar nach 1968 zunehmend als prekär empfunden. In Handkes Filmdrehbuch „Falsche Bewegung“ von 1975 kommt es zwischen den beiden Hauptfiguren zu einem melancholischen Wortwechsel: Zitator: Wenn nur beide, das Politische und das Poetische, eins sein könnten! – Das wäre das Ende der Sehnsucht und das Ende der Welt. Erzähler: Peter Handke gehört zwar zum Aufbruch Ende der sechziger Jahre, er gilt als ein ungestümer Querkopf, aber an der politischen Stoßrichtung der Studentenbewegung hat er niemals Anteil genommen. O-Ton 9 Handke, 6:40-7:10: Ich wollte nie dazugehören. Ich hab mit den 68ern – erst einmal hat es gutgetan, dass es sowas gibt, aber dann, als es sich sprachlich und bildlich konkretisiert hat, dann hab ich gedacht nein. Also ich war nicht dagegen, aber… 4 Regie: Musik (Velvet Underground) O-Ton 10 Handke: Fritz Teufel und dann dieser Quatschkopf, wie hieß der – Rainer Langhans, eine jämmerliche Gestalt! Schon damals war mir das klar! Das einzige Mal, dass ich mich mit Enzensberger irgendwie verstanden hab, als wir einen Nachmittag den Langhans über uns ergehen haben lassen müssen, ohne Pause, ohne Akzent vor allem, ohne Blick. Aber man hat das damals akzeptiert, man hat gedacht, das gehört dazu. Ich hab sogar die Uschi Obermeier, die Freundin, ein hübsches Mädchen, da sind wir zu dritt mit dem Langhans, ich weiß nicht, ob Enzensberger noch dabei war – hab ich der sogar ein schönes Kleid gekauft, ich weiß nicht in Berlin damals, und durfte beim Umkleiden, beim Anprobieren dabeisein. Erzähler: Handkes Gedichtband „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ aus dem Jahr 1969 hat mit einer Poesie der Innerlichkeit überhaupt nichts zu tun. Es sind Sprachprogramme, die er hier startet, in Anlehnung an die „konkrete poesie“ österreichischer Provenienz. Alltagsgegenstände und viele Erscheinungsformen der Unterhaltungskultur fließen hier ein. Handkes
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