Repositorium für die Medienwissenschaft

Robert Blanchet Blockbuster. Ästhetik, Ökonomie und Geschichte des postklassischen Hollywoodkinos 2003 https://doi.org/10.25969/mediarep/13841

Veröffentlichungsversion / published version Buch / book

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Blanchet, Robert: Blockbuster. Ästhetik, Ökonomie und Geschichte des postklassischen Hollywoodkinos. Marburg: Schüren 2003. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/13841.

Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: https://doi.org/10.17192/ep2004.3.1773

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Blockbuster sthetik, Ökonomie und Geschichte des postklassischen Hollywoodkinos Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

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Schüren Verlag Universitätsstraße 55 · D-35037 Marburg www.schueren-verlag.de © Schüren 2003 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Erik Schüßler Druck:฀WB-Druck,฀Rieden Videostills: Robert Blanchet Covermotiv: Carrie-Ann Moss in THE MATRIX von Andy und Larry Wachowski, Quelle: cinetext Bild- und Textarchiv Printed in Germany ISBN฀3-89472-342-4 Inhalt

Einleitung 7

1 ฀sthetik 13 1.1 Der neoformalistische Ansatz: Grundlagen und Begriffe 13 1.1.1 Devices 16 1.1.2 Motivation 17 1.1.3 Syuzhet und Fabula 18 1.1.4 Style 19 1.1.5 Narration 19 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 21 1.2.1 Narrative Organisationsprinzipien des klassischen Hollywoodstils 22 1.2.2 Zeitliche Organisationsprinzipien des klassischen Hollywoodstils 46 1.2.3 Räumliche Organisationsprinzipien des klassischen Hollywoodstils 60 1.3 Resümee 76

2 Ökonomie 79 2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie 79 2.2 Das Package-Unit-System 89 2.2.1 Der Produzent 90 2.2.2 Studiodeals und Negative Pick-ups 92 2.2.3 Unabhängige Filmfinanzierung 94 2.3 „Hollywood Accounting“: Kino und Nebenmärkte, Geschäftspraktiken und Finanzpolitik der Majorstudios 96 2.3.1 Die Auswertungskette 97 2.3.2 Kino 97 2.3.3 Video 105 2.3.4 Fernsehen 113 117 2.3.5 Merchandise, Tie-ins und Product Placement 120 2.4 Resümee: Kostenexplosion und der globale Markt

3 Geschichte 127 3.1 „Boom and Bust“: Krise und Reformierung des Studiosystems nach 1945 127 3.1.1 Die Consent Decrees von 1949 127 6 Inhalt

3.1.2 Der große und der kleine Bildschirm 130 2.1.3 Konglomeration und Globalisierung 134 3.1.4 „Violence ... Sex ... Art“: New Hollywood und der Fall des Production Codes 135 3.1.5 THE GODFATHER –JAWS –STAR WARS: Von der Kunst zum Kassenschlager 143 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 153 3.2.1 „25 words or less“: High Concept und „Marketing Hooks“ 154 3.2.2 Differenz und Wiederholung: High Concept und „Recycle-Kino“ 160 3.2.3 Blitzkrieg-Marketing und Phantomfilme: Der Saturation Release und seine Folgen 165 3.2.4 Designerlook und Videoclips 176 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 184 3.3.1 Film als Event 184 3.3.2 Visual Effects und CGI 186 3.3.3 Digitaler Mehrkanalton 194 3.3.4 Deep Impact: Schnitt, Kameraführung und die „performative“ Achse der Kinoerfahrung 204 3.3.5 „A ride you’ll never forget“: Die Rückkehr des „Kinos der Attraktionen“ 212 3.3.6 „It’s all one great big movie“: Postmoderne, Intertextualität, Selbstreferenz und Doppelcodierung 226 3.4 Resümee und Ausblick 242

Bibliographie 247

Glossar 253

Index 266 Einleitung

Am 19 Mai. 1999 war es endlich soweit. 22 Original-Trilogie auf Fernsehsendern wie Jahre nach dem bahnbrechenden Erfolg ProSieben oder dem amerikanischen Fox- des ersten Teils wurde das lang erwartete Network wiederholt, ebenso wie THE „Prequel“ zu George Lucas’ STAR WARS-Tri- PHANTOM MENACE, für den Fox die Pay- logie (1977 ff) auf dem amerikanischen TV-Rechte gleich mit erworben hatte, um Markt lanciert. Fast 3000 Kinos und eine sich und seinen Werbekunden eine exklu- weitaus größere Zahl an Multiplex-Sälen sive Premiere zu sichern. standen bereit, um den zu erwartenden Wie 20th Century Fox, der weltweite Ansturm auf EPISODE I: THE PHANTOM Verleiher des Films, gehört auch das Fox- MENACE (1999) in Empfang zu nehmen. Network zu Rupert Murdochs globalem Wie kaum zuvor hatten Fansites und Me- Medien-Imperium News Corporation. dien über die Rückkehr der Jedi-Ritter be- Von den mit STAR WARS generierten richtet. Auf den Online-Trailer soll nach Einnahmen, wird das australische Unter- Angaben von Apple über 10 Millionen nehmen in diesem Fall aber dennoch nur mal zugegriffen worden sein. Und um wenig profitieren können: Trotz ihres un- ganz auf Nummer Sicher zu gehen, hatte verhohlen kommerziellen Charakters manch einer schon Wochen vor dem Start handelt es sich bei EPISODE I um eine Inde- seinen Campingstuhl in einer der von pendent-Produktion, die nicht von einem Countingdown.com organisierten Warte- der Major-Hollywoodstudios, sondern mit schlangen฀aufgestellt. Lucas’ eigenen Mitteln finanziert wurde. Bereits am ersten Wochenende spielte Grundlage dafür bildet Lucas’ eigenes klei- THE PHANTOM MENACE fast 65 Mio. US-$ nes Filmimperium, zu dem neben Lucas und damit mehr als die Hälfte seiner auf Sound und THX vor allem das weltweit 115 Millionen geschätzten Produktions- führende Visual-Effects-Haus „Industrial kosten ein. Mittlerweile hat der Film über Light and Magic“ gehört. 925 Mio. US-$ an der Kinokasse einge- Wie bei den meisten Hollywoodfilmen nommen und steht damit hinter TITANIC basiert der Appeal von STAR WARS auf einer (1997) und HARRY POTTER AND THE SORCE- einfachen, universell verständlichen und RER’S STONE (2001) auf Platz drei der welt- in diesem Fall ausgesprochen infantilen weiten Box-Office-Charts. Am Ende wird Geschichte, die nach den klassischen Er- dieses Ergebnis aber nur einen Bruchteil zählprinzipien des amerikanischen Main- des Umsatzes ausmachen, der in Verbin- streamkinos arrangiert worden ist – vor al- dung mit dem Film generiert worden ist. lem aber auch einer Fülle von visuellen Abgestimmt auf den Filmstart wurden und in akustischen Special Effects: Ameri- der Soundtrack und eine kaum übersehba- kanische Kinobetreiber, die sich Lucas’ re Flut von Merchandise-Artikeln in Kauf- Film sichern wollten, mussten sich nicht häusern und den Filialen von Tie-in-Part- nur zu einem außergewöhnlich strengen nern wie Pizza Hut und Taco Bell platziert. Reglement verpflichten, das sie zwang, Seit April 2000 gibt es EPISODE I auch auf den Film zwölf Wochen in ihren Top-Sälen Video und seit Oktober 2001 auch auf zu spielen, sondern auch dazu, ihre digita- DVD. Just vor dem Kinostart von EPISODE len Mehrkanaltonanlagen auf ein von II: ATTACK OF THE CLONES (2002) wurde die THX und Dolby neu entwickeltes Zusatz- 8 Einleitung

system aufzurüsten, um der Klangqualität se Phase wohl kaum möglich gewesen wä- des Films und seinen dynamischen Sur- ren. roundsound-Effekten gerecht zu werden. Unsicherheit herrscht vor allem über Lediglich 250 der 2200 Einstellungen von die Frage, was denn das wirklich Neue am THE PHANTOM MENACE wurden nicht mit- neuen Hollywoodkino sei, beziehungswei- tels digitaler Bildbearbeitung manipuliert se ob die zahlreichen und zum Teil sicher- und wie seine Vorgänger enthält auch der lich nachhaltigen Veränderungen, die die neue, erste Teil der STAR WARS-Saga mit amerikanische Filmindustrie und ihre Pro- dem so genannten „pod race“ eine der für dukte seit Ende des zweiten Weltkriegs er- Lucas typischen Geschwindigkeitssimula- fahren haben, tatsächlich einen funda- tionssequenzen, die nicht nur bereits vor- mentalen Bruch mit den Prinzipien der weg für ein gleichnamiges Computerspiel klassischen Studioära darstellen. adaptiert wurde und sich bestens für die Postklassisches Hollywoodkino, so Einrichtung einer Themenparkattraktion eine der häufigst wiederholten Thesen, wie „Star Tours“ eignet, sondern auch hat die Kunst des Geschichten-Erzählens schon das Kinoerlebnis des Films selbst in verlernt und versucht gar nicht mehr je- die Nähe derart immersiver Unterhal- nen narrativen „Realismuseffekt“ herzu- tungsformen rückt. stellen, der für die klassische Periode prä- All dies macht THE PHANTOM MENACE gend und viele Kritiker eines der Haupt- zu einem idealen Beispiel für die ästheti- übel des kommerziellen Unterhaltungski- schen, ökonomischen, technologischen nos war. Statt dessen haben wir es heute und historischen Veränderungen, die das mit Filmen zu tun, die bar jeder narrativen amerikanische Mainstreamkino in der Logik und Motivation aus einer mehr oder zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts weniger losen Ansammlung von Special und seit der Auflösung des alten Studiosys- Effects und spektakulären Actionsequen- tems Ende der Vierzigerjahre erfahren hat zen bestehen.1 und damit für das, was von Filmwissen- Zurecht hat Kristin Thompson, die schaftlern mitunter als das postklassische, sich gemeinsam mit David Bordwell seit neue oder auch einfach zeitgenössische Hol- jeher für ein anderes Verständnis von klas- lywoodkino bezeichnet wird. sisch narrativem Kino eingesetzt hat, in Bereits hier fangen aber die ersten ihrem Buch Storytelling in the New Holly- Schwierigkeiten schon an: Der Begriff wood diese Implikationen zurückgewiesen. „New Hollywood“ ist ursprünglich in Ver- Nicht um die alte Realismuskritik zu stär- bindung mit den künstlerisch und poli- ken, sondern weil sie die radikalisierte tisch engagierten Filmen der späten Sech- „Fragmentierungsthese“ für ebenso un- ziger- und frühen Siebzigerjahre entstan- haltbar erachtet wie viele der traditionel- den; einer Periode also, die in vielen len Paradigmen der akademischen Film- Punkten das genaue Gegenteil von dem kritik. verkörpert, was wir mit dem zeitgenössi- In der Tat, so Thompson, habe die schen Blockbusterkino assoziieren – auch amerikanische Filmindustrie seit Ende der wenn die Karrieren von Blockbuster-Re- Vierzigerjahre einen enormen Wandel gisseuren wie Francis Ford Coppola, Ste- vollzogen. Die seit jeher flexiblen Organi- ven Spielberg und George Lucas ohne die- sationsprinzipien des klassischen Holly-

1 Siehe dazu bspw. Timothy Corrigan, A Cinema Without Walls: Movies and Culture After Vietnam (New Brunswick: Rutgers University Press, 1991), 161–179; Richard Schickel, „The Narrative Crisis“ [1989], in Matinee Idylls: Reflections on the Movies, derselbe, (Chicago: Ivan R. Dee, 1999), 279–299. Einleitung 9

wood-Filmstils, wie sie sich bereits in den den Bereichen gibt, scheinen die Streitig- frühen Zwanzigerjahren in ihren Grund- keiten zwischen Thompson und ihren festen entwickelt haben und wie sie von Kollegen unter anderem auf die Schwierig- David Bordwell, Janet Staiger und Thomp- keit zurückzuführen, Positionen zu entwi- son in The Classical Hollywood Cinema ana- ckeln, die beides, sowohl Fortbestand als lysiert worden sind, seien bei all diesen auch Wandel, zulassen. Egal für welchen Veränderungen jedoch weitgehend stabil Terminus man sich nun entscheidet; ob, geblieben.2 Selbst die neueren Vermark- wie letztendlich Thompson selbst, für den tungsstrategien, die sicherlich mit zu den des New Hollywood, den neutralen aber auffälligsten Merkmalen des zeitgenössi- auch etwas flüchtigen Begriff des Zeitge- schen Hollywoodkinos gehören, könnten nössischen oder trotz allem für den des kaum als Grundlage für die Behauptung Postklassischen – der ja durchaus auch als einer radikalen Abkehr von den Traditio- eine zunächst eher unbestimmte Variable nen der amerikanischen Filmindustrie he- betrachtet werden kann, die dann mit rangezogen werden. Vielmehr handle es Tendenzen zu verknüpfen ist, die in ver- sich dabei um Intensivierungen von Ele- schiedene Richtungen weisen: Es liegt auf menten, die bereits in der klassischen Stu- der Hand, dass es in den 50 Jahren, seit der dioära vorhanden waren und im wesentli- Sprengung des alten Hollywood-Studio- chen das Resultat der veränderten ökono- monopols, Veränderungen, Innovationen, mischen Bedingungen seien, unter denen Brüche, Reinstallationen und Kontinuitä- das zeitgenössische Hollywoodkino ope- ten gegeben hat. Diese Transformationen riere. Vor allem in den Neunzigerjahren nachzuzeichnen, im historischen Kontext sei es dabei wohl zu einer auffälligen zu bewerten und die ästhetischen und öko- Schwemme von ästhetisch enttäuschen- nomischen Grundlagen sichtbar zu ma- den Blockbustern gekommen. Die Misere chen, nach denen das Hollywoodkino heu- dieser Filme sei jedoch nicht, dass sie ein te operiert, ist Ziel der folgenden Seiten. neues Erzählmodell vorstellen, das klassi- Das Buch teilt sich dazu in drei Ab- sche Modell werde von ihnen lediglich schnitte: Teil 1 stellt die narrativen, zeitli- schlecht erfüllt. Beziehungsweise sei einer chen und räumlichen Organisationsprin- der üblichsten Vorwürfe gegen derartige zipien des klassischen Hollywoodstils dar, Filme ja nicht der, dass sie von der ge- wie sie von David Bordwell, Janet Staiger wohnten Norm abweichen, sondern im und Kristin Thompson in The Classical Gegenteil, dass sie zu formularisch sind, Hollywood Cinema und anderen Haupttex- was Thompson unter anderem auf die Ver- ten des neoformalistischen Ansatzes he- breitung von Filmschulen, aber auch auf rausgearbeitet und analysiert worden sind. den Einfluß von Drehbuchgurus wie Syd Sowohl Fallbeispiele aus der jüngeren Field zurückführt.3 Filmgeschichte als auch Vergleiche mit Ähnlich wie in der Postmoderne-De- zeitgenössischen Hollywood-Drehbuch- batte, von der die Diskussion des postklas- ratgebern von Autoren wie Syd Field, Mi- sischen Kinos in der Regel bewusst unter- chael Hauge oder Peter Hant sollen die schieden wird, auch wenn es natürlich ge- Funktionsweise dieser Prinzipien verdeut- wisse Überschneidungspunkte zwischen lichen und den Fortbestand des klassisch

2 David Bordwell, Janet Staiger, Kristin Thompson, The Classical Hollywood Cinema: Film Style & Mode฀of฀Production฀to฀1960 (New฀York,฀London:฀Routledge,฀1985). 3 Vgl. Kristin Thompson, Storytelling in the New Hollywood: Understanding Classical Narrative Techni- que (Cambridge,฀London:฀Harvard฀University฀Press,฀1999),฀1–10,฀335–352,฀363–368. 10 Einleitung

narrativen Stils im aktuellen Hollywoodki- Einmal fertiggestellt, muss ein Film no demonstrieren. distribuiert und ausgestrahlt werden, um Teil 2 geht ausführlich auf die in film- seine Kosten einzuspielen. Das Kino bildet wissenschaftlichen Untersuchungen oft heute nur mehr eines der verschiedenen vernachlässigten ökonomischen Grundla- Auswertungsfenster, die der Filmindustrie gen des zeitgenössischen Hollywoodkinos dazu zur Verfügung stehen: Seit Mitte der ein. Hollywood ist nicht nur ein abstraktes Fünfzigerjahre werden Filme auch im Set ästhetischer Normen und Konventio- Fernsehen ausgestrahlt. Der in den Achtzi- nen, die uns über die Jahre unserer Me- gerjahren explodierende Heimvideomarkt diensozialisation ebenso vertraut gewor- ist mittlerweile zum umsatzstärksten Seg- den sind wie die Mythen, die mit Hilfe die- ment der diversifizierten Verwertungsket- ses Systems transportiert werden. Es ist te eines Films geworden. Merchandise-, auch auch ein komplexes ökonomisches Tie-in-, und Product-Placement-Abkom- Gebilde, das auf seine eigene Weise, letzt- men mit außenstehenden Lizenznehmern endlich aber wie jedes andere Unterneh- bieten zusätzliche Einnahmequellen und men auch, Film als ein Produkt herstellt, verlängern das ökonomische Leben eines in der Hoffnung, dieses möglichst erfolg- Filmfranchises wie STAR WARS oder HARRY reich zu verkaufen und die erzielten Ge- POTTER weit über die Grenzen des audiovi- winne für die Produktion neuer Filme ein- suellen Filmkonsums hinaus. – Kapitel 2.3 setzen zu können. erläutert die Grundstrukturen dieses er- Kapitel 2.1 gibt einen vereinfachten weiterten Kino- und Filmsekundärmark- Überblick über die Makrostruktur und tes. Gleichzeitig wird ein detaillierter Ein- Konzentrationsverhältnisse der amerika- blick in die Geschäftspraktiken und das Fi- nischen Filmindustrie und zeigt, welche nanzgebaren der Majorstudios im Um- Konzerne und Verflechtungen sich hinter gang mit diesen an- und eingegliederten dem schillernden Begriff des Hollywood- Industriezweigen und den involvierten kinos, aber auch gebräuchlichen Etiketten Parteien eines Filmprojekts gegeben, der wie der heute schon fast obsoleten Unter- unter anderem Aufschluss darüber gibt, scheidung von Mainstream- und Indepen- warum trotz dieses scheinbar enormen Po- dentfilm verbergen. tenzials nur etwa jeder zehnte Hollywood- Zu den unumstrittensten Merkmalen film jemals die Gewinnzone erreicht. Ka- des neuen Hollywood gehört die Aufgabe pitel 2.4 schließt den Abschnitt mit einer des „fordistischen“ Produktionsmodells Analyse der gegenwärtigen ökonomischen der klassischen Studioära zugunsten des so Lage der amerikanischen Filmindustrie genannten Package-Unit-Systems. Kapitel auf dem globalen Weltmarkt. 2.2 erklärt die Unterschiede und Grundzü- Wie aber ist es zur heutigen Struktur ge dieses bis heute üblichen Produktions- der amerikanischen Filmindustrie und ih- modus: Wie kommt ein Film aus ökono- rer Produkte gekommen? Teil 3 zeichnet mischer Sicht überhaupt zustande? Wel- die wichtigsten ökonomischen, politi- che Rolle spielen die heute unabhängigen schen, technologischen und ästhetischen Produzenten und übrigen involvierten Entwicklungen des Hollywoodkinos seit Parteien eines Filmprojekts? Was ist die ei- Ende des zweiten Weltkriegs bis in das gentliche Funktion eines so genannten neue Jahrtausend nach: Ausgangspunkt Filmstudios? Und welche unterschiedli- für den Zerfall des Studiosystems bilden chen Möglichkeiten stehen den Akteuren die so genannten Paramount Decrees von bei der Realisierung und Finanzierung ei- 1949, die die Majors zwingen, sich von ih- nes Films zur Verfügung? ren Kinos zu trennen und damit das alte Einleitung 11

Monopol der Filmindustrie zumindest te Bilder, digitaler Mehrkanalton und ein vorübergehend sprengen. Mit dem Sieges- betont aggressiver und direkt auf den Zu- zug des Fernsehens und dem kulturellen schauer gerichteter audiovisueller Produk- und demographischen Wandel der Fünfzi- tionsstil bilden die Grundlagen für die ger- und Sechzigerjahre spitzt sich die Kri- Rückkehr einer „Attraktionsästhetik“, die se zu und ermöglicht es einer neuen Gene- auf die frühen Anfänge des Films als Jahr- ration von Filmemachern, in Hollywood marktssensation verweist und sicherlich Fuß zu fassen, die das formale und inhalt- eine der wesentlichen Grundlagen für die liche Erscheinungsbild seiner Filme nach- jüngste Renaissance des Kinos bildet. haltig beeinflussen. Für kurze Zeit kommt Daneben hat sich das Mainstreamkino es dabei zu einer Annäherung an den euro- in den letzten Jahren sehr empfänglich für päischen Autorenfilm. Grundlage für die intertextuelle und selbstreferenzielle ökonomische Erholung und den Wieder- Spielformen, Ironie und Doppelcodierun- aufstieg des amerikanischen Kinos bilden gen gezeigt. Filme wie PULP FICTION jedoch weniger die künstlerischen und ge- (1994), LAST ACTION HERO (1993) oder sellschaftskritischen Untertöne der New SCREAM (1996) sind dennoch weniger Zei- Hollywood-Bewegung, sondern vor allem chen einer postmodernen Kulturrevoluti- Blockbuster wie Francis Ford Coppolas on als das konsequente Resultat der ge- THE GODFATHER (1972), William Friedkins wachsenen Kompetenz von Zuschauern, THE EXORCIST (1973), Steven Spielbergs die im Laufe der Jahre und dank des Ein- JAWS (1975) und George Lucas’ STAR WARS. fluss der heute breit gefächerten Zugriffs- Unter dem Einfluss neuer Führungs- möglichkeiten auf mediale Inhalte gelernt kräfte wie Barry Diller oder Michael Eisner haben, mit den Strukturen des klassischen und Filmemacher wie Jerry Bruckheimer und postklassischen Hollywoodkinos um- und Don Simpson kommt es in den Acht- zugehen. zigerjahren zu einer starken Rekommerzia- Die drei Teile des Buches sind bewusst lisierung des Hollywoodkinos. Die neuen so gestaltet, dass sie auch weitgehend un- Manager der Studios haben aus den Feh- abhängig voneinander gelesen werden lern der Vergangenheit gelernt. Vermark- können. Wer sich vor allem für Filmtheo- tungsstrategien wie der so genannte High rie und den formalen Aufbau von Holly- Concept-Approach und der Saturation Re- woodfilmen interessiert, ist mit dem ers- lease, die bis heute die Funktionsweise des ten Teil sicherlich gut bedient. Wer sich Mainstreamkinos bestimmen, sollen hel- mit Filmwissenschaft bisher wenig be- fen, das immanente Risiko des Filmge- schäftigt hat und mit den abstrakten Be- schäfts zu minimieren. Modernes Film- griffen von Bordwell und Thompson viel- marketing wird zu einem immer wichtige- leicht etwas schwer tut, findet über den ren Faktor, der auch unmittelbaren Ein- praxisorientierteren Business-Teil sicher- fluss auf die Gestaltung und Selektion von lich leichter Zugang. Teil 3 schließlich, der Filmprojekten nimmt. sowohl ökonomische als auch ästhetische Das Kino der Neunzigerjahre wird vor Aspekte behandelt, praxisorientierte und allem durch einen Schub technologischer theoretische Fragen erörtert, bietet hof- Innovationen geprägt: Computergenerier- fentlich für jeden etwas Interessantes.

1 ฀sthetik

1.1 Der neoformalistische Ansatz: Grundlagen und Begriffe

Für viele Jahre wurde die Filmtheorie vom rische Stimuli gemäß ihm zwar nicht im- Paradigma des psychosemiotischen Ansat- mer bewusster, deshalb aber keinesfalls zes dominiert, wie er – ausgehend von Ar- zwingend „unterbewusster“ Protokolle beiten französischer Kritiker wie Christian verarbeitet und somit das Wahrgenomme- Metz oder Jean Louis Baudry aus den spä- ne erst durch seine teilnehmende Tätig- ten Sechziger- und frühen Siebzigerjah- keit konstituiert. Ohne diesen Zuschauer ren – vor allem im angloamerikanischen gibt es letztendlich keinen narrativen Sprachraum auf große Resonanz gestoßen Film, sondern lediglich einen langen be- ist.1 Seit Mitte der Achtzigerjahre ist die bilderten Zelluloidstreifen, der an den Psychosemiotik jedoch zunehmend in Be- Rändern eine Tonspur trägt. Bordwell will drängnis geraten. Vor allem durch Arbei- seinen Ansatz als konstruktivistisches Pro- ten des Philosophen Noël Carroll, aber jekt verstanden wissen. Wie Filmemacher, auch den neoformalistischen Ansatz von die, basierend auf ihren Intuitionen, Er- David Bordwell und mittlerweile einer fahrungen und erlerntem Fachwissen, for- ganzen Reihe von Filmwissenschaftlern, male Instrumente und Strategien seit lan- die man nach einem gleichnamigen Sam- gem erfolgreich einsetzen, um bestimmte melband vielleicht als „Post-Theoretiker“ Operationen auszuführen und die ihnen bezeichnen könnte.2 Die Position und Ar- gesetzten Ziele zu erreichen, muss Bord- gumente dieser Debatte hier auch nur an- well dazu von einem hypothetischen Set nähernd zu erläutern, würde den ohnehin unterschiedlichster aber weitgehend kon- schon weit gespannten Rahmen dieses Bu- stanter und intersubjektiv geteilter Prozes- ches sprengen. Einer der wesentlichen se auf Seiten des Zuschauers ausgehen. Unterschiede zwischen Psychosemiotik Bordwell: und „Post-Theorie“ liegt aber in der Kon- zeption des Zuschauers. I shall try to explain the formal condi- Wie die meisten seiner Kollegen und tions under which we comprehend a film. anders als im psychosemiotischen Ansatz, This means that here the ‚spectator‘ is not in dem der Rezipient als vorwiegend passi- a particular person, not even me. Nor is ves „Subjekt“ des cinematischen Appara- the spectator an ‚ideal reader‘, which in tus und seiner Techniken verstanden wor- recent reader-response criticism tends to den ist, setzt David Bordwell seinem Mo- be the most fully equipped perceiver the dell einen aktiven und kognitiven Zu- text could imagine, the one most adequa- schauer voraus, der einkommende senso- te to all the aspects of meaning presented.

1 Einen Überblick über dieses Theoriegebäude bieten u.a.: Robert Lapsley, Michael Westlake, Film Theory: An Introduction (Manchester: Manchester University Press, 1988); Robert Stam, Robert Burgoyne, Sandy Flitterman-Lewis, New Vocabularies in Film Semiotics: Structuralism, Post-Structu- ralism฀and฀Beyond (London,฀New฀York:฀Routledge,฀1994). 2 Post-Theory: Reconstructing Film Studies, eds. David Bordwell, Noël Caroll (Madison, London: Uni- versity฀of฀Wisconsin฀Press,฀1996). 14 1 ฀sthetik

I adopt the term ‚viewer‘ or ‚spectator‘ to beiten Stimuli in sehr kurzer Zeit, sind name a hypothetical entity executing the stark automatisiert und operieren vorwie- operations relevant to constructing a story gend von einer unteren Ebene des Daten- out of the film’s representation. My spec- inputs hin zu übergeordneten Strukturen. tator, then, acts according to the proto- (Bordwells Beispiele: Farbwahrnehmung cols of story comprehension which this oder die Entdeckung von Bewegung) Men- and following chapters will spell out. In- tale Operationen, die dagegen eher von ei- sofar as an empirical viewer makes sense nem vorhandenen Hintergrundwissen aus of the story, his or her activities coincide auf Stimuli und Daten greifen, diese mög- with the process I will be describing. For licherweise umordnen und in verschiede- the comprehension of any one narrative nen Kontexten testen, werden in der kog- film, of course, the ‚hollow‘ forms I will nitiven Psychologie als Top-down-Prozes- be describing must be supplemented by se bezeichnet (Bordwells Beispiel: Das Er- many sorts of particular knowledge.3 kennen einer bekannten Person in einer Menschenmenge.) Ein konstruktivistisch Eines der grundlegenden Probleme psy- orientierter Ansatz wird selbstverständlich chosemiotischer Ansätze ist vielleicht die stets die Bedeutung solcher aktiv einge- Übergewichtung von Theorie überhaupt: setzten, präexistenten und den Wirkungs- Während psychoanalytische Untersu- grad eintreffender Stimuli beeinflussen- chungen und Interpretationsversuche ty- den Prozesse betonen.4 pischerweise dazu tendieren, latent verbor- Der neoformalistische Zuschauer gene Bedeutungen und Mechanismen in kommt dementsprechend niemals als un- filmischen Techniken aufzuspüren, orien- beschriebenes Blatt ins Kino. Zu seinen tiert sich der neoformalistische Ansatz vor- wichtigsten Ausstattungen gehören die wiegend an manifesten Inhalten und stilis- durch die Arbeiten von Frederic Bartlett tischen Funktionen, wie sie für den Filme- oder Jean Piaget bekannt gewordenen macher in der Praxis wohl tatsächlich von Schemata – auf Erfahrungen und erlern- Interesse sind. Dennoch, so Bordwell, be- tem Wissen beruhende Gedankenmuster, darf ein derart flexibles und vorwiegend an die uns helfen, das präsentierte Material ästhetischen Fragen orientiertes Modell ei- zu verarbeiten. Sie bilden die Grundlage ner grundsätzlichen Verankerung in einer für die Fähigkeit des Zuschauers, Hypothe- generellen Erkenntnistheorie, wie sie der sen bezüglich unbekannter Sachverhalte Konstruktivismus und die kognitive Wahr- zu entwerfen und seine Unfähigkeit, wenn nehmungspsychologie zu liefern versu- wir so wollen, Annahmen („assump- chen. Zu den wichtigsten Voraussetzungen tions“) und gefolgerten Meinungen zu wi- des neoformalistischen Ansatzes gehören derstehen. diesbezüglich฀folgende฀Annahmen: Nach Reid Hastie unterscheidet Bord- Der Zuschauer konstruiert den narrati- well „prototype“, „template“ und „proce- ven Film anhand der von ihm ausgehen- dural schemata“:5 Prototype Schemata den Stimuli oder „cues“ über Folgerungs- sind für die Identifikation von eher singu- prozesse („inferences“), die sich in „bot- lären Erscheinungen wie Personen, Aktio- tom-up“- und „top-down“-Prozesse unter- nen, Lokalitäten oder abstrakteren Begrif- teilen lassen. Bottom-up-Prozesse verar- fen verantwortlich. Die auch „Brain-

3 David Bordwell, Narration in the Fiction Film (Madison: University of Wisconsin Press, 1985), 30. 4 Vgl. ibid.,฀30–31. 5 Ibid,฀34–37. 1.1 Der neoformalistische Ansatz: Grundlagen und Begriffe 15

scripts“ genannten Erwartungsmuster zu Peter Ohler beispielsweise spricht bei Genrekonventionen und Handlungsab- seiner Modellierung eines mit Bordwells läufen, in denen solche Stereotypen einge- System weitgehend korrespondierenden reiht und Handlungselemente gegebenen- und erklärtermaßen vom Neoformalismus falls ergänzt werden, fallen in den Bereich inspirierten Ansatzes zu einer experimen- dessen, was Bordwell als Template Sche- tell fundierten, kognitiven Filmpsycholo- mata bezeichnet.6 Procedural Schemata re- gie von einer Vernetzung von „Weltwis- gulieren wiederum die Anwendung solch sen“ und „Narrativem Wissen“, die sich unterschiedlicher Templates und Scripts gegenseitig ergänzen.7 Treten also bei- und sind generell für die Suche nach Rela- spielsweise, wie häufig der Fall, Lücken in tionen wie Kausalität, Zeit oder Raum zu- der Erzählung auf, können diese, sofern ständig. Sie treten nach Bordwell vor al- keine adäquaten narrativen Schemata zur lem dann in Aktion, wenn sich Template Verfügung stehen, allenfalls durch Rück- Schemata als inadäquat zur Verarbeitung griff auf Weltwissen kompensiert werden. eines Phänomens erweisen. Ohler geht es dabei aber auch darum, die Ein zentrales Problem für die konstruk- verschiedenen „Bewertungskriterien“ her- tivistische Position stellt die Frage nach der vorzuheben, denen reale Erfahrung und Herkunft solcher mentaler Muster dar. filmische Erfahrung unterworfen werden: Wenn Schemata die Voraussetzung für die Während Reales als wahr oder nicht- Verarbeitung von Daten sind, wie können wahr unter Rückgriff auf Weltwissen be- dann neue, unbekannte Sachverhalte er- urteilt wird und mit Weltwissen nicht in fasst werden, zu denen auf mentaler Ebene Widerspruch stehen darf, zumindest an noch keine entsprechenden Strukturen be- dieses anbindbar sein muss, muss Fiktio- stehen? Lässt der Konstruktivist die Mög- nales allenfalls plausibel sein. Dies be- lichkeit von Neuaufnahmen offen, weicht deutet, dass Fiktionales wohl im Wider- er damit die starke These von der Determi- spruch zu Weltwissen stehen darf, jedoch nation oder Konstruktion der Außenwelt als sinnvolle Realisierung eines oder meh- durch innere Strukturen auf. Schließt er rerer narrativer Schemata begreifbar sein Neuaufnahmen aus, muss er von apriori- muss.8 schen und damit unerklärten Wahrneh- mungs- und Denkmustern ausgehen. Tritt Die dritte Kategorie, die Ohler einführt, ist diese Frage allein in Bezug auf Innovatio- die eines Wissens um „filmische Darbie- nen im Bereich des Kinos auf – wie ist es tungsformen“, bei Bordwell unter der Ru- möglich aus einem experimentellen Avant- brik „stylistic schemata“ behandelt.9 Oh- gardefilm Sinn zu gewinnen? – lässt sie sich ler gelingt es anhand einiger experimen- zwar unter Berufung auf übergeordnete Er- teller Versuche, wie zu erwarten Belege für fahrungsbestände aus nicht filmspezifi- die Existenz intersubjektiv geteilter narra- schen Kontexten, wie sie Bordwells Proce- tiver Schemata zu finden. Seine Untersu- dural Schemata u.a. darstellen, um einen chungsergebnisse zur Kenntnis spezifi- Schritt nach außen verlagern, geklärt wird scher filmtechnischer Mittel sind zumin- sie฀damit฀aber฀natürlich฀noch฀nicht. dest dahingehend zu interpretieren, dass

6 Vgl. Christian Mikunda, Der verbotene Ort oder Die inszenierte Verführung: Unwiderstehliches Marke- ting฀durch฀strategische฀Dramaturgie (München:฀Econ,฀1995),฀15–20. 7 Peter Ohler, Kognitive Filmpsychologie: Verarbeitung und mentale Repräsentation narrativer Filme (Münster:฀Maks฀Publikationen,฀1994),฀34–35. 8 Ohler,฀39. 9 Ibid.,฀36;฀Bordwell, Narration,฀36. 16 1 ฀sthetik

Rezipienten a) durchaus über ein diesbe- den Kleinsteinheit, aus der sich ein Film zügliches Grundwissen verfügen, dass b) zusammensetzt, also einem atomaren solche formalen Strategien einen kontext- Baustein, wie ihn beispielsweise Pasolini gebundenen Einfluss auf die mentale Ver- im von ihm benannten „cinem“ gefunden arbeitung des filmischen Materials haben, zu haben glaubte. Mittlerweile gelten je- dass es c) dem Zuschauer jedoch offenbar doch sämtliche diesbezüglichen Versuche schwer fällt, diese als solche wahrzuneh- als mehr oder weniger gescheitert. men, vor allem wenn er sich einen Film In der Regel sprechen Theoretiker da- unter ganz gewöhnlichen Umständen an- her heute vorsichtshalber von multiplen sieht.10 Bordwells Darlegungen bezüglich filmischen Codes oder wie die Neoforma- Stylistic Schemata gehen mit diesen Punk- listen von Cues und „devices“. Der Begriff ten weitgehend konform. Device (wörtlich: Kunstgriff, Vorrichtung) Mit einer der Gründe dafür, dass Zu- bezeichnet dabei „... any single element or schauer sich ihrer eigenen, aktiven Tätig- structure that plays a role in the artwork – a keiten bei der Filmrezeption nicht bewusst camera movement, a frame story, a repea- sind und sich auch rückblickend schwer ted word, a costume, a theme and so on.“12 tun, solche Vorgänge zu analysieren, dürf- Wie der Begriff bereits nahe legt, erfül- te das simple Faktum sein, dass sie keine len Devices innerhalb des Films eine Funk- Begriffe und Termini zur Hand haben, die tion. Ein weicher Schnitt kann einen eine solche Rekonstruktion ermöglichen Flashback anzeigen, also den Übergang in würde. Eine der Aufgaben der Filmtheorie eine andere Zeitebene. Er kann aber eben- sieht Bordwell folglich darin, solche be- so einen markanten Ortswechsel, den Ab- grifflichen Instrumente zu entwickeln und schluss einer Szene oder einfach, dass Ver- zur Verfügung zu stellen. Die wichtigsten streichen einiger Stunden indizieren. Ein terminologischen Werkzeuge der Neofor- bestimmtes Device kann also immer meh- malisten sind in Folge kurz vorgestellt. rere und verschiedenartige Funktionen er- füllen. Andererseits hat der Film aber auch die Möglichkeit, eine bestimmte Funktion 1.1.1 Devices durch den Einsatz unterschiedlicher Devi- Einer der Themenkomplexen mit denen ces zu bewerkstelligen: Ein Flashback sich die moderne Filmtheorie vor allem in könnte ebenso gut durch den Wechsel von ihren Anfängen beschäftigt hat, dreht sich Farbfilm auf Schwarzweiß oder das Ein- um die Fragen, ob der Film eine Form von spielen von Harfenklängen markiert wer- Sprache ist, und wenn ja, sich nicht auch den. In diesem Fall sprechen die Neofor- eine spezifische Grammatik für dieses Me- malisten von „functional equivalents“.13 dium entwerfen ließe (siehe dazu vor al- Oft kommt es vor, dass eine Funktion von lem Christian Metz’ grande syntagmati- mehreren Devices zugleich, also in redun- que11). Ein wesentlicher Schritt, um gewis- danter Weise erfüllt wird – z.B. Zoom, wei- se Analogien zwischen Sprache und Film cher Schnitt und Harfenmusik als Hinweis nachzuweisen wäre das Aufspüren einer auf einen Flashback. Die jeweilige Funkti- dem sprachlichen Phonem entsprechen- on des angewandten Devices erschließt

10 Vgl.฀Ohler,฀37,฀196–200,฀230–251,฀200–212,฀224–230,฀251–293. 11 Christian Metz, Film Language: A Semiotics of the Cinema, transl. by Michael Taylor (New York: Oxford฀University฀Press,฀1974). 12 Kristin Thompson, Breaking the Glass Armor: Neoformalist Film Analysis (Princeton: Princeton Uni- versity฀Press,฀1988),฀15. 13 Ibid. 1.1 Der neoformalistische Ansatz: Grundlagen und Begriffe 17

sich folglich oft erst durch den Kontext, in endlich willkürlich festgelegt werden müs- dem es auftritt. Entsprechend bedeutet sen, um die Handlung der jeweiligen Ge- Filmanalyse für Kristin Thompson, die je- schichte zu ermöglichen. Damit eine Ver- weiligen Funktionen von Devices in den kleidungskomödie wie TOOTSIE (1982) unterschiedlichen Kontexten eines Filmes funktioniert, ist es notwendig, dass keine aufzuspüren. der betroffenen Figuren die für den Zu- schauer mehr oder weniger offensichtli- che Maskerade der Dustin Hofmann-Figur 1.1.2 Motivation durchschaut. Der Zuschauer mag dies ein- fach übersehen, als störend empfinden Devices perform functions in artworks, oder aber als ‚kompositorisch‘ notwendi- but the work must also provide some rea- gen Teil der Konstruktion der Geschichte son for including the device to begin akzeptieren. with.14 Beziehen sich solche letztendlich will- Ein Device erfüllt nicht nur eine Funktion kürlichen Begründungen auf bereits weit- im Film, sondern sein Einsatz wird nach gehend etablierte Standards aus anderen Ansicht der Neoformalisten darüber hin- Filmen (Genre) oder Kunstformen, spre- aus in der Regel auf die ein oder andere chen die Neoformalisten von ‚transtextuel- Weise motiviert: „Motivation is the pro- ler Motivation‘. Die an sich befremdliche cess by which a narrative justifies its story Tatsache, dass Figuren in Musicals immer material and the plot’s presentation of wieder spontan und in aller Öffentlichkeit that story material.“15 Vier grundlegende zu singen anfangen, wird in erster Linie Motivationsrahmen werden dabei von durch฀solche฀Konventionen฀akzeptabel. den Neoformalisten unterscheiden: „rea- Schließlich enthält ein Film mögli- listic motivation“, „compositional moti- cherweise aber auch Elemente, die sich in vation“, „transtextual motivation“ und keine der obigen Kategorien eingliedern „artistic motivation“.16 lassen und somit lediglich auf sich selbst ‚Realistische Motivation‘ bezieht sich, als kontemplatives oder wie auch immer wie der Name schon sagt, auf Übereinstim- stimulatives Moment verweisen. Da nach mungen zwischen filmischen Gegeben- Auffassung des Neoformalismus jeder Film heiten und dem, was der jeweilige Zu- ein Kunstwerk ist, schwingt ‚artistic moti- schauer auf Grund seiner Erfahrungen vation‘ letztendlich beim Einsatz eines je- über die Realität zu wissen glaubt. So ist den Elements mehr oder weniger mit. Hin- beispielsweise in der BATMAN-Reihe (1989 ter jeder mimetischen Motivation gibt es, ff) die Tatsache, dass dieser zahlreiche so Kristin Thompson nach Meir Sternberg, High-Tech-Geräte, Waffen und Fortbewe- eine rein ästhetische, die über die narrati- gungsmittel besitzt, zumindest insofern ven Funktionen des Elements hinaus- realistisch motiviert, als Bruce Wayne alias reicht, üblicherweise aber nur dann in den Batman Multimillionär ist und sich derlei Vordergrund rückt, wenn sich die übrigen Spitzentechnologie möglicherweise tat- motivatorischen Kategorien für das betref- sächlich leisten könnte. fende Element als mangelhaft erweisen.17 Viele Elemente, Ereignisse und Regeln Deutlich wird damit auch, dass die Ele- eines Films werden daneben jedoch letzt- mente eines Films nur selten in lediglich

14 Ibid.,฀16. 15 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀19. 16 Bordwell, Narration,฀36;฀Thompson, Glass฀Armor,฀16–21. 18 1 ฀sthetik

einer der motivatorischen Kategorien ver- finiert Fabula (im englischen oft mit „sto- ankert sind. ry“ übersetzt) als: „... term for the narrati- Wenn, so Bordwell, Marlene Dietrich in ve events in causal chronological sequen- einem Film ein Lied singt, ist dies mögli- ce. A construct of the spectator.“ Syuzhet cherweise kompositorisch motiviert, da die (englisch „plot“) hingegen bezeichnet: „... betreffende Sequenz die Beziehung zwi- the systematic presentation of fabula schen ihrer Figur und der des Helden eta- events in the text we have before us.“20 bliert. Insofern die Sequenz in einer Musik- Das Syuzhet ist jene Repräsentation der bar spielt und Marlene Dietrich in der Tat narrativen Elemente oder Ereignisse einer eine professionelle Sängerin verkörpert, Geschichte, wie wir sie unmittelbar im wäre sie aber auch als durchaus realistisch Film zu sehen und zu hören bekommen einzustufen. Auch dann, wenn es sich bei (dies umfasst sowohl diegetisches, also dem betreffenden Film um ein Musical zum fiktionalen Universum des Films ge- handelt, das solche Einlagen schon allein hörendes, als auch nicht-diegetisches Ma- auf Grund der generischen Konvention terial, wie z.B. Untertitel.) Sowohl im Film rechtfertigt.18 Darüber hinaus bieten aber als auch in anderen narrativen Formen gerade Musicalnummern einen Unterhal- werden Geschichten jedoch in der Regel tungswert, der vom Zuschauer unabhängig nicht in ihrer streng chronologischen und von jeder dramaturgischen oder mimeti- kausalen Ordnung präsentiert. schen฀Funktion฀genossen฀werden฀kann. Wichtige Informationen, beispielswei- Angesichts der, wie dieses Beispiel se Kindheitserlebnisse eines Protagonis- zeigt, grundsätzlich symbiotischen und dy- ten, werden dem Zuschauer zu gegebenem namischen Organisationsstrukturen des Zeitpunkt während der fortlaufenden Films vermeidet es die neoformalistische Handlung des Films zugespielt. Ebenso Analyse generell, Elementen einen exklusi- verhält es sich mit Flashbacks, die vergan- ven Status zuzuschreiben, und zieht es statt gene Ereignisse nicht nur ‚per Rapport‘ dessen vor, von „foregrounding“ – Hervor- wiedergeben („recounting“) sondern di- treten eines Elements innerhalb der Syste- rekt ‚inszenieren‘ („enacting“).21 Die chro- matik, eines einzelnen Films (von Bordwell nologisch und kausal korrekte Aneinan- „intrinsic norms“ genannt) – oder „promi- derreihung versetzt und verschachtelt re- nence“ – Abhebung von verbreiteten filmi- präsentierter Storyinformationen ist Auf- schen oder sonstigen Konventionen („ex- gabe des Zuschauers. Hinzu kommen all trinsic฀norms“)฀–฀zu฀sprechen.19 jene Schlussfolgerungen, Verknüpfungen und Assoziationen, die der Film zwar sug- gerieren mag, die streng genommen aber 1.1.3 Syuzhet und Fabula erst im Kopf des Zuschauers entstehen. Ein ganz fundamentales und auch in der Das sich aus diesen Prozessen ergebende Literaturwissenschaft weit verbreitetes mentale Konstrukt bezeichnet der Begriff Konzept des neoformalistischen Filmmo- Fabula. dells stellt die Unterscheidung von „syuz- Wenn wir THE MATRIX (1999) zum ers- het“ und „fabula“ dar. David Bordwell de- ten mal sehen (Syuzhet), haben wir zu-

17฀ Vgl.฀Meir฀Sternberg,฀Expositional฀Modes฀&฀Temporal฀Ordering฀in฀Fiction฀(Baltimor:฀The฀John฀Hopkins University฀Press,฀1978)฀251–252,฀zit.฀in฀Thompson, Glass฀Armor,฀19. 18 Vgl.฀Bordwell, Narration,฀36. 19 Ibid.,฀152. 20 David Bordwell, „Classical Hollywood Cinema: Narrational Principles and Procedures“, in Narra- tive,฀Apparatus,฀Ideology,฀ed.฀Rosen,฀18. 1.1 Der neoformalistische Ansatz: Grundlagen und Begriffe 19

nächst keine Ahnung, wer die Männer mit Techniken wie Schnitt, Kameraführung, den schwarzen Sonnenbrillen sind, wo wir Ton, audiovisueller Rhythmus etc. be- uns befinden und warum sie die mit schreiben werden. Im engeren Kontext scheinbar übernatürlichen Kräften ausge- seines Narrationsmodells bezieht sich der stattete Frau verfolgen. Erzählen wir die Stilbegriff des Neoformalismus aus- Geschichte (Fabula) später unseren Freun- schließlich auf den systematischen Ein- den, haben wir dagegen vielleicht sogar satz solcher cinematischer Techniken. Da- das Bedürfnis, gleich vorweg zu erklären, neben verwendet der Neoformalismus Stil dass es sich dabei um Agenten der Matrix aber auch im geläufigeren und umfassen- handelt und Trinity eine Freiheitskämpfe- deren Sinne, um die typischen Merkmale rin ist, die es gelernt hat, mittels mentaler einer Gruppe von Filmen, einer Epoche Kraft in die Scheinwelt dieses Simulations- oder eines bestimmten Filmemachers zu programms einzugreifen. beschreiben – so z. B. eben den Stil des In Anlehnung an Roland Barthes un- klassischen Hollywoodkinos, wie er auf terscheidet Kristin Thompson in diesem den folgenden Seiten charakterisiert wird. Zusammenhang auch noch zwei weitere Zu den typischen Merkmalen dieses Momente, die den Charakter einer Filmer- „group styles“, wie es die Neoformalisten zählung prägen: ein ‚proairetisches Mo- mitunter bezeichnen, gehört unter ande- ment‘ („proairetic line“), das auf unserer rem die relative Unscheinbarkeit solcher Fähigkeit beruht, kausale Zusammenhän- stilistischen Techniken, da sie üblicher- ge von Aktionen oder Ereignissen zu be- weise den narratorischen Anforderungen greifen und andererseits ein ‚hermeneuti- des Syuzhets untergeordnet werden. In sches Moment‘ („hermeneutic line“), das avantgardistischen Filmformen tritt Stil für das narrative Aufgeben von Fragen, dagegen häufiger als eigenständiges Struk- Verzögern von Antworten oder Irreführen turelement auf.23 des Zuschauers steht. Das proairetische Moment birgt somit das befriedigende Er- 1.1.5 Narration lebnis, Handlungen verstehen zu können; das hermeneutische Moment stellt einen Narration is the process whereby the wichtigen Motor der Hypothesenformu- film’s syuzhet and style interact in the lierung des Zuschauers dar und erfüllt pri- course of cueing and channeling the spec- mär die Funktion, unser Interesse an der tators construction of the fabula.24 Geschichte wach zu halten.22 Die über Syuzhet und Style laufende Ver- mittlung von Daten und Informationen, 1.1.4 Style die der Zuschauer zur Konstruktion der Bezieht sich der Syuzhet-Begriff in erster Fabula benötigt, wird im Neoformalismus Linie auf die narrativ-dramaturgische Re- als „narration“ bezeichnet. Bemerkens- präsentation von Story-Ereignissen, kön- wert an der neoformalistischen Konzepti- nen dieselben Ereignisse auch als eine on der Narration ist, dass diese empha- fortlaufende Anwendung cinematischer tisch als Prozess und nicht als dinglich

21 Bordwell, Narration,฀78. 22 Thompson, Glass฀Armor,฀39. 23 Vgl. Bordwell, Narration, 50–53, 274–310; Bordwell, Staiger, Thompson, Classical Hollywood,3; Thompson, Glass฀Armor,฀43. 24 Bordwell, Narration,฀53. 20 1 ฀sthetik

oder personifiziert vorstellbares Phäno- stanz der Narration, um dem Zuschauer men verstanden wird. Im neoformalisti- Informationen aus dem imaginären Spei- schen Ansatz gibt es stricto sensu keinen cher der Fabula via Syuzhet zu vermitteln. Sender, Kommunikator oder Erzähler, es Dabei hinterlässt die Narration einen Ein- sei denn, im Syuzhet komme tatsächlich druck davon, inwieweit sie Zugang zu die- ein solcher vor. Dennoch halten es die sen Informationen hat. Neoformalisten für sinnvoll, eine solche Damit ist aber noch nichts darüber ge- Erzählinstanz vorauszusetzen, der gewisse sagt, welche dieser Informationen dem Attribute zugeschrieben werden können. Rezipienten auch tatsächlich zugespielt Das fehlende Bindeglied dieser sich werden. Die Narration kann durchaus an- scheinbar ausschließenden Positionen ist deuten bestimmte Informationen zu be- folgendes: Die Narration erscheint vom sitzen, sie dem Zuschauer aber dennoch Blickwinkel eines Zuschauers oder des vorenthalten. So zum Beispiel in Sequen- neoformalistischen Filmanalytikers zwar zen, bei denen die Kamera zwar der Bewe- als eine Art übergreifende Instanz, die das gung der Füße oder Hände eines Verbre- Syuzhet und den Style eines Films struktu- chers folgt, es aber streng vermeidet, des- riert und somit die fortlaufende Konstruk- sen Gesicht zu zeigen. Communicative- tion der Fabula leitet; wie die Fabula selbst ness ist „... the extent to which the narra- entstehen ihre Konturen aber erst in und tion withholds or communicates fabula durch eben diesen Prozess. Die Narration information.“26 eines Films lässt sich dabei, wie David Zugleich erweist sich die Narration in Bordwell฀ argumentiert,฀ nach฀ drei฀ grund- einem solchen Moment als relativ self- sätzlichen Aspekten untersuchen: Nach conscious, insofern als sie ihre Funktion ihrer „knowledgeability“, ihrer „commu- als strukturierende Instanz oder „Erzähler“ nicativeness“ und ihrer „self-conscious- der Geschichte verhältnismäßig deutlich ness“.25 zu erkennen gibt. Self-Consciousness be- Knowledgeability bezeichnet den Wis- zeichnet „... the degree to which the narra- sensgrad an Fabulainformationen, die die tion acknowledges its address to the spec- Narration zu besitzen vorgibt. Wurde die tator.“27 Wie das Beispiel zeigt, ist Fabula zuvor als mentales Konstrukt des Self-Consciousness dabei nicht mit dem Zuschauers charakterisiert, gilt es hier zum geläufigen Begriff von Selbstreflexivität besseren Verständnis die Fabula als hypo- gleichzusetzen. In diesem Sonder- und Ex- thetische, quasi lückenlose Niederschrift tremfall sprechen die Neoformalisten von einer Geschichte und ihrer Ereignisse oder „baring of the device“.28 als die Geschichte „wie sie an sich wohl ge- Vor allem legt der Neoformalismus schehen ist“ zu begreifen. Die Fabula wäre Wert darauf, Self-Consciousness als dyna- somit eine Art Speicher, der alle wesentli- mischen Begriff verstanden zu wissen. Die chen Informationen, aus denen sich die Verwendung eines Voice-over-Kommen- Geschichte zusammensetzt, beinhaltet. So tars impliziert für den Neoformalisten gesehen hat der Zuschauer direkten Zu- zwar immer einen prinzipiell höheren gang lediglich zum Syuzhet, nicht aber zur Grad an erzählerischer Präsenz, als wenn Fabula. Es bedarf der strukturierenden In- dieselbe Information in einem realistisch

25 Bordwell, Narration,฀57–61;฀Thompson, Glass฀Armor,฀S.41. 26 Bordwell,฀„Classical฀Hollywood“,฀18. 27 Ibid. 28 Thompson, Glass฀Armor,฀20;฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀22. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 21

motivierten Kontext durch die Aktionen und Sprechakte diegetischer Figuren ver- mittelt wird. Dennoch ist selbst in einer solchen Sequenz, wenn sie wie beispiels- weise in der Eröffnungsphase klassischer Hollywoodfilme mit erklärenden Informa- tionen überladen ist, der Narrationspro- Abb.฀1฀฀฀Das฀neoformalistische฀Narrationsmo- dell (Quelle:฀Bordwell, Narration,฀50) zess noch immer präsenter als beispiels- weise in einer schnell geschnittenen Ver- nen zugespielt werden, die seine bereits folgungsjagdsequenz, bei der dem Zu- stark fokussierten Hypothesen bestätigen schauer nur mehr punktuelle Informatio- oder nicht.

1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino

In fictional filmmaking, one mode of nar- der Hand, dass sich der klassische Erzähls- ration has achieved predominance. til – wie er sich unter der Obhut des klassi- Whether we call it mainstream, domi- schen Studiosystems bereits zu Zeiten des nant, or classical cinema, we intuitively Stummfilms entwickelt hat – nicht auf recognize an ordinary, easily comprehen- diesen schon aus rein formellen Gründen sible movie when we see it.29 abgesteckten Rahmen beschränkt. Weder geographisch, noch – wie Bordwell bereits Neben zahlreichen exemplarischen Ana- in The Classical Hollywood Cinema bekräf- lysen zu einzelnen Filmen in ihren theore- tigt – historisch. Weder geographisch, tischen Hauptwerken haben David Bord- noch wie Bordwell bereits in The Classical well und Kristin Thompson auch einige Hollywood Cinema bekräftigt, historisch.30 umfassendere Untersuchungen zu alter- Viele filmproduzierende Nationen nativen und individuellen Stilen von Fil- und selbst die Grande Nation des Autoren- memachern wie Carl Theodor Dreyer, Ser- kinos Frankreich haben den Stil im Be- gej Eisenstein und Yasujiro Ozu verfasst. reich der Mainstream-Produktion über- Ihr mit Abstand einflussreichstes Werk nommen und wären möglicherweise auch bleibt jedoch die 1985 erstmals erschiene- ohne den Einfluss des Hollywoodkinos auf ne Studie zum klassischen Hollywoodki- ähnliche Lösungsversuche gekommen. no. Umrahmt von einer umfangreichen Zum Teil werden die Grundprinzipien historischen Analyse und basierend auf ei- klassischer Filmgestaltung in nationalen nem Sample von rund 300 teils zufällig, Filmtraditionen dabei sicherlich um be- teils gezielt gewählten Filmen, bezieht stimmte Charakt eristika ergänzt. Vor al- sich die Arbeit dabei auf ein mehr oder lem aber hat der amerikanische Film sei- weniger strikt definiertes Untersuchungs- nen Akteuren selbst schon immer einen feld: das Hollywoodkino zwischen den relativ flexiblen Spielraum geboten. Bord- Jahren 1917 und 1960. Dennoch liegt auf well:

29 Bordwell, Narration,฀156. 30 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀9–10,฀367–377. 22 1 ฀sthetik

My emphasis on norms should not be ta- tem der cinematischen Narration, einem ken to imply an iron-clad technical for- System cinematischer Zeit und einem Sys- mula imposed upon filmmakers. Any tem des cinematischen Raums. Drittens group style offers a range of alternatives. lässt sich ein Stil nach dem grundlegen- Classical filmmaking is not, strictly spea- den Verhältnis zwischen diesen drei Syste- king, formulaic; there is always another men charakterisieren. Während Devices way to do something. You can light a sce- sowohl in einzelnen Filmen als auch auf ne high- or low-key, you can pan or track, Grund der historischen Adaptionen eines you can cut rapidly or seldom. A group Stilparadigmas durchaus variieren, sind style thus establishes what semiologists es, so Bordwell, vor allem Funktionen der call a paradigm, a set of elements which zweiten und Makrorelationen der dritten can, according to rules, substitute for one Ebene, die über solche Unterschiede und another. Thinking of classical style as a Veränderungen hinweg relativ konstant paradigm helps us retain a sense of choi- bleiben und geblieben sind. ces open to filmmakers within the traditi- on. At the same time, the style remains a 1.2.1 Narrative Organisationsprinzi- unified system because the paradigm of- pien des klassischen Hollywoodstils fers bounded alternatives.31

The point is simply that Hollywood films 1.2.1.1 Handlungsstränge und Figuren constitute a fairly coherent aesthetic tra- Zu den banalsten Problemen, mit denen dition which sustains individual creati- sich Narratologen auseinandersetzen, ge- on. For the purposes of this book, the la- hört die Frage, welche Qualitäten ein Text bel ‚classicism‘ serves well because it denn überhaupt aufweisen muss, um als swiftly conveys distinct aesthetic quali- Geschichte zu gelten. Eine mögliche und ties (elegance, unity, rule-governed crafts- in der Tat häufig vertretene Antwort lau- manship) and historical functions (Holly- tet, dass Kausalität zumindest einer der wood’s role as the world’s mainstream entscheidenden Faktoren sei. Demnach film style). Before there are auteurs, there wäre der Satz: „Der König starb und dann are constraints; before there are devia- starb die Königin“, kein Narrativ – der tions, there are norms.32 Satz: „Der König starb und dann starb die Königin aus Kummer“, aber schon.33 Die Bordwell unterscheidet drei Ebenen, nach erste Aussage erfüllt zwar die offenbar denen sich solche Normen bestimmen las- ebenfalls wichtigen Kriterien einer chro- sen: Klassisches Kino bedient sich ver- nologischen Folge von Ereignissen, einer schiedener Devices. Als Paradigma besteht Transformation von Zuständen und der der Stil jedoch nicht nur aus der bloßen Involvierung eines personifizierten Agen- Summe solcher Elemente, sondern auch ten, wirkt jedoch zweifelsohne etwas aus den Funktionen, die er ihnen in seiner vage, da die kausale Relation zwischen Systematik zuweist. Auf dieser zweiten den beiden Ereignissen nicht explizit spe- Ebene lassen sich wiederum drei verschie- zifiziert ist und auch interpretativ kaum dene Bereiche isolieren: Jeder Spielfilm or- aus den vorhandenen Informationen ge- ganisiert seine Elemente nach einem Sys- wonnen werden kann. Wissenschaftlich

31 Ibid.,฀5. 32 Ibid.,฀4. 33 Vgl. Edward Branigan, Narrative Comprehension and Film (London, New York: Routledge, 1992), 11–12. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 23

stehen derartige Probleme nach wie vor Schirmherren der besetzten Region ver- zur Debatte, für Hollywood scheint die bringen. Wallace hat eine Romanze mit Frage jedoch seit jeher sehr klar zu beant- der Prinzessin Isabelle (Sophie Marceau), worten zu sein: „Plot“, schreibt ein von auf die auch Edward ein Auge geworfen Bordwell zitierter Drehbuchratgeber aus hat, usw. Geschichte kommt im Holly- den Zwanzigerjahren, woodfilm nur in zwei Varianten vor, meint Bordwell: Entweder als relativ be- is a careful and logical working out of the langloses Hintergrundsetting für das per- laws of cause and effect. The mere se- sönliche Drama der Protagonisten oder quence of events will not make a plot. als direkte Folge individueller Handlun- Emphasis must be laid upon causality gen derselben. and the action and reaction of the human will.34 Thus the classical film makes history un- knowable apart from its effects upon indi- Primäre Agenten der kausal motivierten vidual characters. As an old Russian émi- Hollywooddramaturgie sind die Figuren gré says at the end of BALALAIKA (1939): oder, wie es in der neoformalistischen Ter- ‚And to think that it took the Revolution minologie heißt, „Charaktere“ eines to bring us together.‘35 Films. Die Ereignisse eines Films könnten, so Bordwell, als Folge komplexer histori- Indem die handlungsbestimmenden Ak- scher, politischer oder sozialer Zusam- tionen und Reaktionen der Figuren auf menhänge miteinander verknüpft wer- scheinbar logische Charakterzüge und den. Der klassische Hollywoodfilm wird Motive zurückzuführen sind, werden sie jedoch in erster Linie die Motive und Ei- psychologisch motiviert. Der typische genschaften seiner Figuren zum treiben- Hollywoodcharakter setzt sich dabei aus den Moment seiner Handlungsketten ma- einer Reihe weniger, hervorstechender chen. und konsistenter Attribute zusammen, die In BRAVEHEART (1995) prallen letzt- in der Regel mit der narrativen Funktion endlich nicht die vielschichtigen Bedürf- der Figur korrespondiert. Alter, Beruf, Ge- nisse des Englischen Reiches und der schlecht, ethnische Zugehörigkeit, äußere schottischen Bevölkerung aufeinander, Erscheinung etc. bilden einen eher allge- sondern die persönlichen Interessen des meinen Assoziationsrahmen. Individu- niederträchtigen Königs Edward I und des alistischere Züge können über Gesten, Mi- grausamen, aber edlen William Wallace. mik, kleine Vorlieben und Tics und vor al- Wallace (Mel Gibson) nimmt den Kampf lem durch das jeweilige Verhalten in ent- mit den englischen Soldaten erst auf, scheidenden Situationen etabliert wer- nachdem diese seine Frau (Catherine den.36 Wenn Hollywoods Figuren dabei oft McCormack) getötet haben. Diese Ermor- stereotyp wirken, ist dies wohl einerseits dung wiederum steht in engem Zusam- auf die für Hollywood generell wichtige menhang mit dem persönlichen Gebot Anforderung universeller Verständlichkeit Edwards I. (Patrick McGoohan), schotti- zurückzuführen, anderseits aber auch auf sche Frauen müssten nach der Heirat die die internen Bedingungen des jeweiligen erste Nacht mit dem lokalen englischen Films.

34 Francis Taylor Paterson, Cinema Craftsmanship (New York: Harcourt, Brace & Howe, 1920), 5 zit. in฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀13. 35 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀13. 36 Vgl. Ibid.,฀14. 24 1 ฀sthetik

Während figurenorientierte Genres ner) in DANCES WITH WOLVES (1990) – wie das Drama oder die romantische Ko- ähnlich wie Al Pacino in SCENT OF A WO- mödie einen vergleichsweise breiten Spiel- MAN (1992) oder Bill Murray in GROUND- raum für die Charakterisierung ihrer Pro- HOG DAY (1993) – vom mürrischen Armee- tagonisten zur Verfügung stellen, fehlt im offizier zum sensiblen Indianerfreund ent- plot- und special-effects-orientierten Acti- wickelt, wandelt sich sein Charakter letzt- on/Adventure-Kino häufig einfach die endlich nur zu dem, was er in latenter Zeit, um Charaktere mit komplexeren Ei- Form schon von Beginn an in den Köpfen genschaften auszustatten. Drehbuchratge- der Zuschauer gewesen ist – das typische ber und Ex-Hollywood-Story-Consultant Rollenimage von Kevin Costner.38 Peter Hant: Psychologisch motiviert, wird der klas- sische Hollywoodcharakter selbst zum Figuren in Filmen haben ihre Wirkung, kausalen Agenten der Filmhandlung. Hol- weil sie klar gezeichnete, hervorstechende lywoods Protagonisten sind „goal oriented Eigenschaften haben. In einem Film hat heroe[s]“.39 Möglichst frühzeitig, typi- der Autor nicht viel Zeit, um dem Zu- scherweise innerhalb der ersten 10–20 Mi- schauer ein Gefühl für die Figuren zu ge- nuten eines Films mit Standardlänge, etab- ben. Grelle Übertreibung ist notwendig, liert der Hollywoodfilm ein für den Zu- um in der kurzen Zeit, die zur Verfügung schauer klar ersichtliches Ziel des Protago- steht, ein klares, unzweifelhaftes Bild nisten, das zum zentralen Motor der anti- vom Charakter zu vermitteln. Dieses Bild zipatorischen Teilnahme des Publikums gleicht sehr viel mehr einer Karikatur als wird. Drehbuchguru Syd Field: einem exakten Portrait. Je klarer der Au- tor die Eigenschaften des Protagonisten First, define the need of your character. vermitteln kann, um so besser werden die What does your character want? What is 37 Zuschauer den Film verstehen. his need? (...) The need of your character Eine wichtige Funktion des Hollywood- gives you a goal, a destination, an ending Starsystems besteht, wie Bordwell hervor- to your story. How your character achie- hebt, daher darin, dem Filmemacher eine ves or does not achieve that goal becomes 40 bereits etablierte Persönlichkeit zur Verfü- the action of your story. gung zu stellen, die sich in die jeweiligen Peter Hant fügt dem eine ganz wesentli- Anforderungen des Filmnarrativs einglie- che Bestimmung hinzu: dern lässt. Die motivatorische Unterstüt- zung, die von der etablierten und über Um sich identifizieren zu können, muss den wiederholten Einsatz in immer wie- der Zuschauer wissen, was der Protago- der ähnlichen Rollen aufgebauten Starper- nist will. Der Zuschauer muss das Ziel sona eines Schauspielers ausgehen kann, kennen, auf das sich die Handlungen und zeigt sich unter anderem gerade dort, wo Entscheidungen des Protagonisten bezie- die Figur und das Image des Schauspielers hen. Dieses Ziel muss konkret und greif- zunächst auseinander zu klaffen schei- bar sein. Der Protagonist mag nach ‚Lie- nen. Wenn sich John Dunbar (Kevin Cost- be‘, ‚Freiheit‘ oder ‚Macht‘ streben, doch

37 Peter Hant, Das Drehbuch: Praktische Filmdramaturgie (Waldeck: Felicitas Hübner Verlag, 1992), 50. 38 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀14. 39 Ibid.,฀16. 40 Syd Field, Screenplay: The Foundations of Screenwriting. A Step-by-Step Guide from Concept to Finished Script,฀3rd฀revised฀ed.฀(1979;฀New฀York:฀Dell฀Publishing,฀1994),฀24. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 25

das allein ist nicht genug. Der Autor muss zahlreiche und nach Möglichkeit immer seiner Hauptfigur ein materielles Ziel ge- größere Hindernisse in den Weg, die über- ben, das die ideelle Qualität, nach der er wunden werden müssen oder den Hand- strebt ausdrückt, etwa ‚Julia‘, ‚der Sturz lungsspielraum des Helden zunehmend des Diktators X‘, ‚der Chefsessel in der einengen. Nicht zuletzt gehen diese Hin- Firma‘ etc. Dieses Ziel kann sich im Ver- dernisse auf die entgegenlaufenden Ziele lauf der Geschichte ändern, aber zu jedem eines Antagonisten zurück. Bordwell zu- Zeitpunkt muss der Zuschauer wissen, folge gibt es zwei Standardvarianten, nach welches Ziel der Protagonist verfolgt.41 denen die Zielsuche des Protagonisten verläuft: Der Held möchte die Situation, Der Unterhaltungswert des Hollywood- in der er sich zu Beginn der Geschichte be- films basiert nicht zuletzt auf der Tatsa- findet, verändern, ihr etwas neues hinzu- che, dass es nahezu immer eine starke fügen, oder es gilt, einen aus der Ordnung „materielle“ Handlungsebene gibt. Auch geratenen Anfangszustand wieder herzu- das tiefgründigere und ernsthafte Drama, stellen.44 Der klassische Hollywoodfilm bei dem es ja vor allem um geistige und korrespondiert somit weitgehend mit dem emotionale Konflikte oder Fragen geht, Muster des „Kanonischen Story-Formats“, wird im Hollywoodfilm in der Regel über das sich aus den Grundstationen „... un- eine starke „materielle“ Oberflächen- disturbed stage, the disturbance, the handlung – den Plot im üblichen Sinne – struggle, the elimination of the disturban- inszeniert. „Outer motivation for your ce ...“ zusammensetzt und von Narratolo- hero is an absolute necessity. (...) Explora- gen als eine Art Norm für westlichen Kul- tion of inner motivation is optional“, turen bezeichnet wird.45 Die Ziele des Hel- meint Michael Hauge.42 Hollywoods Pro- den können dabei in die unterschiedlichs- tagonisten sind dementsprechend immer ten Bereiche fallen – „... business, spying, Figuren der Tat. Peter Hant: sports, politics, crime, show business ...“46 –, Hollywood wäre jedoch nicht Holly- Der Protagonist ist der Beweger, er ist der, wood, spielte nicht ein nur zu bekanntes durch den das geschieht, was geschieht. Ziel in fast allen seiner Filme eine Rolle – Natürlich beeinflussen auch andere Fak- die romantische Liebe zwischen Mann toren die Handlung. Doch ihr Einfluss ist und Frau. bei weitem geringer. (...) Der Protagonist Von den 100 Filmen der Zufallsstich- ist aktiv. Er muss handeln. Der Protago- probe der neoformalistischen Studie kam nist darf nicht zum Spielball anderer in 95 Fällen heterosexuelle Liebe in zu- Kräfte innerhalb der Geschichte werden. mindest einer der Handlungslinien vor; 85 Er ist immer die Figur, die am meisten be- Filme machten Liebe sogar zum zentralen wegt.43 Thema ihrer Geschichte und immerhin 60 Dem Ziel oder den Zielen des Protagonis- Filme zeigten in den letzten Einstellungen ten stellen sich im Laufe der Handlung ein Bild des vereinigten Paares.47 Dieser

41 Hant,฀54. 42 Michael Hauge, Writing Screenplays That Sell (New York: Harper Perennial, 1991; reprint, New York฀McGraw-Hill,฀1988),฀56. 43 Hant,฀47–48. 44 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀16. 45 Bordwell, Narration,฀157,฀35. 46 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀16. 47 Vgl. Ibid.;฀Bordwell, Classical฀Hollywood,฀21. 26 1 ฀sthetik

Umstand veranlasst Bordwell dazu, zwi- der zusammenfindet. BRINGING UP BABY schen zwei grundsätzlichen Arten von „li- (1938), THE AWFUL TRUTH (1937), HIS GIRL nes of action“ zu unterscheiden: Die eine FRIDAY (1940) u.a. sind Cavells Beispiele. folgt im obigen Sinne (... business, spying, OUTBREAK (1996), INDEPENDENCE DAY sports ...) einer wie auch immer gearteten (1996) oder TWISTER (1996) wären als jün- Problemstellung und abenteuerlichen Be- gere Vertreter dieses Motivs zu nennen.50 wegung des Helden mit einer äußeren und Oft wird die romantische Linie in plot- eventuell einer inneren Zielmotivation, orientierten Filmen dabei heute sicherlich die andere involviert irgend eine Form nur mehr schwach gezeichnet oder die von „heterosexual romantic love.“48 Ein Paarbildung nur mehr vage angedeutet – typisches Merkmal des Hollywoodfilms siehe z.B. PRIMAL FEAR (1996), JUMANJI stellt dabei die Verstrickung der beiden Ar- (1995) oder THE PEACEMAKER (1997) –, ten von Lines of Action dar, meint Bord- gänzlich auf diese Tradition verzichten – well. Generell verfolgt Hollywood unter- siehe TITANIC oder PEARL HARBOR (2001) – scheidbare Handlungsstränge nicht paral- mag Hollywood jedoch ganz offensicht- lel, sondern ist stets bemüht, Plots und lich nicht. Subplots eng ineinander zu weben. Bord- Erreicht der Protagonist seine Ziele, so- well zitiert den Drehbuchautor Allan wohl die abenteuerlichen als auch das der Dwan: Romanze, ergibt sich das für den Ruf des Hollywoodkinos so prägende Happy End. If I constructed a story and I had four Obwohl das Happy End in der Summe sei- characters in it, I’d put them down as ner Filme wohl tatsächlich dominiert, dots and if they didn’t hook up into trian- kennt Hollywood aber auch zurückhalten- gles, if any of them were left dangling out dere Auflösungen. Mitunter kommt es vor, there without a significant relationship to dass das primäre materielle Ziel des Prota- any of the rest, I knew I had to discard gonisten nicht ganz erfüllt wird: Rocky them because they’re a distraction.49 Balboa (Sylvester Stallone) gewinnt in RO- Die Unterscheidung zwischen der ange- CKY I (1976) noch nicht, sondern schafft es strebten Veränderung eines Ausgangszu- einfach nur im Ring zu bleiben; Cincinna- standes und der Reinstallation eines Aus- ti Kid (Steve McQueen) verliert in THE CIN- gangszustandes lässt sich auch auf den ro- CINNATI KID (1965) schlussendlich doch mantischen Handlungsstrang per se an- das große Pokerspiel; William BRAVEHEART wenden. Der ersteren Variante entspräche Wallace stirbt den Heldentod. „Finally, the dann das wohlbekannte Boy-meets-Girl- ending must be the one the audience ac- Plotschema. Die zweite Variante findet cepts as the most emotionally satisfying sich in dem, was man nach einem von resolution of your story“, schreibt Michael Stanley Cavell geprägten Begriff als „Re- Hauge.51 Genres wie der Film Noir, das marriage-Comedies“ oder -Filme bezeich- Road-Movie oder der Caper-Film gebieten nen könnte – Filme, bei denen es darum nahezu das schlussendliche Scheitern der geht, dass ein bereits verheirates Paar wie- Protagonisten, wenn sie sich über gewisse

48 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀16. 49 Zit. in Peter Bogdanovich, Alan Dwan: The Last Pioneer (Berkeley: University of California Press, 1971), 26 zit. in Bordwell, Staiger, Thompson, Classical Hollywood, 17; vgl. auch Hant, Das Dreh- buch,฀107–108. 50 Vgl. Stanley Cavell, Pursuits of Happiness: The Hollywood Comedy of Remarriage, (Cambridge, London:฀Harvard฀University฀Press,฀1981). 51 Hauge, Screenplays฀That฀Sell,฀107. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 27

gesetzliche oder moralische Grenzen hin- sprechenden Alltagssorgen genau so we- ausbewegen. Die so genannte „poetische nig vorstellbar wie James Bond oder ähn- Gerechtigkeit“, die für ein schlussendli- lich heroische Figuren. Deswegen ist es ches moralisches und emotionales Gleich- nicht verwunderlich, dass ihre Tochter gewicht sorgt und im Hollywoodkino so sterben muss und ihre Beziehung ausein- gut wie nie verletzt wird, genießt hier den ander bricht, deswegen reitet der Cowboy Vorzug. Hauge: immer wieder einsam in den Sonnenun- tergang und deswegen hören die meisten In some way, the conclusion of your film Hollywoodfilme bekanntlich auch immer must preserve and convey the dignity of wieder gleich nach dem Kuss oder der the human spirit and a sense of hope or Umarmung, die den Erfolg der Romanze growth or enlightenment about the hu- des Paares bestätigen, auf. Folgt man Sla- man condition. (...) All I’m really saying voj Zizek in seiner Analyse des berühmten here is that an audience is willing to hear Endes von CASABLANCA (1942), verbirgt that life is hard, that life is sad, or even sich hinter solchen dramaturgischen Ope- that life is tragic. But they don’t want to rationen oft aber auch noch ein zweites hear that life is shit. They probably alrea- psychologisches Moment. dy suspect that it is, and they certainly So wie die freiwillige Entsagung des won’t pay $7.00 to have the feeling rein- Protagonisten – CASABLANCA,THE BRIDGES forced.52 OF MADISON COUNTY (1995) – bzw. der tra- Was die romantischen Ziele seiner Prota- gische Tod einer der Partner – LOVE STORY gonisten angeht, verdankt Hollywood ei- (1970), OUT OF AFRICA (1985), UP CLOSE & nige seiner bekanntesten Schlußszenen PERSONAL (1996), THE ENGLISH PATIENT gerade der Nichterfüllung oder freiwilli- (1996), TITANIC – „den Traum von dem, gen Entsagung des Liebeswunsches. We- was hätte geschehen können, am Leben er- sentlich scheint dabei allerdings die Fest- hält“, hält der Schluss, der den Erfolg der stellung zu sein, dass das Paar sich hätte Romanze lediglich punktuell bestätigt, ei- haben können, wenn da nicht... Gerade nen leeren Raum für die Projektionen des das Bewusstsein davon, dass die beiden ja Zuschauers offen. Das Bild vom vereinig- eigentlich zusammengehören gibt dem ten Paar signalisiert unlimitiertes Glück. entsagenden Filmende seinen typischen Dieser Traum kann jedoch nur auf der bittersüßen Geschmack. Vom neoforma- Grundlage existieren, dass die Realität des listischen Standpunkt betrachtet, lässt Nachher ausgespart bleibt.53 Insofern sich das bittersüße Ende mitunter als Do- spielt es offenbar auch gar keine all zu gro- minanz der Forderung nach konsistenten ße Rolle, ob sich Mann und Frau am Ende Charakteren über das Ziel des Protagonis- kriegen oder nicht. Wie die Prominenz be- ten verstehen. Sowohl Rhett Butler (Clark rühmter tragischer und bittersüßer Enden Gable) als auch Scarlett O’Hara (Vivien zeigt, dürfte die letztere Variante, bei der Leigh) sind in GONE WITH THE WIND die Verunmöglichung des Nachher im fik- (1939) von Beginn an als extrem individu- tionalen Raum der Handlung selbst ange- alistische und unabhängige Charaktere siedelt ist, dabei aber tatsächlich die dra- gezeichnet und als Ehepaar mit den ent- maturgisch effektivere sein.

52 Ibid. 53 Slavoj Zizek, „Kierkegaard in Casablanca“, Der Standard, 21.7.1995, Album, 7; Slavoj Zizek, Die Metastasen des Genießens: Sechs erotisch-politische Versuche, übers. von Karl Bruckschweiger et.al. Wien:฀Passagen,฀1996,฀132–133. 28 1 ฀sthetik

Einzelne Prinzipien können den über- wendigen Elemente so zu arrangieren, aus starken Ruf nach einem so genannten dass sie möglichst glaubwürdig und in ge- „up ending“ im Hollywoodfilm übertö- wissem Sinne realistisch wirken, anderer- nen. Das Happy End als konstitutiven Teil seits unterstützt er diese durch tatsächlich des Hollywoodfilms aufzufassen, ist also realistische Aspekte. durchaus problematisch. Hollywoods En- Das erstere Moment beruht nach An- den müssen folglich nicht unbedingt sicht der Neoformalisten im wesentlichen „happy“ sein, sie müssen, so Bordwell, le- auf einer für die klassische Erzählung be- diglich einen definitiven Abschluss der stimmenden Intelligibilität von Ursachen Handlungskette von Ursachen und Wir- und Wirkungen, einer stringent wirken- kungen darstellen. „The ending becomes den Vernetzung von „causes and effects“: the culmination of the spectator’s absorp- Zufälle, wahllose Ereignisse und ambiva- tion, as all causal gaps get filled.“54 Bord- lentes Figurenverhalten, wie sie unter an- well zitiert den Drehbuchautor Herman derem im europäischen Kunstfilm der Lewis: Fünfziger- und Sechzigerjahre zu finden sind, schreibt Kristin Thompson, sind Care must be taken that every hole is durchaus realistisch, der klassische Film plugged; that every loose string is tied to- wird aber immer versuchen, seine Elemen- gether; that every entrance and exit is ful- te so weit wie möglich kausal zu motivie- ly motivated, and that they are not made ren.56 Der durch seine Ziele und Charakter- for some obviously contrived reason; that attribute psychologisch motivierte Held every coincidence is sufficiently motivat- entspricht diesem Prinzip deutlich. Sicht- ed to make it credible; that there is no bar wird die zumindest normative Anfor- conflict between what has gone on before, derung insbesondere aber auch in er- what is going on currently, and what will zählrhetorischen Techniken wie foreshado- happen in the future; that there is comple- wing oder planting – das Platzieren von In- te consistency between present dialogue formationen und Objekten in einem quasi and past action – that no baffling questi- noch unschuldigen Kontext, bevor diese on marks are left over at the end of the Elemente ihre für die Geschichte wesentli- picture to detract from the audience’s ap- che Bedeutung erhalten (pay-off).57 preciation of it.55 Jeder kennt die Szenen aus James Bond-Filmen, in denen ‚Q‘ Bond mit den 1.2.1.2 Motivation neuesten Gadgets des Secret Service aus- Der Analyse der Neoformalisten zufolge, stattet und dabei kurze Erklärungen dazu erzielt der klassische Hollywoodfilm seine abgibt, wie und wieso diese Geräte funk- motivatorische Einheit primär über eine tionieren. Bond wird typischerweise im Verschweißung von kompositorischer Verlauf seines Auftrags in entsprechende, und realistischer Motivation, wobei kom- brenzlige Situationen geraten, aus denen positorische Motivation typischerweise er sich nur oder besser gerade mit Hilfe überwiegt. Einerseits ist der Hollywood- dieser Gadgets befreien kann (Abb. 2.1–2). film bemüht, seine kompositorisch not- Die Tatsache, dass Bond dabei üblicher-

54 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀S.18. 55 Lewis Herman, A Practical Manual of Screen Playwriting for Theater and Television Films (New York: New฀American฀Library,฀1974),฀88฀zit.฀in฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀18. 56 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀175. 57 Vgl. Ibid., 15, 178; Linda Seger, Making A Good Script Great, 2nd revised and expanded ed. (1987; Hollywood฀et฀al.:฀Samuel฀French฀Trade,฀1994),฀101–108. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 29

Abb.฀2.1–2฀฀฀‚Q‘฀stattet฀Bond฀mit฀dem฀neuesten฀Gadget฀aus,฀das฀er฀später฀benutzt,฀um฀seinen฀Geg- nern฀zu฀entkommen. TOMORROW NEVER DIES (MGM,฀1997).

Abb.฀2.3–6฀฀฀„Get฀away฀from฀her,฀you฀bitch!“฀–฀der฀Vorankündigung฀und฀Platzierung฀des฀Laderobo- ters฀folgt฀der฀Pay-off฀im฀Finale. ALIENS (Fox,฀1986). weise genau so viele Gadgets erhält, wie er Lösung dann möglicherweise sogar als un- für die folgenden Problemstellungen be- plausibel kritisiert, obwohl ein zuvor ein- nötigt, verweist zum einen auf die funktio- geführtes und erläutertes Gadget de facto nale Ökonomie der klassischen Erzählung. natürlich genauso unrealistisch oder rea- Peter Hant: „Alles, was im Film erzählt und listisch ist, wie ein bei Bedarf hervorgezau- gezeigt wird, muss in direktem Zusam- bertes. menhang mit der Geschichte stehen. An- In einer berühmten Sequenz aus James dere Begebenheiten gehören nicht in den Camerons ALIENS (1986) gelingt es Ripley Film.“58 Vor allem aber riskiert der Film, in einer schier ausweglosen Situation, das würde Bond in einer dramaturgisch wich- Mutteralien mit Hilfe eines futuristischen tigen Szene ein zur Problemstellung pas- Laderoboters abzuwehren. Alle Elemente, sendes Gerät einfach kommentarlos aus die notwendig sind, um diese für den Zu- der Westentasche ziehen, den Zuschauer schauer zunächst überraschende Wen- vor den Kopf zu stoßen, der eine solche dung plausibel erscheinen zu lassen, wer-

58 Hant,฀76. 30 1 ฀sthetik

den in einer korrespondierenden Szene die Fadenscheinigkeit seiner Erklärungs- aus dem ersten Drittel des Films, in der Ri- muster hinwegzutäuschen.59 pley den Laderoboter zum Verblüffen der Wo realistische und pseudokausale Söldner erstmals bedient, eingeführt und Motivationen in Bedrängnis geraten, kön- ‚vorangekündigt‘ (foreshadowing): Die nen seit jeher etablierte Genrekonventio- Existenz derartiger Geräte im fiktionalen nen motivatorische Unterstützung leisten: Universum des Films überhaupt; die tech- Selbst wenn in einem Film wie SCREAM die nischen Grundlagen, auf denen das Gerät sture Blödheit der Figuren von Horrorfil- basiert und Potenziale, für die es verwen- men offen thematisiert wird, bleibt es, wie det werden kann; Ripleys physische und der Film selbst immer wieder bestätigt, geistige Fertigkeit den Laderoboter zu be- durchaus akzeptabel, dass sich die Opfer dienen; die brillante Idee, ihn überhaupt des Slashers anstatt Hilfe zu holen oder gegen den überlegenen Gegner einzuset- einfach wegzulaufen immer wieder willig zen und schließlich aber auch das für die in die Falle und den vorprogrammierten Reihe so bestimmende Charakterbild Ri- Tod manövrieren oder das Monster, egal pleys als selbstbewusste und durchset- wie sehr es am Ende bereits in Mitleiden- zungsfähige Frau, die sich nicht scheut die schaft gezogen worden ist, noch einmal Dinge selbst in die Hand zu nehmen, für einen letzten Schock zum Leben er- wenn es hart auf hart geht und es die Um- wacht. Bordwell: stände erfordern (Abb. 2.3–6). Selbstverständlich gelingen derartige Yet obviously such operations do not radi- Plausibilitätskonstruktionen nicht immer cally disunify the films, since each genre so überzeugend und elegant oder fehlen creates its own rules, and the spectator mitunter überhaupt. Ein umsichtigerer judges any given element in the light of its Autor hätte sicherlich versucht einen appropriateness to generic conventions. Grund zu finden, warum David Levinsons On the whole generic motivation coopera- (Jeff Goldblum) irdisches Notebook mit tes with causal, or compositional unity. dem Computersystem der außerirdischen Genres are in one respect certain kinds of Invasoren aus INDEPENDENCE DAY kompa- stories, endowed with their own particu- tibel ist – und in der Tat scheint Holly- lar logic that does not contest psychologi- wood gerade in jüngster Zeit immer wieder cal causality or goal orientation. (The mit Problemen zu kämpfen, wenn es da- Westerner seeks revenge, the gangster rum geht, die phantastischen Szenarios hero seeks power and success, the chorus zeitgenössischer Blockbuster überzeugend girl works for the big break.) Multiple mo- zu motivieren. Dennoch wird man sich, tivation – causal logic reinforced by gene- wie Kristin Thompson argumentiert, auch ric convention – is again normal opera- in der heutigen Kinolandschaft schwer ting procedure.60 tun, einen Hollywoodfilm zu finden, der systematisch von den Standards dieser ‚Künstlerische Motivation‘ tritt im Holly- klassischen Norm abweicht und nicht we- woodfilm, argumentiert Bordwell, in ers- nigstens versuchen würde, ein grobes Maß ter Linie in Form des Spektakulären und an narrativer Kohärenz aufrechtzuerhal- der selbstgefälligen Präsentation der tech- ten – oder dank seines flotten Erzählflusses nischen Möglichkeiten der Filmindustrie zumindest schnell über Storylöcher und in den Vordergrund:

59 Vgl.฀Thompson, Storytelling,฀348. 60 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀20. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 31

Hollywood has eagerly employed specta- das „postmoderne“ Spiel mit Genrekon- cle and technical virtuosity as means of ventionen und intertextuellen Beziehun- artistic motivation. ‚Showmanship‘ con- gen zweifelsohne eine signifikante Trans- sists to a considerable extent of making formation, die in einer Analyse und Veror- the audience appreciate the artificiality of tung des postklassischen Hollywoodkinos what is seen. Early Talkies were especially natürlich keinesfalls fehlen darf. prone to slip in a song for the slightest reasons. A distant historical period often 1.2.1.3 Narration serves as a pretext for pageantry, crowd Generell und mit Blick auf den Film als scenes, and lascivious dancing. (...) In the Ganzes lässt sich die Narration des klassi- silent cinema, complex and daring schen Hollywoodkinos als fundamental lighting effects; in the sound cinema, allwissend, hoch kommunikativ und nur depth of field and Byzantine camera mo- moderat selbstbewusst umschreiben. vements; in all periods, exploitation of Bordwell: special effects – all testify to a pursuit of That is, the narration knows more than virtuosity for its own sake, even if only a any or all characters, it conceals relative- discerning minority of viewers might take ly little (chiefly ‚what will happen next‘) , notice.61 and it seldom acknowledges its own ad- dress to the audience.63 Wie Tom Gunning, dessen einflussreicher Begriff eines „Kinos der Attraktionen“ in In Bezug auf den temporalen Verlauf eines Teil 3 ausführlich besprochen wird, macht Films unterliegen diese narrationalen Bordwell diese Eigenschaften nicht zuletzt Qualitäten, wie Bordwell betont, jedoch am historischen Erbe des Kinos gegenüber einer mehr oder weniger kodifizierten den Traditionen des Vaudeville, des Jahr- Fluktuation, die es zu berücksichtigen gilt, markts und anderer spektakelorientierter will man ein detaillierteres Bild der Ar- Unterhaltungsformen fest. Daneben ord- beitsweise der klassischen Erzählung er- net Bordwell aber auch parodistische und halten.64 So konstituiert die Vorspannse- selbstreflexive Momente der ‚Artistic Mo- quenz eines Films typischerweise eine au- tivation‘ zu, da auch sie, wie er schreibt, ßergewöhnlich selbstbewusste Narration – auf die Kunsthaftigkeit ihrer eigenen Kon- nicht nur, weil sie sich prinzipiell direkt struktionsprinzipien oder derer anderer an den Zuschauer richtet, sondern auch, Filme verweisen.62 weil sie, wie Bordwell argumentiert, den Gerade im kontemporären, „digita- Ereignissen immer schon ein Stück voraus len“ und von „postmodernen“ Erzähltech- eilt und so ihren fundamentalen Status als niken beeinflussten Kino haben diese allwissende und strukturierende Instanz Aspekte bekanntlich deutlich an Bedeu- des Syuzhets offenbart: Filmtitel können tung gewonnen. Von einem fundamenta- den Zuschauer bereits vage über Charakte- len Bruch mit den Traditionen des klassi- re, Schauplätze und den zu erwartenden schen Paradigmas lässt sich dabei zwar Handlungsverlauf informieren – INDIANA wohl auch hier nicht sprechen. Dennoch JONES AND THE TEMPLE OF DOOM (1984) –, bilden der spektakuläre Gigantismus und grafische oder filmische Elemente neh-

61 Ibid.,฀21. 62 Vgl. Ibid.,฀21–22. 63 Bordwell, Narration,฀160. 64 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀25. 32 1 ฀sthetik

men mitunter Motive vorweg, die erst spä- dardisierungsfähig ist, bleibt abzuwarten, ter in der Geschichte auftauchen – die Ta- scheint aber eher unwahrscheinlich. gebücher des Killers im berühmten Vor- Die ersten Einstellungen eines Films spann von SEVEN (1995), verwehte Buch- können noch immer relativ selbstbewuss- staben in TWISTER (Abb. 3.1) – und schon te Momente enthalten: Voice-over-Prolo- allein die Designs von Schriftzügen und ge, schriftliche Einleitungen oder auffälli- Logos geben häufig einen Hinweis auf das ge Kamerafahrten, die den Zuschauer aus Genre oder historische Setting des Films. einer übergeordneten Perspektive an den Vom historischen Standpunkt be- Schauplatz der Handlung führen – siehe trachtet, lässt sich allerdings eine gewisse z.B. den berühmten Scrolltext und den tra- Tendenz ausmachen, die Präsenz des „Er- ditionellen Eröffnungsschwenk aus den zählers“ auch in dieser Einheit zuneh- STAR WARS-Filmen (Abb. 3.2). Sobald die mend abzubauen: Während im Stumm- Handlung beginnt und sich der Informa- und frühen Tonfilm die Handlungsträger tionstransfer auf die Dialoge und Interak- des Films im Vorspann oft noch über er- tionen der Figuren verlagert, wird die Nar- läuternde Einblendungen wie „Max, a Bul- ration jedoch zunehmend verdeckter und ly“ oder in typisierenden Posen vor tritt in den Hintergrund.66 nicht-diegetischen Hintergründen vorge- Tim Burtons ED WOOD (1994) beginnt stellt wurden, finden sich derartige offene mit der buchstäblichen Begrüßung eines erzählerische Kommentare heute höch- Erzählers, gefolgt von einer rasanten Ka- stens noch bei Fernsehserien, wo sie in ers- merafahrt durch einen Friedhof, vorbei an ter Linie die Funktion erfüllen, den Zu- Grabsteinen, deren Inschriften die Credits schauer kurz über die basale Rollenvertei- wiedergeben. Nach einem Abstecher Un- lung und Grundlagen der Reihe zu re- terwasser mit einer Krake hebt die Kamera orientieren. Umgekehrt gehen, wie Bord- nach oben, folgt für kurze Zeit dem schlin- well vermutet, die in den Fünfzigerjahren gernden Flug einiger als Modell erkennba- erstmals aufkommende Pre-Credits-Se- ren UFOs, bleibt über Los Angeles mit quenz (James Bond-Filme sind vermutlich Blick auf das Hollywood-Sign stehen, das bekannteste Beispiel) und das vertei- taucht dann hinab in die Straßen von L.A. len der Credits über die ersten Handlungs- und fängt den vor einer „echten“ Haus- momente des Films auf die ursprünglich front stehenden Protagonisten Ed Wood im Fernsehen begründete Tradition des (Johnny Depp) ein (Abb. 3.3–8). In jeder Teasers zurück, der die Neugier und das In- Hinsicht gleitend wird der Zuschauer hier teresse des Zuschauers möglichst schnell in die fiktionale Welt geführt. Die Action und bereits vor der ersten Werbeschaltung beginnt, die Narration tritt zurück. Am anstacheln soll.65 Wohl aus ähnlichen Ende des Films steht Ed Wood nur ein paar Gründen verzichten Blockbusterproduk- Blocks von der Stelle entfernt, die wir am tionen wie STAR WARS,DIE HARD:WITH A Anfang gesehen haben. Die Kamera krant VENGEANCE (1995), WATERWORLD (1995), wieder zum Blick auf das Hollywood-Sign STARSHIP TROOPERS (1997) oder ARMAGED- – Abspann. DON (1998) seit einiger Zeit sogar vollstän- Grundsätzlich gibt sich die Holly- dig auf den Vorspann und verlegen sämtli- wood-Narration lediglich zu Beginn und che Angaben mit Ausnahme des Titels an eventuell am Ende des Films klarer zu er- das Ende des Films. Ob dieser Trend stan- kennen. Dazwischen liegt der scheinbar

65 Vgl. Ibid.,฀25–27. 66 Vgl. Ibid.,฀27–30. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 33

Abb.฀3.1 TWISTER (Amblin/Warner,฀1996) Abb.฀3.2 STAR WARS:฀EPISODE I฀–฀THE PHANTOM MENACE (Lucasfilm/Fox,฀1999)

Abb.฀3.3–8฀฀฀Ähnlich฀wie฀bei STAR WARS werden฀wir฀auch฀im฀Vorspann฀bei ED WOOD (Touchstone, 1994)฀von฀einem฀buchstäblichen฀Erzähler฀begrüßt.฀Ähnlich฀wie฀bei TWISTER nimmt฀die฀Narration dann฀Motive฀vorweg,฀die฀erst฀später฀im฀Film฀auftauchen. 34 1 ฀sthetik

Abb.฀4.1–2฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER (Amblin/Warner,฀1996) autonome und nur sporadisch von der ders viele Unwetter zu erwarten sind (Fo- Narration kommentierte Block der fiktio- reshadowing). nalen Diegesis. Gerade in der hoch kom- (...) munikativen Anfangsphase eines Films, in MURPHY: You know if these cells keep der dem Zuschauer die wesentlichen Hin- building like this we could have a record tergrundinformationen oder die so ge- outbreak of tornadoes. nannte Backstory der Figuren und Hand- BRYCE: This is gonna be a long day. lung vermittelt werden, gilt es den Infor- mationsfluss unauffällig hinter realistisch Von der Wetterüberwachungsstation wech- motivierten Aktionen, Sprechakten oder selt das Syuzhet zum Hauptschauplatz der anderweitigen diegetischen Quellen wie Handlung. Bill (Bill Paxton) und seine Zeitungsüberschriften oder Fernsehbe- Verlobte Melissa (Jami Gertz) unterhalten richten zu verstecken. Verzögerte Exposi- sich auf der Fahrt ins Camp der Storm tionen können die Aufmerksamkeit des Chasers. Bills erste Dialogzeile spezifiziert Zuschauers auf den narrativen Prozess als Jos Charaktereigenschaften weiter. solchen lenken; der klassische Hollywood- film startet daher typischerweise in medias MELISSA: Um, honey, are you sure she’s res (die Action ist bereits im vollen Gange) gonna be here? und mit einer hoch konzentrierten Expo- BILL: If I know Jo, she’s already dragged sition, die den Zuschauer möglichst her entire department into the field. Ah, schnell und unscheinbar über die wich- hell, a day like today, it’s to be expected. tigsten Prämissen der Geschichte infor- She forgets everything except her work. miert.67 Sofort wird mit TWISTER’s Remarriage-Mo- Das Syuzhet von TWISTER wird durch tiv der romantische Handlungsstrang des eine kurze prologische „Rückblende“ er- Films eingeführt (Abb. 4.1–2). öffnet, die zeigt, wie Jos (Helen Hunt) Va- ter bei einem Tornadosturm ums Leben MELISSA: You’re nervous about seeing kommt und so die innere Motivation der her, aren’t you? Protagonistin etabliert. Zugleich fungiert BILL: Nervous? No. Why, do I look ner- die Sequenz aber auch als eine Art Teaser vous? für die zu erwartenden Effekt- und Ac- MELISSA: No. Well, yeah you do, a little. tionsequenzen des Films. In der „Jetztzeit“ BILL: I just want to get it over with. angelangt, erfährt der Zuschauer von zwei MELISSA: But she said she signed the pa- Meteorologen, dass die Tornadosaison pers, right? wieder begonnen hat und diesmal beson- BILL: That’s what she said.

67 Vgl. Ibid.,฀28–29. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 35

Abb.฀4.3–4฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER

MELISSA: You don’t think so? Bill lässt die bereits sichtbar verstörte Me- BILL: No, I think so. Give me a kiss. lissa in Dustys Händen und geht hinüber zu Jo, um sich nach den Scheidungspapie- Im Camp angekommen klärt das Begrüs- ren zu erkundigen. Wie von Bill prophe- sungszeremoniell Bills Verhältnis zu den zeit (Foreshadowing) ist Jo schwer be- Storm Chasers. Bills abwehrende Haltung schäftigt. Der Konflikt des Remarriage- gibt dabei bereits deutliche Hinweise auf Motivs wird nun endgültig konkretisiert den Konflikt zwischen Bills neu angestreb- (Abb. 4.5–6). tem Leben mit Melissa und seiner offen- bar abenteuerlichen Vergangenheit mit Jo (...) (Abb.฀4.3–4). JO: So, you want the papers? BILL: I did drive all the way out here for (...) them. BILL: What do you know, the storm cha- JO: They’re signed and ready. sers. BILL: Good, good. Let’s see them. RABBIT: Hey, I don’t believe it! Who is JO: What, you need ’em right this se- that handsome devil! cond? BILL: Gentleman. BILL: Well, it’d be nice. DUSTY: The Extreme! It’s the Extreme!! JO: What’s the urgent urgency, you act BILL: Oh man, don’t start that shit! like you’re getting married. DUSTY: Oh manly hand shakin’ Zeus. BILL: I am. How you doin’, man? JO: Wow. BILL: Doin’ great, doin’ great. BILL: Yeah. DUSTY: Oh bad! JO: Is it Melinda? BILL: Dusty, I’d like you to meet Melissa. BILL: Melissa. Melissa, this is Dusty. Dustman’s been JO: Melissa. Wasn’t there a Melinda in chasing with us ever since we started. Lis- there somewhere? ten man, where’s Jo? BILL: No, there’s only been Melissa since DUSTY: She’s over by the Doppler. Broke you. down฀again,฀running฀out฀of฀grant฀money. JO: Boy, not much for browsing, are you? BILL: Honey, why don’t you hang out here BILL: No, I guess I’m not. for฀a฀little฀while,฀I’ll฀–฀I’ll฀be฀right฀back. JO: There you go. MELISSA: Okay. BILL: Dusty, why don’t you explain to Jo hat eines der Papiere nicht unterzeich- Melissa... why you are the way you are! net – ein offener Handlungsstrang, der et- DUSTY: (zu MELISSA) Come on. Man. was später den Grund dafür liefert, dass Jo’s gonna wig when she sees he’s back. Bill und Melissa die Storm Chasers auf ih- BILL: I’m not back. rer Jagd begleiten müssen. Dass Jo ihre PREACHER: The prodigal son returns! wahren Absichten verbirgt, wenn sie so 36 1 ฀sthetik

Abb.฀4.5–8฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER

tut, als habe sie die Seite einfach überse- sung zugleich die Entscheidung in der Fra- hen, wird einerseits durch Bills verbale Re- ge des Remarriage-Plots beinhaltet. Beiläu- aktion bestätigt („What are you doing?“), fig wird Melissas pikierter Yuppie-Cha- vor allem aber durch eine für Hollywood rakter฀weiter฀etabliert฀(Abb.฀4.9฀und฀4.10). typische, einfache und visuell vermittelte Geste, bei der Jo unbemerkt ihren Schul- (...) abschlussring über den Ehering steckt, JO: Hi. I’m Jo Harding. den sie nach wie vor am Finger trägt (Abb. MELISSA: Oh, hello, nice to meet you. 4.7 und 4.8). JO: Bill just told me the happy news. MELISSA: Which? BILL: Thank you. BILL: Us, marriage. (vorstellend) Jo, Melissa. BILL: Whoa, whoa, whoa. You missed a JO: It’s happy news. page. MELISSA: I guess, it probably seems kind JO: What? of sudden. BILL: Right here. JO: Seems sudden? JO: Where did this come from? DUSTY: Dude, you takin’ the vows? BILL: What are you doing? That’s sweet! JO: Can I read it first? MELISSA: Well, we– we just wanted to get BILL: No! It’s the same as it was in De- it฀done฀before฀Billy฀started฀his฀new฀job. cember. JO: That’s right, that’s right, right, right, JO: I didn’t read it in December. right. Weatherman! BILL: Christ, would you just sign it so we BILL: What? can get out of here? Please? JO: What? JO: We? She’s here? BILL: Say it. BILL: Yes, she’s here, she’s over with Dusty. JO: I said weatherman, I think it’s great. Now would you please sign the document? BILL: Oh, you had that tone! Jo möchte Melissa kennenlernen und lenkt JO: There was no tone if you don’t have a so geschickt von der fehlenden Unterschrift problem being a weatherman. ab. Der folgende Dialog geht noch einmal BILL: I don’t have a problem being a wea- auf Bills inneren Konflikt ein, dessen Lö- therman. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 37

Abb.฀4.9–10฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER

MELISSA: Excuse me. (zum Telefon) Dr. (...) Melissa Reeves here? Uh-huh? BILL: I wasn’t expecting on coming out JO: (zu MELISSA) Just wanted to say hello. here at all. You said you’d meet me. MELISSA: (zu JO) Hello. JO: It’s about Dorothy. JO: Very nice to meet you. BILL: Dorothy? What about her? MELISSA: (zum Telefon) Uh-huh. (zu JO) JO: She’s here. You too. (macht eine Geste zu BILL „Hat BILL: Show me. sie schon unterschrieben?“) BILL: I can’t believe you did it. BILL: (zu MELISSA, flüsternd) What? JO: We built four of ’em. No... (zu sich) Ah, Christ. BILL: She work? JO: (zu BILL) New truck? JO: Thought you’d want to be here for her BILL: That’s right. first time out. It wouldn’t be right if you JO: Well, oh boy. New job, new truck, weren’t here. new wife... It’s like a whole new you! JOEY: This is gonna be good! DUSTY: How sweet is that? Bill’s concept Im letzten Teil der Exposition wird man. Boom! The extreme. Man, it came schließlich das äußere, nicht-romantische from his brain. Handlungsziel der Protagonisten einge- BILL: I had a hand in it. führt. Melissas Unbeholfenheit dient da- MELISSA: Wow, it is great. What is it? bei passend als diegetischer Motivations- BILL: It’s an instrument pack for studying hintergrund für die schon beinahe überin- tornadoes. First one in history. formative Orientierung des Zuschauers JO: It’s very exciting. Scientists have been (Abb. 4.11–14). studying tornadoes for ever, but still, no-

Abb.฀4.11–14฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER 38 1 ฀sthetik

Abb.฀4.15–16฀฀฀Eröffnungssequenz฀TWISTER

body knows how a tornado works. We DUSTY: It’s the suck zone! have no idea what is going on inside be- MELISSA: Ohh. cause no one’s ever been able to take scientific measurements from inside the Alle wesentlichen Handlungselemente funnel. That’s what she’s gonna do. sind nun vorgezeichnet und etabliert. MELISSA: How? Die Action kann beginnen. Nach genau JO: We put her up inside a tornado. She 14 Minuten und 22 Sekunden (inklusive opens, and releases hundreds of these sen- der rund 4-minütigen Teasersequenz) sors, (reicht MELISSA eine Sensorkugel) schlägt der erste Tornado zu (Abb. 4.15 that measure all parts of the tornado si- und 4.16). multaneously. HAYNES: Excellent! Jo, we got major acti- BILL: You see, Melissa, it’s like this. The- on! The NSSL says the cap is breaking, to- se sensors go up the funnel, and radio wer’s going up 30 miles up the dryline! back information about the internal JO: All right, let’s go!! structure, wind velocities, flow, asymme- DUSTY: All right, we’re movin’! tries. We could learn more in 30 seconds BELTZER: It’s fatty time! than we have in the past 30 years. Get a profile of a tornado for the first time. TWISTERs Plot wird auch im weiteren Ver- MELISSA: And what will that do? lauf der Handlung kaum verkompliziert – BILL: If we knew how a tornado really Melissa gibt Bill freiwillig auf, da sie er- worked, we could design an advance war- kennt, dass er offensichtlich in die Welt ning system. der Storm Chaser und an Jos Seite gehört; MELISSA: Aren’t there already tornado nach zahlreichen Fehlversuchen gelingt warnings? es Bill und Jo endlich die vierte und letzte BILL: Well the... der Dorothy-Sonden erfolgreich in der JO: They’re not good enough, they’re no- „Suckzone“ unterzubringen – und dient, where near good enough. Right now, it’s 3 wie Kritiker des Films sicherlich zurecht minutes. If we can get this new information, bemerkt haben, wohl in der Tat weitge- we can increase warning time to 15 minutes. hend als bloßes Vehikel für die elaborier- BILL: Give people a chance to get to safe- ten Effekt- und Actionsequenzen des ty. At least that’s what these guys are try- Films. Die Form des narrativen Gerüsts, ing to do! (zu JO) I can’t believe you actu- das diese Sequenzen zusammenhält und ally did it. moduliert, gehorcht dennoch deutlich JO: Well, we did it. klassischen Erzählprinzipien. MELISSA: How do you get it in the tornado? Generell verschwindet die Narration BILL: Well, you got to get in front of the mit Fortschreiten der Handlung zuneh- tornado and put it in the damage path. mend weiter. Temporär taucht das Profil And then get out again before it picks you der Erzählinstanz aber auch im Fluss des up too. zweiten und dritten Akts eines Films im- 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 39

Abb.฀5.1–2฀฀฀Heute฀nur฀noch฀selten฀zu฀sehen:฀Eine฀Montagesequenz,฀bei฀der฀die฀Narration฀die฀Die- gesis฀verlässt. TOOTSIE (Columbia,฀1982). mer wieder auf. So unter anderem in der Schrecken vorbereitet; aber auch Zooms klassischen Montagesequenz, die, wie und Schwenks, die auf ein wichtiges Detail Bordwell argumentiert, zwar deutlich un- aufmerksam machen und dabei nicht an auffälliger ist als ein direkt ans Publikum den Erfahrungshorizont der Figuren rück- gerichteter Zwischentitel wie „innerhalb gebunden werden können, wie der typi- weniger Monate avancierte sie zum Welt- sche Schwenk vom Treck der ahnungslo- star“ – in Relation zum üblichen Erzähl- sen Siedler auf die in den Bergen lauern- fluss die Aktivität der Narration aber den- den Indianer oder die Kamerafahrt auf den noch vergleichsweise offen zu Tage legt, Eispickel in der Schluss-Sequenz von BASIC wenn sie in ihrer üblichen Funktion als INSTINCT (1992) – sie alle zeugen von der Kompressor zeitlich oder räumlich ausge- fundamentalen Überlegenheit der Erzähl- dehnter Handlungsprozesse repräsentati- instanz und weisen darauf hin, dass die ve Momente dieser Prozesse selektiert und Narration die Handlung quasi bereits wiedergibt oder, wie in manchen Fällen, „kennt“, bevor sie eigentlich begonnen den diegetischen Raum sogar überhaupt hat.69 (Abb. 6.1–6) Das deutlichste Indiz verlässt, um dem Zuschauer eine Landkar- für die Allwissenheit der Narration, so te mit der zurückgelegten Reiserute, flie- Bordwell, findet sich somit in ihrer räum- gende Kalenderblätter oder heranwirbeln- lichen Omnipräsenz. de Titelseiten von Zeitungen und Magazi- Gebunden an bestimmte Regeln des nen zu präsentieren (Abb. 5.1–2).68 Continuity-Stils, aber befreit von jeglichen Ähnlich, wenn auch weniger auffällig, physikalischen Gesetzen kann die Kamera zeigt sich die Allwissenheit der Narration je nach narrativem und dramaturgischem in den antizipatorischen Qualitäten des Bedarf zwischen unterschiedlichen Lokali- klassischen Erzählstils. Kamerafahrten, die täten hin und her springen (Crosscutting) den Bewegungen der Figuren vorauseilen oder auch innerhalb eines beschränkten oder visuellen Raum für den Bildeintritt Raumes den jeweils optimalen Blickwinkel eines anderen Objekts schaffen; der auf das Geschehen vermitteln (analytical Schnitt auf eine Türklingel, just bevor die- Cutting). Auf zeitlicher Ebene verhält sich se betätigt wird; nicht-diegetische Musik, die Hollywood-Narration dagegen wesent- die den Zuschauer auf den zu erwartenden lich restringierter. Bordwell:

68 Vgl. Ibid.,฀29. 69 Vgl. Ibid.,฀29,฀30–31. 40 1 ฀sthetik

Abb.฀6.1–2฀฀฀Die฀Kamera฀weiß฀schon฀vorher,฀was฀passieren฀wird:฀Schnitt฀auf฀eine฀Gangschaltung, kurz฀bevor฀sie฀betätigt฀wird. JURASSIC PARK (Amblin,฀Universal,฀1993).

Abb.฀6.3–6฀฀฀Für฀die฀Figuren฀ist฀die฀Story฀schon฀gelaufen.฀Die฀Erzählinstanz฀macht฀uns฀aber฀noch฀auf ein฀wichtiges฀Detail฀aufmerksam.฀BASIC INSTINCT (Carolco/Tristar,฀1992).

Classical Narration admits itself to be (1996). In der Regel enthalten Rückblen- spatially omnipresent, but it claims no den jedoch sehr viel umfangreichere In- comparable fluency in time. The narrati- formationen als es das subjektive Ge- on will not move on its own into the past dächtnis einer Figur zulassen würde. Dies or the future. Once the action starts and deshalb, wie Bordwell argumentiert, weil marks a definite present, movements into es sich bei derartigen Rückblenden aus the past are motivated through charac- formaler Sicht tatsächlich um komposito- ters’ memory.70 risch notwendige Einschübe der allwissen- den Erzählung handelt, die typischerweise In bestimmten Fällen und Genres reprä- aber auch hier ihre Aktivität zu verschlei- sentieren Flashbacks auch im Hollywood- ern versucht, indem sie eine Figur als Fil- kino streng subjektive Positionen – so z.B. ter einsetzt und so den narrationalen Ein- in der RASHOMON-Variation (1950) COU- griff als diegetischen Akt motiviert.71 RAGE UNDER FIRE (1996) oder in „Amne- Quentin Tarantinos PULP FICTION, dessen sie-Filmen“ wie CONSPIRACY THEORY verschobene und verschachtelte Chrono- (1997) und THE LONG KISS GOODNIGHT logie lediglich einen subjektiven Erinne-

70 Ibid.,฀30. 71 Vgl. Ibid.,฀32;฀Bordwell, Narration,฀162. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 41

Abb.฀7.1–2฀฀฀Keine฀Panik!฀Alles฀nur฀geträumt.฀ALIENS฀(Fox,฀1986). rungs-Flashback enthält – die Captain schweigen oder sich sogar belügen. Letzte- Koons-Episode –, bildet hier wohl eines res ist für die klassische Narration Tabu. der bekanntesten Gegenbeispiele. Wenn die Narration Fakten offensichtlich Grundsätzlich ist die klassische Erzäh- verschweigt, wie im Beispiel des nur teil- lung bemüht „objektive“ und „subjektive“ weise sichtbaren Verbrechers, lenkt sie die Repräsentationsebenen klar voneinander Aufmerksamkeit auf den narrativen Pro- zu trennen. Für gewisse Gags oder Schock- zess. Besser ist es also, Charakteren inner- effekte erfolgt die definitive Markierung halb der fiktionalen Welt die Verantwor- der Sequenzen dabei mitunter zwar erst tung für fehlende Informationen zuzuwei- rückwirkend – siehe dazu Abbildung 7.1–2 sen – eine Figur sagt der anderen nicht al- oder die immer wieder verfänglichen „Al- les – oder die erzählerische Perspektive zu- les-nur-geträumt-Gags“ in Tom Dicillos mindest temporär auf den mangelhaften LIVING IN OBLIVION (1995) –, verschwom- Wissenshorizont eines Charakters zu be- mene oder fließende Grenzen zwischen schränken. mentalen, erzählerisch-kommentatori- In der Regel springt die Narration – schen und diegetisch-„realen“ Erzählebe- eine allwissende Narration hat eben diese nen, wie sie vor allem im Kunstkino ge- Fähigkeit – zwischen mehreren Perspekti- pflegt werden, finden sich im klassischen ven hin und her und spielt die unter- Stil jedoch nur äußerst selten. schiedlichen Wissenshorizonte gegenein- „No narration in any text can spill all ander aus. Gerade durch das rechtzeitige the beans at once ...“72 Obwohl eine allwis- Wechseln vom Erfahrungsumfeld des ei- sende Narration die Fähigkeit hat, Fabu- nen zu dem des anderen kann die Narrati- lainformation zu jedem beliebigen Zeit- on unauffällig wichtige Informationen zu- punkt auszuspielen, wird sie dies in der Re- rückhalten:73 Der Antagonist erklärt sei- gel kaum tun und versuchen, den Span- nen Helfershelfern, er habe einen Plan, nungsbogen des hermeneutischen Mo- den Protagonisten in eine Falle zu locken. ments bis zum auflösenden Ende des Syuz- Bevor er diesen Plan erläutert, wechselt hets aufrechtzuerhalten. So wie die Über- das Syuzhet zum Schauplatz des ahnungs- mittlung von Informationen primär über losen Protagonisten. Nur sehr selten be- die Interaktionen der Figuren verläuft, schränkt sich die Narration während des bindet die Hollywood-Narration auch das gesamten Films auf den Horizont einer Zurückhalten von Informationen immer einzigen Figur. Eine gewisse Ausnahme wieder an den Horizont ihrer Charaktere. bilden dabei Genres wie der Hard-Boiled- Figuren können einander Dinge ver- Detective-Film oder Paranoia-Thriller in

72 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀30. 73 Vgl. Ibid.,฀30–31. 42 1 ฀sthetik

der Tradition von SUSPICION (1941); den- Bordwell nach Sternberg bezeichnet, „suk- noch kommen auch diese stark subjekti- zessiv“ lancierte Hypothesen (a und nichts vistischen Erzählungen üblicherweise anderes, dann ein neues Thema g) neh- nicht gänzlich ohne Perspektivenverlage- men dagegen eine Art unhinterfragte De- rungen und „objektive“ Erzählebenen fault-Stellung ein und produzieren so aus. „Überraschung“, wenn sie zu einem späte- ren Zeitpunkt doch noch modifiziert wer- den müssen. Drittens können Hypothesen 1.2.1.4 Fragen und Antworten für den Zuschauer mehr oder weniger aus- Wenn die Narration Informationen tem- schließlich („exclusive“) formuliert sein. porär zurückhält, initiiert sie auf Seiten Ein Film kann Fragen suggerieren, die eine des Zuschauers Fragen, die nach einer Vielzahl möglicher Antworten zulässt oder Antwort verlangen, respektive stimuliert eher solche, die das Spektrum möglicher sie, so Bordwell, die mehr oder weniger Antworten bereits von vornherein zu kon- bewusste Formulierung von Hypothesen, kretisieren und einzuengen versucht.74 die im weiteren Verlauf des Films bestätigt Grundsätzlich, so Bordwell, lädt der werden oder nicht. Minimal beziehen sich klassische Hollywoodfilm zur Formulie- derartige Vermutungen auf die Frage, was rung relativ wahrscheinlicher und scharf wohl als nächstes passieren könnte. An umrissener Hypothesen ein. Vorwärts ge- bestimmten Punkten nehmen die Fragen richtete Spannung ist dabei wichtiger als und Hypothesen eines Films jedoch auch rückwärts gerichtete Neugier, beide Mo- durchaus schärfere Konturen an. David mente rangieren aber noch vor unerwarte- Bordwell beruft sich auf Meir Sternberg ter Überraschung.75 Anders als im Kunstki- und unterscheidet drei Kategorien, nach no, dessen Protagonisten sich oft gerade denen sich solche Zuschauer-Hypothesen durch ihre Ziellosigkeit auszeichnen, wird typologisieren lassen. sich der Held des Hollywoodkinos für ge- Erstens: Eine Hypothese kann mehr wöhnlich an klar definierten Problemen oder weniger ‚wahrscheinlich‘ („proba- orientieren und zu messen haben. Die Fra- ble“) sein. Vor einem vorausgesetzten Hin- ge eines Hollywoodcharakters – und ent- tergrundwissen des Zuschauers (Genre- sprechend die Mutmaßungen des Zu- konventionen, Alltagserfahrung etc.) und schauers –, so Bordwell, wird niemals lau- hinsichtlich ihrer späteren Validierung er- ten: „What will I do with my life“, son- scheinen gewisse Hypothesen ‚probabler‘ dern: „Will I choose marriage or a ca- als andere, ihre Bestätigung ist wahr- reer?“76 Peter Hant: scheinlicher als ihre Falsifizierung. Zwei- tens können, da der Film über eine zeitli- Wir sehen, dass die Frage, die am Plotbe- che Dimension verfügt, Hypothesen mit ginn entsteht, immer auch das Ziel des mehreren anderen Hypothesen „simul- Protagonisten enthält. Die Frage ist im- tan“ konkurrieren oder relativ unange- mer konkret, niemals abstrakt oder phi- fochten im Raum stehen. Simultan aufge- losophisch. Sie fragt immer nach dem rufene Hypothesen produzieren dabei Protagonisten in einer bestimmten Situa- „Spannung“ und „Neugier“ (entweder a, b tion. Es ist die dramatische Frage des oder c). Unangefochtene, oder wie es Films.77

74 Ibid.,฀38. 75 Vgl. Ibid.,฀38–39;฀Bordwell, Narration,฀164–165. 76 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀38. 77 Hant,฀88. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 43

Abb.฀8.1–8฀฀ Spannung:฀Hat฀der฀Mariner฀das฀Duell฀tatsächlich฀verloren?฀WATERWORLD฀(Universal,฀1995).

Anhand der Exposition von TWISTER fällt den Storm Chasers eine der Dorothy-Son- es leicht zu sehen, wie die äußere mate- den erfolgreich zu lancieren oder nicht; rielle Zielorientierung, aber auch die oft aber auch auf der mittleren Ebene kurz- nicht minder polarisierte innere Konflikt- fristiger Problem- und Aufgabenstellun- konstellation des Protagonisten, dazu gen, denen der Protagonist auf dem Weg dient, die Erwartungen des Zuschauers zu diesen Zielen begegnet, tendiert das schnell auf ein leicht überschaubares Set Hollywoodkino typischerweise dazu, den von Langzeit-Hypothesen zu konzentrie- Spielraum seiner Figuren auf ein reduzier- ren: Entweder Bill kehrt zu Jo zurück oder tes Spektrum konkreter Handlungsoptio- er bleibt bei Melissa. Entweder gelingt es nen zu beschränken. 44 1 ฀sthetik

In WATERWORLD trifft der zum amphi- Rückzieher im Tauschgeschäft und Wille, bischen Wesen mutierte „Mariner“ ohne die Position auch gegen die Bedrohung des Namen (Kevin Costner) auf einen geistig eigenen Lebens zu verteidigen, deuten be- verwirrten Kollegen, der wie er das nach reits auf die letztere Variante hin. Die defi- Schmelzen der Polarkappen erdumfassen- nitive Bestätigung findet hier jedoch erst de Meer durchkreuzt. Wie in solchen Fäl- am Ende des Films statt, wenn der Mariner len üblich beginnen die beiden zu han- sich aus freien Stücken entscheidet, Enola deln. Im Austausch für ein ihm offeriertes im Alleingang aus den Fängen der Smokers Stück Papier willigt der Mariner zunächst zu befreien. Wie im Falle des Zweikampfs ein, dem Kollegen eine „halbe Stunde“ mit wird die Antwort auf die Frage des Zu- seiner attraktiven Begleiterin Helen (Jean- schauers verzögert und die wahrschein- ne Tripplehorn) zu gewähren, besinnt sich lichste Hypothese sogar aktiv attackiert. dann aber doch eines Besseren und will So wie der Mariner im Duell dann aber das Geschäft rückgängig machen. Der ver- doch nicht unterliegt, wird schlussendlich rückte Seefahrer fühlt sich betrogen und aber auch dieser Konflikt der grundlegen- zieht ein Messer. Es kommt zu einem hör- den Erwartungshaltung des Films und sei- baren, nicht aber sichtbaren Kampf unter nes Genres entsprechend gelöst und durch Deck. Eine klar umrisse Entscheidungsga- eine unzweideutige und zunehmend wahr- bel wird aufgespannt. Der Zuschauer setzt scheinlichere Antwort geklärt. Bordwell: unweigerlich auf den Sieg des Protagonis- By threading together several probable ten. Jedoch – nachdem die Kampfgeräu- and quite exclusive hypotheses, we parti- sche verstummen, erscheint zunächst das cipate in a game of controlled expectation Messer des Verrückten in der Luke und tat- and likely confirmation. (...) The classi- sächlich ist er es, der als erster aus der Ka- cal cinema always delays and may recast, jüte klettert. Die Ausgangshypothese ist but it seldom equivocates.78 für den Moment in großer Gefahr. Die Spannung steigt. Allmählich aber beginnt Dennoch gibt es im Hollywoodkino auch der Gegner zu taumeln, sein blutiger Rü- immer wieder Überraschungen. Michael cken wird sichtbar und er fällt tot zu Bo- Hauge: den (Abb. 8.1–8). Remember, the reader and the audience Eine ähnliche Bedrohung der Erwar- want to try to guess and anticipate what’s tungshaltung des Zuschauers stellt bereits coming next; they just don’t want to be der Tausch Frau gegen Papier zu Beginn right all the time.79 der Sequenz dar, der, nachdem der Mari- ner Helen und die junge Enola (Tina Majo- Wenn der Mariner im Zweikampf gewinnt rino) im Gegenzug für seine Befreiung aus oder Bill zu Jo zurückkehrt, wird eine Va- dem gestürmten Atoll der Drifters gerettet riante eines zuvor klar demarkierten Hypo- hat, die Antwort auf die Langzeit-Frage des thesenbündels bestätigt. Wenn wir in THE inneren Konflikts des Protagonisten er- SIXTH SENSE (1999) erfahren, dass Malcom neut in Zweifel zieht: Bleibt er der radikal- Crow () in Wahrheit tot ist, sind liberale Einzelgänger, zu dem ihn die pos- wir dagegen überrascht, da die Narration tapokalyptische Erfahrung gemacht hat, nie auf die Möglichkeit dieser Option hin- oder gibt es in ihm doch noch einen Fun- gewiesen hat. Im Gegenteil: Wenn wir Crow ken zwischenmenschlicher Loyalität? Der nach dem Anschlag bedrückt, aber physisch

78 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀38–39. 79 Hauge,฀Screenplays฀That฀Sell,฀95. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 45

wohlauf sehen, gehen wir einfach davon wird. Charakteristisch entsteht denn auch aus, dass ihn die Ärzte wohl gerettet haben. gerade hier öfters der Vorwurf, das Ende sei In THE USUAL SUSPECTS (1995) schwebt vorhersehbar gewesen, während bei Fil- die Frage nach der wahren Identität der my- men, bei denen die Narration weitgehend thischen Gangsterfigur Keyser Soze als per- verborgen und kommunikativ agiert und manente Neugier-Hypothese zwar für ge- gar nicht erst groß versucht, die Erwartun- raume Zeit im Raum. Die Antwort ist für gen des Zuschauers zu unterlaufen, sich in den Zuschauer aber auch hier nur schwer zu der Regel niemand über das noch so offen- erraten. Weniger weil Verbal Kint (Kevin sichtliche Ende beschwert. Nichtsdesto- Spacey) als verkrüppelter Kleinganove auf- trotz, argumentiert Bordwell, erfolgt die tritt und die Narration den Verdacht fälsch- schrittweise Akkumulation der fehlenden licherweise immer wieder auf den Anführer Informationen üblicherweise auch in die- der Bande Dean Keaton (Gabriel Byrne) sen Genres über die Inszenierung einer vor- lenkt, sondern vor allem deshalb, weil Kint wärts gerichteten und zielorientierten In- ähnlich wie der Mörder in Agatha Christies vestigationsbewegung und vor allem blei- legendärem Krimi THE MURDER OF ROGER ben die kausalen Bausteine des Puzzles ACKROYD frühzeitig als diegetischer Erzähler auch hier nur temporär verborgen und der Haupthandlungsebene etabliert wird nicht wie im Kunstkino mitunter der Fall und so von vornherein vom Kreis der „übli- für฀immer.80 chen Verdächtigen“ ausgenommen scheint. Bis auf die Mikroebene von Montage Neben der Komödie, die traditionell ei- und Dialog lässt sich der audiovisuelle nen verhältnismäßig breiten Spielraum für Fluss eines Films als ein kontrolliertes unerwartete Wendungen und auf Überra- Wechselspiel von Fragen und Antworten schung basierende Gags bereit hält, sind es begreifen. „Each sequence, every line of laut Bordwell denn vor allem auch der Mys- dialogue ...“, schreibt Bordwell, „... beco- tery- und Kriminalfilm, die in diesem mes a way of creating or developing or Punkt ein Stück weit vom Paradigma des confirming a hypothesis; shot by shot, klassischen Stils abweichen. Beide Genres questions are posed and answered.“81 tendieren per definitionem zu einer außerge- Schematisiert lässt sich der typisch lineare wöhnlich hohen Gewichtung rückwärts Verlauf des klassischen Hollywoodstils da- gerichteter Neugier-Hypothesen: Wer ist bei wie folgt darstellen:82 der Mörder? Was steckt hinter dem myste- Szene 1 Szene 2 Szene 3 Szene 4 riösen Geheimnis? etc. Und beide involvie- A1 ® B1, A2 ® B2*,C1® C2, A3 ren dabei typischerweise die Präsenz einer verhältnismäßig unzuverlässigen und Eine Szene nimmt einen der bereits eta- selbstbewussten Erzählinstanz, da der Nar- blierten Handlungsstränge auf und entwi- ration bei dem gezielten Versuch, den Zu- ckelt ihn weiter (A2). Im gleichen Zug schauer auf immer wieder falsche Fährten werden neue Problemstellungen und Fra- zu locken und in seinen Antizipationsver- gen eröffnet (B1, C1), die wiederum zum suchen zu frustrieren, ein zwangsläufig ge- Anknüpfungspunkt für spätere Sequenzen hobeneres Maß an Aufmerksamkeit zuteil werden. Um die Akkumulation von Infor-

80 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀40. 81 Ibid., 39; Für eine detailliertere Diskussion dieses „erotetischen“ Rezeptions- und Narrationsmo- dells siehe: Carroll, Mystifying Movies, 170–181; für die entsprechende Sicht eines Praktikers: Steven D. Katz, Film Directing: Shot By Shot. Visualizing From Concept To Screen (Studio City: Micha- el฀Wiese฀Productions,฀1991),฀145–151. 82 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀64. 46 1 ฀sthetik

fabula syuzhet A simultaneous events simultaneous presentation B successive events simultaneous presentation C simultaneous events successive presentation D successive events successive presentation

Tabelle฀1.฀Ordnung฀(Quelle:฀Bordwell, Narration,฀77) mationen zu erleichtern und ein einfa- 1.2.2 Zeitliche Organisationsprinzi- ches Fortgleiten des Zuschauers durch die pien des klassischen Hollywoodstils Handlung zu gewährleisten, ist es dabei wichtig, Fragen kurzer Reichweite immer Komplexe Anforderungen an die kogniti- wieder abzuschließen (B2*) – die Schlie- ven Verarbeitungs- und Integrationsfähig- ßung aller Lücken kann nicht vollständig keiten des Zuschauers stellen auch die un- auf den Schluss verlagert werden –, zu- terschiedlichen zeitlichen Relationen und mindest einen Handlungsstrang wird die Manipulationsprozesse der filmischen Er- Erzählung am Ende einer Szene jedoch of- zählung. Vor dem Hintergrund des Syuz- fen (B1, C1) oder suspendiert lassen het/Fabula Konzepts unterscheidet das (Strang A in Szene 3), um den Wechsel zur neoformalistische Modell drei Grundkate- nächsten Sequenz zu motivieren und das gorien, nach denen sich derartige Relatio- Interesse des Zuschauers auf die folgenden nen und die spezifische Weise, in der sie Szenen weiterzuleiten. Michael Hauge: von einem Film oder Stiltypus aktualisiert werden, präzisieren lassen: eine Kategorie Almost all scenes should end with the in- der Relationen zeitlicher ‚Ordnung‘ von dividual issue in the scene resolved but Ereignissen („order“), eine Kategorie der with some element left unresolved which Relationen der Repräsentations-‚Häufig- will compel the reader to turn the page keit‘ („frequency“) von Ereignissen und and compel the audience to stay tuned.83 eine Kategorie der Relationen filmischer Schwach oder inkonsequent verknüpfte ‚Dauer‘ („duration“).84 Handlungssegmente produzieren eine episodische Dramaturgie. Immer wieder 1.2.2.1 Ordnung und Häufigkeit neue und/oder konstant unabgeschlosse- Auf Ebene der per definitionem chronolo- ne Fragen, wie sie in Bergmans PERSONA gisch geordneten Fabula können Ereignis- (1966), Alain Resnais’ L’ANNÉE DERNIÈRE À se entweder gleichzeitig stattfinden oder MARIENBAD (1961) oder – um ein jüngeres, einander folgen. Das Syuzhet eines Films wenn auch weniger radikales Beispiel des kann diese Ereignisse jedoch in jeder belie- Autorenkinos zu zitieren – Terrence Ma- bigen Reihenfolge präsentieren. Aus diesen licks THE THIN RED LINE (1998) zu finden Prämissen ergibt sich für Bordwell eine sind, verkomplizieren den Konstruktions- Matrix mit vier verschiedenen Optionen. prozess und verunmöglichen im Extrem- fall die Decodierung des Syuzhets und das Option A: die gleichzeitige Darstellung Verständnis der Fabula als progressive und gleichzeitiger Fabulaereignisse, findet sich kohärente Geschichte überhaupt. überall dort, wo unterscheidbare Einzelak-

83 Hauge, Screenplays฀That฀Sell,฀140. 84 Ibid.,฀42;฀Bordwell, Narration,฀79 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 47

Abb.฀9.1–2฀฀฀Splitscreen-Montage:฀Während฀Grace฀(Jennifer฀Salt)฀der฀Polizei฀erklärt,฀was฀sie฀gesehen hat,฀werden฀die฀Spuren฀des฀Mordes฀in฀Danielle฀Bretons฀(Margot฀Kidder)฀Wohnung฀verwischt.฀Bei einer฀Parallelmontage฀würden฀die฀beiden฀Bildhälften฀einfach฀abwechselnd฀nacheinander฀gezeigt werden. SISTERS (AIP,฀Warner,฀1973). tionen parallel zueinander ablaufen. Die Bordwells Definition nicht nur all jene Se- herkömmliche Filmpraxis limitiert diese quenzen, in denen zeitlich vorgelagerte Option üblicherweise auf die Darstellung Fabulaereignisse durch den Dialog der von Handlungen in Räumen, die von der Charaktere vermittelt werden, sondern Kamera in einer Einstellung erfasst werden auch solche, in denen diegetische Speicher- können – während das Opfer verzweifelt medien, wie Tonbandaufnahmen, Filmclips seinen Schlüssel sucht, nähert sich das oder Fotografien, Figuren und Zuschauer Monster von hinten – Splitscreen-Monta- über vergangene Ereignisse in Kenntnis gen, wie sie vor allem in den späten Sechzi- setzen. So beispielsweise in YOU’VE GOT ger- und frühen Siebzigerjahren (THE BOS- MAIL (1998), wenn Kathleen (Meg Ryan) TON STRANGLER [1968], THE THOMAS CROWN in den Abendnachrichten von der Eröff- AFFAIR [1968], THE ANDROMEDA STRAIN nung der Großbuchhandlung ihres Kon- [1971], SISTERS [1973]) auch für komplexe- kurrenten Joe Fox III (Tom Hanks) erfährt. re Sequenzen eingesetzt wurden als die klassische Telefonsequenz mit zweigeteil- Option C ist vor allem durch die traditio- ter Bildfläche, erlauben es aber auch, voll- nelle Parallelmontage (Crosscutting) be- ständig distanzierte Ereignisse unmittelbar stimmt. „Während Don Corleone in der nebeneinander auf der Leinwand zu zeigen Oper sitzt, werden seine Gegner einer (Abb. 9.1–2). Nur in seltenen Fällen ist es nach dem anderen ausgeschaltet.“ Das Sy- möglich, eine zweite Bildfläche als realisti- uzhet präsentiert die grundlegende schen Bestandteil der Diegesis zu motivie- Gleichzeitigkeit dieser Ereignisse, indem ren. Live-Übertagungen im Fernsehen oder es abwechselnd vom Schauplatz des ei- Bilder von Überwachungskameras sind die nen, zu dem des anderen springt. Ganze wohl häufigst auftretenden Situationen, in Abschnitte der Erzählung können derart denen฀diese฀Variante฀realisiert฀wird. nebeneinandergehalten werden. So wie in RETURN OF THE JEDI (1983), wenn die Nar- Option B: die simultane Syzhet-Darstel- ration deutlich macht, dass der Kampf um lung sukzessiver Fabulaereignisse, tritt in Endor, der Angriff der Rebellen auf den all jenen Momenten auf, in denen das Sy- Todesstern und Lukes (Mark Hamill) Kon- uzhet die Fabulachronologie per Rapport frontation mit Darth Vader (David Prowse / (recounting) manipuliert. Der Akt des James Earl Jones) und dem Imperator (Ian Rapports und die rapportierten Vergan- McDiarmid) mehr oder weniger parallel genheitsereignisse werden vom Syzhet ablaufen. In sich sind die drei Handlungs- parallel repräsentiert. Hierzu zählen nach linien jedoch chronologisch geordnet. 48 1 ฀sthetik

Option D: Die sukzessive und damit zeit- schwerlich an den mentalen Akt einer Fi- lich lineare Wiedergabe von Fabulaereig- gur rückgebunden werden kann. Visio- nissen, ist die generell üblichste Art, in der nen, Träume oder ähnliche Phänomene das Hollywoodkino seine Syuzhets organi- bieten hier die einzige diegetische Moti- siert: vationsmöglichkeit. Eine der wenigen Ausnahmen eines unmittelbar von der ... The classical filmmaker needs an ope- Narration ausgehenden Flashforwards fin- ning, a threshold – that concentrated, pre- det sich im zunächst unverständlichen liminary exposition that plunges us in Vorausblick auf die Verhaftung und Verur- medias res. Events unfold successively teilung von Gloria Beattys (Jane Fonda) from that.85 Mörder (Michael Sarrazin) in THEY SHOOT Flashbacks sind für den klassischen Stil HORSES,DON’T THEY? (1969). Eine andere zwar nicht ungewöhnlich, dennoch raten in der berühmten Liebessequenz aus Drehbuchratgeber typischerweise vom ex- DON’T LOOK NOW (1973), in der es Nicolas zessiven oder unnötigen Gebrauch des In- Roeg gelingt, durch den schrittweisen struments eher ab. Von den 100 Filmen Wechsel zwischen den Bildern, die Laura des Zufallssamples der neoformalistischen (Julie Christie) und John Baxter (Donald Studie enthielten lediglich zwanzig einen Sutherland) beim Sex zeigen und den da- oder mehrere Flashbacks. 15 davon waren rauffolgenden Sequenzen, in denen sich Stummfilme, die auf Grund der nicht vor- das Ehepaar wieder anzieht, einen fließen- handenen Tonspur noch sehr viel stärker den Übergang zwischen Flashforward und auf die inszenierte (enactment) Rückblen- Flashback zu schaffen. de angewiesen waren als das heutige Kino. Die weitaus üblichste Art, dem Zu- Kontemporäre Drehbuchratgeber kritisie- schauer einen Einblick in die Zukunft des ren den Flashback vor allem, weil er die Geschehens zu gewähren, stellt jedoch das dramaturgische Unmittelbarkeit und den dar, was Michael Hauge als den „Book En- Vorwärtsdrang der Geschichte behin- dings“-Flashback bezeichnet87: Der Film dert.86 Bordwell verweist zudem abermals beginnt mit einer Sequenz, die chronolo- auf das Selbstbewusstsein der Narration, gisch am Ende der Fabula angesiedelt ist. die insbesondere bei diegetisch unmoti- Von hier aus wird das Gros der Geschichte vierten Rückblenden, aber auch allgemein als Flashback präsentiert. Die Erzählung exzessiven temporalen Verschiebungen kann zwischendurch immer wieder auf die und Verschachtelungen, wie sie in CITIZEN ursprünglich präsentierte Zeitebene zu- KANE (1941) oder PULP FICTION zu finden rückkehren und auch hier die Fabula wei- sind, zu stark in den Vordergrund zu tre- ter vorantreiben (THE ENGLISH PATIENT, ten droht. THE USUAL SUSPECTS) – Michael Hauge Kaum zu finden im Hollywoodkino ist spricht in diesem Fall von „parallel plots“ dementsprechend der überhaupt seltene, –, zu gegebenem Zeitpunkt, und mit mehr aber durchaus mögliche Flashforward. oder weniger Abstand, schließen die Zum einen, weil er ein deutliches Indiz der Flashbacksequenzen gegen Ende des Syuz- allwissenden Narration darstellt, zum an- hets typischerweise jedoch wieder an die deren, weil er anders als der Flashback nur markierte Gegenwartsebene an. Mögli-

85 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀42. 86 Vgl.฀Hant,฀110–111;฀Seger, Making฀A฀Good฀Script,฀154. 87 Michael Hauge, Using- And Avoiding Flashbacks, ohne Datum, ฀[23.5.1999]. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 49

Abb.฀10.1–4฀฀฀Der฀Book-Ending-Flashback:฀Das฀Gros฀der฀Geschichte฀wird฀als฀Rückblende฀erzählt.฀Am Ende฀holt฀die฀Vergangenheit฀die฀Gegenwart฀wieder฀ein. INTERVIEW฀WITH฀THE VAMPIRE (Geffen/Warner, 1994). cherweise, um erst an dieser Stelle zum lung vorausgehen, spricht Bordwell von endgültigen Showdown anzusetzen, oder einem „externen Flashback“. Behandelt wie in INTERVIEW WITH THE VAMPIRE die Rückblende Ereignisse, die innerhalb (1994), wenn der Reporter (Christian Sla- der Haupthandlung stehen, handelt es ter), nachdem ihm Louis (Brad Pitt) seine sich um einen „internen Flashback“.88 Ty- Lebensgeschichte erzählt hat, von dessen pische Beispiele für die letztere Variante Vergangenhei tin der Gestalt von Lestat de sind das Ausfüllen einer Lücke, die die Er- Lioncourt (Tom Cruise) buchstäblich ein- zählung zunächst offen oder unvollstän- geholt wird (Abb. 10.1–4). dig gelassen hat. So wie der Flashback am Wie temporäre Flashbacks sind auch Ende eines Krimis, wenn der Detektiv die Langzeit-Rückblenden typischerweise an wahren Umstände des Verbrechens für die die Erinnerung oder den Erzählakt einer Beteiligten und den Zuschauer aufklärt Figur gebunden. Die frühe Platzierung des und rekonstruiert oder Sequenzen, in de- Book-Endings-Flashbacks und gewisse ge- nen eine Figur noch einmal an ein bereits nerische Konventionen erlaubt es der Nar- bekanntes Ereignis zurückdenkt, wie in ration jedoch, mitunter auch selbstständig WHEN HARRY MET SALLY (1989), wenn Har- in die Vergangenheit zu blenden. LAWREN- ry (Billy Crystal) erkennt, dass er Sally CE OF ARABIA (1962) oder GANDHI (1982), (Meg Ryan) eigentlich liebt und dabei die die ihre episch biographischen Erzählun- komödiantischen und romantischen High- gen beide mit dem Tod ihrer Protagonisten lights des Films noch einmal kurz vor sei- beginnen, wären hier als typische Beispie- nem inneren Auge Revue passieren lässt. le zu nennen. In beiden Fällen ist es möglich, dass Bezieht sich eine Rückblende auf Er- das Syuzhet Ereignisse wiederholt, die der eignisse, die dem Beginn der Haupthand- Zuschauer bereits gesehen hat. Für ge-

88 Bordwell, Narration,฀78. 50 1 ฀sthetik

ABCDEF GHI Recounted 0001111+1+1+ Enacted 0 1 1+ 0 1 1+ 0 1 1+

Tabelle฀2฀฀Häufigkeit wöhnlich, werden Fabulaereignisse im Schranken: Lediglich subjektiv markierte klassischen Stil nur jeweils einmal insze- Erinnerungsflashbacks, wie in WHEN HAR- niert. Wie Tabelle 2 zeigt, gibt es für den RY MET SALLY, oder minimale „objektive“ klassischen Filmemacher aber durchaus Schnittüberlappungen, wie sie mitunter auch andere Optionen: Fiktive Zeitreisen bei der expansiven Darstellung (siehe un- und ähnliche Phänomene ausgeschlossen, ten) von Explosionen und ähnlichen Acti- geht der Zuschauer davon aus, dass jedes onelementen eingesetzt werden, erlauben Fabulaereignis eine singuläre Erscheinung es, ein bereits gezeigtes Fabulaereignis konstituiert. Genau so wie die Ordnung auch ein zweites oder drittes mal zu insze- dieser Ereignisse auf Syuzhet-Ebene mani- nieren. Dass es sich hierbei keineswegs um puliert werden kann, steht es der Narrati- eine zwingende Einschränkung des Medi- on aber auch frei, mit der Häufigkeit zu ums an sich handelt, beweist unter ande- spielen, in der diese Ereignisse für den Zu- rem das russische Montagekino. schauer dargestellt werden. Leicht verkürzt Einfache oder mehrfache verbale Refe- kann das Syuzhet ein Ereignis einmal (1), renzen auf Geschehnisse, die bereits ein- mehr als einmal (1+) oder auch gar nicht mal in Szene gesetzt wurden (Fälle E und (0) repräsentieren. Eingefügt in das Re- H), bilden in klassischen Filmen wiederum counting/Enactment-Schema ergibt sich eher die Regel als die Ausnahme: Unab- so eine Matrix mit neun möglichen Kon- hängig davon, ob ein Ereignis zunächst stellationen. ‚rapportiert‘ oder ‚inszeniert‘ wurde, wer- Fall B: das Fabulaereignis wird einmal den wichtige Storyinformationen im Hol- inszeniert, aber niemals rapportiert, kann lywoodkino typischerweise öfters wieder- in jedem Film auftreten. Stummfilme – holt. Wie ein von Bordwell zitierter Dreh- sieht man von Zwischentiteln oder panto- buchslogan aus den frühen Tagen der ame- mimischen Gesten ab, die sich auf vergan- rikanischen Filmindustrie empfiehlt: gene Erlebnisse beziehen – bleiben jedoch ... state every fact three times, once for the nahezu ausschließlich auf diese Option smart viewer, once for the average viewer, beschränkt. Die hierzu reziproken Varian- and once for slow Joe in the back row.89 ten D und G, in denen ein Ereignis zwar niemals dramatisiert, aber zumindest ein- Wird ein Fabulaereignis wie in Fall A we- mal erwähnt wird, gehören ebenfalls zum der inszeniert noch anderweitig explizit Standardrepertoire der klassischen Erzäh- erwähnt, handelt es sich um eine Ellipse. lung. Insbesondere in der expositiven Pha- So wie die relativ enge Bindung des se eines Films (TWISTER) greift die Holly- Hollywood-Syuzhets an die chronologi- wood-Narration üblicherweise ausgiebig sche Ordnung der Fabula korrespondiert auf dieses Mittel zurück. auch die moderate Redundanz der klassi- Die mehrfache Inszenierung eines Fa- schen Erzählung mit den grundlegenden bulaereignisses (Fälle C, F und I) unterliegt Forderungen des Hollywookinos nach ei- im Hollywoodkino dagegen recht klaren ner leicht intelligiblen Story-Kausalität

89 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀31. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 51

und suspence-orientierten Dramaturgie- Film tatsächlich dramatisiert: Per Rapport führung. Geringe zeitliche Rearrange- erfährt der Zuschauer in TWISTER, dass Jo ments erleichtern es dem Zuschauer, neue und Bill verheiratet waren, dass ihre Ehe Information mit den bereits bekannten aus unbestimmten Gründen in die Brüche Fakten zu verknüpfen und auf dieser Basis gegangen ist und Bill kurz nach der Tren- klar umrissene Hypothesen über zukünfti- nung eine Romanze mit Melissa begon- ge Ereignisse zu entwerfen. Entsprechend nen hat. Sieht man vom Prolog am Beginn unterstützen Wiederholungen wichtiger des Films ab, präsentiert das Syuzhet diese Daten den grundsätzlich irreversiblen De- Ereignisse jedoch lediglich im begrenzten codierungsprozess (der Film kann zumin- Rahmen eines sturmreichen Tages „im dest im Kino nicht angehalten werden, Sommer des Jahres 1996“. Wie lange die um nach fehlenden oder übersehenen In- Jagd der Storm Chasers genau dauert, lässt formationen zu suchen), indem sie dem sich mit Gewissheit nicht bestimmen. Die Zuschauer klare Erinnerungen an die sig- „gegenwärtige“ Handlung des Films be- nifikanten kausalen Bausteine der Ge- ginnt, wie wir aus dem beiläufigen Kom- schichte zur Hand geben, um diese zu ge- mentar eines Radiosprechers erfahren, um gebenem Zeitpunkt dann glaubwürdig 7 Uhr morgens und endet irgendwann in auszuspielen zu können. den frühen Stunden des nächsten Tages. Auf jeden Fall aber inszeniert der Film To participate in the process of casting eine Zeitspanne, die seine faktische ever more narrow and exclusive hypothe- „screen-duration“ oder Projektions-Dauer ses, we must have solid ground under our von knapp weniger als zwei Stunden bei feet. (...) The classical aesthetic of ‚plan- weitem übersteigt.91 ting‘ and foreshadowing, of tagging traits In Bezug auf das Narrativ als Ganzes and objects for future use, can be seen as werden die meisten Spiel- und Hollywood- laying out elements to be recalled later in filme diese basale Rangfolge von Fabula- the cause-effect logic of the film. If tem- Dauer > Syuzhet-Dauer > Projektions-Dau- porality and causality did not cooperate er einhalten. Selbst Filme wie ROPE (1948) in this way, the spectator could not con- oder NICK OF TIME (1995), die ihre Plots in struct a coherent story out of the narrati- Echtzeit wiedergeben, kommen üblicher- on.90 weise nicht gänzlich ohne „Backstory-Ma- terial“ aus. Auf lokaler Ebene einzelner Se- 1.2.2.2 Dauer quenzen und Momente gehen die drei Be- Relationen filmischer Dauer werden im reiche jedoch immer wieder unterschiedli- neoformalistischen Modell von drei Varia- che Relationsverhältnisse ein. Drei Grund blen bestimmt: ,Fabula-Dauer‘, ‚Syuzhet- und vier weitere Subvarianten können da- Dauer‘ und ‚Projektions-Dauer‘. Fabula- bei voneinander unterschieden werden. Dauer („fabula-duration“) bezieht sich da- Auf Ebene der herkömmlich gefilm- bei auf die gesamte Zeitspanne, die eine ten, individuellen Einstellung entspre- gegebene Geschichte anzunehmender- chen die Präsentations-Dauer und die weise umfasst – Tage, Wochen, Monate Dauer der abgebildeten Aktion einander oder auch Jahrzehnte. Syuzhet-Dauer für gewöhnlich exakt: Ein Mann steigt in („syuzhet-duration“) hingegen beschreibt sein Auto – Fabula-Dauer, Syuzhet-Dauer jenen Abschnitt der Handlung, die der und Projektions-Dauer sind nicht vonein-

90 Ibid.,฀43–44. 91 Vgl.฀Bordwell, Narration,฀80–81. 52 1 ฀sthetik

ander zu unterscheiden. Temporale ‚Äqui- den Ablauf ihrer Narrative manipuliert. valenz‘ („equivalence“) ist jedoch keines- Zwei Varianten lassen sich dabei unter- wegs an die durchgehende Einstellung scheiden: Ellipsen finden sich überall dort, oder Plansequenz gebunden.92 Selbst wenn wo die Narration Handlungen ausklam- ein Schnitt Aktionen und Räume in Seg- mert und Zeitintervalle überspringt: Se- mente gliedert, können die unterschiedli- quenz A zeigt Jeff, wie er einen dringlichen chen Techniken des Continuity Editings Anruf von seiner Freundin Anne erhält, den Bildfluss so codieren, dass der Zu- die ihn bittet, sie unverzüglich in einem schauer annehmen muss, dass keine Zeit nahegelegenen Café zu treffen. Szene B zwischen diesen Teilen ausgelassen wurde. zeigt Anne, wie sie am Tisch sitzt und ner- Der expliziteste dieser Cues erfolgt vös in ihrer Tasse rührt. Endlich erblickt beim Match-on-Action Cut: Eine Figur er- sie Jeff, der gerade zur Tür hereinkommt. hebt sich und setzt die Bewegung in der Wie die beiden in das Café gelangt sind, nächsten Einstellung scheinbar nahtlos bleibt ungewiss: Projektions-Dauer und fort. Aber auch unter den Bedingungen Syuzhet-Dauer sind äquivalent, offen- weniger aufwändiger und daher weitaus sichtlich hat das Syuzhet jedoch einen Teil häufiger verwendeter Montagevarianten der Fabula ausgelassen. wie dem herkömmlichen Eyeline-Match Bleibt der Inhalt der Auslassung, wie in Cutting geht der Zuschauer üblicherweise diesem Beispiel und in den meisten Fällen, von einer kontinuierlichen Zeitdauer aus, wenn die Erzählung insignifikantes Story- solange die Narration keine gegenteiligen material einfach unauffällig aus dem Syuz- Hinweise signalisiert (Ortswechsel, Verän- het schneidet, eher oder auch völlig unbe- derungen in der Umgebung oder im Ausse- stimmt, spricht Bordwell (nach Noël hen der Figuren etc.). Nicht zu unterschät- Burch) von einer „indefiniten“ (Burch) zen ist die verschweißende Wirkung des oder „diffusen“ (Bordwell) Ellipse. Abhän- bildsynchronen Tons: Techniken wie gig von den sie umgebenden Informatio- überlappender Dialog, kontinuierliche nen können Ellipsen aber auch mit durch- Hintergrundgeräusche, diegetische und aus detaillierteren und konkreteren Be- mit Abstrichen selbst nicht-diegetische deutungen „geladen“ sein: Wenn Sequenz Musik verleihen dem Filmbild seit Beginn A den Mörder mit gezückter Waffe über der Dreißigerjahre ein bis dahin unbe- seinem Opfer zeigt und Sequenz B die Lei- kanntes Maß an konkreter Präsenz und che, wie sie später am Tatort gefunden und verstärken dabei jede auf ihre Weise den von der Polizei untersucht wird, ist für den Eindruck eines ungebrochenen und linea- Zuschauer klar, dass der Mord stattgefun- ren Raum-Zeit-Kontinuums.93 den hat; auch wenn das Syuzhet den kon- So wichtig audiovisuelle Kontinuität kreten Akt tatsächlich nie präsentiert. Der für den klassischen Film ist, so selten fin- weit verbreitete Gebrauch solch „defini- den sich Filme, die ihre Geschichten von ter“ (Burch) oder „fokussierter“ (Bordwell) Anfang bis Ende und ohne Verkürzungen Ellipsen ist damit sicherlich einer der deut- inszenieren: Wenn die Fabula-Dauer die lichsten Belege für die aktive Anwendung Syuzhet-Dauer und Projektions-Dauer ei- von Schemata und Folgerungsprozessen nes Films für gewöhnlich übersteigt, ist auf Seiten des Zuschauers; auch wenn es ‚Reduktion‘ („reduction“) die dominan- derartige Techniken der Narration selbst- teste Form, in der die klassische Erzählung verständlich auch immer erlauben, uns in

92 Vgl. Ibid.,฀81. 93 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀46. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 53

Equivalence: Fabula duration equals syuzhet duration equals screen duration. Reduction: Fabula duration is reduced. A. Ellipsis: Fabula duration is greater than syuzhet duration, which is itself equal to screen duration. A discontinuity in the syuzhet marks an omitted portion of fabula duration. B. Compression: Fabula duration equals syuzhet duration, both of which are greater than screen duration. There is no discontinuity in the syuzhet, but screen duration condenses฀fabula฀and฀syuzhet฀duration. Expansion: Fabula duration is expanded. A. Insertion: Fabula duration is less than syuzhet duration, which is itself equal to screen฀duration.฀A฀discontinuity฀in฀the฀syuzhet฀marks฀added฀material. B. Dilation: Fabula duration equals syuzhet duration, both of which are less than screen duration. There is no discontinuity in the syuzhet, but screen duration stretches฀out฀both฀fabula฀and฀syuzhet฀duration. Tabelle฀3฀฀฀Dauer฀(Quelle:฀Bordwell, Narration,฀83–84) unseren Annahmen zu täuschen (siehe bula- und Syuzhet-Dauer werden als z.B. THE SIXTH SENSE).94 Bis in die Fünfzi- äquivalent angenommen, die Projek- gerjahre wurden größere Zeitsprünge und tionsdauer liegt jedoch weit unter der Ortswechsel in Hollywood üblicherweise Zeit, die die abgebildeten Geschehnisse noch durch relativ explizite optische Mar- unter „normalen“ Bedingungen verbrau- kierungszeichen wie Ab- und Auf- oder chen würden. Wischblenden gekennzeichnet. Heute ge- Ähnlich können schriftliche Einblen- nügt meist der einfache, gerade Schnitt. dungen oder Voice-over-Kommentare die Das Überspringen von Zeitintervallen Fabula-Dauer einer Sequenz einfach pos- ist die ökonomischste und daher allge- tulieren, während die Bildspur das Inter- mein gebräuchlichste Art, Erzählzeit auf vall in nur wenigen Augenblicken über- Kosten der erzählten Zeit zu sparen. Die brückt: THE RED SHOES (1948) enthält eine Fabula-Dauer lässt sich im Film jedoch Einstellung, in der eine Gruppe von Stu- auch gänzlich ohne Ellipsen reduzieren. denten auf den Beginn einer Ballett-Vor- Da Zeit hier weniger ausgelassen denn stellung wartet – 45 Minuten, wie die Ein- verdichtet wird, bezeichnet Bordwell die blendung diktiert. Nie auszuschließen, Wirkung solcher Techniken als „Kom- aber unter gewöhnlichen Rezeptionsbe- pression“: Zeitrafferaufnahmen, „Schnell- dingungen meist nur schwer zu erkennen, lauf-Sequenzen“ oder ähnliche Effekte, sind geringfügige Diskrepanzen zwischen wie sie heute durch digitale Bildmanipu- diegetischen Kontextualisierungen und lationstechniken erleichtert werden, kön- faktischer Projektionszeit: Eine Aktion soll nen lang dauernde Vorgänge auf das Maß oder sollte auf Fabula-Ebene rund fünf Mi- weniger Sekunden komprimieren. Tag-- nuten dauern. Eine genaue Analyse mit Nacht-Wechsel, die verhältnismäßig ein- der Stoppuhr zeigt jedoch, dass gewisse Be- fach als ungebrochener Vorgang inner- wegungen nach realistischen Maßstäben halb einer Einstellung simuliert werden etwas zu schnell abgelaufen sind und die können, sind ein typisches Beispiel: Fa- entsprechende Sequenz im Kino tatsäch-

94 Bordwell, Narration, 82; Noël Burch, Theory of Film Practice, transl. by Helen R. Lane (New York: Praeger,฀1973),฀5–7. 54 1 ฀sthetik

lich kaum mehr als drei Minuten in An- gewöhnlichsten und eindeutigsten An- spruch genommen hat.95 wendungsfall bilden jedoch Zeitlupenauf- Die gleichen Unstimmigkeiten kön- nahmen oder auch Standbilder, bei denen nen selbstverständlich auch unter umge- die Fabula-Dauer, wenn man so möchte, kehrten Vorzeichen stattfinden: Über- den Grenzwert null erreicht.96 steigt die Projektions- oder Syuzhet-Dauer eines Ereignisses dessen Fabula-Dauer, 1.2.2.3 „Dead-Time“-, „Flo-Mo“- und an- handelt es sich um ‚Expansion‘ („expansi- dere Multikamera-Effekte on“). Analog zur Reduktionskategorie un- Eine relativ neue und daher erwähnens- terscheidet Bordwell dabei zwischen „In- werte Entwicklung im Bereich der Zeitlu- sertion“ und „Dilation“. pencinematografie stellen so genannte Insertion, das grobe Kehrbild zur ellip- „Virtual Camera Movement“- oder „Mul- tischen Form, expandiert Fabula-Dauer, ticam“-Verfahren dar, die im Ansatz zwar indem sie Ereignisse durch den Einschub bereits in den Bewegungsstudien von Ead- anderer Sequenzen ausdehnt. Das wohl ty- weard Muybridge vorweggenommen wor- pischste Beispiel sind subjektive Flash- den sind, ausgehend von der Werbespot- backs oder Traumsequenzen, bei denen und Videoclipproduktion aber erst in der Betreffende nach einiger Zeit wieder in jüngster Zeit Eingang in das Stilrepertoire auf den festen Boden der Realität zurück- des Hollywoodkinos gefunden haben.97 geholt wird: Auf Fabula-Ebene träumt der THE MATRIX ist das bis dato prominenteste Träumer möglicherweise nur für wenige Resultat dieser Innovation. Sekunden oder Minuten. Nach Einheiten Für gewöhnlich werden Zeitlupenef- der objektiven Projektionszeit hat die Dar- fekte im Kino nicht erzielt, indem der Pro- stellung des Trauminhalts aber bereits eine jektor einfach langsamer geschaltet wird, Gute Viertelstunde der Spieldauer ver- sondern indem Aktionen mit erhöhter schlungen: Projektionsdauer und Syuz- Aufnahmegeschwindigkeit und Einzel- het-Dauer sind äquivalent, die Fabu- bildzahl aufgezeichnet werden und dann la-Dauer ist jedoch kürzer. bei normaler Projektionsgeschwindigkeit Dilation wird durch all jene Techniken (24 Bilder pro Sekunde) wieder abgespielt. konstituiert, in denen Zeit nicht durch Je höher die Aufnahmegeschwindigkeit, Einschub, sondern in einem kontinuierli- desto langsamer und detaillierter ist die chen Prozess gedehnt wird: Fabula-Dauer Aktion auf der Leinwand zu sehen: Aufge- und Syuzhet-Dauer müssen als äquivalent zeichnet mit einer Rate von 240 Bildern vorausgesetzt werden. Auf stilistischer pro Sekunde, wird jede Sekunde aufge- Ebene wird die Dauer dieser Ereignisse nommener Zeit auf das zehnfache ihres ur- aber durch eine verlangsamte Projektions- sprünglichen Maßstabs gedehnt. Stand- zeit in die Länge gezogen. Überlappendes bildaufnahmen sind in der Praxis nur Editieren kann als ein solcher Prozess ver- möglich, indem ein bereits existierender standen werden: Obwohl die Sequenz Einzelkader noch einmal abgefilmt oder Schnittbrüche enthält, lässt sich kein In- vervielfältigt und als Sequenz unmittelbar tervall ausmachen, das sich zwischen die auf den Filmstreifen kopiert wird. Theore- abgebildete Aktion geschoben hätte. Den tisch müsste ein Standbild nach der obi-

95 Bordwell, Narration,฀82. 96 Ibid.,฀83. 97 Timetrack: Virtual Camera Movement, ohne Datum, [6.5.1999]; Multicam,฀ohne฀Datum,฀฀[6.5.1999]. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 55

gen Formel aber auch mit dem üblichen Das Ergebnis sind „Flo-Mo“- oder „Bullet- Zeitlupenverfahren möglich sein, dann Time“-Effekte, wie sie für einige der spek- wenn die Aufnahmegeschwindigkeit eine takulärsten Actionsequenzen von THE „unendliche“ Zahl von Einzelbildern pro MATRIX eingesetzt wurden.98 Ziel der Wa- Sekunde erreicht. Hier setzt der so genann- chowski-Brüder war es, blitzschnelle te „Dead-Time“-Effekt, das technisch ein- Kampfhandlungen und Aktionen mit ho- fachste, aber auch visuell verblüffendste hen Aufnahmegeschwindigkeiten zu fil- Anwendungsbeispiel des Virtual-Camera- men und in Zeitlupe sichtbar zu machen. Movement-Verfahrens an. Gleichzeitig sollte aber auch die visuelle Das jeweilige Objekt wird nicht wie Dynamik erhalten bleiben, wie sie das üblich mit einer Kamera aufgenommen, Publikum von Kamerafahrten bei normal die selbst bewegt oder unbewegt eine be- gefilmten Actionsequenzen kennt. Da be- stimmte Anzahl sequentieller Aufnahmen schleunigte Aufnahmen immer eine Ver- auf das Negativ des Filmstreifens bannt, langsamung sowohl der Objektbewegung sondern durch ein üblicherweise kreis- als auch der des Kamerablickpunkts bedin- oder bogenförmig angeordnetes Ensemble gen, sind derartige Einstellungen mit her- stationärer Einzelbildkameras, die alle zur kömmlichen Mitteln allerdings kaum zu selben Zeit feuern. Sequenziell aneinan- realisieren. derfügt und projiziert, resultiert daraus ein Um Aktionen einzufangen, die sich in Effekt mit zwei signifikanten Komponen- Sekunden und Bruchteilen von Sekunden ten: Zum einen erweckt die sequentielle ereignen und dabei gleichzeitig Strecken Aneinanderreihung der Einzelbilder den mit der Kamera so schnell zurückzulegen, Eindruck einer „virtuellen Kamerafahrt“ dass bei der verlangsamten Wiedergabe im entlang der Formation der Einzelbildka- Kino immer noch der Eindruck einer zügi- meras – für herkömmliche Standbildauf- gen Kamerafahrt entsteht, muss sich die nahmen ist eine solche Bewegung inner- Kamera bei der Aufnahme mit enormer halb des abgebildeten Raumes unmöglich Geschwindigkeit bewegen. Für die „virtu- –, zum anderen erscheint das abgebildete elle Kamerabewegung“ eines Multikame- Objekt in der Zeit eingefroren, da die „vir- ra-Ensembles oder „Timetracks“, wie Day- tuelle Kamera“ denselben Moment zeit- ton Taylor, einer der Pioniere des Verfah- gleich von verschiedenen Blickpositionen rens, seine Kamerakonstruktion nennt, aus festgehalten hat. Obwohl sich die Ka- sind solche Geschwindigkeiten jedoch mera zu bewegen scheint, ist zwischen den nichts ungewöhnliches:99 Anstatt eine ge- Kadern keine Zeit vergangen. Die „virtuel- wöhnliche Hochgeschwindigkeitskamera le Kamera“ hat sich mit quasi unendlicher mit 100 km/h oder mehr um ein bewegtes Geschwindigkeit um das Objekt bewegt Objekt zu katapultieren, reicht es die Ein- und befand sich somit zum Zeitpunkt der zelbildkameras eines „Timetrack“-Ensem- Aufnahme an „jedem“ Punkt des Raums bles innerhalb kurzer Zeit, bspw. einer hal- gleichzeitig. ben Sekunde, abzufeuern. Die Aufnahme- Soll das Objekt in seiner Bewegung geschwindigkeit und damit der entspre- nicht vollständig eingefroren werden, chende Dehnfaktor werden dabei durch sondern lediglich verlangsamt, genügt es, zwei Variablen bestimmt: Die Anzahl der die Kette der Einzelbildkameras nicht si- zur Verfügung stehenden Kameras – im multan abzufeuern, sondern sequentiell. Falle von THE MATRIX 120 – und das Zeitin-

98 Ron฀Magid,฀„Techno฀Babel“, American฀Cinematographer (April฀1999):฀52–53. 99 Timetrack,฀. 56 1 ฀sthetik

tervall, innerhalb dessen der Schussme- es in der Praxis aus ökonomischen und chanismus der Kameras ausgelöst wird. technischen Gründen generell üblich ist, Für die Verlangsamung des Objekts spielt indem mit Hilfe von Computerprogram- es dabei keine Rolle, welche der beiden Va- men Zwischenbilder aus dem vorhanden riablen verändert wird. Ob ein Ensemble Bildmaterial eines „Timetrack“-Shots ex- von 120 Kameras anstelle von 5 Sekunden trapoliert werden. (was einer normalen Aufzeichnungsrate Da es möglich ist, das Auslöseintervall von 24 Bildern pro Sekunde entspricht) in- auch für einzelne Gruppen eines Multika- nerhalb eines Zeitraums von 2,5 Sekunden mera-Ensembles individuell zu bestim- ausgelöst oder aber bei gleichbleibendem men, können Standard- „Flo-Mo“- und Auslöseintervall mit 240 Kameras gearbei- „Dead-Time“-Sequenzen auch innerhalb tet wird, die resultierende Aufnahmege- einer einzigen Einstellung kombiniert schwindigkeit beträgt in beiden Fällen 48 werden: Das Objekt bewegt sich (24 Bilder / Bilder pro Sekunde und damit das Doppel- Kameras in einer Sekunde), wird langsa- te, als dies bei herkömmlichen Aufnah- mer (24 Bilder / Kameras in einer halben men der Fall ist. Der eingefangene Zeitaus- Sekunde), steht still (24 Bilder / Kameras in schnitt ist bei der ersten Variante zwar un- 0 Sekunden) und bewegt sich wieder (24 weigerlich kürzer; projiziert mit einer Ge- Bilder / Kameras in einer Sekunde). Gleich- schwindigkeit von 24 Bildern pro Sekun- zeitig scheint die Kamera mit gleichförmi- de, wird dennoch jede Sekunde aufgenom- ger Geschwindigkeit um das Geschehen mener Zeit auf zwei Sekunden projizierter zu kreisen, da der Zuschauer, anders als bei Zeit gedehnt. Für die im Kino wahrgenom- herkömmlichen Ramping-Effekten, wie mene Bewegung der Kamera gilt dies zwar der sprungartige aber nahtlose Übergang ebenso, dennoch muss hier ein entschei- von einer Aufnahmegeschwindigkeit zu dender Faktor mitberücksichtigt werden. einer anderen innerhalb derselben Einstel- Indem das Auslöseintervall bei gleich- lung genannt wird, nicht erkennen kann, bleibender Kamerazahl verkürzt wird, dass sich bei der jeweiligen Verkürzung des wird die Bewegung der Kamera auf Projek- Intervalls eben nicht nur die Aufnahmege- tionsebene zwar verlangsamt. Um die Vor- schwindigkeit erhöht hat (alle Bewegun- aussetzung für diese Verlangsamung zu gen werden auf Projektionsebene verlang- schaffen, musste sich der Blickpunkt der samt), sondern auch die Geschwindigkeit Kamera bei der Aufnahme aber im exakt mit der sich der Kamerablickpunkt um das selben Maße schneller über das gegebene Objekt bewegt (die reale Bewegung des Terrain bewegen, als dies bei einer entspre- Blickpunkts in Relation zum Objekt wird chenden Einstellung mit normaler Auf- beschleunigt). nahmegeschwindigkeit der Fall gewesen Noch erstaunlichere Konstellationen wäre. Unabhängig davon, wie kurz das lassen sich realisieren, wenn die zumin- Auslöseintervall gewählt wird, gleicht der dest im Kern „analoge“ Tricktechnologie aus der Verkürzung des Intervalls resultie- der Multikameraaufnahme mit digitalen rende Dehnfaktor die reale Beschleuni- Bildkompositionstechniken verbunden gung des Kamerablickpunkts somit immer wird. So lassen sich mit Hilfe eines Multi- wieder aus. kamera-Ensembles selbstverständlich Die einzige Möglichkeit, die Projek- auch mehrere, perspektivisch identische tionsdauer einer virtuellen Kamerafahrt zu Sequenzen mit unterschiedlichen Aufnah- verlängern, besteht darin, mehr Bilder in megeschwindigkeiten und Objekten fil- gegebener Zeit zu generieren, also entwe- men, die dann in der Nachbearbeitung zu der mehr Kameras aufzustellen oder, wie einer kombinierten Einstellung (Composite 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 57

Abb.฀11.1–4฀฀฀Obwohl฀sich฀die฀Kamera฀bewegt, scheint฀die฀Zeit฀im฀Bildraum฀eingefroren. THE MATRIX (Village฀Roadshow฀/฀Warner,฀1999). Abb.฀11.5฀฀฀Die฀Einzelbildkameras฀eines฀„Time- trackensembles“฀werden฀simultan฀abgefeuert, die฀Einzelbilder฀dann฀aber฀sequenziell฀aneinan- dergefügt.฀(Hier฀von฀links฀nach฀rechts.)

Shot) mit verschiedenen Laufgeschwindig- von einer anderen Position noch einmal keiten zusammengefügt werden können: genauer anzusehen. Während die Zeit für x gefriert, läuft sie für y und die Kamera weiter. 1.2.2.4 Die Deadline Derzeit noch Utopie ist ein Anwen- Sehr viel älter als der „Dead-Time“-Effekt dungsbereich, der über die Special-Ef- ist das, was David Bordwell als die „dead- fects-Produktion im Film hinausreicht: line“ bezeichnet. Die offensichtlichste Er- Ganze Wände oder Kuppeln aus Videoka- scheinungsform dieses von Hollywood so meras sind vorstellbar, die ein Ereignis so- oft verwendeten und bis heute sehr kraft- wohl simultan als auch kontinuierlich voll gebliebenen Instruments stellt wohl übertragen oder aufzeichnen. Ähnlich je- das übergreifende Zeitlimit dar, das ver- doch weitaus flexibler als dies bei den der- schränkt mit dem langfristigen Ziel des zeitigen Rennsportübertragungen im di- Protagonisten über der „gesamten“ Hand- gitalen Fernsehen mitunter der Fall ist, lung des Films schwebt: Tickende Bomben hätte der Zuschauer dabei die Möglich- und Erpressungsversuche (FACE/OFF keit, nicht nur zwischen einer handvoll [1997], THE ROCK [1996], RANSOM [1996]); fixierter Positionen zu wählen, sondern ein auf die Erde zurasender Meteor (DEEP mit Hilfe eines Joysticks seinen Blick- IMPACT [1998], ARMAGEDDON); ein sinken- punkt frei und fließenden durch den des Schiff (TITANIC); der Beweis der Schuld Raum zu steuern; oder aber auch, wie es oder Unschuld eines Angeklagten (A FEW ebenfalls bereits existierende Simula- GOOD MEN [1992], TRUE CRIME [1999]) – tionsprogramme für Fußballspiele tun, sie alle zwingen den Helden dazu, unter die Bewegung an einem kritischen Punkt dem permanenten Druck eines Zeitulti- anzuhalten und sich denselben Moment matums zu operieren, das die Spannung 58 1 ฀sthetik

bei jeder neuen Hürde, die ihm auf seiner dann einen nicht unwesentlichen Teil des Zielsuche begegnet, noch einmal um ein Dramas aus. Vielfaches zu steigern vermag. Ultimaten und Fristen können entwe- Auf lokaler Ebene nehmen diese tem- der verbal festgelegt werden oder sich im- porären Hürden und Problemstellungen plizit aus dem Situationszusammenhang daher kaum verwunderlich selbst immer ergeben. Eines der wichtigsten Instru- wieder die drückende Form der Deadline- mente beim Ausspielen der Deadline Struktur an: durchscheuernde Seile; sich stellt jedoch die Parallelmontage dar, mit lösende Halterungen; automatisch schlie- deren Hilfe sich jede „Last-Minute-Res- ßende Fluchtwege; unaufhaltsam näher cue“-Sequenz bis auf die entscheidende kommende Vehikel, Lavaströme, Hackma- Sekunde in Waage halten lässt. Nicht zu- schinen, Stahlpressen oder Monstren; auf letzt deshalb, weil, auch wenn die Paral- den Abgrund oder Hindernisse zurasende lelmontage eine generelle Gleichzeitig- Fahrzeuge; Waffen, die kurz vor Schussbe- keit der Ereignisse indiziert, der Orts- reitschaft stehen; der Mörder vor dem wechsel zwischen den Schauplätzen es Vollzug seiner Tat – bis in die Mikrostruk- der Narration immer auch gestattet, tur wird die Dramaturgie des Hollywood- leicht elliptisch zu erzählen und den Zu- kinos von Zeitultimaten durchdrungen. schauer so immer ein Stück weit über die Selbst der romantische Handlungs- genauen räumlichen und zeitlichen Rela- strang findet sich häufig in ein Deadline- tionen zwischen den Geschehnissen im Muster gespannt: Das Paar muss innerhalb Unklaren zu belassen. Wie Bordwell her- einer explizit begrenzten Zeit zueinander vorhebt, schweißt auch die Deadline- finden – vier Tage in THE BRIDGES OF Struktur die Erzählung zu einer motivier- MADISON COUNTY – oder unterschwelliger ten Einheit zusammen und richtet wie zumindest bevor die zweite, abenteuerli- jede Spannungshypothese die Aufmerk- che Handlungslinie des Films beendet ist: samkeit des Publikums vorwärts: Maggies (Meg Ryan) und Sams (Matthew Planning appointments makes it ‚natu- Broderick) Ziel in ADDICTED TO LOVE ral‘ for the narration to show the meeting (1997) ist es, die Romanze ihrer beiden itself; setting up deadlines makes it ‚natu- Ex-Partner zu zerstören. Für den Zuschau- ral‘ for the narration to devote screen time er, der schon allein auf Grund des Castings to show whether or not the deadline is ahnt, welche der Figuren das eigentliche met. Moreover, appointments and deadli- Liebespaar des Films bilden, ist es jedoch nes stress the forward flow of story acti- ebenso wichtig, dass sich die beiden inein- on: the arrows of the spectator’s expecta- ander verlieben, bevor ihre Intrigen end- tions are turned toward the encounter to lich die erwünschte Wirkung erzielen und come, the race to the goal.100 ihre Wege wieder auseinander gehen. Die mildeste Form der Deadline bildet Die -Trilogie (1985, nach Bordwell das „appointment“ – Einla- 1989, 1990) ist vor allem für ihr ausgeklü- dungen, Aufforderungen oder jede andere geltes Spiel mit den Implikationen von Form der Vereinbarung, die ein Treffen zu Zeitreisen bekannt und liefert mit den einem gegebenen Zeitpunkt fixiert. Gera- Verstrickungen und Running Gags, die de in romantischen Filmen, so Bordwell, sich dabei zwischen den immer wieder macht die Einhaltung, Zurückweisung gleichen und ähnlichen Situationen ent- oder Verzögerung solcher Absprachen falten, in die Marty McFly (Michael J. Fox) 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 59

und Doc Brown (Christopher Lloyd) auf ihrer Reise durch die Epochen geraten, wohl eines der ergiebigsten Beispiele des postklassischen Hollywoodkinos für den pointierten Einsatz von Foreshadowing- und Pay-off-Strategien.101 Mindestens eben- so versiert verstehen es und sein Koautor Bob Gale aber auch mit den unterschiedlichen Variationen des Deadline-Prinzips umzugehen: „Back In Time“ heißt einer der beiden Titel, die Huey Lewis and the News zum Soundtrack des Films beigesteuert haben, und in der Tat, kämpft Marty McFly im wahrsten Sin- ne des Wortes nahezu ständig gegen die Zeit. Immer wieder wird er aufgehalten, wenn er zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem Treffen erscheinen sollte (Ap- pointment). In Teil I muss er seine Eltern (Lea Thompson, Crispin Glover) rechtzei- Abb.฀12.1฀฀฀Doc฀Brown฀unter฀Zeitdruck:฀Um฀vier tig zusammenbringen, damit sie sich wie nach฀Zehn฀ist฀es฀zu฀spät. BACK฀TO฀THE FUTURE vorgesehen beim Schulball küssen – Lang- (Amblin/Universal,฀1985) zeit-Deadline 1 und zugleich eine Art Va- riation der „romantischen Deadline“ mit Ähnlich muss in Teil III die Lokomoti- umgekehrten Vorzeichen: Marty muss es ve die berühmten 88 Meilen pro Stunde er- vermeiden, dass sich die weibliche Haupt- reichen, bevor sie in den Abgrund stürzt figur in ihn verliebt. oder – wie uns Doc in seiner gewohnt zer- Der Film endet mit einer furiosen Ziel- streuten Art erklärt – der mit Überdruck fahrt auf den Einschlag eines Blitzes, den geheizte Kessel explodiert (Mikro-Dead- Marty auf den Punkt erwischen muss, um lines). Gleichzeitig muss Doc Brown seine mit der Zeitmaschine in die Zukunft zu- Geliebte Clara (Mary Steenburgen) retten rückkehren zu können – Langzeit-Dead- (Mikro-Deadline), die Hals über Kopf auf line 2, am Höhepunkt immer wieder qual- den Zug gesprungen ist, weil sie gerade voll verzögert durch zahlreiche Mikro- noch rechtzeitig erkannt hat, dass er sie Deadlines: Erst fällt ein Ast auf das Kabel, mit seinen Geschichten über die Zukunft dann startet der Delorean nicht. Doc doch nicht belogen hat (romantische Dead- rutscht beim Versuch, den Schaden zu be- line). Bevor es dazu kommt, müssen Doc heben, vom Sims. Der Stecker hängt nur und Marty den Zug aber überhaupt erst er- noch am Aufschlag seiner Hose, die lang- wischen (Langzeit-Deadline). Dem steht sam durchzureißen droht. Endlich gelingt zum einen das Duell mit Buford „Mad es ihm die Kabelenden zu verbinden. Da Dog“ Tannen (Thomas F. Wilson) im Weg, der Ast aber immer noch auf der Leitung das ausgerechnet auf 8 Uhr angesetzt wur- liegt, passen die Stecker am unteren Ende de (appointment), genau dann, wenn der wieder nicht zusammen etc. „8 Uhr Zug“ den Bahnhof verlässt. Damit

101 siehe฀dazu:฀Seger, Making฀A฀Good฀Script฀Great,฀102–108. 60 1 ฀sthetik

1.2.3 Räumliche Organisationsprinzi- pien des klassischen Hollywoodstils

1.2.3.1 Bild und Komposition Wie Avantgardefilme, Videoclips oder an- dere abstrakte Anwendungsformen de- monstrieren, lässt sich das Filmbild nicht nur als eine rein grafische Oberfläche be- trachten, sondern auch praktisch als sol- che nutzen. Klassisches Hollywoodkino und narrative Filme sind jedoch seit jeher bemüht, diese Oberfläche so transparent wie möglich und das an sich zweidimen- sionale Bild so zu gestalten, dass sie für den Zuschauer als voluminöse Diegesis, oder wie Bordwell schreibt, als „Story Raum“ zu lesen sind.102 Als Zuschauer tendieren wir dazu, die- sen Raum als ein, wenn auch fiktives, so doch autonomes und scheinbar präexis- tentes Universum aufzufassen, in das die Kamera eindringt, um uns das fortlaufen- de Geschehen zu präsentieren. Filmkriti- ker und Theoretiker sind daher immer wie- der dazu verleitet worden, den Blick der Kamera mit der Erzählinstanz eines Films Abb.฀12.2–4฀฀฀Auch฀in BACK฀TO฀THE FUTURE III gleichzusetzen. Wie Bordwell betont, soll- rückt฀die฀Deadline฀immer฀näher:฀Marty฀McFly blickt฀zur฀Uhr,฀erschrickt฀und฀sieht฀zum฀be- te dennoch klar sein, dass dieser Eindruck wusstlosen฀Doc:฀Wird฀er฀es฀schaffen,฀ihn฀wach lediglich das Resultat und das, was wir im zu฀bekommen,฀das฀Duell฀zu฀überleben฀und Kino als Kamera wahrnehmen, lediglich rechtzeitig฀den฀Zug฀zu฀erwischen?฀(Amblin/Uni- versal฀1990) Teil eines viel umfassenderen Narrations- prozesses ist; werden, so Bordwells Argu- ment, Objekte, Licht, Schauspieler, Model- nicht genug, trinkt Doc vor der Abfahrt le, Kulissen etc. und das von ihnen konsti- aber auch noch ein Glas Whiskey, das ihn, tuierte „profilmische“ Geschehen, doch da er Alkohol nicht verträgt, schlagartig in immer schon von vornherein mit Rück- Ohnmacht versetzt. Zum Glück kennt der sicht auf den narrativen Prozess arran- ansässige Barkeeper das Rezept für einen giert. Der fiktionale Raum ist so betrachtet „Muntermacher“. keine unabhängige Entität, die von der Ka- BARKEEPER: In about ten minutes he’s mera mit mehr oder weniger persönli- gonna be as sober as a priest on Sunday. chem Nachdruck dokumentiert wird, son- MARTY (blickt auf die Turmuhr, die Zei- dern immer schon ein Konstrukt, das erst ger stehen auf zehn vor Acht): Ten minu- durch das präkonzipierte Zusammenspiel tes! Why do we have to cut these things aller involvierten Inszenierungstechniken so damn close? (Abb. 12.2–4) entsteht:

102 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀54. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 61

It is not that the camera chooses the best Schwerpunkten zu erzielen. Die Strenge spot from which to capture an indepen- und Komplexität der bildenden Künste dently existing event; figures lighting, set- wird im Hollywoodkino dabei, wie Bord- ting, and costume are constructed as to well meint, zwar kaum erreicht, dennoch make sense only from certain vantage sind auch bei laxer Handhabung befriedi- points. From this we can draw a conclusi- gende Resultate zu erzielen. on to which we will often return. All film Vor allem stellt der Film selbst ein dy- techniques, even those involving the ‚pro- namisches Medium dar. Seitlich gerichtete filmic event‘ function narrationally, con- Blicke von Figuren verlangen idealerweise structing the story world for specific ef- nach einem optischen Ausgleich, der die fects.103 Figur näher an den der Blickrichtung ge- genüberliegenden Bildrand positioniert – Obwohl sie wie viele andere Direktiven Christian Mikunda beschreibt diesen bild- des klassischen Stils auf Traditionen basie- kompositorischen Grundsatz als „in der ren, die das Kino lang prädatieren, und Blickrichtung Luft geben“.105 Angewandt schon allein deshalb „natürlich“ erschei- in einem Shot/Reverse-Shot-Muster (SRS) nen, ist es daher sinnvoll, die Grundlagen zwischen Dialogpartnern gewährleisten klassischer Raum- und Bildkonstruktion derartige Kompositionen dann aber selbst nicht nur im Lichte ihrer Künstlichkeit zu wieder beides: Dynamik, da sich der opti- betrachten, sondern wie Bordwell betont, sche Schwerpunkt bei jeder Einstellung immer auch im Kontext der Funktionali- auf die gegenüberliegende Seite verlagert tät, die sie für den narrativen Film besit- und Balance, da sich die entgegengesetz- zen. ten Paareinstellungen in der Dauer ergän- Weite Totalaufnahmen tendieren nach zen (siehe z.B. Abbildung 15.2–7). Bordwell dazu, die untere Hälfte des Film- Als dynamisches Medium kann der bildes überzugewichten. Generell orien- Film optische Unausgewogenheit aber tiert sich der klassische Stil, sowohl im auch narrational nutzen: Auffällig leerer klassischen Academy Ratio-Format als auch Raum in einer Einstellung entsteht im in den unterschiedlichen Formaten des klassischen Stil, sofern er nicht anderwei- Breitwandkinos, dagegen an der Gestalt tigen, symbolischen Hinweisen dient – die des menschlichen Körpers und arrangiert Figur hat sich isoliert, ist einsam oder ver- seine Einstellungen um ein „Zentrum“, loren etc. –, oft dann, wenn er Platz für das durch das obere horizontale und verti- den Bildeintritt eines noch nicht sichtba- kal mittlere Drittel des Bildausschnitts ren Objekts oder Charakters bereithält konstituiert wird. Bordwell: „Most shots und kann so der antizipatorischen Drama- work with a privileged zone of screen spa- turgieführung des Hollywoodkinos ent- ce resembling a T.“104 Westlichen Stan- sprechend, den Zuschauer unterschwellig dards folgend versucht der klassische Stil auf die kommenden Ereignisse vorberei- dabei übertrieben gleichförmige Komposi- ten.106 Raoul Walsh: tionen eher zu vermeiden und die opti- sche Ausgewogenheit eines Bildes statt There’s only one way to shoot a scene, dessen durch eine dynamische Balance and that’s the way which shows the au- zwischen asymmetrisch angeordneten dience what’s happening next.107

103 Bordwell, Narration,฀11–12. 104 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀51. 105 Christian Mikunda, Kino spüren: Strategien der emotionalen Filmgestaltung (München: Filmland Presse,฀1986),฀37. 62 1 ฀sthetik

Offensichtlich werden die narrationalen grundsätzlich voyeuristisch angelegten Qualitäten bildkompositorischer Prinzi- Dispositiv des klassischen Kinos dennoch pien auch im klassischen Gebrauch von weitgehend untersagt. Lediglich Point-of- Frontalität: Körper, vor allem aber das Ge- View-Einstellungen (POV), die den Blick sicht mit seiner filigranen, komplexen der Kamera als diegetische Blickposition und kraftvollen Ausdrucksfähigkeit, wer- einer Figur motivieren, gestatten es (sieht den im Kino, soweit es das Handlungsge- man von raren Ausnahmefällen wie Nor- schehen zulässt, meist frontal bis seitlich man Bates’ hämischem Grinsen am Ende zur Blickrichtung des Publikums abgebil- von PSYCHO [1960] oder Filmen wie GIGI det. Die Mobilität des Kamerablicks er- [1958] ab, bei denen das Publikum von ei- laubt es dabei zwar, wesentlich flexibler ner diegetischen Erzählerfigur unmittel- vorzugehen als beispielsweise beim Thea- bar angesprochen wird), das Blick-in-die- ter; dennoch kommt es selbstverständlich Kamera-Verbot zu unterwandern. auch im Film ständig zu unnatürlichen Präklassisches Kino oder das, was Tom Haltungen, Bewegungen und Positionen, Gunning als das „Kino der Attraktionen“ bei denen Authentizität zugunsten von bezeichnet, kennt dieses Reglement noch Intelligibilität oder auch nur aus rein äs- nicht. Weniger, weil es sich hier um eine thetischen Beweggründen geopfert wird. primitive Form des Kinos handelt, son- Dreht eine Figur dem Publikum den dern wie Gunning glaubt, weil der frühe Rücken zu, ist dies häufig ein Indiz für ihre Film auf einem grundsätzlich anderen Ki- momentane narrative Irrelevanz. Je nach nomodell aufbaut als es später durch D.W. dramaturgischem Bedarf kann Frontalität Griffith und seine Zeitgenossen etabliert somit jederzeit verloren gehen, wenn sie worden ist; ein ästhetisches Modell, das, später wieder hergestellt wird. „Over-the- wie Kapitel 3.3.5 zu zeigen versucht, aber shoulder shot/reverse-shot cutting ...“, auch im postklassischen Kino wieder an schreibt Bordwell, „... decenters a figure Bedeutung zu gewinnen scheint. and puts his or her back to us, but the re- The most obvious way that the classical verse shot reinstates that character from cinema works to create to treat the screen front and center.“108 as a plate glass window is the representa- Wie Kino ohne modifizierte Frontali- tion of depth.109 tät aussehen würde, lässt sich anhand ei- nes Films wie SARATOGA (1937) erahnen: Zahlreiche Komponenten oder „depth Die Hauptdarstellerin Jean Harlow starb cues“ stehen dem Kino dabei zur Verfü- vor Beendigung des Films und wurde gung:110 durch ein Double ersetzt, das in entschei- Überlappende Konturen: Wird ein Ob- denden Sequenzen nur von hinten zu se- jekt teilweise durch ein anderes verdeckt, hen war. gehen wir davon aus, dass das verdeckende Die direkte Konfrontation zwischen Objekt näher und das verdeckte Objekt wei- dem Blick der Figuren und dem der Kame- ter von unserer Blickposition entfernt ist. ra ist, wie vor allem die psychoanalytische Bekannte Größen: Basierend auf sei- Filmtheorie immer wieder betont hat, im nen Erfahrungen und erlerntem Wissen

106 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀51. 107 Zit.฀in฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀30. 108 Ibid.,฀52. 109 Ibid. 110 Vgl.฀Bordwell, Narration,฀113–115;฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀52–53. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 63

sind dem Zuschauer die ungefähren Grö- Die technischen Einschränkungen fo- ßen bekannter Objekte vertraut. Aus Ver- tografischer Aufnahmen führen im Zeital- änderungen in den Größenrelationen sol- ter digitaler Bildgenerierung denn auch zu cher Objekte kann der Zuschauer Schlüsse einem interessanten Phänomen: Um foto- über die relative Nähe oder Entfernung ei- realistisch glaubwürdige Animationen zu nes Gegenstandes oder Lebewesens ziehen: erstellen, müssen computergenerierte Ele- Steht ein Mann neben einer viel zu großen mente zusätzlich immer mit entsprechen- Spinne, kann dies heißen, dass wir es mit den Unschärfen versehen werden, da der einer mutierten Art der Spezies zu tun ha- Rechner die Tiefenebenen eines Bildes und ben. Benutzt der Mann aber etwas, das aus- Umrisse eines generierten Objekts für ge- sieht wie eine überdimensionierte Haarna- wöhnlich immer genau gleich scharf wie- del, um die Spinne zu bekämpfen, dürfen dergibt. wir davon ausgehen, dass es sich „ledig- Licht und Schatten: Seit Anbeginn ha- lich“ um eine gewöhnliche Hausspinne ben Hollywoods Filmemacher versucht handelt, der Mann aber geschrumpft ist. das Relief von Objekten und Figuren und Vielleicht ist die Situation aber auch ganz die Tiefe des Raumes durch eine entspre- harmlos, dann wenn uns eine Kette ande- chende Lichtsetzung zu betonen: Gestaf- rer Referenzobjekte darauf hinweist, dass felte Lichtintensitäten können das Bild in die Spinne und der Mann tatsächlich gar dunklere Hintergrund und hellere Vorder- nicht nebeneinander, sondern in einiger grundebenen gliedern. Glanzpunkte und Entfernung฀hintereinander฀stehen. Schatten heben die Voluminosität von Texturen, Farben und atmosphärische Körpern hervor. Schatten, die nicht auf Perspektive: Je distinguierter die Oberflä- das Objekt selbst, sondern auf andere Ge- che, Form, Farbe oder Masse eines Objekts genstände in der Umgebung fallen, liefern erscheint, desto näher befindet sich ein subtile aber wichtige Hinweise auf die rela- Objekt; je diffuser solche Merkmale auftre- tive Position und bilden, wie Animatoren ten, desto weiter ist es entfernt. Ähnlich und Trickspezialisten wissen, oft erst den kann sich der Film solche Prinzipien zu- entscheidenden Cue, der ein künstlich nutze machen, indem er die Tiefenschärfe eingefügtes Objekt überzeugend im dreidi- und den Fokus einer Einstellung manipu- mensionalen Raum des vorgegebenen Mi- liert. Grundsätzlich steht es dem Filmema- lieus platziert. cher dabei frei, welche Ebene des Raumes Bewegung von Objekten und Bewe- scharf und welche unscharf gehalten wer- gung der Kamera: Anders als die Malerei den soll oder den Fokus auch innerhalb ei- und Fotografie ist Film dynamisch: ner Einstellung dynamisch zu verändern When a figure moves and creates a conti- (Rack Focus), um ein zuvor zweitrangiges nuous stream of overlapping planes and Objekt ins Zentrum des Interesses zu rü- receding shapes, when the camera glides cken. Insbesondere in Nahaufnahmen mit through or across space – under these cir- hohen Brennweiten (Teleobjektiv) und cumstances it becomes very difficult to großen Blenden aber, wird lediglich ein see the screen as a flat surface.111 schmaler Ausschnitt des Bildraums scharf gehalten werden können, während alle Wie kraftvoll und wichtig die Auswirkun- anderen Objekte und das übrige Umfeld gen dieser scheinbar so selbstverständli- zu einer diffusen Hintergrundfläche ver- chen Komponenten sind, wird nicht zu- schwimmen฀(siehe฀z.B.฀Abbildung฀15.3–7). letzt durch das „Virtual Camera Move-

111 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀52. 64 1 ฀sthetik

ment“-Verfahren und den „Dead-Time“- ren Konstellationen produzieren eine Effekt deutlich: Während ein herkömmli- Mehrzahl verschiedener Fluchtpunkte. ches Standbild immer flach und eben ge- Darüber hinaus gibt es, wie Bordwell be- nau so wirkt, wie es im Film auch meis- tont, insbesondere in Halbnah- und Nah- tens eingesetzt wird – als filmische Versi- aufnahmen, die das Gros der Einstellun- on eines Fotos –, besteht die Faszination gen eines Hollywoodfilms ausmachen, des „Dead-Time“-Effekts u.a. darin, dass häufig überhaupt keine kubischen Objek- der räumliche Eindruck vollständig erhal- te und parallelen Linien, die in der Tiefe ten bleibt. konvergieren (siehe z.B. Abbildung 15.6). Der von der psychosemiotischen Ap- Vielmehr verlässt sich der klassische Stil paratus-Theorie so vehement kritisierten hier auf unterschiedliche Kombinationen linearperspektivischen Darstellung, die der all der anderen und primär flächenorien- Film von der Renaissance-Malerei, und tierten Depth Cues, die ihm zur Verfügung mitsamt ihren ideologischen Konnotatio- stehen.112 nen, übernommen haben soll, misst Bord- Last but not least gehört hierzu auch well bei all dem wenig Bedeutung zu. ein System, dass mit der visuellen Gestal- Nicht nur, weil er wie andere Kritiker des tung von Filmen zumindest unmittelbar Paradigmas, die Vorwürfe gegen die Arbi- nichts zu tun zu haben scheint: Bereits trarität, fälschliche Illusionskraft und im- lange vor der Entwicklung analoger oder plizite Ideologie dieses Darstellungssys- digitaler Surroundsound-Systeme liefert tems für unstichhaltig und wenig gerecht- der Filmton eine wichtige Basis für das ci- fertigt hält, sondern, weil linearperspekti- nematische Raumempfinden des Kinozu- visch organisierte Abbildungen, so wie sie schauers. Ursprünglich gingen Holly- von Jean-Louis Baudry, Jean-Louis Comol- woods Ingenieure davon aus, das Mikro- li und vor allem ihren Nachfolgern immer phone möglichst nahe an der Kamera zu wieder charakterisiert worden sind, im montieren seien, um eine glaubwürdige klassischen Kino tatsächlich nur in relativ Darstellung akustischer Räumlichkeit zu geringem Maß zu finden sind. gewährleisten. Bald stellte sich jedoch he- Wie jeder fotografische Apparat basiert raus, dass sich die daraus resultierenden auch die Filmkamera sehr wohl auf der abrupten akustischen Variationen bei Bündelung und zentralen Projektion von Schnitten zwischen Totalen und Nahauf- Lichtstrahlen. Dennoch bleibt sie damit nahmen eher kontraproduktiv auf den keineswegs der von Leon Batista Alberti Eindruck eines kontinuierlichen Raumge- anfangs des 15. Jahrhunderts entwickelten füges auswirkten. Filmton wird daher, zentralperspektivischen Darstellung mit wenn überhaupt (in erster Linie Dialoge), ihrem singulären Fluchtpunkt verhaftet, bis heute möglichst nahe am Objekt aufge- in der sich, wie es heißt, die historische zeichnet, unabhängig davon, wieweit die Entstehung eines idealistischen, bürger- Kamera bei der entsprechenden Aufnah- lich autonomen Subjektempfindens ma- me von dieser Tonquelle entfernt ist. Die nifestiert. Zentralperspektivische Abbil- gewünschten tonperspektivischen Mani- dungen sind lediglich eine Variante linear- pulationen (Hall, Lautstärke etc.) werden perspektivischer Darstellungsformen, die später in der Postproduktion vorgenom- im Film nur dann entsteht, wenn eine der men: Laute und klare Klänge für den akus- Seiten eines kubisches Objekts parallel zur tischen Vordergrund, leisere oder diffuse Fläche des Bildträgers verläuft. Alle ande- Töne für den Hintergrund.

112 Vgl.฀Bordwell, Narration,฀104–110;฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀53. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 65

Abb.฀13.1–2฀฀฀Wo฀ist฀das฀Gegengift?฀INDIANA฀JONES฀AND฀THE฀TEMPLE฀OF฀DOOM฀(Lucasfilm/Paramount, 1984).

Dass Filmton dabei ebenso narrational fakt von asiatischen Mafiosi vergiftet wird. agiert wie ein Kameraschwenk oder der Das Gegengift befindet sich in einem klei- Schnitt auf eine Nahaufnahme, liegt auf nen, bläulichen Glasflakon in den Händen der Hand:113 Auf der einen Seite kann Ton der Gangster. Nachdem es Indy gelingt, ei- Raum weit über das in der Einstellung un- nen der Handlanger mit einem brennen- mittelbar Sichtbare ausdehnen – atmo- den Fleischspieß auszuschalten, bricht im sphärische Geräusche wie Stadt- oder Na- Club Obi-Wan das Chaos aus: Der Flakon turklänge, deren Quellen im Bild niemals fällt zu Boden und wird von den Füßen der zu sehen sind. Auf der anderen Seite liefert panischen Gäste kreuz und quer durch eine authentische Wiedergabe aller sicht- den Raum gekickt, immer kurz bevor Indy baren und potenziell hörbaren Quellen ei- das Fläschchen zu fassen bekommt; die nes Filmbildes oft viel zu viele Informatio- Band spielt weiter; die Chorus-Tänzerin- nen. Während, wie Tomlinson Holman er- nen treten auf; Leute schreien; Glas zer- klärt, unterschiedliche Faktoren (insbe- bricht; Indy wird im Kampfgetümmel auf sondere die Fähigkeit, mit zwei Ohren einen Tablettwagen gelegt und ins Orches- räumlich zu hören), die zusammen das er- ter geschleudert. In all dem Lärm und Ge- geben, was Psychoakustiker als den „Cock- töse können wir das Klimpern des Flakons tail-Party-Effekt“ bezeichnen, es uns erlau- aber immer laut und deutlich hören. ben, uns auch in einer lauten Umgebung mit einem Wirrwarr von Stimmen, Geräu- 1.2.3.2 Continuity Editing schen und Musik mit einem Partner zu un- Film besteht nicht nur aus einzelnen Bild- terhalten, liefert eine objektive Mikro- räumen, Schnitt und Montage erlauben es phonaufnahme unter denselben Bedin- dem Medium, einen ausgedehnten Raum gungen üblicherweise ein Ergebnis, bei zu konstruieren: Crosscutting ermöglicht dem das Gespräch tatsächlich kaum mehr es zwischen unterschiedlichen Raumab- zu verstehen ist.114 Film kann nicht nur, schnitten hin und her zu wechseln und sondern ist somit bis zu einem gewissen immer wieder neue Schauplätze in die Grad immer auch gezwungen, die narrativ Handlung einzuführen. Der analytische relevanten Tonelemente einer Sequenz für Schnitt „erforscht“ diese Segmente weiter, sein Publikum zu selektieren. soweit es die Erzählung erfordert. Nur sel- INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF ten erhält Raum dabei ein eigenes Ge- DOOM beginnt mit einer Szene, in der Indy wicht: Wie Zeitlichkeit, so Bordwell, bei einem Deal um ein historisches Arte- macht die filmische Ökonomie des klassi-

113 Vgl.฀Bordwell, Narration,฀118–119;฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀53–54. 114 Tomlinson฀Holman, Sound฀For฀Film฀And฀Television (Boston,฀London:฀Focal฀Press,฀1997),฀40–41. 66 1 ฀sthetik

schen Kinos Raum zu einem sekundären ze: Auch wenn in der Praxis zahlreiche Container für den narrativen Verlauf der weitere Faktoren wie Establishing und Geschichte. Selbst in der klassischen Stu- Reestablishing Shots, der allgemeine narra- dioära und vor dem Aufkommen frag- tive Kontext und die Einheitlichkeit und mentarischerer Montagestile, nimmt die Kontinuität der Ausstattung den Decodie- räumliche Exposition einer Szene nach rungsprozess mit beeinflussen, weist die Bordwell typischerweise den geringsten imaginäre Sichtlinie einer Figur doch im- Teil ihres Aufbaus ein – „... often less than mer bereits auf die intentionale Hinwen- twenty seconds seldom more than thirty. dung und die positionale Beziehung zwi- By this point the characters have taken schen dem Objekt und seinem diegeti- over the narration.“115 schen Beobachter hin; auch dann, wenn Selbstverständlich schließen Raumbil- die „Objekteinstellung“ die eine zweite Fi- dung und das Vorantreiben der Geschich- gur oder beliebigen Gegenstand beinhal- te einander nicht aus: Dialoge, bei denen ten kann, wie bei den meisten Eyeline- sich Figuren flott durch ein Gebäude be- Match-Cuts aus einer sekundären Perspek- wegen, erhöhen nicht nur die visuelle Dy- tive und nicht wie beim Sonderfall einer namik der Präsentation, sondern erlauben Point-of-View-Einstellung aus der des Be- es auch, Raum unauffällig zu etablieren, obachters erfolgt. Eine kurze Sequenz aus während der Schwerpunkt des Interesses THERE’S SOMETHING ABOUT MARY (1998) wie üblich auf dem Austausch der Figuren kann die Prinzipien verdeutlichen. liegt. Abbildung 14.1 zeigt Mary (Cameron Wie aber wird es möglich, den für das Diaz), wie sie Ted (Ben Stiller) bittet, Puffy, klassische Kino so wichtigen Eindruck ei- den Hund ihrer Mitbewohnerin Magda nes konsistenten filmischen Raumgefüges (Lin Shaye, links) aus dem Bad zu lassen. überhaupt erst zu generieren? Glaubt man Marys Blick und Kopfhaltung weisen den überlieferten Resultaten von Lev Ku- schräg nach rechts. Teds Augen sind in der leshovs legendären Filmexperimenten aus folgenden Reaktionsaufnahme (Abb. 14.2) den frühen Zwanzigerjahren, tendieren nach links gerichtet. Den Hinweisen die- wir grundsätzlich dazu, nicht nur assozia- ses doppelten Eyeline-Match Cuts zufolge tive und logische Verbindungen, sondern sollte sich Ted somit in einiger Entfernung auch einen unmittelbar räumlichen Zu- rechts von Mary befinden. Der Gang zum sammenhang zwischen aneinandermon- Bad hinter Ted verläuft rechtwinklig zur tierten Einstellungen anzunehmen: Selbst Rückwand des Wohnzimmers mit den bei- ohne Establishing Shot, der die räumlichen den bogenförmigen Fenstern. und positionalen Beziehungen zwischen Durch einen Match-on-Action Cut Objekten klarlegt, indem er sie gemeinsam über Teds Drehung (Abb. 14.3–14.4) wer- in einer umfassenden Umgebung abbildet, den wir in den Gang geführt. Die Kamera scheint der bloße Blick einer Figur off- ist irgendwo unten an der linken Seiten- screen, gefolgt von einer Einstellung mit ei- wand positioniert. Das im Hintergrund nem Teller Suppe, bereits Anlass genug, sichtbare Fenster steht dementsprechend um den Gesichtsausdruck des Schauspie- nun fast parallel zur Bildebene. Mit einem lers als hungrig und als direkte Reaktion leichten Schwenk verfolgt die Einstellung auf ein räumlich angegliedertes Objekt zu Teds Pfad weiter (Abb. 14.5). interpretieren. Eyeline-Match Cutting Im Kino können wir bereits an dieser macht sich diesen Effekt bis heute zunut- Stelle hören, wie etwas offenbar immer

115 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀63. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 67

Abb.฀14.1–10฀฀฀Continuity฀Editing: THERE’s฀SOMETHING ABOUT MARY (Fox,฀1998). 68 1 ฀sthetik

wieder versucht, die Tür des Badezimmers te enorm gesteigert: Mit einem gewaltigen einzurennen. Wirklich bedrohlich wird Satz springt Puffy Ted an die Kehle und die Situation aber erst, wenn die Farrelly- reißt ihn in einem weiteren Match-on- Brüder auf einen subjektiven Point-of-View Action und Frame Cut – Puffy verlässt die Shot schneiden (Abb. 14.6), der ganz in Einstellung am oberen Rand (Abb. 14.13) Hitchcockscher Manier langsam auf die und taucht in der nächsten (Abb. immer wieder dumpf vibrierende Tür zu 14.14/15) vom unteren Rand her wieder fährt. Auch Ted wird allmählich etwas auf – rücklings zu Boden. mulmig zumute, wie die Rückkehr zur al- Einstellung 14.16/17 bringt uns zu- ten Kameraposition verdeutlicht. (Abb. rück ins Wohnzimmer. In Übereinstim- 14.7). mung mit den Daten aus 14.1 und 14.2 Einstellung 14.8 setzt die frontale Dol- „betritt“ Ted die Szene von rechts nach lyfahrt aus 14.6 fort, diesmal ist der Schuss links und wird quer über den Fußboden jedoch als objektive Perspektivansicht co- geschleudert. In der oberen Bildhälfte diert. (Bestünde diese Flexibilität nicht, sind bereits die Beine von Mary und Mag- müssten wir davon ausgehen, dass Ted in da zu erkennen, die perfekt zur Position sein eigenes Blickfeld spaziert.) An der Tür der beiden in der darauffolgenden Halb- angekommen erkundigt sich Ted etwas totalen (Abb. 14.18) passen. Entsetzt star- verunsichert, was für eine Art Hund denn ren sie nach unten links. Genau dahin, Puffy sei. Kopf, Blick und Ohr weisen zu- wo sich Ted, wie uns der Ton verrät, noch rück in Richtung Mary und Magda, die immer aus Puffys Fängen zu befreien ver- ihm aus dem Off zu verstehen geben, dass sucht. es sich um eine harmlose Terriergattung Blicke von Figuren liefern wichtige handelt: „Like ah... Benji.“ Noch nicht Cues, um Einstellungen miteinander zu ganz überzeugt öffnet Ted die Tür und ris- verbinden, aber auch in einem zweiten Be- kiert einen vorsichtigen Blick. Die Augen reich klassischer Raumkonstruktion kommt weisen nach unten. Ein weiterer Point-of- ihnen eine Funktion von entscheidender View Shot zeigt uns Puffy (Abb. 14.11) aus Bedeutung zu: Den Richtlinien der so ge- Teds erhöhter Perspektive. Es gibt keinen nannten 180°-Regel folgend, übernehmen Establishing Shot, dennoch sind die räum- Filmemacher die imaginäre Sichtlinie zwi- lichen Relationen klar. (Ob es sich beim schen Charakteren oder Charakteren und weißen Objekt am rechten Bildrand um Objekten üblicherweise, um das zu be- die schon ganz geöffnete Tür und damit ei- stimmen, was im Fachjargon wahlweise nen Continuity-Fehler respektive Cheat als die Line of Action, Center Line oder Axis Cut handelt, ist mit Gewissheit nicht zu of Action einer zu filmenden Sequenz oder sagen, selbst wenn, dürfte dies für die Szene bezeichnet wird. meisten Zuschauer aber unbemerkt blei- Abbildung 15.1 zeigt den schemati- ben.) schen Aufbau eines Shot/Reverse-Shot- Spürbar erleichtert neigt sich Ted nach Musters (SRS), wie es häufig für Dialogse- vorne, um näher an Puffys implizite Au- quenzen zwischen zwei oder mehreren Fi- genhöhe zu gelangen (Abb. 14.12): guren, aber auch verschiedenste andere „Hey...Hey... Are you the little guy making Situationen eingesetzt wird. „Lediglich“ all that big noise?“ Was Ted jedoch nicht 30% bis 40% aller Einstellungen eines weiß, ist, dass Puffy mit Amphetamin ge- klassischen Hollywood-Films nach 1930 füttert worden ist und daher äußerst unbe- sind laut einer Statistik von Barry Salt rechenbar auf Fremde reagiert. Vor allem Shot/Reverse-Shot-Aufnahmen, dennoch hat die „überschüssige Energie“ seine Kräf- können nahezu alle Prinzipien der 180°- 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 69

Abb.฀14.11–18฀฀฀Continuity฀Editing: THERE’s฀SOMETHING ABOUT MARY (Fox,฀1998).

Regel anhand dieses typischen Beispiels Continuity Editing wird die räumlichen 116 erläutert werden. Relationen einer Sequenz daher in der Re- Groß- und Detailaufnahmen tendie- gel zunächst in einem Establishing Shot ren grundsätzlich dazu, die abgebildeten klarlegen (Kameraposition B), bevor es ein Objekte aus dem Kontext ihrer räumli- möglicherweise immer engere Ausschnitte chen Umgebung zu lösen. Klassisches alternierendes Shot/Reverse-Shot-Muster

116 Barry Salt, Film Style & Technology: History & Analysis, 2nd expanded ed. (1983; London: Starword, 1992),฀236–239. 70 1 ฀sthetik

wird die räumliche Orientierung des Zu- schauers dagegen behindern: Zum einen konfrontiert eine Einstellung von der an- deren Seite der Achse den Zuschauer mit einem neuen Dekor, das vom Hintergrund des Establishing Shots und den übrigen Einstellungen abweicht. Vor allem aber re- sultiert aus der Überschreitung der Achse ein Bild, das fälschlicherweise als seiten- verkehrte Aufnahme des Schauspielers in- terpretiert werden könnte. Abb.฀15.1฀฀฀Shot/Reverse-Shot-Aufbau Folgt einer Aufnahme von Charakter n durch Kamera A nicht wie üblich ein ent- (Kamerapositionen A und C) oder irgend sprechender Gegenschuss von der selben eine andere Form von Schnittfolgen be- Seite der 180°-Achse (Position C), sondern ginnt. Unter Umständen erfolgt der Estab- beispielsweise eine Einstellung von der Ka- lishing Shot auch verzögert. Permanente meraposition X, scheint der Gesprächs- Verweigerungen von orientierenden Tota- partner m auf der Leinwand nicht mehr len, wie sie zum Beispiel in den Filmen von links nach rechts und damit in die von Robert Bresson oder Carl Theodor Richtung seines Gegenübers zu blicken, Dreyers LA PASSION DE JEANNE D’ARC (1928) sondern von rechts nach links und damit in zu finden sind, sind für das klassische Kino dieselbe Richtung (Abb. 15.6–7). In der ab- jedoch nicht akzeptabel. Im Gegenteil gebildeten Sequenz aus OUT OF SIGHT wird der klassische Filmemacher den Zu- (1998) scheint Steven Soderbergh diesen schauer üblicherweise durch einen Reest- Fehler für einen kurzen Augenblick in ablishing Shot neu orientieren, wenn sich Kauf zu nehmen. Betrachten wir die Szene die räumliche Ausgangslage der Szene länger, stellt sich jedoch heraus, dass die maßgeblich verändert hat oder das Publi- Einstellung, bei der Karen Sisco (Jennifer kum aus anderen Gründen die Übersicht Lopez) plötzlich auf derselben Seite wie in der Sequenz zu verlieren droht. (Umge- Jack Foley (George Clooney) zu sitzen kehrt kann Desorientierung natürlich scheint, gar nicht zum selben Raum ge- auch im Rahmen des klassischen Paradig- hört. Soderberg hat sich von DON’T LOOK mas eingesetzt werden, um bestimmte Ef- NOW inspirieren lassen und konfrontiert fekte zu erzielen.) uns in Wirklichkeit mit einem riskanten Sobald der Blick eines Charakters, oder Flashforward: Einstellungen 15.4–5 und in mobilen Situationen die primäre Bewe- 15.7 gehören zu der Szene, in der Jack Ka- gungsrichtung einer Sequenz, die Line of ren in der Hotelbar verführt. Einstellung Action einer Szene etabliert hat, eröffnet 15.6 gehört zur Szene in Karens Zimmer, sich dem Filmemacher ein potenzieller Ar- wenn die beiden danach zusammen ins beitsraum von 180°, innerhalb dessen die Bett gehen. Kamera positioniert werden kann, ohne Ähnliche Probleme wie bei Dialogsze- die direktionale Ausrichtung des Filmbil- nen ergeben sich auch bei mobilen Se- des auf der Leinwand zu verletzen (im Dia- quenzen: Folgt die Kamera dem Bewe- gram markiert durch den gestrichelten gungsvektor einer Figur oder zum Beispiel Halbkreis.) Jeder unmittelbare Schnitt- dem eines fahrenden Autos zunächst von wechsel auf eine Einstellung von der ge- der linken, in der darauffolgenden Einstel- genüberliegenden Seite der 180°-Achse lung dann aber von der von ihm aus gese- 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 71

Abb.฀15.2–7฀฀฀Obere฀Reihe:฀Over-the-Shoulder฀Shots;฀mittlere฀Reihe:฀räumlich฀korrekte฀Angular-SRS- Kombination;฀untere฀Reihe:฀(„simulierter“)฀Achsensprung:฀Die฀Figuren฀blicken฀einander฀nicht฀an, sondern฀in฀dieselbe฀Richtung. OUT฀OF SIGHT (Jersey/Universal,฀1998). hen rechten Seite, wird für den Zuschauer schenzeitlich übersprungen wird. Primär unklar, ob sich lediglich die Position des deshalb, weil dem Filmemacher in solchen Betrachters verändert oder das Objekt zwi- Situationen nicht nur eine, sondern zwei schen den Schnitten kehrt gemacht hat verschiedene Lines of Action zur Verfü- und sich nun in die andere Richtung be- gung stehen: zum einen die „sichtbare“, wegt. Besser ist es also, den Zuschauer oft aber auch nur durch die implizite An- grundsätzlich immer auf derselben Seite wesenheit eines Fahrers angedeutete des abgebildeten Geschehens zu halten.117 Sichtlinie zwischen den Insassen, zum an- Bei Verfolgungsjagden oder Dialogen deren die Achse des Bewegungsvektors:118 zwischen nebeneinander platzierten In- In Abbildung 15.8 aus TWISTER fährt der sassen eines bewegten Fahrzeugs kommt Wagen mit Jo und Bill von rechts nach es dennoch häufig zu Einstellungswech- links, im Gegenschuss (Abb. 15.9) aber seln, bei denen die Bewegungsachse zwi- von links nach rechts.

117 Vgl. Bordwell, Staiger, Thompson, Classical Hollywood, 56–57; David Bordwell, Kristin Thomp- son, Film฀Art:฀An฀Introduction,฀5th฀ed.฀(1979;฀New฀York฀et฀al.:฀McGraw฀Hill,฀1997),฀284–298. 118 Vgl.฀Katz, Shot฀By฀Shot,฀139–141. 72 1 ฀sthetik

Abb.฀15.8–9฀฀฀In฀15.8฀fährt฀der฀Wagen฀von฀rechts฀nach฀links;฀in฀15.9฀von฀links฀nach฀rechts.฀Die฀Bewe- gungsachse฀wird฀temporär฀zugunsten฀der฀Sichtlinienachse฀übersprungen. TWISTER (Amblin/Warner 1996).

Abb.฀15.10–11฀฀฀Point-of-View฀Shot. BLUE VELVET (De฀Laurentiis/MGM/Warner,฀1986)

Darüber hinaus kann die 180°-Linie of fast moving subjects – for instance, immer überschritten werden, wenn gewis- cars in a chase sequence – unquestioning se Bedingungen erfüllt sind. Hierzu ge- observance of the line of action may actu- hört: a.) wenn eine der Figuren, beispiels- ally stand in the way of more interesting weise Charakter m, seinen Blick in Rich- arrangement of shots. For one thing, con- tung eines dritten Dialogpartners p richtet tinuity editing is not the only way of or- (Pivot Shot), der die Szene neu betritt und ganizing film images: Other methods, damit eine neue Line of Action etabliert, such as kinetic or analytical editing, may b.) Charakter m oder n gefolgt von der Ka- be in conflict with strict continuity and mera die Line of Action sichtbar über- yet provide better solutions to creative schreiten oder c.) die Kamera von selbst in problems. For another, today’s viewers einer durchgehenden Fahrt über die Achse are so visually sophisticated that they are gleitet, d.) die Kamera in einer Einstellung able to ‚read‘ unconventional editing pat- vorübergehend exakt auf der Line of Acti- terns with relative ease.120 on positioniert ist oder e.) die etablierte Räumlich ist der Einstellungswechsel von Line of Action durch einen Zwischen- Abbildung 14.15 auf 14.16 aus THERE’S schnitt auf ein externes Detail des Raumes SOMETHING ABOUT MARY zwar korrekt, unterbrochen wird.119 Unter Umständen sieht man die Sequenz jedoch in ihrer be- entscheidet sich ein Filmemacher aber wegten Form, fällt bei genauer Betrach- auch einfach dafür, gegen die Regeln zu tung auf, dass das Timing zwischen den verstoßen. Wie es der Praktiker Steven Aufnahmen nicht ganz stimmt – zumin- Katz formuliert: dest nicht nach realistischen Maßstäben: Though screen direction would seem to be Zeitlich betrachtet taucht Ted im Wohn- crucial to understanding the relationship zimmer genau in dem Moment auf, als er

119 Vgl. Ibid.,฀134–141. 120 Ibid.,฀139. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 73

nach den Indikatoren der ersten Einstel- THING ABOUT MARY (Abb. 14.6 und 14.11) lung auf dem Boden aufschlagen sollte. oder in der berühmten Einstellung aus Der Weg von der Tür zum Gang wird et- BLUE VELVET (1986), wo Jeffrey (Kyle Mac- was zu schnell zurückgelegt. Da die bei- Lachlan) ein abgeschnittenes Ohr in der den Einstellungen durch einen Schnitt ge- Wiese findet. (Abb. 15.10–11). trennt sind, lässt sich die Unstimmigkeit Basierend auf der oft missverstanden als Ellipse rechtfertigen. Entscheidender „Suture“-Theorie von Jean-Pierre Oudart, in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass weist David Bordwell außerdem auf die die Farrellys sich hier gegen eine strenge narrationsverschleiernde Wirkung des Auslegung des Continuity-Prinzips ent- Shot/Reverse-Shot-Systems hin: Der Schuss schieden haben, um die Pointe und kine- auf das Gesicht oder den Torso einer Figur tische Wirkung der Sequenz nach ihren impliziert immer ein Offscreen-Feld und Vorstellungen effektiver zu gestalten. verweist so auf eine nicht-diegetische Posi- Filmtheoretiker sind mitunter davon tion, aus deren Blickwinkel die Szene auf- ausgegangen, beim Shot/Reverse-Shot Edi- genommen wird. Der Gegenschuss, der ting würden subjektive Blickpositionen meist zumindest einen Teil des in der ers- der Charaktere alterniert. Tatsächlich sind ten Einstellung implizierten aber nicht die meisten dieser Einstellungen jedoch le- sichtbaren Raumes präsentiert, schließt diglich „semi-subjektiv“.121 Gefilmt von diese Lücke jedoch als narrativ Sinn ma- Positionen, wie sie in der Grafik durch die chende Antwort auf den Vorgänger und Kameras A und C markiert werden, erhal- unterstützt so die Konstruktion des filmi- ten wir herkömmliche Angular Shots. Die schen Raumes als autonome und homoge- Figuren sind wie in 15.4–5 nicht gemein- ne Diegesis. Bordwell: sam im Bild zu sehen. Die Gesichter wer- Furthermore, shot/reverse-shot editing den jedoch in beiden Einstellungen in der helps make narration covert by creating typischen Drei-Viertel-Frontalität abgebil- the sense that no important scenographic det und erlauben so ein Optimum an In- space remains unaccounted for. If shot telligibilität. two shows the important material outside Rückt die Kamera so nah an die Line of shot one, there is no spatial point we can Action, dass in der Frontalaufnahme des assign to the narration; the narration is einen gleichzeitig die Schultern oder der always elsewhere, outside this shot but Hinterkopf des Gegenübers sichtbar wer- never visible in the next.122 den, sprechen Cinematographen von Over-the-Shoulder Shots (OTS). Beides, so- Der Begriff Continuity Editing umfasst wohl die Einsicht auf das Gesicht und die aber nicht nur die Konstruktion eines kon- Reaktionen des Partners als auch eine ein- sistenten Raumes, zusammengesetzt aus deutige Orientierung über die Positionen Einzelteilen, die, wie Bordwell betont, der Figuren zueinander, sind gewährleistet letztendlich nie den vollen Umfang des (Abb. 15.2–3). impliziten diegetischen Universums wie- Nur wenn die Kamera exakt auf der dergeben; auch die Präsentation des Gefü- Line of Action steht – Kameraposition D –, ges selbst soll für den Zuschauer als ein gibt die Einstellung den Blickpunkt der möglichst nahtloser und stilistisch unauf- Charaktere wieder; so wie in den beiden fälliger Bilderfluss erscheinen. Warum es Point-of-View Shots aus THERE’S SOME- uns so leicht fällt, Schnitte zu übersehen

121 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀57. 122 Ibid.,฀59;฀Vgl.฀Bordwell, Narration,฀110–113. 74 1 ฀sthetik

(selbst bei abgedrehtem Ton bedarf es eini- collision of these two ideas produces a ger Disziplin, um auf die Montage selbst zu mental jarring – a jump – that is compa- achten und nicht dem präsentierten Ge- ratively disturbing.123 schehen zu folgen) oder gewisse Schnitt- Auch hier ist es im Videoclipzeitalter zwei- prinzipien glatter erscheinen als andere, ist felsohne auch für den klassischen Filme- vom wissenschaftlichen Standpunkt alles macher möglich, derartige Jump Cuts zu andere als geklärt. Dennoch haben Edito- verwenden, wenn es der narrative Kontext ren im Laufe der Jahre auch hier ein paar eines Films erlaubt (siehe dazu beispiels- grobe Faustregeln entwickelt, die mögli- weise das stakkatoartige Einzoomen bei cherweise Hinweise für eine gesichertere den Überwachungssatellitenaufnahmen Erklärung฀des฀Prozesses฀liefern. aus ENEMY OF THE STATE [1998].) Für ge- Der Eindruck filmischer Bewegung ba- wöhnlich werden Hollywoodregisseure siert, wenn man so möchte, auf unserer und Editoren sich jedoch auch heute Unfähigkeit, die kleinen Veränderungen noch an die so genannte 30°-Regel halten von einem Kader zum nächsten als Einzel- und lediglich Einstellungen aneinander bilder wahrzunehmen. Auf Ebene der montieren, die einen signifikant unter- Montage solcher Sequenzen, scheint je- scheidbaren Blickwinkel auf das abgebil- doch genau das umgekehrte Prinzip zu gel- dete Geschehen vermitteln.124 ten: Verändert sich der Inhalt des Filmbil- Neben Unterscheidbarkeit scheinen des von einer Einstellung zur nächsten nur Bewegung auf der Leinwand, unfreiwillige geringfügig – beispielsweise beim Schnitt Augenbewegungen des Zuschauers und vom Bild einer Gruppe zu einer Einstel- narrative Antizipation eine gewisse Rolle lung, die dieselbe Gruppe von einer Blick- zu spielen: Konfrontiert mit einer Situati- position zeigt, die nur wenige Zentimeter on, in der sich eine Figur von ihrem Sitz er- von der ersten entfernt liegt –, nehmen hebt und danach in einer weiteren Einstel- Zuschauer dies üblicherweise als stören- lung eingefangen werden soll, stellt sich den Sprung des Bildflusses auf der Lein- die Frage, ob der Schnitt am besten vor, wand wahr. Wie Walter Murch das Phäno- nach oder während dieser Bewegung an- men beschreibt: zusetzen wäre. Letztendlich liefern alle drei Varianten akzeptable Resultate, Edi- What we do seem to have difficulty ac- tierhandbücher raten jedoch üblicherwei- cepting are the kind of displacements that se dazu, während der Bewegung zu schnei- are neither subtle nor total: Cutting from den oder zumindest dann, wenn die Kör- a full-figure master shot, for instance, to persprache der Figur ihre Intentionen sig- a slightly tighter shot that frames actors nalisiert.125 Edward Dmytryk: from the ankles up. The new shot in this case is different enough to signal that so- Excluding cuts made at the beginnings mething has changed, but not different and ends of sequences and self-contained enough to make us re-evaluate its context: scenes, cuts to reactions or responses, and The displacement of the image is neither cuts involving exchanges of dialog, the motion nor change of context, and the cutter should look for some movement of

123 Walter Murch, In The Blink Of an Eye: A Perspective on Film Editing (Los Angeles: Silman-James Press, 1995),฀6–7. 124 Vgl.฀Bordwell,฀Thompson, Film฀Art,฀303. 125 Vgl. Edward Dmytryk, On Film Editing: An Introduction to the Art of Film Construction (Boston, London: Focal Press, 1984), 27–29; Karel Reisz, Gavin Millar, The Technique of Film Editing, 2 ed. (1968;฀Boston,฀London,฀Focal฀Press,฀1996),฀218–220;฀Katz, Shot฀By฀Shot,฀154–155. 1.2 Damals wie heute: Klassischer Erzählstil im kontemporären Hollywoodkino 75

the actor who holds the viewer’s attention ment. The movement here is mental on and use that movement to trigger the cut the part of the viewer, and self-willed, from one scene to the next. A broad action since he wants to see Nevada’s reaction to will offer the easier cut, but even a slight Jona’s line. If we hit it exactly, we present movement of some part of the player’s Nevada in a two-shot just as the viewer’s body can serve to initiate a cut which will eyes refocus on the scene, showing him be ‚smooth‘ or invisible.126 what he wants to see and, incidentally, rendering our cut ‚invisible‘.“129 Wie Dmytryk basierend auf seinen Erfah- rungen als Editor (in Europa auch Cutter In allen Punkten vermag Dmytryks Hypo- genannt) und Regisseur spekuliert, brin- these sicherlich nicht zu überzeugen. Vor gen Bewegungen auf der Leinwand den allem die erzwungene Verknüpfung von Zuschauer dazu, der Bewegung mit den mentaler Antizipation und physischer Au- Augen zu folgen und in diesem Moment genbewegung im letzten Statement wirkt für kurze Zeit den Fokus zu verlieren. Der suspekt. Viele Schnitte weisen außerdem Editor kann Bewegungen somit als eine keine der von Dmytryk genannten Merk- Art „Ablenkungsmanöver“ für den Blick male auf und scheinen dennoch kaum des Zuschauers auf das Bild als Ganzes auffälliger als andere Bildwechsel. Bildre- nutzen, um den Schnitt unauffällig zu gisseure bei Live-Übertragungen haben platzieren.127 Eine ähnliche Ablenkung kaum die Möglichkeit, auf jene Subtilitä- sieht Dmytryk beim Eyeline-Match und ten zu achten, wie sie von Dmytryk und Point-of-View Cut realisiert: anderen Schnittratgebern proklamiert werden, dennoch scheint die Montage The viewer, as rule, will not accept the grundsätzlich auch hier zu funktionieren. ‚fact‘ of a look until he sees the actor’s eyes Dass Augenbewegungen bei der notwen- focus, or freeze, on something offscreen. At digen Reorientierung in einer neuen Ein- that point he too will look off, following stellung und gewisse narrative und rhyth- the actor’s gaze. By the time his eyes have mische Impulse, wie sie von Dialogen und refocused, the actor’s point-of-view shot Aktionen auf der Leinwand ausgehen, die (POV)฀should฀occupy฀the฀screen.128 Wahrnehmung von Schnitten beeinflus- In Dialogen und anderen Situationen, so sen, scheint trotzdem nicht ganz unplau- Dmytryk, übernimmt der Zuschauer ge- sibel. Experimentelle Untersuchungen, leitet vom narrativen und rhythmischen beispielsweise mit Geräten, die die Augen- Kontext und dem Drang, die Aktionen bewegungen von Probanden elektronisch und Reaktionen der Figuren zu sehen, das aufzeichnen, könnten hier sicherlich in- „Ablenkungsmanöver“ dann quasi selbst. teressante Aufschlüsse liefern. Dmytryk über eine Sequenz aus THE CAR- Noch einmal muss zum Schluss auf die PETBAGGERS (1964): in der filmtheoretischen Tradition häufig vernachlässigten Qualitäten des Filmtons By cutting from (1) to (2) at the point hingewiesen werden: Während es die er- where the viewer looks at Nevada, we are zähl- und produktionstechnische Ökono- able to camouflage our cut without resor- mie des klassischen Stils notwendig ting to the ‚deception‘ of physical move- macht, den visuellen Fluss des Films zu

126 Dmytryk,฀27. 127 Vgl. Ibid.,฀30–31. 128 Ibid.,฀39. 129 Ibid.,฀60. 76 1 ฀sthetik

segmentieren, kann Ton als ein zweites Re- wenn es sich mitunter nur um das Ende ei- ferenzsystem seinen Verlauf kontinuier- nes Satzes oder Wortes handelt. Die raum- lich unter solchen Bildern fortsetzen. Ge- bildende Wirkung einheitlicher und kon- nerell werden Dialoge somit nicht kongru- tinuierlicher Atmosphärengeräusche und ent zu Einstellungswechseln geschnitten, bildverschweißende Wirkung von Musik sondern nach Möglichkeit so, dass der Ton wurden bereits erwähnt.130 die Bilder immer wieder überlappt, auch

1.3 Resümee

Every honest filmmaker strives to make a Trotz der Publicity um die Akteure vor der film which so enthralls the viewer that he li- Kamera bleiben Hollywoodregisseure, ge- ves and breathes only with the beings on the schweige denn die anonymen Massen ih- screen. If that viewer, during his first look at rer Mitarbeiter, dem breiten Publikum bis the film, is critically conscious of the sets, heute weitgehend unbekannt. Während the photography, the acting, the director’s der Kunstfilmbetrieb traditionell inflatio- ‚touches‘, the ‚brilliance‘ of the dialogue or när mit autorbezogenen Begriffen han- the musical score, the good director knows tiert (das neue Meisterwerk von x etc.), he฀has฀come฀up฀short฀of฀perfection.“131 taucht im Bereich des Mainstreamkinos auch heute noch nur eine Handvoll von Edward Dmytryk fasst die Prämissen klas- „Director-Superstars“ auf; und selbst hier sischer Filmgestaltung zusammen: Bei al- werden die kreativen Kräfte hinter der Ka- lem Aufwand zeichnet sich klassischer Stil mera in erster Linie durch ihre Filme re- gerade dadurch aus, dass er versucht, für präsentiert (from the director/producer sein Publikum weitgehend unsichtbar zu of... etc.) und typischerweise auch nur bleiben. Filmtechnik unterwirft sich im dann, wenn sich die Referenzen für die klassischen Paradigma, wie Bordwell Vermarktung des gerade anstehenden Pro- schreibt, vor allem einer Funktion – der jekts auch wirklich eignen. Transmission von Informationen, die dem Selbstverständlich hat der klassische Zuschauer die Konstruktion einer räum- Stil im Laufe der Jahre immer wieder Ver- lich wie zeitlich kohärenten Fabula mit änderungen erfahren: Nach einer kurzen denotativ größtmöglicher Klarheit erlau- Annäherung an das europäische Kunst- ben. Diese Bescheidenheit spiegelt sich und Autorenkino in den späten Sechziger- auch in Hollywoods eigenem Diskurs wie- und Siebzigerjahren, werden wir im Block- der. Bordwell: busterkino heute oft mit sehr dünnen Ge- Consider the very notion of what we now schichten, flachen Figuren und einer mit- call a shot. For decades, Hollywood prac- unter zum Episodischen neigenden Dra- tice called a shot a ‚scene‘, thus confla- maturgie konfrontiert. Wie das Beispiel ei- ting a material stylistic unit with a dra- nes dezidierten Spektakelfilms wie TWIS- maturgical one.132 TER demonstriert, überschreiten diese Transformationen die stilistische Band-

130 Vgl. Ibid.,฀57–60. 131 Ibid.,฀11. 132 Bordwell, Narration,฀162. 1.3 Resümee 77

breite, die das klassische Paradigma seinen kann, den Orientierungssinn seines Publi- Vertretern letztendlich schon immer ge- kums wesentlich stärker zu strapazieren als währt hat, aber nicht. ein Film vor fünfzig Jahren, bleiben solche Auch nach mehr als 80 Jahren seit der Adaptionen und moderaten Transforma- Begründung der amerikanischen Filmin- tionen doch weit von den Idiosynkrasien dustrie sind die Grundpfeiler des klassi- avantgardistischer Filmformen wie dem schen Kinos intakt: Mit konsistenten Attri- russischen Montagekino oder dem surrea- buten gezeichnete Figuren und Helden bil- listischen฀Filmexperiment฀entfernt. den nach wie vor das Zentrum des Holly- Wie Filme aussehen, wird in der Grö- woodfilms, kämpfen für ihre Ziele und fin- ßenordnung Hollywoods aber nicht nur den auch unter dem härtesten Druck einer von stilistischen Anforderungen bestimmt, Deadline Zeit für romantische Zwischen- sondern auch durch die ökonomischen spiele. Nach wie vor setzen Drehbuchauto- Grundlagen, auf denen die Industrie ba- ren Foreshadowing- und Planting-Strate- siert. Unzweideutige Auflösungen und gien ein, um den kausalen Handlungsver- Happy Endings sind offensichtlich nicht lauf ihrer Geschichten plausibel zu ma- nur das Resultat von ästhetischen Traditio- chen und auch die phantastischsten Film- nen und narrativ strukturalen Zwängen, universen als mögliche Welten erscheinen sondern all zu oft das Ergebnis eines öko- zu lassen. Wo realistische Motivation nomischen Kalküls und der Angst eines scheitert, kann sich das Hollywoodkino Systems, den Geschmack des Publikums zu wie eh und je auf die eigens kreierten Gen- verfehlen, sollten auch nur die minimals- rekonventionen und das Rollenimage sei- ten Bedingungen seiner etablierten Kon- ner Stars verlassen. Von temporären Ein- ventionen missachtet werden. Angesichts griffen und sporadischen selbstreflexiven der tiefen Taschen, über die Hollywood Kommentaren abgesehen, hält sich die heute verfügt, wirkt der Konservativismus klassische Narration auch heute noch vor- von Studiobossen und Produzenten dabei wiegend bedeckt und überlässt es den Fi- vielleicht mitunter etwas übertrieben. Den- guren, das Handlungsgeschehen voranzu- noch ist nicht von der Hand zu weisen, treiben. Vorwärtsgerichtete Spannung dass noch Anfang der Achtzigerjahre der und Antizipation, ausgelöst durch klar ge- Misserfolg eines einzigen Films, wie Micha- zeichnete Problemstellungen und Konflik- el Ciminos Western Epos HEAVEN’S GATE te, sind noch immer wichtiger als rück- (1980) – der als einer der größten Flops der wärtsgerichtete Neugierhypothesen und Filmgeschichte und letzter Dolchstoß für radikale Überraschungen, die durch den die ästhetisch liberale Auteur-Periode des Einsatz von Foreshadowing- und Plan- Hollywoodkinos gilt – ein solides Filmstu- ting-Techniken ja gerade vermieden wer- dio wie United Artists an den Rand des den sollen. Ruins führen konnte; zumindest aber so- Trotz des Kultstatus und finanziellen weit, dass sich dessen Muttergesellschaft Erfolgs eines Films wie PULP FICTION blei- der Allfinanzkonzern Transamerica umge- ben Filme mit komplexen temporalen Re- hend฀von฀dem฀Unternehmen฀trennte. arrangements auch heute noch Ausnah- Es gehört zu den Allgemeinplätzen, meerscheinungen; und obwohl Videoclips dass die Weltmachtstellung des amerikani- und Werbespots fragmentarische Montage- schen Films auf seinen Möglichkeiten ba- formen kommerziell hoffähig gemacht ha- siert, Millionen in ein Filmprojekt inves- ben und kontemporäres Action- und Spek- tieren zu können, um dafür Millionen an takelkino mit seinen betont aggressiven der Kinokasse zurückzuerhalten. Die kom- Stilmitteln es sich mittlerweile erlauben plexen und auch innerhalb der Industrie 78 1 ฀sthetik

nicht spannungsfreien Konditionen, de- zu tun haben. Vor allem letzterer Aspekt löst nen dieser Austausch unterliegt, bleiben in Anbetracht eines Projekts wie STAR WARS, den meisten Kinobesuchern dabei jedoch das mit seinen Paraphernalien mittlerweile unbekannt. Gerade diese Bedingungen nahezu ebensoviel Umsatz erzielt wie mit und der Wandel in der ökonomischen den eigentlichen Filmen, oft ein Gefühl der Struktur der führenden Unternehmen der Entrüstung aus, als gäbe es, wie John Ellis amerikanischen Filmindustrie aber sind schreibt, das Gesetz einer Tradition, die eine es, die das Gesicht des alten Hollywoodki- derartige Umkehrung der Verhältnisse ver- nos wohl am stärksten verändert haben. biete.133 Letztendlich stellt aber auch der Kino bildet heute nur mehr einen kontemporäre Blockbuster nur die konse- Schwerpunkt im diversifizierten Tätigkeits- quente Weiterentwicklung und extremste feld von global operierenden Medienkon- Ausformung eines Produkts dar, das seit je- zernen wie AOL Time Warner, Walt Disney, her den Konflikt zwischen ästhetischen und Sony oder Viacom. Die Kosten für die Pro- ökonomischen Anforderungen wie kein an- duktion und weltweite Vermarktung von deres verkörpert. Wie es der Drehbuchautor Filmen haben mittlerweile derartige Ausma- und Regisseur Garson Kanin einmal formu- ße erreicht, dass sie nur mehr durch ein breit liert haben soll: gefächertes Netzwerk von Auswertungsfens- tern finanziert werden können oder wenn The trouble with movies as a business is, möglich durch die An- und Einbindung von that it’s an art and the trouble with mo- Begleitprodukten, die mit der hehren Kunst vies as an art is that it’s a business.134 des Filmemachens an sich nur mehr wenig

133 Vgl. John Ellis, Visible Fictions: Cinema, Television, Video, 2nd revised ed., (1982; London, New York:฀Routledge,฀1997),฀30. 134 Zitiert von Charlton Heston in: American Cinema, Vol. 4: The Studio System, prod. The New York Center฀for฀Visual฀History,฀1995,฀Videokassette. 2 Ökonomie

2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie

Wenn Filmhistoriker vom Ende der klassi- dieser Stelle die fließenden und daher bis- schen Studioära sprechen, ist damit offen- weilen etwas verwirrenden Grenzen der sichtlich nicht der Untergang der alt eta- Segmente, aus denen sich dieser Komplex blierten Majors – Metro-Goldwyn-Mayer, zusammensetzt, verdeutlicht werden. Paramount, Warner Bros., 20th Century Majors tragen diese Bezeichnung auf Fox, RKO, Universal, Columbia und Uni- Grund ihres ökonomischen Volumens ted Artists – gemeint, sondern ein Ende und ihrer dominanten Position im ameri- der Fünfziger bis in die Sechzigerjahre kanischen und internationalen Filmge- schrittweise vollzogener Wandel der Pro- schäft, die sie vor allem auf Grund ihrer duktionspraktiken und -verhältnisse die- elaborierten Distributionsnetzwerke und ser Unternehmen. MGM und United Ar- Vermarktungskraft besitzen. Gemeinsam tists sind heute zwar nur mehr ein Schat- bilden die sieben Großen (Metro-Gold- ten ihres früheren Selbst. Einzig RKO aber wyn-Mayer und United Artists bilden seit muss nach einigen Jahren der Misswirt- 1981 ein Unternehmen, DreamWorks schaft unter dem exzentrischen Unter- wird meistens immer noch zu den Inde- nehmer Howard Hughes 1958 den Bank- pendents gezählt) die Mitglieds- und Trä- rott erklären. Hinzu gestoßen sind dafür gerschaft der Motion Picture Association mittlerweile Disney, das als Animations- of America (MPAA). Der Begriff Indepen- studio zwar bereits seit den Dreißigerjah- dent steht ursprünglich für all jene kleine- ren existiert, üblicherweise aber erst seit ren, kommenden und gehenden Unter- seinem rasanten Aufstieg und Vorstoß in nehmen, die diesem Block nicht unmittel- den breiteren Unterhaltungsmarkt in den bar angehören. Achtzigerjahren als Majorstudio bezeich- Zum besseren Verständnis sollte dabei net wird, und das 1994 von Steven Spiel- zwischen den Sektoren Independent-Pro- berg, David Geffen und Jeffrey Katzenberg duktion und Independent-Distribution gegründete DreamWorks SKG. unterschieden werden: Als unabhängige Alle Majors sind heute Teil von mehr Produktion gelten Filme, solange sie nicht oder weniger auf Medien spezialisierten unmittelbar von einem der Majorstudios Konglomeraten, unter deren Dach sich finanziert worden sind, auch dann, wenn seit Ende der Achtzigerjahre zunehmend sie später durch den Distributionsarm ei- auch ehemalige Independents und so ge- nes Majors als so genannte Pickups oder nannte „Minimajors“ befinden. Wenn bis- Negative Pickups vertrieben werden.1 Eine her der Pauschalbegriff Hollywood be- Independent-Produktion hat daher nicht nutzt wurde, um die stilistischen Grund- unbedingt etwas mit künstlerischen Am- muster des kommerziellen amerikani- bitionen oder wenig Geld zu tun. FIRST schen Films zu beschreiben, müssen an BLOOD (1982), besser bekannt als RAMBO,

1 Gail Resnik, Scott Trost, All You Need to Know About the Movie and TV Business (New York, London: Fireside,฀1996),฀305. 80 2 Ökonomie

Abb.฀16฀฀฀US-Marktanteile฀Studios฀1987–2000฀(Quelle:฀„Stats฀Entertainment“,฀Premiere฀[Okober 1997]:฀46;฀AC฀Nielsen, EDI) ist unter diesem Gesichtspunkt ebenso gen Umschichtungen in der Filmindustrie eine Indie-Produktion wie TERMINATOR 2 und die vor allem in den letzten Jahren for- (1991). Beide wurden von der Firma Carol- cierten Übernahme- und Konvergenzbewe- co produziert, die nach dem Flop von CUT- gungen bringen diese Unterscheidungen THROAT ISLAND (1995) Ende der Neunziger jedoch zunehmend weiter durcheinander: jedoch den Konkurs anmelden musste. Nahezu alle größeren Indie-Distributoren Gewinnt ein Independent insbesonde- sind mittlerweile entweder aus dem Ge- re im Distributionssektor an Einfluß, wird schäft verschwunden oder in eines der gro- er wie New Line oder Miramax mitunter ßen Medienkonglomerate integriert wor- auch als Minimajor bezeichnet. Die ständi- den. Der US-Marktanteil der verbleiben-

Abb.฀17฀฀฀US-Marktanteile฀Studios฀2001฀(Quelle:฀AC฀Nielsen, EDI) 2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie 81

AOL฀Time฀Warner฀(Warner฀Bros.,฀New฀Line)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 38 234 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): 703 Angestellte: 89 300 Chairman-CEO, AOL Time Warner: Richard Parsons Chairman-CEO, President-COO Warner Bros.: Barry Meyer, Alan Horn Chairmen-CEOs New Line: Robert Shaye, Michael Lynne

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •HARRY POTTER (2001) • THE SOPRANOS (1999) •THE LORD OF THE RINGS • THE WEST WING (1999) (2001) • SEX IN THE CITY (1998) •THE MATRIX (1999) • ER (1994) •AUSTIN POWERS (1997) • FRIENDS (1994) •BATMAN (1989) •SUPERMAN (1978)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten Broadcast Internet • Warner Bros. • Atlantic Recording • WB Network • AOL • New Line Corporation • Netscape • Fine Line • Elektra Entertainment Pay-TV (Pay-Cable) • Roadrunner • Castle Rock Group • HBO • Moviefone • Warner Bros. Records • Cinemax Kinos • WEA Inc. Zeitschriften • Warner International Kabel (Basic Cable) • Time Theaters Rechte • CNN • People • Warner/Chappell Mu- • TBS Superstation • Sports Illustrated Filmbibliotheken extern sic, Inc. • TNT, TCM • DC Comics • MGM prä-1986 • Comedy Central (be- • RKO prä-1948 teiligt) Bücher • Cartoon Network • Little, Brown & Co. • Time-Life Books Kabelnetz (MSO) • Time Warner Cable Vergügungsparks • Warner Bros. Movie World (beteiligt)

Tabelle฀4฀฀฀Studioprofile 82 2 Ökonomie

Vivendi฀Universal฀(Universal,฀Focus,฀StudioCanal)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 53 775 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): 3 557 Angestellte: 290 000 Chairman-CEO: Jean-RenéFourtou Chairman-CEO Vivendi Universal Entertainment: Barry Diller President-COO Universal Studios: Ron Meyer Chairman : Stacy Snider

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •HOW THE GRINCH... • JUST SHOOT ME (1997) (2000) •THE MUMMY (1999) •THE NUTTY PROFESSOR (1996) •JURASSIC PARK (1993)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten Kabel (Basic Cable) Internet • Universal Pictures • Universal Records • USA Network • Vizzavi • Focus (ehemals USA, • Interscope • The Sci Fi Channel • Pressplay.com (betei- Good Machine, Oct- • Geffen ligt) ober) • A&M Pay-TV (Pay-Cable) • Mp3.com • StudioCanal • Island Def Jam • Canal+ (Frankreich) • MCA Records Telekommunikation Distribution Ausland • Mercury Records Beteiligungen • Cegetel (beteiligt) • UIP (beteiligt) • Motor Music • EchoStar • Monaco • Motown • The Sundance Chan- • V-fon Distribution Video Aus- • Polydor nel land • Decca • HBO (Asien) Bücher • Cinema International • Deutsche Gramophon • MTV (Asien) • Vivendi Universal Pu- (beteiligt) • Verve • Telecine (Brasilien) blishing • GRP • Showtime (Australien) • Larousse Kinos • Impulse! Records • Viva (Deutschland) • Houghton Mifflin • UCI beteiligt • Star Channel (Japan) Rechte Vergnügungsparks Filmbibliotheken extern • Polygram Music Publi- • Universal Studios • Paramount prä-1948 shing Wasser, Energie, Abfal- lentsorgung • Vivendi Environment (beteiligt) 2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie 83

The฀Walt฀Disney฀Company฀(Disney,฀Touchstone,฀Miramax)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 25 269 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): 4 005 Angestellte: 114 000 Chairman-CEO: Michael Eisner Chairman Walt Disney Motion Pictures Group: Richard Cook President Buena Vista Motion Pictures Group: Nina Ja- cobson Chairmen Miramax: Bob und Harvey Weinstein

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV • MONSTERS INC. (2001) • ALIAS (2001) •PEARL HARBOR (2001) • SCRUBS (2001) •THE SIXTH SENSE (1999) • C.S.I. (2000) •ARMAGEDDON (1998) • FELICITY (1998) •SCREAM (1996) • ELLEN (1994) •TOY STORY (1995) • HOME IMPROVEMENT (1991)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten Broadcast Bücher,Zeitschriften • Walt Disney Pictures • Walt Disney Records • ABC • Disney Publishing • Walt Disney Feature • Hollywood Records • Hyperion Books Animation • Mamooth Records Kabel (Basic Cable) • Touchstone Pictures • The Disney Channel Vergnügungsparks • Miramax Rechte • Toon Disney • Disney Parks and • Dimension • Walt Disney Music • ESPN Resorts Publishing • Soapnet Distribution Ausland • Lifetime Spielzeug & Handel • Buena Vista Radio • E! Networks (beteiligt) • Disney Consumer International • ABC Radio • The History Channel Products • Disney Interactive • Disney Stores 84 2 Ökonomie

News฀Corporation฀(20th฀Century฀Fox)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 13 047 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): 1 578 Angestellte: 30 000 Chairman-CEO: Rupert Murdoch President-COO News Corp.: Peter Chernin Chairmen Fox Filmed Entertainment: Tom Rothman, Jim Gianopulos

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV • X-MEN (2000) • 24 (2001) •TITANIC (1997) • ANGEL (1999) •INDEPENDENCE DAY • ALLY MCBEAL (1997) (1996) • BUFFY THE VAMPIRE SLAYER •ALIEN (1979) (1997) •STAR WARS (1977) • THE X-FILES (1993) (Distribution) • THE SIMPSONS (1989)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Radio Broadcast Zeitungen • 20th Century Fox • Sky Radio • Fox Broadcasting • The New York Post • Fox 2000 • Fox Sports Radio Company • The Times • Fox Searchlight • The Sun • Fox Animation Studios Platten Kabel (Basic Cable), Sa- • The Daily Telegraph • New Regency (betei- • Festival Mushroom tellit ligt) Records • FX Zeitschriften • Fox Net • Gemstar–TVGuide Visual Effects/Animation • Fox News Channel (beteiligt) • Blue Sky • Fox Sports Network • News America • Sky Global Networks • The Weekly Standard (beteiligt) • Star (Asien) Bücher • Foxtel (Australien) • Harper Collins • Premiere World (Deutschland, beteiligt) Technologie • NDS 2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie 85

Viacom฀(Paramount)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 23 223 Operatives Ergebnis: (Mio. US-$): 1 460 Angestellte: 122 770 Chairman-CEO: Sumner Redstone Chairman Viacom Entertainment: Jonathan Dolgen Chairman-CEO Paramount Motion Picture Group: Sherry Lansing

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •LARA CROFT (2001) • CHARMED (1998) •MISSION IMPOSSIBLE • FRASIER (1993) (1996) • MELROSE PLACE (1992) • (1994) • BEVERLY HILLS 90210 •INDIANA JONES (1981) (1990) •STAR TREK (1979) • STAR TREK (1987)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution TV Broadcast Video-Verleih • Paramount Pictures • MTV • CBS • Blockbuster Video • Paramount Classics • VH1 • UPN Bücher • MTV Films • BET JAZZ Pay-TV (Pay Cable) • Simon & Shuster Distribution Ausland • The Jazz Channel • Showtime • Scribner • UIP (beteiligt) • Country Music Televi- • The Movie Channel • Pocket Books Distribution Video Aus- sion • Flix Werbung land Radio • The Sundance Chan- • Viacom Outdoor • Cinema International • Infinity nel (beteiligt) Vergnügungsparks BV (beteiligt) Rechte Kabel (Basic Cable) • Paramount Parks Kinos • Famous Music Publi- • Nickelodeon • UCI (beteiligt) shing • Nick At Nite • Famous Players • TV Land • National Amuse- • TNN ments • Comedy Central (be- teiligt) Produktion • Spelling Entertain- ment) 86 2 Ökonomie

Sony฀Corp.฀(Columbia฀Tristar)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): 58 518 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): 1 803 Angestellte: 181 800 Chairman-CEO: Nobuyuki Idei Chairman-CEO Sony Corporation of America: Howard Stringer Chairman-CEO: Sony Pictures Entertainment: John Cal- ley Chairman Columbia Pictures: Amy Pascal

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •SPIDER-MAN (2002) • DAWSON’S CREEK (1998) • XXX (2002) • SEINFELD (1990) •CHARLIE’S ANGELS (Distribution) (2000) • MARRIED... WITH CHILDREN •STUART LITTLE (1999) (1987) •GODZILLA (1998) • WHEEL OF FORTUNE •MEN IN BLACK (1997) (1975) •STARSHIP TROOPERS • JEOPARDY (1964) (1997)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten Kabel (Basic Cable), Sa- Computerspiele • Columbia • Sony Music tellit • Playstation • Tristar • Columbia Records • Game Show Network • Psygnosis Limited • Sony Classics • Epic Records • Screen Gems • Legacy Recordings Beteiligungen Internet • Mandalay (beteiligt) • Harmony Records • E! (Latein Amerika) • Pressplay.com (betei- • Phoenix (beteiligt) • Soho Square • HBO (Asien, Brasilien, ligt) • Revolution (beteiligt) • Dance Pool Polen) • Shotput Records • Cinemax (Asien) Elektronik Visual Effects • Channel V (Asien) • Sony Electronics • Sony Pictures Image- Rechte • Viva (Deutschland) works • ATV Music Publishing Versicherung • Sony Insurance

Finanz • Sony Finance 2.1 Makrostruktur der amerikanischen Filmindustrie 87

DreamWorks฀SKG

Umsatz 2000 (Mio. US-$): ca. 1 873 Angestellte: ca. 1 500 Partner: Steven Spielberg, David Geffen, Jeffrey Kat- zenberg

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •SHREK (2001) • SPIN CITY (1996) •GLADIATOR (2000) •SAVING PRIVATE RYAN (1998) •MINORITY REPORT (2002) •DEEP IMPACT (1998) •CHICKEN RUN (2000)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten Computerspiele • DreamWorks SKG • Dreamworks Records • Dreamworks Inter- active Visual Effects • Pacific Data Images 88 2 Ökonomie

Tracinda฀Corp.฀(MGM฀/฀United฀Artists)

Umsatz 2001 (Mio. US-$): ca. 5 389 Operatives Ergebnis 2001 (Mio. US-$): ca. 703 Angestellte: ca. 43 050 Chairman-CEO: Kirk Kerkorian CEO-Chairman MGM Inc.: Alex Yemenidjian COO-Vice-Chairman MGM Inc.: Christopher McGurk

Aktuelle฀Blockbuster,฀Franchises฀&฀Serien Kino TV •JAMES BOND (1962) • STARGATE SG-1 (1997) •THE SILENCE OF THE (Distribution) LAMBS (1991) (Distri- bution) •GET SHORTY (1995)

Geschäftsbereiche฀&฀Tochterunternehmen

Film Musik TV anderes Produktion/Distribution Platten & Rechte Kabel (Basic Cable), Sa- Hotels, Casinos • MGM Pictures • MGM Music tellit • MGM Mirage • United Artists Films • MGM Networks (La- Computerspiele tein America) • MGM Interactive • MGM Movie Channel Automobil (Israel) • DaimlerChrysler (be- Beteiligungen teiligt) • Rainbow Media

(Quelle:฀Jahresberichte฀der฀Unternehmen; Hoover’s฀Online) 2.2 Das Package-Unit-System 89

den, „wahren“ Independents in den Jahren in den letzten Jahren spezialisierte Divisio- 1987–2000 liegt jeweils unter 1%. Zusam- nen für den Vertrieb von Arthouse Movies men beträgt ihr Anteil lediglich 6,3 %. Da- und Neulingsfilmen eingerichtet. Klar an ran hat sich auch 2001 kaum etwas verän- kommerziellerer Unterhaltung orientiert dert (siehe Abbildung 16 und Abbildung 17). sind dagegen Tochterunternehmen und Dennoch bedeutet dies nicht unbe- Labels wie Touchstone bei Disney, Tristar dingt das Ende für das, was unter stilisti- bei Columbia oder die Produktionsfirma schen und finanziellen Gesichtspunkten Castle Rock, die ebenso wie New Line als „Low-Budget“ oder „Arthouse Movie“ durch den Turner-Warner Merger 1995 zur bezeichnet werden kann: Die „Semi-Inde- Time Warner Gruppe gestoßen ist. pendents“, wie Miramax bei Disney, Focus Die Studioprofile in Tabelle 4 geben ei- bei Vivendi Universal oder New Line / Fine nen vereinfachten und selektiven Über- Line bei AOL Time Warner, konzentrieren blick über die gegenwärtigen Zugehörig- ihr Geschäft nach wie vor auf kleinere und keitsverhältnisse und Hauptaktivitäten in ambitioniertere Nischen-Produktionen, der amerikanischen Film- und internatio- werden separat geleitet und genießen nalen Medienindustrie. Hauseigene Film- auch weiterhin einen mehr oder weniger bibliotheken, Videoarme und TV-Produk- unabhängigen Status. Sony Pictures (Co- tionsdivisionen, über die jedes der Majors- lumbia Tristar), 20th Century Fox und Pa- tudios verfügt, sind dabei nicht explizit ramount haben mit Sony Classics, Fox Se- aufgeführt. archlight und Paramount Classics gerade

2.2 Das Package-Unit-System

Was Ende der Fünfzigerjahre stirbt, ist also sprechen im Zuge dieses monopolisti- nicht das Studio schlechthin, sondern das schen bzw. oligopolistischen Status der was Janet Staiger als das in sich geschlos- Hollywoodstudios von „vertikaler Integra- sene oder „self-contained studio“ bezeich- tion“, wobei die heutige medienübergrei- net.2 In der klassischen Blütezeit Holly- fende Diversifikation der Majors sowohl woods der Dreißiger- und Vierzigerjahre als „vertikale“ als auch „horizontale“ Inte- sind Produzenten, Regisseure, Schauspie- gration zu beschreiben ist. ler und technisches Personal durch Dauer- Der neue Produktionsmodus, der sich verträge an ein Studio gebunden. Das Stu- Ende der Fünfzigerjahre in Hollywood durch- dio kontrolliert den gesamten Produk- setzt, wird von Historikern in der Regel als tionsprozess vom Ankauf von Filmstoffen, „Package-Unit-System“ bezeichnet und un- über die Dreharbeiten in den zugehörigen terscheidet sich in den Worten Janet Stai- Anlagen und Kulissen, bis hin zur Aus- gers folgendermaßen von der traditionel- strahlung in den hauseigenen Kinos und len฀Organisation฀der฀Filmproduktion: gleicht damit einer bis auf die Beschaf- fung von Rohmaterialien und Maschinen Rather than an individual company con- autonomen und hierarchisch organisier- taining the source of the labor and mate- ten Fabrik mit fixen Lohnangestellten, die rials, the entire industry became the pool nur gegen hohe Summen an die Konkur- for these. A producer organized a film renz ausgeliehen werden. Filmhistoriker project: he or she secured financing and

2 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀330. 90 2 Ökonomie

combined the necessary laborers (whose Agency (WMA); allgemeiner repräsen- roles had previously been defined by stan- tiert durch die Unions (Gewerkschaften) dardized production structure and subdi- ihres jeweiligen Metiers – beispielsweise vision of work categories) and the means die Writers Guild of America (WGA), Di- of production (narrative ‚property‘, the rectors Guild of America (DGA) oder die equipment, and the physical sites of pro- Screen Actors Guild (SAG). duction).3 • Techniker (Kamera, Ton, Licht, Ma- ke-up, Kostüme, Design, Effekte etc.); Das Package-Unit-System hat sich unter ebenfalls geschützt durch die Mitglied- kleineren Modifikationen bis heute erhal- schaft in einer metierspezifischen ten: Auch wenn Studios weiterhin „fami- Union; zusammen bilden diese Unions liäre“ Beziehungen zum ein oder anderen die International Alliance of Theatrical Vertreter im Top-Segment des kreativen Stage Employees (IATSE). Personals unterhalten; Produzenten, Re- • evtl. ausländische Distributoren/Finan- gisseure, Autoren oder Schauspieler mit- ziers. unter Kooperationsverträge auch über • evtl. Außenstehende Investoren: Privat- längere Laufzeiten oder eine bestimmte personen, Unternehmen, spezialisierte Anzahl von Filmen abschließen und sich Banken, etc. und so genannte Completi- Studios mit so genannten First-Look Deals on Bond Insurances, die gegen eine Prä- die Option auf das nächste Projekt eines mienzahlung und das Recht, im Extrem- „Talents“ – wie Schauspieler und kreative fall die gesamte Produktion zu überneh- Akteure im Hollywoodjargon höflich be- men, bei Budgetüberschreitungen die zeichnet werden – oder einer Produktions- notwendige Fertigstellung eines Films firma sichern, stehen sich heute bei der garantieren. Zusammenstellung eines in der Regel ein- zeln verhandelten Filmprojekts mehrere, prinzipiell voneinander unabhängige Par- 2.2.1 Der Produzent teien gegenüber.4 Dazu gehören: Wie die bisherigen Ausführungen bereits • der individuelle Produzent/Produktions- vermuten lassen, gibt es keinen einheitli- firma als Packager und Supervisor. chen Weg, der zur Entstehung und Distri- • das Studio (Financier-Distributor) als Fi- bution eines Films führt. Die Initiative für nanzier und/oder Packager, Filmkäufer, ein Filmprojekt kann grundsätzlich von je- Distributor, Produktionsstätte. dem der unter Punkt 1–4 aufgeführten • evtl. eine zweite, übergeordnete Produk- Teilnehmer ausgehen. Etablierte Schau- tionsfirma (Producer-Financier) bzw. ein spieler und Regisseure haben mitunter ihre Sales Agent als Filmkäufer, Produzent, eigenen Produktionsfirmen (z.B. Mel Gib- und/oder Vermittler von international sons Icon, Sandra Bullocks Fortis, Steven fraktionierten Distributionsverträgen. Spielbergs Amblin oder James Camerons • Autoren, Regisseure und Schauspieler; Lightstorm); die Majorstudios prüfen in ih- individuell vertreten durch so genannte ren Entwicklungsdepartements oft hun- Talent Agenturen wie Creative Artists derte von Projekten in unterschiedlichen Agency (CAA), International Creative Stadien auf ihre Realisierungswürdigkeit Management (ICM) oder William Morris gleichzeitig; Agenten treten seit den Acht-

3 Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀330. 4 Martin Dale, The Movie Game: Film Business in Britain, Europe and America (London, Herndon: Cas- sell,฀1997),฀19,฀30. 2.2 Das Package-Unit-System 91

zigerjahren verstärkt selbst als Packager auf Wenn in der Folge vom Produzenten und selbsternannte Produzenten und Pro- die Rede ist, ist damit die Funktion des in- duktionsfirmen gibt es in Hollywood dividuellen „Dealmakers“ oder der ent- selbstverständlich฀wie฀Sand฀am฀Meer. sprechenden Produktionsfirma gemeint. Eine klare Definition des Aufgabenbe- Diese Funktion besteht in erster Linie da- reichs eines individuellen Produzenten rin, die notwendigen Teile eines Filmpa- gibt es nicht: Er kann im Sinne eines „Deal- kets oder eben Packages zusammenzustel- making Producers“ vornehmlich mit der len. Der Produzent kann dazu von einem Herstellung von Kontakten und Kontrak- Studio, das bereits im Besitz eines Stoffes ten auf oberster Ebene beschäftigt sein ist, beauftragt werden. In der Regel wird er oder in der Tat eine prägende Rolle bei der aber selbst mit einem Projekt an das Studio konkreten Gestaltung und Ausarbeitung herantreten. Dazu braucht er zumindest eines Films übernehmen. Für die tägliche die rechtliche Sicherung eines Skripts, ei- Überwachung einer Produktion ist der so ner Buchvorlage oder eines anderen, belie- genannte Line Producer zuständig. Unter bigen Ausgangsmaterials (üblicherweise ihm agiert der Production Manager, der mit erwirbt der Produzent ein Vorkaufsrecht) den physischeren Aspekten der Organisa- und optimalerweise die Zusicherung eines tion wie der Einstellung des technischen namhaften Schauspielers oder interessier- Personals, der Bestellung von Fahrzeugen ten Regisseurs, die wiederum als ein mögli- und Requisiten etc. betraut ist. Titel wie cher Magnet für weitere Starzusagen fun- Associate, Co- und Executive Producer wer- gieren. den sehr flexibel gehandhabt. Ein so ge- Während es in den Achtzigerjahren nannter Associate Producer ist nach offiziel- noch möglich war, solche Zugeständnisse len Angaben aber eher ein Delegierter des auf einer unverbindlichen Basis zu hand- „Dealmakers“, wogegen es sich bei einem haben, handeln Agenten für ihre Klienten Co-Producer eher um einen gleichberech- heute oft so genannte Pay or Play-Provisio- tigten Investitionspartner des Produzen- nen aus, was heißt, dass der Schauspielers- ten handelt. Der Titel Executive Producer tar für seine Zusage bezahlt wird, auch steht letztendlich jedem zur Verfügung, wenn der entsprechende Film tatsächlich der seine entscheidende Rolle beim Zu- nie entsteht.6 Entgegen kommt diese Rege- standekommen eines Projekts festgehal- lung auch den Studios, die sich über die ten haben möchte; auch wenn es sich da- Vereinbarung solcher vorab fixierten Ent- bei nur um einen Telefonanruf bei einem schädigungssummen gegen langwierige befreundeten Studio-Executive oder Star und kostspielige Rechtsstreite im Falle ei- handelt. Bei Involvierung eines Producer- ner Absage bei der Umgestaltung oder Auf- Financiers, d.h. einer größeren Produk- gabe eines Filmprojekts absichern. tionsgesellschaft, die üblicherweise ähn- Handelt es sich beim Ausgangsmateri- lich wie ein Studio mehrere Projekte zu- al des Produzenten um ein vorab verfass- gleich betreut, scheint häufig der Kopf die- tes Originaldrehbuch, wird dieses auch ses übergeordneten Unternehmens als als Spec Script bezeichnet, deshalb, weil es Executive Producer auf.5 der Autor spekulativ auf dem Markt an-

5 Vgl. Resnik, Trost, 37–44; Paul A. Baumgarten, Donald C. Farber, Mark Fleischer, Producing Finan- cing and Distributing Film: A Comprehensive Legal and Business Guide, 2nd revised ed. (1973; New York:฀Limelight฀Editions,฀1995),฀196–197. 6 Vgl. Dale, 95; Norman H. Garey, „The Entertainment Lawyer“, in The Movie Business Book, ed. Squire,฀199. 92 2 Ökonomie

bietet und es nicht nachträglich im Auf- Offerte, dem so genannten Pitch an das Stu- trag eines Produzenten als ein Writer for dio bereits ist, d.h. je weniger eigene finan- Hire nach dessen Bedürfnissen schreibt.7 zielle Mittel das Studio zur Weiterentwick- Als spekulativ könnte ein derartiges Dreh- lung aufwenden muss, die 1–2 Jahre, mit- buch aber auch deswegen bezeichnet wer- unter aber auch sehr viel längere Zeit in An- den, weil es in aller Regel durch zahlrei- spruch nehmen kann.9 Verliert ein Studio che Überarbeitungen (sog. Rewrites) und im Laufe dieser Entwicklungsphase (Deve- unterschiedliche Hände geht und gegen- lopment) das Interesse respektive läuft die über jenen Elementen des Pakets, die wie Frist seiner Option unverlängert aus, beispielsweise die Involvierung eines kommt es üblicherweise zu einem so ge- Starschauspielers die Vermarktbarkeit ei- nannten Turnaround, bei dem das Studio nes Projekts garantieren, grundsätzlich das Projekt gegen eine Entschädigung der eine eher sekundäre Rolle spielt. Wie es ihm bis dahin entstandenen Aufwendun- der Hollywood-Marketingstratege Ri- gen zur Weitergabe freigibt. Berühmte Bei- chard Lederer formuliert: spiele von Filmen, die von einem Studio derart abgewiesen, dann von einem ande- Ultimately movies are a product, and the ren fertiggestellt wurden und später große product comes in a package that can be Erfolge feierten, sind: HOME ALONE (1990), more important than what it contains.8 PLATOON (1986), DICK TRACY (1990), E.T. (1982), BATMAN oder STAR WARS.10 Der Beschluss eines Studios, seine Mit- 2.2.2 Studiodeals und Negative tel freizusetzen und einen Film zu realisie- Pick-ups ren, wird im Hollywoodjargon als Green- Wenn es ihm gelingt, die Rechte an einem lighting bezeichnet. Auch wenn es der be- Projekt oder zumindest eine Option auf die- reits bestehenden oder eigens für ein Pro- se an ein Majorstudio zu verkaufen, kann jekt gegründeten Produktionsfirma dazu sich der Produzent theoretisch mit einem eigene physische Ressourcen (Soundstages, entsprechenden Entgelt zufrieden geben Musikdepartements, Kulissen, Post-Produc- und das Projekt verlassen. Üblicherweise tion etc.) zur Verfügung stellt, fungiert ein wird er aber einen Vertrag aushandeln, der Studio in erster Linie als Finanzier und spä- u.a. seine Funktion und Entschädigung bei terer Distributor des Films. Nur etwa die der weiteren Betreuung des Projekts, vor al- Hälfte der von den Majorstudios vertriebe- lem aber den Finanzierungsmodus und den nen Filme sind überdies In-house-Produkti- Modus der Beteiligung der involvierten Par- onen, d.h. Filme, die direkt unter dem Ban- teien an der Auswertung des Films festlegt. ner฀eines฀Studios฀produziert฀worden฀sind. Die Konditionen des Produzenten werden Nach John Cones lassen sich fünf ver- dabei grundsätzlich günstiger ausfallen, je schiedene Szenarios unterscheiden, über ausgereifter das Package zum Zeitpunkt der die฀ein฀Filmprojekt฀zustande฀kommt:11

7 Vgl. Lee G. Rosenberg, „The Literary Agent“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 98; Garey, „En- tertainment฀Lawyer“,฀198. 8 Richard Lederer, „Management: New Rules of the Game“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 181. 9 Vgl. Norman H. Garey, „Elements of Feature Financing“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 141–142. 10 Vgl. Stephen M. Kravit, „Business Affairs“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 210; Resnik, Trost,฀39–40,฀228–229,฀232;฀Dale,฀27,฀29. 11 John W. Cones, The Feature Film Distribution Deal: A Critical Analysis of the Single Most Important Film฀Industry฀Agreement,฀(Carbondale:฀Southern฀Illinois฀University฀Press,฀1997),฀29–30. 2.2 Das Package-Unit-System 93

In-house PFD-Agreement Negative Rent-a-System Acquistion Production Pick-up Finanzierungs- Studio- Studio- Bankkredit Dritte Partei Dritte Partei quelle Distributor Distributor Zeitpunkt des Vor der Produk- Vor der Pro- Vor oder Nach der Pro- Nach der Pro- Vertragsab- tion duktion währendder duktion duktion schlusses Produktion Tabelle฀5฀฀฀Realisierungsszenarios฀für฀Hollywoodfilme฀(Quelle:฀Vgl.฀Cones,฀30)

In-house Production / Distribution: Vorverkäufe (Presales) an ausländische Lo- Ein Filmprojekt wird vollständig inner- kaldistributoren oder auch aus eigenen halb des Studios konzipiert und finanziert. Mitteln – und sucht lediglich nach einem Die Idee und Teile des Pakets wurden dem Distributionsnetzwerk, um den Film zu Studio möglicherweise zwar durch einen vermarkten. Da das Studio nur ein gerin- unabhängigen Produzenten geliefert. ges finanzielles Risiko trägt, resultiert ein Bleibt der Produzent dem Projekt verhaf- Rent-a-System-Deal üblicherweise in einer tet, tut er dies aber als Angestellter des Stu- Reduktion der vom Studio veranschlagten dios. Distributionsgebühr um etwa 10% (siehe Production-Financing / Distribution unten). Die neuen STAR WARS-Filme wer- Agreement: Ein unabhängiger Produzent den von 20th Century Fox beispielsweise bietet dem Studio ein mehr oder weniger über einen Rent-a-System-Deal mit Lucas- komplettes Paket zur Produktion und Dis- film vertrieben. Nach Schätzungen betrug tribution an. Die bis dahin entstandenen die Gebühr für EPISODE II lediglich 8–10%. Kosten wurden vom Produzenten selbst Die Einnahmen flossen vollständig an Lu- getragen. Die Produktions- und Vertriebs- casfilm, der Fox daraus nachträglich für kosten für die Realisierung des Projekts Werbung und Kopienherstellung entschä- werden vom Studio direkt übernommen. digte. Negative Pick-up: Wie beim her- Acquisition: Im Gegensatz zu den übri- kömmlichen PFD-Agreement bietet der gen Formen erwirbt der Studio-Distributor Produzent dem Studio ein Paket vor seiner hier die Rechte an einem bereits vollstän- Realisierung an. Das Studio finanziert den dig abgedrehten Film: Der über private Film jedoch nicht direkt, sondern garan- oder anderweitige Mittel finanzierte Film tiert dem Produzenten lediglich den Film ist bereits „in the can“. Akquisitionen sind nach seiner Fertigstellung als bereits ferti- vor allem im Low-Budget-Bereich üblich. ges „Negativ“ zur Distribution abzukau- THE BLAIR WITCH PROJECT wurde 1999 fen. Die Garantie oder Minimum Guarantee beim Sundance-Filmfestival vom Indie- des Distributors kann der Produzent bei ei- Distributor Artisan für rund eine Million ner auf Filmfinanzierung spezialisierten US-$ akquiriert. Bank für einen Produktionskredit einset- Pick-ups und außer Haus produzierte zen. Wird der Film nicht geliefert, ist das Filme sind für die Majors notwendig, da Studio zu keinerlei Zahlung verpflichtet. die Kapazitäten ihrer Distributionsnetz- Wird der Film aber geliefert, muss ihn das werke durch In-house-Produktionen für Studio auch abnehmen. gewöhnlich nicht ausgelastet sind. Ein Rent-a-System oder auch Rent-a-Dis- weiterer Vorteil ist die Verlagerung des fi- tributor: Der Produzent hat sich die Pro- nanziellen Risikos, das durch Budgetüber- duktionskosten seines Projekts bereits schreitungen oder andere Probleme bei vollständig gesichert – zum Beispiel durch der Filmherstellung entstehen kann, auf 94 2 Ökonomie

den Produzenten, der sich dagegen aller- 2.2.3 Unabhängige Filmfinanzierung dings mit einer Completion Bond Insurance absichern kann. Produzenten, denen es nicht gelingt, mit Andere Faktoren sind mitunter nicht einem einmaligen Studiodeal die Finan- ganz koscher: Im Gegensatz zu Indepen- zierung ihres Projekts sicherzustellen oder dent-Produktionen sind die Majors bei of- es wegen der damit verbundenen Risiken fiziellen In-house-Projekten verpflichtet, kreativer Einflussnahme oder drohenden ausschließlich Mitglieder der Unions zu Einbußen bei der finanziellen Auswertung erhöhten Tarifen und gegen eine Gebüh- des Films vorziehen, selbstständig zu ar- renzahlung für Lohnnebenkosten (fringes) beiten, sind darauf angewiesen das Geld einzustellen. Das Budget einer Studiopro- für ihren Film über eine Vielzahl unter- duktion liegt daher mindestens 30% über schiedlicher Quellen aufzubringen. Das dem Betrag, den dieselbe Produktion bei gilt sowohl für Low-Budget-Filmemacher Fertigung durch eine unabhängige Firma und Auteurs wie für Lieferanten und Aspi- beanspruchen würde, die nicht unter ranten im hoch dotierten Blockbusterge- Union-Bedingungen arbeitet. Die wässrige schäft. Ein möglicher Weg für den indivi- Formulierung einer entsprechenden Klau- duellen Produzenten führt dabei über ei- sel – der so genannte Article 20 – in den Ab- nen der etablierten Producer-Financiers kommen der Studios mit der IATSE erlaubt und die ihm zugehörige Foreign Sales-Divi- es den Majors jedoch dieses „Handicap“ zu sion respektive einen reinen Sales Agent.14 unterlaufen: Produktionsfirmen können Producer-Financiers verfügen im Un- relativ einfach auch für den alleinigen terschied zu den Majors und Minimajors Zweck eines bestimmten Filmprojekts ge- nur in seltenen Fällen über ein eigenes gründet werden. Tritt diese Firma nomi- Distributionsnetz und sind daher darauf nell als unabhängiger Produzent auf, kann angewiesen, in- und ausländische Distri- das Studio, obwohl es sich kontrollierende butoren zum Erwerb territorial beschränk- Rechte über das Projekt vorbehalten hat, ter Vertriebsrechte für die bei ihnen entwi- die Bedingungen der Unions umgehen. ckelten Projekte zu gewinnen. Dies inklu- Ähnliche Konstruktionen, die dem Studio diert die Vermittlung an einen Major oder erlauben, eine Produktion im Nachhinein Minimajor, die folglich in einem nach zu übernehmen – ein so genannter Take- obig beschriebenen Mustern durchgeführ- over –, sind auch dann möglich, wenn es ten Pick-up-Deal resultiert, der Weltrech- sich bei der produzierenden Firma nicht te, US-Rechte oder US-Rechte und limitier- um einen mehr oder weniger offensichtli- te Auslandsrechte umfassen kann. chen „Satelliten“ des Studios handelt.12 Neben der Investition eigener Mittel Entscheidend über das Maß der Kontrolle und den unterschiedlichen und bisweilen über ein Filmprojekt ist grundsätzlich der äußerst komplexen Formen direkter Kapi- Grad des getragenen finanziellen Risikos talbeteiligung an einem Filmprojekt (Li- der jeweiligen Partei. Nach Angaben von mited Partnership, Koproduktion, steuer- Martin Dale sind etwa die Hälfte der nomi- begünstigte Investitionen etc.) stellt die nell unabhängig produzierten Major-Käu- Verhandlung regional oder auch medial fe nach obig skizzierten Mustern durchge- (Video, TV) fraktionierter Distributions- führte Schein-Pick-ups.13 rechte (Fractionalisation) eine der wichtigs-

12 Vgl.฀Resnik,฀Trost,฀302,฀305–310;฀Dale,฀30–31. 13 Vgl.฀Dale,฀93. 14 Vgl. Ibid.,฀77–80. 2.2 Das Package-Unit-System 95

ten Ressourcen zur Finanzierung unab- Produzent von ausländischen Lokal-Dis- hängiger Filmproduktionen dar.15 Zu den tributoren, nach Verhandlung eines Promo- renommiertesten US-Anbietern in diesem tion- und Releaseplans, die Zusicherung Sektor gehören neben den selbstdistribuie- einer je nach Territorium variierenden Mi- renden Semi-Independents wie Miramax nimum Guarantee und üblicherweise ei- und New Line zum Beispiel Franchise, Alli- nen entsprechenden Beitrag für Werbe- ance oder die deutsche Intermedia. Die kosten. Mit den gesammelten Vorver- meisten Lieferanten von hoch budgetier- kaufsnachweisen kann der Produzent bei ten Major-Pick-ups ziehen es mittlerweile einer Bank um einen Kredit ansuchen.17 jedoch vor, mit Rückendeckung zu arbei- Banken sind vor allem an der Sicherung ten und haben daher Kooperationsverträ- des US-Vertriebs durch einen der großen ge und Output Deals mit den Majorstudios oder kleineren Studio-Distributoren interes- abgeschlossen. Hierzu gehören Unterneh- siert. Der Abschluss eines solchen Vertrags men wie New Regency bei Fox, Lakeshore wirkt gleichsam als positives Zeichen für bei Paramount, Imagine und Mandalay bei ausländische Lokal-Distributoren. Umge- Universal oder Morgan Creek und das aus- kehrt ist es für große amerikanische Produ- tralische Village Roadshow bei Warner Bros. cer-Financiers, die mit hochwertigen Block- Internationale Distributionsdeals wer- busterproduktionen aufwarten können, oft den das ganze Jahr über abgeschlossen. möglich ihre Budgets über ausländische Wichtige Termine sind aber der neben Verleihabkommen bereits weitgehend abzu- dem offiziellen Festival laufende Film- sichern und damit, wie obig beschrieben, markt von Cannes im Mai, der Los Angeles bei den Majors vorteilhafte Konditionen für Filmmarket im Februar und der Filmmarkt den US-Vertrieb zu erhalten (Rent-a-System). von Mailand (MIFED) im Oktober. Unabhängig produzierte Filme werden Producer-Financiers und Sales Agents somit in den USA in der Regel von einem treten entweder als Produzenten mit eige- der Majors oder den Semi-Independents nen Produkten auf oder arbeiten für Dritte vertrieben, im Ausland von Majors, Se- auf Kommissionsbasis gegen einem Ge- mi-Independents und/oder unterschiedli- bührenzuschlag von 10–25% über dem Be- chen lokalen Distributoren wie bspw. trag der jeweils vermittelten Minimum Constantin, Concorde oder Tobis in Guarantee.16 Rechte können entweder per- Deutschland, Gaumont in Frankreich oder manent verkauft werden, wobei der Käufer Momentum in Großbritannien. zu einem Teilhaber wird oder wie mehr- Paramount, Universal und Dream- heitlich üblich lizenziert, wobei die Rechte Works vertreiben ihre Filme im Ausland nach einer gewissen Zeit an den Verkäufer durch United International Pictures (UIP), zurückgehen, der den Film nach einigen das sich im gemeinsamen Besitz der bei- Jahren dann zu eigenen Gunsten weiter den erstgenannten Studios befindet. Das vermarkten kann. Ziel für den Produzen- Äquivalent dieses Joint Ventures im Vi- ten ist es, mit der Summe der verhandelten deosektor stellt der Distributor Cinema In- Vertriebslizenzen das Produktionsbudget ternational dar. Auch im ausländischen des geplanten Filmprojekts so weit wie Kinobereich arbeiten Paramount und Uni- möglich zu decken. Wie beim Pickup-Deal versal zusammen: Hier ist es die Kette UCI mit einem Major-Distributor erhält der (United Cinema International).

15 Vgl.฀Baumgarten,฀Farber,฀Fleischer,฀145–152. 16 Vgl.฀Dale,฀79. 17 Vgl. Ibid.,฀77–83. 96 2 Ökonomie

2.3 „Hollywood Accounting“: Kino und Nebenmärkte, Geschäftspraktiken und Finanzpolitik der Majorstudios

BOWFINGER: You’re looking at enough kreativen Kräfte der Majorstudios säßen in to get us started, 2184 Dollars. deren Buchhaltungsabteilung, sondern DAVE: But movies cost millions of dollars auch zu durchaus ernsthaften gerichtli- to make. chen Auseinandersetzungen. BOWFINGER: That’s after gross, net, de- Einer der prominentesten Fälle ist die duction, profit, percentage, deferment, Klage des Autors Art Buchwald gegen Para- 10% of the nut. Cash, every movie costs mount, die im Zuge einer Auseinanderset- 2184 Dollars. zung um die Urheberrechte des Films BOWFINGER (1999) COMING TO AMERICA (1988) auch die Legi- timation der traditionellen Buchführung Um Geld einzuspielen, muss ein Film im der Hollywoodmajors in Zweifel stellte. Kino und später in anderen Medien lau- Das Gericht entschied in einigen Punkten fen. Dorthin gelangt er über den Distribu- zu Gunsten Buchwalds, dies jedoch ledig- tor. Diese Schlüsselposition wird von den lich auf der Grundlage seiner Anklage, Majorstudios weltweit dominiert. Wie Re- dass diese Praktiken unredlich, skrupellos née Harmon rät, sollte ein noch unrenom- oder wörtlich „unconscionable“ seien. Pa- mierter Produzent mit wenig Spielraum ramount wurde laut Martin Dale zur Zah- bei der Verhandlung von Gewinnbeteili- lung einer Entschädigung von 900 000 gungen nach Möglichkeit versuchen, be- US-$ an Buchwald verurteilt. Weitere Fol- reits beim Verkauf seines Films an einen gen der Entscheidung sind bis heute nicht Studio-Distributor einen Gewinn zu reali- bekannt. Dasselbe gilt für die Sammelkla- sieren, da der kostspielige Vertrieb und die ge, die die Angehörigen von James Garri- Vermarktung durch einen Major in aller son im Zuge des Oliver Stone-Films JFK Regel sämtliche Einnahmen eines Films (1991) gegen die Majorstudios angestrengt egalisiert.18 haben. (Garrison ist der im Film von Kevin Mitbedingt wird dies aber auch durch Costner dargestellte Anwalt.) Die Klage be- die Art und Weise, in der die Majors den ruht auf dem Umstand, dass der Film trotz Einnahmerücklauf und damit die Nettoer- einer weltweiten Einspielsumme von 205 träge oder so genannten Net Profits eines Mio. US-$ bis heute offiziell keinen Ge- von ihnen finanzierten Films berechnen. winn ausweisen konnte. Ähnliches soll Die umstrittene Definition von Net Profits selbst für einen der weltweit erfolgreich- hat dabei nicht nur zur Etablierung des sten Filme aller Zeiten, FORREST GUMP, gel- Standardwitzes geführt, die eigentlich ten.19 Wie ist das möglich?

18 Vgl. Reneé Harmon, The Beginning Filmmaker’s Business Guide: Financial, Legal, Marketing, and Dis- tribution Basics of Making Movies (New York, Walker and Company, 1994), 74–93 142; Garey, „Ele- ments฀of฀Feature฀Financing“,฀146. 19 Vgl. Dale, 38; Baumgarten, Farber, Fleischer, 64–65; Dekom, 129; Die US-Kontrollbehörde FASB hat im Jahre 2000 einen neuen Richtlinienkatalog zur Buchführung in der Filmindustrie erlassen, der zu Buchungsverlusten in Millionenhöhe bei den Studios führte. Die unten aufgeführten Punkte werden von dieser Umstellung jedoch kaum tangiert. Im Gegensatz zu den im Buchwald- Fall vorgebrachten Beschwerden geht es der FASB vor allem darum, das „Schönschreiben“ der fi- nanziellen Lage eines Filmunternehmens durch übertriebene Aussichten für die Sekundärmärkte u.a. zu unterbinden. Siehe dazu: Harold Vogel, Entertainment Industry Economics: A Guide for Finan- cial฀Analysis,฀5th฀ed.฀(1990;฀Cambridge:฀Cambridge฀University฀Press,฀2001),฀110–113. 2.3 „Hollywood Accounting“ 97

Abb.฀18฀฀฀Auswertungsfenster฀(Quelle:฀Vogel,฀84)

Der folgende Überblick soll einerseits Jahren werden die Abstände jedoch im- darüber aufklären, warum trotz der gerne mer kürzer und mitunter werden Block- kolportierten Einspielsummen in Millio- busterprojekte wie HARRY POTTER (2001–?) nenhöhe nur etwa jeder zehnte Majorfilm oder STAR WARS auch nahezu zeitgleich in Net Profits schreibt. Vor allem aber soll ein den USA und im Ausland lanciert – Day Einblick in die gängigen Vertriebsmetho- and Date wie es im Fachjargon heißt. Die den eines Majorstudios, die Grundstruktu- weiteren Freigaben im Ausland erfolgen ren des heute medienübergreifenden Film- wie Abbildung 18 zeigt in etwa denselben geschäfts und die Rolle, die den unter- Abstufungen wie auf dem heimischen schiedlichen Auswertungsfenstern und Markt. angrenzenden Industriezweigen dabei zu- kommt, gewonnen werden. 2.3.2 Kino 2.3.1 Die Auswertungskette 2.3.2.1 Bidding, Advances und Guaran- Ausgangspunkt für einen Majorfilm sind tees: Kinobetreiber und Distributor vor üblicherweise die amerikanischen Kinos. dem Filmlauf Vier bis fünf Monate nach dem US-Start Die Majors sind heute nur mehr bedingt ist der Film auf Video und DVD erhältlich. im Ausstrahlungssektor involviert. Nichts- Nach weiteren ein bis drei Monaten er- destotrotz sind Hollywoodfilme für einen folgt die Freigabe im Pay-per-View- und kommerziellen Kinobetreiber nach wie Pay-TV-Fenster. Werbefinanziertes US-Ka- vor unverzichtbar. Es sollte daher nicht belfernsehen und Broadcast-TV folgen verwundern, dass Kinobetreiber oder Ki- sechs bis neun Monate, beziehungsweise noketten üblicherweise für das Recht, den etwa ein Jahr später. Der ausländische Ki- Film eines Studios zu erhalten, Vorauszah- nostart liegt traditionell drei bis sechs Mo- lungen leisten. Zum einen handelt es sich nate hinter dem US-Termin. In den letzten bei diesen Zahlungen um einen Vorschuss 98 2 Ökonomie

auf die Einnahmen des Distributors aus chen vor Startbeginn fälligen Guarantee dem gemeinsam getragenen Filmlauf, der (bspw. 100 000 US-$ für ein bestimmtes später mit den faktisch aufgetretenen Ein- Kino) ist wie ein im Bidding-Prozess ge- nahmen verrechnet werden kann. Zum machtes Gebot verbindlich, auch wenn anderen entsprechen sie damit unter Um- sich der lizenzierte Film später als Flop er- ständen aber auch einer Garantie des Ki- weist. Von einer so genannten Advance nobetreibers für einen bestimmten Min- spricht man dagegen, wenn der Distribu- desterlös des Verleihers und dienen die- tor dem Kinobetreiber für den Fall eines sem somit als Entscheidungskriterium für Misserfolgs eine partielle Rückerstattung den Zuspruch des betreffenden Films. der getätigten Zahlung gewährleistet. Mittlerweile seltener zur Anwendung Ein Beispiel: Der Kinobetreiber hat sich gelangt dabei das so genannte Bidding, das durch sein Angebot einen bestimmten Film einer öffentlichen Ausschreibung und Ver- gesichert und dem Distributor eine Summe steigerung eines Films gleichkommt und von 100 000 US-$ im voraus überwiesen. vor allem dann eingesetzt wird, wenn sich Dies in Erwartung, dass der Anteil des Dis- mehrere Kinobetreiber in einem gesättig- tributors am Filmlauf, die so genannten ten Territorium um denselben Film bewer- Rentals (siehe unten), mindestens diesem ben. Wie der Begriff besagt, gibt der Kino- Betrag entsprechen werde. Liegt der Anteil betreiber bei diesem Verfahren ein fixes Ge- des Distributors über 100.000 US-$, hat die- bot für den Fall eines Zuspruchs ab und tritt ser nur mehr Anspruch auf den Betrag, der damit gegen die Offerten anderer Interes- ihm noch nicht überwiesen wurde. Stellt senten an. Das Gebot ist verbindlich, da bei sich der erwartete Erfolg jedoch nicht ein einer nachträglichen Rückverhandlung der und der Distributor erhält aus der betref- Konditionen von Seiten des Verlierers un- fenden Kinoausstrahlung lediglich 75 000 weigerlich der Vorwurf der Schiebung ent- US-$, hat der Kinobetreiber 25 000 US-$ stehen müsste und der Versteigerungscha- überbezahlt. Wurde die Zahlung als Bid rakter des Prozederes ad absurdum geführt oder Guarantee geleistet, ist der Betrag von wäre. Auch wenn die Höhe des Gebots de 25 000 US-$ für ihn verloren. Im Falle einer facto kein letztentscheidendes Kriterium dar- Advance erhält er vom Distributor den stellt (der Distributor behält sich üblicher- nicht gewonnen Anteil zurück. Da die end- weise das Recht vor, auch ein Höchstgebot gültige Auszahlung des Distributors aus abzulehnen), hat der Verlierer den Film u.a. den Einnahmen an der Kinokasse oft erst deshalb nicht erhalten, weil sein Angebot Monate nach dem Filmlauf erfolgt, erfüllen ursprünglich geringer ausgefallen ist als das Bids, Guarantees und Advances unter an- des Siegers. So genanntes Blind Bidding, bei derem den Zweck, den Rückgewinnungs- dem der Kinobetreiber sein Gebot lange vor prozess des Studios, das bis dahin sämtliche Start des Films macht und ohne die Mög- Entwicklungskosten des Films getragen lichkeit, das Produkt zu sichten, ist heute in hat, vorzuziehen. Vor allem in Anbetracht etwas mehr als der Hälfte aller US-Bundes- möglicher Zinsbelastungen, die das Studio staaten฀gesetzlich฀verboten. zur Realisierung eines Projekts auf sich ge- Das zweite, heute allgemein üblichere nommen฀hat.20 Verfahren bildet die direkte Verhandlung zwischen Distributor und Kinobetreiber, 2.3.2.2 Box Office und Rentals: Kinobe- die Spielraum für wiederum zwei Grund- treiber und Distributor während des Film- varianten offenlässt: den Modus der Gua- laufs rantee und den Modus der Advance. Die Neben dem Vorschlag einer zu entrichten- Vorauszahlung einer spätestens zwei Wo- den Guarantee oder Advance inkludiert 2.3 „Hollywood Accounting“ 99

das Ankündigungsschreiben eines Distri- rechneten Entnahme des Kinobetreibers butors für einen neuen Film die Konditio- de facto um eine zwischen den Parteien nen, die er sich für die gemeinsame Aus- ausgehandelte Pauschale handelt, die den wertung des Films erwartet. Anders als tatsächlich auftretenden Betriebskosten beim Vertrieb kleinerer oder älterer Film- des Kinobetreibers nur annähernd ent- produktionen im Programmkinobereich sprechen muss und in der Regel eine ge- mitunter üblich, erfolgt bei neuen Holly- wisse Profitmarge für den Kinobetreiber woodproduktionen die Entschädigung enthält. Der Studio-Distributor erhält folg- des Distributors durch den Kinobetreiber lich 90%, der Kinobetreiber 10% der Gross nicht durch die Zahlung einer fixen Ver- Receipts nach Abzug der House Allowance. leihgebühr, sondern wird auf Grund der So genannte Minimum Floors stellen in Ungewissheit eines Filmerfolgs durch eine erster Linie einen Absicherungsmechanis- prozentuale Beteiligung an den laufenden mus des Studios gegen Verluste bei mittel- Einnahmen an der Kinokasse, den so ge- mäßigem oder schwachem Erfolg eines nannten Gross Receipts bzw. dem Box Of- Films dar. Sie geben einen periodisch auf- fice Gross beglichen. Die Aufteilungs- geschlüsselten Mindestbeteiligungssatz schlüssel zwischen Kinobetreiber und Dis- des Distributors an den laufenden Einnah- tributor sind variabel, statistisch gesehen, men an der Kinokasse an und kommen d.h. unter Berücksichtigung zahlreicher, dann zu tragen, und nur dann, wenn der unterschiedlicher Filmläufe, behält ein Ki- Basisanteil des Distributors von 90% ab- nobetreiber durchschnittlich aber etwa züglich der House Allowance geringer aus- 45–50% jedes bezahlten Ticketdollars zu- fällt als eben dieser vereinbarte Mindest- rück. Der Rest geht als „Verleihgebühr“ prozentsatz an den jeweiligen Wochener- oder Rentals an den Distributor. gebnissen oder Gross Receipts. Der gefor- Die vor allem im Blockbusterbereich derte Mindestanteil sinkt dabei sukzessive angewandte, aber auch insgesamt üblichs- über die Laufzeit des Films. Ein typischer te Vertragsform zwischen einem Major- Aufteilungsschlüssel für Minimum Floors Distributor und einem Kinobetreiber lässt sieht beispielsweise wie folgt aus:21 sich in „Kurzform“ als „90/10 licensing deal over house allowance with minimum • 1st through 2nd week 70% floors“ beschrieben. 90/10 steht dabei für • 3rd week 60% die prozentuale Basisaufteilung zwischen • 4th week 50% Distributor und Kinobetreiber: 90% der • 5th week 40% laufenden Gross Receipts gehen an das • 6th week (and all playing time thereaf- Studio, 10% an den Kinobetreiber. Dies ter) 35% aber erst nachdem der Kinobetreiber sich sinngemäß für seine operativen Kosten im Angenommen, ein Film spielt in einem Zusammenhang mit dem Filmlauf ent- Kino in der ersten Woche 10 000 US-$ ein. schädigt hat. Dieser Betrag wird wahlweise Die House Allowance liegt bei 4000 US-$. als Housenut oder Housefloor, am zutref- 90% der verbleibenden 6000 US-$ sind fendsten aber als House Allowance bezeich- 5400 US-$. Der vereinbarte Minimum net, da es sich bei dieser wöchentlich ver- Floor verlangt jedoch, dass der Studio-Dis-

20 Vgl. Alan A. Friedberg, „The Theatrical Exhibitor“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 342–347; Barry D. Reardon, „The Studio Distributor“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 313; Baumgar- ten, Farber, Fleischer, 234–235; Peter Bart, The Gross: The Hits, the Flops – the Summer that Ate Holly- wood (New฀York:฀St.฀Martins฀Press,฀1999),฀168. 21 Vgl.฀Friedberg,฀348. 100 2 Ökonomie

tributor in der ersten Woche nicht weni- 60% oder 50% in den ersten zwei Wochen; ger als 70% des Box Office Gross erhält. ein vielversprechender Blockbuster mit 70% von 10 000 US-$ sind 7000 US-$, also 70% in den ersten vier Wochen, 60% über mehr als 5400 US-$, was bedeutet, daß der die folgenden drei usw. Die absteigende 70 zu 30 Split zwischen Distributor und Folge von Minimum Floors beruht auf der Kinobetreiber den Vorzug erhält. Der Ki- Tatsache, dass ein Film heutzutage in aller nobetreiber erhält trotz der vereinbarten Regel zu Beginn höhere Einnahmen erzielt House Allowance lediglich 3000 US$. als zu einem späteren Zeitpunkt. Kapitel Gesetzt ein anderer Film spielt unter 3.2.3 geht ausführlich auf dieses Phäno- denselben Konditionen in der vierten Wo- men ein. che 20 000 US-$ ein. 20 000 US-$ minus Eine eher im Programmkinobereich 4000 US-$ (House Allowance) sind 16 000 und bei kleineren Filmen übliche Alterna- US-$. 90% davon sind 14 400 US-$, also tive zum 90/10 Deal stellt ein so genannter mehr als 50% von 20 000 US-$ (Minimum Sliding Scale Deal dar, der die prozentuale Floor für die vierte Woche). Die Formel Aufteilung der Gross Receipts nach einer 90/10 over House Allowance behält den vorab festgelegten Skala vornimmt. Die Vorzug. Der Kinobetreiber erhält 4000 Skala bestimmt welchen fixen Prozentsatz US-$ (House Allowance) plus 10% von 16 der Distributor bei einem gegeben wö- 000 US-$, d.h. insgesamt 5600 US-$. Der chentlichen Box-Office-Ergebnis erhält: Distributor erhält 14 400 US-$ oder 72% Ein Box Office Gross von 4000 US-$ sieht des Box Office Gross. bspw. einen Split von 25% für den Distri- Der 90/10 Deal stellt bei einem sehr er- butor und 75% für den Kinobetreiber vor; folgreichen Film hohe Einnahmen für den ein Box Office Gross von 6000 US-$ einen Financier-Distributor in Aussicht. Der Ki- Split von 40% zu 60% usw. nobetreiber erreicht im Idealfall immerhin Ticketpreise werden grundsätzlich von die Deckung seiner operativen Kosten und Kinobetreibern festgelegt. Mitunter ent- eine mindestens zehnprozentige Beteili- hält der Vertrag eines Distributors jedoch gung an den Gross Receipts. Dazu kom- eine per capita-Klausel, die einen Minimal- men Gewinne aus dem Verkauf von Ge- tarif für Tickets vorschreibt, damit der Ki- tränken und Popcorn. Das Abspielen von nobetreiber den Film nicht zu Dumping- Werbespots vor einem Film ist in den USA preisen verschleudern kann, in der Hoff- grundsätzlich eher unüblich. Warner und nung, auf diese Weise seinen Absatz mit Disney verbieten amerikanischen Kinobe- überteuertem Popcorn und Getränken zu treibern in Verbindung mit ihren Filmen steigern.22 sogar jegliche Werbung, die über das Zei- Nachdem der Kinobetreiber aus dem gen von Dias oder Spots für wohltätige Gesamtkuchen der Gross Receipts ent- Zwecke hinausgeht. Trailer sind von die- schädigt worden ist, werden die unter- sem Verbot selbstverständlich ausgenom- schiedlichen Ansprüche und Ausgaben men. des Financier-Distributors bedient. Primär Minimum Floors variieren je nach er- gehören hierzu die Kosten für die Produk- warteten Erfolgsaussichten eines Films. tion und Vermarktung des Films und die Ein weniger attraktiver Film startet mögli- Kosten für die Distributionsdienste des cherweise mit einem Minimum Floor von Studios.

22 Vgl. A. D. Murphy, „Distribution and Exhibition: An Overview“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 276–277; Robert Laemmle, „The Independent Exhibitor“, in The Movie Business Book, ed. Squire,฀362;฀Reardon,฀314–318;฀Friedberg,฀346–348. 2.3 „Hollywood Accounting“ 101

2.3.2.3 Off the Tops trägt die Gebühr lediglich 25%. Für den Äquivalent zur House Allowance zieht der gesamten Auswertungsprozess eines Films Studio-Distributor von den ihm verblei- wird üblicherweise von einem Durch- benden Rentals als erstes jene Kosten ab, schnittswert von rund 33% ausgegangen. die im direkten Zusammenhang mit der Eine Reduktion der standardisierten Dis- jeweiligen Kinoausstrahlung auftreten. Zu tributionsgebühr ist im Kinosektor wie diesen vergleichsweise geringen Abzügen angeführt dann möglich, wenn der Produ- gehören Dinge wie Checking and Collec- zent einen Großteil der Produktionskos- tions: Kosten, die bei der Überprüfung der ten selbst aufgebracht hat. Einspielberichte und durch mögliche dies- Ähnlich wie bei der House Allowance bezügliche Verfehlungen des Kinobetrei- des Kinobetreibers handelt es sich bei der bers anfallen. Theater Level Advertising: Mit Distribution Fee des Studios um eine reine dem Kinobetreiber geteilte Kosten für Lo- Pauschalgebühr, die sein finanzielles Risi- kalwerbung. Der Kinobetreiber über- ko als Financier-Distributor und die Ge- nimmt dabei üblicherweise einen Anteil meinkosten seines Distributionsnetzwerks von etwa 20%. Nicht betroffen ist davon entschädigen soll. Darüber hinaus beinhal- der sehr viel größere Block weitläufigerer tet sie einen nicht näher zu bestimmen- und landesweit ausgerichteter Promotion. den aber offiziell deklarierten Spielraum Außerdem verrechnet das Studio an dieser für Gewinne. Die Höhe dieser Gewinne Stelle seine Beitragszahlungen an die hängt vom Verhältnis der Summe der in MPAA, Steuern und andere Licenses and einer Periode erzielten Rentals und der Duties, die durch die spezifischen Umfeld- Summe der entsprechenden Gemeinkos- bedingungen des jeweiligen Landes ent- ten des Distributionsnetzwerks ab. stehen.23 Eine selten angewandte Alternative zur Distributionsgebühr bietet der so genann- 2.3.2.4 Distribution Fee te 70/30 Major Deal, bei dem der Distribu- Eine der wichtigsten Einnahmequellen für tor – ohne eine Distributionsgebühr zu den Studio-Distributor stellt die von ihm verlangen – die Kosten für Promotion und zu Lasten des Produzenten oder jedes an- Produktion zunächst einzieht und danach deren untergeordneten Teilnehmers ver- 70% aller übrigen Einnahmen behält. Die- anschlagte Distributionsgebühr oder Dis- ser Deal kann auch nach einem Sliding- tribution Fee dar. Für den Kinoverleih in Scale-Muster durchgeführt werden, wobei den USA beträgt diese Gebühr üblicher- der Anteil des Distributors mit dem An- weise 30% der einkommenden Rentals. stieg der Einnahmen sinkt. Liegt die Ge- Für den Vertrieb im Ausland liegt sie bei winnaufteilung nach Rückgewinnung der 35% in Großbritannien und 40% in allen Werbe- und Produktionskosten bei 50%, übrigen Territorien. Die äquivalent auftre- spricht man auch von einem so genann- tenden Gebühren für Video, Broadcast-, ten 50/50 Net Deal.24 Stephen Kravit be- Kabel- und Pay-TV entsprechen in etwa zeichnet Distribution Fees zurecht als „life- denselben Sätzen. Einzige Ausnahme bil- blood of the production/financing/distri- det das amerikanische Fernsehen: Hier be- bution business.25

23 Vgl.฀Resnik,฀Trost,฀251–252;฀Dale,฀318. 24 Vgl. Murphy, 286; Resnik, Trost, 251–252; Dale, 317–319; Kravit, 213– 214; Garey, „Elements of Feature฀Financing“,฀146–147. 25 Kravit,฀213. 102 2 Ökonomie

2.3.2.5 Prints & Advertising Pick-up geleistete Minimum Guaratee Erst an dieser Stelle, also nach Abzug der oder die Produktionskosten (Production Distributionsgebühr, werden die faktisch Costs oder auch Negative Costs) des Films auftretenden Kosten der Filmdistribution gedeckt sind. Bei der Vorfinanzierung ei- veranschlagt. Neben Versandkosten u.a. nes Films durch ein Studio hat der Produ- zählen dazu vor allem sämtliche Ausga- zent zudem Zinsen in Höhe von 125% des ben für die Werbung und Promotion des US-Diskontsatzes oder durchschnittlich jeweiligen Films – d.h. Herstellungs- und etwa 7–8 % der Produktionskosten zu ent- Platzierungskosten für Printanzeigen, Pla- richten. Dabei macht es keinen Unter- kate, TV-Spots etc., plus Kosten für die in- schied, ob die Produktion über externe terne Entwicklung der Werbekampagne, Bankkredite oder aus liquiden Mitteln des die mitunter durch einen zehnprozenti- Studios finanziert wurde. gen Pauschalaufschlag für die Marketing- Zinsen sind fällig vom Zeitpunkt der abteilung des Studios verrechnet wird. Auszahlung bis zur vollständigen Tilgung Hinzu kommen die Kosten des Labors für der Auslagen durch das Studio, d.h. für die Herstellung von Filmkopien, den so jede Bilanzperiode zahlt der Produzent genannten Prints. Zinsen auf den Betrag, der noch nicht zu- Bei einer Studioproduktion sind die rückgewonnen wurde. Das macht einen Kosten für Kopienherstellung und Wer- Saturation Release (siehe Kapitel 3.2.3) für bung durchschnittlich etwa halb so hoch den Produzenten ebenso attraktiv wie für wie die Produktionskosten und machen das Studio und hat entsprechend negative damit rund ein Drittel des Produktions- Auswirkungen bei einem sukzessiven Plat- und Promotionbudgets eines Films aus. form Release. Unter Umständen versucht Anders betrachtet beansprucht die Dec- das Studio Zinsen vor Produktionskosten kung der Werbekosten eines Studiofilms zu verrechnen und löst damit einen tücki- laut Angaben üblicherweise etwa 20–25% schen Zirkeleffekt aus: Die Rückzahlung der erzielten Rental-Einnahmen. der Produktionskosten wird weiter er- Wichtig zu beachten ist, dass die Wer- schwert, was wiederum eine Verlängerung beaufwendungen für einen Film mit des- der Zinspflicht zur Folge hat.27 sen Kinostart normalerweise nicht been- det sind. Für jede Bilanzperiode tauchen 2.3.2.7 Overhead hier somit in der Regel erneute Abzüge für Zuzüglich zum Produktionsbudget veran- zusätzliche Werbeausgaben des Studios schlagt das Studio üblicherweise einen auf, die Teilhaber (siehe unten), die an den Pauschalaufschlag in der Höhe von etwa unteren Stellen der Rücklaufkette bedient 15%, der nominell die Gemeinkosten sei- werden, weiter zurückdrängen. Kosten für ner Entwicklungsabteilung entschädigen die Synchronisation eines Films werden soll. Neben der Kritik, ob eine derartige üblicherweise ebenfalls unter dieser Ru- prozentual berechnete Gemeinkostenpau- brik verrechnet.26 schale neben der Distributionsgebühr überhaupt gerechtfertigt ist, ist vor allem 2.3.2.6 Production Cost und Interest strittig, über welche Ausgaben sich dieser Das Studio hält alle weiteren Einnahmen Obolus erstrecken soll. Unter Umständen zurück, bis seine Vorauszahlungen an den versucht das Studio Gewinnbeteiligungen Produzenten, d.h. entweder die für einen mit zu den overheadpflichtigen Produk-

26 Vgl.฀Dale,฀318;฀Resnik,฀Trost,฀252–253;฀Garey,฀„Elements฀of฀Feature฀Financing“,฀148. 27 Vgl.฀Dale,฀321;฀Resnik,฀Trost,฀253–254. 2.3 „Hollywood Accounting“ 103

tionskosten des Films zu zählen oder darü- pation von 10% erhält aus einem Projekt ber hinaus den 15%-Overhead-Betrag zu- mit 60 Millionen Einnahmen in Rentals sätzlich mit der üblichen Zinsrate für Pro- folglich nicht 5 Millionen plus 6 Millio- duktionskosten zu belasten. Dem Rechts- nen sondern „lediglich“ 6 Millionen Ge- spruch im Fall Buchwald zufolge sind der- samtsumme. artige Methoden jedoch unredlich.28 Anders betrachtet muss der Film min- destens 50 Millionen in Rentals einspie- 2.3.2.8 Gross Participations: erfolgsab- len, bevor der First-Dollar-Gross-Partici- hängige Beteiligungsformen pant überhaupt in den Genuss seines be- Als Gross Participants werden alle Teilneh- vorzugten Rechts kommt. Erfolgsorien- mer eines Filmprojekts mit hervorgehobe- tiertere Vertragsvarianten zu Lasten oder nem Status bezeichnet – üblicherweise Gunsten des Gross-Participants beinhal- Schauspielerstars und Regisseure, evtl. ten eine Reduktion seiner üblichen Fixga- auch Produzenten, sehr selten „Spitzenau- ge – der Schauspieler spielt unter seinem toren“ – die die Möglichkeit haben, eine Marktwert (siehe Abbildung 27) – im Aus- Beteiligung vor Net Profits auszuhandeln. tausch für eine höhere Beteiligungsrate. Den unterschiedlichen Formeln, die von Entscheidend für die First-Dollar-Gross- den Parteien dabei zur Anwendung ge- Partizipation ist, dass die Entnahme dieser bracht werden können, sind kaum Gren- Beträge nahezu unmittelbar nach den Ab- zen gesetzt – auch hier gibt es komplizier- zügen des Kinobetreibers erfolgt und da- te Deals mit Sliding Scales und Minimum mit sehr viel sicherer und lukrativer ist als Floors –, einige der üblichsten Grundfor- jede andere Beteiligungsform. men sind aber folgende: Alle übrigen Formen der Gross-Partizi- Die bei weitem vorteilhafteste und üb- pation sind üblicherweise an das Errei- licherweise dem Top-Segment des kreati- chen einer gewissen Gewinn- oder Break ven Personals, insbesondere Starschau- Even-Position des Studios gebunden und spielern, vorbehaltene Beteiligungspositi- setzen damit erst nach Abzug der Distribu- on ist die Partizipation am so genannten tionsgebühr und Rückgewinnung der Wer- First Dollar Gross eines Films, die den Be- be- und Produktionskosten, aber vor Net griff einer Gewinnbeteiligung insofern un- Profits ein. Einzige Ausnahme bilden so terläuft, als sie lange vor der Realisierung genannte Deferments, die an einem zeitlich einer faktischen Gewinnsituation des oder rechnerisch festgesetzten Punkt noch Filmprojekts einsetzt und damit das Ein- vor erreichen eines Break Even die Auszah- treten einer solcher Situation möglicher- lung eines fixen Bonusbetrags an den Teil- weise sogar verhindert. Zuzüglich seiner nehmer vorsehen. Der Eintritt einer Bre- im voraus erhaltenen, fixen Lohngage er- ak-Even-Situation des Studio-Distributors hält der First-Dollar-Gross-Participant die lässt sich auf unterschiedliche Weise defi- Zusicherung eines prozentualen Anteils nieren. an den Rentals des Films. Ähnlich wie der Ein so genannter Actual oder Rolling Vorschuss eines Kinobetreibers wird die Break Even tritt dann ein, wenn das Studio dem Produktionsbudget angerechnete als Finanzier erstmals in eine positive Posi- Gage später mit den entstehenden Gewin- tion gelangt. Mögliche Gewinne aus der be- nen aus der Beteiligung gegenverrechnet. reits entnommenen Distributionsgebühr Ein Star mit einer Gage von 5 Millionen zählen dabei selbstverständlich nicht: Die US-$ und einer First-Dollar-Gross-Partizi- Distributionsgebühr stellt in diesem Bezug

28 Siehe฀dazu:฀Baumgarten,฀Farber,฀Fleischer,฀64–65. 104 2 Ökonomie

einen Negativ-Posten dar. Anders betrach- 2.3.2.9 Net Profits tet ist es daher durchaus möglich, dass sich Erst nachdem alle obigen Positionen ge- das Studio durch seine Einnahmen über die deckt und Partizipationen abgezweigt Distributionsgebühr bereits in der Gewinn- worden sind, erreicht ein Film die offiziel- zone befindet, der Film aber offiziell noch le Gewinnzone oder das, was gebräuch- immer฀rote฀Zahlen฀schreibt. lich unter Net Profits verstanden wird. Ge- Da wie bereits angeführt nach Errei- winnbeteiligungen an Net Profits stehen chen einer ursprünglichen Gewinnsituati- grundsätzlich denselben Kandidaten zur on immer wieder neue Ausgaben und Ge- Verfügung, die auch für Gross-Partizipati- bühren für das Studio anfallen können – onen in Frage kommen. In erster Linie insbesondere durch die Vermarktung eines handelt sich dabei jedoch um den Produ- Films in den sekundären Auswertungsfens- zenten – sofern ihm die Möglichkeit, eine tern – birgt die Bindung an einen Rolling vorteilhaftere Position auszuhandeln, Break Even aber vor allem das Risiko, dass fehlt – und das Studio, das hier im Sinne das Studio in einer späteren Bilanzperiode eines „Investment-Partners“ (im Gegen- wieder ins Minus gerät und die Zahlungen satz zu seiner Funktion als Distributor) an฀den฀Gross฀Participant฀wieder฀aussetzt. abermals als Teilnehmer auftaucht und Vorteilhafter ist daher die Bindung an abhängig vom Grad der von ihm geleiste- einen so genannten Initial Break Even, mit ten Vorfinanzierung und der Verhand- der festgelegt ist, dass nach Erreichen der lungskraft des Produzenten noch einmal erstmaligen Gewinnsituation des Studios 50% oder mehr von 100% Net Profits für die Beteiligung des Teilhabers nicht wieder sich beanspruchen kann. Der Produzent ausgesetzt werden kann. Einem Teilhaber teilt seinen Anteil dazu möglicherweise mit noch mehr Verhandlungskraft gelingt mit dritten Parteien – beispielsweise mit es möglicherweise eine Beteiligung nach ei- den Autor des Drehbuchs oder dem ur- nem so genannten Cash Break Even zu ver- sprünglichen Halter des Copyrights des einbaren. Die Bezeichnung „Cash“ hat da- von ihm erworbenen Ausgangsmaterials.30 bei eigentlich keinen Bezug zum Vorgehen. Bevor es dazu kommen kann, müssen De facto beinhaltet ein Cash-Break-Even- Net Profits jedoch erst einmal erreicht Deal einfach die freiwillige Reduktion der werden. Wie die bisherigen Ausführungen Distributionsgebühr des Studios in der Bi- erahnen lassen, ist dies nach dem bloßen lanz des betreffenden Partizipatoren, dessen Kinolauf eines Films nur äußerst selten der Anspruch฀damit฀frühzeitig฀ausgelöst฀wird. Fall. Ein vereinfachtes und großzügiges Nicht an den Gewinn des Films gebun- Rechenexempel: den, sondern an den ursprünglich erhalte- Angenommen, ein Film mit Box-Of- nen Lohn des Teilhabers sind daneben so fice-Einnahmen von 10 Mio. US-$, Pro- genannte Residuals – schrittweise bezahlte duktionskosten von rund 3 Mio. US-$ und Tantiemen, die auch kleineren Darstellern einem Werbebudget von 1,5 Mio. US-$ hat und Mitwirkenden zustehen und über die konstant die 90/10 Formel für den Split Jahre der Mehrfachauswertung eines Films zwischen Distributor und Kinobetreiber in den unterschiedlichen Fenstern zu den ausgelöst. Von den 10 Mio. Box Office Empfängern durchsickern.29 Gross behält die Summe der Kinobetreiber

29 Vgl. David V. Pickner, „The Film Company as Financier-Distributor“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 189; Kravit, 208; Resnik, Trost, 242, 254–260; Mike Medavoy, „A Chairman’s Perspecti- ve“,฀in The฀Movie฀Business฀Book,฀ed.฀Squire,฀171;฀Garey,฀„Entertainment฀Lawyer“,฀198. 30 Vgl.฀Garey,฀„Elements฀of฀Feature฀Financing“,฀147–148;฀Kravit,฀214. 2.3 „Hollywood Accounting“ 105

zunächst rund 10% oder 1 Mio. als House ebenfalls Anspruch auf 10% der Rentals Allowance ein. Die verbleibenden 9 Mio. hat, sobald ein Break Even erreicht worden US-$ werden 90 zu 10 geteilt. Dem Distri- ist. Von dem bestehenden Gewinn von butor verbleiben nach Abzug der verschie- 0,51 Mio. US-$ müssen nun also noch ein- denen Off the Tops generös bewertet Ren- mal 10% abgezogen werden. Trotz der wei- tals von rund 8 Mio. US-$. Von diesen 8 teren Million in Rental-Einnahmen ver- Mio. zieht er zunächst 2,4 Mio. oder 30% bleiben nur etwas mehr als 0,45 Mio. US-$ Distributionsgebühr ab. Von den verblei- an Net Profits. benden 5,6 Mio. müssen nun die Kosten Welche verheerenden Auswirkungen für Kopienherstellung und Werbung in es hat, wenn die First-Dollar-Gross-Beteili- Höhe von 1,5 Mio. gedeckt werden. Es ver- gung nicht nur 10% beträgt, sondern wie bleiben 4,1 Mio. bei einem Top-Star wie Tom Cruise heute Danach folgt die Rückzahlung der Pro- üblich 20% und zusätzlich noch eine ganze duktionskosten. 3 Mio. plus 15% Overhead Reihe weiterer Bonus-Zahlungen ins Spiel plus 7% Zinsen ergibt 3,66 Mio. 4,1. Mio. kommen (eine Extra-Million bei einem minus 3,66 Mio. ergeben einen Gewinn Box-Office-Ergebnis von über 100 Mio. von 0,44 Mio. Vorausgesetzt diese Summe US-$, eine weitere bei 150 Millionen), oder entspricht bereits den Net Profits des Films, wenn anstelle der 90/10 Formel der statis- behält das Studio eventuell weitere 50% tische Mittelwert von 45–50% für Rentals oder 0,22 Mio. für sich. Dem Produzenten eingesetzt wird, lässt sich erahnen.31 bleibt ebensoviel, um mögliche dritte Par- Selbstverständlich handelt es sich bei teien auszubezahlen. Liegt aber zudem eine den Ausgangszahlen des Beispiels nur um First-Dollar-Gross-Partizipation von Haupt- fiktive Werte. Insbesondere der Betrag für darsteller A über 10% vor, sind vor Abzug die Werbekosten des Films dürfte realiter der Distributionsgebühr bereits 0,8 Million sehr viel höher ausfallen: Unabhängig von US-$฀aus฀dem฀Topf฀gegangen. der generell üblichen Ratio zwischen Pro- Die Distributionsgebühr bezieht sich duktions- und Promotionskosten eines nun auf 7,2 Mio. und es verbleiben nur Projekts, liegt der Werbeaufwand eines mehr 5,04 Mio. um 5,16 Mio. Werbe- und durch einen Major vertriebenen Films Produktionskosten zu decken. 5,04 Mio. heute selten unter 8 Mio. US-$. Ein realisti- minus 5,16 Mio. ergeben -0,12 Mio. Der scheres Beispiel liefert daher der Film WHO Film ist in einer Verlustposition. FRAMED ROGER RABBIT (1988), dessen Zwi- Nehmen wir an, der Film hätte eine schenbilanz nach einem zweijährigen Me- weitere Million in Rentals erzielt. Von die- dienlauf in Tabelle 6 zu sehen ist.32 ser Million erhält der First-Dollar-Gross- Participant wiederum 10%. Von den ver- 2.3.3 Video bleibenden 0,9 Mio. gehen wiederum 30% oder 0,27 Mio. an das Studio. Insgesamt 2.3.3.1 Überblick und Geschichte Obwohl gesehen stünden nun 5,67 Mio. zur Verfü- vereinzelte Versuche, heimtaugli-che gung um 5,16 Mio. an Ausgaben zu de- Videosysteme zu entwickeln, bis in die cken. Ein Break Even ist erreicht. frühen Sechzigerjahre zurückreichen, gilt Nun gibt es aber einen zweiten Gross die Markteinführung von Sonys Beta- Participant, Nebenrollendarsteller B, der max-Recorder im Jahre 1975 gemeinhin

31 Peter Bart, Peter Guber, Shoot Out: Surviving Fame and (Mis)Fortune in Hollywood (New York: G. P. Putnam’s฀Sons,฀2002),฀128. 32 Vgl.฀Vogel,฀116. 106 2 Ökonomie

Title: ? Domestic release date: June 1988 Distributor Walt Disney Co. Period end: 12/31/90

Gross receipts: Domestic theatrical $80,763 Foreign theatrical 80,102 Pay television 9,680 Home video 26,573 Nontheatrical 2,316 Television – Consumer products & other 5,686 Total $205,119

minus Distribution fees and costs: Distribution fees 68,259 Advertising and publicity 48,333 Checking, collections, conversion, 655 etc. Other version 1,076 Residuals 3,415 Trade dues 843 Taxes, insurance 2,949 Prints 5,746 Transportation 951 Miscellaneous 166 Total $132,394

minus Negative costs: Production costs 50,579 Production overhead 7,587 Interest 17,105 Gross participations & deferments 17,054 Total $92,325 Net profit (loss) ($19,600)

Tabelle฀6฀฀฀Bilanz฀–฀WHO FRAMED ROGER RABBIT (in฀Tausend฀US-$)฀(Quelle:฀Vogel,฀132) als der Beginn des Heimvideozeitalters. Seit Beginn der Achtziger hat die Vi- Ein Jahr später erscheint das von Matsus- deoindustrie einen explosionsartigen Auf- hita und JVC entwickelte Konkurrenzfor- stieg erfahren: Mehr als 90% der amerika- mat VHS, das trotz seiner technischen nischen TV-Haushalte verfügen heute Nachteile den heutigen Industriestandard über einen Videorecorder (siehe Abbil- bildet. Derzeit beginnt die Umstellung auf dung 24). Jeder dieser Haushalte bezieht digitale Datenträger: Wann die DVD VHS durchschnittlich etwa drei Filme pro Mo- verdrängt haben wird, bleibt abzuwarten. nat aus der Videothek.33 Der gesamtameri- Bereits jetzt wächst das Format jedoch kanische Absatz von vorbespielten Video- schneller als der Videomarkt in seiner An- kassetten hat sich bis zu seinem Peak vor fangsphase und hat zumindest in den USA Einführung der DVD mehr als verhundert- bereits einen Marktanteil von über 33% facht (siehe Abbildung 19). Auch wenn Vi- erreicht. deo damit heute den mit Abstand größten

33 Basierend auf einer durchschnittlichen Leihgebühr von 2,95 US-$. Scott Hettrick, „‚Shrek‘ vid biz sinks฀‚Titanic‘“, Variety.com,฀7.฀Januar฀2002. 2.3 „Hollywood Accounting“ 107

Abb.฀19฀฀฀Verkauf฀von฀Videokassetten฀an฀US-Händler฀(Quelle:฀MPAA)

Umsatzmarkt der Majors bildet (siehe Ab- wicht legte Universal dabei auf die ökono- bildung 20) und mittlerweile klar ist, dass mischen Auswirkungen der neuen Tech- Video keine negativen Auswirkungen auf nologie: Es sei zu befürchten, dass die Pro- das Kinogeschäft gehabt hat, begegneten dukte der Filmindustrie an Wert verlieren die Studios dem neuen Medium in seiner könnten, da Zuschauer bei Wiederholun- Anfangsphase argwöhnisch und mit eini- gen möglicherweise nicht mehr einschal- gem Widerstand. ten würden; vor allem dann, wenn sie Ihre Zwei Punkte standen dabei im Vorder- Filmbibliotheken untereinander tau- grund: Erstens die Aufnahmetauglichkeit schen. Zeitversetztes Fernsehen würde das des Videorecorders; zweitens der nach Er- Ansteuern der Zielgruppen für die Wer- scheinen der ersten bespielten Filmkasset- bung erschweren und mehr noch ermögli- ten von privaten Kleinunternehmern che es der Videorecorder, Werbespots bei wahrgenommene Videoverleih. der Aufnahme überhaupt auszublenden Der erste Punkt führte 1979 zur Eröff- oder einfach zu überspulen. nung des Falls Universal gegen Sony/Beta- Das Gericht entschied in erster Instanz max, in dem das Studio, unterstützt von gegen Universal. 1981 ging der Fall in Be- Disney, den damals noch nicht im Filmge- rufung – mit Erfolg. Der Triumph währte schäft tätigen Konzern verklagte, weil das jedoch nicht lange. 1984 gelangte Univer- Aufzeichnen von Fernsehinhalten seiner sal gegen Sony vor den Supreme Court, der Meinung nach eine Verletzung des Copy- die Entscheidung mit fünf zu vier Stim- rights Acts von 1976 darstellte. Hauptge- men wieder aufhob.

Abb. 20 Umsatz Majorstudios mit gefilmtem Material 2000 (Schätzung) (Quelle: Vogel, 62 u.a.) 108 2 Ökonomie

Hauptbegründungen waren: die man- Werkes zwar untersagt ist, diese zu verviel- gelnde Fähigkeit Universals den Wertver- fältigen oder öffentlich aufzuführen, lust seiner Produkte in Zahlen zu belegen; nicht aber sie weiterzuverkaufen oder dass selbst wenn Videoaufzeichnungen wörtlich „anderweitig mit ihr zu verfah- eine Verletzung des Copyrights darstell- ren“.35 Dies ließ und lässt mit Abstrichen ten, Sony dafür nicht haftbar gemacht bis heute den kommerziellen Verleih von werden könne, zumal Videorecorder auch Videokassetten offen. für andere Zwecke verwendet werden kön- Spätere Versuche der Majors, eine Än- nen und es keine Anzeichen dafür gäbe, derung der First Sale Doctrine auf politi- dass Sony systematisch die Produkte von schem Wege zu bewirken, scheiterten am Disney und Universal kopiere; darüber Widerstand der mittlerweile in zwei Groß- hinaus gäbe es keine Gesetzesgrundlage, verbänden organisierten Videohändler die vorschreiben würde, das Zuschauer und Verleiher – und auch hier an der Unfä- Werbung sehen müssen.34 Online-Tausch- higkeit, den Kongress von der geschäft- börsen wie Napster hätten sich 17 Jahre schädigenden Wirkung des boomenden später über eine ähnliche Haltung des Ge- Videoverleihs zu überzeugen. (Für die Mu- setzes mit Sicherheit gefreut. sik- und Computerindustrie wurde mitt- Bereits vor dem Betamax-Fall hatte lerweile eine Ausnahme von der First Sale 20th Century Fox als erstes der Studios be- Doctrine erwirkt.) Ebenso unwirksam gonnen, ältere Filme, die bereits im Fern- blieb damals noch der Versuch von War- sehen gezeigt worden waren, auf Video- ner und Disney ein System durchzusetzen, kassetten zu überspielen und an private bei dem Händler im Austausch für eine Ab- Händler zu verkaufen. Bis 1981 hatten gabe pro Leihtransaktion Kassetten zu auch die übrigen Majors inklusive Univer- stark vergünstigten Tarifen leasen konn- sal und Disney nachgezogen – und bald er- ten. scheinen auch neuere Titel auf Video. Ob- Paramount war darauf eines der ersten wohl die Majors in ihren Verträgen den Studios, das den Streit durch eine simple Verleih dieser Kassetten üblicherweise un- Erhöhung der Einkaufspreise für Videokas- tersagten, begannen Pioniere wie der spä- setten auf 80–90 US-$ zu beenden versuch- tere Eigentümer des Video-Stations-Fran- te. Gleichzeitig begann das Studio Anfang chises George Atkinson, die erworbenen der Achtziger mit Preissenkungen für ein- Kassetten auch zu vermieten. Ganz zum zelne Titel zu experimentieren: Zunächst Nachteil der Studios, die abgesehen vom mit Preisen von knapp unter 40 US-$; nach Erlös aus dem ursprünglichen Verkauf an sinkenden Herstellungskosten Mitte der den Mieteinnahmen aus dem Verleih Achtziger sogar mit Preisen unter 25 US-$. nicht beteiligt waren. Wie die deutlich höheren Absatzzahlen Rückhalt erhielt die rasant wachsende dieser Titel demonstrierten, konnte mit Fraktion der Videoverleiher durch die so Preisreduktionen offenbar eine Hemm- genannte First Sale Doctrine, ebenfalls ein schwelle für Endkonsumenten durchbro- Reglement des Copyright Acts von 1976, chen werden.36 Damit standen die Studios nachdem es dem Besitzer einer rechtmä- vor einem Dilemma: Die geringste Hemm- ßig erworbenen Kopie eines geschützten schwelle besaß nach wie vor das Ausleihen

34 Frederick Wasser, Veni, Vidi, Video: The Hollywood Empire and the VCR, (Austin: University of Texas Press,฀2001),฀82–91,฀110–116. 35 Title฀17฀of฀the฀United฀States฀Code,฀Copyright฀Law฀of฀the฀United฀States฀of฀America,฀§฀109. 36 Wasser,฀132–135. 2.3 „Hollywood Accounting“ 109

eines Videos für eine geringe Mietgebühr – Durch die Kombination dieser Strate- das frühe Videogeschäft wurde entspre- gien ist es den Videoanbietern gelungen, chend klar durch den Verleih dominiert. die Gesamtumsätze des Verkaufsektors, Die Ausgrenzung aus dem Verleihgeschäft denen des Verleihs immer mehr anzunä- wäre auch weiterhin durch erhöhte Preise hern: Während in der zweiten Hälfte der auszugleichen gewesen, der Videoverkauf Achtzigerjahre die Umsätze des Verleih- nach den jüngsten Ergebnissen jedoch ge- sektors nahezu viermal so hoch waren wie schädigt. die des Verkaufs, sind die beiden Bereiche Die Kompromisslösung findet sich im heute nahezu gleich auf. Dieser markante auch heute noch weitgehend üblichen Anstieg ist für die Videoanbieter – und da- Zweistufensystem, bei dem kaufträchtige mit für die Majorstudios – um so bedeutsa- Filme direkt zum vergünstigten Sell- mer, als deren Margen im Verkaufsbereich through-Preis angeboten werden und weni- auf den Gesamtmarkt bezogen natürlich ger attraktive oder leihorientierte Titel zu- deutlich über denen des Verleihs liegen. mindest in einer ersten Phase zu einem er- Nach Angaben von Video Business ha- höhten Rental-Preis, der später auf das ben die Amerikaner 2001 rund 8,4 Mrd. Sell-through-Niveau sinkt. Die strategi- US-$ im Verleih und 8,5 Mrd. US-$ für den sche Grundidee ähnelt dabei der eines Kauf von Videos und DVDs ausgegeben. „echten“ Dualsystems, de facto sind beiden Der Verkauf dürfte den Videoanbietern da- Sektoren jedoch nicht voneinander ge- bei nach Schätzungen Einnahmen von trennt: Dem Händler steht es zur freien etwa 6,4 Mrd. US-$ gebracht haben. Der Entscheidung, ob er eine Rental-Kassette Erlös aus dem Verleih dagegen nur etwa verkaufen oder eine Sell-through-Kassette 2,2 Mrd. US-$. Wann der erstmalige Durch- vermieten möchte. Dasselbe gilt umge- bruch des Verkaufssektors aus Sicht der kehrt für den Konsumenten. Anbieter erfolgt ist, ist nach den vorliegen- Daneben hat sich mittlerweile aber den Daten mit Sicherheit nicht zu bestim- auch das in den Achtzigern noch abge- men. Nimmt man die von Adams Media lehnte Leasing-System neu etabliert. Research angenommenen Beteiligungsra- Grund dafür ist unter anderem das so ge- ten von ca. 26% im Verleihsektor und 75% nannte Copy-Depth-Problem: Grosse Ket- im Verkauf (der Rest geht an Händler und ten wie Blockbuster können es sich kaum Großhändler), dürften die Einnahmen aus leisten, nur ein oder zwei Kopien eines ak- dem Verkauf aber spätestens 1989 über de- tuellen Hits in ihren Regalen stehen zu ha- nen des Verleihs gelegen haben.38 ben. Gleichzeitig steigen aber die Inven- Rückblickend wird damit auch deut- tarkosten bei der Anschaffung von großen lich, warum die Majors den Kampf gegen Beständen einzelner Titel – vor allem das Verleihgeschäft nicht stärker verfolgt wenn es sich dabei um Rental-Kassetten haben: Nicht wie Janet Wasko meint, we- handelt. Profitabler ist daher dann doch gen der bloßen Popularität des neuen Revenue Sharing, bei dem der Verleiher Marktes und dessen stimulierender Wir- Rental-Kassetten für einen Sonderpreis kung auf das allgemeine Filminteresse, von 8–10 US-$ beim Studio least und es da- sondern weil bis 1989 trotz des limitierten für mit etwa 40–50 % an den bei ihm getä- Potenzials dort mehr Einnahmen erzielt tigten Leihtransaktionen beteiligt.37 wurden als im Verkauf.39

37 „Sales฀of฀DVD’s฀Is฀Challenging฀Movie฀Rental฀Business“, The฀New฀York฀Times ,฀16.฀April,฀2001. 38 Vgl. Ibid. 39 Vgl.฀Wasko,฀132–133. 110 2 Ökonomie

Abb.฀21฀฀฀US-Videoindustrie฀–฀Konsumentenausgaben฀in฀Mrd.฀US-$฀(Quelle:฀Wasko,฀136; Video฀Busi- ness.com;฀Adams฀Media฀Research)

In welchem Verhältnis aber stehen die sehen. Video ist damit zum weltweit wich- in der Videoauswertung erzielten Umsätze tigsten Marktsegment der amerikanischen eines Studiofilms zu dessen ausgewiesener Filmindustrie avanciert. Bilanz? Nur 20%–25% der Einnahmen des Studio-Distributors aus den beiden Ver- 2.3.3.2 Neue Formate: triebssektoren werden üblicherweise als DVD, Divx und DivX;- Lizenzgebühr oder Royalty dem offiziellen Mehr als ernstzunehmende Konkurrenz Production Revenue des jeweiligen Films an- hat VHS durch die 1997 erfolgte Einfüh- gerechnet.40 Die restlichen 75%–80% flie- rung der Digital Versatile Disc erhalten ßen in den getrennt geführten Videoarm (fälschlicherweise auch als Digital Video des Studios, der daraus das zusätzliche Disc bezeichnet), die sich als potenzieller Marketing, den Transport und die Herstel- Träger für Video-, Audio- und Computer- lungskosten der Kassetten – d.h. die Erstel- daten anschickt, zum universalen digita- lung eines Mastertapes und die Fertigung len Speichermedium der näheren Zukunft der Kopien durch Zulieferer bezahlt. aufzusteigen. Der Beitrag der Video-Royalty zum Die Ton und Bildqualität herkömmli- Produktionsumsatz fällt darüber hinaus cher VHS-Kassetten wird von DVD weit wie fast jede andere Einnahme unter die übertroffen. Darüber hinaus bieten DVDs 30%–40%-Klausel der Distributionsge- dem Konsumenten diverse zusätzliche Vor- bühr.41 Aus Sicht des Produzenten stehen teile wie die gleichzeitige Verfügbarkeit ei- daher nur 14%–18% der gesamten Video- ner 4:3 und 16:9 Version; die Wahl zwi- einnahmen zur Deckung der Produktions- schen der Original- und diversen Synchron- kosten eines Films zur Verfügung. Der An- fassungen bzw. entsprechenden Untertiteln teil des Videosektors am Gesamtumsatz ei- in verschiedenen Sprachen; den direkten nes Majorstudios beträgt dagegen über Zugriff auf bestimmte Datenpunkte; einen 45% (siehe Abb. 20). Nur etwa ein Viertel geringen Verschleiß; Spezialfeatures mit des Umsatzes mit gefilmtem Material wird Hintergrundinformationen und das kom- im Kino gemacht. Der Rest über das Fern- pakte und platzsparende Scheibenformat.

40 Vgl.฀Dale,฀319;฀Baumgarten,฀Farber,฀Fleischer,฀53;฀Childs,฀332,฀Vogel,฀123-124. 41 Vgl.฀Baumgarten,฀Farber,฀Fleischer,฀53;฀Dale,฀319. 2.3 „Hollywood Accounting“ 111

Abb.฀22฀฀฀DVD฀–฀Spielerverbreitung฀und฀verkaufte฀Einheiten฀2001฀(Quelle:฀MPAA)

Als nachteilig empfinden viele Kun- DVD-Spieler 10 kostenlose Leihtransaktio- den aus Nicht-US-Staaten, die von den nen bei einem der an der Initiative beteilig- Majorstudios durchgesetzte Bindung der ten Videohändler/Verleiher.43 Beide Aktio- Abspielgeräte an einen von sechs globalen nen wurden gleichzeitig mit der Lancie- Regionalcodes mit der verhindert werden rung von Digital Video Express gestartet – aoll, DVDs einer anderen Region als der, in ein Konkurrenzsystem, das, hätte es sich der das Gerät gekauft wurde, abzuspielen. durchsetzen können, die bestehenden Ver- Ziel der Beschränkung ist die Gewährlei- hältnisse im Videoverleih möglicherweise stung der Lancierungsabstände eines in der Tat hätte grundlegend verändern Films in den unterschiedlichen Ländern. können. Zum anderen soll damit die Exklusivität Entwickelt wurde Digital Video Ex- territorialer Vertriebsrechte von lokalen press oder kurz Divx von der Rechtsan- Subdistributoren geschützt werden. waltfirma Ziffren, Brittenham, Branca & DVD-Titel werden derzeit für verhält- Fischer in Zusammenarbeit mit der Elek- nismäßig niedrige Preise zwischen 25 US-$ tronik-Handelskette Circuit City Stores, und 30 US-$ angeboten; nicht zuletzt um die bis zur Bekanntgabe der Einstellung den Umstieg der Konsumenten auf das des Formats am 16. Juni 1999 eine Zwei- neue Medium zu stimulieren. Ein Verleih- Drittel-Mehrheit bei Divx hielt. Die ersten markt für das rasant wachsende Angebot Geräte wurden von Zenith, Matsushita von DVD-Filmen hatte sich zunächst nur und Thomson hergestellt. Technisch ar- an den Rändern entwickelt. Die ersten offi- beitete Divx auf derselben Basis und mit ziellen Vorstöße wurden erst im September ähnlichen Qualitätsstandards wie DVD. 1998 von Blockbuster Video und Sony un- Der entscheidende und vor allem für Vi- ternommen: Blockbuster bot dabei in einer deoanbieter attraktive Unterschied der gemeinsamen Aktion mit Philips neben der Divx-Plattform lag jedoch in der Ausrich- Möglichkeit, DVD-Abspielgeräte für eine tung des Systems auf einen direkt transak- Gebühr von weniger als 15 US-$ zu mieten, tionsorientierten Verleihmarkt. erstmals auch ein Sortiment ausgewählter Für den kurzen Zeitraum ihres Beste- DVD-Verleihtitel in seinen Filialen an.42 hens waren Divx-Titel für einen Kaufpreis Sony offerierte dem Käufer eines seiner von 4,50 US-$ – 5 US-$ im Handel erhält-

42 „Blockbuster(R) and Philips Electronics Form Strategic Alliance to Rent DVD Video Players“, Reu- ters,฀8.฀September฀1998,฀฀[9.9.1998]. 43 Bob Gerson, „Sony To Push DVD Disc Rental“, Twice, 9. September 1998, [9.9.1998]. 112 2 Ökonomie

lich. Für diesen Kauf- und Erstpreis konnte und Entsorgungsproblematik des Systems; der jeweilige Film innerhalb eines Zeitrah- die Preispolitik und das Kostenrisiko bei mens von 48 Stunden – beginnend von unachtsamen Gebrauch durch Kinder; vor der erstmaligen Betätigung der Play-Taste allem aber die drohende Gefahr der Aus- – beliebig oft angesehen werden. Nach Ab- lieferung an ein Monopol, das ein Produkt lauf der Frist konnte der Käufer die Disk verkauft, das dem Konsumenten im Zwei- theoretisch wegwerfen, oder aber aufbe- felsfall nie zur freien Verfügung steht. wahren und nach belieben gegen eine wei- Von Studioseite wurde Divx ursprüng- tere Gebührenzahlung von 3,25 US-$ für lich von Disney, Paramount, Fox, Univer- weitere 48 Stunden freischalten lassen. sal, MGM/UA und DreamWorks unter- Divx-Spieler waren dazu über ein Telefon- stützt. Einzig Warner, das starke Interessen modem mit einem Zentralrechner der Fir- im Pay-TV- und Kabelsektor besitzt und ma verbunden, der den Account des Kun- Columbia Tristar, dessen Mutterkonzern den verwaltete. Sony eigene DVD-Spieler produziert, hat- Rund 15 Jahre nach Entstehung des Vi- ten sich von Anfang an gegen das neue deoverleihs bot Divx den Studios die Mög- Format und für die Adoption eines so ge- lichkeit ihren langwierigen Ausschluss nannt offenen DVD-Marktes nach beste- von den Haupteinnahmen dieses Markt- henden Mustern ausgesprochen.45 segments endlich aufzuheben. Gerade die- Mit dem Scheitern von Divx steht die- ser Umstand und der Selbsterhaltungstrieb ser Variante nun nichts mehr im Weg. von Videoverleihern dürften der Plattform Nach anfänglichem Zögern haben mittler- jedoch zum Verhängnis geworden sein. weile denn auch alle Studios begonnen, Wie Richard Sharp, der Vorsitzende von ihre Filme auf DVD herauszugeben. Einer Divx und Circuit City Stores, in seinem der Gründe für die neuerliche Zurückhal- Statement vom 16. Juni bekannt gab: tung der Studios war die berechtigte Furcht vor Videopiraterie. The majority of customers purchasing Wer heute im Internet nach Divx sucht DVD players in Circuit City stores have landet nicht auf der Seite von Circuit City, selected players that include the Divx op- sondern auf der von DivX Networks, den tion. Unfortunately, we have been unable Programmierern des vermutlich beliebtes- to obtain adequate support from studios ten Videokompressions-Codecs der Onli- and other retailers. Despite the signifi- ne-File-Sharing-Community. Ursprünglich cant consumer enthusiasm, we cannot basierte der Codec auf einem gehackten create a viable business without support Encodierungsverfahren von Microsoft. in these essential areas.44 Mittlerweile, so DivX, wurde der Code je- Von Enthusiasmus auf Seiten der Konsu- doch von Grund auf erneuert. Die sarkasti- menten kann dabei tatsächlich natürlich sche Anspielung auf das Circuit Ci- kaum die Rede sein: Seit seiner Planung ty-Verleihsystem wurde bewusst gewählt: wurde Divx in Fachzeitschriften, Internet- Vor dem Firmengang wurde der Name des foren und auf zahlreichen privaten Anti- Codecs noch mit einem augenzwinkern- Divx-Homepages scharf kritisiert. Zu den den฀Smiley,฀also฀DivX;-)฀geschrieben. meist vorgebrachten Kritikpunkten gehör- Das Kompressionsverfahren per se stört ten dabei: die immanente Datenschutz die Filmindustrie vermutlich weniger. Är-

44 „Digital Video Express, Lp to Discontinue Operations“, 16. Juni, 1999, [17.6.1999]. 45 Vgl.฀Reber,฀90,฀106–107. 2.3 „Hollywood Accounting“ 113

ger und Kopfzerbrechen bereiten eher die bekanntgegeben. Neben älteren Filmen mittlerweile zahlreichen Programme, die soll der zunächst auf die USA beschränkte es erlauben, DVDs zu kopieren – sei es für Dienst auch aktuelle Produktionen anbie- den Heimgebrauch, wie immer wieder be- ten. Allerdings erst nach der Videoauswer- teuert wird, oder um sie über die diversen tung im Zeitrahmen des traditionellen Kanäle des Internets zu verbreiten. File- Pay-per-View-Fensters.47 Sharing-Programme, FTP-Server, Re- lay-Chat, Newsgroups – kaum ein Kanal, 2. .4 Fernsehen der sich für den Transfer von größeren Da- 3 tenvolumen eignet, und heute nicht auch 2.3.4.1 Makrostruktur und Major-Aktivi- für das Tauschen von Filmen und TV-Seri- täten en benutzt wird. 350 000 Filme sollen Das amerikanische Fernsehsystem gliedert nach einer von der MPAA oft zitierten sich in sechs Grundsegmente: Schätzung täglich aus dem Netz geladen • Broadcast Networks: terrestrisch emp- werden.46 fangbare Sender, die einerseits über ein Losgelöst wurde die Welle nicht zu- gesetzlich beschränktes Kontingent an letzt durch das erfolgreiche Reverse-Enge- eigenen oder so genannten Owned and neering des so genannten Content Scram- Operated Stations (O&Os) verfügen, an- bling Systems (CSS) im Oktober 1999, das dererseits über so genannte Affiliates, sicherstellen sollte, dass DVDs nur auf zer- d.h. lokale TV-Stationen, die sich zwar tifizierten Geräten abgespielt werden kön- nicht im Besitz der privaten Networks nen. Unter Berufung auf den 1998 verab- befinden, großteils aber deren nationa- schiedeten Digital Millemium Copyright les Programm übernehmen. Act, der sowohl das Umgehen von Zu- • Unabhängige kommerzielle TV-Statio- griffs-Schutzmechanismen für kopier- nen, die z.T. eigene Programmsegmente rechtlich geschütztes Material als auch produzieren, vor allem aber so genannte den „Verkehr“ mit dazu tauglichen Mit- Syndicated Programs lizenzieren, d.h. Fil- teln unter Strafe stellt, geht die MPAA seit- me, Serien und andere Formate, die ent- her gegen DeCSS vor. Die bisherigen Urtei- weder bereits auf den Networks gelaufen le deuten darauf hin, dass die MPAA in die- sind oder auch direkt für den Syndicati- sem Fall wohl die Oberhand behalten on-Markt produziert werden. Dieser wird. Selbst bei einem Sieg vor dem Supre- Markt wird ebenso von Kabelkanälen me Court bleibt es aber mehr als fraglich, und Broadcast-Affiliates genutzt, um die ob das Problem damit tatsächlich aus der networkfreien Sendezeiten zu füllen. Welt zu schaffen ist – ganz zu Schweigen • Vornehmlich werbefinanzierte Kabelka- von der vor allem im asiatischen Raum näle oder so genannte Basic Cable Chan- grassierenden professionellen Filmpiraterie. nels, die von großen Kabelnetzbetrei- Als eine weitere Maßnahme schlägt bern oder so genannten MSOs (Multiple die MPAA daher vor, Filme selbst zum System Operators) in die Netze ihrer loka- Download anzubieten – und in der Tat ha- len Zweigstellen eingespeist werden. ben Warner, Sony, Paramount, Universal • Gebührenfinanzierte Pay-TV/Pay-Cable- und MGM im August 2001 die Gründung Kanäle, die gegen einen Aufpreis (Premi- eines Online-Services namens Movielink um) vom Kabelnetzanbieter einzeln oder

46 Siehe z.B. „Valenti Testifies to Studio’s Desire to Distribute Movies Online to Consumers“, MPAA, Jack฀Valenti฀Press฀Releases,฀23.฀April฀2002,฀฀[27.6.2002]. 47 Marc฀Graser,฀„H’wood฀plots฀to฀parry฀pic฀pirates“, Variety.com,฀2.฀Juni฀2002. 114 2 Ökonomie

Einst erbitterte Rivalen um die Gunst des Publikums sind die Hollywoodmajors und ihre Muttergesellschaften heute gleich in zweifacher Weise in diesem Markt vertre- ten: Zum einen als Programmanbieter und Produzenten – sei es durch aktuelle Filme, Filmbibliotheken oder eigens für das Fernsehen produzierte Show- und Se- rienformate. Zum anderen als Eigentümer Abb.฀23฀฀฀Das฀amerikanische฀Fernsehsystem der zur Verbreitung dieser Programme 2001฀(Quelle:฀Cable฀TV฀Facts฀2002,฀Cabletelevi- sion฀Advertising฀Bureau) notwendigen Infrastruktur. Basierend auf den so genannten Fi- in Paketangeboten für den Kunden frei- nancial Interest and Syndication Rules (kurz geschaltet werden können. Sowohl Pay- Finsyn), die von der amerikanischen Re- als auch Basic-Cable-Kanäle können na- gulierungsbehörde FCC (Federal Commu- türlich auch über Satellit empfangen wer- nications Commission) 1970 ursprüng- den. Führende Anbieter in diesem Be- lich erlassen wurden, um Programmpro- reich sind DirecTV und EchoStar. Eine duzenten wie die Studios gegen die Domi- Fusion der beiden Unternehmen, die zu nanz der Broadcastsender zu schützen, einem beinahe Monopol auf dem Sat- war es den drei großen amerikanischen Sektor geführt hätte, wurde unlängst von Networks ABC, CBS und NBC bis Mitte der฀FCC฀abgelehnt. der Neunzigerjahre untersagt, dauerhafte • Pay-per-View-Kanäle als eine spezifische Rechte an Programminhalten zu halten Subvariante der Pay-TV-Kategorie. oder zu erwerben. Seit der Lockerung • Public Broadcasting Service (PBS): ein Ver- (1991) und der schließlich vollständigen bund lokaler vornehmlich durch Spen- Beseitigung dieser Regeln unter der Clin- den, Universitäten und staatliche Sub- ton-Administration im Jahre 1995 steht ventionen finanzierter TV-Stationen, die dem Zusammenschluss von Program- vor allem Bildungs-, Kultur- und Kinder- manbietern und TV-Sendern aber nichts programme wie die weltweit bekannte mehr im Wege. SESAME STREET ausstrahlen und im Ver- Im Juni 1995 gab Disney den Kauf von gleich zum europäischen öffentlichen Capital Citys / ABC für 18,3 Milliarden Rundfunk eine eher untergeordnete Rol- US-$ bekannt. Nur einen Monat später le spielen. konterte Time Warner mit der Übernahme

Abb.฀24฀฀฀Medienverbreitung฀1980–2001฀(Quelle:฀MPAA) 2.3 „Hollywood Accounting“ 115

des Turner Broadcasting Systems (TBS) sellschaften der Majors (siehe Tabelle 4 und seinem reichhaltigen Kabelangebot – „Studioprofile“), über diverse Basic- und darunter CNN, TNT und die TBS Supersta- Pay-Cable-Kanäle. Insbesondere sind dies tion – im Wert von 9,1 Milliarden US-$. die spielfilmorientierten HBO und Cine- Auslöser für die Neuverhandlung der Fin- max bei AOL Time Warner und die Show- syn Rules war nicht zuletzt eine Sonderre- time / The Movie Channel / Flix-Gruppe gelung, die die FCC Rupert Murdochs auf- bei Viacom. Der weltweit operierende Mu- strebendem Fox-Network bereits Mitte der siksender MTV wurde von Viacom 1986 Achtzigerjahre gewährt hatte, indem es gekauft. Ein noch jüngeres Publikum wird ihm kurz nach der Übernahme von 20th durch den Kinderkanal Nickelodeon ange- Century Fox im Jahre 1985 erlaubte, dem sprochen, der mit Nick at Nite und TV- Fernsehunternehmen Metromedia die Land inzwischen aber auch auf dem Er- sechs größten unabhängigen TV-Statio- wachsenenmarkt vertreten ist. Disney ver- nen des Landes abzukaufen, um damit die fügt neben dem hauseigenen Disneychan- Grundlage für den Aufbau eines vierten nel mit ESPN über den wichtigsten Sport- amerikanischen Networks zu legen. kanal der Vereinigten Staaten. Rupert Angespornt durch den Erfolg des vor Murdochs globales Kabel- und Satelliten- allem auf ein jüngeres Zielpublikum aus- fernsehimperium wird in den USA durch gerichteten Senders, haben Warner, das die Ableger des Fox-Networks und einen mit Time Warner Cable überdies über den News-Kanal nach dem Vorbild von CNN zweitgrößten Kabelnetzbetreiber der USA ergänzt. Canal+ wurde bei der Übernahme verfügt, mit dem Start des WB-Networks des Seagram-Konzerns im Jahre 2000 von und Viacom mit der Lancierung des Uni- Vivendi mit eingebracht. Das USA-Net- ted Paramount-Networks (UPN, ein Joint work ist Teil der Entertainment-Aktivitä- Venture mit der Chris-Craft-Sendergrup- ten, die Vivendi ein Jahr später von Barry pe) mittlerweile begonnen, ihre eignen Dillers gleichnamigen Medien- und Shop- kleinen Netlets aufzubauen.48 Viacoms vo- ping-Unternehmen übernommen hat, an rerst zaghafter Vorstoß in das Broad- dem Seagram schon seit längerem beteiligt cast-Segment verblasst allerdings ange- war. sichts der 1999 angekündigten und mitt- All diese Kanäle können mit den Pro- lerweile abgeschlossenen Übernahme von gramminhalten der hauseigenen Studios CBS, die mit einem Gegenwert von 34,9 und fremder Anbieter gefüttert werden. Milliarden US-$, zu den größten Medien- fusionen der Geschichte zählt. NBC, das 2.3.4.2 Broadcast und Kabel derzeit noch von General Electric kontrol- Im Broadcast- und Kabelsektor werden Fil- liert wird, ist damit das einzige US-Net- me sowohl national als auch international work, das sich noch nicht im Besitz einer in Paketen von 10–20 Filmen, oft aber der Hollywood-Medienkonzerne befindet. auch kleineren Einheiten für einen be- Neben dem Broadcast-Segment, das stimmten Zeitraum und eine bestimmte nicht zuletzt deshalb attraktiv ist, weil es Anzahl von Ausstrahlungen lizenziert. mit seiner hohen Reichweite den Studios Der Preis eines neuen Films richtet sich in eine ideale Plattform für die Bewerbung der Regel nach seinem Box-Office-Erfolg. ihrer Filme bietet, verfügen die Mutterge- Pakete werden meist so zusammenge-

48 Vgl. Phillip O. Keirstead, Sonia-Kay Keirstead, The World of Telecommunication: Introduction to Broadcasting, Cable, and New Technologies (Boston, London: Focal Press, 1990); Eric Karstens, Jörg Schütte, Firma฀Fernsehen:฀Wie฀TV-Sender฀arbeiten (Hamburg:฀Rowohlt,฀1999),฀135–157. 116 2 Ökonomie

stellt, dass sie einen oder mehrere gefragte – zum Beispiel 20% bei Vertragsunter- Top-Hits neben einer Anzahl kommerziell schrift, 50% nach Erhalt und 30% bei spä- uninteressanter Filme enthalten: Um den teren Läufen.52 Finanziert werden die Ein- zugkräftigen Hit eines Studios exklusiv für käufe der Sender einerseits durch Wer- sein Territorium zu erhalten, muss der bung, andererseits aber auch den Abgaben Käufer üblicherweise auch eine Reihe der MSOs: Anders als beispielsweise in schwächerer Produktionen des Anbieters Deutschland, wo Kabelnetzbetreiber von miterwerben. den Sendern dafür bezahlt werden, dass sie Durchschnittliche Filmpreise liegen von ihnen verbreitet werden, führen ame- derzeit zwischen 2–5 Mio. US-$ pro Aus- rikanische MSOs in der Regel einen gewis- strahlung, wobei einzelne Hit-Titel natür- sen Betrag ihrer Einnahmen an die von ih- lich auch höhere Einnahmen erzielen nen geführten Sender ab. Die Höhe der können.49 In der Regel laufen Filme auf Abgaben richten sich nach der Anzahl der den studiozugehörigen Kanälen. Ist die Subskribenten und kann bis zur Hälfte des Konkurrenz bereit, mehr zu zahlen, wer- Einkommens eines Kabelsenders ausma- den die viel gepriesenen Synergieeffekte chen.53 mitunter aber auch einfach über Bord ge- Fast 70% aller amerikanischen Fern- worfen: Warners HARRY POTTER und sein sehhaushalte verfügen derzeit über einen erstes Sequel THE CHAMBER OF SECRETS aktiven Kabelanschluss. Über 40% dieser (2002) werden nach der Pay-TV-Premiere Kabelhaushalte haben zumindest einen bei HBO nicht auf einem AOL-Kanal lau- Pay-TV-Sender abonniert. fen, sondern bei Disney, das etwa 130 Mio. US-$ für eine zehnjährige Auswertung der 2.3.4.3 Pay-TV beiden Filme auf seinen Broadcast- und Ähnlich wie beim werbeunterstützten Ka- 50 Kabelkanälen bezahlt haben soll. Mitun- belfernsehen (ad-supported cable), wie die ter können derartige Deals auch ziemlich meisten Basic-Cable-Kanäle nach einer kompliziert werden: Sonys SPIDER-MAN neueren Definition heute auch bezeichnet (2002) wird sein Free-TV-Debüt bei Fox ha- werden, finanzieren sich auch Pay-TV- ben, das das Recht hat, den Film zwei mal Sender, indem sie einen Prozentsatz der im ersten Jahr auszustrahlen. Danach geht vom MSO veranschlagten Abonne- der Film für mehrere Läufe an AOL Time ment-Gebühr für sich beanspruchen. Im Warner und dann wieder zurück an Fox, Schnitt liegt die Beteiligung etwas über das noch einmal zwei Läufe für ein Jahr 50%.54 Der Programmeinkauf bei den Stu- erhält. Für den Rest der nach zehn Jahren dios ist dagegen etwas anders organisiert: ablaufenden Lizenz steht SPIDER-MAN In den frühen Tagen des amerikanischen dann wieder AOL zur Verfügung. AOL Pay-TVs (HBO ist seit 1972 in Betrieb und zahlt dafür etwa 40 Mio. US-$, Fox 20 seit 1975 auf nationaler Ebene zu empfan- 51 Mio. US-$. gen) wurden die frei werdenden Filme der Fällig werden diese Zahlungen übli- Studios üblicherweise an alle Pay-TV-An- cherweise nach einem gestaffelten Muster bieter gleichermaßen lizenziert. Das Er-

49 Vgl.฀Dale,฀319;฀Litman,฀81. 50 John฀Dempsey,฀„‚Potter‘฀parlay“ Variety.com,฀29.฀November฀2001. 51 John฀Dempsey,฀Josef฀Adalian,฀„Spidey฀spins฀TV฀gold“ Variety.com, 2.฀Juni฀2002. 52 Vogel,฀133. 53 Vgl.฀Vogel,฀209–211;฀Wasko,฀93–94. 54 Vogel,฀210. 2.3 „Hollywood Accounting“ 117

gebnis waren Programme, die sich kaum Ausmaße nahm das Geschäft mit den unterschieden. Lokale Kabelnetzbetreiber Film-Begleitprodukten aber erst Ende der führten dementsprechend üblicherweise Siebzigerjahre an. Namentlich mit dem auch nur einen der Sender in ihrem Angebot. überwältigenden Erfolg von STAR WARS Mit der Stabilisierung des Marktes und und dem daraus resultierenden Massen- wachsendem Konkurrenzdruck begannen verkauf von Action-Figuren, Fanartikeln Pay-TV-Sender in den Achtzigerjahren und eines instrumentalen Soundtracks, schließlich aber auch längerfristige Out- dem es gelang bis an die Spitze der Al- put Deals und Exklusivverträge mit einzel- bum-Charts vordringen. nen Studios abzuschließen. Heute hat je- Eine besondere Rolle spielt Merchandi- des der Studios zumindest einen der füh- sing seit jeher für Disney, das bereits in renden Pay-TV-Anbieter als Abnehmer sei- den Dreißigerjahren begann, seine Car- ner Produktionen für Laufzeiten von fünf toonfiguren an verschiedene Firmen zu li- bis zehn Jahren unter Vertrag: Warner zenzieren und auch heute rund 10% sei- Bros.-, 20th Century Fox- und Columbia- ner Einnahmen über seine Consumer-Pro- Filme gehen derzeit in der Regel an HBO. ducts-Division erwirtschaftet. Analysten Paramount- und MGM-Produktionen sind gehen dabei von einem drei- bis vierfa- üblicherweise auf Showtime zu sehen. Dis- chen „Multiplikationseffekt“ zwischen Dis- ney und Universal beliefern Starz/Encore, neys Filmproduktionen und seinen ande- der ausnahmsweise nicht zu einem der ren Aktivitäten aus: Für jeden an den ame- Hollywoodmajors gehört, sondern zu rikanischen Kinokassen erzielten Box-Office- John Malones Liberty Media-Gruppe. Dollar kann Disney mit einem Umsatz Läuft ein Vertrag aus, werden die Fron- von drei bis vier Dollar in den Sektoren ten auch hier mitunter gewechselt. Ab Merchandise und Theme Parks rechnen.56 2005 wandert Universal für fünf Jahre zu Für die weniger auf Animation und HBO. Columbia geht dafür für zehn Jahre Kinderunterhaltung spezialisierten Studi- zu Starz.55 Output Deals können Pay-TV- os ist Merchandising eher in Verbindung Sender über eine Milliarde US-$ kosten. mit einzelnen Film- oder TV-Projekten Die Studios gewinnen damit eine stabile von Bedeutung: Eine nicht unbedeutende Grundlage zur Finanzierung zukünftiger Einnahmequelle für Paramount ist sicher- Filme; Pay-TV-Sender profitieren von ei- lich das STAR TREK-Franchise. Der Aufstieg nem gesicherten Programmangebot, um von New Line zum Minimajor begründet ihre kostspieligen Pipelines zu füllen. sich neben der NIGHTMARE ON ELM STREET- Reihe (1984 ff) nicht zuletzt auf den Erfolg der TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES (1990 2. .5 Merchandise, Tie-ins und Pro- 3 ff), die als Spielzeug und Zeichentrickserie duct Placement ähnlich wie bei POKÉMON (1999 ff) aller- Frühe Formen von Merchandising gab es dings schon vor den Spielfilmen existier- zum Teil schon in der Studioära (Kleider, ten. Universals JURASSIC PARK hatte nach Accessoires etc.) und bereits 1965 war die Angaben rund 100 Lizenznehmer, die ge- Corgi-Modellversion von James Bonds As- gen 1000 offizielle Produktlinien in Ver- ton Martin eines der beliebtesten Spiel- bindung mit dem Film hergestellt haben zeuge des Jahres. Die heute gewohnten sollen. Warner Bros. soll allein mit dem

55 John฀Dempsey;฀„U฀sees฀Starz฀again“ Variety.com,฀18.฀Dezember฀2001.;฀ua. 56 Vgl. Bob Tourtellotte, „Disney Shares Surge On Earnings, Bullish Outlook“, Reuters/Variety, 23. April฀1998,฀฀[24.4.1998]. 118 2 Ökonomie

ersten Teil der BATMAN-Reihe rund 50 Mio. Garantiesumme von 250 000 US-$ und eine US-$ an Merchandise-Lizenzgebühren ein- Royalty von 6% vor. Von den 250 000 US-$ genommen haben – etwas weniger als die zahlt der Hersteller bei Vertragsabschluß beiden führenden Spielzeughersteller Has- 100 000 US-$ vorweg. Der Restbetrag wird bro und Mattel für ihre HARRY POTTER-Li- ein Jahr später fällig, d.h. in etwa zu dem zenz ausgegeben haben.57 MGM verfügt Zeitpunkt, wenn der Film in die Kinos mit JAMES BOND über eines der ältesten kommt. Der Hersteller verkauft die Figuren Franchises, das jedoch hauptsächlich mit zu einem Großhandelspreis von 5 US-$ an Product Placement und Tie-ins arbeitet. einen Händler, der sie für 12 US-$ in seinen Einige der Studios verfügen über eigene Filialen anbietet. Der Lizenzgeber erhält 30 Merchandise-Departements. Daneben gibt Cents pro verkaufter Figur, die rechnerisch es spezialisierte Lizenzierungsfirmen, die zunächst akkumuliert werden, bis die Vor- für ihre Vermittlungsdienste zwischen Co- auszahlungen des Herstellers gedeckt sind. pyrighthaltern und Produktherstellern/Li- Ein Produzent wird möglicherweise zenznehmern üblicherweise eine prozen- versuchen einen separaten Deal für die Ein- tuale Beteiligung (zwischen 30% und 50%) nahmen aus dem Merchandisehandel sei- an sämtlichen Einnahmen des Lizenzge- nes Films zu arrangieren. Welche Konditio- bers aushandeln. Merchandiseverträge nen er erhält, hängt wie immer von seinem sind ähnlich strukturiert wie die Abkom- Verhandlungspotenzial und von der Invol- men zwischen Filmdistributoren und Kino- vierung des Studios in die Finanzierung des betreibern: Ein typischer Deal für die Her- Filmprojekts ab. Im Falle einer Studiopro- stellung einer filmbasierten Produktlinie duktion kann der Produzent im Normalfall beinhaltet die Vorauszahlung eines Good aber bestenfalls mit einer Beteiligung zwi- Faith-Betrages durch den Lizenznehmer; schen 25% und 50% an sämtlichen Mer- die Bestimmung einer Lizenzgebühr (Ro- chandiseeinnahmen rechnen – dies übli- yalty) oder besser Beteiligungsrate des Li- cherweise in Kombination mit einer Bre- zenzgebers an den Umsätzen des Lizenz- ak-Even-Klausel. Schauspieler, die buch- nehmers und möglicherweise die Festle- stäblich ihr Gesicht für Figuren oder gung einer verbindlichen Garantiesumme, T-Shirt-Aufdrucke hergeben, erhalten da- deren Auszahlung üblicherweise ein Jahr neben eine separate Royalty von circa 5%.59 nach Vertragsabschluß fällig wird. Wie die Wichtig für das Merchandisegeschäft Vorauszahlungen eines Kinobetreibers stel- ist vor allem, dass die entsprechenden Ar- len der Guarantee-Betrag und die Up Front- tikel bereits vor dem Kinostart im Handel Zahlungen des Lizenznehmers einen Vor- erhältlich sind. Insbesondere Sound- schuss auf die Einnahmen des Lizenzgebers track-Alben, kombiniert mit den üblichen aus seiner Royalty-Beteiligung dar. Diese Videoclips zu Titelsongs, die anders als liegt üblicherweise zwischen 5% und 15% noch in den Achtzigerjahren heute im basierend฀auf฀Großhandelspreisen.58 Film keinesfalls mehr vorzukommen brau- Angenommen ein Spielzeughersteller chen, fungieren aus Sicht des Lizenzgebers möchte Figuren nach den Charakteren eines nicht nur als direkte Einnahmequelle, geplanten Films herstellen. Die Vertragsbe- sondern vor allem auch als Gratiswerbung dingungen sehen dazu die Zahlung einer für den jeweiligen Film.

57 Vgl. Wasko, 204–205, Julien E. Barnes, „Toy Makers Hope to Keep Harry Potter Magic“, Houston Chronicle,฀1.฀November฀2001,฀฀[26.6.2002]. 58 Vgl. Stanford Blum, „Merchandising“, in The Movie Business Book, ed. Squire, 410–411; Stanford Blum,฀„Tentpoles฀lift฀toy฀story“, Variety.com,฀29.฀Januar฀2002. 59 Vgl.฀Blum,฀Merchandising,฀412;฀Baumgarten,฀Farber,฀Fleischer,฀121–122,฀166. 2.3 „Hollywood Accounting“ 119

Von besonderer Bedeutung in diesem etwa 50 Mio. US-$. Dazu gelang es dem Stu- Zusammenhang sind so genannte Tie-ins, dio jedoch Tie-in-Verträge mit Partnern im die im Gegensatz zu Merchandising nicht Werte von sage und schreibe 150 Mio. US-$ zwingendermaßen den Verkauf eines di- abzuschließen. Allein 60 Mio. US-$ stamm- rekt mit dem Film assoziierten Begleitarti- ten dabei aus der Kasse von Taco Bell, das kels beinhalten, sondern lediglich die sich von GODZILLA eine ideale Plattform temporäre Nutzung eines Films als Werbe- zur Lancierung einer neuen Taco-Sorte ver- träger für ein beliebiges Produkt wie Ham- sprach.62 burger oder Corn Flakes – möglicherweise Um sich zu revanchieren, inkludiert in Verbindung mit einem besonderen das Studio die Produkte seiner Sponsoren Preisausschreiben, einer Couponaktion möglicherweise unmittelbar im betreffen- oder ähnlichem. In diesem Fall zahlt der den Film. In der realen Welt hat Apple ei- Lizenznehmer üblicherweise eine direkte nen Marktanteil von etwa 5%. Im Kino be- Gebühr. Sein hauptsächlicher Beitrag zum kommen wir mitunter den Eindruck als Filmprojekt besteht jedoch in der von ihm würde mindestens jeder zweite einen Mac- getragenen Werbekampagne, die einer- intosh-Computer benutzen. Über 1500 seits das Image des Films für das eigene Auftritte in Film- und Fernsehproduktio- Produkt nutzt und im Gegenzug dem nen wurden von Suzanne Forlenza, der Filmprojekt wertvollen Werberaum zur Leiterin, der eigens dafür gegründeten Ab- Verfügung stellt.60 Filme wie GOLDENEYE teilung des Computerherstellers bereits (1995) oder TOMORROW NEVER DIES (1997) vermittelt.63 Product Placement hat sich werden durch die Spots ihres Sponsors im Laufe der Achtziger zu einem standar- BMW ebenso beworben wie durch die ei- disierten Dienstleistungsservice am Rande gens dafür vorgesehenen Trailer. Den Bo- der Filmindustrie entwickelt: Rund 50 Fir- nus bzw. die Einsparungen, die derartige men finden sich in der Mitgliedsliste der Aktionen für ein Filmstudio bedeuten Entertainment Resources & Marketing As- können, sind in Einzelfällen beträchtlich. sociation, die die Interessen der renom- Die Promotionpartner von TOY STORY miertesten Product-Placement-Agenturen, (1995) Burger King, Nestlé und Minute die mit Hollywood arbeiten vertritt.64 Maid haben 1995 gemeinsam rund 50 Mio. Product-Placement-Deals können in US-$ zu Disneys eigenem Werbebudget bei- Verbindung mit einer Tie-in-Aktion auf- gesteuert. Ebensoviel wie BMW, Omega treten oder die Bezahlung einer direkten und Yves Saint Laurent für den ersten Pier- Gebühr beinhalten, die je nach Prominenz ce Brosnan-Bond GOLDENEYE, für dessen des jeweiligen Produkt-Auftritts variiert. Promotion MGM selbst lediglich etwa die 20th Century Fox soll Mitte der Neunzi- Hälfte dieses Betrages ausgegeben haben gerjahre zwischen 20 000 US-$ und 100 000 soll.61 Auch das von Columbia Tristar getra- US-$ für die garantierte Platzierung eines gene Werbebudget für den Start von GOD- Artikels oder Produktnamens in einer sei- ZILLA (1998) belief sich nach Angaben auf ner Großproduktionen verlangt haben.65

60 Vgl.฀Wasko,฀196–202;฀Blum,฀412–413. 61 Vgl. Tiiu Lukk, Movie Marketing: Opening the Picture and Giving It Legs (Los Angeles: Silman-James Press,฀1997),฀263,฀59. 62 Vgl.฀Bart, The฀Gross,฀202. 63 David Graham, „Starring Apple“ Apple Hot News, ohne Datum, ฀[12.6.2002]. 64 Entertainment Resources & Marketing Association, ohne Datum, [12.6.2002]. 65 Vgl.฀Wasko,฀189. 120 2 Ökonomie

Abb.฀25฀฀฀US-Box-Office฀1974–2001(Quelle:฀MPAA)

Oft sind die Auftritte aber auch gratis: chenden Geräte oder Fahrzeuge während Vor allem kostspielige Produkte und der Dreharbeiten. Für den nicht unwahr- schweres Gerät wie Autos werden von scheinlichen Fall, dass das vorliegende Firmen üblicherweise für beide Seiten Skript die Beschädigung oder Zerstörung kostenlos zur Verfügung gestellt. Der des Geräts vorsieht, sicherlich ein faires Produkthersteller übernimmt dazu mög- Geschäft. licherweise die Wartung der entspre-

2.4 Resümee: Kostenexplosion und der globale Markt

Über temporäre Rückschläge hinweggese- auf etwa 920 Millionen (oder 17,7 Millio- hen, ist es den Majors gelungen die jährli- nen Besucher pro Woche) gestiegen. Die chen Einnahmen an den amerikanischen Wachstumsrate für die USA betrug in der- Kinokassen seit 1974 kontinuierlich zu selben Periode sogar 67%. Das Ge- steigern. Dies nicht nur über Ticketpreis- samt-Box-Office-Ergebnis der EU-Staaten erhöhungen, wie die vor allem in den letz- belief sich dabei auf umgerechnet etwa 5,3 ten Jahren wieder gestiegene Zahl der wö- Milliarden US-$; das der USA auf 8,4 Milli- chentlichen Kinobesucher zeigt. arden US-$. Bemessen nach Zuschauerzah- Auch in Europa feiert das Kino derzeit len von 2000 und 2001 beträgt der Anteil eine Renaissance: Nach Angaben der Euro- amerikanischer Produktionen am europäi- päischen Audiovisuellen Informations- schen Kinomarkt dabei etwa 70%.66 stelle ist die Zahl der jährlichen Kinobesu- Die niedrigsten Marktanteile erzielt cher in den EU-Mitgliedsstaaten nach ei- der US-Film bekanntlich in Ländern mit nem rückläufigen Trend in den Achtziger- einer traditionell starken heimischen jahren zwischen 1990 und 2001 um 54% Filmlandschaft wie Frankreich (50%) oder

66 „Focus 2002. World Film Market Trends. A report by the European Audiovisual Observatory“, ed. André Lange & Susan Newman-Baudais, 2002, ฀[14.6.2002]. 2.4 Resümee: Kostenexplosion und der globale Markt 121

Abb.฀26฀฀฀Durchschnittliche฀Kosten฀für฀MPAA-Filme฀1980–2001฀(Quelle:฀MPAA)

Italien (60%), die höchsten im englischen US-$ eingespielt – ein leicht rückläufiger Sprachraum (85%), aber auch in Deutsch- Trend nach einem Peak von 6,8 Mrd. US-$ land, das Dank DER SCHUH DES MANITU im TITANIC Jahr 1998, der zum Teil aller- 2001 einen Marktanteil heimischer Pro- dings auch auf die Stärke des Dollars ge- duktionen von immerhin 18% verbuchen genüber Fremdwährungen zurückzufüh- konnte. Über Lateinamerika oder den asia- ren ist.69 tischen Raum liegen diesbezüglich keine Die strategische Ausgangslage der Ma- detaillierten Daten vor. In Japan, dem jors hat sich damit in den Neunzigerjah- größten Exportmarkt der Majors vor Groß- ren klar verbessert: Neben dem ausländi- britannien und Deutschland, ist der Anteil schen Wachstumsmarkt haben die Studios lokaler Filme am Gesamt-Box-Office mit vor allem durch die Einbettung in diversi- 40% allerdings relativ hoch. Noch stärker fizierte und finanzkräftige Medienkonglo- ist die heimische Filmlandschaft in Hong merate, die dadurch ermöglichten Syner- Kong vertreten: Hier wurden 2001 47% gieeffekte und die Erweiterung der Aus- der Kinoeinnahmen mit lokalen Produk- wertungspalette für ein Filmprojekt an tionen erzielt.67 Rückhalt gewonnen – insbesondere durch Langfristig betrachtet ist die Bedeu- das Videofenster. Das traditionell riskante tung ausländischer Märkte für die Majors Filmgeschäft ist durch diese Faktoren trotz alledem gestiegen: Während die Ma- zweifelsohne sehr viel sicherer geworden jors Anfang der Achtziger noch rund ein als noch vor 20 Jahren. Die neu gewonne- Drittel ihres Umsatzes mit gefilmtem Ma- ne Stabilität sieht sich mittlerweile aber terial (Kino, Video, TV) auf ausländischen wieder durch den markant gestiegenen In- Märkten erwirtschaftet haben, beträgt de- vestitionsbedarf der Studios bedroht. ren Beitrag zum Gesamtumsatz der Studi- Der durchschnittliche Aufwand für os heute etwa 40–45% (siehe Abbildung das Marketing einer Majorproduktion hat 20).68 Allein im ausländischen Kinosektor sich seit 1980 mehr als versiebenfacht und haben Hollywoodfilme 2001 6,3 Mrd. beläuft sich derzeit auf 31,0 Mio. US-$ – in-

67 Vgl. Ibid.; Vigo Friederici, „Europa gegen Hollywood“, Cinema (Februar 1999): 82–83; „Profiles of Hong Kong Major Service Industries“, tdctrade.com, Januar 2002, ฀[14.6.2002]. 68 Vgl.฀Wasko,฀220;฀Toby฀Miller,฀ua., Global฀Hollywood (London:฀BFI฀Publishing,฀2001),฀6. 69 Don Groves, „B.O. world is flat“, Variety.com, 12. Juni 2002; Micheala Boland, „Warner a wiz o’seas฀in฀‘01“, Variety.com,฀3.฀Januar฀2002. 122 2 Ökonomie

Abb.฀27฀฀฀Stargagen฀(Quelle: Internet฀Movie฀Database;฀„Stats฀Entertainment“, Premiere [Oktober 1997]:฀40) klusive der vergleichsweise moderat ge- als dessen temporärer Marktwert errech- stiegenen Kosten für die Herstellungen nen. Regisseurin Nora Ephron: von Filmkopien (1980: 0,8 Mio. US-$, We did SLEEPLESS [IN SEATTLE, 1993] for 2001: 3,7 Mio. US-$). $21 million, and those same people to- Ähnlich drastische Steigerungsraten day, just to cast that movie in exactly the weisen die durchschnittlichen Produk- same way, with Tom Hanks and Meg tionskosten eines Majorfilms auf, die sich Ryan (...) would cost $45 million, $50 – inklusive Overhead und Zinsen – von 9,4 million. Mio. US-$ im Jahr 1980 auf 47,7 Mio. US-$ im Jahr 2001 erhöht haben. Während die Martin Scorsese: Marketingkosten auch 2001 wieder gestie- The Color of Money cost $10 million in gen sind, konnten die Produktionskosten 1986. It would probably cost $60 Million erstmals seit vielen Jahren stabilisiert wer- today.70 den: Beeinflusst durch die Mammutpro- duktion TITANIC lag die Rate 1997 bereits Die gegenwärtigen Obergrenzen für Star- bei 53,4 Mio. US-$. löhne liegen bei 20–25 Mio. US-$ für Entschieden zur Kostenexplosion bei- männliche Hauptdarsteller und rund 20 getragen haben neben der durch den Wett- Mio. US-$ (Julia Roberts) für weibliche bewerb der Studios angeheizte Nachfrage Hauptrollen. Dass es sich hierbei nicht nach hoch budgetierten Event Movies vor nur um Steigerungen des individuellen allem aber die in den Neunzigerjahren Marktwertes einzelner Schauspieler han- massiv gestiegenen Stargagen, die sich aus delt, sondern um eine generelle Erhöhung den zu erwartenden Mehreinnahmen ei- der Marktpreise, demonstrieren u.a. Bei- nes Films, in dem ein Schauspieler auftritt, spiele wie Eddie Murphy oder Sylvester

70 Zit.฀in:฀Peter฀Biskind,฀„The฀Sweet฀Hell฀of฀Success“, Premiere (October฀1997):฀86. 2.4 Resümee: Kostenexplosion und der globale Markt 123

Abb.฀28฀฀฀Weltweites฀Box฀Office฀der฀Top฀100฀in฀Mio.฀US-$,฀2001฀(Quelle: Variety;฀Kahn, Box฀Office฀Sta- tistics)

Stallone, die, wie in Abbildung 27 zu se- Doppelte, also 208 Mio. in Gross Receipts hen, zur Zeit ihrer größten Erfolge in den einspielen, um bereits an der Kinokasse Ge- Achtzigerjahren noch deutlich geringere winne zu schreiben. Ein derartiges Ergebnis Gagen bezogen haben als heute. haben, wie die Markierung in Abbildung 28 Etwas mehr als ein Drittel der hundert anzeigt,฀2001฀jedoch฀nur฀17฀Filme฀erzielt. erfolgreichsten Hollywoodproduktionen Deutlich sichtbar wird in der Graphik aus dem Jahre 2001 haben zum Zeitpunkt das starke Gefälle zwischen einer sehr li- dieses Schreibens weltweite Box-Office-Er- mitierten Anzahl übermäßig erfolgreicher gebnisse von über hundert Millionen US-$ Flaggschiffproduktionen und dem Groß- erzielt. Zwölf Filme, inklusive HARRY POT- teil aller übrigen Filme. Hollywood begeg- TER AND THE SORCERER’S STONE und THE net der relativen Unsicherheit des Filmge- LORD OF THE RINGS:THE FELLOWSHIP OF THE schäfts traditionsgemäß durch eine Art RING, haben die 300 Millionen-Marke Portfolio-Strategie: Die notwendige Streu- durchbrochen. Solche Ergebnisse erschei- ung, Kapazitätsauslastung, aber auch Pub- nen für sich genommen eindrucksvoll. likumsbindung wird durch die Aufrechter- Um eine ausgewogenere Perspektive auf haltung eines regelmäßigen Film-Outputs die ökonomische Situation der Studios erzielt. Die dabei zwangsläufig anfallen- und die wachsende Bedeutung der Neben- den Verluste werden durch massive Ein- märkte zu gewinnen, müssen gegen diese nahmezuwächse bei einzelnen Treffern Zahlen jedoch die obigen Kostendurch- ausgeglichen. Das kommerzielle Filmge- schnittswerte gehalten werden. schäft gleicht damit, wie es Marc E. Platt, Der Start einer Majorproduktion kostet der ehemalige Chief Executive von Tristar basierend auf den Zahlen von 2001 rund Pictures, in einem Interview umschreibt, 78,7 Mio. US-$ auf dem US-Markt allein. der Suche nach Ölreserven: Dieser Durchschnittsfilm muss unter An- nahme einer internationalen Distributions- Platt: „Meistens gibt es Trockenbohrungen.“ gebühr von 33% und von allen anderen Kos- Interviewer: „Wenn eine Bohrung auf Öl ten und Beteiligungen abgesehen mindestens stößt... 104 Mio. US-$ in Rentals oder rund das Platt: „...ist die Gewinnmarge extrem.“71

71 Zit. in: „Der neue grosse Markt – Deutschland: Interview mit Major-Boss Marc E. Platt“, Cash. Das Kapitalanlage฀Magazin,฀(September฀1996):฀36. 124 2 Ökonomie

Extreme Gewinnmargen sind für Holly- fast unerklärlichen Internethype weltweit wood im gesättigten Unterhaltungsmarkt mehr als 240 Mio. US-$ eingespielt. der Neunzigerjahre vor allem in zwei Be- Eine von Filmemachern häufig beklag- reichen zu erzielen: Einerseits, wie oben te Folge dieser Polarisierung ist die Aus- zu sehen, im Top-Segment aufwändiger dünnung des mittleren Segments von Blockbuster, andererseits aber auch mit er- Standardfilmen mit Produktionsbudgets folgreichen Low-Budget-Produktionen zwischen 20 und 50 Mio. US-$, die im Ge- aus dem Wirkungsbereich der Semi-Inde- gensatz zum Blockbuster- und Eventkino, pendents und Speciality-Divisionen der das wegen seiner enormen Kosten immer Majors. ein möglichst breites Publikum erreichen Blockbuster tragen ein sehr hohes fi- muss, noch verhältnismäßig größere nanzielles Risiko, bieten dafür aber die Spielräume für inhaltliche und formale Chance enorme Umsätze insbesondere Experimente offen lässt. Steven Spielberg: auch in den Sekundärmärkten zu erzielen. I think that we’re at DefCon Three right Gleichzeitig ebnen diese Filme im Erfolgs- now. Everybody is looking to their fall üblicherweise den Weg für nunmehr neighbor to see what they’re making. The- berechenbare und daher vergleichsweise re’s always some highwatermark, and risikoarme Kino-Sequels, TV- oder Video- every year it inches up. It’s not going to be Spin-offs und stellen schon allein deshalb long before an average film, without mar- ein lohnenswertes Zukunftsinvestment keting, is going to cost $55 million. It is für ihre Unternehmen dar. getting to the point where only two kinds Auf Nischemärkte zielende Low-Bud- of movies are being made, the tentpole get- und Erstlingsfilme haben zwar grund- summer or Christmas hits or the sequels, sätzlich weniger Aussichten auf derartige and the audacious little Gramercy, Fine Erfolgsszenarios, stellen für ein Majorstu- Line, or Miramax films.“ (...) Right now dio dafür aber auch ein schon fast ver- we are squeezing the middle class out of nachlässigbares Risiko dar: Das Abkom- Hollywood and only allowing the $70 men zwischen Miramax und Disney bei- million-plus films or the $10 milli- spielsweise gibt dem „Indie“ freie Hand on-minus films. And that is going to spell bei Filmen mit Budgets bis zu 12 Mio. doom for everyone.73 US-$.72 Gelingt einer derartigen Produkti- on der Durchbruch in den Mainstream- Variety-Chefredakteur Peter Bart: markt, kann deren Rendite, bemessen am finanziellen Aufwand, dann häufig sogar It’s no secret that most of the resources of weit über denen einer Großproduktion lie- the studios, both psychic and financial, gen. Einer der größten Coups der Filmge- are consumed by tentpole projects. Al- schichte ist dabei im Sommer 1999 be- most every production chief has reiterated kanntlich dem Indie-Distributor Artisan the theory that the only projects that mit dem Überraschungshit THE BLAIR stand much of a chance are those costing WITCH PROJECT (1999) gelungen: Produ- either less than $15 million or more than ziert für ein geschätztes Budget von rund $70 million – that the so-called „midd- 100 000 US-$ und von Artisan für 1,1 Mio. ling“ projects are a waste of time and US-$ akquiriert, hat der pseudodokumen- energy. With this in mind, the studios tarische Horrorfilm, getragen von einem have announced expanded programs of

72 Vgl.฀Dale,฀63. 73 Zit.฀in:฀Peter฀Biskind,฀„A฀‚World‘฀Apart“, Premiere (May฀1997):฀112. 2.4 Resümee: Kostenexplosion und der globale Markt 125

niche or genre films, and have pumped up Grundsätzlich stehen in Hollywood the spending on their tentpole pictures. In kreatives und finanzielles Risiko dabei in short, having condemned the „movies- direkt umgekehrt proportionalen Verhält- in-the-middle“, they’ve set about to make nis zueinander. Je teurer ein Film ist, desto this a self-fulfilling prophecy.74 geringer wird das kreative Risiko sein, das das Studio bereit ist einzugehen. Je weni- Spike Lee: ger ein Film kostet, desto größer der ästhe- tische und inhaltliche Spielraum des Fil- If you’re not making a film that’s going to memachers. Politisches Interesse spielt da- cost $100 million, they don’t want it. bei vordergründig kaum eine Rolle: Für There’s a lot less variety than there was Sony Pictures stellt es ganz offensichtlich ten years ago. We tried to do a Jackie Ro- keinen Widerspruch dar, einen seinen Pat- binson film – and we’re having trouble riotismus und Patriarchismus unverhüllt with that – for between $45 million and vortragenden Blockbuster wie AIR FORCE $50 million, which the studios think is a ONE (1997) oder eine stumpfsinnige Slap- lot of money for a historical piece, a who- stick-Komödie wie BEVERLY HILLS NINJA le lot of money for a baseball film, and a (1997) zu finanzieren und gleichzeitig whole, whole, whole lot of money for durch sein Classics Label ein limitiertes what might be considered a black base- Engagement bei der belgisch-französichen ball film, even though we think it’s an Produktion MA VIE EN ROSE (1997) oder important part of American history. It’s dem US-Indiefilm IN THE COMPANY OF MEN much harder to get a movie made now.75 (1997) einzugehen, die sich beide auf Massenmedial verbreitete Filme berühren mehr oder weniger subtile Weise mit The- zweifelsohne immer auch eine soziopoliti- men wie Identität und Geschlechterrollen sche Dimension. Vom Standpunkt Holly- auseinander setzen. woods aus betrachtet, stellen sich die Fra- Ähnliche Beispiele ließen sich auch für gen inhaltlicher Gestaltungsfreiheit und die anderen Studios aufzählen, die mittler- Produktfilterung, wie die obigen State- weile alle ihre Classics-Divisionen eröffnet ments andeuten, jedoch nahezu aus- haben. Die breiteste Zielgruppenpalette schließlich im Kontext eines rein finan- unter den Majors hat derzeit aber sicher- ziellen Kalküls. Welche Filme von einem lich Disney, das einerseits für die kontrol- Studio unterstützt werden und wie diese lierte Sauberkeit seiner Familien- und Kin- im Detail aussehen, hängt sicherlich im- derunterhaltungsschiene bekannt ist, mit mer auch vom herrschenden soziopoliti- Touchstone-Releases wie CON AIR oder schen und ideologischen Klima ab, spie- ARMAGEDDON aber ebenso den gewaltlasti- gelt dieses wieder und hat in der Folge gen Action- und Jugendmarkt bedient und möglicherweise auch Einfluss auf diese daneben mit Miramax über eine der wich- Sphären. Von unmittelbarem Interesse für tigsten Institutionen im amerikanischen ein Studio als ökonomisch arbeitendes und internationalen Independent-Sektor Unternehmen ist jedoch in erster Linie die verfügt. Klagen über die moralische Un- Frage der Rentabilität, was einen gewissen vereinbarkeit dieser strategischen Diversi- „künstlerischen“ Prestigefaktor selbstver- fikation kommen üblicherweise lediglich ständlich nicht ausschließt. aus den Reihen konservativer Interessen-

74 Peter฀Bart,฀„It’s฀tentpole฀time“, Variety.com,฀27.฀April฀1998. 75 Zit.฀In:฀Biskind,฀„Sweet฀Hell“,฀86. 126 2 Ökonomie

gruppen, die wie bereits prominent Eliza- schen U und E, Mainstream und Sub- oder beth Dole, oder die Catholic League for Re- Gegenkultur zunehmend auf. Wie Georg ligious and Civil Rights ihre Disney-Aktien Seeßlen die politische Gleichgültigkeit der verkauft oder zum Boykott des Konzerns Majors auf den Punkt gebracht hat, würde aufgerufen haben – ohne damit jedoch Hollywood ohne weiteres auch das Kom- nennenswerten Druck auf das Unterneh- munistische Manifest verfilmen, wenn men ausüben zu können. mit einem derartigen Projekt Geld zu ver- Ähnlich wie in der Musikbranche lö- dienen wäre.76 sen sich auch beim Film die Grenzen zwi-

76 Vortrag in der Reihe Gespräche über Medien, Realitäten und Erzählweisen, 9. Februar 1997 an der Universität฀Wien. 3 Geschichte

3.1 „Boom and Bust“: Krise und Reformierung des Studiosystems nach 1945

Bei allem strukturellen Wandel scheint zahlen.1 Dazwischen sieht sich Hollywood sich aus gegenwärtiger Sicht an der domi- mit einer Reihe drastischer Einschnitte in nanten Stellung der Hollywoodmajors sein wirtschaftliches Gefüge und kulturel- kaum etwas geändert zu haben: Auch len Transformationen konfrontiert, die wenn sich unter gewissen Aspekten von die Majorstudios an den Rand eines voll- einer Aufweichung der direkten und hie- ständigen Zusammenbruchs führen. rarchisch organisierten Kontrolle über die Produktion und den Vertrieb ihrer Filme 3.1.1 Die Consent Decrees von 1949 sprechen lässt, halten die Studios nach wie vor alle wichtigen Fäden in der Hand Wie bereits angemerkt, kontrollieren die und sind im Verbund ihrer Mutter- und Majors, genauer die so genannten Big Five Partnergesellschaften heute wohl sogar der klassischen Studioära – MGM, Para- mächtiger und abgesicherter gegen äußere mount, Warner Bros., 20th Century Fox Konkurrenz denn je zuvor. und RKO – in den Zwanziger bis Vierziger- Nichtsdestoweniger gehen die Formie- jahren nicht nur die Produktion und Dis- rung dieser neuen ökonomischen und or- tribution, sondern auch die Ausstrahlung ganisatorischen Strukturen, ebenso wie ihrer Filme direkt über den Eigenbesitz der gewisse stilistische und inhaltliche Trans- wichtigsten Kinoketten des Landes. Die formationen des Hollywoodfilms, aus ei- drei kleineren Majors oder Minors – Uni- ner anhaltenden und tiefen Krisenphase versal, Columbia und United Artists – ar- der alten Studios hervor, die bereits kurz beiteten mit unabhängigen Kinobetrei- nach Ende des zweiten Weltkriegs, als das bern, teilweise aber auch mit den Big Five amerikanische Kino noch Rekordbesuche zusammen. Zahlenmäßig befinden sich und Produktionszahlen verzeichnet, ein- zwar nur etwa 2600 Häuser oder 16% des setzt und bis Mitte der Siebzigerjahre an- amerikanischen Kinobestandes in den dauert: Nach einem Peak von 1,7 Milliar- Händen der Majors; diese stellen jedoch den US-$ im Jahre 1946 sinken die jährli- rund 70% der so genannten First Run-Hou- chen Box-Office- Einnahmen der Majors ses (Premierenkinos) in den dichtbesie- bis 1961 auf einen historischen Tiefstand deltsten Städten der USA und erzielen da- von 0,9 Milliarden. Erst 1974 wird das alte mit rund 75% des gesamtamerikanischen Hoch erstmals wieder erreicht, wenn auch Kinoumsatzes. 20% gehen an Universal, mit einer deutlich reduzierten Anzahl von Columbia und United Artists. Bezeich- Filmen und Zuschauern, die dafür bereit nendermaßen fließen in dieser frühen Pe- sind, deutlich höhere Eintrittspreise zu be- riode Hollywoods rund 94% der Investi-

1 Vgl. Justin Wyatt, High Concept: Movies and Marketing in Hollywood (Austin: University of Texas Press, 1994), 67; Thomas Schatz, „The New Hollywood“, in Film Theory Goes to the Movies, eds. Jim Collins,฀Hillary฀Radner,฀Ava฀Preacher฀Collins฀(New฀York,฀London:฀Routledge,฀1993),฀16. 128 3 Geschichte

Abb.฀29฀฀฀US-Kinobesucher฀und฀Kinos฀1922–2001฀(1922–1970฀Kinos,฀ab฀1971฀Leinwände) (Quelle: Brown, Movie฀Time;฀MPAA) tionen der Majors in die großen urbanen ten zu trennen. Daneben werden als wett- Kinopaläste und nur 6% in die Bereiche bewerbswidrig erachtete Praktiken wie das Produktion und Distribution. Die Big Five so genannte Block Booking verboten – eine sind damit zugespitzt formuliert in der so Verkaufsstrategie, die wie heute im Fern- genannten Studioära vornehmlich Kino- sehsektor wieder üblich unabhängige Ki- besitzer, die ihr eigenes Programm produ- nobetreiber zwang, mit dem zugkräftigen zierten.2 Buchstäblich gilt dies für MGM, A-Film immer auch eine Reihe zweitklassi- das ursprünglich in der Tat eine Tochter- ger Produktionen des jeweiligen Studios gesellschaft der Loews-Kinokette war. ins Programm zu nehmen.3 Das Ende dieser Disposition kommt Aus rückwärtiger Sicht hätten die Ma- mit den so genannten Paramount Consent jors unter den gegebenen Umständen kei- Decrees, einfachheitshalber oft auch das ne günstigere Entscheidung treffen kön- Paramount Decree von 1949 genannt – ein nen: Erstens erlaubt es ihnen die Domi- auf Bestreben unabhängiger Kinobesitzer nanz im Produktions- und vor allem die und des amerikanischen Justice Depart- Schlüsselposition im Distributionsbereich ments erwirkter Beschluss des Supreme auch weiterhin den Markt zu kontrollie- Courts gegen die monopolistische bzw. ren. Zweitens zwingt das Paramount De- oligopolistische Stellung der Majors, der cree die Big Five zum Ausstieg aus der di- sie vor die Wahl stellt, entweder die Kon- rekten Investition in einem Sektor, dem trolle über die Distribution ihrer Filme mit der Ankunft des Fernsehens ohnehin oder den Ausstrahlungssektor aufzugeben. eine bis heute nie mehr überwundene De- Die Studios ziehen die letztere Variante gradierung bevorsteht: Mit dem Verlust vor: Die zunächst von Paramount und der Kinosäle geht den Studios zwar ein kurz darauf auch von den übrigen Studios Großteil ihrer bisherigen Einnahmen ver- akzeptierten Anerkennungsurteile verlan- loren, gleichzeitig bewahrt er sie aber auch gen von den Majors, sich binnen einer vor einer doppelten Exponierung in der Frist von fünf Jahren von ihren Kinoket- sich mit Auslauf der Trennungsfrist bereits

2 Vgl. David A. Cook, A History of Narrative Film, 2nd ed., (1981; New York, London: W.W. Norton, 1990),฀301,฀319. 3 Vgl. Thomas Schatz, Boom and Bust: American Cinema in the 1940. History of the American Cinema. Vol. 6 (2000; Berkeley: University of California Press, 2002), 14–21, 160–164, 323–328; Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀478. 3.1 „Boom and Bust“ 129

deutlich abzeichnenden Krise des Kinos. wohlwollende Aufnahme bei Hollywood Wie hoch die durch die Trennung verur- Top-Stars und -Verdienern wie Bette Da- sachten Einbussen für die Majors sind, vis, Bing Crosby, Kirk Douglas oder Stames deutet das Beispiel von Paramount an: In- Stewart, da ihnen der selbstständige Status nerhalb eines Jahres gehen die Erträge des in Obhut von unabhängigen Talentagen- Studios von 20 Millionen auf 6 Millionen turen nicht nur erlaubt, über Profitpartizi- US-$ zurück.4 pationen erstmals zu Teilhabern ihrer Fil- Daneben hat das Decree aber auch di- me zu werden, sondern auch eigene Ge- rekte Auswirkungen auf die organisatori- sellschaften zu gründen und so, nach ein- sche Struktur der Filmindustrie: Mit dem schneidenden Abgabeerhöhungen für bes- Verlust der Kontrolle über den Ausstrah- ser Verdienende Angestellte im Zuge der lungssektor und dem finanziellen Ein- Reformpolitik Präsident Roosevelts, ihre bruch wird erstmals die fließbandartige drastisch gestiegenen Steuersätze um rund Filmmassenproduktion der Studios in Fra- 50% zu senken.7 ge gestellt und damit auch die Rentabilität Wie aus aus den Studioprofilen in Ta- des bislang üblichen Angestelltenbetriebs. belle 4 ersichtlich ist das Paramount De- Thomas Schatz sieht in den Folgen des Pa- cree in Folge diverser deregulatorischer In- ramount Decrees denn auch den entschei- itiativen unter der Reagan-Administration denden Auslöser für den Wechsel der Ma- heute nur mehr bedingt aktiv: Nach Anga- jors zum Package-Unit-System: ben von Janet Wasko gab das amerikani- sche Justice Department 1986 bekannt, es Without the cash flow from their theaters würde Akquisitionen von Kinos durch Ma- and a guaranteed outlet for their product, jors grundsätzlich nicht mehr entgegen- the established studio system was effecti- treten, die Aktivitäten der Studio-Distribu- vely finished. The studios gradually fired toren aber überwachen.8 Mit Ausnahme their contract personnel and phased out von 20th Century Fox und MGM began- active production, and began leasing their nen die Majors und ihre damaligen Mut- facilities for independent projects, gene- tergesellschaften danach alle ihre Rück- rally providing co-financing and distribu- kehr in den Ausstrahlungssektor vorzube- tion as well.5 reiten: MCA/Universal beteiligten sich zu Hinzu kommen der sich mit Verbreitung 50% an Cineplex Odeon, das damals 1056 des Fernsehens zuspitzende Nachfragever- Leinwände umfasste. Gulf and Western/ lust des Publikums und dadurch bedingte Paramount, die bereits seit den Siebziger- Produktionsabbau der Studios, die, wie jahren die kanadische Famous Players- Jim Hillier anfügt, mit oder ohne Para- Gruppe kontrollierten, erwarben Festival mount Decree eine solche Umstrukturie- (101 Leinwände) und Mann Theaters (360 rung und Verlagerung auf die Produktion Leinwände), zu dem unter anderem das einzelner฀Filmprojekte฀nahegelegt฀hätten.6 berühmte Grauman’s Chinese Theater in Auf der anderen Seite findet der Wech- Los Angeles gehört. Die Cinamerica-Kette sel zum Package-Unit-System aber auch (472 Leinwände) entstand ein Jahr später

4 Vgl. American฀Cinema,฀Vol.฀4:฀The฀Studio฀System. 5 Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀11. 6 Vgl.฀Hillier,฀8. 7 Vgl. Douglas Gomery, „Hollywood Corporate Business Practice and Periodizing Contemporary Film฀History“,฀in Contemporary฀Hollywood฀Cinema,฀eds.฀Neale,฀Smith,฀49–50. 8 Vgl.฀Wasko,฀179. 130 3 Geschichte

als ein Joint-Venture mit Warner Bros. Co- nötig, den Absatz ihrer Produkte durch di- lumbia Tristar übernahmen USA Cinemas rekte Beteiligungen im Ausstrahlungssek- (317 Leinwände) und Loews (230 Lein- tor abzusichern: Wie der Blick auf ein be- wände).9 liebiges Kinoprogramm in den USA oder Nach dem Boom der späten Achtziger Europa zeigt, führen die unterschiedli- ist mittlerweile aber wieder eine gewisse chen Kinos einer Region üblicherweise alle Ernüchterung unter den Majors eingetre- dieselben 8–10 aktuellen Top-Produktio- ten: Zehn Jahre nach deren Akquisition nen der Studios. Hollywoodfilme sind da- haben Viacom und Time Warner im De- mit zumindest in diesem Sektor ein relativ zember 1997 den Verkauf der Cinamerica/ limitiertes und stark gefragtes Produkt, das Mann Theaters-Gruppe bekannt gegeben. letztendlich keiner zusätzlichen Restrik- Unter der Leitung ihres neuen Besitzers, tionen durch seine Anbieter bedarf. dem Kabelbetreiber Weststar, musste das Etwas anders ist dieses Verhältnis im traditionsreiche Unternehmen im Sep- Bereich des Fernsehens, das nicht nur über tember 1999 schließlich sogar den Bank- eine weitaus größere Programmangebots- rott anmelden. Paramount und Warner palette verfügt, sondern auch den Vorteil, haben darauf die Kontrolle wieder über- den finanziellen Wert der Ware nach dem nommen, suchen nach Angaben aber wei- Kinolauf bereits abschätzen zu können. terhin nach einem Käufer.10 Wohl nicht ganz zufällig lebt denn auch Pleite ist inzwischen auch die nach ei- gerade hier die altbekannte Block-Book- ner Fusion von Sony und Universal ge- ing-Strategie wieder auf. meinsam kontrollierte Loews/Cineplex- Gruppe. Beide Unternehmen haben ihre 3.1.2 Der große und der kleine Bild- Verluste in der bis dahin drittgrößten Ki- schirm nokette der Landes mittlerweile abge- schrieben – und auch hier wird der neue Das Paramount Decree ist für die Majors Besitzer voraussichtlich kein Studio sein, schmerzhaft. Die tiefste und nachhaltigs- sondern die kanadische Investmentfirma te Zäsur erfährt das alte Hollywood aber Onex.11 durch den Ende der Vierzigerjahre einset- Kinobesitz spielt in der heutigen Me- zenden Siegeszug des Fernsehens, durch dienlandschaft nur mehr eine sekundäre welches dem Kino, das zuvor eine unange- Rolle. Die Interessen der Majors haben fochtene Monopolstellung auf audiovisu- sich deutlich auf das „vertikale“ Integra- elle Unterhaltung genießt, ein bald über- tionspotenzial und die Auswertungsfens- mächtiger Konkurrent erwächst: 1949 ver- ter Video und Fernsehen verlagert. Die fügen rund eine Million US-Haushalte Kontrolle über einige hundert Leinwände über ein Fernsehgerät. Nur zwei Jahre spä- fällt bei einer Standardisierung von natio- ter befinden sich bereits über 10 Millio- nalen Filmstarts mit 2000 bis 3000 Kopien nen Geräte in Betrieb. Bis 1959 steigt die und Peaks von über 6000 Kopien kaum Zahl auf beinahe 50 Millionen.12 Im sel- mehr ins Gewicht – und tatsächlich haben ben Zeitraum halbiert sich die Rate der es die Majors letztendlich ja auch kaum wöchentlichen Kinobesucher und sinkt

9 Stephen Price, A New Pot of Gold: Hollywood Under the Electronic Rainbow, 1980-1989. History of the American฀Cinema.฀Vol.฀10฀(2000;฀Berkeley:฀University฀of฀California฀Press,฀2002),฀84–89. 10 Carl฀Diorio,฀„Exhib฀Mann฀looking฀for฀its฀man“, Variety.com,฀23.฀Mai฀2002;฀ua. 11 Tamsen฀Tillson,฀„Onex฀annex฀of฀Loews฀chain฀OK’d“, Variety.com,฀24.฀April฀2001;฀ua. 12 Vgl.฀Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀478. 3.1 „Boom and Bust“ 131

von geschätzten 87,5 Millionen im Jahre eine Blockadestrategie und lassen weder die 1949 auf rund 42 Millionen im Jahre Ausstrahlung ihrer Filme, noch die Ver- 1959. Das goldene Zeitalter des Kinos ist wendung ihrer Vertragsstars im Fernsehen damit zwar unwiederbringlich verloren. zu. Wie an den heutigen Strukturen der Film- Die ersten Anzeichen für eine Aufwei- und Medienlandschaft abzulesen ist, hat chung dieser starren Konkurrenzhaltung es Hollywood jedoch stets verstanden, finden sich in der erfolgreichen Lancie- sich derartigen Bedrohungen und wan- rung einer Sendereihe namens DISNEY- delnden Verhältnissen früher oder später LAND im Jahre 1954, in der das aufblühen- erfolgreich anzupassen. de Animationsstudio in Verbindung mit Zunächst wollen einige der Majors kleinen Serien und Filmausschnitten sei- selbst in den neuen Markt einsteigen. War- nen soeben fertiggestellten Vergnügungs- ner, Paramount und Fox planen den Kauf park promotet. Vom Erfolg der wöchentli- von TV-Stationen in amerikanischen chen Serie beeindruckt, lancieren drei der Großstädten. Eine andere Idee ist es, Kinos Majors ein Jahr später mit THE MGM PARA- mit Videoprojektionssystemen auszustat- DE, THE TWENTIETH CENTURY FOX THEATRE ten und sportliche, politische und andere und WARNER BROTHERS PRESENTS ähnliche Großereignisse neben dem üblichen Film- Shows, die die Ausstrahlung von TV-Kurz- betrieb als so genanntes „Theater Televisi- remakes alter Kinoerfolge beinhalten (z.B. on“ zu übertragen. Paramount experimen- eine Serienversion von CASABLANCA), tiert daneben mit einer frühen Form von kombiniert mit unterschiedlichen Hinter- Pay-TV, bei der Kunden gegen Münzein- grundreportagen, die ähnlich wie die heu- wurf in eine so genannte „Telemeter Box“ tigen Making-of-Beiträge die aktuellen Ki- via Telefonleitung Filme und andere Pro- noproduktionen der Studios bewerben.14 grammangebote für den heimischen Fern- Psychologisch ist das Eis damit schon sehkonsum beziehen können. Technische einmal gebrochen. Ausschlaggebender Schwierigkeiten, mangelnde Unterstüt- dürfte letztendlich aber das stetige Wachs- zung, Interventionen der Broadcast-Lob- tum des neuen Mediums gewesen sein, das by, die vor der Vernichtung des frei zu- einerseits den ökonomischen Druck auf gänglichen Fernsehens warnt und vor al- die Studios erhöhte, andererseits, wie Ri- lem aber die Entscheidung im Para- chard Maltby argumentiert, aber auch erst mount-Fall machen diese Pläne jedoch zu- 1953 einen Grad erreicht hatte, an dem nichte. Bereits Ende der Vierzigerjahre gibt der Markt stark genug war, um lohnende die FCC, die die Vergabe von TV-Lizenzen Preise für die Produkte der Filmindustrie überwacht, den Majors zu verstehen, sie abzuwerfen. Wie es Paramount-Präsident werde jeden Versuch der Studios, sich TV- Barney Balaban seinerzeit formuliert ha- Stationen anzueignen, unterbinden.13 Der ben soll: „Television can have Paramount Aussichten das neue Medium direkt kon- product when it can pay for it.“15 trollieren zu können beraubt, betreiben In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjah- die Majors bis Mitte der Fünfzigerjahre re beginnen die Majors ihre Filmarchive

13 Vgl. Timothy R. White, „Hollywood’s Attempt at Appropriating Television: The Case of Para- mount Pictures“, in Hollywood in the Age of Television, ed. Tino Balio, (Boston, London: Unwin Hyman,฀1990),฀145–162. 14 Vgl. Thomas Schatz, The Genius of the System: Hollywood Filmmaking in the Studio Era (1989; New York:฀Metropolitan฀Books฀Henry฀Holt,฀1996),฀477–478. 15 Zit. in: Richard Maltby, „Nobody Knows Everything: Post-Classical Historiographies and Consoli- dated฀Entertainment“,฀in Contemporary฀Hollywood฀Cinema,฀eds.฀Neale,฀Smith,฀29–30. 132 3 Geschichte

für das Fernsehen zu öffnen. Bereits 1958 Fernsehen oder das Fernsehen das letzte sind alle Majors außer Universal, das sich Glied in der Auswertungskette eines Kino- erst 1959 nach der Übernahme durch films. Neben Filmen produzieren die Ma- MCA dem Trend anschließt und in der Fol- jors Serien, Game-Shows und Sitcoms. ge zum bedeutendsten Fernsehproduzen- Über 40% der Prime-Time-Programmie- ten unter den Majorstudios wird, selbst in rung des amerikanischen Broadcastseg- der TV-Produktion engagiert, vermieten ments stammt heute von einem der Ma- ihre Ressourcen an die neu entstehenden jors oder ihren Partnerunternehmen.20 Fernsehproduktionsgesellschaften und Zurückreichend auf die Blockadephase stellen mit ihren Filmen nach Schätzun- der Majors in den frühen Fünfzigerjahren gen rund 25% aller gesponserten TV-Pro- lässt sich neben dieser Konvergenzbewe- gramme.16 Zu Beginn der Sechzigerjahre gung aber auch eine gegenläufige Linie hat jedes der drei amerikanischen Net- ausmachen, die dahin zielt, das Kinoerleb- works mindestens einen wöchentlichen nis um innovative Attraktionswerte zu be- Fixplatz zur Hauptsendezeit für Holly- reichern, es deutlich vom Konkurrenzan- wood-Spielfilmproduktionen reserviert – gebot Heim-TV abzuheben und somit ei- 1968 bereits je zwei.17 nen neuen Legitimationsrahmen für das Mit der wachsende Nachfrage begin- Kino zu schaffen. Als solche Schritte sind nen auch die Preise zu steigen: Während zunächst die Ausweitung und spätere NBC 1961 noch durchschnittlich 180 000 Standardisierung der Farbfilmproduktion US-$ für einen Film für seine SATURDAY zu werten, vor allem die Einführung der NIGHT AT THE MOVIES-Schiene ausgibt, liegt unterschiedlichen Breitwandformate (Ci- der durchschnittliche Preis für die zwei- nerama, CinemaScope, PanaVision, Vista- malige Ausstrahlung eines Majorfilms Vision, 70mm-Todd-AO u.a.) und des Ste- 1967 schon bei rund 800 000 US-$.18 ABC reotons – und, auch wenn dieses Projekt soll 1971 bereits 5 Millionen US-$ für LAW- mittlerweile als ebenso gescheitert gilt wie RENCE OF ARABIA und 3 Millionen US-$ für die Kuriositäten des Geruchskinos, Aroma- LOVE STORY bezahlt haben. 1972 machen rama und Smell-o-Vision, die Entwicklung 227 Majorfilme grob die Hälfte aller ameri- des 3-D Films. kanischen TV-Spielfilm-Features aus und Abgestimmt auf das vergrößerte Lein- belegen rund ein Viertel der Primetime-Pro- wandformat erscheint Mitte der Fünfziger grammierung der drei großen Networks.19 bis Sechzigerjahre ein Zyklus epischer und In der heutigen Medienlandschaft aufwändiger Historien- und Kostümfilme lässt sich von der alten Rivalität zwischen wie THE ROBE (1953), WAR AND PEACE Kino und Fernsehen kaum mehr sprechen: (1956), THE TEN COMMANDMENTS (1956), Studios und die wichtigsten US-Fernseh- AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS kanäle mit Ausnahme von NBC befinden (1956), THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI sich Seite an Seite unter dem Dach ihrer je- (1957), SOUTH PACIFIC (1958), BEN-HUR weiligen Muttergesellschaften. Je nach (1959), SPARTACUS (1960), EL CID (1961), Standpunkt ist das Kino eine Promotion-, LAWRENCE OF ARABIA (1962), THE LONGEST Test- und Preissetzungsmaschine für das DAY (1962), MUTINY ON THE BOUNTY

16 Vgl.฀Schatz, Genius฀of฀the฀System,฀478–479. 17 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀68;฀Litman,฀80. 18 Vgl.฀Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀15;฀Litman,฀80. 19 Vgl.฀Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀15. 20 Vgl.฀Litman,฀78. 3.1 „Boom and Bust“ 133

(1962), CLEOPATRA (1963), THE FALL OF THE Filmmassenproduktion hin zum Output ROMAN EMPIRE (1964), DOCTOR ZHIVAGO weniger, dafür aber qualitativ um so spek- (1965) und – last but not least –THE SOUND takulärerer, damit aber auch kostspieli- OF MUSIC (1965), mit denen der Begriff des gerer und risikohaltigerer Filme. Blockbusters erstmals eine deutliche Prä- Ohne die Absicherung durch Sekun- gung erfährt. Ursprünglich entstanden ist därfenster tendiert das frühe Blockbuster- er im Zweiten Weltkrieg und bezeichnete kino dabei denn auch noch weitaus mehr damals noch eine Bombe, mit der ein gan- dazu, entweder große Hits zu produzieren zer Häuserblock ausradiert werden konn- oder schwerwiegende Flops. Zum Symbol te. In den Fünfzigerjahren wurde er dann der sich hier erstmals abzeichnenden überraschend schnell von der Werbeindus- „Va-Banque-Mentalität“ des Hollywoodki- trie und Hollywood adaptiert, um Großer- nos wird der bis heute umgerechnet teu- folge und besonders spektakuläre Produk- erste Film aller Zeiten CLEOPATRA, der ob- tionen anzupreisen. wohl er 1963 wie viele seiner Vorgänger Mit dem kontemporären Blockbuster- Spitzenplätze in den heimischen und aus- kino, das als eine durchaus effektive Fort- ländischen Charts einnimmt, mit einer setzung dieser sich hier erstmals abzeich- Produktionsdauer von über vier Jahren nenden Differenzierungsstrategie des Ki- und Kosten von über 40 Mio. US-$ 20th nos betrachtet werden kann, teilt der Zyk- Century Fox nahe an den Ruin bringt.21 lus zum einen den Schub technologischer Mit THE SOUND OF MUSIC, der zwei Jahre Innovation (in den Neunzigern digitaler später mehr Geld einspielt als je ein Film Surroundsound und digitale Bildverarbei- zuvor und inflationsbereinigt auch heute tung), die das Rezeptionserlebnis dieser noch zu den erfolgreichsten Filmen aller Filme deutlich von der gewohnten Norm Zeiten zählt, scheint sich das Blatt für Fox abhebt und damit für sich zu einem At- und die Industrie für kurze Zeit zu wen- traktionswert wird, der den eigentlichen den. Letztendlich richtet der Film trotz sei- Filminhalt immer etwas überlagert. Zum nes überwältigen Erfolges aber mehr Scha- anderen den Ereignischarakter, den diese den als Nutzen an, insofern als er einen Filme allein schon wegen ihres hohen und Subzyklus von „Blockbuster-Musicals“ wie sichtbar zur Schau gestellten Produktions- CAMELOT (1967), DOCTOR DOLITTLE aufwandes (Production Values) tragen und (1967), STAR! (1968), FUNNY GIRL (1968), der in diesem Fall, anders als beim heute OLIVER! (1969) GOODBYE,MR.CHIPS üblichen Lancierungsmodus, durch die (1969), HELLO DOLLY! (1969) und DARLING Praxis so genannter Road-Shows unterstri- LILI (1970) auslöst, die allesamt schwere chen wird – einer Distributionsstrategie, Verluste für ihre Studios einfahren (in den bei der der Film, bevor er in den breiteren meisten Fällen Fox) und damit das Genre, Vertrieb geht, in einer Reihe exklusiver wenn auch nicht ganz, so doch in seiner Vorstellungen und zu erhöhten Eintritts- klassischen Ästhetik, die der Produzent Ar- preisen von Stadt zu Stadt getragen wird – thur Freed in den Vierziger- und Fünfziger- ähnlich wie bei einer Theatertournee. jahren zur Perfektion gebracht hatte, aus Drittens markiert der Zyklus die definitive dem Standardrepertoir des Hollywoodki- Abkehr Hollywoods von der quantitativen nos verbannen.

21 Vgl.฀Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀498;฀Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀13. 134 3 Geschichte

2.1.3 Konglomeration und Globali- menten reichen, im Laufe der Achtziger sierung sukzessive veräußert werden. 1994 wird Paramount Communications von Viacom Das finanzielle Debakel der Fünfziger- übernommen, kurz nachdem der Medien- und Sechzigerjahre macht die Majors reif konzern bereits die Videokette Blockbus- für erste Übernahmen und begründet da- ter erworben hatte. mit den Beginn der Herrschaft der großen Warner Brothers schließt sich 1967 Medienkonglomerate oder das, was Jon mit dem kanadischen Filmdistributor Se- Lewis als die „corporate era“ des Holly- ven Arts Production zusammen und geht woodkinos bezeichnet.22 Als erstes wird ein Jahr später in das ähnlich wie Gulf & 1958 Universal von Lew Wassermans Western bereits breit diversifizierte Kon- MCA übernommen. Ursprünglich eine Ta- glomerat Kinney National Services ein. lentagentur für Musiker und Schauspieler Wie bei Paramount konsolidiert Kinney und eine der Pionierkräfte bei der Durch- später seine Medienaktivitäten unter dem setzung des Package-Unit-Systems, wird Firmennamen Warner Communications. dieser Geschäftszweig auf Druck des Justi- 1989 verschmilzt Warner Communica- ce Departments, das im Besitz eines Studi- tions mit dem Verlagsriesen Time und os und der gleichzeitigen Verwaltung des baut 1995 seinen bestehenden Anteil am Talentpools einen Verstoß gegen das Mo- Turner Konzern zu einer vollen Übernah- nopolgesetz sieht, später jedoch zuguns- me aus. Der Schritt wird üblicherweise als ten des TV- und Filmgeschäfts abgesto- eine direkte Reaktion auf den Kauf von Ca- ßen.23 1990 wird MCA/Universal vom ja- pital Cities/ABC durch den Disney-Kon- panischen Elektronik-Konzern Matsushita zern im selben Jahr gesehen, der Warner erworben, der es 1995 an den kanadi- damit kurzfristig von der Spitzenposition schen Getränkehersteller Seagram ver- im Mediengeschäft verdrängt hatte. Zurü- kauft. 1998 übernimmt Seagram den Mu- ckerobert hat sich Warner diese Position sikriesen Polygram von Philips und wird spätestens durch die 2000 angekündigte zwei Jahre später selbst vom französischen und mittlerweile vollzogene Fusion mit Mischkonzern Vivendi geschluckt. Vor sei- dem Internetprovider AOL, dem es dank ner Medienstrategie hat sich Vivendi vor seiner enormen Börsenkapitalisierung ge- allem mit Wasseraufbereitung und Abfal- lungen war, sich kurz vor Einbruch des lentsorgung beschäftigt. Mittlerweile ist Technologiebooms Ende der Neunzigerjah- der Konzern so tief verschuldet, dass viele re,฀den฀Mediengiganten฀einzuverleiben. schon wieder über einen Verkauf oder zu- United Artists wird 1968 vom Allfi- mindest eine teilweise Ausgliederung von nanzkonzern Transamerica übernommen, Universal und Polygram spekulieren. der es 1981 an MGM verkauft, an dem Kirk Paramount wird 1966 Teil der Indu- Kerkorian bereits seit 1977 eine Mehrheit striegruppe Gulf & Western, die für ihre hält. Danach werden MGM und United Ar- Medienaktivitäten später den Firmenna- tists zum Spielball in einer Reihe dunkler men von Paramount übernimmt, wäh- Tauschgeschäfte: 1986 wird MGM an Ted rend die übrigen Sparten, die von Zucker- Turner verkauft. Kerkorians Tracinda Cor- und Drahtproduktion über Immobilien poration übernimmt dafür United Artists bis hin zur Herstellung von Musikinstru- vollständig. Nur wenige Monate später er-

22 Vgl. Jon Lewis, „Money Matters: Hollywood in the Corporate Era“, in The New American Cinema, ed.฀Jon฀Lewis,฀(Durham,฀London:฀Duke฀University฀Press,฀1998),฀87. 23 Vgl.฀Gomery,฀50. 3.1 „Boom and Bust“ 135

wirbt Kerkorian erste Teile des alten MGM, kette. Zwei Jahre später wird Columbia inklusive der Rechte für den Firmennamen von Coca Cola an Sony verkauft.24 und das Logo, zurück und bildet damit die Grundlage für das heutige neue MGM/UA. 3.1.4 „Violence ... Sex ... Art“: Turner behält lediglich die umfangreiche New Hollywood und der Fall des Pro- MGM-Filmbibliothek als Programmlager duction Codes für seine Fernsehstationen – offensichtlich von Anfang an das einzige Interesse der Die späten Fünfzigerjahre markieren nicht Transaktion. MGMs Produktionsanlagen nur den Anfang des modernen Medien- gehen an Lorimar, das später von Warner zeitalters sondern mit ihm auch den Be- übernommen wird. Bis 1989 erwirbt Kerko- ginn nachhaltiger gesellschaftlicher und rian weitere Anteile von MGM, die Turner politischer Umschichtungen. Darunter zunächst an andere Unternehmen verge- die Entstehung einer zunehmend liberali- ben hatte, zurück, nur um die gesammelten sierten Konsum- und jugendlichen Pop- Anlagen 1990 an Giancarlo Parretis Pathé kultur, die mit dem Vietnamkrieg um- Communications zu veräußern. Nach fi- schlägt und in die Protest- und Befrei- nanziellen Schwierigkeiten von Parreti, ungsbewegungen der späten Sechzigerjah- dem u.a. Verbindungen zur italienischen re einmündet. Während Hollywood noch Mafia nachgesagt werden, übernimmt Par- versucht den Erfolg von Filmen wie THE retis Finanzpartner Crédit Lyonnais 1992 TEN COMMANDMENTS oder THE SOUND OF die Kontrolle über MGM/UA, muss sich auf MUSIC zu wiederholen, macht in Europa Grund rechtlicher Bestimmungen jedoch ein neues modernistisches Kino Furore, wieder von dem Unternehmen trennen. angeführt von Filmemachern wie Ingmar 1995 steht MGM/UA ein weiteres mal zum Bergman, Luis Buñuel, Federico Fellini Verkauf: Interesse bekunden unter ande- oder Michelangelo Antonioni sowie den rem Rupert Murdochs News Corporation Vertretern der französischen Nouvelle Va- und Polygram. Den Zuschlag erhält schluss- gue, die die Idee eines Autorenkinos in ih- endlich aber Kirk Kerkorian, der mit einer rer Arbeit nicht nur verkörpern, sondern zunächst 60- und mittlerweile 80-prozenti- als ehemalige Filmkritiker der Cahiers du gen Beteiligung zum dritten mal in dessen Cinéma dem Begriff vom Regisseur als Ur- Geschichte, die Kontrolle über das Studio heber des durch seine persönliche Hand- übernimmt. schrift gekennzeichneten Films überhaupt Die übrigen Studios bleiben bis in die erst zu Prominenz verholfen hatten. Ob- Achtzigerjahre verschont. 20th Century wohl gerade auch Hollywoodregisseure Fox wird 1981 vom Ölmillionär Marvin wie John Ford, Howard Hawks, Orson Davis gekauft, der es 1985 an Rupert Mur- Welles, Alfred Hitchcock oder Otto Pre- doch veräußert. Columbia wird 1982 von minger zum festen Bestandteil des Auteur- Coca Cola übernommen. Tristar entsteht kanons der Cahiers-Kritiker zählen, ist die- ein Jahr später als ein Co-Venture zwi- ser Gedanke Hollywood selbst bis in die schen HBO, CBS und Columbia. Kurz da- Sechziger noch ebenso fremd wie die ge- rauf sieht sich CBS jedoch gezwungen sei- schmacklichen Bedürfnisse der jungen nen Anteil an die beiden Partner zu ver- Nachkriegsgeneration, aus der sich fortan kaufen. 1987 übernimmt Columbia Tristar ein neues Publikum für die amerikanische vollständig und mit ihm die Loews-Kino- Filmindustrie formiert. David Cook:

24 Vgl. Wyatt, High Concept, 69–70, Schatz, „The New Hollywood“, 29–30; Dale, 11–19; Wasko, 44–65,฀80–81. 136 3 Geschichte

In the sixties, for the first time in its his- ckeln sich Phänomene wie der Kultfilm tory, Hollywood fell behind the rest of the oder Camp. world – aesthetically, commercially, and Einer der wichtigsten Pioniere im Be- even technologically. (...) Its decline resul- reich des durch diese Einschnitte begüns- ted from the American industry’s obstina- tigten, neuen, unabhängigen und vor- te refusal to face a single fact: that the nehmlich auf einen jugendlichen Markt composition of the weekly American film ausgerichteten Kinos ist der Produzent audience was changing as rapidly as the und Filmemacher Roger Corman, der ge- culture itself. Between the mid-fifties and stützt durch einen Output Deal mit dem the mid-sixties, that audience shifted Indie-Distributor American International from a predominantly middle-aged, mo- Pictures (AIP) in den Fünfzigerjahren be- destly educated, middle- to lower-class ginnt billige und daher erfolgreiche Filme group to a younger, better educated, more mit so klingenden Titeln wie ATTACK OF affluent, and predominantly middle-class THE CRAB MONSTERS (1957), TEENAGE DOLL group. The new audience in America, as (1957), MACHINE-GUN KELLY (1958), A all over the world, was formed by the BUCKET OF BLOOD (1958), THE MAN WITH postwar generation’s coming of age. It THE X-RAY EYES (1963) oder THE WILD was smaller than the previous audience, ANGELS (1966) zu produzieren. Wie diese and it’s values were different.25 Titel nahe legen, handelt es sich hierbei zunächst weniger um künstlerische Filme, Mit dem Wechsel zum Package-Unit-Sys- sondern um Produktionen, die wegen ih- tem ebnen die Majors den Weg für Inde- res gezielt reißerischen und schundigen pendent-Produktionen. Nach dem Para- Appeals, bald als Exploitation Movies be- mount Decree haben auch kleinere, unab- zeichnet werden. Nichtsdestoweniger zählt hängige Distributoren die Chance Abneh- neben Sex, Gewalt, Special Effects, mini- mer und ein Publikum für ihre Produkte malen Budgets und Drehzeiten aber auch zu finden. Die Baby-Boomers lassen sich der unterschwellige soziale Kommentar in Vorstädten und ländlichen Regionen zur so genannten „Corman-Formel“. Seine nieder. Urbane Kinopaläste verlieren an 1970 gegründete Produktions- und Distri- Bedeutung oder schließen ihre Tore ganz. butionsfirma New World Pictures vertreibt Neu entstehende Drive-in-Kinos, universi- neben weiteren Exploitation-Movies auch täre Filmclubs und Programmkinos spre- Filme von europäischen Regisseuren wie chen nicht nur ein anderes Publikum an, Bergman, Fellini oder Truffaut. sondern deuten in ihrer Ausrichtung be- Bekannt ist Corman aber nicht nur als reits auch auf gewisse Veränderungen in der „King of Schlock“, sondern auch dafür, der Rezeptionshaltung ihrer Besucher hin: mit seinen Low-Budget-Produktionen Im Falle des Drive-ins wird der Kinobe- Nachwuchstalenten, die nahezu unent- such zunehmend zum Social Event und geltlich für ihn arbeiten, ein sehr liberales der jeweilige Film zum mehr oder weniger Arbeitsumfeld für ihre ersten professionel- beliebigen Hintergrund für eine Reihe an- len Gehversuche im Metier zur Verfügung derer Aktivitäten. Im universitären Film- zu stellen. Die Karrieren von späteren New club, wo die Inhalte wiederentdeckter Hollywood-Auteurs wie Francis Ford Cop- klassischer Filme und der medienliterate pola, Martin Scorsese, Dennis Hopper, Pe- Horizont der Zuschauer mitunter bereits ter Bogdanovich, Haskell Wexler oder auseinander zu driften beginnen, entwi- Monte Hellman (aber auch James Came-

25 Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀874. 3.1 „Boom and Bust“ 137

ron, Ron Howard, John Sayles oder Joe gen. Dieser Hintergrund und die ihnen ge- Dante) und Schauspielern wie Jack Nichol- meinsame Obsession für das Kino als Me- son, Peter Fonda oder Robert De Niro lau- dium bringt einem kleinen, bis heute aber fen alle früher oder später über die Station um so einflussreicheren Zirkel von Film- Corman, der mit seinen Filmen damit schaffenden rückwirkend den Titel „The nicht nur einen gewissen ästhetischen Movie Brats“ ein. Einfluss auf die Nachkriegsgeneration Das älteste und als erste erfolgreiche amerikanischer Filmemacher ausübt, son- Mitglied dieser Gruppe ist Francis Ford dern mit seiner Produktionsfirma zugleich Coppola (UCLA), der mit der Gründung auch eine der wichtigsten Anlaufstellen seiner eigenen Produktionsgesellschaft für junge Filmemacher wird, die in dieser (und dem späteren Studioprojekt) Ameri- Zeit unmittelbar nur schwer Zugang zu can Zoetrope bis zu einem gewissen Grad den Majorstudios gefunden hätten. Mar- die Rolle eines protektiven Zentrums und tin Scorsese: Mentors unter seinen jüngeren Kollegen einnimmt. Diese sind u.a. Paul Schrader Every morning at NYU you had to light a (UCLA), Martin Scorsese (NYU), Brian De candle to Ingmar Bergman. They had litt- Palma (Columbia University), der weniger le shrines to Bergman all over the place. I bekannte John Milius (USC) und die heuti- love Bergman pictures but it was Cor- gen Superstars Steven Spielberg (Califor- man’s movies that we studied in those nia State College) und George Lucas (USC). strange dives all over New York.26 All diesen Regisseuren gelingt es zwi- Eine ähnliche Rolle spielt bereits einige schen 1965 und 1975 am Höhepunkt der Jahre zuvor das Fernsehen, das in seinen Rezession der Studios in Hollywood Fuß frühen Tagen noch weit von der perfekten zu fassen; und alle sind auf die ein oder an- Gestaltung heutiger Programme entfernt dere Weise mit dem assoziiert, was von ist. Dies insbesondere im Bereich der Pro- Filmhistorikern und Kritikern als der Auf- duktion von live-gesendeten Theaterstü- stieg des so genannten „New Hollywood“ cken. Aus diesem Umfeld stammen unter oder auch als die „Directors-„ oder „Au- anderem amerikanische Regisseure wie teur-Periode“ des amerikanischen Kinos Arthur Penn, John Frankenheimer, Sidney bezeichnet wird – ein inhaltlich relativ lo- Lumet, Norman Jewison, Bob Rafelson, ser Zyklus von experimentierfreudigen Sam Peckinpah, William Friedkin, John und am Modell des neuen europäischen Cassavetes oder Robert Altman sowie – in Kinos ausgerichteten Filmen, die bei ihren ihrem Land – die Briten John Boorman radikaleren Beispielen außerhalb, begüns- und Peter Yates, die später nach Holly- tigt durch die ästhetische und ökonomi- wood gehen. sche Verunsicherung der Majors, vor allem Last but not least entstehen an amerika- aber eben auch innerhalb des Studiosys- nischen Universitäten nach dem Krieg tems entstehen und sich von ihren klassi- aber nicht nur Filmclubs, sondern auch schen Vorgängern durch mindestens ei- Kurse und Schulen, in denen Studenten ei- nen der folgenden grob zu charakterisie- nerseits das praktische Handwerk des Fil- renden Züge abheben: eine explizit oder memachens sehr schnell und effizient er- unterschwellig vermittelte Establishment- lernen können, sich andererseits aber und Gesellschaftskritik; unmotivierte und auch ein elaboriertes Wissen über Filmge- verunsicherte Helden und Antihelden; die schichte und -ästhetik anzueignen vermö- Assimilation von Stileinflüssen des neuen

26 Zit.฀in:฀Dale,฀110. 138 3 Geschichte

• “Nopicture shall be produced which will lower the standards of those who see it. Hence the sym - pathy of the audience should never be thrown to the side of crime, wrongdoing, evil or sin” • “Revengein modern times shall not be justified” • “Methodsof crime shall not be explicitly presented” • “Illegaldrug traffic must never be presented” • “Thesanctity of the institution of marriage and the home shall be upheld. Pictures shall not infer that low forms of sex relationships are the accepted or common thing” • Scenes of passion should not be introduced when not essential to the plot” • “Excessive and lustful kissing, lustful embracing, suggestive postures and gestures, are not to be shown” • “Seductionor rape should be never more than suggested …Theyare never the proper subject for comedy” • “Sexperversion or any inference to it is forbidden” • “Miscegenation(sex relationships between the white and black races) is forbidden” • “Pointed profanity (this includes the words God, Lord, Jesus, Christ-unless used reverently-Hell, S.O.B., damn, Gawd), or other profane or vulgar expressions, however used, is forbidden” • “Indecentor undue exposure is forbidden;” • “Ministersof religion …shouldnot be used as comic characters or as villains.” • “Actualhangings or electrocutions …brutalityand possibly gruesomeness …betreated within the careful limits of good taste.” Tabelle฀7฀฀฀Exemplarische฀Richtlinien฀des฀Production฀Codes฀(Quelle: Cinemania฀97) europäischen Kunstfilms (Cinéma Verité, Eine frühe Version des Production Nouvelle Vague), aber auch des Fernsehens; Codes entsteht bereits 1927, fünf Jahre einen freieren Umgang mit Sexualität; die nach der Gründung der MPPDA (Motion Übernahme von Versatzstücken der ju- Picture Producers and Distributors of Ame- gendlichen Popkultur in Inhalten und Äs- rica, 1945 umbenannt in Motion Picture thetik und nicht zuletzt die verschärfte Association of America) unter dem Vorsitz und dynamisierte Darstellung von physi- von Will Hays. Gegründet wird die Orga- scher und psychischer Gewalt – insbeson- nisation nach publik werden einer Reihe dere in bahnbrechenden Filmen wie BON- von Skandalen um Hollywoodstars und NIE AND CLYDE (Arthur Penn, 1967) oder -funktionäre in der Boulevardpresse, die THE WILD BUNCH (Sam Peckinpah, 1969). erstmals zu Protesten und Boykottaufru- Mitverantwortlich für den relativ har- fen kirchlicher Interessensgruppen gegen schen Bruch zwischen dem Erscheinungs- die Studios führen. Bis 1934 ist die MPPDA bild, das Hollywoodfilme noch bis Mitte dabei jedoch weniger mit der faktischen der Sechzigerjahre aufweisen, und diesem Zensur von Hollywoodfilmen beschäftigt, nur wenige Jahre später aufblühenden sondern fungiert ähnlich wie heute in ers- Kino der „Young Lions“ ist der Umstand, ter Linie als eine Art Public Relations- und dass im Gegensatz zum unabhängigen Lobbying-Organisation mit der Aufgabe, Kino und importierten europäischen Kunst- die drohende Einrichtung staatlicher Zen- filmen, aber auch vergleichsweise freizügi- surgesetze zu präventieren. geren euro-amerikanischen Mainstream- Nach Einführung des Tonfilms und Produktionen (siehe bspw. der Italowes- der Etablierung des Kinos als Massenmedi- tern), die Majors bis 1966 noch offiziell an um gibt eine Organisation namens Moti- die selbstauferlegten Richtlinien des so ge- on Picture Research Council mit den fi- nannten Hays oder Production Codes ge- nanziellen Mitteln des Payne Funds 1929 bunden sind. Dieser Code – auch wenn eine Studienreihe in Auftrag (die sog. Pay- sich erste Erosionserscheinungen bereits ne Fund Studies), die die Wirkung von Fil- in den frühen Fünfzigerjahren abzuzeich- men auf Kinder und Jugendliche untersu- nen beginnen – wird erst 1968 durch das chen soll. Die Resultate der Untersuchung, heute bekannte Rating System abgelöst. die einen Einfluss von Filmen auf die mo- 3.1 „Boom and Bust“ 139

ralischen und anschaulichen Werte von es im Zuge von BLOW UP und Mike Ni- Jugendlichen behauptet, werden in einer chols’ Theateradaption WHO’S AFRAID OF Reihe von Publikationen zwischen 1933 VIRGINIA WOOLF? 1966 zu einer Revision und 1935 veröffentlicht und geben der des Production Codes, die 1968 mit seiner Kirche Zündstoff für eine neuerliche Atta- vollständigen Beseitigung und Ersetzung cke gegen die Hollywoodstudios. durch das heute bekannte, so genannte 1934 ruft die von katholischen Bischö- freiwillige Rating-System nach Altersgrup- fen organisierte Legion of Decency ge- pen endet. meinsam mit protestantischen und jüdi- Während die MPAA die Einführung schen Interessensgruppen zu einem natio- der Ratings vornehmlich mit dem kultu- nalen Boykott gegen das Kino auf. Die Stu- rellen Wandel der Zeit begründen und als dios mitten in der Rezession in Folge der einen Tribut an die künstlerische Befrei- wirtschaftlichen Depression von 1929– ung des amerikanischen Films verstanden 1933 fürchten weitere Rückschläge und wissen will, weisen Historiker daneben veranlassen Hays zur Einrichtung der Pro- auch auf die ökonomischen Interessen der duction Code Administration (PCA), die Majors hin: Zum einen kann der Schritt – von einem prominenten katholischen ähnlich wie schon die Einführung des Fürsprecher namens Joseph Breen geleitet Hays Codes selbst – einen neuerlich dro- wird. Unter Breen werden der jesuitische henden Eingriff lokalpolitischer Zensur- Priester Father Daniel A. Lord und der ka- maßnahmen verhindern. Zum anderen tholische Publizist Martin Quigley mit der verschafft die nach Altersgruppen gestufte Verfassung eines neuen, restriktiveren Freigabe von Kinofilmen den Majors aber Richtlinienkodexes beauftragt. Jeder Film auch die Möglichkeit, ihr neues Angebot der Studios wird fortan beginnend mit der deutlich von den bis heute sehr viel rest- ersten Skriptvorlage von der PCA nach den ringierteren Programmen der allgemein- Richtlinien des Production Codes geprüft zugänglichen Broadcast Networks abzuhe- und gelangt nur nach Erhalt eines von ben und gleichzeitig verlorene Marktan- Breen unterzeichneten Zertifikats, dem so teile von der wachsenden Exploitation- genannten Code oder PCA Seal in die Ki- und Softpornoindustrie zurückzugewin- nos. nen.27 Dezidiert unterwandert wird der Code Ein weiterer entscheidender Faktor, erstmals in den Fünfzigerjahren durch die der dem neuen Kino zum Durchbruch ver- Filme THE MOON IS BLUE (1953) und THE hilft, ist die gleichzeitig mit dem Genera- MAN WITH THE GOLDEN ARM (1955) – beide tionswechsel bei Publikum und Filmema- von Otto Preminger. Die Filme erhalten er- chern erfolgende Ablöse in der Filmkritik: wartungsgemäß das Code Seal nicht, wer- Als BONNIE AND CLYDE – bei dem ursprüng- den von United Artist aber dennoch über lich François Truffaut Regie führen sollte – einen unabhängigen Subdistributor er- im August 1967 in die amerikanischen Ki- folgreich vertrieben. Dieselbe Strategie nos kommt, wird er von der renommier- wendet MGM 1966 bei Michelangelo An- ten amerikanischen Presse, die in den tonionis BLOW UP (1966) an, nur wenige Sechzigerjahren noch weit größeren Ein- Monate nachdem Jack Valenti, der auch fluss genießt als heute, zunächst durch- heute noch Präsident der MPAA ist, Hays’ gängig verrissen. So unter anderem vom Nachfolger Eric A. Johnson von seinem Time Magazine, das den Film in einer ers- Vorsitz abgelöst hat. Unter Valenti kommt ten Stellungnahme als „... totally irrele-

27 Vgl.฀Maltby,฀32–33;฀Lewis,฀91. 140 3 Geschichte

Abb.฀30.1–2฀฀฀Hollywood฀im฀Umbruch.฀Nur฀zwei฀Jahre฀trennen฀die฀nostalgische฀Idylle฀von THE SOUND OF MUSIC (Fox,฀1965)฀und฀die฀jungen฀Rebellen฀aus BONNIE฀AND CLYDE (Warner,฀1967). vant, a purposeless mingling of fact and Dezember 1967 mit einer ausführlichen claptrap, full of holes ...“ bezeichnet.28 Titelgeschichte über den Film eröffnet, in BONNIE AND CLYDE erzielt mäßige Ein- der Stefen Kanfer unter der Schlagzeile: nahmen in New York und wird nach noch „The New Cinema – Violence … Sex … schwächeren Zahlen in den konservative- Art“ den Anbruch einer neuen Ära des ren Märkten nach einer für damalige Ver- Hollywoodkinos und die Assimilation der hältnisse sehr kurzen Laufzeit von weniger europäischen Welle in den amerikani- als zwei Monaten aus dem US-Release ge- schen Mainstreamfilm ausruft.30 BONNIE nommen. In England läuft die Warner- AND CLYDE wird in der Folge für 10 Oscars Produktion dagegen inzwischen sehr er- nominiert, von denen er immerhin zwei folgreich. Nicht nur bei der Kritik, sondern erhält.31 Am Tag der Bekanntgabe der No- auch beim vorwiegend jugendlichen Pub- minationen kehrt der Film in die Kinos zu- likum, das die beiden Antihelden schnell rück und erzielt im weiteren Verlauf mit zu Kultfiguren erklärt.29 22,8 Mio. US-$ in US-Rentals das höchste Ihre endgültige Rehabilitation erfah- Einspielergebnis für Warner in den sonst ren Bonnie und Clyde aber erst gegen von Rückschlägen so schwer gezeichneten Ende des Jahres, als das Time Magazine be- Sechzigerjahren.32 schließt, seinen ursprünglichen Kommen- Die nächste Erschütterung für das äs- tar zu revidieren und die Ausgabe vom 8. thetische und ökonomische Gefüge des al-

28 Zit. in: Alexander Horwath, „Cool. Pop. Politik. Hollywood 1960–1968“, in Viennale 94 (Festival- katalog),฀ed.฀Wiener฀Filmfestwochen฀Viennale,฀(Wien:฀1994),฀C23. 29 Vgl. Peter Biskind, Easy Riders, Raging Bulls: How the Sex-Drugs-And-Rock‘N’Roll Generation Saved Hollywood (New฀York:฀Simon฀&฀Shuster,฀1998),฀41,฀45. 30 Vgl.฀Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀877–878;฀Biskind, Easy฀Riders,฀45–46. 31 Estelle Parsons für die beste weibliche Nebenrolle und Burnett Guffey für die beste Kameraarbeit. 3.1 „Boom and Bust“ 141

Abb.฀30.3฀฀฀Born฀to฀be฀wild: EASY RIDER (BBS/Columbia,฀1969)

ten Hollywood erfolgt zwei Jahre später THE MONKEES – Bob Rafelson, Bert Schnei- mit dem Release von EASY RIDER (1969) der und Steve Blauner – gegründet worden durch Columbia: Gedreht für ein beschei- war und dessen Name später in das bald denes Budget von weniger als 400 000 US$ bekannte Initialenkürzel BBS geändert unter der Regie des unerfahrenen und für wird.34 Nach gewohntem Muster löst der seine erratischen Ausbrüche bekannten Film eine Welle von billig produzierten Dennis Hopper und direkt adressiert an „Youth Culture“ sprich Hippie-Filmen die jugendliche Gegenkultur, spielt der aus, die mit wenigen Ausnahmen, wie THE Film auf Anhieb über 19 Millionen US$ in STRAWBERRY STATEMENT (1970), ALICE’S 33 Rentals ein. Produziert und finanziert RESTAURANT (1969), JOE (1970), CISKO PIKE wurde EASY RIDER von der Firma Raybert – (1972) oder WOODSTOCK (1970) jedoch ein kleines Unternehmen, das 1965 von weder an den finanziellen Erfolg von EASY den Erfindern der erfolgreichen TV-Serie RIDER anknüpfen können, noch an dessen

32 Folgende Quellen wurden für die Ermittlung von Einspielergebnissen herangezogen: Variety.com; Lawrence Cohn, „All Time Film Rental Champs“, in Variety: 1991 – The Year in Review, ed. Marylin J. Matelski (Boston: Focal Press, 1992), 108–118; Susan Sackett, The Hollywood Reporter Book of Box Office Hits, 2nd revised and updated ed. (1989; New York: Billboard Books, 1996); Gene Brown, Movie Time: A Chronology of Hollywood and the Movie Industry from Its Beginnings to the Present (New York: Macmillan, 1995); Chuck Kahn, Box-Office Statistics in Millions of US Dollars, ohne Datum ; Gitesh Pandya, Box Office Guru, 1997–2000, ; Daten vor 1980, stammen zum grössten Teil aus Cohn, 1992, und lie- gen meist nur als US–Rentals vor. Aufgrund von Aktualisierungen, Wiederaufführungen und un- terschiedlichen Abschlußterminen variieren die Daten zum Teil. Im Zweifelsfalle wurden die jeweils kleinsten Zahlen und wenn möglich die der vermutlich zuverlässigsten Quelle Variety be- nutzt. 33 Vgl.฀Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀885;฀Biskind, Easy฀Riders,฀61. 34 Biskind, Easy฀Riders,฀53,57. 142 3 Geschichte

ohnehin streitbare inhaltliche Qualitäten. Cassavetes’ HUSBANDS (1970), Robert Alt- Dennoch bildet EASY RIDER eine entschei- mans IMAGES, Hal Ashbys THE LAST DETAIL dende Grundlage für den Eintritt junger (1973) oder etwas später Martin Scorseses Talente in die amerikanische Filmindust- TAXI DRIVER (1976). rie und den für die Periode von 1967 bis Dank dieser zumindest bei Kritikern 1975 prägenden Aufstieg des Regisseurs in sehr erfolgreichen Serie rühmen sich Ver- der Machtbalance des bis heute beständi- treter des Studios heute gerne damit, Co- gen Kampfes zwischen der ökonomisch lumbia sei eine der treibenden Kräfte der orientierten Seite der Studios und den äs- New Hollywood-Bewegung gewesen.38 Tat- thetischen Vorstellungen so genannter sächlich werden aber fast alle Majorstudi- kreativer Akteure. Jane Fonda: os von der Welle erfasst und sind dement- sprechend auch recht gleichmäßig im Ka- When EASY RIDER … made a lot of mo- non der späten Sechziger- und frühen ney, everybody who came in with long Siebzigerjahre vertreten. hair and looked like Dennis Hopper and 20th Century Fox mit Filmen wie LITT- my brother got hired to do a film.35 LE BIG MAN (Arthur Penn, 1970), M*A*S*H Martin Scorsese: (Robert Altman, 1970), THE FRENCH CON- NECTION I und II (William Friedkin, 1971; Although that’s a film that’s ah ... I John Frankenheimer, 1975) oder JUNIOR wasn’t part of that culture, but it did open BONNER (Sam Peckinpah, 1972). a lot of doors for many people in Califor- MGM mit Filmen wie POINT BLANK nia and … at the same time giving you (John Boorman, 1967) THE THOMAS CROWN the chance behind the camera, and … al- AFFAIR (Norman Jewison, 1968), 2001:A most a deification of the director.36 SPACE ODYSSEY (Stanley Kubrick, 1968), Nach dem Erfolg ihres Debüts schließen ZABRISKIE POINT (Michelangelo Antonioni, BBS, die zu einer Art Modell für diverse ko- 1970) oder PAT GARRETT AND BILLY THE KID operative Initiativen zwischen Studios (Sam Peckinpah, 1973). und regisseurorientierten Projekten wer- United Artists mit Filmen wie ALICE’S den, einen Output Deal mit Columbia ab, RESTAURANT (Arthur Penn, 1969) MIDNIGHT der die Finanzierung und Distribution COWBOY (John Schlesinger, 1969), THE sechs weiterer Produktionen mit Budgets LONG GOODBYE (Robert Altman, 1973), von bis zu einer Million US-$ vorsieht.37 ELECTRA GLIDE IN BLUE (James William Zu diesen Produktionen gehören u.a. Fil- Guercio, 1973) oder BRING ME THE HEAD OF me wie FIVE EASY PIECES (Bob Rafelson, ALFREDO GARCIA (Sam Peckinpah, 1974). 1970), DRIVE,HE SAID (Jack Nicholson, Warner Bros. mit Filmen wie BONNIE 1971), THE KING OF MARVIN GARDENS (Bob AND CLYDE (Arthur Penn, 1967), BULLITT Rafelson, 1972) oder THE LAST PICTURE (Peter Yates, 1968), THE WILD BUNCH (Sam SHOW (1971) von Peter Bogdanovich. An- Peckinpah, 1969), KLUTE (Alan J. Pakula, dere Columbia Releases der Ära sind Ri- 1971), MCCABE &MRS.MILLER (Robert chard Brooks’ IN COLD BLOOD (1967), Altman, 1971), THE GETAWAY (Sam Peckin- Frank Perrys THE SWIMMER (1968), John pah, 1972), DELIVERANCE (John Boorman,

35 Zit.฀in:฀Litwak,฀109–110. 36 Interviewed in: American Cinema, Vol. 5: The Film School Generation, prod. The New York Center for฀Visual฀History,฀1995,฀Videokassette. 37 Vgl.฀Biskind, Easy฀Riders,฀75–76. 38 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀72–73. 3.1 „Boom and Bust“ 143

1972), BADLANDS (Terrence Malick, 1973), ler- und Actionkino bereits mindestens MEAN STREETS (Martin Scorsese, 1973), ebensoviel gemein haben wie mit dem eu- DOG DAY AFTERNOON (Sidney Lumet, 1975) ropäischen Kunstfilm. oder NIGHT MOVES (Arthur Penn, 1975). Wesentlich erfolgreicher ist dagegen Und schließlich Paramount mit Fil- schon seit 1970 ein Zyklus, der die Linie men wie SECONDS (John Frankenheimer, des aufwändigen Spektakel- und All-Star- 1966), MEDIUM COOL (Haskell Wexler, Kinos von 1953–1965 nach dem Fall des 1969), TARGETS (Peter Bogdanovich, 1968), Hays Codes wieder aufnimmt und sich be- ROSEMARY’S BABY (Roman Polanski, 1968), kanntlich auch heute wieder großer Be- THE GODFATHER I und II (Francis Ford Cop- liebtheit erfreut. Gemeint ist der Katastro- pola, 1972; 1974), THE PARALLAX VIEW phenfilm, der ausgehend von AIRPORT (Alan J. Pakula, 1974), CHINATOWN (Ro- (1970) (45,2 Mio. US-Rentals) und mit man Polanski, 1974), THE CONVERSATION Nachfolgern wie THE POSEIDON ADVENTURE (Francis Ford Coppola, 1974) oder NASH- (1972) (42 Mio. US-$), EARTHQUAKE (1974) VILLE (Robert Altman, 1975). (35,8 Mio. US-$) und THE TOWERING INFER- Die einzige Ausnahme bildet Univer- NO (1974) (48,8 Mio. US-$) als Genre die sal, insofern als seine Beiträge nicht so Charts von 1970–1974 klar dominiert. Ne- sehr mit der politisch und künstlerisch ben dem Katastrophenzyklus ist es vor al- ambitionierten Seite des jungen Autoren- lem aber Francis Ford Coppolas THE GOD- kinos verbunden sind als mit dessen Um- FATHER, mit US-Rental-Einnahmen von 86 schwung in die Ära des kontemporären Mio. US-$ der erfolgreichste Film seiner Blockbusterkinos und dem Siegeszug der Zeit und in diesem Sinne die große Aus- Movie Brats George Lucas und Steven nahme im Auteurzyklus, der ein erstes Sig- Spielberg. nal für eine Wende in der ökonomischen Krise der Majors setzt. Thomas Schatz:

3.1.5 THE GODFATHER – JAWS – STAR THE GODFATHER was that rarest of mo- WARS: Von der Kunst zum Kassen- vies, a critical and commercial smash schlager with widespread appeal, drawing art ci- nema connaisseurs and disaffected youth Während die Auteur-Periode einige der as well as mainstream moviegoers.39 akklamiertesten Hollywoodfilme aller Zei- ten hervorbringt, beschränkt sich deren Nach dem eigenen Durchbruch produ- kommerzieller Erfolg – mit einer Ausnah- ziert Coppola, der über sein von Warner me – auf wenige moderate Hits. Kaum ver- gestütztes Unternehmen American Zoe- wunderlich sind dies mit THE GETAWAY (18 trope bereits George Lucas Spielfilmdebüt Mio. US-$, alle Angaben in US-Rentals) THX-1138 (1971) ermöglicht hatte – ein BULLITT (19 Mio. US-$) EASY RIDER (19,1 psychedelisch-avantgardistischer Science Mio. US-$), MIDNIGHT COWBOY (20,5 Mio. Fiction-Film Orwellscher Prägung –, mit US-$) DOG DAY AFTERNOON (22,5 Mio. dem vergleichsweise harmlosen nostalgi- US-$), DELIVERANCE (22,6 Mio. US-$), schen Teenagerfilm AMERICAN GRAFFITI BONNIE AND CLYDE (22,8 Mio. US-$), 2001: (1973) auch den zweiten Film seines ASPACE ODYSSEY (25,5 Mio. US-$), THE Freundes und Protegés. Nach Streitigkei- FRENCH CONNECTION (26,3 Mio. US-$) und ten mit Warner um den Misserfolg von M*A*S*H (36,7 Mio. US-$) mehrheitlich THX, der im Bruch mit dem Studio endet, Filme, die mit dem kontemporären Thril- diesmal jedoch für Universal.

39 Schatz, The฀New฀Hollywood,฀17. 144 3 Geschichte

Abb.฀31.1–4฀฀฀Plakate฀von฀Schlüsselfilmen฀des฀modernen฀Blockbusterkinos: THE GODFATHER (Para- mount,฀1972), THE EXORCIST (Warner,฀1973)...

Anders als THX wird AMERICAN GRAFFI- Horrorgenre mit den Ausnahmen viel- TI (55 Mio. US-$, US-Rentals) der Sommer- leicht von Hitchcocks THE BIRDS (1963) hit des Jahres 1973 und etabliert Lucas und PSYCHO bis dahin noch den Außensei- nach seinem gewagten Debüt als kommer- terstatus des B-Movies, wird es mit THE ziell vertrauenswürdigen Regisseur. Über- EXORCIST schlagartig zu einem ökono- troffen wird Lucas im selben Jahr nur von misch signifikanten Faktor. Ein Jahr später zwei Filmen: Erstens THE STING (1973) mit avanciert sogar Tobe Hoopers minimal Robert Redford und Paul Newman in den budgetierter „Ur-Slashermovie“ THE TEXAS Hauptrollen – ein Nachfolgeprojekt zum CHAINSAW MASSACRE (1974) zum beachtli- fünf Jahre zurückliegenden Erfolg von chen Kulthit. (Hooper führt später unter BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID Aufsicht von Steven Spielberg die Regie bei (1969). Zweitens, und mit nachhaltigerer POLTERGEIST.) Seine definitive Bestätigung Wirkung, von William Friedkins Horror- findet das Genre jedoch erst 1975 mit dem schocker THE EXORCIST, der mit 89 Millio- überwältigenden Erfolg von Steven Spiel- nen in US-Rentals alle bisherigen Produk- bergs JAWS. tionen inklusive THE GODFATHER in den Mit 120 Mio. in US-Rentals ist JAWS der Schatten stellt. erste Film, dem es gelingt die magische Ist THE GODFATHER noch gleicherma- 100-Millionen-Marke zu durchbrechen. ßen im Bereich des Kunstkinos wie im Ex- Deutlich werden die psychologische und ploitation-Film beheimatet, verlässt sich wirtschaftliche Bedeutung des Films aber THE EXORCIST bereits vordergründig auf auch, wenn man bedenkt, dass er allein für Schock- und Spezialeffekte. Genießt das rund 10% des gesamtamerikanischen 3.1 „Boom and Bust“ 145

…฀JAWS (Zanuck/Brown/Universal,฀1975) und฀STAR WARS (Lucasfilm/Fox,฀1977)

Box-Office-Ergebnisses seines Erschei- Sowohl das Buchcover als auch die nungsjahres verantwortlich ist. Printkampagne des Films zeichnen sich Wie THE GODFATHER und THE EXORCIST durch die Wiedererkennbarkeit desselben, basiert auch JAWS auf einem populären, einprägsamen Bildes aus, das eine schwim- kontemporären Bestsellerroman, der – menden Frau über dem Schlund des aus nachdem Universal die Rechte bereits 1973 der Tiefe vorstoßenden Hais zeigt. Außer- erworben hatte – sechs Monate vor dem dem ist JAWS ist eine der ersten Großpro- Start des Films in Buchläden erscheint und duktionen, die während der amerikani- so hilft das Projekt bereits vor seinem Re- schen Sommerferien und mit einer für die lease bekannt zu machen und ein außerge- damaligen Verhältnisse sehr hohen An- wöhnlich hohes Erwartungsmomentum zahl von über 400 Kopien gestartet wird – für den Film aufzubauen.40 Spielberg selbst begleitet von einer landesweiten TV-Kam- gibt an, dass JAWS vor seinem Sensations- pagne, die es so bisher ebenfalls noch nie start nicht mehr promotet worden sei als gegeben hatte. Auf Grund all dieser Züge, andere Universal-Releases seiner Zeit, da- die in dem kulminieren was Michael Pye nach aber in der Tat massive Werbeunter- und Linda Myles bereits 1979 als „trans- stützung฀erhalten฀habe.41 formation of film into event by clever ma-

40 Vgl. Justin Wyatt, „From Roadshow To Saturation Release: Majors, Independents, and Marketing/ Distribution Innovations“, in The New American Cinema, ed. Lewis, 78; Cook, „Auteur Cinema“, 22. 41 Interviewed฀in: American฀Cinema,฀Vol.฀5,฀The฀Film฀School฀Genration,฀1995. 146 3 Geschichte

nipulation of the media“ beschrieben ha- als schwer vermarktbar: Universal gibt das ben, gilt JAWS – auch wenn sich sein Erfolg Projekt zugunsten von 20th Century Fox sicherlich nicht nur mit der bloßen An- auf. wendung neuer Vermarktungsstrategien Anders als seine Vorreiter basiert STAR erklären lässt – heute unter Filmhistori- WARS nicht auf einer bekannten Roman- kern als der erste klare Vertreter und Weg- vorlage. Fox und Lucas beschließen daher, bereiter des kontemporären Blockbuster- eine novellisierte Fassung des Drehbuchs kinos.42 Zugleich markiert JAWS’ Erschei- mit der Aufschrift „Soon to be a spectacu- nungsjahr auch den Ausklang der Auteur- lar motion picture from Twentieth Cen- Periode, was auf den Erfolg des neuen, zu- tury Fox“ herauszugeben – eine Strategie, nehmend apolitischen Blockbusterkinos die sich bereits bei LOVE STORY als sehr er- und die ökonomische Stabilisierung der folgreich bewährt hatte.43 Lucas sieht den Studios wohl ebenso zurückzuführen ist Film nach eigenen Angaben in der Traditi- wie auf die allgemeine Auflösung der Pro- on eines Disneyfilms und rechnet mit testbewegungen der späten Sechzigerjahre Box-Office-Einnahmen von rund 16 Mil- selbst. lionen US-$:44 Eine gewisse Ausnahme stellt – wenn The Title STAR WARS was an insurance auch nicht ganz freiwillig – wiederum policy. The studio didn’t see it that way; Coppola dar, der 1976 in die Philippinen they thought science fiction was a very reist, um mit den unerwartet langwierigen bad genre, that women didn’t like it, alt- und mittlerweile legendären Dreharbeiten hough they did no market research on zu APOCALYPSE NOW (1979) zu beginnen. that after the film was finished. But we Autor der ersten Drehbuchvorlage nach calculated that there are something like dem Roman Heart of Darkness ist John Mi- $8 million worth of science fiction freaks lius. Ursprünglich soll George Lucas Regie in the U.S.A. and they will go to see abso- führen – „guerilla style“ –, der zieht es je- lutely anything with a title like STAR doch vor sein eigenes Projekt zu verwirkli- 45 WARS. chen – wiederum ein Science Fiction-Film. Anfangs plant Lucas ein Remake der Das Produktionsbudget beträgt 11 Mio. FLASH GORDON-Serie aus den Dreißigerjah- US-$. Lucas, der vom Erfolg von AMERICAN ren. Der Preis für die Rechte erweist sich je- GRAFFITI selbst kaum profitiert hatte, hofft doch als zu teuer. Lucas verfasst darauf mit den Einnahmen aus der Merchandise- sein eigenes Drehbuchkonzept, erklärter- lizenzierung zumindest einen Teil der Kos- maßen inspiriert von Kurosawas DIE VER- ten wettmachen zu können: BORGENE FESTUNG (1958) und Lucas’ inten- siver Beschäftigung mit Mythologien, die We found Fox was giving away merchan- ihn unter anderem zu den Arbeiten von dise rights, just for the publicity. They Joseph Campbell führt. Science Fiction gave away tie-in promotions with a big gilt trotz des kommerziell mittelmäßigen fast food chain. They were actually pay- Erfolges von 2001 Mitte der Siebzigerjahre ing these people to do this big campaign

42 Vgl. Michael Pye, Linda Myles, The Movie Brats: How the Film Generation Took Over Hollywood (New York:฀Holt฀Rinehart฀and฀Winston,฀1979),฀237. 43 Vgl. Gary Hoppenstand, “Hollywood and the Business of Making Movies: The Relationship bet- ween Film Content and Economic Factors,” in Mega-Industry, ed. Litman. 234.; Bart, Guber, Shoot Out,฀17–18. 44 Interviewed฀in: American฀Cinema,฀Vol.฀5,฀The฀Film฀School฀Genration,฀1995. 45 Zit.฀in:฀Pye,฀Myles,฀133. 3.1 „Boom and Bust“ 147

for them. We told them that was insane. This film is Vietnam!“ vorstellt, hat Lucas We pushed and we pushed and we got a mit seinem Krieg der Sterne (193 Mio. lot of good deals made.46 US-$, Rentals) der irgendwo „a long, long time ago, in a galaxy far away“ stattfindet, Mehr noch erreicht es Lucas in einem bereits Filmgeschichte geschrieben.49 Ein mittlerweile legendären Deal, sich im Aus- „Coming of Age“-Film mit deutlichen An- tausch für einen Teil seiner Regiegage die leihen bei der Parzivalsaga und ähnlichen Rechte am Merchandising des Films und Legenden, übertragen auf ein Science Fic- die Rechte für mögliche Sequels zu si- tion- und Fantasy-Universum, das als chern. Dass ihm dies gelingt, weist wohl komplette Mythologiewelt in den Köpfen einerseits auf sein kaufmännisches Ge- seiner Anhänger weit über den Horizont schick hin, vor allem aber auch darauf, des konkreten Filminhalts hinaus reicht, dass ein Studio wie Fox in den Siebziger- ist STAR WARS – wie es James Monaco be- jahren noch ebenso geringe Erwartungen schrieben hat – zugleich „ein ansehnlicher mit diesem Sektor verbindet wie mit dem Katalog der Geschichte Hollywoods“50 – Film selbst: soll heißen: ein eklektischer Genremix aus Western, Kriegsfilm, Swashbuckler, Acti- Normally you just sign a standard con- on/Adventure, Horror und Komödie. tract with a studio, but we wanted mer- Formal betrachtet wird der Film, wie chandising, sequels, all those things. I Thomas Schatz attestiert, stärker durch sei- didn’t ask for another $1 million, just the nen geradlinigen Plot getragen denn merchandising rights. And Fox thought durch seine grob skizzierten „Märchenfi- that was a fair trade.47 guren“. Mindestens ebenso aber durch die Im Gegensatz zu JAWS startet STAR WARS Fülle von optischen und akustischen 1977 zunächst nur in wenigen ausgewähl- Tricks, die den Zuschauer an einem bis ten Kinos (32 Leinwände). Mit einer der dato unbekannten Maß kinetischer Bewe- Gründe dafür, ist die noch geringe Ver- gungs- und immersiver Geschwindigkeits- breitung von Anlagen, die STAR WARS’ effekte teilhaben lassen.51 Die filmtechno- Dolby-Stereo-Soundtrack nach Lucas’ logische Grundlage dieser Effekte bildet Wunsch in voller Qualität wiedergeben die neben den bereits bekannten Blue können.48 Screen- und Travelling Matte-Verfahren re- Als Francis Ford Coppola APOCALYPSE volutionäre Entwicklung der nach ihrem NOW – den neben THE DEER HUNTER Erbauer (John Dykstra) zunächst scherz- (1978), RAGING BULL (1980) und dem De- haft so benannten „Dykstraflex“: Ein com- bakel von HEAVEN’S GATE vielleicht letzten putergelenktes Kamerasteuerungssystem, großen Ausläufer der Auteur-Periode – bei das heute unter der Bezeichnung Motion den Filmfestspielen von Cannes mit den Control einen Industriestandard bildet und Worten „This isn’t a film about Vietnam. es erlaubte, Aufnahmen mit wiederholba-

46 Zit.฀in: Ibid.,฀132. 47 Zit.฀in: Ibid. 48 Vgl.฀Hoppenstand,฀235. 49 Dokumentiert in: Hearts of Darkness: A Filmmaker’s Apocalypse, dir. Fax Bahr, Eleanor Coppola, George฀Hickenlooper,฀prod.฀Les฀Mayfield฀et฀al.,฀1991,฀Videokassette. 50 Vgl. James Monaco, Film Verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, 2. Überarbeitete und erweiterte Ed. (1980; Hamburg: Rowohlt,฀1995),฀370. 51 Vgl.฀Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀22–23. 148 3 Geschichte

rer Präzision und kontrollierbaren Auf- been established that changed the profile nahmegeschwindigkeiten auszuführen, of movie economics by generating sub- womit nicht nur die dynamische Bewe- stantial revenue in other media. With gung fixierter Miniaturmodelle simuliert STAR WARS product merchandising went werden konnte, sondern vor allem auch through the roof. The success of a variety für solche Aufnahmen bislang praktisch of movie-related books firmly solidified unmögliche Bewegung des Kamerablicks the publishing offshoot of movie tie-ins; selbst.52 and soundtrack albums sales came into Nicht zu vernachlässigen ist daneben their own, providing that an orchestral die Wirkung des bombastischen Musik- score could shoot to the top of the charts, soundtracks, der, wie Kathryn Kalinak ar- much like pop scores of the day, such as gumentiert hat, mit seinem gezielten Ein- SATURDAY NIGHT FEVER, E.T., BATMAN, satz von romantischen Leitmotiven und GHOST,HOME ALONE,TERMINATOR 2 seiner vollorchestrierten „Omnipräsenz“ and others would follow, but at the time, einer Rückkehr zur klassischen Filmunter- there was nothing, nothing like the econo- malung gleichkommt und, wie schon das mic impact of Star Wars.54 berühmte Hai-Thema von JAWS, aus der Feder des Komponisten John Williams Um Lucas und Spielberg, die mit ihren stammt, der auch für die Musik sämtlicher Produktionen und Koproduktionen bis nachfolgenden Arbeiten von Spielberg Mitte der Achtzigerjahre den Wettbewerb und Lucas (einzige Ausnahme THE COLOR um die Spitzenplätze der Box-Office- PURPLE, 1985) verantwortlich zeichnet.53 Charts unter sich ausmachen, entsteht im Ökonomisch ist STAR WARS schließlich Zuge ihres unangefochtenen Erfolgszugs der Prototyp und letztendlich bis heute ein populärer Autorenbegriff, der sich das Idealvorbild des Blockbusterfilms als mittlerweile weniger auf eine ästhetische kultur-, zeit- und marktübergreifendes Meisterschaft bezieht als auf eine kom- Franchiseunternehmen: Über die mit STAR merzielle. Lucas und Spielberg gehören WARS erzielten Umsätze liegen lediglich damit zu den wenigen Regie-Produzenten grobe Schätzungen vor: Allein mit dem Hollywoods, deren Namensnennung al- Merchandise der Original-Trilogie sollen lein als werbewirksames Markenzeichen nach einer Bilanz von Wired bis heute aber ein Massenpublikum zu mobilisieren ver- bereits über 2 Milliarden US-$ eingenom- mag. men worden sein – fast genau so viel wie Bekannt werden die beiden aber auch mit den Filmen selbst. Industrieveteran Ja- für den Hang ihrer Filme zu einer „disney- son E. Squire: esquen“ Infantilität. Lucas:

STAR WARS rewrote the economics of the When I did GRAFFITI, I discovered that movie business. (...) When the dust clea- making a positive film is exhilarating. I red, brand-new adjunct business had thought, maybe I should make a film

52 Siehe dazu bspw.: Christopher Finch, Special Effects: Creating Movie Magic (New York: Abbeville Press, 1984), 144–148; David Hutchison, Film Magic: The Art and Science of Special Effects (London: Simon & Shuster, 1987), 81–84; Marc Cotta Vaz, Patricia Rose Duignan, Industrial Light and Magic: Into฀the฀Digital฀Realm (New฀York:฀Del฀Rey,฀1996),฀11–15. 53 Vgl. Kathrin Kalinak, Settling the Score: Music and the Classical Hollywood Film (Madison, London: University of Wisconsin Press, 1992), 184–202; K. J Donelly, „The Classical Film Score Forever? Batman, Batman Returns and Post-Classical Film Music“, in Contemporary Hollywood Cinema, eds. Neale,฀Smith,฀142–155. 54 Jason฀E.฀Squire,฀„Introduction“,฀in The฀Movie฀Business฀Book,฀ed.฀Squire,฀26. 3.1 „Boom and Bust“ 149

Umsatz in Mio. Anteil US$ Box Office weltweit (inkl. Special Edition 1997) 1800 41% Video Verkauf weltweit (exkl. Special Edition 1997) 500 11% Spielzeug 1200 27% Bücherund Comics 300 7% CD-ROMS und Computerspiele 300 7% Kleidung und Accessoires 300 7% Total 4400 100%

Tabelle฀8฀฀฀STAR WARS-Original-Trilogie:฀Umsätze฀1977–1997฀(Quelle:฀„Star฀Wars฀Money฀Machine“, Wired (November฀1997):฀206)

like that for even younger kids. GRAFFITI Schockeffekten und spektakulären Schau- was for sixteen-year-olds; this [STAR werten abzustreifen beginnt. Die Auswir- WARS] is for ten- and twelve-year olds, kungen des neuerlichen Umbruchs sind who have lost something even more sig- bekanntlich nachhaltig. nificant than the teenager. I saw that Während im klassischen Hollywood kids฀฀today฀฀don’t฀฀have฀฀pirate฀฀movies... „Erwachsenen-Genres“ wie das Drama/ the real Errol Flynn, John Wayne kind Melodrama, die romantische Komödie adventures. Disney had abdicated its oder das Musical das A-Kino dominieren, reign over the children’s market, and sind es heute vor allem die ehemaligen B- nothing had replaced it.55 Genres: Action/Adventure, Thriller, Sci- ence Fiction, Fantasy oder Horror und so Nach Angaben von Jim Hillier beträgt der genannte Family Entertainment-, sprich Anteil der 12–29-jährigen am amerikani- Kinderfilme. Nach reinen Produktions- schen Kinopublikum bereits 1957 über zahlen hat das seriöse Drama tatsächlich 70%. Anfang der Siebziger sind rund drei nur wenig an Boden verloren. Die großen Viertel der Besucher unter 30 Jahre.56 Auch Budgets und Einspielerfolge gehen seit wenn sich die Filme der Auteur-Periode 1975 jedoch klar an das aktionistische, bereits deutlich an diesem Publikum phantastische, jugendliche Spannungs- orientieren, sprechen sie dennoch eine und Spektakelkino (siehe Tabelle 9). Generation und Kultur an, die, wie das Teenager und Jugendliche unter 30 Jah- Allzeittief der Besucherzahlen zwischen ren bilden dementsprechend auch heute 1965 und 1974 bestätigt, offenbar nur ein noch die stärkste Fraktion unter den Kino- sehr limitiertes Interesse am Kino hat. besuchern. Anders als beispielsweise in Den Durchbruch zum Massenerfolg und Großbritannien oder Deutschland, wo un- zur ökonomischen Restabilisierung der ter 30-jährige noch immer 60–65% aller Ki- Studios erreicht das Post-Code-Kino, wie nokarten kaufen, verzeichnet der US-Markt das Blockbuster-Quartett THE GODFATHER dabei seit Beginn der Achtzigerjahre jedoch –THE EXORCIST –JAWS –STAR WARS prä- einen starken Zuwachs an älteren Zuschau- gnant veranschaulicht, erst, als es seine ern, deren Anteil – glaubt man den histori- künstlerischen Ambitionen zunehmend schen Erhebungen des Gallup Instituts – zugunsten von Spannungsmomenten, mittlerweile sogar über die Werte der klassi-

55 Zit.฀in฀Biskind, Easy฀Riders,฀318. 56 Vgl.฀Hillier,฀14,฀38. 150 3 Geschichte

1930–1964 1965–1975 1976–2002 Top 100 Top 100 Genre 1950 2001 Drama 18,9% 21,2% 22,6% 26,5% 9,1% Romance 4,2% 1,1% 6,4% 9,3% 6,0% Musical 10,2% 4,9% 1,7% 21,2% 2,3% 33,3% 27,2% 30,7% 57,0% 17,4%

Comedy 22,7% 21,6% 23,8% 13,2% 10,4% Western 9,1% 10,8% 1,0% 4,6% 0,3% War 5,3% 4,1% 1,6% 7,9% 1,3% Crime 8,6% 10,1% 5,7% 0,7% 3,4% 45,7% 46,6% 32,1% 26,4% 15,4%

Thriller 1,6% 2,7% 7,8% 1,3% 9,7% Action 0,2% 3,8% 7,4% 0,0% 15,1% Adventure 6,4% 4,1% 3,7% 4,6% 11,1% Sci-Fi 2,1% 3,8% 4.1% 0,0% 6,0% Horror 2,8% 6,0% 6,8% 0,7% 3,7% Fantasy 1,1% 1,2% 2,2% 2,0% 7,7% Mystery 5,6% 2,3% 1,9% 0,0% 1,3% 19,8% 23,9% 33,9% 8,6% 54,6%

Family 0,9% 1,6% 2,1% 4,0% 7,7% Animation 0,3% 0,8% 1,2% 4,0% 4,7% 1,2% 2,4% 3,3% 8,0% 12,4% Gewertete Filme 7197 1829 6783 100 100 Genrezuweisungen 7946 1962 8511 151 298 Tabelle฀9฀฀฀Hollywoodgenres฀1930–2001฀(Quellen: Cinemania฀97;฀[ab฀1997] Internet฀Movie฀Database; Variety). Da฀insbesondere฀im฀postklassischen฀Kino฀Filme฀selten฀nur฀einem฀Genre฀zugeordnet฀werden,฀beziehen฀sich die฀obigen฀Werte฀nicht฀auf฀die฀Anzahl฀der฀gewerteten฀Filme,฀sondern฀auf฀die฀Anzahl฀der฀in฀den฀Quellen vorhandenen฀Genrezuweisungen.฀Top฀100฀2002฀nach฀Box฀Office฀weltweit,฀Top฀100฀1950฀nach฀US-Ren- tals฀(internationale฀Daten฀und฀Box฀Office฀liegen฀nicht฀vor). schen Ära hinausgeht.57 Mögliche Erklä- allgemein gegenüber Medienkonsum und rungsgründe für diesen als „graying of the Unterhaltungskultur aufgeschlosseneren audience“ bekannten Trend sind: Erstens Lebensgewohnheiten in den USA. Die di- das Altern der ersten Blockbustergeneratio- rekte Ansteuerung älterer Zielgruppen mit nen, die, einmal durch Filme wie STAR WARS Filmen wie COCOON (1985), GRUMPY OLD für das Kino gewonnen, dem Medium treu MEN (1993) oder THE FIRST WIVES CLUB geblieben sind. Zweitens Eltern, die ihre (1996) ist wohl eher als eine nachträgliche Kinder ins Kino begleiten. Und drittens die Reaktion฀auf฀den฀Trend฀zu฀sehen.

57 Susan Ohmer, „The Science of Pleasure: George Gallup and Audience Research in Hollywood“, in Identifying Hollywood’s Audiences: Cultural Identity and the Movies, eds. Melvyn Stokes, Richard Maltby฀(London:฀BFI฀Publishing,฀1999),฀68. 3.1 „Boom and Bust“ 151

Abb.฀32฀฀฀Kinobesucher฀nach฀Altersgruppen฀(Quelle:฀Ohmer,฀68;฀Vogel,฀388; Werbeweischer.de)

Vor allem bilden Teenager das kon- mäßig. Eltern mit Kindern gehen häufiger stanteste und verlässlichste Zuschauerseg- ins Kino als kinderlose Ehepaare; Erwach- ment der Filmindustrie: Nach aktuellen sene (18 und älter) mit höherer Bildung Zahlen einer im Auftrag der MPAA jährlich häufiger als solche mit geringer Schulaus- durchgeführten Studie besuchen 51% der bildung. Nach Geschlechtern variieren die 12–17-jährigen Amerikaner mindestens Besuchsgewohnheiten sowohl beim Er- einmal im Monat das Kino; 37% kaufen wachsenen-Publikum als auch bei Teen- sich mindestens einmal in sechs Monaten agern nur geringfügig: Männer gehen eine Karte; nur 5% gehen überhaupt nicht nach den Ergebnissen der Umfrage etwas ins Kino. Von der Gruppe der über 18- häufiger ins Kino als Frauen. jährigen bleiben dagegen bereits 33% dem Wenn Minderjährige eines der wich- Kino generell fern; 31% besuchen gele- tigsten Publikumssegmente der Majors bil- gentlich eine Vorstellung; nur 24% regel- den, liegt der Schluss nahe, Hollywood

Gruppe Häufig Gelegentlich Selten Nie mindestens ein- mindestens ein- weniger als ein- mal im Monat mal in 6 Mona- mal in 6 Mona- ten ten Alter 12–17 Jahre 51% 37% 7% 5% 18 und älter 24% 31% 12% 33% Familien mit Kindern (18–) 25% 38% 13% 23% ohne Kinder 23% 27% 11% 38% Bildung (18+) College (mind. teilw.) 28% 34% 13% 25% High School Abschluß 19% 28% 12% 39% Ohne Abschluß 15% 21% 9% 54% Geschlecht 12 und älter: männlich 29% 31% 12% 27% 12 und älter: weiblich 24% 32% 11% 32% 18 und älter: männlich 27% 30% 12% 30% 18 und älter: weiblich 20% 32% 12% 35% Tabelle฀10฀฀฀Publikumsgruppen฀und฀Besuchsfrequenz฀(2001)฀(Quelle:฀MPAA) 152 3 Geschichte

Abb.฀33฀฀฀MPAA-Ratings฀1968–2001฀(Quelle:฀MPAA) müsste in zunehmendem Maße darum be- Große Flaggschiffproduktionen wie TI- müht sein, seine Filme den Standards für TANIC,INDEPENDENCE DAY oder PEARL HAR- jugendfreie Zertifikate, wie sie die ameri- BOR werden es kaum riskieren, einen ge- kanischen Ratings G, PG und PG-13 dar- wichtigen Teil ihres potenziellen Publi- stellen, anzupassen. Unter Berücksichti- kums auszuschließen. Die zweite Liga des gung des gesamten amerikanischen Film- härteren Actionkinos nimmt diesen Nach- spektrums gibt es jedoch kaum Anhalts- teil durchaus in Kauf, um dafür bei seiner punkte, die eine solche Tendenz bestäti- primären Zielgruppe um so besser punk- gen würden: Seit ihrer Gründung, hat die ten zu können: Lediglich ein Zehntel der Bewertungsstelle der MPAA CARA (Classi- US-Top-Ten-Filme der letzten fünf Jahre fication And Rating Administration) das sind R-Produktionen. Alle übrigen haben den Zugang für Minderjährige beschrän- das G-, PG- oder PG-13-Rating erhalten. kende R-Rating deutlich mehr vergeben Das durchschnittliche Produktionsbudget als jedes andere Zertifikat (siehe Abbil- für die R-Gruppe beträgt dabei ca. 50 Mio. dung 33). Das für die PG-Gruppe 87 Mio. US-$. Anders als europäische Zertifikationen Natürlich können PG-Ratings ökono- orientiert sich das amerikanische Wer- mischen Erfolg nicht garantieren und tungssystem traditionell nicht so sehr an auch R-Filmen gelingt es immer wieder an Gewaltdarstellungen per se als an sittli- die Spitze der Kinocharts vorzudringen. chen und moralischen Kriterien wie Das NC-17-Rating gilt allerdings als „fi- Schimpfworten, Drogenmissbrauch und nanzieller Selbstmord“. Ursprünglich ein- vor allem an sexuellen Inhalten und An- gerichtet, um riskantere Filme von den an- spielungen. Dass Spielberg-Produktionen rüchigen Assoziationen des X-Ratings zu wie JAWS,POLTERGEIST, die INDIANA befreien, nachdem es von der Pornoindust- JONES-Trilogie oder JURASSIC PARK trotz ih- rie gekapert worden war, ist das NC-17-Ra- rer mehr oder weniger ausgeprägten An- ting in den USA mittlerweile schon fast lehnung an das Horrorgenre jugendfreie ebenso verpönt. Vor allem aber weigern Zertifikate erhalten haben, wogegen ro- sich wichtige Outlets wie beispielsweise mantische Komödien wie PRETTY WOMAN die Blockbuster-Videokette derartige Filme (1990) oder WHEN HARRY MET SALLY erst ab in ihren Filialen überhaupt anzubieten. 17 frei zugänglich sind, lässt sich daher Opfer dieser Problematik wurde Ende der wohl zu großen Teilen auf solch kulturelle Neunziger z.B. Stanley Kubricks EYES WIDE Faktoren zurückführen. Der Verdacht, SHUT (1999): Während der Film in Europa dass auch ökonomische Überlegungen da- in seiner ursprünglichen Version gezeigt bei mit eine Rolle spielen, ist aber sicher- werden konnte, mussten für den amerika- lich nicht ganz unbegründet. nischen Markt Zensurmaßnahmen ergrif- 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 153

fen werden, um die Vergabe eines NC-17- wurden nicht herausgeschnitten, sondern Ratings zu verhindern. Aufsehen hat dabei mittels digitaler Kompositionstechnik vor allem die Methode der Zensur erregt: durch einkopierte Wächterfiguren für die Die betreffenden Kopulationsszenen in der Blicke der Zuschauer verdeckt. mysteriös angelegten „Orgiensequenz“

3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren

Handelt es sich bei den Blockbustern vor der High-Concept-Entwicklung gehabt 1978 zum Teil noch um unerwartete Zu- hat oder auch heute noch hat, zu präzisie- fallstreffer, beginnt sich mit Ausklang der ren, als gerade darum, eine gewisse Dis- Siebziger eine zunehmend ökonomisierte tanz zu den mitunter etwas wackeligen und systematisierte Zugangsweise im Füh- Definitionsversuchen von Industrie-Insi- rungsstil der Studios und bei der Gestal- dern zu gewinnen und den Begriff so auf tung von Filmprojekten und damit eine eine makroökonomisch und historisch radikalisierte Kommerzialisierung des orienterte Analyse der mit ihm assoziier- Hollywoodkinos durchzusetzen. Bekannt ten wirtschaftlichen und ästhetischen wird dieser neue Duktus, der bald zur Aus- Veränderungen des Hollywoodkinos hin prägung eines mehr oder weniger sympto- zu öffnen. matischen Produktionstils führt, unter Insofern sich Wyatt vor allem auf das dem Schlagwort High Concept. Die Ur- Kino der Achtzigerjahre konzentriert, lie- sprünge des Begriffs liegen unmittelbar in fert seine Analyse dabei einerseits die Be- der Industrie selbst. Ausgehend von der schreibung einer ästhetisch bereits weitge- angrenzenden Fachpresse, den so genann- hend vergangenen Stilepoche. Gleichzei- ten Trade Papers wie Variety und The Holly- tig verdeutlicht sie aber auch einige der wood Reporter entwickelt er sich jedoch entscheidenden Prinzipien und Mechanis- bald zu einem weit verbreiteten Mode- men, die das Hollywoodkino bis heute be- wort, das je nach Kontext und Ansichten stimmen. seiner Kommentatoren immer wieder un- Zuvorderst zählt dazu die Entwicklung terschiedliche Konnotationen erhält. und Ausreifung eines Marketingsystems, Der amerikanische Filmwissenschaft- das die Filmindustrie seit den Achtziger- ler Justin Wyatt hat das Schlagwort in ei- jahren nicht nur als eine rein externe Be- ner 1994 erschienen Studie wieder aufge- gleiterscheinung der wachsenden Kom- nommen, um entlang dieses informellen merzialisierung und Ökonomisierung des Diskurses eine, wie er es nennt, „kritische Filmgeschäfts zu dominieren, sondern Redefinition“ des Begriffs respektive des eben auch immer stärkeren Einfluß auf High-Concept-Stils und seiner ökonomi- den Prozeß der Filmgestaltung selbst zu schen und ästhetischen Merkmale zu ent- nehmen beginnt: Hollywoodfilme werden wickeln.58 Wyatt geht dabei weniger dar- seit den Achtzigerjahren, so Wyatts Grund- um, die konkrete Bedeutung, die der Be- these, in zunehmendem Maße direkt und griff im industriellen Kontext zur Blütezeit von vornherein für eine optimale Ver-

58 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀1. 154 3 Geschichte

marktung über die Medien konzipiert und Zu den bekanntesten und bis heute ein- sind dementsprechend auch immer mehr flussreichsten Vertretern dieses neuen Ma- von den inhärenten Qualitäten, die eine nagementtyps gehört das Dreigespann solche Vermarktung gewährleisten kön- Barry Diller, Michael Eisner und Jeffrey nen, abhängig, während andere Aspekte Katzenberg, die nach erfolgreicher Zusam- des Mediums zunehmend in den Hinter- menarbeit beim TV-Network ABC zwi- grund gedrängt werden. Die Vermarktbar- schen 1975 und 1976 das Medium wech- keit eines Filmprojekts bezieht sich dabei seln und angeführt von Diller die Leitung bedingt durch die Struktur des Packa- bei Paramount übernehmen. Diller geht ge-Unit-Systems immer auf zwei Bereiche: Mitte der Achtzigerjahre zu 20th Century Erstens auf den ursprünglichen Pitch eines Fox und ist heute die Nummer Zwei hin- Projekts an ein Studio und damit auf die ter Jean-René Fourtou bei Universal. (Da- erste Vorauslese der Filme, die überhaupt neben leitet er mit USA Interaktive sein ei- für eine Realisierung in Frage kommen. genes kleines Medienkonglomerat.) Eisner Zweitens auf die nachfolgende Vermark- geht 1984 gefolgt von Katzenberg zu Dis- tung an den Konsumenten und Kinozu- ney, wo er die Tochtergesellschaften und schauer. Filmlabels Touchstone und Hollywood Pictures gründet und das auf Familienun- terhaltung und Theme Parks spezialisierte 3.2.1 „25 words or less“: „Nische-Unternehmen“ zu einem der High Concept und „Marketing Hooks“ weltweit größten Medienkonzerne um- Anders als bei den Pionieren und Grün- strukturiert. Katzenberg ist heute neben dervätern Hollywoods, die im Laufe der Steven Spielberg und David Geffen Kobe- Sechziger- und Siebzigerjahre ihre Positio- sitzer und Leiter der Animationsdivision nen endgültig abgeben, handelt es sich von DreamWorks SKG. bei den neuen Führungskräften der Ma- Paramount und Disney/Touchstone jors um wirtschaftlich ausgebildete Ge- werden von Wyatt nicht nur als die öko- schäftsleute, die von Außen ins Filmge- nomisch erfolgreichsten Studios der Acht- schäft kommen bzw. aus den Etagen der zigerjahre identifiziert, sondern sind sei- neuen, großindustriellen Eigentümer der ner Meinung nach auch als die führenden Studios stammen. Richard Lederer: Kräfte der High-Concept-Entwicklung ein- zustufen. Wieweit die persönlichen Beiträ- This new breed, in the best American tra- ge des Trios zur Entstehung des High-Con- dition, was made up of well-trained busi- cept-Approachs gehen, ist dabei schwer zu ness-management graduates who were beantworten, zumindest aber werden Dil- used to systematized and highly structur- ler und Eisner üblicherweise als die Urhe- ed business organizations. They knew ber des Begriffs als solchem gehandelt. Die everything on the business side of how to Assoziation mit Diller geht dabei auf seine run a company. After one look at a movie Stellung als Programmchef bei ABC zu- company, they found it to be amorphous rück, wo er mit Erfolg TV-Film-Projekte be- and seemingly running amok. They were vorzugt haben soll, deren Handlungsmus- aghast. Their strict sense of business trai- ter sich besonders leicht in knappen Syn- ning was offended, and their impulse was opsen zusammenfassen ließen, die dann to systematize and structure, to make the in Programmzeitschriften und TV-Spots company, in their terms, ‚make sense‘.59 eingesetzt werden konnten, um die Filme

59 Lederer,฀183. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 155

anzukündigen und zu promoten. Jeffrey rien seines Bestimmungsversuchs benutzt, Katzenberg, der es wissen müsste, akkredi- findet sich in der Rede vom „Hook“ eines tiert dagegen Michael Eisner, der ähnlich, Filmprojekts. Die Drehbuchgurus Wolff jedoch erst bei Paramount, Filmprojekte und Cox über „elements, that generally mit einer prägnanten und in wenigen are considered to add to a projects salability“: Worten vermittelbaren Grundidee als Trä- Does it have a hook? A ‚hook‘ is an aspect ger eines High Concepts bezeichnet haben of a story that allows it to be quickly and soll.60 interestingly summarized in a line or two. Die Qualität eines Filmprojekts, über Such stories are also often referred to in die im zu Grunde liegenden Prämissen in the industry as being ‚high concept‘.62 einem oder wenigen Sätzen klar charakte- risierbar zu sein, bildet demnach auch den Ähnlich, vor allem aber sehr viel präziser ersten und basalsten Grundkonsens, den und dem professionellen Gebrauch des die schwankenden Definitionsversuche Begriffs wohl am nächsten die High-Con- des High-Concept-Begriffs aufweisen. Im- cept-Definition von Michael Hauge: mer wieder gerne zitiert wird in diesem Zu- Basically, it means that the story idea sammenhang auch ein Statement Steven alone is sufficient to attract an audience, Spielbergs: regardless of casting, reviews, and word If a person can tell me the idea in 25 of mouth. If that single sentence descri- words or less, it’s going to make a pretty bing your story idea (It is a story about a good movie. I like ideas, especially movie ____ who wants to ____.) is enough all by ideas, that you can hold in your hand.61 itself to get people to line up or tune to see the movie, then it has a high concept.63 Die Summierbarkeit der inhaltlichen Vor- gaben eines Projekts in wenigen Worten Eine Produktion, die sich nicht nur wegen mag bereits zahlreiche Filme mit komple- der Prägnanz ihres Hooks als Einstiegsbei- xeren Handlungsverläufen, ambivalenten spiel anbietet, sondern mit der zentralen Inhalten und abstrakteren Themen aus- Stellung, die dieser Hook für den Film als grenzen. Genaugenommen lässt diese Ganzes einnimmt, auch gleich die Auswir- recht durchlässige Bedingung aber doch kungen aufzeigt, die der High-Concept- einen noch ziemlich breiten Spielraum of- Approach mitunter auf ein Filmprojekt fen. In einer zweiten Nuance sollte die haben kann, ist die Jim Carrey Komödie Kernidee oder eben des Konzept des LIAR LIAR (1997): Das gesamte Narrativ des High-Concept-Movies daher so kommu- Films basiert auf und entwickelt sich hier nizierbar sein, dass sie auch noch oder ge- aus dem einfachen und pointierten Kon- rade in einer solch reduzierten Fassung zept eines unehrlichen Anwalts, der auf nach Möglichkeit unmittelbar die Auf- Grund der wundersamen Erfüllung des merksamkeit und das Interesse des Emp- Wunsches seines Sohns nicht mehr lügen fängers auf sich zieht. Ein häufig verwen- kann und daraufhin in allerlei peinliche deter Synonymbegriff für diesen letztend- Situationen, sowohl im Berufsleben als lich sehr viel entscheidenderen Aspekt, auch als Privatperson, verstrickt wird. den auch Wyatt als eine der Grundkatego- Ähnlich entfaltet sich GROUNDHOG DAY

60 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀8. 61 Zit.฀in: Ibid.฀13. 62 Jurgen฀Wolff,฀Kerry฀Cox, Successful฀Scriptwriting (Cincinnati:฀Writers฀Digest฀Books,฀1988),฀8–9. 63 Hauge, Screenplays฀That฀Sell,฀25. 156 3 Geschichte

um den für den Film integralen Hook ei- gewohntes Milieu fertig werden. Eine na- nes Protagonisten, der in einer 24-stündi- hezu buchstäbliche Umsetzung dieses gen Zeitschleife gefangen wird und den- Prinzips führt der Film SPLASH (1984) vor selben Tag immer und immer wieder Augen – das erste Release von Touchstone durchleben muss. Und ähnlich stützt sich nach der Ankunft von Eisner und Katzen- auch das 98er Remake von DOCTOR DO- berg bei Disney –, in dem eine zivilisa- LITTLE weniger auf den Plot seiner klassi- tionsfremde Meerjungfrau (nach der Vor- schen Vorlage als lediglich das kompri- lage eines bekannten Märchens) ihrem mierte Konzept eines Familienvaters und Geliebten mit den zu erwartenden Kom- Arztes, der die Fähigkeit besitzt, mit Tie- plikationen ins Manhattan der Achtziger- ren kommunizieren zu können. Alle drei jahre folgt. Im übertragenen Sinn findet Filme sind, wenn auch nicht als zwingen- sich dieselbe Formel jedoch in einer gan- de Folge, so doch als markantes Indiz ihrer zen Welle von typischen Achtzigerjahre- hohen „Konzeptlastigkeit“, auf den Filmen wieder, deren Spektrum von der Kunstgriff eines mirakulösen Ereignisses reinen Komödie, über das Action/Adven- angewiesen, um die Konstellationen ihrer ture-Kino bis hin zu den sophistizierteren absurden aber eben pointierten Konzepte Genres wie der romantischen und Tragiko- zu konkretisieren und in allen drei Filmen mödie reicht: In TRADING PLACES (1983) bleibt dieser Eingriff entgegen den Grund- spielt Eddie Murphy einen schlagfertigen regeln des Hollywoodkinos bis zum Straßenganoven, der nach einer Wette sei- Schluss absolut unmotiviert. nen Platz mit einem verwöhnten Millio- Handelt es sich bei GROUNDHOG DAY närssohn (Dan Aykroyd) tauscht. Nahezu in der Tat um ein außergewöhnlich origi- das selbe Enfant terrible aus der Arbeiter- nelles und auch in seiner narrativen Um- klasse (wenn auch auf der anderen Seite setzung brillant durchgespieltes Konzept, des Gesetzes) mimt Murphy als Axel Foley basieren die gebräuchlicheren Hooks des danach noch einmal in der Schikeriawelt High-Concept-Kinos in der Regel auf sehr von BEVERLY HILLS COP (1984). Michael viel banaleren Strukturen. Eines der im Dorsey (Dustin Hoffman) verkleidet sich Zuge des frühen High-Concept-Booms in TOOTSIE als Frau. Barbra Streisand gibt und bis heute vielleicht am häufigsten va- sich in der Titelrolle von YENTL (1983) als riierten Grundkonzepte manifestiert und Mann aus. Marty McFly findet sich in verfestigt sich mit Beginn der Achtziger- BACK TO THE FUTURE unversehens in den jahre in dem, was Justin Wyatt als die Fish Fünfzigerjahren, der Jugendzeit seiner El- out of Water-Komödie bezeichnet. tern, wieder. Während der zwölfjährige Den Möglichkeiten, Filme um integra- Joshua (David Moscow) in BIG (1988) ei- le Hooks zu konstruieren oder sekundäre nes Morgens plötzlich im erwachsenen Hooks in Filme einzubauen, sind ganz of- Körper von Tom Hanks erwacht. fensichtlich keinerlei Grenzen gesetzt. In Besitzen die, wie Tabelle 11 verdeut- der Fish-out-of-Water-Komödie aber ent- licht, gezielte Dichotomie derart plakati- steht er per definitionem aus der so gesehen ver Konzepte und die sich daraus ergeben- erstaunlich simplen, deshalb aber offen- den Reibungseffekte und Konfliktsituatio- bar nicht minder effektiven Konfrontati- nen natürlich auch einen gewissen Unter- on zweier unterschiedlicher, möglichst ge- haltungswert im Rezeptionserlebnis des gensätzlicher Milieus: Entweder der Prota- Films per se (und sind sie in diesem Sinne gonist gerät in ein ihm fremdes Umfeld auch alles andere als revolutionär) bieten oder eine ungewohnte Situation oder er sie – und hier liegt der für Wyatt entschei- selbst muss mit einem Eindringling in sein dende Aspekt – vor allem eine ideale 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 157

Unterschichtsangehörige « im Oberschichtsmi- Männer « als Frauen lieu (Verkleidung) TRADING PLACES (1983) TOOTSIE (1982) BEVERLY HILLS COP 1–3 (1984,1987,1994) MRS.DOUBTFIRE (1993) PRETTY WOMAN (1990) (Körpertausch) KING RALF (1991) SWITCH (1991) MR. DEEDS (2002) Frauen « als Männer Oberschichtsangehörige « im Unterschichtsmi- (Verkleidung) lieu YENTL (1983) OVERBOARD (1987) (Körpertausch) PLANES,TRAINS & AUTOMOBILES (1987) ALL OF ME (1984) COMING TO AMERICA (1988) Frauen « in Männerberufen Aliens, Roboter und andere Fabelwesen « PRIVATE BENJAMIN (1980) im Milieu der kontemporären US-Kultur WILDCATS (1986) E.T. – THE EXTRA-TERRESTRIAL (1982) MY CHAUFFEUR (1986) SPLASH 1–2 (1984,1988) STARMAN (1984) Junggesellen « als Väter GHOSTBUSTERS 1–2 (1984, 1989) THREE MEN AND A BABY 1–2 (1987, 1990) WEIRD SCIENCE (1985) TEEN WOLF 1–2 (1985, 1987) Babys « die sprechen können HOWARD THE DUCK (1986) LOOK WHO'S TALKING 1–3 (1989,1990,1993) SHORT CIRCUIT 1–2 (1986,1988) HARRY AND THE HENDERSONS (1987) ein Mensch « der Tiere versteht MANNEQUIN 1–2 (1987, 1991) DOCTOR DOLITTLE 1–2 (1998, 2001) MY STEPMOTHER IS AN ALIEN (1988) TWINS (1988) Ein Mann, der hört « was Frauen denken EARTH GIRLS ARE EASY (1989) WHAT WOMEN WANT (2000)

Kinder/Teenager « im Körper vom Erwachse- ein Erwachsener « in der Schule nen, und umgekehrt BACK TO SCHOOL (1986) LIKE FATHER LIKE SON (1987) BILLY MADISON (1996) VICE VERSA (1988) BIG (1988) ein Weißer « als Schwarzer 18 AGAIN! (1988) SOUL MAN (1986) DREAM A LITTLE DREAM (1989) eine Barsängerin « als Nonne Altersheimbewohner «werden wieder jung SISTER ACT 1–2 (1992, 1993) COCOON 1–2 (1985, 1988) Reisen aus der Gegenwart « in die Vergangen- Landleute « in der Großstadt heit CROCODILE DUNDEE 1–3 (1986, 1989, 2001) BACK TO THE FUTURE 1–3 (1985, 1989, 1990) PEGGY SUE GOT MARRIED (1986) Großstädter « auf dem Land BILL &TED'S EXCELLENT ADVENTURE 1–2 (1989, 1991) DOC HOLLYWOOD (1991) CITY SLICKERS 1–2 (1991, 1994) Reisen aus der Vergangenheit « in die Gegen- wart Eine Blondine « in Holly wood ENCINO MAN (1992) LEGALLY BLONDE (2001) AUSTIN POWERS 1–3 (1997, 1999, 2002) BLAST FROM THE PAST (1999) Tabelle฀11฀฀฀Fish-out-of-Water-฀und฀ähnliche฀High-Concept-Komödien

Grundlage für die mediale Promotion des konnotierte Assoziationsfelder aktivieren, betreffenden Films: Die Kampagne einer um ein auffälliges und markantes Profil betont polarisierten Fish-out-of-Water-Ko- für das von ihr beworbene Produkt zu ent- mödie oder ähnlicher so genannter High- wickeln. Der in der High-Concept- oder Concept-Comedies und -Filme muss letzt- Fish-out-of-Water-Komödie wegen seiner endlich nicht mehr als zwei gegensätzlich Einfachheit und zentralen Stellung beson- 158 3 Geschichte

ders deutlich sichtbare Hook eines Films gedehnten Angebot des gesamten Unter- stellt damit, wie Wolff und Cox bestäti- haltungsmarktes zu differenzieren.66 gen, nichts anderes dar als der im Produkt Um von anderen Filmen und Unterhal- bereits vorab integrierte Marketingauf- tungsangeboten unterschieden werden zu hänger seiner späteren Werbekampagne: können, müssen die immanenten Qualitä- ten eines Projekts, auch wenn wir üblicher- Why the stress on stories with a strong weise behaupten, vorher möglichst wenig hook? Mostly because if you can get peo- über den Handlungsverlauf eines Films ple interested in the film with one or two wissen zu wollen, für den potenziellen sentences you have the makings of a terri- Konsumenten und Kinobesucher klar er- fic ad campaign. In the movie ads that kennbar sein. Dieser Erkennungs- und Dif- appear in newspapers there’s only room ferenzierungsprozess erfolgt in einem ers- for a picture and a line or two. Similarly a ten Schritt gezwungenermaßen über das fifteen- or thirty-second TV ad only gives Marketing eines Filmprojekts, das unab- you time for a couple of clips and few li- hängig vom Gesamtaufwand einer Kampa- nes from the announcer.64 gne, wie Wolff und Cox hervorheben, im- Ähnlich der mittlerweile verstorbene Hol- mer durch die zeitlichen und räumlichen lywood-Produzent Don Simpson (siehe Begrenzungen der einzelnen Werbeplatt- auch 3.2.4) über Pitches und Studio Exe- formen eingeschränkt wird.67 Einfache, cutives: prägnante, klar und schnell kommunizier- bare Filmkonzepte und konkrete Hand- They don’t want to know too much, they lungsmuster bilden unter diesen Bedingun- want to know concept... They want to gen eine ideale Voraussetzung für den Ent- know what the three-liner is, because they wurf von charakterisierenden Titeln, sy- want it to suggest the ad campaign. They noptischen Slogans, Printanzeigen, Trai- want a title … They don’t want to hear lern und Press Kits für sämtliche Formen any esoterica. And if the meeting lasts der Crossover-Werbung, die in entspre- more than five minutes they’re probably chender Kombination schon lange vor not going to do the project.65 dem Start eines Films Schemata einrasten lassen und mehr oder weniger gefestigte Justin Wyatt macht die Entstehung und und hohe Erwartungshaltungen beim Rezi- den Erfolg der High-Concept-Entwicklung pienten wecken. Wie John Ellis die Funkti- an der für die Filmindustrie gestiegenen on dessen beschreibt, was er als das „narra- Notwendigkeit fest, ihr Produkt, das an- tive฀Image“฀eines฀Films฀bezeichnet: ders als herkömmliche Warenartikel jedes Mal neu ein selbsttragendes Einzelpro- An idea of the film is widely circulated dukt ist, das außer seinem immanenten and promoted, an idea which can be cal- Unterhaltungswert wenig Nutzen für den led the ‚narrative image‘ of the film, the Konsumenten bereithält, einerseits unter- cinema industry’s anticipatory reply to einander andererseits gegenüber dem aus- the question ‚What is this film like?‘ If

64 Wolff,฀Cox,฀8–9. 65 Zit.฀in:฀Litwak,฀73. 66 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀19,฀94,฀104. 67 Teaser-Trailer, die oft bereits Monate vor Filmstart in die Kinos kommen, haben üblicherweise eine Länge von ca. 90 Sekunden. Standard Trailer, die bereits zahlreiche Szenenausschnitte und viel narrative Information enthalten, in etwa eine Länge von 2 Minuten 30 Sekunden. Der Kauf von Sendezeit für TV-Spots ist im Vergleich zu Kinotrailern sehr viel teurer. TV-Spots werden daher฀üblicherweise฀entweder฀in฀einer฀15-฀oder฀30-Sekunden-Version฀gesendet.฀Vgl.฀Lukk,฀219. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 159

anything is bought at the box office that (...) They’ll give you ratings and tell you is already known by the audience, it is how good this looks, what turns them on, this narrative image. Payment for a ticket what turns them off, how this works and is not an endorsement of a film, nor an how this doesn’t work. Invariably, you dis- endorsement of a particular performance cover the lowest common denominator, of a film in a particular place. It is an en- which is that the more story you tell some- dorsement of the narrative image of the body, the more they seem to understand film, together with the general sense of what the movie is about. The more they the cinematic experience. Payment at the think they grasp, about what the movie is, box office of a cinema is an act of appro- the฀better฀your฀test฀results฀will฀be.69 ving the promise that the film offers Wie Bordwells Analyse zeigt, korrespon- through the mechanism of the narrative dieren die traditionellen Paradigmen des image. The narrative image created for klassischen Kinos mit seinen zielorientier- (and from) a film is the deciding factor in ten Helden, linearen, materiellen und its commercial success, and a considera- konfliktorientierten Handlungssträngen ble factor in the success of the actual per- sowie das Prinzip des per definitionem repe- formance of the film. The narrative image titiven Genrefilms grundsätzlich positiv is decidedly less than the whole film: it is mit den Anforderungen derartiger Ver- the promise, and the film is the perfor- marktbarkeitsbedingungen. Dennoch las- mance and realization of that promise.68 sen sich bereits figurenorientierte Holly- woodproduktionen, geschweige denn Ellis betont dabei unter anderem den aber Arthouse Movies, die sich oft bewusst „enigmatischen Charakter“ des narrativen nicht nur von etablierten Plotmustern, Images – und in der Tat versuchen Film- sondern von starken materiellen Hand- kampagnen, insbesondere in der frühen lungslinien überhaupt distanzieren, sehr Anfangsphase, die Aufmerksamkeit und viel schwieriger in derart prägnante Mar- Neugier des Konsumenten immer wieder ketingprofile übertragen: Trailer von durch spektakuläre, inhaltlich aber betont Kunstfilmen wirken nicht zuletzt deshalb zurückhaltende Aktionen oder einen typi- oft unscheinbar und vergleichsweise we- scherweise eher reduzierten Teaser-Trailer nigversprechend, weil es ihnen nicht ge- zu erregen. Doch das allein ist nicht ge- lingen kann oder gelingen will, die inhalt- nug. Spätestens zwei Wochen vor dem lichen Prämissen und Highlights des Start eines Films werden Werbespots, Pres- Films, die sich hier typischerweise aus seberichte und das, was der Filmvermark- sehr viel feineren Kontrasten, oft nur ter Chris Arnold als „kitchen sink“-Trailer langsam und aus komplexeren Zusam- bezeichnet, ein sehr klares Bild von dem menhängen entwickeln, in wenigen Mi- gezeichnet haben, was der Zuschauer er- nuten auf den Punkt zu bringen. Konse- warten soll. Arnold: quenterweise sind filigraner konstruierte The complaint I hear most often is that Dramen und der Betrieb des Kunst- und trailers tell too much of the story and sort Autorenkinos daher auch sehr viel stärker of let it all hang out. The main reason for auf ausführliche Kritikerrezensionen und that is that for the last ten years, research andere Gütesiegel wie Filmpreise oder Au- is a big part of determining what we do. torennamen angewiesen. Mark Litwak:

68 Ellis,฀30. 69 Zit฀in:฀Lukk,฀222–223. 160 3 Geschichte

In looking to market independent films doesn’t have to be perfect for a film to be (...) distributors like Sony Classics look successful. They want the story to be so for one or more of the following elements: strong that it can overcome problems in cast, reviews and festival honors. Basical- execution … . If you get fifty percent of ly, distributors of independently made what is inherent in a project, it will still films sell them on the basis of either the work … . They want a fuck-up-proof sto- cast or occasionally a name director like ry, so that even if Bozo the clown directs Spike Lee or Quentin Tarantino; on the it, it will be OK.71 basis of winning film festivals, especially Dieser Funktionalität einer ökonomi- the important ones like Sundance, Toron- schen Rückversicherung von Filmen to, or Cannes; and on the basis of critical durch selbsttragende Marketinghooks ho- reviews from important media outlets like molog, ist das postklassische Hollywood- the New York Times, the Los Angeles Ti- kino grundsätzlich an der Implementie- mes, and the trade papers. If an indepen- rung von dem interessiert, was Justin Wy- dent film does not have at least one of the att als die „pre-sold properties“ eines Film- aforementioned marketing hooks, the projekts bezeichnet – d.h. Elemente, die film is unlikely to interest most distribu- dem Konsumenten bereits bekannt und tors.70 vertraut sind und sich optimalerweise be- reits zu einem früheren Zeitpunkt oder in 3.2.2 Differenz und Wiederholung: anderen Kontexten als erfolgreich erwie- High Concept und „Recycle-Kino“ sen haben.72 Zu den prominentesten Erscheinungs- Wenn starke Marketinghooks und Kon- formen dieses Strategems zählen neben zepte einem Filmprojekt ein erhöhtes den üblichen Starschauspielern und na- Maß an prärezeptiver Markanz verleihen, mentlich oder über Filmreferenzen reprä- reduzieren sie damit auch den Stellenwert sentierten Regisseuren, Produzenten oder der narrativen und ästhetischen Fein- Autoren eines Films („a x film“, „x pre- struktur des Films – vor allem aber das mit sents“, „from the y of x“), das Sequel re- der Qualität dieser Feinstruktur verbunde- spektive Filmfranchise, der Zyklus, das Re- ne Risiko eines kommerziellen Fehl- make und die Bestsellerverfilmung, aber schlags. Michael Hauges Hinweis auf die auch die jüngeren Formen des TV-Serien- Erhabenheit eines High Concepts über kri- Remakes oder Spin-offs und der Comic- tische Reviews und postrezeptive Mund- und Computerspielverfilmung. zu-Mund-Propaganda bezeichnet nichts Justin Wyatt sieht im prävalenten, in anderes als genau diese Funktion einer den Neunzigerjahren aber markant gestie- Rückversicherung gegen die sicherlich im- genen Hang des Hollywoodkinos zum Re- mer geschmacksabhängigen, oft aber of- cycling altbekannter und etablierter Vorla- fensichtlichen und geteilt wahrgenommen gen weder den unfreiwilligen kreativen Schwächen eines Films. Wie es der Dreh- Bankrott der Studios, noch die Indizien ei- buchautor Richard Kletter formuliert: ner postmodernen Kulturepoche, sondern Hollywood is interested in movies where in erster Linie ein sehr bewusst eingesetz- execution in acting, writing and directing tes Mittel, um Filme besser und sicherer

70 Zit.฀in:฀Lukk,฀118. 71 Zit.฀in:฀Litwak,฀115. 72 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀13,฀129–133. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 161

vermarkten zu können: Während die Kam- Das Sequel erfüllt dementsprechend pagne eines originären Konzepts gewisser- immer beide Funktionen: Einerseits die maßen aus dem Stand agieren muss, um Wiederholung der erprobten inhaltlichen die Markenidentität für einen Film aufzu- Erfolgsformel und seiner Schlüsselelemen- bauen, hält die etablierte Vorlage diese te, andererseits die rein marketingstrategi- wiedererkennbare Signatur zumindest in sche Rückbindung an den bereits voll eta- ihren Ansätzen bereits im Voraus bereit. blierten und wiedererkennbaren Marken- Dass es dabei nicht, wie häufig beklagt, namen – das Brand, wie es mittlerweile nur einfach darum geht, eine erprobte und auch beim Film mitunter heißt. Ähnlich gefragte Formel zu kopieren, zeigen vor al- fungiert bereits der Star eines Films nicht lem Computerspielverfilmungen wie TOMB nur als vertrauter Charakter in der narrati- RAIDER aber auch die jüngsten Versuche ven Struktur des Films, sondern auch als neue Franchises auf der Basis bekannter ein Garant für bestimmte Handlungsmo- Fernsehserien zu gründen: Filme wie MIS- mente und als weltbekanntes Markeneti- SION:IMPOSSIBLE (1996), THE AVENGERS kett für das jeweilige Projekt: Jeder weiß in (1998) oder CHARLIE’S ANGELS (2000) leh- etwa, was er von einer romantischen Ko- nen sich zwar auch inhaltlich mehr oder mödie mit Julia Roberts oder einem Acti- weniger akkurat an ihre Vorlagen an, viel onfilm mit Arnold Schwarzenegger zu er- entscheidender als die Wiederholung der warten hat. letztendlich austauschbaren Rituale dieser Bücher bilden derzeit hinter Spec Serien ist hier jedoch ganz klar die explizi- Scripts und vor Pitches, die lediglich auf te Referenz auf den bereits etablierten der bloßen Idee für ein bestimmtes Projekt Markennamen der Fernsehreihe und ihrer beruhen, die zweitwichtigste Quellenvor- Protagonisten: Während die Ankündi- lage für Studiofilme. In den meisten Fällen gung eines neuen Agenten-Thrillers mit ist der Bekanntheitsgrad dieser Vorlagen Tom Cruise oder Drew Barrymore, Came- sicherlich beschränkt; dennoch tritt bei ron Diaz und Lucy Liu in den Hauptrollen der Verfilmung eines globalen Bestsellers sicherlich nicht unbeachtet bleibt, ist es wie Harry Potter oder The Lord of the Rings doch erst die Vermarktung dieser Filme als oder bei der Beteiligung eines Markenau- Remake von x, die ihnen den letzten Pub- tors wie Stephen King oder John Grisham licitykick und das, was Hollywood-Produ- die rein werbestrategische Komponente zenten als built-in awareness bezeichnen, des Recyclingstrategems aber auch hier verleiht. klar in den Vordergrund. Entsprechend muss auch beim übli- Anders als bei diesen schon begrifflich chen Remake eines Films zwischen Projek- als Kopie oder Wiederholung bestimmten ten unterschieden werden, die lediglich ei- Kategorien wird im Bereich des Zyklus und nen ausländischen Filmerfolg für ein ame- der für Hollywood typischen Repetition rikanisches und internationales Publikum und Fusion erfolgreicher Konzepte die ex- adaptieren oder einen relativ unbekann- plizite Referenz auf den oder die Trendset- ten oder vergessenen Klassiker kontempo- ter und kommerziellen Schlüsselfilme üb- rären Verhältnissen anpassen und sol- licherweise eher vermieden; offensicht- chen, die wie BRAM STOKER’S DRACULA lich, da einem Projekt, dessen Ähnlichkei- (1992), THE MASK OF ZORRO (1998), GOD- ten zu anderen Filmen sich nicht als kon- ZILLA oder PLANET OF THE APES (2001) in stantes Thema eines Auteurs, als zeitge- erster Linie den globalen Bekanntheits- nössische Adaption oder als Fortsetzung grad ihres Ausgangsmaterials für sich aus- rechtfertigen lassen, unweigerlich der ne- zunutzen versuchen. gative Beigeschmack des Plagiats oder 162 3 Geschichte

Remake TV-Remake, Spin-off Comic, Bestseller Computerspiel Ausland TV-Remake Comic John Grisham BREATHLESS (83) STAR TREK 1–6 (79) SUPERMAN (78) THE PELICAN BRIEF (93) 3MEN AND A BABY (87) FLASH GORDON (80) POPEYE (80) THE FIRM (93) THE BIRDCAGE (96) DRAGNET (87) SUPERGIRL (84) THE CLIENT (94) NIGHTWATCH (98) THE NAKED GUN (88) HOWARD THE DUCK (86) THE CHAMBER (96) JUST VISITING (01) THE ADDAMS FAMILY (91) BATMAN (89) u.a. DENNIS THE MENACE (93) DICK TRACY (90) Klassiker THE FUGITIVE (93) THE CROW (94) Michael Crichton SORCERER (77) THE FLINTSTONES (94) THE MASK (94) THE ANDROMEDA STRAIN SCARFACE (83) THE BRADY BUNCH MOVIE JUDGE DREDD (95) (71) THE FLY (86) (95) TANK GIRL (95) JURASSIC PARK (93) CAPE FEAR (91) FLIPPER (96) CASPER (95) CONGO (95) SABRINA (95) MISSION:IMPOSSIBLE (96) BARB WIRE (96) SPHERE (98) YOU'VE GOT MAIL (98) THE SAINT (97) THE PHANTOM (96) TIMELINE (03) PAYBACK (99) LEAVE IT TO BEAVER (97) MEN IN BLACK (97) u.a. THE THOMAS CROWN AFFAIR GEORGE OF THE JUNGLE SPAWN (97) (99) (97) BLADE (98) Stephen King ANNA AND THE KING (99) MR.MAGOO (97) X-MEN (00) CARRIE (76) MR.DEEDS (02) THE AVENGERS (98) FROM HELL (01) THE SHINING (80) LOST IN SPACE (98) SPIDER-MAN (02) THE DEAD ZONE (83) Populäre Klassiker MY FAVORITE MARTIAN (98) THE HULK (03) CHRISTINE (83) KING KONG (76) INSPECTOR GADGET (99) DAREDEVIL (03) CUJO (83) TARZAN (81,84,98) THE WILD,WILD WEST (99) HELLBOY (04) PET SEMATARY (89) INNERSPACE (87) CHARLIE'S ANGELS (00) FANTASTIC FOUR (04) MISERY (90) ROBIN HOOD:PRINCE OF SCOOBY DOO (02) u.a. THIEVES (91) Computerspiel BRAM STOKER'S DRACULA TV-Spin-Off SUPER MARIO BROS. (93) Bestseller (92) STAR TREK 7–9 (94) STREET FIGHTER (94) THE GODFATHER (72) BODY SNATCHERS (93) MASTERS OF THE UNIVERSE MORTAL KOMBAT (95) THE EXCORCIST (73) THE NUTTY PROFESSOR (96) (87) WING COMMANDER (99) JAWS (74) 101 DALMATIANS (96) TWIN PEAKS (92) LARA CROFT:TOMB RAI- BONFIRE OF THE VANITIES TITANIC (97)) WAYNE'S WORLD (92) DER (01) (90) GODZILLA (98) POWER RANGERS (95) POKÉMON:THE MOVIE THE BRIDGES OF MADISON THE MASK OF ZORRO (98) BEAVIS AND BUTTHEAD (97) (00) COUNTY (96) DOCTOR DOLITTLE (98) THE X-FILES (98) DUNGEONS &DRAGONS PRIMARY COLORS (98) PSYCHO (98) THE RUGRATS MOVIE (98) (00) AMERICAN PSYCHO (00) THE MUMMY (99) SOUTH PARK (99) FINAL FANTASY (01) HOW THE GRINCH STOLE SHAFT (00) RESIDENT EVIL (02) CHRISTMAS (00) PLANET OF THE APES (01) HANNIBAL (01) OCEAN’S ELEVEN (01) HARRY POTTER (01) THE TIME MACHINE(02) THE LORD OF THE RINGS (01) BRIDGET JONES’S DIARY (01) Tabelle฀12฀฀฀Grundtypen฀des฀Recyclefilms

Trittbrettfahrers anhaftet. Obwohl damit Eine gängige und in den Achtzigern in diesem Bereich gerade der Aspekt der von US-Kritikern häufig direkt mit dem impliziten, formalen und inhaltlichen An- High-Concept-Approach assoziierte Wei- lehnung und nicht die offene und davon se, einen neuen Film zu diskreditieren, ist letztendlich unabhängige Etikettierung zu es, ihn als eine simple Variation oder Re- überwiegen scheint, findet sich der für die kombination bereits bekannter Filme zu Vermarktung eines Projekts offenbar so charakterisieren.73 Eine positive Variante wichtige antizipatorische Wiedererken- dieses Spiels findet sich in der Filmzeit- nungswert aber auch hier wieder. schrift Cinema, die jede ihrer Kritiken mit

73 Vgl. Ibid.,฀13–14,฀Litwak,฀73–74. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 163

Abb.฀34.1–6฀฀฀Linke฀Spalte:฀MEN฀IN BLACK-Teaser฀(Amblin/Columbia,฀1997);฀rechte฀Spalte:฀INDEPEN- DENCE DAY (Centropolis/Fox, 1996); GHOSTBUSTERS (Columbia, 1984) und PULP FICTION (A Band Apart / Miramax,฀1994). dem Hinweis beendet: „Dieser Film könn- späteren Zeitpunkt wiederbelebt werden te Ihnen gefallen, wenn Sie Film x und können – siehe beispielsweise das uner- Film y mochten.“ wartete Revival des Slasher- und Teenager- Wie letztendlich alle Produkte, insbe- films nach dem überwältigenden Erfolg sondere aber die der Unterhaltungsindu- von SCREAM. strie, zieht jeder erfolgreiche Film übli- Umgekehrt betrachtet verbindet sich cherweise einen Rattenschwanz von Tritt- mit jedem neuen Hollywoodfilm dement- brettfahrern nach sich – in jüngster Zeit sprechend eine ganze Kette von Assozia- kommt es dabei sogar immer wieder zu re- tionen, die auf frühere Erfolge und be- gelrechten Filmdoubletten wie bei DAN- kannte Vorlagen zurückverweisen und da- TE’S PEAK /VOLCANO (1997), DEEP IMPACT / mit ein, wenn auch nicht explizites, so ARMAGEDDON (1998) oder MISSION TO doch eben implizites Referenzen-Sorti- MARS /RED PLANET (2000) –, solange bis die ment für das Marketing eines Projekts be- Formel oder der Trend endgültig ausge- reithalten. Feststellungen wie: SATURDAY wrungen sind und es entweder einer län- NIGHT FEVER (1977) sei ein ROCKY im Dis- geren Pause oder eines transformatori- comilieu und FLASHDANCE (1982) der SA- schen Impulses bedarf, bevor sie zu einem TURDAY NIGHT FEVER der Achtzigerjahre; 164 3 Geschichte

Abb.฀34.7–10฀฀฀GODZILLA-Teaser฀(Centropolis/Tristar,฀1998)

ALIEN emuliere JAWS im seit STAR WARS an- Bild und macht das Dinosaurierskelett gesagten Science Fiction-Genre; PREDATOR und Markenlogo von JURASSIC PARK buch- (1987) fusioniere ALIEN wiederum mit stäblich dem Erdboden gleich. Der Teaser dem RAMBO /MISSING IN ACTION-Zyklus zu MEN IN BLACK zeigt den spektakulären (1984); MEN IN BLACK vereinige die „Cool- Absturz eines UFOs, das kaum zufällig an ness“ von PULP FICTION mit der von den die Flugkörper aus INDEPENDENCE DAY er- X-FILES und INDEPENDENCE DAY genährten innert und präsentiert dann die „Men in Alien-Mania, während er die erfolgreiche Black“, wie sie gelassen ihre überdimen- GHOSTBUSTERS-Formel (1984) aus den sionierten Laserwaffen in Anschlag neh- Achtzigerjahren reaktiviert; TWISTER sei men. Das Filmplakat von DEEP IMPACT bil- ein JURASSIC PARK (1993) mit Wirbelstür- det in kaum verkennbarer Anlehnung an men; VOLCANO wiederum ein TWISTER mit das Poster von TITANIC ein innig um- Vulkanausbruch und GODZILLA ein billiger schlungenes, jugendliches Liebespaar über Abklatsch von THE LOST WORLD (1997), dem ins Meer schlagenden Kometen und liegen daher mit Sicherheit nicht falsch, der sich auf Manhattan zuzubewegenden greifen als Kritik jedoch zu kurz, insofern Flutwelle ab (siehe Abbildung 34.1–12). als sie letztendlich nur genau das wieder- Gerade also weil sich gängige State- geben, was die Konzeption dieser Filme ments, wie oben, hier so deutlich mit der dem Konsumenten ohnehin vermitteln Marketing-Logistik Hollywoods decken, soll. demonstrieren sie damit weniger dessen Der bereits ein Jahr vor Filmstart in Minderwertigkeit als gerade die Funk- Umlauf gebrachte Teaser-Trailer zu GOD- tionstüchtigkeit seines traditionellen Wie- ZILLA zeigt das Innere eines Naturhistori- dererkennungsprinzips. Kurz, hier handelt schen Museums, in dem das Skelett eines es nicht um Dekonstruktion, sondern um Dinosauriers von einer Schulklasse be- High Concept in actu: Die Rekombination staunt wird. Kurz darauf beginnt die Erde oder Abwandlung verspricht Neuheit und unter mächtigen Schritten zu beben. Der Einzigartigkeit. Die kontinuierlichen Ele- riesige Fuß des neuen Godzilla bricht ins mente garantieren Wiedererkennbarkeit 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 165

Abb.฀34.11–12฀฀฀TITANIC (Lightstorm/Paramount/Fox,฀1997)฀und฀DEEP IMPACT (DreamWorks/Para- mount,฀1998) und lassen auf eine Wiederholung vergan- people still want to see something they’ve gener Erfolge hoffen. Oder wie Michael never seen before when they go to the mo- Hauge seinen Drehbuchschülern das vies. As a screenwriter, you must therefore scheinbar widersprüchliche Prinzip von find some way to overcome this paradox Differenz und Wiederholung erklärt: and find a strong middle ground between never-been-anything-like-this-in-a- Mentioning originality at all as a quality theater-before originality, and this-is-just- for commercial acceptance by Hollywood like-the-last-movie-I-saw familiarity.74 seems ludicrous in light of what is cur- rently produced. Just look at the schedule of programs for any new TV season and 3.2.3 Blitzkrieg-Marketing und Phan- try to find a wholly original concept. Or tomfilme: Der Saturation Release und remove the sequels, remakes, takeoffs, seine Folgen rip-offs, and clones from any feature film production list, and it becomes evident Um die volle Tragweite der Bedeutung, die that total originality scares Hollywood to Marketing und Werbung seit den Achtzi- death. Nonetheless, ‚lack of originality‘ is gerjahren für das Hollywoodkino und die consistently a stated reason for the rejecti- Filmindustrie einnehmen, sichtbar zu ma- on by producers and studios of screen- chen, muss noch eine zweite, ganz ent- plays and story concepts. And it is true scheidende Komponente mit berücksich- that while audiences seem to support tigt werden. Seinen maximalen Wirkungs- ‚more of the same‘ in TV and theaters, grad erreicht der High-Concept-Approach

74 Hauge, Screenplays฀That฀Sell,฀26. 166 3 Geschichte

Titel Start Weitester Distribu- US-Box Office (Kinos) tionsgrad (Kinos) (Mio US-$)

AMERICAN BEAUTY (99) 16 1990 130,1

CROUCHING TIGER,HIDDEN DRAGON (00) 16 2027 127,0

THE CRYING GAME (92) 6 1097 62,6

FOUR WEDDINGS AND A FUNERAL (94) 5 1069 52,7

THE FULL MONTY (97) 6 783 45,9

SEX, LIES AND VIDEOTAPE (89) 4 534 42,9

FARGO (96) 36 716 24,6

THE PLAYER (92) 23 452 21,7

TRAINSPOTTING (96) 8 357 16,5

SECRETS AND LIES (96) 4 296 13,4 Tabelle฀13฀฀฀Ausgewählte฀Platform฀Releases฀(Quelle:฀Payda, Box฀Office฀Guru) und insbesondere das Pre-sold-Property- und ausländische Filme vorgesehen. In Strategem nämlich erst durch die massive anderen Worten für genau das, was Robert Hebelwirkung eines entsprechend opti- Friedman, Präsident von Warner Bros. mierten Distributionsschemas. Worldwide Theatrical Advertising and Hollywood unterscheidet heute grob Publicity als ein „review-driven picture“ zwischen zwei Varianten, nach denen ein bezeichnet, d.h. Filme die weder einen Film lanciert werden kann: Erstens als so sonderlich einspielträchtigen Star, noch genannter Platform Release, zweitens als ein sonderlich vermarktbares Konzept – Saturation- oder Wide Release. Im Modus „conceptually advertisable“, heißt es bei des Platform Release startet der Film oft Friedman – vorweisen können und ihr mit nur einer Handvoll Kopien in den zen- Publikum daher üblicherweise eher lang- tralen Metropolen Amerikas New York sam und vornehmlich über Rezensionen und Los Angeles, per definitionem aber und Mund-zu-Mund-Propaganda errei- nicht mehr als mit einigen hundert Ko- chen müssen.75 pien in den wichtigsten Großstädten der Wie Tabelle 13 zeigt, schließt der limi- USA und erfährt dann nach traditionellem tierte und gestaffelte Start eines Films eine Muster und abhängig von seinem Erfolg flächendeckende Ausweitung ebenso we- bei Publikum und Kritik eine schrittweise nig aus wie finanziellen Erfolg (vor allem Ausweitung innerhalb dieser und anderer wenn Oscar-Nominierungen mit ins Spiel regionaler Märkte. Beim Saturation Release kommen); entscheidend ist, dass der Mo- startet der Film dagegen landesweit in bis dus – auch wenn der Schritt zum weiteren über 3000 Kinos gleichzeitig. Die Kopien- Vertrieb bisweilen recht sprunghaft erfol- zahl wird im weiteren Verlauf möglicher- gen kann – grundsätzlich von unten nach weise leicht erhöht, ändert sich aber nur oben arbeitet, d.h. ausgehend von der fak- geringfügig. tischen Rezeption des Films und der Orga- Platform und Limited Releases – Plat- nisation seiner narrativen und ästheti- form Releases, bei denen sich der maxima- schen Feinstruktur. le Distributionsgrad auf wenige ausge- Genau umgekehrt verhält es sich beim wählte Städte und Kinos beschränkt – sind Saturation- oder Wide Release. Entdeckt in erster Linie für Nischeproduktionen wurde das Prinzip für die Majors eher

75 Vgl.฀Friedman,฀296. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 167

Datum Expansion Leinwände total Welle 1: Eröffnung – 11. März Märkte 1–2 5 Leinwände Welle 2: Eröffnung – 18. März Märkte 3–10 19 Leinwände Welle 3: Eröffnung – 25. März Märkte 10–15 36 Leinwände Welle 4: Eröffnung – 30. März Märkte 15–68 252 Leinwände Welle 5: Eröffnung – 8. April Märkte 68–162 545 Leinwände Welle 6: Eröffnung – 15. April Märkte 162–212 721 Leinwände Welle 7: Eröffnung – 25. April Märkte 212–240 900 Leinwände

Tabelle฀14฀฀฀Platform-Distributionsplan฀–฀FOUR WEDDINGS฀AND฀A FUNERAL (Quelle:฀Lukk,฀7) durch Zufall: Sowohl Thomas Schatz als Das erfolgreiche Prinzip wurde bald auch Justin Wyatt zitieren den hierzulan- auch für Filmstarts auf nationaler Ebene de relativ unbekannten Karatefilm BILLY übernommen. Einer der ersten Filme, die JACK (1971) als Präzedenzfall. Andere hiervon profitieren konnten, war der, wie Quellen weisen daneben auch auf den un- bereits angeführt, 1975 mit mehr als 400 abhängigen Distributor Sunn Classics hin, Kopien lancierte JAWS. Dem für heutige der ähnliche Taktiken, wie sie im Zuge des Verhältnisse noch sehr limitierten Start Falls BILLY JACK zur Anwendung kamen, von Spielbergs Ur-Blockbuster folgten wei- schon seit Ende der Sechzigerjahre einge- tere und ausgedehntere Saturation Relea- setzt haben soll.76 ses: Paramounts Remake von KING KONG Dem Regisseur und Hauptdarsteller aus dem Jahre 1976 startete in 961 Kinos, der Low-Budget-Produktion Tom Laughlin EXORCIST II: THE HERETIC (1977) in 703 Ki- gelang es, nach einem enttäuschenden nos, SATURDAY NIGHT FEVER (1977) in 726 Erststart von BILLY JACK, seinen Distributor Kinos, GREASE (1978) in 902 Kinos, STAR Warner Bros. erfolgreich wegen mangel- TREK:THE MOTION PICTURE (1979) in 856 hafter Promotion des Projekts zu verkla- Kinos.77 gen. Beginnend in der Region Südkalifor- Heute geht kaum eine Majorprodukti- nien wurde BILLY JACK im Jahre 1973 da- on oder aufwändigerer Pick-up mit weni- rauf von Laughlin selbst noch einmal lan- ger als 2000 Kopien ins Rennen. Potenziel- ciert. Diesmal mit einem bisher unübli- le Blockbuster nur selten mit weniger als chen Aufwand an Print- und TV-Werbung, 2500 Kopien. Der derzeitige Rekordhalter verbunden mit einer nahezu flächende- HARRY POTTER wurde im November 2001 ckenden Mietbuchung von Kinos (so ge- in 3310 Kinos auf 8100 Leinwänden nanntes Four Walling) in der Region des gleichzeitig gestartet. Sendegebiets, die alle – auch suburban und Die Funktionalität des Saturation Re- ländlich gelegene – den Film am selben lease liegt auf der Hand: Ziel ist es, erstens Tag starteten. BILLY JACK erzielte darauf das das rein „konzeptuelle“ Potenzial eines bis dahin höchste Erstwochen-Einspiel- Filmprojekts – Hooks, Pre-sold Properties ergebnis in Südkalifornien und konnte etc. – beziehungsweise die Kapazität der mit derselben Strategie in den übrigen entsprechenden Werbekampagne voll aus- Märkten seine Einnahmen aus dem ur- zunutzen, bevor durch negative Mund- sprünglichen Release insgesamt verneun- zu-Mund-Propaganda oder Presse kontra- fachen. produktive Einflüsse entstehen und zwei-

76 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀110–111;฀Schatz,฀„The฀New฀Hollywood“,฀21;฀Friedman,฀292. 77 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀111–112. 168 3 Geschichte

Abb.฀35฀฀฀Wide฀Releases฀1993–2001(Quelle:฀AC฀Nielsen, EDI) tens im gleichen Zug so weit als möglich Anstatt vom zusätzlichen Momentum ei- von den positiven Strahlungseffekten, die ner hohen Platzierung oder sogar einer fi- ein finanzieller Starterfolg nach sich zie- nanziellen Rekordmeldungen weitergetra- hen kann, zu profitieren. Drittens erlaubt gen zu werden, erhält ein Film, der hinter ein Saturation Release allen finanziell ex- den Erwartungen der Analysten zurück- ponierten Parteien ihre Investitionen in bleibt, spätestens in der zweiten Woche kürzest฀möglicher฀Zeit฀zurückzugewinnen. seines Releases den Stempel des Flops, der Anders als in der Musikbranche tradi- das Schicksal seines Kinolaufs in der Regel tionell üblich erzielt ein Wide Release sei- um so schneller besiegelt. Robert Fried- ne höchsten Zuschauerzahlen und Chart- man: platzierungen nahezu ausnahmslos am For a national release, movies have beco- ersten Wochenende seines Kinolaufs und me a three-day business; if the opening sinkt in den folgenden Wochen sukzessive grosses are not strong, the picture will not immer weiter ab. Ein Wide Release, dem es survive for an extended run. If a picture is nicht gelingt, in der ersten Woche in den not performing as expected, it’s virtually Top-Fünf zu landen, hat damit nicht nur impossible to rescue. Once $4- to $6-mil- eine rechnerisch von vornherein schwä- lion has been spent to convey a specific chere Ausgangsposition hinsichtlich der message to the audience, that cannot be Verbreitung von Mund-zu-Mund-Propa- changed. (...) It is analogous to speeding ganda, sondern erhält darüber hinaus üb- down a mountain on a train, heading to- licherweise auch keine weitere Nachfolge- ward the release date. Nothing can push promotion. Weder durch seinen Distribu- the train back up the mountain; there’s tor selbst, der seine Verluste sofort zu ver- no second chance, all expenditures have mindern versucht, noch durch die Presse, been made.79 für die, insbesondere in den USA, finan- zieller Erfolg nicht nur ein entscheidender Mit dem Saturation Release steht der er- Nachrichtenfaktor ist, sondern grundsätz- weiterten Auswertungspalette des Holly- lich immer auch dazu geneigt, das qualita- woodkinos damit ein Moment extremer tive Urteil über ein Projekt einzufärben.78 Verdichtung gegenüber, das ausgehend

78 Vgl.฀Bart,฀Guber, Shoot฀Out,฀240. 79 Friedman,฀301–302. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 169

von der rein konzeptuellen und marke- If a film has success in the domestic mar- tingstrategisch vermittelten Präsenz eines ket place, you’ll most likely have ancilla- Projekts den gesamten Lauf des Films bis ry success in the area of international, hin zu dessen Erfolgschancen in den se- home video, television etc. It’s a chain re- kundären Distributionsfenstern kodeter- action. If your movie doesn’t open well, miniert: Mit Ausnahme von generell kauf- doesn’t perform well, it’s not going to do begünstigten Kinder- und Animationsfil- well in those ancillary markets.80 men gelingt es nur sehr wenigen Produk- tionen sich im Videosektor vom Trend des Da ein wöchentlicher Publikumszuwachs Kinolaufs abzukoppeln, zumal sich die im Modus des Saturation Release prak- vertriebstechnische Positionierung eines tisch so gut wie ausgeschlossen ist und Films in diesem Fenster, ebenso wie die rein erfolgsabhängige Selbstläuferreaktio- Preissetzung im Fernsehbereich, ohnehin nen sich somit nicht in der starken Form an dessen Box-Office-Erfolg ausrichtet. eines Schneeballeffekts abzeichnen, son- Einzelne Filme werden im Ausland mitun- dern den Reibungsverlust eines Filmlaufs ter zwar deutlich besser (z.B. DAYLIGHT lediglich schmälern können, sind sie an- [1996] oder SPEED 2: CRUISE CONTROL hand von Wochenergebnissen leider [1997]) oder schlechter (z.B. BATMAN oder nicht zu isolieren. Über den grundlegen- AIR FORCE ONE) aufgenommen als auf dem den Stellenwert, den prärezeptives und heimischen Markt, mit der wachsenden damit tendenziell „qualitätsunabhängi- Globalisierung des Informationsmarktes ges“ Marketing gegenüber postrezeptiver gewinnt die Signal- und Verstärkerwir- und damit tendenziell „qualitätsabhängi- kung, die vom US-Ergebnis eines Films ger“ Mund-zu-Mund-Propaganda im Zuge ausgehen kann, aber auch hier zuneh- der Etablierung und zunehmenden Aus- mend an Bedeutung. weitung von Saturation Releases ein- Negative Ergebnisse eilen dem Aus- nimmt, geben Einspielstatistiken jedoch landsstart eines Films mittlerweile ebenso sehr deutlich Auskunft. schnell voraus wie die Publicity um einen Die gebräuchlichsten Indikatoren für Blockbustererfolg oder Überraschungshit das Verhältnis dieser beiden Pole sind ei- oder spiegeln sich, selbst wenn der explizi- nerseits das Ergebnis des Eröffnungswo- te Hinweis darauf fehlt, allein schon im chenendes, das zeitbedingt vornehmlich Volumen des zur Verfügung gestellten Prä- durch das Konzept, die Pre-sold Properties sentationsraumes der ausländischen Fach- und das Marketingimage eines Films und presse wieder. Auffällig positive Heimer- der hierauf aufbauenden Erwartungshal- gebnisse werden selbstverständlich schon tung des Publikums getragen wird. Ande- seit jeher als Promotionselement einge- rerseits der relative Zuschauerrückgang setzt – „der Hit aus den USA“, „der erfolg- nach Absorbierung dieser ersten An- reichste Film des Jahres“ etc. Extrem nega- drangswelle. Schwere Verluste deuten auf tive Ergebnisse resultieren (sofern das Pro- negative Mund-zu-Mund-Propaganda hin; jekt nur ein geringes Investitionsrisiko schwache Verluste auf positive Mund-zu- trägt) nicht selten darin, dass ein Film das Mund-Propaganda oder wiederholte Kino- Ausland überhaupt nur als Videokassette besuche – so genanntes Repeat Business –, erreicht. Jim Frederick, Präsident der Mar- wie sie für Blockbustergroßerfolge und ketingabteilung von Castle Rock Enter- Kultfilme aus dem Nischebereich allge- tainmanet: mein charakteristisch sind. Das Verhältnis

80 Zit.฀in:฀Lukk, Movie฀Marketing,฀179. 170 3 Geschichte

zwischen den beiden Faktoren spiegelt sollte sich aber zumindest tendenziell ent- sich rückwirkend in der Relation zwischen lang der Linie dieser Grundkategorien ein- der Einspielsumme des Eröffnungswo- ordnen lassen: Generell hohe bzw. stei- chenendes und dem Endergebnis des gende Verlustraten und Ratios zwischen Er- Films wieder. öffnungs- und Endergebnissen unterstüt- Vier mögliche Grundszenarien lassen zen die These von einer zunehmenden Do- sich dabei unterscheiden: 1.) Eine hohe Er- minanz von Marketing über die faktische öffnung und niedriger Zuschauerrück- Rezeption und Feinstruktur eines Films. gang: Das Marketing und Konzept des Allgemein niedrige bzw. historisch sin- Films haben hohe Erwartungen geweckt, kende Verlustraten unterstützen die Ge- die auch tatsächlich erfüllt werden. Der genthese. Film profitiert stark von seinem Marke- Zuschauerverlustraten bieten den Vor- tingappeal und der Hebelwirkung des Sa- teil den qualitätsabhängigen Publikums- turation Releases, erhält aber auch nach zuspruch eines Films „objektiv“ wiederzu- dem Eröffnungswochenende positive geben, d.h. den für den kommerziellen Mund-zu-Mund-Propaganda. Der Anteil Filmbetrieb ausschlaggebenden fakti- des Eröffnungsergebnisses am Enderlös ist schen Zulauf und nicht die öffentlich oder „klein“. 2.) Eine hohe Eröffnung und ho- in Umfragen vertretene Meinung. Dafür her Zuschauerrückgang: Das Marketing gibt es dabei aber auch immer zwei verzer- und Konzept des Films haben hohe Erwar- rende Störfaktoren: Erstens rein erfolgsab- tungen geweckt, die aber nicht erfüllt wer- hängige Selbstläufereffekte – der Zulauf den. Der Film erhält negative Mund-zu- nach dem Eröffnungswochenende ist hö- Mund-Propaganda und lebt vornehmlich her/niedriger, weil dessen positives/nega- von der Rückversicherung seines Marke- tives Ergebnis das Image des Films verbes- tingappeals und der Hebelwirkung des Sa- sert/verschlechtert hat. Zweitens absorbie- turation Releases. Der Anteil des Eröff- ren Saturation Releases ihr Publikum auf nungsergebnisses am Enderlös ist „sehr Grund der breiten Zugangsmöglichkeit groß“. 3.) Eine niedrige Eröffnung und eben grundsätzlich frühzeitig – der Zulauf niedriger Zuschauerrückgang: Das Marke- nach dem Eröffnungswochenende ist ge- ting und Konzept des Films haben keine ringer, weil jeder den Film sehen wollte, übermäßigen Erwartungen geweckt. Der dies einfach bereits am ersten Wochenen- Film kommt beim Publikum aber dennoch de tun konnte und auch getan hat. Um an und entwickelt sich dank positiver den Einfluss des letzteren Faktors zu relati- Mund-zu-Mund-Propaganda und auf vieren und eine allgemein erweiterte Per- Grund seiner faktischen Qualitäten zum spektive zu erhalten, ist es daher sinnvoll, Hit. Der Anteil des Eröffnungsergebnisses ein zweites Referenzsystem, wie es subjek- am Enderlös ist „sehr klein“. 4.) Eine nied- tive Publikumsbewertungen oder auch rige Eröffnung und hohe Zuschauerverlus- Kritikerurteile darstellen, zum Vergleich te: Der Filme weckt von vornherein wenig hinzuzuziehen (Tabelle 16). Interesse und wird ein schwerwiegender Tabelle 15 zeigt die Chartplatzierun- Flop. Saturation Releases, die sich genau gen der zwölf erfolgreichsten Hollywood- gegen dieses Szenario richten, machen produktionen der US-Sommersaison 1997 dies eher unwahrscheinlich, der Anteil des über den Verlauf von drei Monaten. Die Eröffnungsergebnisses am Enderlös wäre Ferienzeit zwischen Mai und September, aber „klein“. in denen die Majors mittlerweile traditio- Realiter werden nur wenig Filme derart nell ihre erfolgsversprechendsten, aber klare Bilder zeichnen. Jeder Wide Release auch kostspieligsten Produktionen ins 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 171

23.–25. Mai 30.Mai–1. Juni 6.–8. Juni 13.–15. Juni

Platz 1 LOST WORLD LOST WORLD CON AIR SPEED 2

Platz 2 ADD. TO LOVE ADD. TO LOVE LOST WORLD CON AIR

Platz 3 5TH ELEMENT GONE FISHIN'ADD. TO LOVE LOST WORLD

Platz 4 AUSTIN POWERS TRIAL AND ERROR BUDDY ADD. TO LOVE

Platz 5 BREAKDOWN 5TH ELEMENT GONE FISHIN'AUSTIN POWERS

20.–22. Juni 27.–29. Juni 4.–6. Juli 11.–13. Juli

Platz 1 BATMAN FACE/OFF MEN IN BLACK MEN IN BLACK

Platz 2 WEDDING HERCULES FACE/OFF CONTACT

Platz 3 CON AIR BATMAN HERCULES FACE/OFF

Platz 4 LOST WORLD WEDDING WEDDING HERCULES

Platz 5 SPEED 2CON AIR BATMAN WEDDING

18.–20. Juli 25.–27. Juli 1.–3. August 8.–10. August

Platz 1 MEN IN BLACK AIR FORCE ONE AIR FORCE ONE CONSPIRACY

Platz 2 JUNGLE JUNGLE SPAWN AIR FORCE ONE

Platz 3 CONTACT MEN IN BLACK JUNGLE SPAWN

Platz 4 NOTH. TO LOSE CONTACT MEN IN BLACK JUNGLE

Platz 5 FACE/OFF GOOD BURGER PICTURE PERFECT MEN IN BLACK Tabelle฀15฀฀฀US-Sommersaison฀1997฀–฀Top฀5,฀Woche฀1–12

Rennen schicken, bilden neben Weih- erwarten sind. Vom mit Hochspannung nachten die ökonomisch wichtigste und erwarteten THE LOST WORLD, aber auch AIR am härtesten umkämpfteste Periode des FORCE ONE (sieht man von SPAWN ab, der amerikanischen Kinojahres. Alle zwölf Fil- nicht zu den Top 12 gehört) nimmt die me sind selbstverständlich Wide Releases, Konkurrenz zwei Wochen Abstand. Mit von massiven Werbeetats unterstützt und Ausnahme von CONTACT, der nur eine mit einer Ausnahme (SPEED 2: CRUISE CON- Woche nach dem Saisonsieger MEN IN TROL) erwartungsgemäß auch am Jahres- BLACK an den Start geht und dies lediglich ende nicht schlechter als auf Rang 18 in 1923 Kinos, den genannten Parallelstar- (CONSPIRACY THEORY) der amerikanischen tern und der Komödie GEORGE OF THE JUN- Besuchercharts platziert. GLE lösen alle Flaggschiffproduktionen am Der durchschnittliche Abstand zwi- ersten Wochenende ihres Releases ihre je- schen den Startterminen dieser Flagg- weiligen Vorgänger vom Spitzenplatz der schiffproduktionen oder Tentpole Pictures, Besuchercharts ab. wie sie im Industriejargon genannt wer- Trotz dieses hoch kompetitiven Markt- den, beträgt genau eine Woche, wobei die umfelds erzielen alle zwölf Filme enorme romantische Komödie MY BEST FRIEND’S Eröffnungsergebnisse: Mit Ausnahme von WEDDING und der Animationsfilm HERCU- SPEED 2: CRUISE CONTROL,GEORGE OF JUN- LES jeweils gleichzeitig mit BATMAN &RO- GLE und CONSPIRACY THEORY nimmt kei- BIN, beziehungsweise FACE/OFF starten, ner der Filme weniger als 20 Mio. US-$ in aus der offensichtlichen Überlegung, dass den ersten drei Tagen (Freitag bis Sonntag) zwischen diesen Filmpaaren keine allzu seines Releases ein. Zusätzliche Einnah- großen Zielgruppenüberschneidungen zu men aus verlängerten und daher als Start- 172 3 Geschichte

Abb.฀36฀฀฀Sommer฀1997฀–฀Box-Office-Total฀&฀Eröffnungsergebnisse

Abb.฀37฀฀฀Sommer฀1997฀–฀Rückgang฀in฀der฀2.฀Spielwoche

Abb.฀38฀฀฀Sommer฀1997฀–฀Anteil฀des฀Eröffnungsergebnisses฀am฀B.O.-Total 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 173

Filmtitel US-Kritik Publikum: IMDB Viewer Rating Rang Wertung Rang Wertung Stimmen

MEN IN BLACK 1 7,9 3 7,5 5255

FACE/OFF 2 7,1 2 7,8 3985

HERCULES 3 6,9 4 7,5 526

AIR FORCE ONE 4 6,4 5 7,3 2278

CONTACT 5 6,0 1 8,4 6100

MY BEST FRIEND'S WEDDING 6 5,4 7 7,3 1801

GEORGE OF THE JUNGLE 7 4,9 9 6,7 572

CONSPIRACY THEORY 8 4,9 8 7,2 1202

THE LOST WORLD 9 4,6 10 6,0 2920

CON AIR 10 4,4 6 7,3 1954

BATMAN &ROBIN 11 3,5 12 3,8 2375

SPEED 2: CRUISE CONTROL 12 2,9 11 4,5 851 Tabelle฀16฀฀฀US-Sommersaison฀1997฀–฀Kritiker฀&฀Publikumswertung (Quellen:฀IMDB฀[Mai฀1998];฀Nisha฀Gopalan,฀„Critic’s฀Choice“,฀Premiere฀[April฀1998]:฀86–87) Die฀Viewer฀Ratings฀der฀IMDB฀basieren฀auf฀einer฀Skala฀von฀1฀(sehr฀schlecht)฀bis฀10฀(sehr฀gut).฀Bei฀gleichen Werten฀wurde฀für฀die฀Rangfolge฀die฀Anzahl฀der฀abgegebenen฀Stimmen฀berücksichtigt. Die฀Wertungen฀in฀der฀Spalte฀US-Kritik฀entsprechen฀der฀Durchschnittsbenotung฀฀von฀16฀namhaften฀US- Kritikern.฀Die฀Quelle฀gibt฀diese฀Wertungen฀durch฀ein฀5฀Sterne฀System฀wieder:฀1฀Stern฀=฀„a฀must฀avoid“,฀5 Sterne฀=฀„most฀recommended“.฀Zu฀Vergleichszwecken฀wurden฀die฀Kritikerwertungen฀mit฀dem฀Faktor฀2 multipliziert. termin äußerst begehrten Feiertagswo- damit fast 100% seiner auf 74 Millionen chenenden wurden nicht gewertet. Inklu- US-$ geschätzten Produktionskosten ein. sive dieser Einnahmen käme THE LOST Dass es sich bei BATMAN &ROBIN be- WORLD auf 92,7 Mio. US$, (in vier Tagen) reits um die vierte Installation des bekann- und MEN IN BLACK auf 84,2 Mio. US$. (in ten Franchises handelt, scheint der Erwar- fünf Tagen). tung des Films keinerlei Abbruch zu tun: Besonders hoch fällt das Startergebnis Mit einer Eröffnungssumme von 42,9 Mio. erwartungsgemäß bei THE LOST WORLD, US-$ liegt BATMAN 4 sogar noch knapp vor MEN IN BLACK,BATMAN &ROBIN und AIR dem Ergebnis des ersten BATMAN aus dem FORCE ONE aus: Als Spielberg-Produktion Jahre 1989 (42,7 Mio. US-$) und nur wenig und Sequel des weltbekannten, stilbilden- hinter den Startergebnissen des zweiten den und bis dahin erfolgreichsten Films al- (45,7 Mio. US-$) und dritten (52,8 Mio. ler Zeiten JURASSIC PARK ist der „Pre-sold- US-$) Teils der Reihe. Typisch für das Kon- Property“-Level von THE LOST WORLD kaum zept des Franchises werden auch in BAT- zu überbieten. Wenig verwunderlich blieb MAN &ROBIN Top-Stars für die Rollen der sein Eröffnungsergebnis bis HARRY POTTER Erzfeinde des Helden gecastet. Ein Hook, und SPIDER-MAN, der im Sommer 2002 der die spätestens mit dem dritten Teil zu- überraschend sämtliche Rekorde gebro- nehmende Irrelevanz des Plots dieser Fil- chen hat, auch unerreicht. Der Film me zumindest vorerst mehr als wett zu kommt dank seines „hohen Konzepts“ machen vermag. und Eventcharakters mit noch weniger Wie BATMAN basiert auch MEN IN Starappeal aus als sein Vorgänger und BLACK auf einem Comic. Anders als der spielt in nur 72 Stunden 72 Mio. US-$ und Held des DC-Verlags ist diese Vorlage je- 174 3 Geschichte

doch weitgehend unbekannt und sicher- ten zwei Spielwochen fort. Allein im ers- lich nicht als Pre-sold Property einzustu- ten Monat gehen die Besucherzahlen um fen. Der Vorverkaufsappeal des Films ba- rund 36% pro Woche zurück. Auffällig siert hier, wie bereits erörtert, eher auf ei- hoch sind die Verluste, wie aus Abbildung ner Rekombination der zwei vielleicht po- 37 zu ersehen, bei den Filmen BATMAN & pulärsten Trendwellen der Neunzigerjah- ROBIN (63,4% am zweiten Wochenende, re. Die unmittelbare Anspielung auf INDE- 54,6% wöchentlich), SPEED 2: CRUISE CON- PENDENCE DAY wird – wenn vermutlich TROL (54,3% am zweiten Wochenende, auch bloß zufällig – durch das Casting von 54,6% wöchentlich) und THE LOST WORLD Will Smith vertieft, der ein Jahr zuvor be- (52,7% am zweiten Wochenende, 44,5% reits in der Roland Emmerich-Produktion wöchentlich), die damit erwartungsgemäß zu sehen war. auch die höchsten Ratios zwischen Eröff- AIR FORCE ONE ist eine typischer Ver- nungsergebnis und Enderlös aufweisen treter der bekannten DIE HARD-Formel, bei (siehe Abbildung 38). Beim JURASSIC der der Actionheld in einem von der Um- PARK-Sequel ist der beträchtliche Zuschau- welt abgeschlossenen Terrain, einem Wol- errückgang von über 50% am zweiten Wo- kenkratzer (DIE HARD), Schiff (UNDER chenende zweifelsohne mit durch das SIEGE), Zug (UNDER SIEGE 2), Bus (SPEED) überragende Eröffnungsergebnis und den oder wie hier einem Flugzeug gegen eine entsprechend hohen Absorbierungsgrad Gruppe von Terroristen oder ähnliches an- des Startwochenendes zu begründen. Dass treten muss. Den entscheidenden Hook die noch massiveren Einbußen von BAT- liefert hier aber der dreiste und wiederum MAN &ROBIN und SPEED 2 vorwiegend auf an den Einnahmespitzenreiter aus dem die negative Rezeption und entsprechende Vorjahr INDEPENDENCE DAY angelehnte Mund-zu-Mund-Propaganda dieser Filme Kunstgriff, diesen Actionhelden als Präsi- zurückzuführen sind, ist dagegen relativ dent der Vereinigten Staaten auftreten zu eindeutig. lassen. Gespielt wird er von Harrison Ford, Beide Produktionen rangieren nicht einem der beliebtesten und höchst dotier- nur nach objektiven Zuschauerverlusten testen Starschauspieler Hollywoods. Darü- an „oberster“ Stelle, sondern erhalten hin- ber hinaus profitiert AIR FORCE ONE sicher- ter THE LOST WORLD auch die mit Abstand lich von seinem verhältnismäßig späten schlechtesten subjektiven Bewertungen Start, der zu einem Zeitpunkt erfolgt, als des Samples, sowohl bei professionellen seine Konkurrenz ihr Potenzial bereits Kritikern als auch beim Publikum, dessen weitgehend abgeschöpft hat. Meinung in Tabelle 16 annäherungsweise Welches Gewicht haben diese Eröff- durch die Wertungen der „Viewer Ratings“ nungsergebnisse nun aber im Verhältnis aus der Internet Movie Database repräsen- zu den erzielten Gesamteinnahmen der tiert wird. Produktionen? Wie abhängig sind diese Dabei besteht zwischen SPEED 2 und Filme von ihrer reinen Marketingpräsenz? BATMAN &ROBIN aber ein wesentlicher Welchen finanziellen Auftrieb, vor allem Unterschied: Während SPEED 2 bereits bei aber auch Rückhalt, bieten hohe Konzep- seiner Eröffnung hinter den Erwartungen te, Pre-sold Properties und die Hebelwir- zurückbleibt, konnte BATMAN &ROBIN vor kung des Saturation Release? seiner rapiden Talfahrt noch enorme Ein- Durchschnittlich verlieren die zwölf nahmen erzielen. Beide Filme sind bemes- Filme bereits in der zweiten Woche ihres sen an ihrem Aufwand und ihrer fakti- Laufs nahezu 40% ihres Publikums. Dieser schen Publikumsrezeption klare Flops. Trend setzt sich auch im Verlauf der nächs- Trotz des einhellig negativen Urteils ge- 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 175

Abb.฀39฀฀฀US-Wide฀Releases฀(600+)฀1982–2000฀–฀Anteil฀des฀Eröffnungsergebnisses฀am฀B.O.-Total (Quelle:฀Variety;฀Pandya, Box฀Office฀Guru) lingt es BATMAN &ROBIN mit Gesamtein- Release jedoch deutlich an Bedeutung ver- nahmen von 107 Mio. US$, von denen 43 loren. Dies, wie anzunehmen wäre, nicht Millionen oder 40% aus dem Eröffnungs- nur bei potenziellen Blockbustern und wochenende stammen, schlussendlich Tentpole Pictures, sondern im gesamten aber dennoch, auf Platz 6 der Saison- und Spektrum des Hollywoodkinos. immerhin Platz 11 der Jahrescharts abzu- Wie Abbildung 39 zeigt, wurden im schließen. Selbst SPEED 2, der vor allem Jahr 2000 fast ein Drittel der Einnahmen über den Auslandsvertrieb (107 Mio. US$) aller Wide Releases, – hier definiert als Fil- gerettet wurde, hält sich auf Platz 39 den me mit mindestens 600 Startkopien – am Umständen entsprechend gut. ersten Wochenende erzielt. Deutlich mehr Durchschnittlich erzielen die zwölf als noch vor 20 Jahren, wobei zu berück- Filme rund ein Viertel ihres Erlöses in den sichtigen ist, dass die für 1982 bereits be- ersten 72 Stunden ihres Kinolaufs und da- achtliche Quote von beinahe 24% vor al- mit auf der nahezu alleinigen Grundlage lem auf eine Reihe unabhängiger Billig- ihres werbestrategisch vermittelten Ver- produktionen zurückzuführen ist, die sprechens. Nach einem Monat und vier überhaupt nur für ein paar Wochen in den Wochenenden sind die Filme bereits zu Kinos waren, um via Saturation Release rund 80% ausgewertet. Wie die guten bis schnell ein paar Dollar abzusahnen. ausgezeichneten Resultate verhältnismä- Der somit auch historisch steigende ßig solider und positiv bewerteter Lang- Vorverkauf von Filmen über Marketing zeitperformer unterstreichen – sei es mit und Saturation Releases kann nicht erklä- hohen Startergebnissen wie bei MEN IN ren, weshalb Hollywood gezwungen wäre, BLACK und AIR FORCE ONE (Szenario 1) zunehmend inhaltsarme Filme zu produ- oder gemäßigten wie bei FACE/OFF,CON- zieren, zeigt jedoch deutlich, warum die TACT,GEORGE OF THE JUNGLE und MY BEST Majors heute auch mit mittelmäßigen Pro- FRIEND’S WEDDING (Szenario 3) –, wird ein dukten erfolgreich sein können und damit Publikumshit immer ein Publikumshit wenig Anlass erhalten, ihre Anstrengun- bleiben und entsprechend hohe Summen gen in dieser Hinsicht zu ändern. Timothy einspielen. Als klassische Werbeform des Corrigan führt die Entwicklung des kon- Kinos hat die postrezeptive Mund-zu- temporären Blockbusterkinos und seinen Mund-Propaganda im Zuge des Saturation Hang zur „Inkohärenz“ auf die Konfronta- 176 3 Geschichte

tion mit einem, wie er es umschreibt, „uni- halb nun erst recht eine möglichst breite dentifizierbaren“ Publikum zurück, auf „... Masse ansprechen; was konkret weniger die Ungewissheit und Unsicherheit über bedeutet, dass er – wie es nur in seltenen die Aufnahme eines Produkts, das entwe- und für ein stabiles Wachstum der Indust- der zu viele Zuschauergruppen oder ein zu rie unzureichenden Fällen gelingen kann – vages Publikum hat.“81 Diese Unsicherheit so überzeugend sein muss, dass er „jedem“ ist mit den Effekten des Saturation Release aus einer Reihe spezifischer positiver Qua- jedoch zu großen Teilen unter Kontrolle litäten heraus gefällt, sondern eher offen gebracht worden. Vom ökonomischen und kantenlos genug, um keine Ge- Standpunkt betrachtet, gelten High-Con- schmacksrichtung oder Zielgruppe von cept-Filme, wie es Dawn Steel, die 1997 vornherein auszuschließen. Der Film star- verstorbene, ehemalige Präsidentin von tet mit einem großen Knall, der viele Neu- Paramount Productions formuliert hat, gierige ins Kino zieht, die durch diesen Be- seit jeher als „critic-proof“. Mit dem wach- such das Ihrige tun, um das Image des senden Einspielpotenzial des Eröffnungs- Films aufzubessern. Zunehmend unab- wochenendes sind diese Filme mittlerwei- hängig davon ob der Film beim Publikum le, wenn man so will, jedoch selbst gegen tatsächlich ankommt oder nicht, wird er das geschmackliche Urteil ihres eigenen zumindest ein mittelmäßiger Erfolg, der Publikums rückversichert.82 die Replikation derselben Mechanismen Jede größere Hollywoodproduktion weiter aufrechterhält und jene These be- sieht sich heute mit denselben Grundpara- stätigt, die den hoch budgetierten Block- metern konfrontiert: Um im Markt über- buster trotz seiner enormen Kosten als ver- haupt eine Chance zu haben, braucht ein gleichsweise konservatives Investment Film ein hohes Eröffnungsergebnis. Um einstuft. ein hohes Eröffnungsergebnis erzielen zu Als eine Art Steigerungsform des mitt- können, muss ein Film optimal vermarkt- lerweile standardisierten High-Concept- bar sein. Um diese Vermarktbarkeit zu ge- Approachs (der als Begriff heute sicherlich währleisten, muss ein Film mit hohen, an Prominenz verloren hat) hat sich nach sprich einfachen aber spektakulären Kon- diesen Vorgaben seit Ende der Achtziger- zepten, Pre-sold Properties, aber auch mar- jahre der so genannte Event Movie zur einer kanten Highlights ausgestattet sein, zu de- der wichtigsten Formen des Hollywoodki- nen insbesondere auch Special Effects und nos entwickelt. Bevor jedoch auf die hohe Production Values zählen, deren jüngsten Trends des postklassischen Kinos Verheißungen und mitunter einschlagen- eingegangen werden soll, zunächst noch de Wirkung ein Trailer nicht nur in weni- ein weiterer Rückblick auf die Achtziger- gen Sekunden zu vermitteln, sondern ge- jahre. rade dank seiner Kürze und fragmentari- schen Form oft sogar noch aufzuwerten 3.2.4 Designerlook und Videoclips vermag. Marketing per se, Special Effects, Top-Stars und hohe Production Values ver- So wie das Kino des New Hollywood die ursachen hohe Kosten. Der Film trägt ein gesellschaftspolitischen Protestbewegun- hohes finanzielles Risiko und muss des- gen der späten Sechziger- und Siebziger-

81 Corrigan, 22–23, übers. von Andreas Rost in Thomas Elsaesser, „Augenweide am Auge des Mael- stroms? – Francis Ford Coppola inszeniert BRAM STOKER’S DRACULA als den ewig jungen Mythos Hollywood“, in Die Filmgespenster der Postmoderne, ed. Andreas Rost und Mike Sandbothe, (Frank- furt฀a.฀M.:฀Verlag฀der฀Autoren,฀1998),฀66–67. 82 Zit.฀in:฀Wyatt, High฀Concept,฀10. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 177

jahre reflektiert, hinterlässt auch der kon- CE (1985), FERRIS BUELLER’S DAY OFF servative Hedonismus der Achtzigerjahre (1986) und PRETTY IN PINK (1986) Mitte deutliche Spuren in der amerikanischen der Achtziger eine ganze Serie von Erfol- Filmlandschaft. Wie in den Sechzigerjah- gen verbuchen konnte, bevor Trendaus- ren spiegelt sich dieser Umschwung so- schlachter wie ST.ELMO’S FIRE (1985), wohl in der Organisation des Studioys- YOUNG GUNS (1988) oder FLATLINERS tems wieder als auch in der Ästhetik und (1990) schon wieder das Ende der Ära ein- inhaltlichen Ausrichtung der Produkte, läuteten. In der Tat ist der Ruf nach ju- die diese Industrie hervorbringt. gendlichen Protagonisten in den Achtzi- Über das Hollywoodkino der Reagan- gern so stark, dass, wie David Cook be- Ära und die Geburt des körperbetonten, merkt, der Einsatz adoleszierender Hel- aber auch reaktionären Actionhelden, wie den in Filmen wie BACK TO THE FUTURE, er von Sylvester Stallone, Arnold Schwar- THE GOONIES (1985), WAR GAMES (1983), zenegger, Chuck Norris oder Jean-Claude THE KARATE KID (1984) oder GREMLINS Van Damme in Filmen wie FIRST BLOOD (1984) über die Grenzen des Genres hi- und der ROCKY-Reihe, COMMANDO (1985), naus bis weit in den breiteren Mainstream- MISSING IN ACTION oder BLOODSPORT (1987) markt vordringt.83 Selbst der Horrorfilm dargestellt wird, sind bereits zahlreiche entwickelt in Gestalt des Slashermovies Texte erschienen. Weniger kritische Be- und der schier endlosen Reinkarnationen achtung hat indessen der von Filmen wie von Michael Myers (HALLOWEEN, 1978 ff), AMERICAN GRAFFITI,ANIMAL HOUSE (1978) Jason (FRIDAY THE 13TH, 1980 ff) und Fred- oder FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH dy Krueger (A NIGHTMARE ON ELM STREET) (1982) ausgelöste Boom des Teenagerfilms in den frühen Achtzigern sein eigenes gefunden, dessen unteres Spektrumsende Teenage-Subgenre. durch eine Schwemme pubertärer Sexko- Mit der Ausbreitung der Gedanken- mödien à la PORKY’S (1981) charakterisiert schule des Diller-Eisner-Katzenberg-Teams ist; an dessen oberem Spektrumsende, spä- und der Mitte der Siebzigerjahre einset- ter aber auch die etwas sophistizierteren zenden Machtrückverlagerung vom Regis- Brat Pack Movies erscheinen – so benannt seur auf Produzenten und Studio Executi- nach einem Kollektiv jugendlicher Schau- ves, die darüber hinaus zunehmend in Ab- spieler wie Molly Ringwald, Ally Sheedy, hängigkeit von Talentagenturen wie CAA Andrew McCarthy, John Cusack, Rob geraten – die unter Michael Ovitz und Lowe, Robert Downey Jr., Demi Moore, dank ihres umfangreichen Kundenpools James Spader, Emilio Estevez, Kiefer Su- in den Achtzigern zu einer der wichtigsten therland, Judd Nelson, Anthony Michael Institutionen im amerikanischen Filmge- Hall, u.a., von denen einige den Sprung zu schäft aufsteigt –, gehören kreative Experi- Erwachsenenrollen und ins Kino der mente weitgehend der Vergangenheit Neunzigerjahre geschafft haben, während an.Wolff und Cox: andere heute bereits weitgehend in Ver- gessenheit geraten sind. For a while in the sixties there was a vo- Als besonders stilbildend für diesen gue for films that left everything unresol- Zyklus gelten die Filme des Regisseurs ved at the end. That is no longer the case. und Produzenten John Hughes, der mit Moviegoers seem to feel that if they have Produktionen wie SIXTEEN CANDLES (1984), paid five or six bucks, they want endings THE BREAKFAST CLUB (1985), WEIRD SCIEN- as well as a beginning and a middle. Fur-

83 Vgl.฀Cook, History฀of฀Narrative฀Film,฀897. 178 3 Geschichte

thermore, they seem to want happy en- studio chief in Hollywood, personally. dings. And a lot of times what the au- And if you have dinner with any of them, dience wants – or the studio decides the the one thing they’ll say is: Look, busi- audience wants – the audience gets. A ness is bad, it’s because we’re making case in point was PRETTY IN PINK,in lousy pictures. The product is mediocre! which an appealing poor girl is jilted by a Part of the reason, the key reason the pro- caddish rich kid and then finds that true duct is mediocre is because of the com- love is available in the form of an appea- mittee system. Never existed in studios ling goof who’s been her friend all along. until this moment in history.86 At least that’s the way it started out. Test Testing changed the nature of the dialo- screenings showed that the audience gue within the studio. The questions we (heavily skewed toward teenage girls) pre- asked – like, ‚Does it work?‘ ‚Is it a good ferred to see the girl end up with the rich movie?‘ – started to sound stupid and guy, no matter what a cad he’d been. So old-fashioned. Instead, they were asking, the cast was recalled and the ending was ‚What sort of demos [demographics] are reshot.84 we going to get?‘ ‚Are the kids going to Testscreenings und Publikumsumfragen like it?‘ ‚Does it skew toward women?‘87 sind beinahe so alt wie die Majors selbst – Neben der Standardisierung von Markt- bereits in den Vierzigerjahren kommt es forschung und Marketing gibt es Justin vorübergehend zu einer engeren Zusam- Wyatt zufolge aber noch einen weiteren menarbeit zwischen dem Gallup Institut Aspekt, bei dem sich von einem Transfer und einigen Hollywoodstudios –, erst mit zwischen der herkömmlichen Warenindu- Ausklang der Siebzigerjahre jedoch wird strie und Hollywood sprechen lässt: Ge- Marktforschung zu einem integralen Be- meint ist der nachhaltige Einfluss einer standteil des Hollywoodkinos.85 Als unan- aus der Werbung importierten und in den gefochtener Marktführer in diesem Be- Achtzigern generell aufblühenden Hoch- reich etabliert sich die 1977 von Joe Far- glanzästhetik und des in etwa zeitgleich rell gegründete Firma National Research aufkommenden Videoclips auf das Pro- Group (NRG), die auch heute noch alle duktionsdesign und die audiovisuelle Ge- großen Studios mit ihren Umfrageergeb- staltung von Hollywoodfilmen. nissen und Daten versorgt. Peter Bart, der Zu den wichtigsten Vertretern dieses in den Siebzigerjahren noch selbst als Stu- „high concept“ oder „high-tech looks“, dio Executive tätig war: wie Wyatt den für die Achtzigerjahre so The process is depersonalized. There is no charakteristischen Stil bezeichnet, gehö- one voice speaking for the studio, too of- ren einerseits das Produzententeam und ten. Meetings when you consider a script, Erfolgsduo Jerry Bruckheimer und Don everything is tested and researched. Com- Simpson, andererseits die britischen Regis- mittees are not very satisfying entities to seure Adrian Lyne, Alan Parker, Tony Scott work of for a filmmaker and neither con- und mit Abstrichen auch dessen etwas be- ductive to creative decisions. I know every kannterer Bruder Ridley.88 So wie all diese

84 Wolff,฀Cox,฀13–14. 85 Siehe dazu: Susan Ohmer, „The Science of Pleasure: George Gallup and Audience Research in Hol- lywood“, in Identifying Hollywood’s Audiences: Cultural Identity and the Movies, eds. Melvyn Stokes, Richard฀Maltby฀(London:฀BFI฀Publishing,฀1999),฀61–80. 86 Interviewed฀in฀: American฀Cinema,฀Vol.฀4,฀The฀Studio฀System,฀1995. 87 Zit.฀in:฀Biskind, Easy฀Riders,฀404. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 179

Regisseure, bevor sie zum Film und nach liefert (FOOTLOSE [1984], DIRTY DANCING Hollywood wechseln, ihr Geld mit der Pro- [1987], WHITE NIGHTS [1995] u.a.). Regie duktion von Werbespots verdienen, be- führt Adrian Lyne. Das Drehbuch stammt ginnen auch Bruckheimer und Simpson aus der Feder von Joe Eszterhas, der sich ihre Karrieren in den Geschäftsbereichen nach diesem Durchbruch ebenso wie Lyne Marketing und Werbung. Simpson, der zum Spezialisten für erotische Thriller und sich anders als Bruckheimer durch die Dramen entwickelt: Eszterhas hat u.a. die Ränge des Studiobetriebs nach oben arbei- Drehbücher zu BASIC INSTINCT,SLIVER tet, übernimmt 1981 unter Diller und Eis- (1993), JADE (1995) und SHOWGIRLS (1985) ner die Leitung von Paramount Produc- verfasst. Lynes spätere Arbeiten inkludie- tions, wird auf Grund seiner Drogensucht ren unter anderem FATAL ATTRACTION aber nach nur zwei Jahren gefeuert. Ge- (1987) und LOLITA (1997). Lynes nächste meinsam mit Bruckheimer, der als Produ- Regiearbeit, die den typischen Bruckhei- zent bereits für das Studio tätig ist, gründet mer/Simpson-Stil auch ohne die beiden Simpson danach die Gesellschaft Don Produzenten fortsetzt und vielleicht sogar Simpson/Jerry Bruckheimer Productions, auf die Spitze treibt, ist der für amerikani- die als Entschädigung für Simpsons vorzei- sche Verhältnisse äußerst freizügige 9 1/2 tige Entlassung auf Anhieb einen langjäh- WEEKS (1986), der Kim Basinger trotz mä- rigen Output Deal von Paramount erhält.89 ßigen Erfolgs zum Star und einem der be- Eine der ersten von Bruckheimer und gehrtesten Sexsymbole der Achtzigerjahre Simpson (hier noch als Studio Executive) macht. überwachten Produktionen ist AMERICAN Nur ein Jahr nach dem Erfolg von GIGOLO (1980). Die Rolle des Titelhelden FLASHDANCE landen Bruckheimer und spielt der junge Richard Gere. Geschrieben Simpson mit dem ersten Teil der BEVERLY und gedreht unter der Regie von Paul HILLS COP-Reihe ihren bis dahin größten Schrader fällt der Film inhaltlich deutlich Hit, gefolgt von einer weiteren Ikone des düsterer und ernsthafter aus, als dies sein Achtzigerjahre-Kinos und „High-Concept- Titel vermuten läßt. Auf der formalen Ebe- Looks“: TOP GUN aus dem Jahre 1986. Für ne seines audiovisuellen Stils weist er aber die Regie wird der bis dahin noch weit im bereits deutlich jene „werbeästhetische“ Schatten seines Bruders stehende Tony Handschrift auf, die auch spätere Bruck- Scott verpflichtet. Angesichts des Misser- heimer/Simpson-Produktionen in beson- folgs seines Hollywooddebüts THE HUNGER derem Masse auszeichnen und die ihre (1983) scheint die Wahl Scotts für diesen Spuren später im gesamten Spektrum des relativ hoch budgetierten Blockbuster zu- Hollywoodkinos hinterlässt. nächst überraschend. Nicht aber, wenn Bruckheimers und Simpsons erste man berücksichtigt, dass sich Scotts mo- Teamarbeit unter dem Paramount-Deal ist dernisierter Vampirfilm durch eben genau der Film FLASHDANCE, der nach SATURDAY jene Designerästhetik auszeichnet, die NIGHT FEVER – dem ersten großen Hit des auch Bruckheimer und Simpson seinerzeit Diller-Teams – und Alan Parkers FAME bevorzugten und Bruckheimer und Simp- (1980) endgültig die Matrize für das dem son dafür bekannt waren, mit Vorliebe ge- Musical angelehnte und in den Achtzigern rade junge, noch unakkreditierte Regisseu- hoch populäre Genre des „Dance Movies“ re für ihre Projekte anzuheuern, um selbst

88 Vgl.฀Wyattt, High฀Concept,฀24–26. 89 Vgl. Charles Fleming, High Concept: Don Simpson and the Hollywood Culture of Excess (London: Bloomsbury,฀1998),฀42. 180 3 Geschichte

größere Kontrolle über die Produktion der als Hintergrund für besagte Silhouet- ausüben zu können.90 tenaufnahmen fungieren oder aber als Bruckheimer, der auch nach dem Tod eine Art grafische Projektion, die sich über seines Partners zu den erfolgreichsten Fil- Räumlichkeiten und Akteure legt. memachern Hollywoods gehört, setzt die- Eng mit der Werbeästhetik des Achtzi- se Arbeitsweise zum Teil auch heute noch gerjahre-Kinos verbunden ist das, was Jus- fort. Seine Handschrift hat sich dabei den tin Wyatt als „Modul-Sequenzen“ bezeich- gewandelten Verhältnissen der Neunziger- net:92 Das Musikvideo etabliert sich zu An- jahre angepasst, dennoch stammen auch fangs des Jahrzehnts und in Folge seines die Regisseure seiner jüngeren Filme, Mi- unerwarteten Aufstiegs vom Promotion- chael Bay (ARMAGEDDON,PEARL HARBOR), clip zu einer zumindest scheinbar eigen- Simon West (CON AIR) oder Dominic Sena ständigen Programmform bestimmter (GONE IN SIXTY SECONDS, [2000[) alle aus Sendungen und Sender auch als ein weite- der Werbe- und Musikclip-Branche. res Standardinstrument in der mittlerwei- Einen visuellen Eindruck von der be- le weitgefächerten Palette der Filmwer- tont glatten, kühlen und hochstilisierten bung. Ähnlich wie ein Trailer zeigt der ty- Ästhetik des „High-Concept-Looks“ lie- pische Film-Videoclip dabei für gewöhn- fern die Film- und Promotionstills in Ab- lich kurze Bildsequenzen des jeweiligen bildung 40.1–8. Wiederkehrende Merkma- Projekts und rekombiniert sie mit biswei- le in technischen Begriffen sind dabei, so len thematisch abgestimmten Aufnahmen Wyatt: ein extrem eingesetztes Back- und eines musikalischen Interpreten. Keylighting, das hohe Kontraste und ste- In seltenen Fällen kommt es sogar zu chende Glanzpunkte im Bild produziert; direkten Auftritten der jeweiligen Schau- ein mithin stark reduziertes Farbspektrum spieler im Video, wie beispielsweise in den (Figuren und Objekte sind häufig nur als Clips zu JEWEL OF THE NILE / When the Silhouetten zu erkennen); der gezielte Ein- Going Gets Tough (Michael Douglas, Kath- satz von Licht- und Bildreflexionen und leen Turner, Danny DeVito / Billy Ocean, eine Vorliebe für szenische Situierungen 1985) oder TERMINATOR 2/You Could Be im Umfeld von „high-tech“ und „indust- Mine (Arnold Schwarzenegger / Guns’N‘ riellem Design“.91 So sind beispielsweise Roses, 1991). Beide Parteien dürfen sich die Außenaufnahmen von TOP GUN –so- von derartigen Kooperationen Synergieef- fern sie nicht gerade einen Jet am Himmel fekte erwarten. Ebenso wie eine in Musik zeigen, dessen spiegelnde Oberflächen und Film diversifizierte Muttergesell- gleißendes Sonnenlicht reflektieren – na- schaft, die möglicherweise beide Produkte hezu ausnahmslos bei Sonnenauf- oder vertreibt. Allein die Soundtracks zu AMERI- -untergang aufgenommen; während In- CAN GIGOLO,FLASHDANCE,BEVERLY HILLS nenaufnahmen vornehmlich in abgedun- COP und TOP GUN enthalten insgesamt sie- kelten Räumen spielen, in denen aufge- ben US-Top-3-Hits, von denen vier sogar klappte – und seinerzeit äußerst modische bis an Spitze der amerikanischen Verkauf- – Fensterrollos die einfallende Beleuch- scharts vordringen konnten. Paramount- tung dämpfen und in schmale Licht und Executive Barry London: Schattenstreifen spalten, die dann entwe-

90 Vgl. Peter Biskind, „Good Night, Dark Prince“, Premiere 134; „The Ultimate Summer Preview“, Pre- miere (June฀1997):฀53;฀„The฀Power฀List“, Premiere (May฀1998):฀71. 91 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀28–30. 92 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀40–41. 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 181

MTV became a huge selling point for bruch von Andrew Clarke (Emilio Estevez) [Simpson’s] movies. His movies grew up in THE BREAKFAST CLUB; die Stripteasevor- with MTV and became a new way to get stellung von Elizabeth (Kim Basinger) in 9 the movie to the consumer. We were supp- 1/2 WEEKS; das Gitarrensolo von Marty lying a video channel, which was just McFly (Michael J. Fox) in BACK TO THE FU- starting up, with fresh programming. And TURE; oder der „Partyman-Tanz“ des Jokers every time the song played, it was like a (Jack Nicholson) in BATMAN –, ähneln da- free commercial. Paramount cut the vi- bei dem Performance-Clip, weisen aber deos, and MTV played ‘em. Don really natürlich auch auf die Musiknummern des got this.93 klassischen Musicals hin. Wie diese in sich geschlossenen Einheiten unterbrechen die Umgekehrt kommt es im Zuge der Popula- postklassischen „Performance-Module“ rität des Musikvideos aber auch zu einer für die Zeit ihrer Dauer den narrativen Pro- mehr oder weniger direkten Adaption sei- gress des Films. Anders als im Musical stric- ner Stilmittel für den Hollywoodfilm: to sensu häufig der Fall sind die Einlagen Nach einer Einteilung von Beverle Hous- dieser Performer jedoch durchwegs realis- ton setzen sich Videoclips aus drei grund- tisch motiviert – der Charakter „performt“ legenden Strukturkategorien zusammen, aus irgend einem Grund „tatsächlich“ in die zwar meist kombiniert, mitunter aber der diegetischen Welt – und nicht bloß ge- auch exklusiv oder zumindest prädomi- nerisch: siehe das musicaltypische Besin- nant auftreten können. Reduziert auf der- gen eines Themas, wobei sämtliche Figu- artige de facto eher seltene Reinformen las- ren unversehens ihre narrative Position sen sich unterscheiden: 1.) der „Perfor- verlassen, um temporär zu oft hochgradig mance-Clip“, bei dem eine Band oder In- selbstbewussten Tänzern und Sängern zu terpret der üblichen Auftrittsform des werden. (Gerade das macht Performance- Popmusikers entsprechend das Stück vor- Module heute für viele wohl besonders trägt – z.B. Live-Konzert oder Tanzchoreo- peinlich.) graphie 2.) der „Narrativ-Clip“, wobei zur Gemeinsamkeiten mit den Kategorien Musik eine Art Miniaturerzählung abläuft des Minimalnarrativ- und des Montage- 3.) der „Montage-Clip“ (zweifelsohne die Clips weist ein zweiter Typus der „Modul- nach wie vor dominanteste Form) bei dem sequenz“ auf, der sich – wie der Vergleich relativ unzusammenhängende und zum besagt – meist aus einer Abfolge fragmen- Teil stark abstrahierte Bildsequenzen lose tarischer Bildläufe zusammensetzt: mehr aneinandergeschnitten werden.94 Im Hol- oder weniger diskontinuierlich, aber im- lywoodkino der Achtzigerjahre treten nun mer in Verbindung mit einem Musikstück, vermehrt Sequenzen auf, die an die for- das die Bildsegmente zu einer Einheit ver- male Struktur solcher Clips erinnern. bindet, diese Einheit aber auch mehr oder Tanz- und Gesangseinlagen, wie sie ei- weniger deutlich aus dem gewohnten nar- nerseits das Dance-Movie bestimmen, an- rativen Fluss des Films heraushebt. Typi- dererseits aber eben auch in nicht als Mu- scherweise stellen diese „Montage-Modu- sikfilm definierten Produktionen auftau- le“ einerseits narrativ zweitrangige Motive chen – die Playbacksequenz von Duckie in einer hierfür außergewöhnlich über- (Jon Cryer) in PRETTY IN PINK; der Tanzaus- schwänglichen und an sich unökonomi-

93 Zit.฀in:฀Fleming,฀45. 94 Beverle Houston, „Music Video and the Spectator: Television, Ideology and Dream“, Film Quaterly 38,฀no.฀1฀(1984):฀4–5,฀zit.฀in:฀Wyatt, High฀Concept,฀43–44. 182 3 Geschichte

Abb. 40.1 FLASHDANCE (Polygram/Paramount, 1983) Abb.฀40.2 THE HUNGER (MGM,฀1983)

Abb฀40.3 AMERICAN GIGOLO (Paramount,฀1980) Abb.฀40.4 9฀1/2 WEEKS (MGM,฀1986) Abb.฀40.1–8฀฀฀Werbe-฀und฀Videoclipästhetik฀in฀Bruckheimer฀und฀Simpson-Produktionen.

schen Projektionsdauer dar (Zeitlupenauf- und ad nauseam dieses stilistischen Kunst- nahmen werden hier gerne eingesetzt), griffs bediente, ist die Serie BAY WATCH. andererseits tun sie dies in den meisten Wie das „Performance-Modul“ ist Fällen, in Anlehnung an ihr altbekanntes auch das „Montage-Modul“ an eine klassi- Pendant, die klassische Montagesequenz, sche Form der Bildsprache Hollywoods unter dem „Deckmantel“ eines erzähl- rückgebunden, transzendiert dieses eta- technischen „Zeitraffers“. blierte Device aber insofern, als die relativ Typische Beispiele sind die Beachvol- strikt codierte narrative Funktionalität der leyball-Sequenz in TOP GUN, die Diashow- traditionellen Montagesequenz hier deut- oder die Fütterungs-Sequenz in 9 1/2 lich hinter einen rein ästhetischen Selbst- WEEKS; Mavericks (Tom Cruise) einsame zweck zurückfällt: Ähnlich wie beim Vi- Motorradfahrten, ebenfalls in TOP GUN; deoclip oder Werbespot selbst geht es bei die urbanen Radturen und Streifzüge von den postklassischen „Montage-Modulen“ Alex (Jennifer Beals) in FLASHDANCE; die ganz offensichtlich in erster Linie darum, Autofahrten von Axel Foley (Eddie Murp- einen hochstilisierten und pulsierenden hy) durch die prunkvolle Szenerie von Be- Bilderrausch per se zu produzieren, der im verly Hills oder die Trainings-Sequenzen Zusammenspiel mit der treibenden oder aus der ROCKY-Reihe. Zu einem zentralen sentimentalen Musik den Zuschauer in Be- Bestandteil werden „Montage-Module“ schlag nehmen soll. Das Narrativ wird in später in der Fernsehreihe MIAMI VICE. Ein diesen Sequenzen kaum weiterentwickelt. Relikt, das sich bis weit in die Neunziger Neben der aufdringlichen Hochglanzäs- 3.2 High Concept: Film und Marketing in den Achtzigerjahren 183

Abb฀40.5–8 TOP GUN (Paramount,฀1986) thetik sieht Wyatt, und ähnlich auch kritiker des Time Magazines, die „narrative Corrigan, in „Modul-Sequenzen“ denn Krise“ des kontemporären Hollywoodki- auch ein verdichtetes Moment und mar- nos in seinem oft zitierten Aufsatz be- kantes Indiz einer allgemeinen Tendenz schreibt: des postklassischen Hollywoodkinos zur narrativen Aushöhlung zugunsten von It has to be admitted, of course, that „Oberflächeneffekten“ – hier in Form ei- American movies have always trafficked ner prononcierten Favorisierung von au- mainly in the broadly melodramatic and diovisuellem Stil über erzählerischen Pro- broadly comedic, have always, therefore, gress und Gehalt.95 dealt heavily in the improbable – impro- Trotz des Ende der Neunziger einset- bable heroism, improbable goofiness, im- zenden Achtziger-Jahre-Revivals, wie es probable romantic annunciations and re- u.a. Filme wie THE WEDDING SINGER (1998) nunciations of every kind. But precisely oder BOOGIE NIGHTS (1997) für sich auszu- because the non- and antirealistic factors nutzen versuchten, sind die typischen were so important, much care was taken „Modulsequenzen“ jener Zeit heute natür- to justify logically the extremes to which lich ebenso außer Mode gekommen wie we were being taken. The dramatic movie extremes Backlighting und Rollos. Die im- of what the young film scholars now refer mer wieder auftauchenden Versuche, das to as ‚The Classic Age‘ built toward its Dance-Movie wiederzubeleben, haben mit single central crisis slowly and sensibly, SHOWGIRLS,STRIPTEASE (1996) oder SAVE anticipating our questions as it went THE LAST DANCE (2001) bisher fast aus- along, generating suspense by letting us schließlich Flops produziert. Der generelle see dangers looming, a lovely flood of re- Vorwurf einer zunehmenden erzähleri- lief when they were at last surmounted. schen Verkümmerung ist dem amerikani- (...) Nowadays the opposite is generally schen Film allerdings bis heute erhalten true. The typical action-adventure movie geblieben. Wie Richard Schickel, Stamm- (something like one of the LETHAL WEA-

95 Vgl.฀Wyatt, High฀Concept,฀60;฀Corrigan, Cinema฀Without฀Walls,฀176–179. 184 3 Geschichte

PON series, for example), seems less scrip- matic incidents growing naturally out of ted than shuffled, as if it were a deck of the story, that is out of the interaction of cards, with chance determining the ap- plausible characters within a recogniza- pearance of its ace sequences. (...) What ble moral and physical landscape, the op- we get (...) is not narrative as it has been posite occurs. Now everyone, everything, traditionally defined but a succession of must serve the pitchable, promotable undifferentiated sensations, lucky or un- showpiece sequences, never mind what lucky accidents, which often have little or that costs us in belief, in genuine feelings nothing to do with whatever went before for characters or a satisfying sense of con- or is about to come next. To create the il- clusion. (...) Notable, noble exceptions lusion of forward motion, the music gets aside, a screenplay today is less a drama- louder and the action grows more frenetic tic structure than it is a linking rationali- as the climax approaches, but there is, in zation for gaudily improbable behavior. fact, no authentic emotional buildup, Where once it was a movie’s power sour- consequently no catharsis at the movie’s ce, it is now merely a power line, trans- conclusion. One leaves these movies – in- mitting without too much resistance the deed, most current American movies – juice generated by one wow sequence on feeling drained or battered or both. And to the next. And the next. Until the whole sometimes just plain jerked around. For work short-circuits, with much flashing, the traditional function of narrative has crashing, and bashing. Hmm. Looks like been inverted. Instead of the major dra- an ending. Must be one.96

3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren

3.3.1 Film als Event le gängige Bezeichnung solcher Filme als Event Movies beginnt sich aber erst mit Ist das Bild des Hollywoodkinos der Acht- der gegen Ende des Jahrzehnts einsetzen- zigerjahre vor allem durch den Bereich be- den Renaissance dieses Produkt-Segments scheidenerer High-Concept-Produktionen durch Filme wie BATMAN,JURASSIC PARK geprägt oder wie Michael Eisner seine ein- oder INDEPENDENCE DAY durchzusetzen. flussreiche Pionierära bei Paramount be- Allgemein steht der Begriff für kaum schreibt, den „little movie that became a mehr als spektakuläre, meist hoch budge- big movie“, verbindet das Hollywood der tierte und auf Grund der medialen Zirkula- Neunzigerjahre die dort etablierten Strate- tion ihres narrativen Images hoch antizi- gien wieder verstärkt mit den Qualitäten pierte Großproduktionen, wie es sie in des großkalibrigen Blockbusterkinos.97 Hollywood natürlich schon immer gege- Wie jede Periode des amerikanischen ben hat. Dennoch deutet die Verbreitung Films sind selbstverständlich auch die des Begriffs auch auf eine gewisse Radikali- Achtzigerjahre nicht ohne ihre großen sierung hin, die dieser Prozess in den letz- Spektakel und Franchises. Die mittlerwei- ten Jahren und im Zuge der zunehmenden

96 Schickel,฀283–284. 97 Interviewed฀in: American฀Cinema,฀Vol.฀4,฀The฀Studio฀System,฀1995. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 185

Ausdifferenzierung dieses Mediensystems Computerspiele dabei noch einigermaßen erfahren hat. beschränkt, beginnt sich mit dem pseudo- Medien berichten nicht einfach nur wissenschaftlichen Kontext, den Genres über das, was in der Außenwelt passiert, wie der Science Fiction-, Abenteuer- und sondern auf Grund des Konkurrenzdrucks nicht zuletzt der in den Neunzigern hoch vor allem auch darüber, worüber andere erfolgreich wiederbelebte Katastrophen- Medien berichten. Eine typische Folge die- film mitunter für sich beanspruchen kön- ses Trends sind Skandale wie die Monica nen, der Kompatibilitätsfächer sogar noch Lewinsky-Affaire, die deswegen zwar noch weiter zu öffnen. Den frühen Katastro- keine reinen Medienkonstrukte sind, si- phenfilm und die Mutter aller Blockbuster cherlich aber regelmäßig zu überpropor- JAWS ausgelassen, ist es zweifelsohne Ste- tionalen Dimensionen aufgeblasen wer- ven Spielbergs JURASSIC PARK, der hier die den. Natürlich hat auch Hollywood das Matrize für dieses zweite so erfolgreiche Potenzial erkannt, das im Hunger dieses Grundmuster abgibt: Wie nach ihm erst Mediensystem für die Vermarktung seiner wieder James Camerons TITANIC, gelang es Filme steckt, und versucht dem wenn dem Film 1993, die Agenda nahezu aller möglich auch entgegenzukommen. Zwei Mediensparten vom Kinderprogramm bis Grundstrategien scheinen sich dabei in hin zum Wissenschaftsmagazin zu bestim- den letzten Jahren verfestigt zu haben. men. Wie bei TITANIC standen dabei so- Zum einen ist dies die, wie bereits er- wohl die inhaltlichen Aspekte des Films wähnt, in den Neunzigern drastisch ge- als auch dessen eigene Produktionsge- stiegene Produktion von Recyclefilmen. schichte im Zentrum des Interesses. Ge- Einer der Trendauslöser ist hier sicherlich nährt von immer wieder neuen Rekord- BATMAN, der im Sommer 1989 zum bis da- meldungen, löste die außergewöhnlich hin vierterfolgreichsten Film der amerika- hohe Medienpräsenz bei beiden Filmen nischen Kinogeschichte avancierte und ein Spirale anhaltender Nachfrage aus, die seine Rekordeinnahmen dabei schneller sie heute an der Spitze der weltweiten einspielte als je ein Film zuvor. Dieser Er- Box-Office-Charts platziert. folg ist einerseits dem hohem Bekannt- Um ihr Renommee nicht zu sehr zu ge- heitsgrad des Titelhelden per se mitzuver- fährden, machen gerade branchenfremde danken, andererseits aber sicherlich auch Formate in ihren Beiträgen üblicherweise der allgemeineren unabhängigen und deutlich, dass sie einen Film lediglich zum Crossover-Publicity, der sich Verfilmun- Anlass nehmen, um quasi unabhängig da- gen von Serien, Comicbooks und anderen von über die „wahren Begebenheiten und populärkulturellen Phänomenen in geho- Hintergründe“ des jeweiligen Kontexts benem Masse andienen: Filme wie BAT- aufzuklären – die Gefahr von Haien, das MAN,GODZILLA,THE LORD OF THE RINGS, Leben und Aussterben der Dinosaurier, die HARRY POTTER oder TOMB RAIDER verfügen Entstehung von Wirbelstürmen oder Vul- nicht nur über einen hohen Wiedererken- kankatastrophen, die Wahrscheinlichkeit nungswert beim Publikum, sondern auch des Einschlags eines Kometen, der Unter- über attraktive Hintergrundstories, die es gang der Titanic oder der Angriff auf Pearl Zeitgeistmagazinen und anderen Infotain- Harbor –, fördern damit aber natürlich ein ment-Formaten schmackhaft machen, Klima, indem der Film rückwirkend zu ei- ausführlicher über diese Projekte zu be- ner Art Ersatzanschauungsmaterial und richten als über andere. dessen Besuch zu einer fast zwingenden Ist der Appeal eines Beitrags über Co- Begleithandlung für das scheinbar omni- micbookhelden, Serienklassiker oder präsente Medienthema wird. 186 3 Geschichte

Ist ein Film selbst schon zu einem fi- limitierten Möglichkeiten früher Compu- xen Bestandteil der Populärkultur avan- teranimation repräsentieren diese Ele- ciert, ist dann oft nicht einmal mehr das mente typischerweise jedoch auch in der nötig: Die bloße Ankündigung von der Diegesis nichts anderes als eben compu- langerwarteten Rückkehr des STAR WARS- tergenerierte Bilder – so z.B. die „elektro- Franchises war im Sommer 1999 Anlass ge- nische Sichtweise“ eines Roboters in Mi- nug für die globale Medienlandschaft, sich chael Chrichtons WESTWORLD (1973), die nach und nach in den selbstreproduktiven Wireframe-Replik einer Hand in dessen Sog des Filmhypes einzuklinken: Lediglich Fortsetzung FUTUREWORLD (1976) oder di- 20 Mio. US-$ soll 20th Century Fox selbst verse Computerdisplays, wie sie u.a. in für die Promotion des Films ausgegeben STAR WARS oder ALIEN verwendet wurden. haben. Der Rest des Marketings wurde von Derselben Einschränkung bleibt auch das Tie-in-Partnern im herkömmlichen Sinne bekannte Disney-Experiment TRON (1982) – die nach Schätzungen rund 250 Mio. unterworfen, in dem ein Programmierer US-$ für STAR WARS-bezogene Werbeaktio- „digitalisiert“ und in einen Rechner geso- nen ausgegeben haben sollen – vor allem gen wird, wo er im Kampf gegen das „Mas- aber eben den Medien selbst produziert.98 ter Control Program“ diverse Spiele beste- Ereignischarakter erhalten Filme wie hen muss, die er selbst entworfen hat. JURASSIC PARK,TITANIC oder THE PHANTOM Obwohl die Innenwelt des Computers MENACE jedoch nicht nur wegen ihres ho- in TRON als eine vollständig „digitalisier- hen Anknüpfungspotenzials für außenste- te“ Umgebung visualisiert wird – Hard- hende Teilnehmer, sondern auch auf und Software sind im Film gegenständ- Grund ihrer immanenten Ästhetik und lich dargestellt, all diese Bilder tragen je- des damit verbundenen Rezeptionserleb- doch das Aussehen rudimentärer Compu- nisses, die wie schon im Blockbusterzyklus tergrafik –, basieren tatsächlich nur etwa der Sechzigerjahre durch maßgebliche 15 Minuten des Films auf computergene- technische Innovationen bei der Produkti- rierten Bildern, die – wie auch heute noch on und Reproduktion von Filmen be- weitgehend üblich – von externen Zulie- stimmt werden: Zum einen sind dies be- ferfirmen wie MAGI (Mathematical Ap- kanntlich die in den Neunzigerjahren plications Group Inc.), „Triple-I“ (Infor- stark erweiterten Möglichkeiten compu- mation International Inc.) und Robert tergestützter Bildanimation und Manipu- Abel & Associates produziert wurden. Die lation, kurz CGI (Computer Generated übrigen Effekte wurden mit herkömmli- Imaging/Images), zum anderen die Ent- chen fotochemischen und -mechani- wicklung des digitalen Mehrkanaltons. schen Mitteln erstellt. Hierzu zählen vor allem so genannte Kodaliths, große Schwarzweißnegative, die mit gefärbtem 3.3.2 Visual Effects und CGI Licht von hinten beleuchtet und auf so genannten Rotoscope-Geräten einzeln ab- 3.3.2.1 Von TRON bis FINAL FANTASY fotografiert wurden, um so den an die Äs- Erste Versuche CGIs als Filmelement ein- thetik früher Vektorgrafiken angelehnten zusetzen, gibt es bereits in den frühen Illuminationseffekt zu erzielen, der das Siebzigerjahren. Auf Grund der noch sehr Produktionsdesign des Films auch heute

98 Bob Tourtellotte, „Judgment Day Nears for Lucas, ‚Phantom Menace‘“, Reuters/Variety, 17. Mai 1999,฀฀[17.5.1999]. 99 Vgl.฀Finch,฀224–232. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 187

noch zu einer einzigartigen Erscheinung Associates 1986 von der Firma Omnibus macht.99 Computer Graphics aufgekauft, die bereits Sehr viel unauffälliger als der gezielte im darauffolgenden Jahr endgültig in Kon- „Computerlook“ von TRON ist die so ge- kurs geht. ILM, das sich für die Entwick- nannte „Genesis“-Sequenz aus STAR TREK lung eigener und auf die spezifischen Be- 2: THE WRATH OF KHAN (1982), die den Ein- dürfnisse des Films zugeschnittener Sys- schlag einer Rakete auf einem wüsten Pla- temlösungen entschieden hatte und be- neten und dessen künstliche Belebung reits hoch erfolgreich im Bereich her- zeigt und als erste vollständig computera- kömmlicher Special Effects diversifiziert nimierte Sequenz der Filmgeschichte gilt. war, konnte seine Forschungs- und Ent- Berechnet wurde sie auf den Anlagen der wicklungsarbeit dagegen auch weiterhin Computerdivision von George Lucas’ Ef- fortsetzen. fects-Haus Industrial Light and Magic Zu den ersten nachhaltigen Ergebnis- (ILM), die 1978 unter der Leitung von Ed sen dieser Anstrengungen gehören unter Catmull und mit dem Personal seines For- anderem: die Konstruktion eines digitalen schungsteams vom New York Institute of Editiersystems namens Editdroid; der Pro- Technology gegründet worden war. totyp eines rudimentären Laserscanners, Anders als TRON und STAR TREK 2 ist mit dem gefilmtes Material digitalisiert, in THE LAST STARFIGHTER (1984), das dritte den Computer eingelesen und über einen nennenswerte Ergebnis der vom Heim- Filmrecorder wieder ausgeben werden computer und Spieleboom der frühen konnte – eines der erklärten Hauptziele Achtziger getragenen, ersten Experimen- von Lucas und die technische Grundbe- tierphase Hollywoods mit CGI, heute dingung für die digitale Bearbeitung hoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Dies auflösender Filmbilder; die Entwicklung obwohl seine Effektaufnahmen, die in Zu- von „zweidimensionalen“ Retuschier- sammenarbeit mit der Firma Digital Pro- und Bildverarbeitungsprogrammen zur ductions hergestellt wurden, die heute üb- Entfernung von Drähten (so genanntes liche Kombination von „realistischen“ Wire-Removal) und anderen Elementen, CGIs und so genanntem Live-Action-Ma- die großflächig erstmals für die „Hoverbo- terial in ihren Ansätzen bereits klar vor- ard“-Sequenzen in BACK TO THE FUTURE II weggenommen haben. Wie TRON wurde (1989) eingesetzt wurden; in diese Katego- THE LAST STARFIGHTER als „Computerfilm“ rie fällt insbesondere auch Photoshop, vermarktet, der einerseits inhaltlich auf eine heute kommerziell durch Adobe ver- das populäre Element zurückgreift, darü- triebene Applikation, die der ILM Mitar- ber hinaus die neuen Technologien aber beiter John Knoll und dessen Bruder Tho- auch produktionstechnisch nutzt. Wie mas zwar vornehmlich für die Printindust- TRON war der vergleichsweise zweitklassi- rie konzipiert hatten, aber auch im Bereich ge Teenagerfilm trotz dieser Attraktions- der Filmproduktion für Entwurfs- und werte an der Kinokasse jedoch wenig er- Ausbesserungsarbeiten eingesetzt werden folgreich. konnte und wurde. Schließlich entwickelt Nach dem Scheitern der beiden Pro- das ILM-Team die später so benannte Ren- duktionen wenden sich die Studios vorerst derman-Software, die heute neben Pro- von der CGI-Technologie ab. Digital Pro- grammen wie Softimage, Alias/Wavefront ductions, die ihre Animationen auf leis- und Lightwave zu den wichtigsten und tungsstarken aber äußerst kostspieligen meistbenutzten High-End-Werkzeugen in Cray X-MP „Supercomputern“ berechnen der 3-D Animation zählt und mit deren ließen, werden ebenso wie Robert Abel & Möglichkeit, Schärfentiefe und Bewe- 188 3 Geschichte

gungsunschärfe (so genanntes Motion Blur: daher mit der Ausarbeitung eines Pro- der bedingte Wischeffekt, der bei der cine- gramms, das den gewünschten Effekt mit matografischen Aufnahme schnell beweg- vorgefilmten 2-D Aufnahmen erzielen ter Objekte mit „zu langen“ Belichtungs- kann. Das Ergebnis ist eine Applikation, zeiten entsteht) auf digitaler Ebene zu si- die es in einem weitgehend automatisier- mulieren, zwei der basalen Voraussetzun- ten Vorgang erlaubte, zwei unterschiedli- gen für cinematografisch überzeugende che Bilder so zu verformen, dass jeder Animationen erfüllt werden konnten.100 Punkt des einen nahtlos in einen struktu- Die Rechte am Großteil dieser Produk- rell korrespondierenden Punkt des ande- te behält ILM auch nach der Trennung von ren überblendet werden konnte. Das so ge- der alten Computerdivision, die sich 1986 nannte Morphing-Verfahren wurde nach verselbstständigt und vom Apple-Gründer WILLOW ein weiteres Mal im dritten Teil Steve Jobs gekauft wird, um sich unter der INDIANA JONES-Reihe (1989) verwen- dem Namen Pixar auf die Produktion voll- det. Hier in Kombination mit Animatro- ständig computeranimierter Filme zu ver- nics, die die später überblendeten Teilab- legen. Ein Geschäftsplan, der neun Jahre schnitte des Alterungs- und Verfallspro- später mit der erfolgreichen Lancierung zesses des Antagonisten Donovan, nach- von TOY STORY und einem Output- und Fi- dem er am Ende den falschen Gralskelch nanzierungsdeal über fünf weitere Projek- wählt, noch auf mechanischem Wege dar- te mit Disney belohnt wird. stellten.101 Eine der letzten Arbeiten des Catmull- Beide Sequenzen sind zumindest aus Teams bei ILM ist eine mit Hilfe des Pixar- technischer Sicht mehr oder weniger ein- Laserscanners erstellte Sequenz aus der drücklich, erregen außerhalb der Fachkrei- Amblin-Produktion YOUNG SHERLOCK se jedoch nur wenig Aufsehen. Weitrei- HOLMES (1985), in der die Erscheinung ei- chendere Beachtung findet Morphing erst, ner Ritterfigur einem Glasgemälde ent- als es in James Camerons THE ABYSS (1989) springt und die als die erste direkte Imple- in Verbindung mit der 3D-Animation des mentierung eines CGI-Charakters in ge- berühmten amöboiden Wassertentankels filmtes Material gilt. aus der zweiten Hälfte des Films eingesetzt Der erste Einsatz der neuen Computer- wird. Dies vor allem bei jenen Einstellun- division – nun unter der Leitung von Den- gen, in denen das Wasserobjekt die (vorab nis Muren – erfolgte im Zuge des von Lu- gescannten) Gesichtszüge der Protagonis- casfilm produzierten Fantasy-Abenteurs ten nachahmt. WILLOW (1988) und einer Szene, in der Den endgültigen Durchbruch erzielen eine verwunschene Zauberin über diverse Morphing und 3-D-Animation schließlich Fehlversuche von einem Opossum in ihre mit dem überwältigenden Erfolg von TER- menschliche Gestalt zurückverwandelt MINATOR 2: JUDGMENT DAY, in dem die bei- werden sollte. Frühe Experimente, die Se- den Verfahren ausgiebig genutzt werden quenz mit 3-D-Animationen zu bewerk- und, verkörpert in der Figur des liquiden stelligen, erwiesen sich zu diesem Zeit- Cyborgs T-1000, buchstäblich selbst eine punkt noch als unbefriedigend. Basierend tragende Rolle übernehmen. Erstmals wer- auf Forschungsarbeiten von Tom Brigham den sämtliche Composite Shots (aus mehre- (NYIT) aus den frühen Achtzigerjahren be- ren Teilen zusammen gestezte Trickauf- ginnt der ILM Mitarbeiter Doug Smythey nahmen) in TERMINATOR 2 digital zusam-

100 Vgl.฀Vaz,฀108–117,฀159–160. 101 Vgl. Ibid.,฀132–139. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 189

Abb.฀41.1–2฀฀฀Visual฀Effects:฀links TRON (Disney,฀1982),฀rechts TERMINATOR 2:฀JUDGMENT DAY (Carolco/ Tristar,฀1991) mengefügt. Grundlage dafür bildet ein von mente und Dinosaurier für rund 50 Ein- ILM und Kodak entwickelter, stark verbes- stellungen des Films zu animieren. serter Input-Scanner, der über lichtemp- Eines der durch die Planänderung ver- findliche Sensorchips Daten rund zehn ursachten Grundprobleme ist die Umstel- Mal schneller aufnehmen und verarbeiten lung für Animations- und Modellspezialis- kann als ILMs bisheriges Gerät und eine ten auf die Arbeitsweise mit der digitalen horizontale Auflösung von bis zu 8000 Pi- Plattform. Diese Schwierigkeiten können xels pro Kader erreicht – beinahe doppelt teilweise durch die Konstruktion eines soviel wie ein fotografisches 35mm-Nega- saurierförmigen Miniaturgerüsts (das so tiv tatsächlich benötigt. genannte „Dinosaur“ oder „Direct Input Nachdem der unter hohem Zeitdruck Device“) überbrückt werden, das die produzierte TERMINATOR 2 CGI als tech- Handgriffe von Stop-Motion-Animatoren nisch und ökonomisch verlässliches Ver- automatisch auf den Computer überträgt. fahren bestätigt hatte, nutzt ILM die Pro- Daneben ermöglicht es ein eigens entwi- duktion von Robert Zemeckis‘ DEATH ckeltes Programm namens Viewpaint, die BECOMES HER (1992), um die eigenen Res- Gestaltung von Oberflächentexturen di- sourcen und das mittlerweile zunehmend rekt an dreidimensionalen Wireframe-Mo- auch am Markt erhältliche Soft- und Hard- dellen vorzunehmen. Rotoscope-Arbeiten wareangebot kommerzieller Anbieter für zur manuellen Herstellung von Travelling die Einrichtung eines auch langfristig an- Mattes werden durch einen vollständig di- gelegten digitalen Effekt- und Verarbeitungs- gitalisierten Prozess ersetzt. Die so ge- systems zu testen und zu konsolidieren. nannten Matchmove- und Motion Track- Darüber hinaus fungiert die Special-Effects- ing-Funktionen von Softimage und ande- Komödie bereits als ein Trainingsgelände ren Programmpaketen erlauben es, die in für JURASSIC PARK, dessen Produktionsar- der Nachbearbeitung eingefügten Anima- beiten im September 1992 beginnen.102 tionen anhand von Referenzobjekten, die Ursprünglich sollten lebensgroße Ani- gegebenenfalls später wieder aus dem Bild matronics von Stan Winston Studios und entfernt werden können, den Kamerabe- Miniaturen von Phil Tippett das Rückgrad wegungen und entsprechenden perspekti- der Produktion bilden. Nach der Sichtung vischen Veränderungen der Live-Action- von Demosequenzen, die eine animierte Sequenzen exakt anzupassen und geben Gallimimusherde und einen Tyrannus Rex dem Kamerateam damit erstmals die Mög- in grellem Sonnenlicht abbilden, schreibt lichkeit, frei bewegliche Aufnahmen für Spielberg das Drehbuch jedoch entspre- digitale Composite Shots ohne Motion chend um und gibt den Auftrag, CGI-Ele- Control oder andere Restriktionen auszu-

102 Vgl. Ibid.,฀209–214. 190 3 Geschichte

führen. Umgekehrt können kleine Kame- Lieferant für herkömmliche Special- und rabewegungen wie Erschütterungen und digitale Visual Effects. Daneben ist mit der Zittern beim nahen des T-Rex aber auch Vielzahl kleinerer Effekthäuser, die im nachträglich hinzugefügt werden, um sta- Verlauf der Neunzigerjahre gegründet tischen Einstellungen mehr Dynamik und worden sind oder wie bspw. Tippett Studi- den Eindruck dokumentarischer Aufnah- os den unvermeidlichen Übergang zur di- men zu verleihen, die vom Geschehen vor gitalen Plattform vollzogen haben, mitt- Ort direkt affiziert werden.103 lerweile ein eigenständiger Industriezweig So sehr das Scheitern von TRON und entstanden, der neben der Spielfilmpro- THE LAST STARFIGHTER den Nutzen von CGI duktion vor allem die Werbe- und Video- für Hollywood in Frage gestellt hatten, clipbranche bedient, teilweise aber auch wird der enorme Erfolg von JURASSIC PARK in der Herstellung interaktiver Medien wie nun der überzeugenden Animation von CD-Roms und Computerspielen tätig ist. realistischen Dinosauriern gutgeschrie- ILMs nächster Mitbewerber ist Digital ben. Obwohl der fertige Film weniger als 6 Domain, das 1993 von Scott Ross, dem Minuten animiertes Material enthält, wird ehemaligen Vize-Präsidenten von Lucas- er mit weltweiten Box-Office-Einnahmen Arts, Stan Winston und James Cameron von über 920 Mio. US-$ zum Emblem der mit der finanziellen Unterstützung von „digitalen Revolution des Hollywoodki- IBM und Cox Enterprises gegründet wor- nos“ und Auslöser der bis heute anhalten- den ist. Winston und Cameron sind im den Welle von CGI-gestützten und -lasti- Sommer 1998 aus dem Führungsstab des gen Filmen. Unternehmens ausgeschieden, halten Bereits im April 1993 schließt ILM ei- aber nach wie vor eine Beteiligung an DD. nen Partnerschaftsvertrag mit Silicon Gra- Weitere Effekt-Häuser, die zum Teil weni- phics ab und wird als Teil der neu gegrün- ger als 15 Mitarbeiter beschäftigen und in deten Gesellschaft Lucas Digital Ltd. in die diesem Fall mitunter auch als Cybergnats umgewandelte Struktur des Unterneh- bezeichnet werden, sind zum Beispiel: mens eingegliedert. Neben dem formalen Rhythm & Hues; Digiscope oder Matte Umbau werden im Verlauf des nächsten World, ein weiterer Ableger von ILM; Ci- Jahres zahlreiche überholte und ausge- nesite, das 1992 von Kodak gegründet diente Gerätschaften ausgesondert und worden ist und über seinen in London sta- verkauft. Das Matte Painting- und Optical tionierten Arm auch die europäische Film- Printing-Departement werden vollständig industrie beliefert; Peter Jacksons in Neu- aufgelöst und durch Silicon Graphics seeland beheimatetes Weta Ltd.; Roland Workstations und das so genannte Sabre- Emmerichs Centropolis Effects; das von System ersetzt. Eine offen erweiterbare William Shatner mitgegründete C.O.R.E Bildverarbeitungs- und Editiersuite, die Digital Pictures oder Square USA, das den ausgestattet mit verschiedenen Standard- optisch beindruckenden, finanziell aber und hauseigenen Programmen fortan ei- sehr enttäuschenden „Real-Animations- nen der zentralen Bestandteile von Lucas’ film“ FINAL FANTASY (2001) produziert hat. Unternehmen bildet.104 Mit der wachsenden Bedeutung digita- ILM ist mit der Beteiligung an mehr als ler Gestaltungsprozesse, deren Anwen- 130 Filmprojekten seit seiner Gründung dung sich heute bei weitem nicht mehr auch heute noch Hollywoods führender nur auf so genannte „offensichtliche“

103 Vgl. Ibid.,฀214–232. 104 Vgl. Ibid.,฀237–238,฀246–248. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 191

(versus „unsichtbare“) Effekte und den das im August 1997 seine Tore geschlossen hierfür prädestinierten Bereich des Science hat, erklärt: Fiction- und Action/Adventure-Films be- The business is labor-intensive and requi- schränkt, haben die Majorstudios Mitte res incredible investments of capital to be der Neunziger darüber hinaus begonnen, in the digital realm. We required $1 milli- ihre eigenen Effects-Divisionen einzurich- on a month for cash flow. But the minute ten oder sich die Dienste bestehender Fir- there was no work, we were burning men durch Erwerb und Partnerschaftsab- about $30,000 a day. That becomes a kommen zu sichern. Außer Sony Pictures’ real problem if you have to wait three Imageworks, Blue Sky bei Fox und Dream- months for work. (...) The effects business Works‘ Pacific Data Images, das unter an- is a service business. We’re like plumbers: derem für die Pixar-Konkurrenten ANTZ We fix the pipes, send the bill, then look (1998) und SHREK (2001) verantwortlich for another leak. We were providing the ist, haben die Studios diese Divisionen means to an end for the moviemaker, but mittlerweile aber alle wieder aufgelöst. we didn’t own a piece of the end.106 Auf Grund des hohen Zeitdrucks rei- chen die Kapazitäten einzelner Effects- Häuser in den meisten Fällen nicht aus, 3.3.2.2 Was ist digitales Kino? um sämtliche Effekte eines Films allein fer- Der Einzug des Computers macht es not- tig zu stellen. Selbst studioangehörige Un- wendig, viele Filmtextbücher umzuschrei- ternehmen delegieren einen Teil ihrer Auf- ben. Am härtesten betroffen sind dabei all träge daher oft an kleinere oder speziali- jene, die bei dem Versuch das Medium zu sierte Firmen: An der Produktion von TITA- definieren oder von anderen Kunstfor- NIC beispielsweise waren neben Digital men zu unterscheiden, das indexikalische Domain und ILM insgesamt 18 weitere Ef- Verhältnis zwischen profilmischem Ge- fects-Häuser beteiligt. schehen und dem fotografischem Abbild Die Vergabe von projektgebundenen als einen oder sogar den entscheidenden Einzelaufträgen verlangt von Effects-Häu- „Wesenszug“ des Films ausgemacht haben. sern ein hohes Maß an Flexibilität. So (Klassische Kandidaten sind beispielswei- stockt Digital Domain, das über etwa 250 se André Bazin oder Stanley Cavell). fix angestellte Mitarbeiter verfügt, in Zei- Wenn die Fotografie, wie der Philo- ten konzentrierter Filmproduktion sein soph Charles Saunders Pierce argumen- Personal auf bis zu 1000 Mitarbeiter auf.105 tiert hat, ein physikalischer Abdruck des Cybergnats profitieren einerseits von die- fotografierten Objekts ist und damit in ei- sen Schwankungen, anderseits machen es ner existenziellen und direkten kausalen der Servicestatus und die hohen Anschaf- Relation zu diesem steht, hat die im Film fungs- und Entwicklungskosten des Ge- eingesetzte computergenerierte 2-D- oder schäfts für nicht diversifizierte Unterneh- 3-D- Animation diesen Bezug per definitio- men dabei schwer, sich auch auf langfristi- nem verloren. Auf Grund ihrer manuell ge Sicht ein Überleben zu sichern. Wie es und mit den Mitteln des Computers unab- Richard Edlund, ehemaliger ILM-Mitarbei- hängig konstruierten Ähnlichkeit ist sie ter und Gründer von Boss Film Studios, , nach Pierces Einteilung lediglich ikonisch,

105 Vgl. Susan Karlin, „Scott Ross: Digital Domain’s CEO Launches A Studio By Sinking The Titanic“, Upside฀Today.฀The฀Tech฀Insider,฀25.฀Mai฀1998,฀฀[19.6.1998]. 106 Zitiert in: Susan Karlin, „Staying Afloat in the Visual Effects Business“, Upside Today. The Tech Insi- der,฀25.฀Mai฀1998,฀฀[19.6.1998]. 192 3 Geschichte

wobei die symbolische Dimension in die- and add some more onto it, then stand sem basalen Kontext unberücksichtigt ge- back and look at it and add some more. lassen werden kann. You basically end up layering the whole Ob diese Bestimmung, wie der Me- thing.108 dientheoretiker Lev Manovich bei seiner Die neu gewonnene Elastizität und der Erörterung der Frage What is Digital Cine- Verlust der indexikalischen Beziehung ma? argumentiert, auch für den Bereich sollten dennoch nicht, wie dies in der der digitalen Manipulation vorgefertigter Presse, aber auch bei akademischen Kriti- filmischer Aufnahmen gelten kann, da der kern immer wieder geschieht, vorschnell Computer, sobald fotografisches Material mit dem Kontext allgemeiner Virtualisie- eingescannt und in Pixel transformiert rungsthesen verknüpft werden. So, wenn worden ist, nicht mehr zwischen solchen der Filmtheoretiker Wheeler Winston Di- Aufnahmen und digitalen Kreationen un- xon schreibt: terscheide, ist sicherlich diskutabel. Dies ändert jedoch nichts an der Wertigkeit Gradually introduced over the last five ye- von Manovichs nächstem Punkt, dass die ars, digital special effects have transfor- fotografische Aufnahme im Zuge der Digi- med the landscape of the visual in film, talisierung des Kinos ihren privilegierten transporting the viewer seamless beyond Status verloren hat und heute nur mehr ei- that which is real into a synthetic world nes von unterschiedlich möglichen „grafi- where computer animation, morphing schen Rohmaterialien“ darstellt, das dann and digital effects blend the actual with mehr oder weniger nach Belieben verän- the fantastic.109 dert und weiterprozessiert werden kann. Dixon fährt fort indem er einige effektlas- Der Live-Action-Film hat damit, wie tige Großproduktionen der letzten Jahre Manovich weiter argumentiert, jene aufzählt und betont, dass vieles von dem, „Plastizität“ oder „Elastizität“ erhalten, was dort zu sehen ist, tatsächlich „jegli- wie sie bisher dem Zeichentrickfilm oder cher physischer Substanz“ entbehre und – allgemeiner – der Malerei vorbehalten de facto aus dem Nichts entstanden sei“. war. Von seinem traditionellen Verständ- Alles was man brauche, sei ein Computer, nis als Aufzeichnungsmedium, das Ani- einen oder zwei Techniker, ein Scanner mation als eine seiner Subkategorien ent- und Filmrecorder und „presto“ hätte man hält, gelöst, stellt der Film nun umge- den Effekt, den man sich wünsche. Beson- kehrt, so Manovichs Konklusion, eine deres Augenmerk legt Dixon auf den Film spezielle Form der Animation dar.107 Geor- FORREST GUMP (1994), der ähnlich wie ge Lucas, der sein Handwerk gerne mit der nach ihm APOLLO 13 (1995) oder TITANIC bildenden Kunst vergleicht, scheint dies für den Einsatz „unsichtbarer“ digitaler ähnlich zu sehen: Effekte bekannt geworden ist. Dixon weist I’m turning it more into the process of a zwar darauf hin, dass die berühmte Szene, painter or sculptor. You work on it for a in der Gump (Tom Hanks) gemeinsam mit bit, then you stand back and look at it John F. Kennedy zu sehen ist, für den Zu-

107 Vgl. Lev Manovich, „What is Digital Cinema?“, Lev Manovich New Media Research, 1995 ฀[28.6.2002]. 108 Interviewed in: Kevin Kelly, Paula Parisi, „Beyond Star Wars: What’s next for George Lucas“, Wired,฀5.฀Februar฀1997,฀฀[28.6.2002]. 109 Wheeler, Winston Dixon, The Transparency of Spectacle: Meditations on the Moving Image (New York:฀State฀University฀of฀New฀York฀Press,฀1998),฀22–23. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 193

schauer zwangsläufig als Fälschung zu er- Matte und optische Komposition, um im kennen ist, nimmt den Film als ganzes Bereich von Special Effects zu verweilen, aber dennoch zum Anlass, um vor der ma- sind alles „analoge“ und altbekannte nipulatorischen Gefahr digitaler Techno- Trickverfahren, haben mit dem Begriff logien und dem durch sie ermöglichten Realität deshalb aber nicht mehr gemein Missbrauch an historischem Filmmaterial als jede andere Täuschung. Was über diese und seinen Akteuren zu warnen. Nicht Verfahren gesagt werden kann, ist, dass sie fehlen darf selbstverständlich der Aus- vornehmlich im physischen Raum des blick auf das „drohende Gespenst des voll- profilmischen Bereichs angesiedelt sind, ständig synthetischen Schauspielers“ – in während es digitale Technologien eben er- Filmen wie THE LORD OF THE RINGS oder lauben, die fotografische Aufnahme selbst FINAL FANTASY schon fast realisiert –, der zu verändern oder unmittelbar ein foto- Studios, ebenso wie andere durch Compu- realistisches Bild oder Bildelement zu tertechnologie ermöglichten Rationalisie- schaffen. Dass solche Bilder, wie der Hin- rungsmaßnahmen, ein unvorhergegange- weis auf ihre „Substanzlosigkeit“ sugge- nes Maß an Kontrolle über das „menschli- riert, einen größeren oder fundamental che Element“ des Filmproduktionsprozes- neuen Betrug am Zuschauer darstellen, ist ses geben würde (widerspenstige Stars, un- hiermit jedoch nur schwerlich zu begrün- bequeme Regisseure etc.).110 den. Was an den Implikationen dieser Dixons eigentliches und weitaus be- „Standardkritik“ stört, ist nicht nur die für rechtigteres Argument für eine fundamen- die Einführung neuer Medien und Tech- tale Abgrenzung des digitalen Kinos be- nologien typische Schwarzmalerei, son- zieht sich denn auch nicht auf die ontolo- dern vor allem die Weise, in der die Digita- gische Grundlage der neuen Bilder, son- lisierung des Kinos als radikaler Bruch mit dern auf deren epistemologische Überzeu- seinen vorhergehenden Bedingungen dar- gungskraft: gestellt wird. Das eigentliche Problem be- The verisimilitude of these manufactured steht dabei darin, dass das gängige und images comes as a shock to the viewer auch von Dixon eingesetzte Schema, bei conditioned to spot conventional movie dem die Fotografie zunächst als ein Abbild trickery. Old-fashioned photographic pro- der Realität identifiziert und dann als sol- cesses, such as the movable matte, rear- ches der Künstlichkeit oder Virtualität des projection, stop-motion animation, and digitalen Bildes gegenübergestellt wird, forced perspective miniature work are sich so nicht auf den Fiction-Film übertra- easy for the sophisticated viewer to gen lässt. Aus dem einfachen Grund, da es spot.111 sich hierbei sowohl was seinen Anspruch betrifft, aber auch in Bezug auf seine fakti- Mit Sicherheit haben digitale Technolo- sche Produktionsweise, seit jeher um gien, insbesondere die digitale Kompositi- nichts anderes als eine in all ihren Facet- on und Retusche, den gewohnten Quali- ten simulatorische und hoch manipulati- tätsstandard von Special Effects drastisch ve Kunstform handelt. und zum Teil bis zur Unkenntlichkeit ver- Matte Paintings, Miniaturfotografie, bessert. Dennoch ist es ebenso leicht, Masken, Puppen, Kulissen, Rück- und überzeugende Beispiele klassischer Trick- Frontprojektionen, Blue Screen, Travelling technik aufzuzeigen wie enttäuschende

110 Vgl. Ibid.,฀23–35. 111 Ibid.,฀25. 194 3 Geschichte

Abb.฀42.1–2฀฀฀Traditionelles฀Matte฀Painting฀(links)฀und฀kombiniertes฀Filmbild฀(rechts): THE PARADINE CASE (UA/Fox,฀1947) (Quelle:฀Matte฀World฀Digital฀)

Exempel digitaler Bildmanipulation. Wie ner solchen Entscheidung verlorengegan- bei herkömmlichen Effekten hängt die Fä- gen wäre, ist nicht die Künstlichkeit des higkeit zur Täuschung auch bei digitalen Modells, sondern lediglich die „hyperrea- Tricks sowohl von der Art der jeweils ge- le“ Flexibilität mit der über CGIs verfügt forderten Aufgabe als auch der individuel- werden kann. Dies bedeutet nicht, dass len Ausführung der Lösung ab und ist vollständig fotorealistische Animationsfil- nicht an der pauschalen Unterscheidung me inklusive überzeugender humanoider von analog und digital zu messen. Eines Charaktere vielleicht schon in den nächs- der deutlichsten Beispiele hierfür ist ne- ten 10–20 Jahren möglich sind. Selbst ben tricktechnisch hochwertigen „Ana- dann wird der Spielfilm aber immer noch logfilmen“ wie 2001 oder CITIZEN KANE das jene Simulation sein, die er schon immer letztendlich kaum minder „substanzlose“ war. Oder wie es George Lucas vor einiger Matte Painting, das früher von Hand auf Zeit formuliert hat: Glasplatten gemalt und fotomechanisch People have said, ‘Gee, digital cinema mit Live-Action-Aufnahmen kombiniert isn’t like real cinema. It’s phony. It’s not wurde und heute häufig in einem High- real.‘ Well that’s one thing you can de- End-Paintprogramm entsteht. pend upon: Film is not real.113 Ähnliches lässt sich auch über Kulis- sen, Miniaturen oder Animatronics sagen, die gerade weil sie sich für bestimmte Auf- 3.3.3 Digitaler Mehrkanalton gaben eben immer noch besser eignen, nach wie vor ihren festen Platz in der Film- 3.3.3.1 Von FantaSound bis produktion haben. Umgekehrt hätte, wie Dolby Surround EX James Cameron in einem Interview an- Technisch sind Stereoaufnahmen bereits gibt, für rund die Hälfte des Betrages, der seit den Anfängen des Tonfilms möglich. für die digitale Tricktechnik von TITANIC Erste Versuche das Verfahren für die Film- aufgebracht werden musste, ebenso gut industrie zu nutzen, finden bereits in den eine seetaugliche Außenreplik des Schiffes späten Dreißiger- und frühen Vierziger- angefertigt werden können.112 Was bei ei- jahren statt. Das bekannteste dieser Expe-

112 Interviewed in: Alex Gove, „Titanic Ambition: James Cameron talks about his controversial latest film and the demands that visual effects place on movies“, Red Herring, Januar 1998, ฀[18.6.1998]. 113 George฀Lucas,฀„Movies฀are฀an฀Illusion“, Premiere (February฀1999):฀60. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 195

rimente ist Disneys Musikspektakel FAN- 35mm-CinemaScope die Perforationslöcher TASIA, das ausgestattet mit einer separat verkleinert werden. Möglich wird dies laufenden, dreispurigen 35mm-Lichtton- durch die Entwicklung eines seit 1948 er- rolle (links, rechts, Mitte) 1941 in 14 ame- hältlichen Azetat Filmmaterials, das sich rikanischen Kinos zu sehen ist.114 Der als robuster und hitzebeständiger erwiesen Kriegseintritt der USA und die hohen In- hatte als der bisher verwendete Nitratfilm.115 stallationskosten des so genannten Fanta- Im Unterschied zu Cinerama, das ähn- Sound-Systems stehen einer weiteren Eta- lich wie das heutige IMAX vornehmlich blierung danach jedoch vorerst im Weg. für die Ausstrahlung von Unterhaltungs- Den ersten breiteren Durchbruch er- dokumentationen und so genannte Trave- zielt Mehrkanal-Stereo erst im Zuge der logues (Reisefilme) konzipiert war und sei- Breitwand-Blockbuster-Offensive der Stu- ne sechs diskret gespeisten Lautsprecher dios in den Fünfziger- und frühen Sechzi- relativ gleichmäßig um das Publikum posi- gerjahren und mit der Verfügbarkeit des tionierte – drei hinter der Leinwand, drei qualitativ hochwertigeren, wenn auch im Zuschauerraum – leiten CinemaScope kurzlebigeren Magnettons, der ursprüng- und 70mm- Todd-AO, den Bedürfnissen lich von deutschen Wissenschaftlern für des identifikatorischen und dialogorien- die Propagandamaschinerie des NS-Re- tierten Spielfilmkinos entsprechend, das gimes entwickelt worden und amerikani- Hauptmaß der ihnen zur Verfügung ste- schen Soldaten bei der Eroberung deut- henden Kanäle an eine hinter der Lein- scher Radiostationen in die Hände gefal- wand platzierte Reihe aus drei (links, Mit- len war. te, rechts) respektive fünf (links, links-Mit- Ähnlich wie bei FantaSound werden te, Mitte, rechts-Mitte, rechts) Boxen und die sieben Spuren (sechs Tonspuren und nutzen lediglich einen Kanal für die Be- eine Kontrollsignalspur für die Bildsyn- schallung des Publikums durch eine weite- chronisation) des 1952 erstmals vorge- re Anordnung seitlich und rückwärtig im stellten Dreiprojektorsystems Cinerama Auditorium angebrachter Lautsprecher. dabei noch auf einer getrennten Filmrolle Ursprünglich wird dieser Kanal als „Effekt- gehalten. Das 1953 von 20th Century Fox kanal“ bezeichnet, da er zunächst tatsäch- mit THE ROBE (1953) eingeführte anamor- lich nur sporadisch zur Wiedergabe ver- photische 35mm-CinemaScope und 1955 einzelter, dramatischer Tonakzente einge- erscheinende 70mm-Todd-AO platzieren setzt wird (z.B. ätherische Stimmen in bi- ihre vier bzw. sechs Spuren dagegen bereits blischen Epen). Erst mit seiner sophisti- auf dem Film selbst: Jeweils eine Spur zwi- zierteren Einbindung zur Distribution ei- schen der Bildfläche und den beiden Per- nes unaufdringlicheren und kontinuierli- forationslinien, die restlichen an den äu- chen Klangteppichs etablieren sich in spä- ßeren Rändern des Filmstreifens. Wäh- teren Jahren der Begriff Surroundsound rend das 70mm-Projektionsformat hierfür und die Bezeichnung Surroundsound- genügend Platz bereithält, müssen bei Kanal.116

114 Vgl. Michael Allen, „From Bwana Devil to Batman Forever: Technology in Contemporary Holly- wood฀Cinema“,฀in Contemporary฀Hollywood฀Cinema,฀eds.฀Neale,฀Smith,฀116. 115 Vgl. Allen, „Bwana Devil“, 116–117; „The Evolution of Dolby Film Sound“, ed. Dolby Laborato- ries Inc. , 1997, [25.6.2002]; Cook, History of Narrative Film, 483–484, 488,฀493. 116 Vgl. Allen, „Bwana Devil“, 116–117; „Surround Sound Past, Present, and Future: A history of mul- tichannel audio from mag stripe to Dolby Digital“, ed. Dolby Laboratories Inc., 1997, [25.6.2002]; Rick Altman, „The Sound of Sound: A Brief History of the Reproduction฀of฀Sound฀in฀Movie฀Theaters“, Cineaste (Januar฀1995):฀pp.฀68. 196 3 Geschichte

Im Gegensatz zu den notwendigen ratio von 2.55:1 auf 2.35:1, die gleichzeitig Konversionsmaßnahmen für die Ausstrah- eine Verbesserung der Projektionsqualität lung anamorphotischer Bildformate, die mit sich bringt, Stereo-Magnet- und Mo- sich im Wesentlichen auf den Einbau einer no- Lichtton gemeinsam auf dem Film- Entzerrungslinse zur Dekomprimierung streifen unterzubringen. Die Umstellung des horizontal gestauchten 35mm-Kader- verhilft CinemaScope zwar einen fast flä- bildes und die Installation einer größeren chendeckenden Sättigungsgrad in der Leinwand beschränken, ist die Umrüstung amerikanischen Kinolandschaft zu erzie- auf ein Mehrkanal-Magnettonsystems für len. Die Chance einer frühzeitigen Stan- Kinobetreiber mit relativ hohen Installa- dardisierung von Mehrkanal-Stereo ist da- tions- und Wartungskosten verbunden. mit aber vergeben: Gegen Ende der Fünfzi- Paramount versteht es diese Lücke zu gerjahre erreicht CinemaScope in den USA schließen, indem es 1954 sein eigenes zwar eine Verbreitungsrate von nahezu Breitwandsystem lanciert. 85%. Nur knapp jedes dritte dieser Kinos, Anders als das von allen übrigen Studi- vornehmlich Erstlauf- und Road-Show- os lizenzierte CinemaScope erzielt Para- Kinos, macht dabei jedoch von der Mag- mounts VistaVision das breitere Format, nettonspur Gebrauch.117 indem es 35mm-Film der Länge nach be- Im Laufe des nächsten Jahrzehnts wer- lichtet, das Kaderbild im Druckprozess um den CinemaScope und VistaVision durch 90% dreht, gleichmäßig komprimiert und das perfektionierte 35mm anamorphoti- je nach Bedarf maskiert (zum Teil wurden sche Verfahren von PanaVision abgelöst. VistaVision-Filme auch mit horizontal Die aufwändige Produktion von 70mm- laufenden Projektoren ausgestrahlt). Vor Filmen wird zunehmend durch das kos- allem aber bediente sich das zugehörig tengünstigere und flexiblere Aufblasen vermarktete Perspecta Sound-System auch von herkömmlichen 35mm-Negativen weiterhin einer einzelnen, monauralen verdrängt. Schließlich zwingt die sich zu- Lichttonspur, die sowohl herkömmlich re- spitzende Rezession der späten Sechziger- produziert werden konnte als auch unter jahre die Studios dazu, die Herstellung von Einbindung eines Pseudostereoverfah- Stereo-Magnet-Soundtracks, bei der an- rens, bei dem über den Einsatz des so ge- ders als beim optischen Verfahren jede nannten „Perspecta Sound Integrators“ Spur einzeln und in Echtzeit aufgespielt einfach die Lautstärke des linken, rechten werden muss, nahezu vollständig aufzuge- oder zentralen Lautsprechers während ben. Zwischen 1965 und 1977 herrscht ne- musiklosen Sequenzen erhöht wurde. ben der vereinzelten 70mm-Sonderpre- Mit dem kompatibleren und sehr viel miere in fast allen amerikanischen Kinos billiger aufzurüstenden Konkurrenzfor- wieder der monaurale Lichtton.118 mat konfrontiert, sieht sich Fox gezwun- Eher als Promotionsinstrument denn gen dem Drängen kleinerer Kinobetriebe als standardisierungsfähige Innovation ist nachzugeben und gibt seine ursprünglich auch die Lancierung von Universals Sen- geplante Stereo-only-Politik auf. Zunächst sourround-System einzustufen, das im No- werden CinemaScope-Filme danach in vember 1974 bei der Premiere von EARTH- zwei Versionen produziert. Später erlaubt QUAKE im Chinese Theatre von Los Ange- es die Reduktion der ursprünglichen Bild- les erstmals öffentlich vorgestellt wird: Ne-

117 Vgl. Allen, „Bwana Devil“, 116–118; Cook, History of Narrative Film, 488–492; Bordwell, Staiger, Thompson, Classical฀Hollywood,฀360. 118 Vgl. Allen, „Bwana Devil“, 117–118; Cook, History of Narrative Film, 493; “Surround Sound,” 1–2. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 197

ben einem herkömmlichen Vierkanal- auch für Kinobetreiber nur eine geringfü- Magnetsoundtrack verfügte die Sensour- gige Aufrüstung ihrer bestehenden Mono- roundkopie des Films über eine spezielle anlagen.120 Lichttonspur, mit der vier hinter der Lein- Die ersten mit Dolby Stereo ausgestatte- wand und zwei auf der Rückseite des Audi- ten Filme sind mit den britischen Produk- toriums angebrachte Tieffrequenzlaut- tionen STARDUST (1975), TOMMY (1975) sprecher angesteuert werden konnten, um und LISZTOMANIA (1975) und dem ersten – jeder verbunden mit einem 1000-Watt- US-Film A STAR IS BORN (1976) in erster Li- Verstärker – das Publikum während der nie mäßig erfolgreiche Rockmusicals. Den Erdbebensequenz mit einem Schub eben- entscheidenden Durchbruch erzielt das so hör- wie spürbarer Bassfrequenzen zu Verfahren erst mit dem fünften Anlauf – massieren. Nach EARTHQUAKE wurden mit STAR WARS, dessen enormer Erfolg auch MIDWAY (1976), BATTLESTAR GALACTICA hier wiederum zum Katalysator für die (1979) und ROLLERCOASTER (1977) jedoch Standardisierung einer maßgeblichen nur mehr drei weitere Filme mit Sensur- technologischen und ästhetischen Inno- round lanciert.119 Ganz anders verhält es vation des Hollywoodkinos wird. sich mit Dolbys in etwa zeitgleich entwi- George Lucas, bekannt für seine Aussa- ckeltem 35mm-4-Kanal-Stereo-Variable-Area-- ge, dass fünfzig Prozent der Wirkung eines Matrix-Lichttonverfahren, das erstmals Films aus dessen Sound bestehen, ist es zur Etablierung eines weltweiten Stan- auch der 1983 mit dem Release von RE- dards für stereophone Filmkopien führt. TURN OF THE JEDI das nach seinem Debüt- Die Probleme diskreter Magnettonsys- film und dem Architekten von Lucas’ Sky- teme weitgehend überwindend, ermög- walker-Sound-Tonstudio Tomlinson Hol- licht es das Matrix-Verfahren einen Vier- man benannte THX-Zertifikationspro- kanal-Soundtrack bestehend aus einem gramm ins Leben ruft. THX ist kein, wie Links-, Rechts-, Mitte- und Surround-Sig- vielfach angenommen, Tonformat, son- nal so zu codieren, dass er auf zwei zwi- dern dient der Kontrolle und Einhaltung schen Bild und Perforation gelagerten eines vordefinierten Kriterienkatalogs für Lichttonspuren gespeichert und von dort die Reproduktion von Filmen, der sowohl rauschunterdrückt wieder decodiert wer- technische als auch architektonische und den kann. Eine vollständige Trennung der audiovisuelle Qualitätsstandards umfasst. Kanäle ist bei diesem so genannten Hierzu zählen unter anderem Bereiche wie 4:2:4-Prozess nicht möglich. Ebenso bleibt die Schallisolation und -reflexion des Ki- der reproduzierbare Frequenzbereich, ob- nosaales, der Sichtwinkel des Publikums wohl er über dem des Monostandards oder die Projektionsqualität, aber eben liegt, vor allem für den Surroundkanal auch die ordnungsgemäße Installation (100–7000 Hz) stark limitiert. Dafür aber und Kalibrierung einer Tonanlage, deren können – für die ökonomische Durchset- Elemente sich aus einer von THX appro- zung des Verfahrens entscheidend – opti- bierten Produktpalette zusammensetzen sche Matrix-Stereo-Filmkopien ebenso müssen. Kinos, die sich von THX beraten schnell und billig herstellt werden wie mo- lassen und diesen Standards gerecht wer- naurale Lichttonkopien und verlangen den, erhalten das Recht, einen der ver-

119 Vgl. Steven E. Schoenherr, „Motion Picture Sound 1930–1989“, 1999–2000 ฀[28.6.2002]. 120 Vgl. „The Evolution of Dolby Film Sound“; „Surround Sound“, 2–3; Roger Dressler, „Dolby Pro Logic Surround Decoder Principles of Operation“, ed. Dolby Laboratories Inc., ohne Datum ฀[27.6.2002];฀Allen,฀„Bwana฀Devil“,฀118. 198 3 Geschichte

schiedenen erhältlichen THX-Trailer zu Das erste kommerziell erfolgreiche Di- spielen und das THX-Logo für Werbezwec- gitalformat ist somit Dolby Digital, das ke einzusetzen. Über 2000 Kinosäle verfü- 1992 mit BATMAN RETURNS (1992) einge- gen derzeit weltweit über ein THX-Zer- führt wird. Ihm folgen mit Digital Theater 121 tifikat. Systems (DTS, 1993 mit JURASSIC PARK) und 1987 stellt Dolby mit den Filmen RO- Sony Dynamic Digital Sound (SDDS, 1993 BOCOP (1987) und INNERSPACE (1987) der mit LAST ACTION HERO), ein Jahr später die Öffentlichkeit erstmals das neu entwickel- beiden anderen der drei heute koexistie- te Dolby Spectral Recording vor, das im We- renden digitalen Tonsysteme. Hinsicht- sentlichen eine um so genannte „aktive“ lich ihres resultierenden Klangerlebnisses Decodierungskomponenten verbesserte unterscheiden sich die Formate nur unwe- Variante des bekannten 4:2:4-Matrix-Ver- sentlich, obwohl es selbstverständlich fahrens darstellt und eine effektivere Ver- auch hier Anhänger des einen oder ande- sion des Dolby-Rauschunterdrückungs- ren Lagers gibt. Durch die Übersetzung des prozesses beinhaltet. (Im Heimelektronik- Soundtracks in digitale Daten erzielen alle bereich wird ein äquivalentes Verfahren drei Formate eine nahezu rausch- und stö- unter dem Namen Dolby Surround Pro Logic rungsfreie Performance und sind auch bei vermarktet.) Spectral Recordig hat die häufigem Abspielen gegen Verschleißer- Qualität und Kanaltrennung des Analog- scheinungen weitgehend resistent. tons weiter verbessert. Den entscheiden- Dolby Digital und DTS verfügen dabei den Qualitätssprung liefert jedoch erst über maximal sechs diskrete Kanäle, die der Transit zum digital prozessierten Film- mit Ausnahme des Bass- oder so genann- ton. ten Low Frequency Effects-Kanals (LFE, 20– Ähnlich wie in anderen Bereichen gibt 150 Hz) den gesamten hörbaren Frequenz- es mit Cinema Digital Sound, das von der bereich (20–20 000 Hz) abdecken können. Firma Optical Radiation Corp. in Zusam- Nach der Konfiguration dieser Kanäle wer- menarbeit mit Kodak entwickelt wurde den Dolby Digital und DTS auch als so ge- und 1990 mit DICK TRACY seinen ersten nannte 5.1-Systeme bezeichnet. Mit der von insgesamt neun Auftritten hatte, auch Zahl 5 sind dabei sowohl die drei frontalen hier einen Frühstarter, der trotz seiner Pio- Links-, Rechts- und Mitte-Kanäle beschrie- nierrolle unmittelbar wieder in der Versen- ben als auch die beiden für digitale Syste- kung verschwindet. Neben ökonomischen me getrennt verfügbaren Links- und Problemen wird das Scheitern von CDS Rechts-Surroundkanäle. Das „.1“ soll die vor allem auf die Fehlentscheidung zu- „Einschränkung“ des LFE-Kanals wider- rückgeführt, die analoge Tonspur vollstän- spiegeln, der über einen hinter der Lein- dig durch die binär codierte zu ersetzen, wand platzierten Subwoofer ausgegeben was das Format nicht nur inkompatibel wird. SDDS addiert zu dieser Grundaus- mit der bestehenden Norm machte, son- stattung einen weiteren frontalen Links- dern in Vorführungen auch immer wieder Mitte- und Rechts-Mitte-Kanal und ist in- zu Totalausfällen führte, da das System an- sofern der Konfiguration des 70mm-Breit- ders als die heutigen Formate bei temporä- wandkinos der Fünfzigerjahre am nächs- ren Störungen nicht auf den analogen Ste- ten. Dabei haben aber auch heute nur ein reo-Soundtrack zurückgreifen konnte.122 Bruchteil der mit SDDS ausgerüsteten Ki-

121 Vgl. THX฀Home฀Page,฀฀[27.6.2002]. 122 Vgl. Perry Sun, „FAQ for Digital Movie Sound“, Movie Sound Page, ohne Datum, ฀[3.11.1998]. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 199

Abb.฀43.1–2฀฀฀Digitale฀Tonformate฀–฀Kanalkonfiguration฀&฀Datenplatzierung nosäle die für die volle Auslastung des Sys- zierung seiner Daten gewählt hat dafür, tems notwendigen Zusatzlautsprecher 35mm-Filmkopien zu erstellen, die alle montiert. drei Formate inklusive der analogen Dop- Die analogen Verfahren weit überlege- peltonspur zugleich beherbergen. ne dynamische Reichweite – oder Spann- In den ersten Jahren waren digitale breite zwischen dem lautesten und leises- Filmtonformate auf Grund von Verträgen ten reproduzierbaren Ton – der drei For- z.T. noch an bestimmte Studios gebunden. mate ist leicht verschieden (Dolby Digital: So wurden Universal-Releases und Am- 120dB, DTS: 96dB, SDDS: 105dB), ebenso blin-Produktionen in den frühen Neunzi- wie die zur Datenspeicherung verwende- gerjahren noch exklusiv mit DTS aufge- ten Kompressionsraten (Dolby Digital: nommen, an dem sowohl MCA als auch 10:1, DTS: 4:1, SDDS: 5:1). Am deutlichs- Spielberg eine Beteiligung halten. Ebenso ten lassen sich Dolby Digital, DTS und wurden Columbia- und Tristar-Filme aus SDDS jedoch an der Methode unterschei- offensichtlichen Gründen vornehmlich den, wie ihre Daten auf, bzw. für den Film mit SDDS-Tonspuren lanciert. Mit der Sta- festhalten werden. bilisierung des Marktes sind diese exklusi- Dolby Digital platziert die digitale ven Lancierungsstrategien mittlerweile je- Tonspur in den Feldern zwischen den Per- doch weitgehend hinfällig geworden, so forationslöchern, SDDS an den beiden Au- dass die meisten Filme und sämtliche ßenseiten des Filmstreifens. Das System Großproduktionen der Studios heute in von DTS verwendet überhaupt keine Ton- der Regel so produziert werden, dass kein spur, sondern einen zwischen der Bildflä- dafür in Frage kommendes Kino auf den che und der analogen Back-up-Spur gela- digitalen Ton verzichten muss. gerten Timecode, über den der eigentliche Marktführer nach weltweit verkauften Datenträger, eine CD (für Spielfilme übli- Einheiten ist derzeit Dolby Digital, das per cherweise deren zwei), mit dem Filmbild Mai 2002 in etwa 35 000 Kinosälen instal- synchronisiert wird. Auf Grund der unter- liert worden ist. DTS, das bis 1997 noch schiedlichen Speichermethoden und Co- die Nase vorn hatte, liegt mit rund 21 000 dierungen sind Dolby Digital, DTS und Installationen mittlerweile an zweiter Stel- SDDS nicht miteinander kompatibel. An- le. SDDS, das vielleicht versierteste, aber dererseits ermöglicht es die Tatsache, dass auch teuerste der drei Formate, rangierte jedes Format einen anderen Ort zur Plat- zuletzt mit etwas mehr als 8000 Einheiten 200 3 Geschichte

Abb.฀44฀฀฀Digitale฀Tonformate฀–฀Weltweite฀Installationen฀(Quelle:฀Dolby฀Laborotories฀Inc.) weit hinter seinen beiden Mitstreitern und dern den Surroundbereich durch einen hat deshalb wohl auch die Veröffentli- dritten Mittekanal ergänzt. Der zusätzli- chung seiner Zahlen per Januar 2002 ein- che Kanal, der nach dem Matrixverfahren gestellt. Über die relative Verbreitung digi- aus den Signalen des linken und rechten taler Tonsysteme lässt sich nach diesen Surroundkanals decodiert wird, soll es Zahlen mit Genauigkeit nichts sagen, da Soundmixern ermöglichen, räumliche Kinos üblicherweise über mehr als nur ei- Toneffekte präziser zu platzieren als mit nes der Systeme verfügen. Bemessen an den bisher üblichen zwei Kanälen und da- Kinosälen, die derzeit mit einem her- durch eine wesentlich effektivere Wirkung kömmlichen Dolby-Stereo-Matrix-Pro- von atmosphärischen und direktionalen zessor ausgestattet sind (laut Dolby welt- „Fly-over“- und „Fly-around“-Effekten zu weit 65 400) und den Verkaufszahlen des erzielen.123 Marktführers kann digitaler Ton, als eine grobe Orientierungsmarke, derzeit aber in 3.3.3.2 Sensorisches Kino mindestens 53% dieser Kinos genossen In welcher Weise haben diese technischen werden. Entwicklungen die audiovisuelle Ästhetik Am 20. Oktober 1998 haben Dolby des Hollywoodkinos beeinflusst und ver- und THX die gemeinsame Entwicklung ei- ändert? Beim monauralen Lichtton kann nes neuen, erweiterten Digitalformats be- der gesamte Soundtrack eines Films ledig- kannt gegeben, das mit STAR WARS:EPISO- lich über einen Kanal ausgegeben werden: DE I im Mai 1999 in amerikanischen Kinos Dialog, Musik und Toneffekte (Geräusche) erstmals zur Anwendung kam und mittler- laufen in der klassischen Studioära alle weile in etwa 7000 Sälen installiert wor- über ein und dieselbe Quelle. Der einzige den ist. Dolby Surround EX wird dabei als räumliche Spielraum des Soundmixers be- ein 6.1-System beschrieben, das anders als steht darin, Klänge lauter oder leiser und Sonys 7.1-Konfiguration das Kinoerlebnis mit mehr oder weniger Hall abzumischen in der Tat um eine neue Dimension berei- und über diese Mittel zumindest eine chert, da es nicht einfach nur das frontale frontal gelagerte akustische Tiefenper- Lautsprecherfeld weiter aufgliedert, son- spektive für den Zuschauer zu konstruie-

123 Dolby Laboratories, ; DTS Online, Sony Dy- namic฀Digital฀Sound,฀;฀Sun,฀„FAQ฀for฀Digital฀Movie฀Sound“. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 201

ren. Töne können dabei zum einen grund- that they all seem to be cut out of the sätzlich nur sehr spärlich übereinanderge- same gray, impersonal cloth.125 legt werden, da sie auf Grund des extrem Auch in der Breitwandära ändert sich an limitierten Spektrums reproduzierbarer dieser basalen Rangordnung des Filmtons Frequenzen ständig Gefahr laufen, ihre wenig: Der Effektkanal bleibt ein spärlich Intelligibilität zu verlieren. Zum anderen eingesetztes Gimmick. Stereoton wird in ist es in solchen Fällen notwendig, das je- erster Linie für die Musikspur eingesetzt. weils relevante Tonelement möglichst Einige Filme experimentieren zwar mit deutlich von den konkurrierenden Klän- stereophon aufgezeichneten oder manuell gen abzuheben.124 geschwenkten Dialogen, das Vorgehen Welche der drei Grundkategorien des wird jedoch sehr bald wieder fallen gelas- Filmsoundtracks mit Einführung des Film- sen: Erstens wegen des erhöhten Aufwan- tons unter diesen Bedingungen den Vor- des und entsprechender Kosten. Zweitens zug erhält, liegt auf der Hand: Nicht um- und vor allem deshalb, weil sie ähnlich sonst werden Tonfilme zunächst als „Tal- wie bei der in Teil 1 bereits angesproche- kies“ bezeichnet und damit vom Stumm- nen Mikrophon-Platzierungsproblematik, film, der die musikalische Begleitung be- den bereits geformten Erwartungen an die reits kennt, unterschieden. Toneffekte fris- cinematische Repräsentationsnorm zuwi- ten im klassischen Kino ein ausgespro- derläuft: Während der optische Schnitt chen unscheinbares Schattendasein. Spra- von einem Establishing Shot zur Nahauf- che und Musik sind es, die neben dem Bild nahme eines Schuss/Gegenschuss-Musters nahezu sämtliche narrativen, emotiona- fließend erscheint, wird es üblicherweise len und atmosphärischen Information als störend empfunden, wenn die Stimme übertragen. Wie der französische Film- einer Figur zunächst den Verhältnissen ei- und Tontheoretiker Michel Chion die kar- ner weiten Einstellung gemäß von der Sei- ge Geräuschlandschaft des klassischen Ki- te empfangen wird, in der folgenden Nah- nos beschreibt: aufnahme dann aber plötzlich aus dem We all carry a few film sounds in our me- zentralen Lautsprecher zu hören ist, der mory – the train whistle, gunshots, gallo- dem Klangbild der seitlichen Boxen darü- ping horses in westerns and the tapping of ber hinaus exakt entsprechen muss. Die typewriters in police station scenes – but Dialogspur eines Films wird daher auch we forget that they are heard only occa- heute noch prinzipiell monaural abge- sionally, and are always extremely stereo- mischt und durchgehend über den Front- typed. In fact, in a classical film, between lautsprecher in der Mitte des Kinos ausge- music and the omnipresent dialogue, the- geben. Daneben ist es im Kino nur weni- re’s hardly room for anything else. Take gen Leuten möglich die optimale Position an American film noir or a Carné-Prévert für das so genannte Phantomzentrum ei- from the forties: what do the noises come ner zweikanaligen Stereoaufnahme einzu- down to? A few series of discreet foot- nehmen. Anders als im Heimaudiobereich steps, several clinking glasses, a dozen umfasst Stereoton im Kino daher seit je- gunshots. And with sound quality so her mindestens drei Kanäle und drei Laut- acoustically impoverished, so abstract, sprecherboxen.126

124 Vgl. Michel Chion, Audio-Vision: Sound on Screen, transl. by Claudia Gorbman (New York: Colum- bia฀University฀Press,฀1994),฀148. 125 Ibid.,฀145. 126 Vgl.฀Holman,฀45–47,฀91;฀„Surround฀Sound“,฀2. 202 3 Geschichte

Vierkanal-Dolby-Matrix-Ton und die Geräuschemacher (Foley Artist) zum lau- noch weiter gesteigerten Kapazitäten heu- fenden Bild manuell imitiert werden tiger Digitaltonsysteme haben das Audito- (Fußstapfen, Türen, Kleiderrascheln, das rium des Kinosaals selbst zum dynami- Abstellen eines Gegenstandes, Küsse etc.); schen Spielraum räumlicher Klangeffekte ein Sixtrack für großflächige und atmo- gemacht und das grundsätzlich auf dem sphärische Hintergrund- oder so genannte Prinzip eines distanzierten Beobachters Ambience-Geräusche und noch einmal und einer planen Bildfläche basierende zwei Sixtracks für so genannte Cut Effects – Dispositiv des Kinos damit zumindest im d.h. Geräusche, die nicht von einem Foley auditiven Bereich einen Schritt näher an Artist produziert werden können und ent- das eines omnidirektional-immersiven weder aus einem Tonarchiv stammen oder Mediums gebracht. Auf einer basaleren speziell für die Produktion aufgenommen Ebene erlauben es der Zuwachs an zur Ver- oder designt worden sind.127 fügungen stehenden Kanälen, deren dis- Natürlich lassen sich solche Daten krete Trennung und die dem menschli- nicht direkt proportional lesen und macht chen Hörvermögen kaum mehr nachste- es auch wenig Sinn, zu behaupten, fünf hende Definition des digitalen Kinotons, Achtel eines durchschnittlichen Film- Soundtracks zunächst jedoch auch ein- soundtracks setzten sich heute aus Tonef- fach wesentlich dichter zu gestalten, als fekten zusammen. Dennoch liefert eine dies in der ersten Hälfte des filmischen Aufstellung wie diese ein zumindest gro- Jahrhunderts möglich war. bes Richtmaß dafür, wie stark sich die Ge- Während sich der Soundtrack eines wichtung des postklassischen Filmtons zu- klassischen Films lediglich aus einer gunsten von Geräuschen verschoben hat: Handvoll stereotyper Klänge zusammen- Bleibt der Stummfilms auf die musikali- fügt, liegen dem eines kontemporären sche Untermalung externer Quellen be- Films mindestens vierzig bis sechzig, bis- schränkt (Musiker oder Schallplatten) und weilen aber auch hunderte von unter- rückt mit der Konversion zum Tonfilm die schiedlichen Tonspurelementen oder so Sprache ins Zentrum des Films, ist es der genannten Cut Units zu Grunde, die übli- durch Dolby Stereo und digitale Systeme cherweise zunächst in einer Reihe vordefi- ermöglichte Einsatz von Toneffekten, der nierter Premixes konsolidiert werden, be- die auditive Landschaft des postklassi- vor aus diesen Spuren wiederum der so ge- schen Kinos neu definiert. nannte Final Mix, bestehend aus einer se- Folgt man der Analyse und Film- paraten Spur für Dialog, Musik und Tonef- ton-Taxonomie Michel Chions, umfassen fekte, entsteht. Ein typisches Premix-Set Toneffekte im Film zumindest zwei unter- setzt sich dabei heute aus acht sechsspuri- scheidbare Dimensionen, die Chion an- gen Einheiten oder so genannten Sixtracks hand des Begriffspaars „reproduction“ ver- zusammen: Ein Sixtrack für Produktions- sus „rendering“ einander gegenüberstellt128: dialog; ein Sixtrack für nachsynchronisier- Reproduktion bezieht sich dabei auf die ten Dialog (ADR, Automated Dialog Repla- naturgetreue Wiedergabe von Klängen, cement); ein Sixtrack für Musik; zwei Six- wie sie in einer entsprechenden Situation tracks für so genannte Foley-Geräusche – in der physischen Realität zu hören wären. d.h. kleinere Toneffekte, die von einem Als eine ihrer zentralen Aufgaben liefern

127 Vgl. Elisabeth Weis, „Sync Tanks: The Art and Technique of Postproduction Sound“, in Cineaste (Januar฀1995)฀pp.฀56;฀Holman,฀155–160. 128 Vgl.฀Chion,฀95,฀109–114,฀224. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 203

Toneffekte in der Funktion dessen, was Fiction-Filmen Raumschiffe kreischend Chion als „materializing sound indizes“ oder brummend durch den luft- und da- bezeichnet dabei unter anderem Informa- mit an sich schalleeren Raum des Weltalls tionen über die konkrete Materialität von fliegen; Reifen in Autoverfolgungsjagden Objekten und Aktionen im filmischen mehr oder weniger unabhängig von der Raum. Besteht das Objekt aus Holz, Stoff, Beschaffenheit ihrer Unterlage quiet- Papier oder Metall? Wird das Geräusch schen; Revolver- und Maschinengewehr- durch Reibung oder Kollision erzeugt? schüsse standardgemäß durch den peit- etc.129 schenden Klang von Querschlägern be- Tatsächlich beschränkt sich die Quali- gleitet werden oder Laserschüsse nahezu tät von Geräuschen im Film aber nicht im- immer mit dem pulsierenden oder strah- mer oder sogar nur selten auf diese mehr lenden Klang einer energetischen Entla- oder weniger realistische Komponente. dung unterlegt sind. Toneffekte werden in den meisten Fällen Mit der Standardisierung des Mehrka- nicht nur mit anderen Mitteln produziert naltons – und um so mehr des digitalen als jenen, die auf der Leinwand zu sehen Mehrkanaltons – und Entstehung dessen, sind, sie klingen de facto auch oft sehr viel was Chion als das „superfield“ bezeichnet; drastischer oder einfach auch nur anders, mit der Dichte, Individualität und Defini- als dies in einer vergleichbaren realen Si- tion, die Geräusche heute im Stande sind tuation der Fall wäre. Dabei handelt es einzunehmen, und dem Vordringen jener sich jedoch nicht einfach nur um Über- Genres, die sich seit jeher als der bevorzug- treibung oder Verfälschung, vielmehr geht te Nährboden für die kreative Entfaltung es laut Chion Filmemachern und Sound- dieser klanglichen Mittel erwiesen haben designern darum, mit Hilfe des Tons ein (Science Fiction, Horror, Action/Adventu- Substitut für ein unbestimmtes Agglome- re etc.), hat das kontemporäre Kino damit, rat von Sinneseindrücken zu entwickeln, wie Chion argumentiert, eine neuartige die eine gegebene Situation mit einbe- Fähigkeit zur Übermittlung multipler und zieht. „What is rendered...“, schreibt Chi- insbesondere taktiler und kinetischer Sin- on, „...is a clump of sensations.“130 neseindrücke entwickelt und sich so von Der Klang eines Fausthiebs, das Bers- seiner narrativ- und sprachorientierten ten einer Explosion, der Aufschlag eines Tradition weg, hin zu einem unvorherge- Körpers oder Gegenstandes vermitteln, so gangen „sensorischen Kino“ bewegt.131 wie sie im Kino vorkommen, nicht bloß ei- Chion: nen Eindruck von der reinen Akustik ihrer Quellen, sondern weitaus mehr, auch des The pursuit of sensations (of weight, Gewichts, der Wucht, der Geschwindig- speed, resistance, matter and texture) keit und Überraschung, des Schmerzes, may well be one of the most novel and der Bedrohung und der Gewalt, die die Er- strongest aspects of current cinema. To fahrung solcher Handlungen und Ereig- the detriment, as some object, of delicacy nisse involvieren mag – und es geschieht of feeling, intelligence of screenwritig, or zweifelsohne eben genau zugunsten dieses narrative rigor? Probably. But didn’t the Aspekts – um einige besonders deutliche much-admired films of the old days, for Beispiele zu nennen –, wenn in Science their part, achieve their emotional force

129 Vgl. Ibid.,฀114–117,฀223. 130 Ibid.,฀112. 131 Vgl. Ibid.,฀150–156,฀224. 204 3 Geschichte

and dramatic purity at the expense of yet an airplane flying. Then they’d dissolve something else – of „sensation“ for exam- to a picture of the Eiffel Tower. Then a ple, when in reproducing noises they gave subtitle would say, ‚Paris, France‘. Then us an inferior and stereotyped sensuali- they’d cut to a little cafe and they’re at ty?132 the table. Now, you can skip all that. ‚See you in Paris‘, cut to an ashtray and then Auditive Innovationen haben aber nicht you’re in a bistro.133 nur die Weise verändert, in der Filme ge- hört werden, sondern wie der von Chion Daneben, argumentiert Chion, sind der, geprägte Begriff und Titel seines vierten wie auch er observiert, häufige Verzicht Buches Audio-Vision impliziert, immer auf ausführliche Establishing-Shot-Reihen auch schon Einfluss auf die visuellen Ei- zugunsten fragmentarischer Nahaufnah- genschaften des Kinos und die Weise, in men und die seit Ende der Siebzigerjahre der wir Filme sehen oder zu sehen glau- zunehmende Favorisierung eines von ben, genommen. „multiplen flüchtigen Wahrnehmungen, Kollisionen und spasmodischen Ereignis- sen“ bestimmten Filmrhythmus über den 3.3.4 Deep Impact: Schnitt, Kamera- vergleichsweise „kontinuierlichen und führung und die „performative“ Ach- homogenem Fluss“ des klassischen Kinos se der Kinoerfahrung aber auch eine Folge der veränderten Be- dingungen des Mehrkanaltons.134 Wie es Steven de Souza, Drehbuchautor Akustische Informationen können von Actionklassikern wie 48 HRS. (1982), laut Chion grundsätzlich schneller verar- DIE HARD (1988) und DIE HARD 2 erklärt, beitet werden als Bilder. Kurze, schnelle geht der bisweilen frenetische Schnitt- Bewegungen wie ein Fausthieb oder der rhythmus, der den hyperkinetischen und Flug und Einschlag eines Projektils erhal- – zieht man die unmittelbar physische ten im Kino ihre volle Prägnanz oder sogar Wirkung eines Subwoofer-Baßstoßes oder Intelligibilität daher oft erst durch die hin- Surroundsoundeffekts in Betracht – oft zukommende Information eines synchron buchstäblich taktilen Stil des kontempo- gelegten Tones.135 Chion bezeichnet die- rären Hollywoodkinos begleitet, sicher- sen Effekt als „added value“136: „What we lich größtenteils auf die gewachsene Me- hear is what we haven’t had time to see.“137 dia Literacy des Filmzuschauers zurück – (Das diesem Effekt vorgelagerte und für De Souza: die Funktionsweise des Tonfilms grundle- The editing issue really is a generational gende Phänomen spontaner Identifikati- thing. The ability to take in information on von synchron wahrgenommenen Bild- has changed. Take a hypothetical movie und Tonelementen nennt Chion „syn- 50 years ago. Bogart says to Bacall, chresis“.)138 Je besser der Filmton vor allem ‚We’ll meet in Paris.‘ Then they’d cut to im Höhenbereich definiert ist, desto kür-

132 Ibid.,฀154–155. 133 Interviewed in: Amy Wallace, „How Much Bigger Can the Bang Get?“, Hollywood.com, 10. August 1998,฀฀[11.8.1998]. 134 Vgl.฀Chion,฀150–151,฀149. 135 Vgl. Ibid.,฀10–12,฀60–61. 136 Vgl. Ibid.,.5,฀221. 137 Ibid.,฀61. 138 Vgl. Ibid.,฀63–64,฀224. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 205

Abb. 45 Historische und aktuelle Editingtrends nach Salt (1918–87) und Blanchet (Quelle: Salt,1992) zer und schneller, so Chion, können rück- visueller Ebene über die Gegebenheiten wirkend die auf der Leinwand gezeigten des filmischen Raumes zu orientieren.139 Aktionen von Figuren und Objekten sein Nicht nur werden somit Sequenzen, und je mehr narrative Informationen wie der Praktiker Tomlinson Holman an grundsätzlich an den ambienten Klang- anderer Stelle schreibt, als schneller emp- teppich des Superfields delegiert werden funden, wenn sie wie heute durch einen können, desto unwichtiger wird es, den dichten Soundtrack begleitet und zusätz- Rezipienten durch weite Einstellungen auf lich skandiert werden. Die Omnipräsenz

139 Vgl. Ibid.,฀149–151. 206 3 Geschichte

Periode Durchschnittliche Einstellungslänge Stummfilm, 1917–1928 7,2 –4,5 Sek. Tonfilm (Academy Ratio), 1929–1953 18,0 –7,2 Sek. Breitwand, 1953–1955 20,0 –10,3 Sek. Academy Ratio, 1953–1955 12 ,0 – 6,9 Sek. Breitwand, 1955–1960 18,0 – 6,0 Sek.

Tabelle฀17฀฀฀Historische฀Editingtrends฀nach฀Bordwell฀(Quelle:฀Bordwell,฀Staiger฀Thompson,฀61, 304–305,฀361–362) ambienter Geräusche zum einen und diofilme beschränkt, sondern das gesamte hohe Definition von Cut Effects und Fo- Spektrum des amerikanischen Kinos be- ley-Geräuschen zum anderen hätten – rücksichtigt. wenn Chions These stimmt – auch unmit- Mit einer Schwankungsbreite von 500 telbar zur Dynamisierung und Fragmen- bis 800 Einstellungen pro Stunde (EPS) tierung der visuellen Erzählweise des Hol- oder durchschnittlichen Einstellungslän- lywoodkinos selbst beigetragen.140 ge (DEL) von etwa 7–4,5 Sekunden sind Inwieweit und unter welchen Bedin- Stummfilme deutlich schneller geschnit- gungen lässt sich neben der nur schwer ten als die der klassischen Studioära, in der quantifizierbaren „Spasmodik“ des kon- ein Film minimal etwa 200 EPS enthält, temporären Action/Adventure-Kinos von maximal aber nur selten mehr als 600 Ein- einer solchen Dynamisierung gegenüber stellungen pro Stunde alterniert, was einer dem klassischen Kino sprechen? Abbil- üblichen Spannweite von DELs zwischen dung 45 und Tabelle 17–18 vergleichen die 6 und 18 Sekunden entspricht.142 Aus- historischen Editingtrends, wie sie von schlaggebend dafür ist laut Bordwell die Bordwell, Staiger, Thompson für das klas- Einführung des Tons, der es notwendig sische Kino und Barry Salt in einer ähnli- macht, Einstellungen grundsätzlich länger chen Untersuchung bis in die späten Acht- zu halten, um dem im Vergleich zur thea- zigerjahre gemessen worden sind, mit ei- tralischen Gestiksprache des Stummfilms nem kleinen Sample von Hollywoodpro- wesentlich zeitaufwändigeren Fluss des duktionen, die innerhalb der letzten zehn Dialogfilms auch auf visueller Ebene zu Jahre in den amerikanischen und interna- entsprechen. Technische Schwierigkeiten tionalen Kinos gelaufen sind.141 Die Ergeb- bei der Synchronisation von Bild- und nisse von Bordwell, Staiger, Thompson Tonschnitt bilden nur in der frühen An- und Salt gehen dabei weitgehend kon- fangsphase ein Problem.143 form. Abweichungen sind wohl in erster Die Konversion zum Breitwandkino Linie auf die größere Stichprobe von Salt bringt zunächst eine weitere Verlangsa- zurückzuführen und die Tatsache, dass mung des Schnitts mit sich. Vermutlich sich Salt bei seinem Sample nicht auf Stu- deshalb, da das Bild nun mehr Details ent-

140 Holman,฀45. 141 Bordwell, Staiger, Thompson, Classical Hollywood, 61, 304–305, 361–362; Salt, 147, 174, 214–216, 239–240,฀249,฀266,฀283,฀296. 142 Dies scheint Chions These über den Zusammenhang von Filmton und visueller Darstellungsge- schwindigkeit zu widersprechen. Chion argumentiert jedoch, der verhälnismäßig schnelle Schnitt des Stummfilms werde üblicherweise durch eine vereinfachte und stilisierte Bildgestal- tung฀kompensiert.฀Vgl.฀Chion,฀11. 143 Vgl.฀Bordwell,฀Staiger,฀Thompson, Classical฀Hollywood,฀304. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 207

Kontemporär 1990–1998 DEL DEL Action/Adventure Komödie

ARMAGEDDON (98) 2,2 Sek. THE WATERBOY (98) 3,7 Sek.

ENEMY OF THE STATE (98) 2,4 Sek. PLEASANTVILLE (98) 3,8 Sek.

VOLCANO (97) 2,4 Sek. SGT. BILKO (96) 4,8 Sek.

FACE/OFF (97) 2,5 Sek. THERE'S SOMETHING ABOUT MARY (98) 6,3 Sek.

THE ROCK (96) 2,7 Sek. GROUNDHOG DAY (93) 7,1 Sek.

TERMINATOR 2 (91) 3,2 Sek.

INDEPENDENCE DAY (96) 3,2 Sek. Drama

STARSHIP TROOPERS (97) 3,5 Sek. A TIME TO KILL (96) 3,7 Sek.

TWISTER (96) 3,6 Sek. NOBODY'S FOOL (94) 4,8 Sek.

DIE HARD WITH A VENGEANCE (95) 4,0 Sek. ROUNDERS (98) 5,5 Sek.

JURASSIC PARK (93) 5,2 Sek. SHOWGIRLS (95) 5,5 Sek.

SAVING PRIVATE RYAN (98) 8,8 Sek. BED OF ROSES (96) 5,6 Sek.

LIVING OUT LOUD (98) 6,4 Sek.

Thriller/Horror SENSE AND SENSIBILITY (95) 7,3 Sek.

I STILL KNOW WHAT YOU... (98) 3,5 Sek. THE BRIDGES OF MADISON COUNTY (95) 7,7 Sek.

JUST CAUSE (95) 4,2 Sek. SCHINDLER'S LIST (93) 8,5 Sek.

EXTREME MEASURES (96) 4,6 Sek.

THENET(95)4,7Sek.Action/Adventure1976–89

HEAT (95) 4,7 Sek. RAMBO: FIRST BLOOD PART II (85) 3,2 Sek

BREAKDOWN (97) 4,8 Sek. STAR WARS (77) 3,3 Sek.

SE7EN (95) 4,9 Sek. INDIANA JONES (...) DOOM (84) 3,9 Sek.

BRAM STOKER'S DRACULA (92) 5,7 Sek. DIE HARD (88) 4,7 Sek. Tabelle฀18฀฀฀Aktuelle฀Editingtrends hält und somit grundsätzlich weniger auf zu erwarten, zu einer deutlichen Beschleu- den Schnitt angewiesen ist, andererseits nigung der gewohnten Norm: Während dem Zuschauer aber auch genügend Zeit die meisten Filme der klassischen Studioä- gelassen werden soll, um die vergrößerte ra mit DELs von 9–10 Sekunden operieren, Bildfläche optisch abzutasten und Gele- bilden in den späten Sechziger- und frü- genheit, ihre bevorzugt opulenten Inhalte hen Siebzigerjahren durchschnittliche zu kontemplieren.144 Innerhalb kürzester Schnittlängen von 6–7 Sekunden die am Zeit passt sich der Schnittrhythmus je- häufigsten vertretene Option. Überra- doch wieder an den kreativen Spielraum schend scheint sich der Trend nach Salts des Academy Ratio-Formats an: Bereits in Zahlen in den späten Siebziger- und Acht- den späten Fünfzigerjahren kann ein zigerjahren nicht eindeutig fortzusetzen. Breitwandfilm ebenso schnell geschnitten Wie Salt selbst einräumt, ist dies vermut- sein wie eine klassische Academy-Ratio- lich jedoch mit auf einen Überhang über- Produktion. durchschnittlich langsam geschnittener Der Aufstieg junger Regisseure im Zeit- Filme in seinem Sample zurückzuführen. alter des New Hollywood-Kinos führt, wie In der Tat liegt die Spitze der Verteilungs-

144 Ibid.,฀361. 208 3 Geschichte

kurve auch nach 1975 im Bereich von 6 Se- Während die 3-Sekunden-Marke of- kunden – jenem Punkt, um den, wie Salt fenbar bis noch vor wenigen Jahren eine schreibt, auch die „kommerzielleren“ Fil- kaum überwindbare Schallmauer darstell- me der Periode angesiedelt sind; während te, wird sie derzeit von Filmen wie THE das Kunst und Autorenkino grundsätzlich ROCK,FACE/OFF,VOLCANO,ARMAGEDDON eher zur langen Einstellung tendiert – oder ENEMY OF THE STATE regelmäßig „... in fact the higher the pretensions, the durchbrochen. Verlässliche Aussagen über longer the take.“145 Zumindest bis in die das gesamte Spektrum des Hollywoodki- Sechzigerjahre spielen generische Ausrich- nos sind auf Grund des teils selektiven tungen ansonsten keine ausschlaggeben- teils mehr oder weniger zufällig zusam- de Rolle: Wie sowohl Bordwell als auch mengestellten Samples sicherlich nicht Salt betonen, lässt sich mit Ausnahme des möglich. Dennoch deuten die Daten zu- Musicals, das nach Salt zu leicht längeren mindest darauf hin, dass sich der statisti- Einstellungen tendiert, kein prädominant sche Mittelwert für DELs heute eher im Be- schnell oder langsam editiertes Genre im reich von 5 Sekunden bewegt. Spektrum des Hollywoodfilms ausmachen. Beschleunigte Schnittrhythmen sind Für das kontemporäre Hollywoodkino jedoch nur eine Möglichkeit, den visuel- scheint dies, wie Tabelle 18 zeigt, nur len Fluss und damit das Rezeptionserleb- mehr bedingt zu gelten: Komödien oder nis von Filmen zu dynamisieren. Ein gutes Dramen können im Rahmen des nach wie Beispiel hierfür ist die für das kontemporä- vor relativ breiten Spielraums, den das re Actionkino stilbildende Produktion DIE Hollywoodkino seinen Akteuren gewährt, HARD: DEL-Wert verkleinernde Schnittbe- in der Tat nach wie vor nach Belieben zü- schleunigungen treten in den ausgewähl- gig (THE WATERBOY: 3,7 Sek., A TIME TO ten Fallbeispielen vor allem bei zwei Seg- KILL: 3,7 Sek., ) oder eher langsam ge- menttypen auf: Erstens, wie zu erwarten, schnitten werden (GROUNDHOG DAY: 7,1 bei Actionsequenzen, daneben aber auch Sek., SCHINDLER’S LIST: 8,5), während sich bei Dialogszenen, die mit Hilfe eines kontemporäre Thriller scheinbar irgend- Shot/Reverse-Shot-Musters inszeniert wor- wo zwischen diesen Polen aufhalten. Im den sind, subjektiv dabei aber vergleichs- Bereich des hoch budgetierten Action/Ad- weise ruhig erscheinen. Mitverantwortlich venture Kinos hat sich mittlerweile jedoch dafür dürfte der geringe visuelle Informa- ein recht deutlicher Trend zu schnellen tionszuwachs sein, den eine SRS-Bildfolge und extrem schnellen Schnitten herausge- bedingt: SRS-Muster setzen sich im Falle bildet: DELs von weniger als 4 Sekunden einer Dialogsequenz üblicherweise nicht sind dabei, wie die kleine aber ökono- nur aus relativ statischen Nah- und Groß- misch und filmhistorisch signifikante Ver- aufnahmen von bereits bekannten Ge- gleichsgruppe am Ende der Tabelle andeu- sichtern zusammen, sondern kehren per tet, bereits in den späten Siebziger- und definitionem ja auch grundsätzlich immer Achtzigerjahren nichts ungewöhnliches wieder zu bereits eingeführten und sich in (STAR WARS: 3,3 Sek, RAMBO:FIRST BLOOD der Wechselfolge nur geringfügig verän- PART II: 3,2 Sek.). Wie zu vermuten, hat dernden Bildausschnitten zurück. Ein sich der Trend zu immer schnelleren Großteil der schnelleren Bildfolgen von Schnitten in der zweiten Hälfte der Neun- Filmen wie A TIME TO Kill, NOBODY’S FOOL zigerjahre jedoch weiter verschärft. aber auch STAR WARS geht tatsächlich auf

145 Vgl.฀Salt,฀283. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 209

den Einsatz solcher Dialogsequenzen zwi- dies beispielsweise bei STAR WARS oder schen zwei oder mehreren Personen zu- RAMBO:FIRST BLOOD PART II weitgehend rück. Der entscheidende Grund für die der Fall ist, bleibt die Mobilität der Kamera vergleichsweise niedrige Schnittrate von dabei auch hier nicht an die der Figuren DIE HARD ist jedoch ein anderer. und Objekte gebunden. Im Gegenteil setzt DIE HARD mangelt es weder an Dialo- Bay Kamerabewegungen mit Vorliebe ge- gen noch an Action. Beide Segmenttypen rade dort ein, wo Figuren und Objekte werden von John McTiernan und seinem selbst in statischen Positionen verharren. Kameramann Jan de Bont (später Regis- Insbesondere jene Sequenzen, die das ver- seur bei SPEED 1–2 und TWISTER) jedoch gleichsweise aktionslose Geschehen in der mit Vorliebe so choreographiert, dass es NASA-Kontrollstation wiedergeben, wer- möglich wird, sie auch in komplexeren Si- den von Bay auf diesem Weg „künstlich“ tuationszusammenhängen ohne Schnitt dynamisiert: Kreisende, bogenförmige, wiederzugeben. Die bevorzugten Mittel vertikale und horizontale Kranfahrten in dazu sind die von einer ausgesprochen weiten Einstellungen und Establishing mobilen Kamera (in vielen Fällen vermut- Shots; frontale Zooms und Dollyfahrten lich eine Steadycam) begleitete Agilität der auf und weg von den besorgten Gesich- Akteure; schnelle, kurze, von der unmit- tern der Akteure; gelegentliche Reiß- telbaren Bewegung der Figuren losgelöste schwenks in oder aus einer Einstellung Schwenks, die anstatt zu schneiden, flie- und langsame, vorwiegend horizontal ßend von einem Detail zum anderen glei- driftende Dollyfahrten in Nah- und Groß- ten und abrupte Schärfenverlagerungen aufnahmen – sowohl bei Einzelaufnah- (Rack Focus), die es über den sprunghaften men als auch eingeflochten in SRS-Folgen Fokuswechsel auf eine zuvor unscharf ge- – signalisieren ständig dramatische Span- haltene Tiefenebene – sowohl in Verbin- nung und halten den visuellen Fluss des dung mit als auch ohne drastische Films konstant in Bewegung. Schwenks – erlauben, den Blick des Zu- Anders als bei McTiernans vergleichs- schauers auf die narrativ relevanten weise stärker an die Entfaltung des narrati- Punkte des filmischen Raumes zu lenken. ven Raumes rückgebundene Kamerafüh- Weniger der Schnitt selbst als gerade diese rung sind Bays Schwenks, Zooms und ihn vielerorts ersetzende, „plansequen- Fahrten in den NASA-Sequenzen über die- zielle“ Bewegungschoreographie von Ka- se beiden Funktionen hinaus kaum moti- mera und Akteuren ist es, die die einneh- viert und im neoformalistischen Sinne da- mende und streckenweise klaustropho- mit auffällig selbstverweisend. Vor allem bisch anmutende Dynamik von DIE HARD aber dienen Bays Kamerabewegungen ge- bestimmt. Und in der Tat ist es wohl dieser nerell nicht als Substitut, sondern als betont flüssige und oft auffällig autonome Supplement eines per se schon schwindel- Kameraführungsstil, wie er in ähnlicher erregenden Schnittstakkatos, das ARMA- Form auch in der Werbung und Videoclip- GEDDON von der ersten bis zur letzten Mi- produktion oder Fernsehserien wie ER vor- nute durchzieht. zufinden ist, der eine der markantesten sti- Mit einer DEL von nur knapp 2,2 Se- listischen Innovationen der Medien-Äs- kunden und über 1650 Einstellungswech- thetik der Neunzigerjahre konstituiert. seln pro Stunde, die zusätzlich durch eine Neben John Woo in FACE/OFF hält so Fülle von Explosionen, „Kameraerschütte- beispielsweise auch ARMAGEDDON-Regis- rungen“ und grellen Lichtreflexen skan- seur Michael Bay die Kamera gerne in Be- diert werden, ist ARMAGEDDON mehr als wegung. Wie bei DIE HARD und anders als doppelt so schnell geschnitten wie DIE 210 3 Geschichte

HARD und mehr als dreimal so schnell, wie ein in der Filmwissenschaft traditionell es das Höchstmaß des typischen klassi- vernachlässigtes und daher bis heute na- schen Academy-Ratio-Films zulässt. Selbst hezu unbekanntes Gebiet des Forschungs- im Umfeld ähnlich oder zumindest in feldes dar.146 Um so wichtiger ist es wohl, Teilsegmenten annähernd kurzatmiger das Wirken einer psychophysiologisch und audiovisuell aggressiver Produktio- „performativen“ Achse – in Anlehnung an nen der letzten Jahre wie THE ROCK,CON den von John Austin geprägten Begriff – AIR,STARSHIP TROOPERS,TWISTER,VOLCA- und gleichzeitige Rendering-Funktion ci- NO,ENEMY OF THE STATE,SAVING PRIVATE nematischer Repräsentationsweisen als RYAN,INDEPENDENCE DAY,TITANIC oder eine wesentliche Grundkategorie dieser GODZILLA stellt ARMAGEDDONs kompro- kaum theoretisierten Dimension des Kino- missloser und mitunter an die Grenzen erlebnisses im Allgemeinen und der Ästhe- der Intelligibilität vorstoßender Stil damit tik des postklassischen Kinos im Besonde- sicherlich eine extreme Erscheinungsform ren zu bestimmen.147 dar. Symptomatisch sind die von Bay ein- Die Hektik, Konfusion und Dynamik, gesetzten Mittel und deren Funktionen für die physische und psychische Anspan- den Zustand des kontemporären Block- nung dargestellter Handlungsmomente busterkinos dennoch allemal. wird dem Zuschauer in ARMAGEDDON und Wie die dynamischen und spektakulä- anderen Filmen nicht nur über die rein de- ren Bildinhalte und das Soundbombarde- skriptive Dimension der Abbildung eines ment kontemporärer Blockbusterfilme bil- Geschehens vermittelt, in das er sich intel- den Bays hypernervöser Schnitt und dyna- lektuell und emotional hineinversetzen mische Kameraführung Teil einer spätes- kann oder nicht, sondern auch – und hier- tens Ende der Sechzigerjahre intensiviert, in liegt der performative Aspekt – indem im Zuge der technischen Erneuerungen der Rezeptionsprozess über den desorien- des Kinos der Neunzigerjahre aber zuneh- tierenden, dynamischen, „hypersensori- mend radikalisiert eingesetzten ästheti- schen“ und reflexattackierenden Einsatz schen Strategie, den Zuschauer nicht nur der verfügbaren filmischen Mittel durch die narrativ vermittelte Handlung (Schnitt, Kameraführung, Ton, Bildinhalt eines Films, sondern auch den diese narra- und Komposition) selbst zu einer zumin- tionale Repräsentation überragenden Ex- dest in der Tendenz vergleichbar anstren- zess der reinen Kinetik, Chaotik, Schnel- genden Erfahrung wird. ligkeit, Wucht und Fülle des audiovisuel- Michael Bay auf die Frage, was „das Ge- len Stimulus und direkt auf die körperli- heimnis“ seines aggressiven Stils und der chen Reflexe des Publikums gerichtete empfundenen „sinnlichen Überwältigung“ Schock- Schwindel und Geschwindigkeits- durch฀einen฀Film฀wie ARMAGEDDON sei: effekte zu attackieren und einzunehmen. Die „Psychophysiologie der Kinoer- In terms of the action scenes, I want the fahrung“, die hiermit angesprochen ist, audience to feel like they’re inside of it. stellt wie der Kultur- und Medientheoreti- That they are living it, and not just wat- ker Steven Shaviro in seinem Buch The Ci- ching it from afar. I like putting the au- nematic Body konstatiert und beklagt hat, dience at privileged angles, where they’re

146 Vgl. Steven Shaviro, The Cinematic Body (Minneapolis, London: University of Minnesota Press, 1993),฀53. 147 J.L. Austin, How to Do Things with Words, eds. J.O. Urmson, Marina Sbisà, 2nd ed. (1965; Cam- bridge:฀Harvard฀University฀Press,฀1999),฀6. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 211

Abb.฀46.1–2 „Performative“ Filmgestaltung in ARMAGEDDON (Bruckheimer/Touchstone, 1998) und ...

Abb.฀46.3–6฀฀฀…฀SAVING PRIVATE RYAN (Amblin/DreamWorks/Paramount,฀1998).

feeling it, rather than just watching it un- risch stilisierte „Omaha Beach“-Sequenz fold in front of them. So I do try to create aus SAVING PRIVATE RYAN (1998) mit der chaos with the action. When we have the Absicht gestaltet, „dem Publikum eine whole shuttle sequence on the asteroid, I physische Erfahrung zu geben“ und kept trying to think, what would it be like „nicht eine distanziert voyeuristische“.149 to be in a plane crash? I think it would be Ähnlich und funktional äquivalent ist bei the most horrific thing in the world, and allen übrigen Differenzen zwischen ARMA- it’s got to be chaotic to look at, just trying GEDDON und SAVING PRIVATE RYAN vor al- to stylize that.148 lem aber eben auch das konkrete filmische Instrumentarium, das Spielberg in der Nahezu dieselben Begriffe verwendet auch rund zwanzigminütigen Eröffnungsse- Steven Spielberg, wenn er erklärt, er habe quenz seines Films zur Anwendung die vieldiskutierte und gezielt dokumenta- bringt.

148 Interviewed in: Prairie Miller, „Armageddon: Interview with Michael Bay“, Mini Reviews, A Cine- man฀Syndicate฀Feature,฀1998,฀฀[27.6.2002]. 149 Interviewed in: Prairie Miller, “Saving Private Ryan: Steven Spielberg Interview,” Mini Reviews, A Cineman Syndicate Feature, 1998, [27.6. 2002]. 212 3 Geschichte

Stroboskopeffekte, desorientierende, es sich dabei wohl kaum um Metaphern enge, hoch bewegliche und verwackelte für das empathische, emotionale und in- Handkameraeinstellungen (der hohe DEL tellektuelle Engagement in das narrative Wert des Films von fast 9 Sekunden ist ei- Gewebe eines Films, vielmehr erinnern nerseits auf die ruhigeren Passagen in der Äußerungen wie diese nicht zufällig an die Mitte des Films zurückzuführen, anderer- immersiven und physischen Sensations- seits wie bei DIE HARD aber auch auf den und Unterhaltungswerte von Achterbah- „plansequenziellen“ Einsatz der Handka- nen und so genannten „Motion-Simula- mera in den beiden großen Actionsequen- tor-Rides“, wie sie angelehnt an deren zen); von chaotischen Aktionen und Filmerfolge nicht zuletzt in den hauseige- „spasmodischen Ereignissen“ geprägte nen Vergnügungsparks der Hollywoodstu- Bildinhalte; Granateneinschläge und Ex- dios und ihrer Muttergesellschaften zu fin- plosionen, die mit ihrer visuellen und den sind. spürbaren akustischen Wucht, nicht nur die Figuren des Films, sondern vor allem eben auch den Zuschauer unerwartet tref- 3.3.5 „A ride you’ll never forget“: fen; ebenso unmittelbar schockierende Die Rückkehr des „Kinos der Attrak- und physischen Ekel erregende Bilder von tionen“ Verletzungen und körperlichen Ver- Good day, good day, good day! Now … stümmlungen und ein mit hoch definier- The most advanced amusement park in ten kinetischen, taktilen und materiellen the entire world, incorporating all the la- „Soundindizes“ angereichertes, extrem test technologies. And I’m not talking just dichtes und dynamisches Klangfeld, in about rides, you know. Everybody has ri- dem vor allem surrende Projektile, auf- des. No, we have made living biological spritzender Sand und das anhaltende Stak- attractions, so astounding that they’ll kato peitschender und klimpernder Muni- capture the imagination of the entire pla- tionseinschläge auf Wasser, Helmen und net. dem Gerüst der Landungssperren einen – Dr. Hammond, JURASSIC PARK starken „sensorischen“ Eindruck hinter- lassen. Nicht erst seit dem Erfolg von JURASSIC Als Rendering-Werkzeuge fungieren PARK, auf dessen historische Stellung als die von Bay und Spielberg verwendeten Film die obige, dem Originalskript nach- Instrumente immer auch narrational – die träglich beigefügte Begrüßungsrede von Hektik der Montage und Kameraführung Dr. Hammond mindestens ebenso gut zu gibt die des Schlachtfelds wieder –, auf passen scheint wie auf den Dinosaurier- Grundlage ihrer betont stimulativen und Theme-Park, auf den sie sich im Kontext aggressiven Performanz sind vom Rezi- seines fiktiven Handlungsraums bezieht, pienten aber auch als pures Spektakel und weisen Filmkritiker in ihren Rezensionen rein immersiver Thrill zu genießen. immer wieder gerne auf eine wachsende Wenn ein erklärter Bruckheimer/Bay Konvergenz in der Relation zwischen kon- Anhänger seine an früheren Filmerfahrun- temporären Blockbusterproduktionen gen geschulte Erwartung an ARMAGEDDON und Vergnügungsparks hin. Gemeint sind in einem Internetforum so beschreibt: „I damit weniger – auch wenn das Adap- wanna be grabbed by this movie, tossed tionspotenzial eines Filmprojekts für die around and shaken in my seat“,150 handelt Weiterverwertung in Sekundärprodukten

150 Harry฀Knowles, Ain’t฀It฀Cool฀News, Talk฀Back฀Forum,฀25.฀Juni฀1998,฀[26.6.1998]. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 213

mitunter als einer der Gründe für das Phä- des kontemporären Blockbusterkinos rele- nomen angeführt wird – die ökonomi- vant gewordener – Texte zu argumentie- schen Synergieeffekte, die angestrebt wer- ren versucht hat, auch unter dem Ge- den, wenn kontemporäre Filmfranchises sichtspunkt eines immanenten, ästheti- als thematische Vorlage für Vergnügungs- schen und daraus ableitbaren zuschauerre- park-Attraktionen dienen, sondern umge- lationalen Regimes, das, so Gunnings Aus- kehrt eine wachsende Angleichung der gangsthese, das frühe Kino bis etwa 1908 Ästhetik kontemporärer Blockbusterpro- dominiert hat und damit eine mehr oder duktionen und ihres Rezeptionserlebnis- weniger distinguierte Periode und von den ses an das Erscheinungsbild und die Un- Organisationsprinzipien des klassischen terhaltungsformen von Themenpark-At- Kinos in wesentlichen Punkten abwei- traktionen.151 chende Konzeption des Mediums konsti- Hollywood aktiviert derartige Assozia- tuiert – eine Konzeption, die Gunning in tionen selbstverständlich immer wieder Referenz auf ihre Affinität zu den Unter- selbst, wenn es in suggestiven Filmtiteln haltungsformen des Vergnügungsparks wie SPEED oder TERMINAL VELOCITY (1994) und in Anlehnung an einen von Sergej Ei- und unmissverständlichen Slogans wie senstein geprägten Begriff als „the cinema 152 „Take the Ride of Your Life“ (ARMAGED- of attractions“ bezeichnet. DON), „Fasten Your Seatbelts“ (EXECUTIVE Wie die Arbeiten von Noël Burch, DECISION, 1996), „It’s a Killer Ride“ (Turbu- Charles Musser oder Barry Salt ist Gun- lence, 1997) „Buckle Up!“ (CON AIR) oder nings Bestimmungsversuch Teil und Er- „Go for a Ride You’ll Never Forget!“ (TWIS- gebnis des in den späten Siebziger- und TER) auf Erfahrungen anspielt, wie sie das frühen Achtzigerjahren neu entfachten Publikum eben nicht zuletzt aus dem Be- Interesses unter Filmtheoretikern und such solcher Einrichtungen kennt. Darü- -historikern für die Frühgeschichte des ber hinaus ist aber auch die Entstehungs- Mediums. Von älteren Historiographien geschichte des Kinos per se eng mit der his- oder dem, was David Bordwell „the stan- torischen Tradition des Vaudevilles, des dard version of stylistic history“ nennt, Jahrmarkts und der um die Jahrhundert- unterscheidet sich diese revisionistische wende entstehenden großen urbanen Ver- Bewegung vor allem dadurch, dass sie die gnügungsparks wie New Yorks Conney Is- Qualitäten des frühen Films dabei nicht land verbunden. Nicht nur was den ur- unbedingt als graduelle und in diesem Sin- sprünglichen geographischen und kultu- ne primitive Vorläufer des sich um 1917 rellen Standort des Films betrifft, sondern verfestigenden narrativen Stils des klassi- wie der amerikanische Filmhistoriker Tom schen Hollywoodkinos betrachtet.153 Eher Gunning in einer Reihe einflussreicher – setzt sich, wie diese jüngeren Untersu- und angesichts seiner jüngsten Transfor- chungen gezeigt haben, das frühe Kino aus mation auch für die stilistische Verortung einer Vielzahl relativ idiosynkratischer

151 Siehe฀dazu฀bspw.:฀Monaco,฀379. 152 Vgl. Tom Gunning, „The Cinema of Attractions. Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde [1986]“, in Early Cinema: Space, Frame, Narrative, ed. Thomas Elsaesser (London: BFI Publishing, 1990), 56–62; Tom Gunning, „An Aesthetic of Astonishment: Early Film and the (In)Credulous Spectator [1989]“, in Viewing Positions. Ways of Seeing Film, ed. Linda Williams, 2nd printing (1994; New Brunswick: Rutgers University Press 1997), 114–133; Tom Gunning, „‚Now You See It, Now You Don’t‘: The Temporality of the Cinema of Attractions [1993]“, in Silent Film, ed. Richard Abel฀(New฀Brunswick:฀Rutgers฀University฀Press,฀1996),฀71–84. 153 Vgl. David Bordwell, On the History of Film Style (Cambridge, London: Harvard University Press 1997),฀12. 214 3 Geschichte

und rivalisierender Traditionen zusam- präsentiert sich der Film im ersten Jahr- men, aus deren heterogenem Korpus über zehnt seines Bestehens dem Publikum als Umwege, Sackgassen und „Fehlversuche“ ein buntes Sammelsurium aus kleinen später jenes Kino konsolidiert wird, an das Bildreportagen über aktuelle Ereignisse, wir uns heute gewöhnt haben. Sehenswürdigkeiten, Novitäten und Ku- Anders als dies bei Vertretern der riositäten (live aufgezeichnet oder nachge- „Standard Version“ häufig geschieht, lässt stellt); Panoramaaufnahmen; szenischen sich die Formierung des klassischen narra- Tableaus; Vaudeville Nummern; eroti- tiven Kinos vor diesem Hintergrund weder schen Enthüllungsfilmen und einem Pot- auf die Autorität einer Handvoll herausra- pourri aus Stunts, Gags und verblüffenden gender Individuen wie George Méliès, Ed- profilmischen und filmischen Tricks (sie- win Porter oder D.W. Griffith reduzieren, he Abb. 47.1–16). Narrative Verknüpfun- noch, wie auch Gunning hervorhebt, als gen, Figurenpsychologie und Dramatisie- eine graduelle Entfaltung der Essenz oder rung spielen dabei – sofern sie im frühen teleologischen Vokation des Mediums Film überhaupt vorhanden sind – eine durch deren Hand verstehen.154 Vielmehr ausgesprochen sekundäre Rolle. Sowohl erscheinen die formalen und institutio- im Kontext der Kinovorstellung, die sich nellen Prinzipien des klassischen narrati- üblicherweise aus einer bunten Mischung ven Kinos nach gegenwärtigem Stand als unzusammenhängender Kurzfilme oder das Resultat eines von unterschiedlichen (und dies noch bis in die Zwanzigerjahre) Kräften und nicht zuletzt ökonomischen einer Kombination aus Filmen und Live- Interessen geleiteten, nicht-linearen Se- Acts zusammensetzt als auch in Bezug auf lektions- und Standardisierungsprozesses, die jeweiligen Filmeinheiten selbst. Sei es, bei dem zum Teil bereits ungebräuchlich weil sie oft aus eben nicht mehr als der Prä- gewordene Techniken wieder reaktiviert sentation einer faszinierenden Sehenswür- worden sind; von ihrem heutigen Ge- digkeit, eines überraschenden Gags, eines brauch abweichende Instrumentarien erst spektakulären Stunts oder verblüffenden im Nachhinein die uns vertrauten Funk- Tricks bestehen; oder, weil auch in länge- tionen zugewiesen bekommen haben; ren, editierten und durchaus „narrativi- ehemals leitende Traditionen ihren Stel- sierten“ Filmen wie Georges Méliès’ LE lenwert verloren haben oder auch gänz- VOYAGE DANS LA LUNE (1902) (Abb. 47.12) lich aus der Organisationsstruktur des Ki- die meist populären und wohlbekannten nos verdrängt worden sind.155 Gunnings Vorlagen entnommene Geschichte ledig- Kino der Attraktionen ist zunächst als eine lich die Funktion erfüllt, die letztendlich dieser rivalisierenden Traditionen des prä- beliebige Sukzession solch diskreter und formativen Kinos zu verstehen. allein auf Grund ihres immanenten Unter- Weit von der Konzeption des klassi- haltungswerts faszinierender Attraktionen schen Hollywoodstils mit seiner in sich ge- in ein motivierteres oder wie Gunning schlossenen Diegesis, seiner Einbindung schreibt „naturalisierteres“ Ablaufschema des Zuschauers in eine komplexe Erzähl- zu kanalisieren.156 struktur und seinen zur empathischen Georges Méliès scheint dieser Auffas- Teilnahme einladenden, psychologisch sung selbst Recht zu geben, wenn er, wie motivierten Handlungsträgern entfernt, von Gunning übersetzt, und entgegen der

154 Vgl.฀Gunning,฀„Now฀You฀See฀It,฀Now฀You฀Don’t“,฀71–72. 155 Vgl.฀Bordwell, History฀of฀Film฀Style,฀118–139. 156 Vgl. Gunning, „Cinema of Attractions“, 56, 57–58; Gunning, „Now You See It, Now You Don’t“, 80. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 215

ihm traditionell zugewiesenen Rolle als vi- der „realistischen“ Illusion einer in sich sionärer Pionier des narrativen Kinos geschlossenen fiktionalen Welt als abträg- schreibt: lich befunden und „tabuisiert“ werden.159 Während cinematische Attraktionen As for the scenario, the ‚fable‘, or ‚tale‘, I im Gegensatz zu den oft langgezogenen only consider it at the end. I can state Spannungsbögen und dem hermeneuti- that the scenario constructed in this man- schen Moment der klassischen Erzählung ner has no importance, since I use it mere- ihr Potenzial mit wenigen Ausnahmen, im ly as a pretext for the ‚stage effects‘, the Schema einer betont eruptiven, flüchtigen ‚tricks‘, or for a nicely arranged tableau.157 und auf Überraschung setzenden Tempo- Im Gegensatz zum voyeuristischen und ralität entladen und viele Filme dabei eine absorbierenden Moment des klassischen für Gunning „erstaunlich moderne Faszi- Films, wie es die psychosemiotische Ap- nation für gewalttätige und aggressive partus-Theorie ins Zentrum ihrer Filmkri- Sensationen“ ausleben – inszenierte Un- tik gerückt hat, verfolgt das Kino der At- fälle wie in Edisons kolossalem THE RAIL- traktionen, so Gunning, eine betont exhi- ROAD SMASH-UP (1904) oder Cecil Hep- bitionistische ‚Ästhetik des Erstaunens‘ worths brutalem Trickfilm EXPLOSION OF A („aesthetic of astonishment“), eine Ästhe- MOTORCAR (1990); nachgestellte Hinrich- tik des offenen ‚zur Schau Stellens‘ („dis- tungen wie in EXECUTION OF CZOLOSZ play“, „monstration“) und direkter „Aner- WITH PANORAMA OF AUBURN PRISON (1901) kennung“ und „Adressierung“ des Zu- (Abb. 47.9) oder die berühmte und echte schauers.158 Neben der betont exhibitio- Zwangstötung eines Coney Island-Zirkus- nistischen, spektakulären und sensationa- elefanten in ELECTROCUTING AN ELEPHANT listischen Programmatik früher Filme, die (1903) – nehmen diese betont stimulative sie mit dem Vaudeville, dem Jahrmarkt und eruptive Aggressivität und die direkte aber auch der Boulevardpresse teilt, mani- Adressierung des Zuschauers mitunter die festiert sich dieser für Gunning prävalente extreme Form eines buchstäblichen „An- Gestus zum einen in der Rolle des Film- schlags“ auf das Publikum an.160 So zum schaustellers, wenn er ähnlich wie ein Jahr- Beispiel in populären „Kollisionsfilmen“, marktschreier zwischen Publikum und in denen wie in Cecil Hepworths HOW IT Film mediierend, die Neugier der Zu- FEELS TO BE RUN OVER (1900) ein Auto oder schauer anstachelt und auf die verblüffen- wie in den von Stuart Blackton mit großer den und oftmals schockierenden oder ab- Emphase zelebrierten Vorführungen von stoßenden Qualitäten der jeweiligen At- THE BLACK DIAMOND EXPRESS (1896) (Abb. traktionen hinweist. Zum anderen in den 47.1–2) ein Zug mehr oder weniger frontal häufig – und auch in fiktiven Szenarios – auf die Kamera und die Zuschauer „zu- direkt an den Zuschauer gerichteten Ge- rast“. Aber beispielsweise auch in der be- stikulationen und sporadischen Blicken rühmten Einstellung aus Edwin Porters der Schauspieler in die Kamera, die später THE GREAT TRAIN ROBBERY (1903) (Abb.

157 George Méliès, „Importance du scénario“, in George Sadoul, Georges Méliès (Paris: Seghers, 1961), 118,฀übersetzt฀von฀und฀zitiert฀in:฀Gunning,฀„Cinema฀of฀Attractions“,฀57. 158 Vgl. Gunning, „Aesthetic of Astonishment“, 114,121,122, 123; Gunning, „Now You See It, Now You฀Don’t“,฀73,74–75,฀Gunning,฀„Cinema฀of฀Attractions“,฀57,฀58–59. 159 Vgl. Gunning, „Now You See It, Now You Don’t“, 75; Gunning, „Aesthetic of Astonishment“, 120–121;฀Gunning,฀„Cinema฀of฀Attractions“,฀57. 160 Vgl. Gunning, „Now You See It, Now You Don’t“, 74, 75–78; Gunning, „Aesthetic of Astonish- ment“,฀121. 216 3 Geschichte

Abb.฀47.1–2฀฀฀THE BLACK DIAMOND EXPRESS (1896)

Abb.฀47.3–4฀฀฀GOING฀THROUGH฀THE TUNNEL (1898) Abb.฀47.1–16฀฀฀Das฀frühe฀Kino฀der฀Attraktionen.

47.5–6), in der der Anführer der Räuber- spektivsicht aus einem fahrenden Zug – so bande seine Pistole direkt ins Publikum genannte „phantom-rides“ (Abb. 47.3–4), feuert und die – als deutliches Indiz ihrer wie sie unter anderem in den HALES TOURS Funktionalität als diskrete und autonome zu großer Popularität gelangen162 – den Ef- Attraktion und des noch offenen präfor- fekt einer in sich geschlossenen Diegesis mativen Wettstreits zwischen erzähl- und und das voyeuristische Dispositiv des klas- attraktionsorientiertem Kino – nach Anga- sischen Films zugunsten der Entfaltung ei- ben des Edison-Katalogs wahlweise vor nes subjektiv-immersiven und offen an oder nach der narrativen Inszenierung des den Zuschauer adressierten Bildraumes Raubüberfalls gezeigt werden konnte.161 aufs Spiel setzen, tun sie dies, wie Gunning Wenn solche Attraktionen und Kolli- hervorhebt, um ihr Publikum zu schockie- sionsfilme nach dem berühmten und oft ren. Ebenso wenig wie die bis heute immer kopierten Vorbild von Lumières L’ARRIVÉE wieder kolportierte Panik und die angebli- D’UN TRAIN À LA CIOTAT (1895) modelliert chen Fluchtversuche des Publikums aus sind und wie ihr Kehrbild, die frontale Per- den „mythischen“ Tradierungen der ers-

161 Vgl. Gunning, „Aesthetic of Astonishment“, 114–122, Gunning, „Cinema of Attractions“, 61; Gunning,฀„Now฀You฀See฀It,฀Now฀You฀Don’t“,฀73–74. 162 Vgl.฀Salt,฀Film฀Style฀and฀Technology,฀32,฀37–38. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 217

Abb.฀47.5–6฀฀฀THE GREAT TRAIN ROBBERY (1903)

Abb.฀47.7–8฀฀฀EXPLODING฀A WHITEHEAD TORPEDO (1900)

ten Projektion von L’ARRIVÉE D’UN TRAIN die Projektion reagiert haben, dann nicht, im Salon Indien des Pariser Grand Café im weil sie das Bild in ihrer Naivität oder ei- Jahre 1895, sollte diese Schockwirkung da- nem vorübergehenden Zustand geistiger bei jedoch dem naiven Irrglauben des Zu- Verblendung mit der Realität verwech- schauers an die Wirklichkeit solcher Bilder seln, sondern vielmehr auf Grund des ver- zugeschrieben werden. Weder im unmit- blüffenden illusionistischen Potenzials telbar historischen Sinne, noch in der des cinematischen Apparatus als solchem: Weise, in der Mythos immer wieder und insbesondere auch in der psychosemioti- Far from credulity, it is the incredible na- schen Theoriebildung als zumindest alle- ture of the illusion itself that renders the gorisch bedeutsamer Beleg für den inhä- viewer speechless. What is displayed be- renten Realismuseffekt des Kinos herange- fore the audience is less the impending zogen worden ist.163 speed of a train than the force of the cine- Wenn, so Gunnings gezielte Umdeu- matic apparatus. Or to put it better, the tung und Gegeninterpretation des My- one demonstrates the other. (...) The au- thos, die ersten Zuschauer des Grand Café dience’s sense of shock comes less from a oder ähnlicher Vorführungen mit einem naïve belief that they are threatened by gewissen Gefühl des Schreckens, starrem an actual locomotive than from an unbe- Erstaunen oder verbalen Ausbrüchen auf lievable visual transformation occurring

163 Vgl.฀Gunning,฀„Aesthetic฀of฀Astonishment“,฀114–116. 218 3 Geschichte

Abb.฀47.9฀฀฀EXECUTION฀OF฀CZOLOSZ฀(1901) Abb.฀46.10฀฀฀SAN฀FRANCISCO฀DISASTER฀(1900)

before their eyes, parallel to the greatest Anderseits resultiert für Gunning hie- wonders of the magic theater. As in the raus aber auch, dass der präklassische cine- magic theater the apparent realism of the matische Apparatus und seine illusori- image makes it a successful illusion, but schen Techniken für ihr Publikum auf ei- one understood as an illusion nonethe- ner zweiten Ebene noch einmal selbst als less.164 Attraktion im Sinne einer faszinierenden technologischen Novität fungieren: Ange- Tatsächlich werden, wie Gunning nach- fangen von der Illusion des bewegten Bil- weist, die Künstlichkeit der filmischen Il- des überhaupt, über primitive Filmtricks, lusion und der technologische Charakter bis hin zu aus heutiger Sicht scheinbar ein- der ihr zu Grunde liegenden Manipulati- fachen formalen Mitteln wie der Nahauf- on im Vorführungsritual dieser frühen nahme, die, so Gunning in Einklang mit Projektionen sogar noch unterstrichen, der Redefinitionsthese, im Kontext des indem der Film üblicherweise zunächst als frühen Films tatsächlich weniger als ein Standbild projiziert und erst nach der be- untergeordnetes Instrument filmischer schwörenden Rede des Schaustellers in Be- Narration fungiert, denn eben als ein an wegung versetzt wird. Wie das Attrak- sich bereits interessantes, faszinierendes, tionsrepertoire der um die Jahrhundert- technisches Gimmick, das oft die einzige wende und nahezu zeitgleich mit dem und eigentliche Pointe des betreffenden Kino entstehenden urbanen Vergnü- Films darstellt. „To summarise“, schreibt gungsparks, wenn sie abstoßende Elemen- Gunning, te und bedrohliche Sinneserfahrungen wie Fallen, Beschleunigung und Delirium ... the cinema of attractions directly soli- mit der Sicherheit moderner Technolo- cits spectator attention, inciting visual gien kombinieren, produzieren die oft ag- curiosity, and supplying pleasure through gressiven Bilder des Kinos der Attraktio- an exiting spectacle – a unique event, nen damit nicht einfach nur die negative whether fictional or documentary, that is Erfahrung von „Angst“, sondern wie Gun- of interest in itself. The attraction to be ning betont, die ausgesprochen moderne displayed may also be of a cinematic na- und lustvoll erfahrene Unterhaltungsform ture, such as the early close-ups just des- des „Thrills“.165 cribed, or trick films in which a cinematic

164 Ibid.,฀118–119. 165 Vgl. Ibid.,฀122. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 219

Abb.฀47.11฀฀฀PAN-AMERICAN EXPOSITION฀BY NIGHT Abb.฀46.12฀฀฀LE VOYAGE฀DANS฀LA฀LUNE (1902) (1901) manipulation (slow motion, reverse moti- im Kontext der jüngeren und jüngsten on, substitution, multiple exposure) pro- Filmgeschichte leisten können. Insbeson- vides the film’s novelty. Fictional situa- dere für die Bestimmung der Ästhetik und tions tend to be restricted to gags, vaude- Konsumption des kontemporären Block- ville numbers or recreations of shocking busterkinos aber auch für das traditionelle or curios incidents (executions, current Verständnis von Kino und dessen Zu- events). It is the direct address of the au- schauerappeal überhaupt: Wie Gunning dience, in which an attraction is offered hervorhebt, verschwindet das Kino der At- to the spectator by a cinema showman traktion mit der Etablierung des Spielfilm- that defines this approach to film ma- formats und Dominanz des narrativen Pa- king. Theatrical display dominates over radigmas nicht. Es geht, wie Gunning narrative absorption, emphasizing the di- schreibt, lediglich „in den Untergrund“, rect stimulation of shock or surprise at um als integraler Bestandteil und dynami- the expense of unfolding a story or crea- scher Gegenpol, in bestimmten Filmen, ting a diegetic universe. The cinema of at- Genres, Stilrichtungen und Perioden stär- tractions expends little energy creating ker, in anderen schwächer, auch weiter- characters with psychological motivat- hin mit dem Paradigma des klassischen ions or individual personality. Making Erzählkinos und seiner narrativ-diegetisch use of both fictional and non-fictional at- fundierten Unterhaltungsform zu konkur- tractions, its energy moves outward to- rieren.167 wards an acknowledged spectator rather Explizit verweist Gunning dabei zum than inward towards the character-based einen auf gewisse avantgardistische Strö- situations essential to classical narrative.166 mungen wie den Surrealistischen Film oder eben das von Sergej Eisenstein zu- Einmal im historischen Kontext isoliert, nächst am Moskauer „Proletkult-Theater“ fällt es leicht, zu sehen, welchen Beitrag entwickelte Inszenierungskonzept der der Begriff eines Kinos der Attraktionen „Montage der Attraktionen“.168 Anderer- und die von ihm umfassten Akzente auch seits aber eben auch auf populäre Holly-

166 Gunning,฀„Cinema฀of฀Attractions“,฀58–59. 167 Vgl. Ibid.,฀57. 168 siehe dazu: Sergej Eisenstein, “Montage der Attraktionen: Zur Inszenierung von A.N. Ostrovskijs ‚Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste‘ im Moskauer Proletkult [1923],” in Texte zur Theo- rie฀des฀Films,฀ed.฀Franz-Josef฀Albersmeier฀(Stuttgart:฀Reclam,฀1979),฀46–57. 220 3 Geschichte

Abb.฀47.13–14฀฀฀LES฀CARTES฀VIVANTES (1904)

Abb.฀47.15–16฀฀฀THE DREAM฀OF฀A RAREBIT FIEND (1906) (Quellen:฀Library฀of฀Congress,฀Inventing฀Entertainment:฀the฀Early฀Motion฀Pictures฀and฀Sound฀Recor- dings฀of฀the฀Edison฀Companies,฀BFI฀u.a.) woodgenres wie die Slapstickkomödie, das der Analyse des amerikanischen Filmhis- Musical, den Monumentalfilm und das, torikers John Belton, davor jedoch bereits was er im Jahre 1986 als „the Spielberg-Lu- in den unterschiedlichen Kinoformatio- cas-Coppola cinema of effects“ bezeichnet.169 nen der Hollywood-Breitwandära. Belton Die Parallelen zwischen dem frühen nimmt dabei zwar nicht unmittelbaren Kino der Attraktionen und stilbildenden Bezug auf Gunnings Begriff. Dennoch ist, Filmen wie JAWS,CLOSE ENCOUNTERS OF wenn Belton als Leitthese seines Standard- THE THIRD KIND (1977), STAR WARS und der werks von einer Redefinition und Verlage- INDIANA JONES-Reihe sind durch die tech- rung der, wie er es nennt, „passiven“ Kon- nologischen und ästhetischen Entwick- sumhaltung des klassischen Hollywoodki- lungen der letzten zehn Jahre zweifelsoh- nos zugunsten einer an Vergnügungsparks ne noch erhärtet worden. Zu einer außer- und die frühe Rolle des Kinos gemahnen- gewöhnlich starken Reaffirmation des Ki- den „partizipatorischen“ und „erlebnis- nos der Attraktionen kommt es, folgt man orientierten“ Einbindung des Publikums

169 Gunning, „Cinema of Attractions“, 59, 61; Gunning, „Now You See It, Now You Don’t“,, 74; Gun- ning,฀„Aesthetic฀of฀Astonishment“,฀123. 170 Vgl. John Belton, Widescreen Cinema (Cambridge, London: Harvard University Press, 1992), 76– 78,฀92,฀111–112,฀183–201. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 221

Abbildung฀48.1–3฀฀฀฀Kino฀der฀Attraktionen฀in฀der฀Breitwandära฀–฀linke฀Spalte:฀Abb.฀48.1฀฀฀THIS฀IS CINE- RAMA,฀Publicity฀Still฀(Cinerama,฀1952),฀Abb.฀48.2฀฀฀HOUSE฀OF WAX (Warner,฀1953);฀rechte฀Spalte: Abb.฀48.3฀฀฀THE฀ROBE฀(Fox,฀1953). durch diese Formationen spricht, das Ver- Publikum zu überbieten versucht (Abb. mächtnis des Gunningschen Kinos der At- 48.3). traktionen unschwer zu erkennen.170 Der mit den übrigen „herkömmlichen“ Am stärksten tritt dieses Vermächtnis Breitwandformaten assoziierte Monumen- in der Konzeption von Cinerama und sei- talfilm ist im Vergleich zu diesen Extrem- nen episodischen, panoramischen und formen sicherlich stärker in der Tradition mit subjektiv-immersiven Phantom- narrativer Unterhaltung verhaftet. Den- Ride-Sequenzen gespickten Reisefilmen noch argumentiert Belton, ist es letztend- auf (Abb. 48.1) – „Plot is replaced by au- lich aber auch hier der „spektakuläre Ex- dience envelopment“, heißt es in einem zeß“, der im Vordergrund steht und an dem von Belton zitierten Cinerama-Promoti- sich die spezifische Form des Narrativs aus- on-Text.171 Dicht gefolgt vom 3-D-Kino, richtet und nicht umgekehrt (Abb. 48.3).172 das nicht nur mit Vorliebe die seit jeher Bezeichnend für die Periode als Gan- attraktionsorientierten und heute rehabi- zes, wie auch wieder für das Kino der litierten B-Genres wie den Science Ficti- Neunzigerjahre, ist schließlich die ‚Reat- on- und Horrorfilm für seine Zwecke re- traktivierung‘ des cinematischen Appara- krutiert, sondern die ohnehin konstituti- tus und seiner Techniken als Novität und ven Schock- und Spezialeffekte dieser technologisches Spektakel per se: Die Titel Genres auch noch durch das technologi- der ersten Cinerama-Features heißen sche Gimmick plastischer Vision und Ri- schlichtweg THIS IS CINERAMA (1952) und tual direkter, emersiver Angriffe auf das CINERAMA HOLIDAY (1955), aber auch in

171 Vgl. Ibid.,฀95. 172 Vgl. Ibid.,฀194–195. 222 3 Geschichte

Abb.฀49.1฀฀฀RAIDERS฀OF฀THE LOST ARK (Lucasfilm/ Abb.฀49.2฀฀฀INDIANA JONES฀AND฀THE TEMPLE฀OF Paramount,฀1981) DOOM (Lucasfilm/Paramount,฀1984)

Abb.฀49.3฀฀฀CLOSE ENCOUNTERS฀OF฀THE THIRD KIND Abb.฀49.4฀฀฀JURASSIC PARK (Amblin/Universal, (Columbia,฀1977) 1993)

Abb.฀49.5฀฀฀INDEPENDENCE DAY (Centropolis/Fox, Abb.฀49.6 TWISTER (Amblin/Warner,฀1996) 1996) den frühen Werbeanzeigen der anderen stellt, dass der technologische Aufwand ei- Formate stehen, wie Abbildung 48 zeigt, nes Films vom Publikum auch als solcher die Filme selbst kaum mehr im Mittel- gesehen und geschätzt werden kann. punkt als der innovative Charakter der Eine besondere Stellung und marke- Technologie, mit der sie produziert und re- tingstrategische Funktion nehmen cine- produziert werden. Ein Äquivalent dieses matische Attraktionen, wie David Slocum Vermarktungsprinzips findet sich heute unlängst bemerkt hat, darüber hinaus in vielleicht in Form des Making-of-Beitrags, Trailern ein.173 Zur üblichen Orientierung der getarnt als quasi unabhängige Insider- des Trailers über das Konzept und den zu reportage nicht nur dazu beiträgt, Filme erwartenden Inhalt eines Films gehört im- unaufdringlich zu promoten, sondern mit mer auch die Preisgabe einiger Highlights seinen Hinweisen auf produktionstechni- des jeweiligen Projekts. Ähnlich wie die sche Hintergründe immer auch sicher- von ihnen beworbenen Filme, stellen Trai- 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 223

Abb.฀49.7฀฀฀ARMAGEDDON (Bruckheimer/Touch- Abb.฀49.8฀฀฀GODZILLA (Centropolis,฀Tristar,฀1998) stone,฀1998)

Abb.฀49.9฀฀฀TITANIC (Lightstorm/Paramount/Fox, Abb.฀49.10฀฀฀STAR WARS:฀EPISODE 1฀–฀THE PHAN- 1997) TOM MENACE (Lucasfilm/Fox,฀1999)

49.11฀฀฀DEEP IMPACT (DreamWorks,฀Paramount, Abb.฀49.12฀฀฀HARRY POTTER฀AND฀THE CHAMBER฀OF 1998) SECRETS (Warner,฀2002) Abbildung฀49.1–12฀฀฀Die฀Rückkehr฀des฀Kinos฀der฀Attraktionen. ler von effektlastigen Blockbusterproduk- ßen Hauses aus INDEPENDENCE DAY (Abb. tionen damit in der Tat oft nichts anderes 49.5); Ethan Hunts (Tom Cruise) spektaku- dar als eine Sukzession von Attraktionen, läre Katapultierung auf das Dach eines deren Faszinationskraft sich in dieser iso- Hochgeschwindigkeitszuges aus MISSION: lierten und verdichteten Darbietungsform IMPOSSIBLE (Abb. 50.1–4); die Flutwelle aus oft sogar noch deutlich intensiver zu ent- DEEP IMPACT (Abb. 49.11); das Einstürzende falten vermag als später im narrativen Chrysler-Building aus ARMAGEDDON (Abb. Kontext des Films selbst. 49.7); das sich emporhebende Heck der sin- Gerade in den letzten Jahren hat sich kenden TITANIC; der Sprung von Trinity dabei ein Trend herausgebildet, Trailerkam- (Carrie-Anne Moss) am Anfang (von Keanu pagnen auf eine herausragende und häufig Reeves quasi stellvertretend für das Publi- pointiert am Ende des Spots platzierte At- kum mit einem ehrfürchtigen „wow“ kom- traktion zu konzentrieren: „Signatur“- oder mentiert) und Neos „bullet dodging“ am „Money Shots“ wie die Explosion des Wei- Ende des Trailers von THE MATRIX (Abb.

173 Zit. in: Holly Millea, „Voyeurs, Guns, and Money: In ‚8 MM‘, Star Nicolas Cage and Director Joel Schumacher฀are฀Making฀a฀Killing฀–฀Now฀That’s฀Entertainment“,฀Premiere฀(March฀1999):฀65. 224 3 Geschichte

Abb.฀50.1–4฀฀฀MISSION:฀IMPOSSIBLE (Cruise-Wagner/Paramount,฀1996)

Abb.฀50.5–8฀฀฀THE MATRIX (Village฀Roadshow฀/฀Warner,฀1999) Abb.฀50.1–16฀฀฀Attraktionen฀und฀Trailer.

50.5–8) und nicht zuletzt der unerwartete kant: Zum einen emblematisiert sie wie Frontaleinschlag eines abgesprengten Auto- wohl฀kaum฀eine฀andere฀Sequenz฀die฀außer- reifens aus dem Trailer von TWISTER (Abb. gewöhnlich starke Reaffirmation attrak- 50.9–16) haben – auch wenn das letzte Bei- tionsorientierter Filmgestaltung im kon- spiel im Film selbst tatsächlich gar nicht temporären Blockbusterkino und die Be- vorkommt – zweifelsohne alle maßgeblich deutung, die diese Ästhetik für dessen zum Aufbau eines hohen Erwartungsmo- Konsumption in den letzten Jahren einge- mentums und dem anschließenden Erfolg nommen hat. Andererseits weist die Tatsa- dieser฀Produktionen฀beigetragen. che, dass sie in den Film selbst dann doch Symbolisch scheint die mittlerweile nicht aufgenommen wurde, aber auch auf mehrfach kopierte Einstellung aus dem die Grenzen hin, die für das Paradigma bei TWISTER-Trailer, bei der es sich ursprüng- aller Effektlastigkeit, Immersivität und lich um eine von ILMs Computerdivision narrativer Zurückhaltung zeitgenössischer erstellte Demosequenz für den Film han- Filmproduktionen auch im kontemporä- delt, dabei in zweierlei Hinsicht signifi- ren Kontext bestehen. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 225

Abb.฀50.9–16฀฀฀Twister฀(Amblin/Warner,฀1996)

Was sind die Gründe für die Rückkehr mes too big. There was a rollercoaster ride des Kinos der Attraktionen? „The literal in THIS IS CINERAMA. One of the first interpretation of cinema as rollercoaster films in Sensurround was called ROLLER- ride“, schreibt Conrad Schoeffter, COASTER. (...) It is the result of competiti- on, the way you are likely to find it bet- … is brought to the fore whenever a new ween ambitious brothers. Each forces the technology comes along. A new technolo- other to excel and to find his niche. In our gy comes along whenever television beco- case, television is the driving force. Tele- 226 3 Geschichte

vision made cinema what it is today. The gender Publikumszahlen heute aber wie- ride, the immersive experience, the special der sehr fraglich geworden, ob das Kino effects and digital sound systems are the- tatsächlich jemals aus der Medienland- re because television has not got them.174 schaft verdrängt werden kann. Seit es mit konkurrierenden Medien Die Technikgeschichte des Kinos wird konfrontiert wird, hat Hollywood seine häufig unter dem Bestreben nach einem Position durch eine Doppelstrategie zu be- immer größeren Realismus subsumiert – haupten versucht: Anpassung, Assimilati- Ton, Farbe, Breitwand, Mehrkanal-Stereo, on und Konvergenz auf der einen Seite, CGI. Gleichzeitig treten diese Innovatio- Redefinition und Differenzierung der tra- nen, wie Belton argumentiert, aber immer ditionellen Kinodomäne auf der anderen. auch als exzessive Attraktionswerte auf, Der Preis für die Reattraktivierung und die sich, indem sie die bestehenden Reprä- Aufrechterhaltung des Kinosektors ist sentationsnorm erweitern, gerade als be- hoch – sowohl finanziell als in manchen tont artifizielle Bereicherungen des Kino- Fällen auch ästhetisch. Solange sich effekt- erlebnisses artikulieren, bevor ihr Novität- lastige Blockbuster und Action/Adventu- scharakter dann allmählich schwindet re-Filme als rentabel erweisen – und daran und ihre Standardisierung den jeweils haben auch die Anschläge vom 11. Sep- neuen Status quo realistischer Repräsenta- tember auf das World Trade Center bisher tion bildet. Ähnlich wie Breitwandkino, wenig geändert –, wird Hollywood wohl Mehrkanalton und CGI nach ihm ist aber auch weiterhin auf die Karte des Spek- selbst der Farbfilm, so Belton, zunächst takelkinos setzen. Orientiert man sich am weniger mit Realismus assoziiert als mit historischen Beispiel, zeigt das letztendli- betont „künstlichen“ Filmformen und che Scheitern der Breitwandära oder einer phantastischen Inhalten wie Cartoons, Filmform wie 3-D, dass Attraktionskino Musicals oder Traumsequenzen, so wie in ohne narrativ fundierten Rückhalt dabei THE WIZARD OF OZ (1939), wo die „Realse- wohl auf Dauer nicht ausreicht, um ein quenzen“ noch in schwarzweiß gehalten Massenpublikum zu fesseln. Ein Kino sind, während erst im Traumland jenseits ohne Attraktionsästhetik, wie es es in Hol- des Regenbogens die Farbe ins Spiel lywood letztendlich nie gegeben hat, dürf- kommt.175 te langfristig aber ebenso wenige Aussich- Ziel solcher Reattraktivierungsversu- ten auf Erfolg haben. che ist es damals wie heute, das Publikum in die Kinos zurückzuholen – und in der Tat scheint es der amerikanischen Filmin- 3.3.6 „It’s all one great big movie“: dustrie in den Neunzigerjahren gelungen Postmoderne, Intertextualität, Selbst- zu sein, eine beachtliche Renaissance des referenz und Doppelcodierung Kinosektors einzuleiten. Mehr denn je ist Hollywood heute auf ein Zeitalter ohne Bereits in der Einleitung wurde auf die Un- Kino vorbereitet. Schien dieses Szenario terscheidung von postklassischem Holly- Mitte der Achtzigerjahre für viele noch woodkino und dem mittlerweile etwas in- fast unausweichlich, ist es angesichts des flationären Begriff der Postmoderne hin- anhaltenden Multiplexbooms und stei- gewiesen. Nichtsdestotrotz sind gerade in

174 Conrad Schoeffter, „Scanning The Horizon: A Film is a Film is a Film“, in Cinema Futures: Cain, Abel or Cable?, ed. Thomas Elsaesser, Kay Hoffmann (Amsterdam: Amsterdam University Press, 1998),฀115–117. 175 Vgl.฀Belton,฀201–202. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 227

den letzten Jahren einige Filme erschei- kommt jedoch der Moment, da die Avant- nen, die durchaus eine gewisse Verwandt- garde (also die Moderne) nicht mehr wei- schaft mit jenen ästhetischen Mitteln und tergehen kann, weil sie inzwischen eine Strategien aufweisen, wie sie von Theoreti- Metasprache hervorgebracht hat, die von kern als charakteristische Merkmale einer ihren unmöglichen Texten spricht (die postmodernen Ästhetik identifiziert wor- Concept Art).176 den sind. Auch wenn diese Mittel – und Der postmoderne Künstler begegnet die- hier wird bereits eines der Kernprobleme sem Problem durch einen nahe liegenden der Postmoderne-Debatte sichtbar – so- Schritt: Indem er sich zumindest teilweise wohl in traditionellen Stilformen als auch vom Innovationsdruck der Avantgarde be- bei modernistischen Kunstbewegungen zu freit und spielerisch wieder traditionelle- finden sind. ren Stilformen zuwendet. Jencks: Die moderne Kunst, so Umberto Eco in seinem oft zitierten Aufsatz Postmodernis- Die Postmoderne versucht, den Anspruch mus, Ironie und Vergnügen und ähnlich des Elitären zu überwinden, nicht durch Charles Jencks in The Language of Postmo- Aufgabe desselben, sondern durch Erwei- dern Architecture, ist mit ihrer avantgardis- terung der Sprache der Architektur in ver- tischen Programmatik einer permanenten schiedene Richtungen – zum Bodenstän- Innovation aber auch Destruktion tradi- digen, zur Überlieferung und zum kom- tioneller Stilformen an einem Punkt der merziellen Jargon der Straße.177 Erschöpfung angelangt. „Die Avantgarde Dabei wird der postmoderne Künstler ei- zerstört, ...“ so Eco, nerseits zum rezitierenden Eklektiker, zum ... entstellt die Vergangenheit: Picassos Pasticheur der verschiedenen Stilformen „Demoiselles d’Avignon“ sind die typi- und überlieferten Topoi. Andererseits – sche Auftrittsgebärde der Avantgarde; und dies ist auch für Eco von entscheiden- dann geht die Avantgarde weiter, zerstört der Bedeutung – setzt er dabei ein Verfah- die Figur, annulliert sie, gelangt zum Ab- ren ein, das Jencks als die „Doppelcodie- strakten, zum Informellen, zur weißen rung“ der Postmoderne bezeichnet hat. Leinwand, zur zerrissenen Leinwand, zur Indem sie sich der „Überlieferung“ und verbrannten Leinwand; in der Architektur des „kommerziellen Jargons der Straße“ ist das Ende die Minimalbedingung des bedient, findet die postmoderne Architek- Curtain Wall, das Bauwerk als glatte Ste- tur zwar zu einer populären Sprache zu- le, das reine Parallelepiped, in der Litera- rück, die auch aus der naiven Position der tur die Zerstörung des Redeflusses bis hin Laien und Alltagsnutzers verstanden und zur Collage à la Burroughs, bis hin zum genossen werden kann und erfüllt so den Verstummen oder zur leeren Seite, in der Appell Leslie Fiedlers, den Graben zu über- Musik der Übergang von der Atonalität springen und die von der Moderne ge- zum Lärm, zum bloßen Geräusch oder schlagene Kluft zwischen Hoch- und Mas- zum totalen Schweigen (in diesem Sinne senkultur zu schließen.178 Gleichzeitig – ist der frühe Cage ein Moderner). Es und insofern handelt es sich eben nicht

176 Umberto Eco, „Postmodernismus, Ironie und Vergnügen“, in Nachschrift zum ‚Namen der Rose‘, derselbe฀(München,฀Wien:฀dtv,฀1987),฀78. 177 Charles Jencks, „Die Sprache der postmodernen Architektur [1980]“, in: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, ed. Wolfgang Welsch (Berlin: Akademie Verlag, 1994), 88. 178 Vgl. Leslie A. Fiedler, „Überquert die Grenze, schliesst den Graben! Über die Postmoderne [1984]“, in Wege฀aus฀der฀Moderne,฀ed.฀Welsch,฀57–74. 228 3 Geschichte

um eine Aufgabe, sondern Erweiterung von Liebe zu reden. Ironie, metasprachli- des elitären Anspruchs – sollte der rezitie- ches Spiel, Maskerade hoch zwei. Wes- rende Gestus, das, im doppelten Sinne, halb es dann – wenn beim Modernen, wer Setzen der Aussage in Anführungszeichen, das Spiel nicht verstand, es nur ablehnen deren Wahrnehmung zwar immer vom konnte – beim Postmodernen auch mög- Wissen und den Decodierungskompeten- lich ist, das Spiel nicht zu verstehen und zen des Rezipienten abhängt, über ver- die Sache ernst zu nehmen. Das ist ja das schiedene Mittel aber auch im Kunstwerk Schöne (und die Gefahr) an der Ironie: selbst betont werden kann, jene reflexive Immer gibt es jemanden, der das ironisch und ironische Distanz aufrechterhalten, Gesagte ernst nimmt.179 die das postmoderne Kunstwerk von der Sowohl Jencks als auch Eco entwickeln naiven Unmittelbarkeit eines reinen Neo- ihre Postmoderne-Definitionen zunächst konservatismus oder auch dem einfachen im konkreten Kontext eines historischen Plagiarismus trennt. Wie es Umberto Eco Krisenmoments der modernen Kunst in umschrieben hat: der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die postmoderne Haltung erscheint mir In einem Kontext also, der so für das Hol- wie die eines Mannes, der eine kluge und lywoodkino selbstverständlich nie bestan- sehr belesene Frau liebt und daher weiß, den hat. Folgt man jedoch dem Vorschlag dass er ihr nicht sagen kann: ‚Ich liebe Ecos, sowohl die Moderne als auch die dich inniglich‘, weil er weiß, dass sie Postmoderne auch als „metahistorische weiß (und dass sie weiß, dass er weiß), Kategorien“ zu begreifen, die unabhängig dass genau diese Worte schon, sagen wir, vom jeweils spezifischen Kontext zwei von Liala geschrieben worden sind. Es verschiedene und wiederkehrende Lö- gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sa- sungsversuche darstellen, dem Druck der gen: ‚Wie jetzt Liala sagen würde: Ich lie- Geschichte und Herausforderung des be- be dich inniglich.‘ In diesem Moment, reits Gesagten zu begegnen, wird deutlich, nachdem er die falsche Unschuld vermie- dass natürlich auch die Populär- und Mas- den hat, nachdem er klar zum Ausdruck senkultur selbst das Bedürfnis und die gebracht hat, dass man nicht mehr un- Möglichkeit hat, sich derartiger Innovati- schuldig reden kann, hat er gleichwohl onsstrategien zu bedienen. Auch wenn die der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, zu Grunde liegenden Motive dabei wohl nämlich dass er sie liebe, aber dass er sie in erster Linie kommerziellen Ursprungs in einer Zeit der verlorenen Unschuld lie- sind.180 be. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie Als tendenziell moderne Reaktionen in gleicher Weise eine Liebeserklärung in der Populärkultur selbst lassen sich in entgegengenommen. Keiner der beiden diesem Sinne all jene Versuche einstufen, Gesprächspartner braucht sich naiv zu etablierte Film- und Genrekonventionen fühlen, beide akzeptieren die Herausfor- auf direktem Weg zu erneuern, zu transfor- derung der Vergangenheit, des längst mieren und kritisch in Frage zu stellen. So schon gesagten, das man nicht einfach wie dies unter den gegebenen Bedingun- wegwischen kann, beide spielen bewusst gen in einigen Filmen der New Holly- und mit Vergnügen das Spiel der Ironie... wood-Bewegung geschehen ist und im be- Aber beiden ist es gelungen, noch einmal grenzten Rahmen, den das zeitgenössische

179 Eco,฀„Postmodernismus“,฀78–79. 180 Vgl. Ibid.,฀77. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 229

Hollywoodkino dafür bereithält, selbstver- lon? ständlich auch heute noch immer wieder MCCLANE: Was always kinda’ partial geschieht. Die für ein kommerziell orien- to Roy Rogers actually. I really dig those tiertes Unternehmen weitaus attraktivere sequined shirts. Variante, und dies ist vermutlich einer der GRUBER: Do you really think you have a Hauptgründe für den Aufschwung den chance against us, Mister Cowboy? dieses Verfahren seit Ende der Achtziger MCCLANE: Yippee-ki-yay, motherfucker! nicht nur in Hollywood, sondern der ge- Bereits hier unterstreicht der Film die für samten Medienlandschaft erfahren hat, sein Genre seinerzeit außergewöhnlich stellt jedoch zweifelsohne die postmoder- selbstreflexive und -ironische Darstellung ne Doppelcodierung dar. Eben deshalb, seines Helden, wenn sich McClane das weil sie nicht einfach negiert, sondern per scheinbar schwächste und naivste Glied definitionem versucht beides, sowohl eine in der sorgsam aufgelisteten Reihe seiner naiv affirmative als auch eine ironisch dis- historischen Vorbilder aussucht. Der end- tanzierte Haltung zu ihren Inhalten einzu- gültige Pay-off des Wortgefechts erfolgt je- schließen, um sich so der drohenden Miss- doch erst am Ende des Films, als Gruber gunst sowohl von der einen als auch der McClanes Frau Holly gefangen hält und anderen Seite zu entziehen. mit der auf sie gerichteten Pistole McClane Die Bewegungsrichtung der Doppelco- zwingt sein Maschinengewehr niederzule- dierung kehrt sich dabei natürlich um: Ist gen. es bei Jencks die elitäre Sprache der moder- nen Architektur, die eine Annäherung an GRUBER: This time John Wayne does not den kommerziellen Jargon der Straße walk off into the sunset with Grace Kelly. sucht, befinden wir uns bei den postmo- MCCLANE: That was Gary Cooper, ass- dernen Gesten des Hollywoodkinos selbst- hole. verständlich immer bereits im Herzen der GRUBER: Enough jokes! Populärkultur selbst. Ein typisches Bei- MCCLANE: You’d made a pretty good spiel einer solchen Geste findet sich im be- cowboy yourself, Hans. rühmt gewordenen Schlagabtausch zwi- GRUBER: Oh yeah. What was it you just schen John McClane (Bruce Willis) und sei- said to me before, Yippee-ki-yay, mother- nem deutschstämmigen Widersacher Hans fucker? Gruber (Alan Rickman) in DIE HARD. Noch McClane beginnt hysterisch zu lachen, bis bevor sich die beiden erstmals gegenüber- Gruber und sein verbleibender Compa- stehen, lässt keiner der beiden eine Gele- gnon in das Lachen mit einstimmen; genheit aus, den Gegner zu provozieren. greift dann hinter seinen Rücken, an dem GRUBER: (ins Walkie Talkie): Mister er eine Reservepistole mit Klebeband be- Mystery Guest? Are you still there? festigt hat und gibt Holly ein Zeichen sich MCCLANE (ins Walkie Talkie): Yeah, aus dem Schussfeld zurückzuziehen. Mit I’m still here. Unless you wanna open the einer akrobatischen Drehung schießt front door for me. McClane Gruber in die Schulter und dem GRUBER: Uh, no. I’m afraid not. But you Compagnon zwischen die Augen, verweilt have me at a loss. You know my name but für einen Augenblick mit gekreuzten Ar- who are you? Just another American who men und bläst dann in einer ebenso tri- saw too many movies as a child? Another umphalen wie anachronistischen Pose orphan of a bankrupt culture who thinks den symbolischen Rauch von seiner Pisto- he’s John Wayne? Rambo? Marshall Dil- le (Abbildung 52.6). 230 3 Geschichte

MCCLANE: Happy trails, Hans! ter anderem auch am Beispiel der Karriere von Arnold Schwarzenegger und den bei- Noch einmal ist es – um mit Eco zu spre- den TERMINATOR-Filmen aus den Jahren chen – McClane gelungen, den Gegner im 1984 und 1991 verdeutlichen: Bereits der Showdown zu besiegen, nachdem der populärkulturelle Erfolg des ersten TERMI- Film über den Dialog der Figuren klar zum NATOR (1984), der an der Kinokasse eher Ausdruck gebracht hat, dass McClane mäßig abgeschnitten hat und seinen Kult- Gruber in einer Zeit der verlorenen Un- status in erster Linie seinem Nachleben im schuld besiegt. Keiner der beiden Ge- heimischen Videokonsumbereich ver- sprächspartner – in diesem Fall der Film dankt, ist ohne Einbezug einer ironischen und sein Publikum – braucht sich naiv zu Haltung des Publikums ihm gegenüber si- fühlen, beide akzeptieren die Herausfor- cherlich nicht angemessen zu verstehen. derung der Vergangenheit, des längst Anders als DIE HARD,INDIANA JONES oder schon gesagten, und beide spielen be- auch die JAMES BOND-Reihe, mit der DIE wusst und mit Vergnügen das Spiel der HARD seinerzeit zurecht des öfteren vergli- Ironie. chen wurde und die nach einem anhalten- Die Anführungszeichen und ironische den Tief in den Achtzigern in den letzten Distanzierung sind, wie die meisten Kriti- zehn Jahren bekanntlich einen enormen ker des Films bemerkt haben, in DIE HARD Popularitätsanstieg verzeichnen konnte, zwar sicherlich etwas schwächer gezeich- bietet der Film selbst eine derart distan- net als noch in der Fernsehserie MOON- zierte Position aber noch nicht an. Die für LIGHTING, die Willis berühmt gemacht hat Camp-Phänomene typische Zwiespältig- und in der seine ironische Starpersona ur- keit – so die übliche Definition des Begriffs sprünglich geprägt worden ist. Dennoch – einer affirmativen Zelebration der be- lässt der Film im Gegensatz zu einem Film wusst als übertrieben, künstlich oder kit- wie RAMBO oder eben einer klassischen schig wahrgenommen bzw. gezeichneten John Wayne-Produktion seinem Publikum Elemente eines Kunstobjekts mag im Aus- bewusst beide Optionen offen. In den vol- gangsmaterial des Films zwar bereits ange- len, reflexiv-distanzierten und ironischen legt sein, ist wie bei vielen formell oder in- Genuss der beiden Sequenzen kommt haltlich überholten popkulturellen Phä- zwar nur derjenige, der die originalen Orte nomenen, die gerade wegen ihrer Diskre- der angesprochenen Topoi erkennt. Aber panz zum kontemporären Status quo ge- auch wer die Anführungszeichen nicht feiert werden, hier aber in erster Linie ein wahrnimmt, weil er möglicherweise noch unfreiwilliges Produkt der Verarbeitung nie einen Western gesehen oder von RAM- dieses Materials durch den Zuschauer. BO gehört hat und selbst den Anachronis- In TERMINATOR 2 sind James Cameron mus und die Inkongruenz der Geste des und Schwarzenegger sechs Jahre später Rauchwegblasens nicht erkennt (wo auch nun sichtlich bemüht, diese Lücke zu immer dieses Artefakt unserer populärkul- schließen: TERMINATOR 2 versucht dem Er- turellen Enzyklopädie entstanden sein folg des ersten Teils nicht nur gerecht zu mag), wird bei DIE HARD mit Sicherheit auf werden, indem es den Antagonisten zum seine Kosten kommen. Protagonisten befördert, sondern auch, in- Der stilistischen Einfluss, den DIE HARD dem er diesen Helden immer wieder mit auch unter diesem Aspekt auf das gerade eben jenen ironischen Konnotationen in den Achtzigerjahren wegen seines un- versieht, wie sie im Zuge der populärkultu- gebrochenen Chauvinismus so umstritte- rellen Verarbeitung des ersten TERMINA- ne Actiongenre ausgeübt hat, lässt sich un- TOR-Films entstanden sind. Nicht nur in 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 231

Bezug auf die von Arnold Schwarzenegger formationen über die Konventionen des verkörperte Figur, sondern, ähnlich wie Hollywoodkinos und seiner Actionhelden bereits in der Komödie TWINS (1988), auch amüsiert, dazu aber auch einen ganz be- in Bezug auf das Bild der Starpersona und sonders expliziten Kunstgriff einsetzt. das Rollenimage des Schauspielers und Bo- An die Stelle des Terminators tritt Jack dybuilders selbst. Slater, eine Art fiktives Amalgam typischer Auch hier bietet der Film dem „naiven Actionfilm-Heldenfiguren und Schwar- Zuschauer“ genügend Stoff, um ihn als zenegger-Rollen. An die Stelle von John „einfach codierte“ Geschichte im traditio- Connor der junge Danny (Austin O’Brien), nellen Stil des Genres zu genießen: Es ist der dank einer magischen Eintrittskarte durchaus möglich, den ironischen Kom- buchstäblich in den neuesten Jack Slater- mentar zu überhören, den beispielsweise Film und das Universum des Hollywoodki- die Einspielung von George Thorogoods nos gesogen wird und von dort aus – aus- „Bad to the Bone“ am Anfang des Films lie- gestattet mit eben jenem kritischen Wis- fert, nachdem sich der Terminator in ge- sen, das es dem Zuschauer erlaubt, einen wohnt emotionsloser Manier der lästigen Film immer auch metatextuell zu lesen – Bikergang entledigt hat, eine Sonnenbrille die Abenteuer seines Idols kommentiert; aufsetzt und auf der Harley davon braust. ihm Ratschläge erteilt und davon zu über- Oder den immer wieder aufgenommenen zeugen versucht, dass er in Wirklichkeit Diskurs zwischen dem Terminator und nur eine Filmfigur ist, die in einer künstli- John Connor (Edward Furlong) über den chen Scheinwelt lebt. stumpfen Einsatz von Gewalt nicht auch Wie bei den bisherigen Beispielen fin- als reflexiven Kommentar über den ersten det sich der Zuschauer auch hier stärker in Film als solchen und die Konventionen äl- den Filmtext eingeschrieben als dies nor- terer Schwarzenegger-Produktionen zu malerweise der Fall ist und bezieht einen verstehen, ohne dass der Film dabei Ge- guten Teil seines ästhetischen Genusses fahr läuft, seine Wirkung zu verlieren. aus der Weise, in der das Produkt ihn in Dennoch spricht der Film sehr bewusst seiner Rolle als Konsument und Connais- immer wieder auch das an, was Eco als den seur der populären Filmkultur anerkennt. „kritischen Zuschauer“ in uns bezeichnet: Dennoch wird die unsichtbare Grenze, die Jene „Instanz“, die die intertextuellen und die Welt des Zuschauers und die des Films extratextuellen Bezüge auf die Schwarzen- im klassischen Stil des Hollywoodkinos egger-Persona erkennt und daraus ein sub- üblicherweise trennt, letztendlich aber jektiv sicherlich variables, objektiv der auch hier nicht überschritten. naiven Rezeptionsebene aber zwingend Jack Slater muss im Laufe des Films überlegenes ästhetisches Vergnügen be- zwar erkennen, dass er lediglich eine Film- zieht.181 figur ist. Ebenso wie die „reale Welt“, in Zu einem zentralen Bestandteil wird die er später reisen muss, um „Arnold das Spiel mit intertextuellen, extratextuel- Schwarzenegger“ und damit sich selbst len und selbstreferenziellen Bezügen in vor dem entflohenen Bösewicht Benedict LAST ACTION HERO. Die Ambiguität des (Charles Dance) zu retten, ist diese Er- TERMINATOR-Sequels weicht einer eindeu- kenntnis jedoch nur ein Bestandteil der tig parodistischen Haltung, die sich mit Geschichte jenes Films, den wir selbst im den üblichen Übertreibungen und Trans- Kino zu sehen bekommen. Direkte Selbst-

181 Vgl. Umberto Eco, „Die Innovation im Seriellen“, in: Über Spiegel und andere Phänomene, derselbe (München,฀Wien:฀dtv,฀1998),฀171. 232 3 Geschichte

reflexivität, wie sie Jack Slater, wenn wir so Welten. Wie sehr sich diese Welten dabei wollen, in Bezug auf den Film im Film er- an dem anlehnen, was wir aus unserer ei- fährt und bei der die Erzählung unmittel- genen Welt zu kennen glauben oder auf bar auf den filmischen Charakter der je- Fakten basieren, die der Film für seine weiligen Präsentation verweist, bzw. die kompositorischen Zwecke und Kraft sei- Figuren eben in der Tat ein explizites Be- ner narrativen Autorität einfach als gege- wusstsein für ihre filmische Daseinsform ben setzt, wird dabei je nach den Wün- entwickeln, sind im Rahmen klassischer schen und Zielen ihrer Schöpfer variieren. Filmunterhaltung zwar nicht unmöglich, In jedem Fall aber stellt das Kino selbst ei- bis heute aber ein äußerst selten verwen- nen einwandfrei legitimen Bestandteil sol- detes und vorwiegend auf komödiantische cher Weltentwürfe dar: „Hollywood-on- Filmformen wie Cartoons oder Filmparo- Hollywood-Filme“ wie THE BAD AND THE dien beschränktes Stilmittel geblieben. BEAUTIFUL (1952), THE PLAYER (1992) oder Die mildeste und gewöhnlichste An- GET SHORTY (1995) spielen per declaratio- wendungsform bilden Auftritte von diege- nem in Hollywood oder zumindest einer tischen oder extradiegetischen Erzählern, der amerikanischen Filmmetropole in vie- die uns offen als Zuschauer des jeweiligen lerlei Hinsicht gleichenden Umwelt und Films ansprechen (siehe z.B. Abb. 3.3). Ag- machen es daher vollkommen natürlich gressiver und als gezielter Regelverstoß in- für die Figuren und Narration, über die Ge- szeniert sind Gags, bei denen Figuren für schäftspraktiken und Grundlagen der einen kurzen Moment aus der Rolle treten, Filmindustrie zu sprechen. Die Tatsache, um den Verlauf der Handlung als solche zu dass es in Backstage-Musicals und Starbio- kommentieren oder dabei sogar unver- pics wie A STAR IS BORN,SHOWGIRLS oder hüllt auf einen der produktions- oder er- BOOGIE NIGHTS um die Höhen und Tiefen zähltechnischen Aspekte des jeweiligen des Showgeschäfts geht, ist auf Grund ih- Films Bezug nehmen. So wie beispielswei- res Settings inhärent ebenso motiviert wie se Robin Hood (Cary Elwes) in Mel Brooks das Vorhandensein eines Kinos in THE MEN IN TIGHTS (1993), wenn er, als er droht LAST PICTURE SHOW – und wenn sich Cap- den Bogenschützenwettbewerb zu verlie- tain Steven Hiller in INDEPENDENCE DAY ren, ein Skript aus der Westentasche zieht, darauf freut, „E.T. in den Hintern treten zu um nachzusehen, ob er einen weiteren können“ oder Marty McFly sich im „ech- Schuss erhält. ten“ Wilden Westen aus BACK TO THE Sehr viel üblicher als mit derart bra- FUTURE III als „Clint Eastwood“ ausgibt, chialen Gags ist es für das Hollywoodkino handelt es sich dabei de facto um nichts jedoch mit einer indirekten oder verdeck- ungewöhnliches für jemanden, der nach ten Selbstreferenzialität zu operieren. In- den Vorgaben des Films offenbar einfach direkt deshalb, weil auch wenn das Kino eine ähnliche Mediensozialisation durch- auch hier von sich selber spricht, die cine- wandert hat wie wir. matischen und damit selbstreferenziellen Selbstverständlich werden Filme ins- Bezüge im weitesten Sinne des Wortes an- besondere dann, wenn sich ihre Handlung ders als bei den obigen Beispielen immer stark an Genrekonventionen oder bekann- auch als ein möglicher Bestandteil der je- ten Vorlagen ausrichten, dieses mediale weiligen Diegesis motiviert sind und vom Wissen in ihrem Diskurs für gewöhnlich „naiven Zuschauer“ als solche betrachtet eher unterdrücken: Genauso wie es im werden können. Hollywood aus THE PLAYER zwar wie bei Basierend auf den Mitteln ihres narra- uns eine Andie MacDowell gibt, aber of- tiven Diskurses schaffen Filme fiktionale fenbar keinen Tim Robbins, der hier eben 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 233

Abb.฀51.1–4฀฀฀Doppelcodierung:฀„Look,฀here฀comes฀the฀obligatory฀tit฀shot!“฀Auf฀diegetischer฀Ebene spricht฀Randy฀über HALLOWEEN.฀Für฀uns฀aber฀über฀den฀Film,฀den฀wir฀gerade฀im฀Kino฀sehen. SCREAM (Woods/Dimension,฀1996). nicht sich selbst, sondern den Studio Exe- films als solche in seinem Diskurs eben cutive Griffin Mill spielt, wird es in der fik- nicht wie üblich unterdrückt, sondern im tionalen Welt einer Philip Marlowe-Verfil- Gegenteil mit aller Kraft in den Vorder- mung vermutlich keine Philip Marlowe- grund stellt. Romane geben und auch den Figuren des Bereits das erste Opfer muss ein gefin- Films nur selten auffallen, wie sehr ihre keltes Telefon-Quiz über Teenhorrorfilme Welt doch der eines Raymond Chandler- bestehen, bevor es umgebracht wird. Die Romans gleicht. Nichtsdestotrotz lässt der Nachricht vom spektakulären Tod ihrer klassische Stil seinen Akteuren aber auch Mitschülerin löst bei den Protagonisten hier einen sehr breiten Spielraum offen. unweigerlich den Vergleich mit bekann- Kaum ein anderer Film hat dies in den letz- ten Hollywoodproduktionen aus und die ten Jahren so eindrucksvoll unter Beweis Frage, welche Starschauspieler wohl in gestellt wie Kevin Williamsons und Wes Frage kämen, würde die Geschichte, wie es Cravens SCREAM. im zweiten und dritten Teil der Reihe ja Auf der einfachsten Ebene folgt SCREAM dann tatsächlich geschieht, von Holly- den Regeln seines Genres wie jeder andere wood verfilmt werden. Vor allem der Film- Teenhorrorfilm auch: Ein Slasher treibt buff und Horrorfan Randy (Jamie Kenne- sein Unwesen und bringt nach und nach dy) gibt immer wieder bereitwillig sein die Einwohner einer amerikanischen medienenzyclopädisches Wissen zum bes- Kleinstadt um. Anders als bei den meisten ten, wenn er seine Freunde über die anderen Slasherfilmen kommt mit der Fra- Grundregeln des Teenhorrorgenres auf- ge, wer sich hinter der Maske des gespens- klärt und darüber spekuliert, wer nach die- tischen Mörders verbirgt, dabei ein ausge- sen Regeln der wahrscheinlichste Kandi- prägt kriminalistisches und auf Grund sei- dat für den nächsten Mord oder die Rolle nes prononcierten Ratespielcharakters per des Mörders wäre – und selbst dort, wo es se schon selbstbewusstes Stilelement hin- unmittelbar gar nicht um Filme geht, be- zu. Vor allem unterscheidet sich SCREAM dienen sich die Figuren mit Vorliebe cine- von seinen Vorgängern jedoch dadurch, matischer Metaphern, um ihre Verhaltens- dass er den Kontext des Kinos und Horror- weisen zu erklären. So wenn Sidney (Neve 234 3 Geschichte

Campbell) und Billy Loomis (Skeet Ulrich) nen Doppelcodierungsverfahrens steckt: den sexuellen Intimitätsgrad ihrer Bezie- Auf Ebene der Diegesis und „naiv“ be- hung in den Begriffen des amerikanischen trachtet haben wir es bei einem Dialog wie Rating-Systems erörtern – „Nice solid R ra- dem zwischen Billy und Sidney, John ting on our way to a NC-17. And now ... McClane und Hans Gruber oder dem zwi- things have changed and ... lately we’re schen dem Terminator und John Connor just sort of edited for television“ – oder mit einem gewöhnlichen Geplänkel zwi- wenn Stu (Matthew Lillard) und Billy im schen den fiktionalen Charakteren des furiosen Finale ihre Motive und Films zu tun. Gleichzeitig sind diese Aus- Nicht-Motive für die Tat erklären und sich sagen aber so konstruiert, dass sie auch als darüber freuen, dass sie als einzige Überle- eine Aussage über den Film als solchen, bende des Massakers Gelegenheit haben seinen produktionstechnischen Hinter- werden, das Sequel des Films zu planen: grund, seine ästhetischen Mittel, seinen „Cause let’s face it baby. These days you filmhistorischen Kontext, seine populär- gotta have a sequel!“ kulturelle Stellung etc. interpretiert wer- Wie bei der direkten Selbstreferenziali- den können. tät ist dieser Diskurs für den Zuschauer un- SCREAM,DIE HARD oder auch die zitier- weigerlich als ein Diskurs über das Kino, ten Beispiele aus INDEPENDENCE DAY und das Genre und sogar den individuellen BACK TO THE FUTURE III motivieren ihre Film SCREAM selbst zu verstehen. Anders selbstreferenziellen Bezüge dabei vorwie- als dort gibt es hier jedoch immer auch gend realistisch, insofern als es sich bei eine diegetische Bezugsebene, die diese den zitierten Filmen, Schauspielern und Aussagen als legitimen Bestandteil der von Sachverhalten eben in der Tat um Dinge uns beobachteten Welt motiviert: Wenn handelt, die sich sowohl in unserer Welt Robin Hood ein Skript aus der Tasche als auch im fiktiven Abbild dieser Welt, die zieht, um nachzusehen, ob er einen weite- der Film darstellt, auf das Kino beziehen. ren Schuss erhält, bezieht sich diese Aussa- Insbesondere implizite Anspielungen wie ge sowohl im Rahmen der Diegesis als die Nachbildung bekannter Szenen oder auch auf der Metaebene des „kritischen“ Dialoge aus anderen Filmen erlauben eine Zuschauers auf genau jenen Film, den wir derart realistische Motivation oft jedoch gerade im Kino sehen, und verletzt damit gerade nicht. den Status der Diegesis als fiktives aber au- In TEACHING MRS.TINGLE (1999), ei- tonomes Quasi-Universum. Wenn Billy in nem weiteren Film von Kevin Williamson, SCREAM auf Sidneys Feststellung: „But this spielt Jo Lynn (Marisa Coughlan) eine der is life. This isn’t a movie“, dagegen ant- berühmten Linda Blair-Szenen aus THE wortet: „Sure it is Sid. It’s all one great big EXORCIST nach, um ihre „schauspieleri- movie. Only you can’t pick your genre“, schen Fähigkeiten“ unter Beweis zu stellen spricht er für den kritischen Zuschauer und ihre Lehrerin zu provozieren. Wie bei zwar in der Tat die Wahrheit über den on- den obigen Beispielen – und typisch für tologischen Status seines Daseins aus, den- Williamsons Stil – tut sie dies auch auf die- noch handelt es sich auf Ebene der Diege- getischer Ebene im vollen Bewusstsein, sis lediglich um eine spekulative Meta- dass es sich dabei um eine Improvisation pher, die, wenn wir so wollen, rein zufällig der berühmten Sequenz aus THE EXORCIST auch auf der metatextuellen Ebene einen handelt. Genau so wie davon auszugehen Sinn ergibt. ist, dass auch John McClane weiß, was er Genau dies ist der zweite Akzent, der tut, wenn er den Rauch von seiner Pistole in Jencks’ und Ecos Begriff des postmoder- bläst oder Randy, wenn er vor dem Fernse- 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 235

Abb.฀52.1–4฀฀฀Inter-฀und฀extratextuelle฀Referenzen฀in฀AIRPLANE!฀(Paramount,฀1980)฀... her sitzt und sich HALLOWEEN als cinema- auf diegetischer Ebene eine wie auch im- tisches Objekt des filmischen Universums mer geartete Intention oder Bewusstseins- von SCREAM ansieht. Daneben kommen in haltung gegenüber dieser Imitation nach- Hollywoodfilmen aber auch immer wieder vollziehen ließe: Ted Striker merkt nicht, Sequenzen vor, in denen berühmte Sze- dass das was er gerade erlebt eine parodis- nen, Einstellungen oder Figuren einfach tische Variante der Liebesszene aus FROM „stillschweigend“ qua unmittelbarer In- HERE TO ETERNITY (1953; Abb. 52.3–4) oder szenierung und auf derselben Abbildungs- den Tanzsequenzen aus SATURDAY NIGHT ebene wie die üblichen Handlungen der FEVER (Abb. 52.1–2) ist. Nach den Maßstä- Diegesis zitiert werden. Ein typisches Bei- ben unseres Weltwissens mag dies unrea- spiel liefern die Filme von Jim Abrahams listisch erscheinen. Dennoch kann sich und David Zucker – AIRPLANE! (1980), Ted Striker ohne weiteres erlauben, die für NAKED GUN (1988), HOT SHOTS! (1991) etc. uns offensichtlichen Parallelen nicht zu Das Konzept dieser Filme besteht in erkennen. Nicht nur weil er auf diegeti- der Parodie eines berühmten Films oder scher Ebene möglicherweise einfach zu Genres. Gleichzeitig werden zahlreiche dumm ist oder die Filme nie gesehen hat, weitere Klassiker der Filmgeschichte, zeit- sondern weil es in seinem Universum die- genössische Blockbuster und Hollywood- se Filme eben vermutlich gar nicht gibt. Klischees aufs Korn genommen. Figuren In sich sollten Hollywoodfilme eine ei- wie Ted Striker (Robert Hays) aus AIRPLANE! nigermaßen konsistente Weltordnung ein- oder der stupende Inspektor Frank Drebin halten. Dafür, dass diese Weltordnung mit (Leslie Nielsen) aus NAKED GUN geraten im der unsrigen übereinstimmt, gibt es je- Verlauf der Handlung dabei zwangsläufig doch nie und zu keinem Zeitpunkt eine ständig in Situationen, die wir aus eben Garantie: Im Falle der realistisch motivier- diesen Vorlagen kennen. Anders als in der ten indirekten Selbstreferenz haben wir es Sequenz aus TEACHING MRS.TINGLE ge- nach dem Willen der Narration sowohl auf schieht dies hier jedoch, ohne dass sich der Metaebene des Zuschauers als auch auf 236 3 Geschichte

Abb.฀52.5฀฀฀…฀ARMAGEDDON Abb.฀52.6฀฀฀…฀und฀DIE HARD (Silver/Fox,฀1988) (Bruckheimer/Touchstone,฀1998)฀... der diegetischen Ebene des Filmuniver- mers 98 war, oder um eine herkömmliche sums mit de facto filmbezogenen Referen- GODZILLA-Figur. Für die Doppelcodie- zen zu tun. Im Falle dieser rein komposito- rungsstruktur und Absicherung des Films risch motivierten Variante auf Seiten des gegen den Einbruch direkter Selbstreflexi- kritischen Publikums mit filmbezogenen vität macht dies jedoch keinen Unter- Referenzen, auf Seiten der Diegesis aber schied. Dasselbe gilt für eine dritte Varian- mit herkömmlichen Vorgängen, die sich te des Verfahrens, die sich vielleicht am lediglich auf ganz normale Objekte der fik- besten als metaphorische Selbstreferenzia- tionalen Welt beziehen, weil diese Objekte lität bezeichnen ließe. Metaphorisch, weil bei aller Homologie mit unseren filmi- es hier auf Seiten des Zuschauers einer ver- schen Phänomenen hier per narrativer De- gleichsweise höheren Abstraktionslei- klaration einfach überhaupt keine cine- stung bedarf, um die jeweilige Aussage matische Konnotation enthalten. Hätte und Thematik auf das Kino selbst zu bezie- die Narration diese performative Macht im hen. Ein typisches Beispiel wäre REAR WIN- Kontrakt mit dem Publikum nicht, gäbe es DOW (1954). für uns nicht nur keine Möglichkeit die Auf diegetischer Ebene geht es in Diegesis als eigenständige Pseudowelt und Hitchcocks Klassiker um einen Mann, der Schauspieler als Figuren zu betrachten. gefesselt an seinen Rollstuhl aus dem Fens- Wir wären eben auch ständig mit der Frage ter blickt und dabei Zeuge eines Mordfalls konfrontiert, warum sich die Figuren eines wird. Allein dies ist für eine spannende Ge- herkömmlichen Genrefilms nicht wie wir schichte schon genug. Dennoch zeugen oder wenn wir so wollen, die viel zu realis- unzählige Hitchcock-Monographien und tischen Charaktere in SCREAM zumindest Interpretationsversuche davon, dass diese ab und zu der Ähnlichkeit ihres Handelns Geschichte mit etwas gutem Willen auch mit cinematischen Konventionen bewusst als eine wie auch immer geartete Metapher werden. auf das Kino selbst gelesen werden kann. In der Praxis sind die Grenzen zwi- Wie bei der realistischen und kompositori- schen den beiden Varianten oft fließend schen Variante gibt es – sofern der Ver- und die Relationen noch komplexer: dacht stimmt – auch hier eine metatextu- Wenn wir in ARMAGEDDON einen Hund se- elle Bedeutungsebene, in der es im weites- hen, der eine GODZILLA-Figur (Abb. 52.2) ten Sinne um Film und Kino geht. Anders attackiert, bleibt unklar, ob es sich dabei als bei diesen konkreteren Varianten ha- auch in der Diegesis um Figuren zum neu- ben wir es hier auf der diegetischen Ebene en GODZILLA-Film von Roland Emmerich aber mit etwas zu tun, das nur sehr ent- handelt, der ARMAGEDDONS großer Kon- fernt an das erinnert, was wir über das kurrent um die Box-Office-Krone des Som- Kino zu wissen glauben. 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 237

Im Falle der realistisch motivierten Konventionen im Gedächtnis ihrer Fans Selbstreferenzialität sprechen die Figuren einschreiben, sind geradezu prädestiniert auch auf diegetischer Ebene von Filmen – für das Spiel mit derartigen Zweideutigkei- auch dann, wenn sie diese Begriffe meta- ten: In einer Folge der X-FILES erfährt Mul- phorisch für andere Dinge verwenden. Im der (David Duchovny) von einem myste- Falle des nur kompositorisch motivierten riösen Fall, bei dem die Skelette eines jun- Filmzitats wird das Bewusstsein davon, gen Paares in einem für UFO-Sichtungen dass es sich dabei um einen cinematischen bekannten Naturgelände gefunden wor- Bezug handelt, auf diegetischer Ebene den sind. Wie immer ist er davon über- zwar negiert. Dennoch lässt sich, sofern zeugt, dass es sich dabei um ein paranor- man über die entsprechenden Referenzen males Phänomen handeln muss und wie verfügt, sehr klar sagen, dass es sich hier immer wiegelt Scully (Gillian Anderson) um ein Zitat aus einem anderen Film han- ab und erklärt, dass es sich vermutlich um delt: Ted Striker mag es nicht wissen, trotz- nichts weiter als einen „harmlosen“ Ritu- dem besteht der Gag einer solchen Anspie- almord handelt. Um Scully doch noch zu lung und der Grund für die notwendige überreden greift Mulder schließlich zu ei- Negation ja gerade darin, dass der Film in nem gewagten aber schlagenden Argu- den entsprechenden Momenten einen in ment und fragt Scully, warum es eigent- unserer Welt eindeutig mit dem Kino asso- lich ständig zu derselben Diskussion kom- ziierten Sachverhalt anspricht. Blicken wir men müsse, wo sich doch in 98% ihrer Fäl- in unserer Welt oder Jeff (James Stewart) in le sein ursprünglicher Verdacht bestätigt der Welt von REAR WINDOW dagegen aus habe. Für jemanden der die Serie zum ers- dem Fenster, hat dies keinesfalls zwingend tenmal sieht, scheint sich hinter dieser etwas mit Kino zu tun. Ebenso wenig wie – Aussage kaum etwas zu verbergen. Für den um ein ähnliches Beispiel zu nennen – wahren Fan jedoch steht, während Scully wenn John Connor mit dem Terminator danach etwas verdutzt nach Worten über den stumpfen Einsatz von Gewalt de- sucht, für einen kurzen Moment das ge- battiert. In beiden Fällen bedarf es einer samte Universum der X-FILES auf dem dementsprechend geringen diegetischen Spiel. Verleugnung, statt dessen aber einer zu- Ohne es zu wissen hat Mulder einen sätzlichen Übertragungsfunktion auf Sei- der fundamentalen und üblicherweise ein- ten des Rezipienten: In REAR WINDOW fach verdrängten Widersprüche der Serie vom Akt des voyeuristischen Spionierens angesprochen, der es ihr erlaubt so zu auf die Situation des Zuschauers im Kino. funktionieren, wie sie eben funktioniert. In TERMINATOR 2 – auch wenn der Schritt Ließe die Narration Scully „etwas mehr minimal erscheint – von einem rein diege- Zeit zum Überlegen“, wäre es bei ihr mög- tischen Diskurs über Gewalt und den Be- licherweise tatsächlich zu einem Augen- fehl, Leute nicht mehr einfach stur umzu- blick des Zweifels an der Wirklichkeit ihrer bringen, auf einen ästhetischen Diskurs Existenz und der ihrer Welt gekommen – über die formalen Grundlagen des ersten eines Zweifels wie jener, der es ihr, zumin- TERMINATOR-Films, das Actiongenre und dest auf diegetischer Ebene, etwas später die historische Rolle, die der Schauspieler erlaubt, den Bann einer anderen Illusions- und Bodybuilder Arnold Schwarzenegger maschine zu brechen: Wie sich heraus- in der Geschichte dieses Genres einnimmt. stellt, ist das Paar natürlich nicht Opfer ei- Filmreihen und Serien, die auf Grund nes „harmlosen“ Ritualmords geworden, der Wiederholung typischerweise ein sehr sondern wie nach ihnen auch Scully und eigenständiges und prägnantes Set von Mulder, das eines ominösen Pilzgeflechts, 238 3 Geschichte

Abb.฀53฀฀฀Direkte฀und฀indirekte฀Selbstreferenzialität das sich darauf spezialisiert hat, Menschen dem Film Noir oder den Blaxploitation- zu betäuben, unter die Erde zu saugen und Filmen der Siebzigerjahre und vor allem dort langsam bei lebendigem Leibe zu ver- eben jener zwischen Text und Metatext os- dauen. Wie in THE MATRIX wird den Op- zillierende Dialogismus mit dem Zuschau- fern, um eine Flucht zu verhindern, eine er und seinen Erwartungen, wie wenn Vin- virtuelle Scheinwelt vorgespiegelt, die sie cent (John Travolta) Vega an einem Tanz- glauben lässt, sie befänden sich nach wie wettbewerb teilnimmt oder Butch nach ei- vor in ihrer gewohnten Umgebung. ner geeigneten Waffe sucht und dabei zu- Sind es im Fernsehen die X-FILES, mit nächst nach einem Hammer und Baseball- ihrem fliegenden Wechsel zwischen unter- schläger greift, dann eine Unheil verhei- schiedlichen dramaturgischen Stilformen, ßende Kettensäge ins Auge fasst, sich Genres und Mythologien, Ernst, Ironie schließlich dann aber doch für ein gene- und Selbstparodie, die den neueren, „post- risch völlig deplatziertes Samuraischwert modernen“ Liberalismus der Unterhal- entscheidet. tungsindustrie wie kaum eine andere Serie Den Schlüssel für das formale Ver- verkörpern, ist es in der Welt des Spielfilms ständnis einiger der prominentesten Se- sicherlich Quentin Tarantinos PULP FICTI- quenzen aus dem Oeuvre Tarantinos lie- ON, der zu den einflussreichsten Vertre- fert jedoch eine Strategie, die unmittelbar tern dieser ästhetischen Entwicklung ge- weniger mit den Paradigmen postmoder- hört. In der Tat finden sich nahezu alle ty- ner Ästhetik assoziiert ist und möglicher- pischen Merkmale der ästhetischen Post- weise deshalb vergleichsweise wenig kriti- moderne in PULP FICTION wieder. sche Beachtung gefunden hat: Auch wenn Intertextuelle Verweise und Zitate wie sich Tarantino selbst der Tatsache womög- der ominös fluoreszierende Koffer, der so- lich nie bewusst geworden ist, basiert ein wohl an Robert Aldrichs Noir-Klassiker Großteil seines Stils, wenn wir so wollen, KISS ME DEADLY (1955) als auch Alex Coxs auf einer geschickten Abwandlung der REPO MAN (1984) erinnert; Genremixturen zum Teil schon seit der Antike bekannten und Brüche, wie wenn Butch (Bruce Wil- Verfahren von Parodie und Travestie. lis) und Marcellus (Ving Rhames) von Im heutigen Sprachgebrauch bezieht Maynard (Duane Whitaker) gefangenge- sich der Begriff „Parodie“ im Wesentlichen nommen werden und sich danach nicht auf die funktionale Absicht eines Textes, nur in einem düsteren Keller, sondern un- einen anderen Text, einen Stil oder wie im versehens auch in einem schundigen und Film bekanntlich häufig der Fall, ein Gen- im wahrsten Sinne des Wortes Sexploitati- re zu imitieren und über verschiedene on-Movie wiederfinden; Anleihen bei ver- Techniken wie Übertreibung oder absurde gangenen Stilepochen und Genres wie Transformationen ins Lächerliche zu zie- 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 239

Thema vornehm vulgär Stil

vornehm Epos, Tragödie Travestie

vulgär Parodie Komödie

Tabelle฀19฀฀฀Parodie฀und฀Travestie฀(Quelle:฀Genette,฀36) hen. In einigen vormodernen Definitio- Reiz und ihre Komik im Gegensatz zu den nen der Parodie bleibt der Begriff jedoch ernsten und komischen Reingattungen auf eine recht klar umrissene Variante die- immer aus einer spürbaren Diskrepanz ser Techniken beschränkt: Ein Text, der ei- zwischen Form und Inhalt gewinnen.182 nen anderem Text parodiert, tut dies, in- Selbstverständlich beziehen sich diese dem er zwar den Stil der parodierten Vorla- Diskrepanzen bei Tarantino nicht mehr ge beibehält, diesen vornehmen und ge- auf epische und niedere Formen und The- hobenen Stil aber auf ein unangemessen men im antiken und vormodernen Sinne. vulgäres Thema anwendet. So wie bei- Dennoch sind sie mit diesen mittlerweile spielsweise die Batrachomyomachia – von längst überholten und heute wohl auch in der man annimmt, dass sie als eine der äl- ihrer ästhetischen Wirkung untauglich ge- testen bekannten Parodien im 6. Jahrhun- wordenen Techniken durchaus zu verglei- dert v. Chr. entstanden ist –, wenn sie die chen. epische Form von Homers Ilias zwar über- An die Stelle des Vornehm-Epischen – nimmt, das Thema aber herabsetzt, indem und dies mag auf den ersten Blick das Er- die Figuren durch Frösche und Mäuse er- kennen der Ähnlichkeit erschweren – tritt setzt werden, die einander mit lächerli- dabei die zwar nicht gerade elitäre, aber chen Instrumenten auf dem Schlachtfeld auf ihre Art dennoch längst erhabene Kon- bekämpfen. Die Travestie verfährt umge- ventionalität des Genrekinos und der kehrt: Das an sich vornehme epische The- ‚Schundliteratur‘. An die Stelle des Vulgä- ma bleibt zumindest in seinen Grundzü- ren nicht etwas unbedingt noch Anstößi- gen erkennbar erhalten, wird aber in ei- geres, sondern eine Trivialität und Banali- nem herabsetzend vulgären Stil behan- tät, wie wir sie selbst wohl eher aus unse- delt. So wie in der aus dem 17. Jahrhun- rem eigenen Alltagsleben und Diskursver- dert stammenden Virgile Travestie, bei der halten kennen und wie sie eben gerade für die Geschichte und die Figuren der Aeneas die hartgesottene Welt dieses Genrekinos zwar im Wesentlichen die gleichen sind, absolut unangemessen erscheint. die Sprache der Figuren und ihre Handlun- Sehr klar zu sehen ist dies in der be- gen aber durch einen unangemessen nie- rühmten Szene, bei der sich die abgebrüh- deren und saloppen Stil herabgesetzt wer- ten Gangster Vincent (John Travolta) und den. In vielen Fällen treten die beiden Ver- Jules (Samuel L. Jackson ) ausführlich über fahrensweisen gemischt auf und sind auch die Unterschiede in der europäischen und nicht immer klar voneinander zu unter- amerikanischen Bezeichnung für McDo- scheiden. Entscheidend ist, dass sie ihren nald’s-Hamburger unterhalten oder auch

182 Vgl. Gérard Genette, Palimpseste: Die Literatur auf zweiter Stufe, übersetzt v. Wolfram Bayer, Dieter Hornig,฀(Frankfurt฀am฀Main:฀Suhrkamp฀1993),฀35–38. 240 3 Geschichte

Abb.฀54.1–4฀฀฀„Parodie“฀und฀„Travestie“฀in PULP FICTION (A฀Band฀Apart/Miramax,฀1994):฀die฀goldene Uhr฀aus฀dem฀Arsch฀und฀der฀bedauerliche฀Unfall฀... in der strukturell homologen Eröffnungs- über Jahre hinweg in ihrem „Arsch“ ver- sequenz aus RESERVOIR DOGS (1992), wenn steckt haben, tut sich unweigerlich auch sich Mr. Pink (Steve Buscemi), Mr. Orange hier eine Schere zwischen dem weiterhin (Tim Roth) und Mr. Blue (Edward Bunker) unberührt vornehm gehaltenen Stil und über die wahre Metaphorik von Madonnas einer in diesem Fall in der Tat äußerst vul- „Like a Virgin“ streiten. Der Stil und die gären Thematik auf. generische Form sind „vornehm“ im obi- Die für manche schockierende Se- gen Sinne. Das Thema aber unserer eige- quenz, bei der Vincent versehentlich Mar- nen Konsumwelt viel zu nah und trivial. vin den Informanten (Phil LaMarr) auf Die Tatsache, dass es sich dabei um stereo- dem Rücksitz des Autos erschießt, stellt type Kunstfiguren aus der Welt der Pulp zwar keine Travestie im strengen Sinne, Fiction handelt, die sich, ähnlich wie bei- dennoch aber eine Umkehrung des bishe- spielsweise auch Chili Palmer (John Tra- rigen Verfahrens dar: Das Thema – jemand volta) in GET SHORTY, selbst wieder mit kommt ungewollt und auf schockierende Produkten der Populärkultur beschäfti- Art ums Leben – ist „vornehm“, der Stil, in gen, verleiht der Sache dabei einen zusätz- dem das Thema behandelt wird, aber trivi- lichen Reiz, der dem selbstreferenzieller al. Nicht nur ist es ein bereits unangemes- Doppelcodierungen durchaus nahe steht. sen lapidarer Zwischenfall, der den tragi- Dem vorgelagert ist es aber dennoch be- schen Unfall überhaupt erst verursacht – reits die ungewohnte und gerade wegen ein Huppel auf der Straße hat den Schuss ihrer vergleichsweise geringen Verschie- vermutlich ausgelöst –, Vincent und Jules bung so kraftvolle Diskrepanz zwischen reagieren auf den Zwischenfall auch so, als Form und Inhalt die hier den ästhetischen handle es sich dabei um ein zwar ärgerli- Genuss und die Komik der Sequenzen be- ches, moralisch aber völlig belangloses stimmt. Problem – ohne dabei auch nur eine Spur Dasselbe Schema findet sich in der von Zynismus zu zeigen. Auf diegetischer Captain Koons-Sequenz wieder: Captain Ebene lässt die Sequenz Vincent und Jules Koons (Christopher Walken) besucht Butch noch abgebrühter und bedrohlicher er- als Kind, um ihm nach Jahren der Gefan- scheinen, als wir es ohnehin schon gese- genschaft in Vietnam die goldene Uhr sei- hen haben. Um so komischer wirkt es nes verstorbenen Vaters zu überreichen. dann, wenn Tarantino im zweiten Teil der Wie es sich für ein derartiges Thema ge- Episode den Spieß wieder umdreht. ziemt und wie wir es x-fach in Holly- Vincent und Jules müssen die Leiche wood-Filmen gesehen haben, trägt Cap- beseitigen und sich und das Auto von den tain Koons die entsprechende Rede mit Blutflecken reinigen, scheinen in diesem großem und stilistisch vornehmem Pathos vergleichsweise banalen Punkt aber abso- vor. In dem Moment jedoch, als wir bei- lut hilflos zu sein. Um erst einmal von der läufig erfahren, dass die beiden die Uhr Straße zu kommen, suchen sie bei Jimmie 3.3 Ereigniskino, Attraktionen, Ironie: Hollywood in den Neunzigerjahren 241

… dessen฀Spuren฀von฀Vincent฀und฀Jules฀unter฀der฀Aufsicht฀des฀Cleaners฀Mr.฀Wolf฀fachgerecht฀besei- tigt฀werden฀müssen.

(Quentin Tarantino) Zuflucht, der über ist PULP FICTION das unverkennbare Pro- den Besuch nicht gerade erfreut ist, weil er dukt eines Filmbuffs, der gar nicht mehr in eineinhalb Stunden seine Frau Bonnie erst versucht den Eindruck einer wie auch (Venessia Valentino) zurück erwartet, die immer gearteten Pseudoauthentizität her- sich mit Sicherheit schrecklich aufregen zustellen. Sowohl was den kreativen Origi- wird, wenn sie Jules und Vincent so bei ih- nalitätsanspruch seines Werks angeht, als nen zu Hause sieht. Gott sei Dank schickt auch in Bezug auf die Einbindung und Marcellus nach einem kurzen Telefonat ei- Adressierung des Publikums, die dieses nen Profi vorbei. Wie wir es von einem Werk anstrebt. Dennoch unterscheidet Spezialisten erwarten, gibt der offenbar le- sich Tarantino in seinem Zugang dabei gendäre Mr. Wolf (Harvey Keitel) präzise von den Movie Brats oder den Filmkriti- Anweisungen, wie das Problem zu lösen ker-Regisseuren der europäischen Nouvel- sei, auch wenn es sich dabei tatsächlich le Vague letztendlich nur insofern als sie nur um die nahe liegendsten Schritte han- selbst zum Fundus seiner Mediensozialisa- delt: Phase 1: das Auto muss mit Putzmit- tion gehören und dadurch, dass Regisseure teln gereinigt werden und mit Wolldecken wie Brian De Palma, der zu den erklärten und Tüchern ausstaffiert. Phase 2: Vincent Idolen Tarantinos gehört, Coppola, Lucas und Jules müssen mit dem Garten- oder Spielberg sicherlich gezwungen wa- schlauch abgespritzt werden und ihre An- ren, die Inter- und Metatextualität, die züge gegen lächerliche T-Shirts und Shorts sich auch bei ihnen vor allem in ihren frü- tauschen etc. Der betont häusliche Kon- hen Filmen wiederfindet, noch vergleichs- text und die Banalität des Putzprozederes weise bedeckt zu halten. setzen die Thematik der gesamten Se- Die Begeisterung von Spielberg und Lu- quenz auf das Niveau einer trivialen All- cas für alte B-Serials und Abenteuerfilme tagshandlung herab. Der Stil und der Ton wurde bereits angesprochen. De Palmas der Figuren bleibt dennoch immer auf frühe Arbeiten sind allesamt Hitchcock- dem „vornehmen“ und todernsten Level, Hommagen – mit einer Ausnahme: BLOW den wir für das Genre und aus ähnlichen OUT (1981), der anders als Coppolas THE Szenen gewohnt sind. CONVERSATION seine Schuld gegenüber An- Auch wenn sich Tarantino selbst mitt- tonionis Klassiker BLOWUP sogar bereits im lerweile schon wieder von der Ästhetik Titel bekennt. Und schaut man etwas ge- und den Techniken seines Durchbrucher- nauer, kann man erkennen, dass es sich folges entfernt zu haben scheint, hat PULP selbst bei Martin Scorseses und Paul Schra- FICTION zweifelsohne einen nachhaltigen ders TAXI DRIVER im Grunde um nichts an- Eindruck in der Filmkultur hinterlassen. deres handelt als ein modernes Remake Unabhängig davon, ob Tarantino nun in von฀John฀Fords THE SEARCHERS (1956). einer Videothek gearbeitet hat, bevor er Dass die zunehmende Liberalisierung selbst angefangen hat, Filme zu machen, des Hollywoodkinos gegenüber offenen 242 3 Geschichte

inter- und metatextuellen Spielformen ei- weis auf CITIZEN KANE, sondern auch zahl- nerseits mit der gewachsenen Mediatisie- reiche selbstreflexive Gags, bei denen sich rung unserer Konsumwelt in Verbindung die Figuren unter anderem mit dem Pro- steht, andererseits aber auch mit der ge- jektionisten unterhalten. wachsenen Kompetenz, mit der Konsu- Vor allem aber sind Filme wie PULP FIC- menten an diese medialen Inhalte heran- TION oder SCREAM letztendlich auch heute gehen, liegt nahe. Sowohl im positiven noch Ausnahmeerscheinungen: Auch Sinne, als es dieser Kompetenz schlicht- wenn es sich bei TITANIC um das Remake weg bedarf, um die Gags, ironischen Un- eines oft verfilmten Stoffes handelt, wird tertöne und Anspielungen überhaupt ver- man in ihm vergeblich nach Zitaten oder stehen zu können; als auch im negativen Doppelcodierungen suchen. Recyclefilme Sinne, als es diese Kompetenz Hollywood sind mittlerweile zwar zu einer schier un- erschwert, mit seinen alten Genremythen ausweichlichen Konstante in der Pro- ungebrochen jenes Massenpublikum an- grammpolitik des Hollywoodkinos gewor- zusprechen, dessen ein zeitgenössischer den. Dennoch gibt es dafür sehr viel nahe Blockbuster bedarf. Mit dem Anbruch ei- liegendere und banalere Erklärungen, als ner fundamentalen kulturhistorischen es die Beschwörung eines postmodernen Umwälzung, für deren Beleg diese Filme Kollaps von Geschichte vermuten lässt. mitunter herangezogen werden, hat dies Und auch wenn das Auftreten von inter- jedoch nur wenig zu tun. und metatextuellen Referenzen und Komödien, Cartoons, Backstage-Musi- Selbstironie in Blockbustern wie INDIANA cals und Hollywood-on-Hollywood-Filme JONES,BACK TO THE FUTURE,DIE HARD,TER- haben es Filmemachern seit jeher erlaubt, MINATOR 2, LAST ACTION HERO,GOLDEN- selbstreferenzielle und intertextuelle Be- EYE,GET SHORTY,CON AIR,ARMAGEDDON züge in ihre klassischen Erzählungen ein- oder TOY STORY 2 (1999) sicherlich auffäl- zubauen: In HIS GIRL FRIDAY bemerkt Wal- lig und zu einem wesentlichen Bestandteil ter (Cary Grant), Bruce – gespielt von der zeitgenössischen Kinokultur geworden Ralph Bellamy – sehe aus wie Ralf Bellamy. ist, kommen auf jeden dieser Gags allein In Erich von Stroheims FOOLISH WIVES in den letzten zehn Jahren wohl mindes- (1922) liest Mrs. Hughes (Miss DuPont) tens zwanzig Filme, die ihre Geschichten ein Buch mit dem Titel Foolish Wives von in ungebrochen klassischer Form erzäh- Erich von Stroheim. Die Filmadaption der len, ohne sich dabei auch nur den Hauch Broadway-Show HELLZAPOPPIN (1941) ent- eines selbstironischen Anstrichs zu geben. hält nicht nur einen parodistischen Ver-

3.4 Resümee und Ausblick

Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten woodkino sicherlich auf der ökonomi- also verändert. Vieles ist aber auch beim schen und technologischen Ebene erfah- Alten geblieben oder stellt sich bei ge- ren. Zu wirklich fundamentalen Umwäl- nauerem Hinsehen zumindest als nicht zungen ist es dabei wohl auch hier nicht ganz so neu heraus, als es auf den ersten gekommen. Dennoch sind die Transfor- Blick vielleicht erscheinen mag. Die nach- mationen und Intensivierungen der letz- haltigsten Veränderungen hat das Holly- ten Jahre sicherlich markant genug, um 3.4 Resümee und Ausblick 243

einen Begriff wie „postklassisches“ oder Für einen kurzen Moment erhalten „neues“ Hollywoodkino zu rechtfertigen – junge Regisseure die Möglichkeit ihre zumindest als hilfreiche historische Ori- künstlerischen Ambitionen im Kräftespiel entierungsmarke. mit den ökonomischen Interessen der Stu- Der Anfang vom Ende des alten Holly- dios durchzusetzen, auch wenn es am wood beginnt bereits als sich das Studio- Ende wohl weniger die sozialkritischen system noch in voller Blüte befindet: Mit Untertöne sind, die der dynamischeren den Paramount Decrees wird die alte Mo- und freizügigeren Ästhetik des neuen Hol- nopolstruktur der Majors gesprengt. Mit lywoodkinos zum Durchbruch und der an- dem Siegeszug des Fernsehens verlieren geschlagenen Filmindustrie wieder auf die die Studios das Monopol auf audiovisuelle Beine verhelfen. Sind es im alten Holly- Unterhaltung überhaupt. Das Modell des wood vor allem „seriöse“ Genres wie das in sich geschlossenen Studio- und Ange- Drama, Musical oder die klassische Komö- stelltenbetriebs erweist sich unter diesen die, die den Filmmarkt dominieren, sind Voraussetzungen als unhaltbar und wird es mit THE GODFATHER,THE EXORCIST,JAWS durch das flexiblere aber auch instabilere und STAR WARS nun vor allem die ehemali- Package-Unit-System ersetzt. Die fließ- gen B-Genres, die die ökonomische Vor- bandartige Massenproduktion weicht ei- front des Hollywoodkinos bilden und fort- ner zunehmenden Konzentration auf ein- an das Bild des Blockbusterkinos prägen. zelne, kostspielige Flaggschiffproduktio- Vorhersehbare und überraschende Me- nen, die im Erfolgsfall Rekordeinnahmen gahits hat es und wird es im Hollywoodki- versprechen, das finanzielle Risiko der Stu- no immer geben, dennoch zeugen gravie- dios aber auch dramatisch erhöhen. rende Flops wie Michael Ciminos HEA- Auch die Breitwand-Offensive der VEN’S GATE aber auch immer wieder vom Fünfziger- und Sechzigerjahre kann die zu- schmerzhaften Gegenteil. Strategien wie nehmende Erosion des Kinomarktes nicht der High-Concept-Approach und Saturati- verhindern: Hollywood droht den An- on Release, die sich im Zuge der ersten schluss an den kulturellen und politischen Blockbusterwelle und der ästhetischen Wandel der Nachkriegszeit zu verlieren. und ökonomischen Rekommerzialisie- Das alte Publikum zieht sich auf den hei- rung unter dem Einfluss der neuen Füh- mischen Medienkonsum zurück. Das neue rungskräfte der Studios gegen Ende der Publikum verlangt nach Werten, die sich Siebzigerjahre entwickeln, sollen dieses Ri- mit dem angestaubten Reglement des siko minimieren helfen: Marktforschung Hays Codes nicht mehr vereinen lassen und Filmmarketing werden zu einem im- oder bleibt dem Kino überhaupt fern, um mer bedeutenderen Faktor, der auch un- sich statt dessen neuen Unterhaltungsfor- mittelbaren Einfluss auf die Gestaltung men wie der aufsteigenden Rock- und Pop- und Auswahl von Filmprojekten hat: kultur zuzuwenden. Rund 30% des Einspielergebnisses einer Die anhaltende Krise zwingt die Studi- Majorproduktion werden heute innerhalb os, sich nach finanzkräftigen Partnern der ersten drei Tage ihres Kinolaufs erzielt umzusehen und löst eine erste Welle von und damit nahezu auf der alleinigen Übernahmen aus, die die „corporate era“ Grundlage ihres marketingstrategischen des Hollywoodkinos begründet. Gleichzei- Versprechens. tig erlaubt es die ästhetische Verunsiche- Seit es mit dem Fernsehen um die rung des alten Hollywood aber auch einer Gunst des Publikums konkurriert, hat Hol- neuen Generation von Filmemachern in lywood eine Doppelstrategie zu verfolgen der Industrie Fuß zu fassen. versucht: Assimilation und Konvergenz 244 3 Geschichte

auf der einen Seite, Differenzierung und siert der globale Erfolg des Hollywoodki- Reattraktivierung der Kinodomäne auf der nos auf einer Kombination aus Schauwer- anderen. Kino, Fernsehen, Musik und Ver- ten und leicht verständlichen Geschich- lagswesen, Theme Parks und Merchandise ten, die auch dort nicht verloren gehen, sind im Verbund gigantischer Medienkon- wo sie von Doppelcodierungen hinterfragt zerne längst zu einer ökonomischen Ein- und ironisiert werden, und die mit ihrem heit verschmolzen. Dass Blockbuster, universalen moralischen und emotiona- nicht nur um ihre eigenen Kosten zu de- len Appeal ein weltweites Massenpubli- cken, sondern auch um die enormen Kos- kum anzusprechen vermögen. ten solcher Zusammenschlüsse und Inves- Was die Zukunft für das Kino und Hol- titionen zu rechtfertigen, nach Möglich- lywood bereithält, ist schwer abzuschät- keiten so konzipiert und ausgewertet wer- zen. Zu den wesentlichen Trends wird si- den, dass sie die erhofften Synergieeffekte cherlich die fortschreitende Digitalisie- auch tatsächlich erzielen, sollte daher rung des Mediensektors gehören. Einer der nicht verwundern. Gründe für die Fusion von AOL und Time Auch wenn die Einnahmen an der Ki- Warner dürfte der Zugang zu AOLs Abon- nokasse heute mitunter nur mehr einen nenten-Stamm auf der einen Seite und der Bruchteil des Umsatzes eines Filmfranchi- zu Warners Kabelnetz und „Content“ auf ses ausmachen, muss ein Film, um später der anderen gewesen sein. Wie schnell die- in den Zusatzmärkten reüssieren zu kön- se Komponenten zu einem erfolgreichen nen, in der Regel zunächst erfolgreich im Video-on-Demand-System zusammenge- Kino gelaufen sein. Marketingstrategien fügt werden können, bleibt angesichts der wie die Ausrichtung an Wiedererken- bisher eher verhaltenen Vorstöße in diese nungswerten und mediengerechten Film- Richtung vorerst aber noch abzuwarten. konzepten bilden dafür eine Vorausset- Auch die bereits seit langem diskutier- zung – aber auch die Reattraktivierung des te Digitalisierung des Kino- und Distribu- Kinoerlebnisses selbst. Luxuriöse Multi- tionssektors nimmt zwar zunehmend kon- plexkinos, CGI und digitaler Mehrkanal- kretere Züge an, wird sich vermutlich aber ton und die durch diesen technologischen doch nicht ganz so schnell durchsetzten Innovationsschub begünstigte „Rückkehr können, wie bisher vermutet worden ist: des Kinos der Attraktionen“ gehören zwei- Als Key-Player haben sich mittlerweile Te- felsohne zu den Hauptträgern der Renais- xas Instruments, Boeing Satellite Systems, sance, die das Kino in den Neunzigerjah- Technicolor und Kodak etabliert. Texas In- ren erlebt hat. struments stellt digitale Projektoren her, Auch wenn die narrativen Qualitäten die zu Testzwecken in bisher etwa hundert des Hollywoodkinos unter der visuellen Kinos weltweit installiert worden sind. und akustischen Attacke auf die Sinne des Technicolor, Boeing und Kodak bieten so- Zuschauer und dem scheinbaren Glauben, gar Komplettsysteme an, die es ermögli- das größtmögliche Publikum für einen chen sollen, verschlüsselte Filmdateien Film nur durch eine Reduktion seiner äs- wahlweise per DVD, Breitband-Netz oder thetischen Mittel auf den kleinsten ge- Satellit direkt an Kinobetreiber zu verschi- meinsamen Nenner erreichen zu können, cken. vielerorts gelitten haben, werden Spekta- Die Chancen für Digitales Kino beste- kelfilme wie TWISTER,TITANIC oder ARMA- hen im Wesentlichen in der Eliminierung GEDDON nach wie vor entlang der stilisti- von Herstellungskosten für Kopien, die schen Richtlinien des klassischen Erzähl- auf jährlich etwa 700 Mio. US-$ für den kinos konstruiert: Wie schon seit jeher ba- amerikanischen Markt allein geschätzt 3.4 Resümee und Ausblick 245

werden, und der Möglichkeit für Kinobe- ten für die Anschaffung eines solchen Sys- treiber, ihr Programm auf alternative An- tems noch zwischen 100 000 US-$ und 200 gebote wie Sportveranstaltungen etc. aus- 000 US-$.183 zuweiten. Die Risken bilden die Bildquali- Chancen bieten Digitalisierung und tät, die bisher noch leicht unter der Norm Internet vor allem auch für Hobbyfilmer für Printkopien liegt; die Furcht vor Pirate- und unabhängige Filmemacher: Mit we- rie; die relative Kurzlebigkeit von digitalen nig Geld können heute Filme in befriedi- Projektoren; vor allem aber die enormen gender Videoqualität gedreht und auf dem Kosten, die eine flächendeckende Umstel- Heimcomputer bearbeitet werden. Websi- lung für den Kinosektor verursachen wür- tes wie Ifilm.com, Undergroundfilm.com de und für den US-Markt auf etwa 5,5 Mil- und Atomfilms.com halten bereits heute liarden US-$ geschätzt werden. hunderte von Kurzfilmen zum Streaming Eine der Aufgaben des unlängst von Download bereit und auch als Marketing- den Majors gegründeten (und bisher na- tool bietet das Internet Möglichkeiten, die menlosen) „Digital-Cinema-Konsortiums“ im Prinzip von jedem und jeder genutzt ist es daher, zu eruieren, inwieweit sich die werden können. Ob sich Coups wie THE Filmindustrie and diesen Kosten beteili- BLAIR WITCH PROJECT wiederholen lassen gen sollte. Aber auch die Bestimmung ei- und den Majorkonzernen aus der neuen nes einheitlichen technologischen Stan- digitalen Demokratisierung tatsächlich dards, der die üblichen Reibungsverluste eine ernstzunehmende Konkurrenz er- bei Formatkriegen verhindern soll. Selbst wächst, bleibt dabei natürlich fraglich. wenn diese Fragen geklärt sind, schätzen Dennoch zeigt gerade das Studium der Ge- Analysten, werden die erhofften Einspa- schichte, wie schwer es ist, die Zukunft ei- rungen aber erst dann wirksam, wenn der nes Mediums wie des Kinos vorherzusa- Preis für die Einrichtung eines digitalen gen. Oder wie ein in Hollywood oft zitier- Projektionssystems unter die 50 000 tes Bonmot des Drehbuchautors William US-$-Grenze fällt. Derzeit liegen die Kos- Goldman besagt: „Nobody knows anything.“

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0–1 Akquisition (Filmbusiness): Ein Film, der bereits abgedreht ist, und dann von einem 30°-Regel (Filmtechnik): Regel, die besagt, Studio zur Distribution aufgekauft wird. dass eine Einstellung mindestens 30° im Winkel oder anderweitig deutlich von der Ambience (Filmton): Atmosphärische vorhergehenden Einstellung abweichen Hintergrundgeräusche. sollte, da sie sonst eher als störender Bild- Analytical Cutting (Filmtechnik): Auftei- sprung wahrgenommen wird. lung einer bereits etablierten Szene in ge- 180°-Regel (Filmtechnik): Siehe Line of Ac- nauere Detaileinstellungen. tion und Shot / Reverse Shot. Angular Shot (Filmtechnik): Aufnahme ei- ner Figur in einem schrägen Winkel zur A Blickachse der Figur.

Academy Ratio (Filmtechnik): Standard- Associate Producer (Filmbusiness): Ähn- format für Filme vor Einführung des Breit- lich wie beim Executive Producer steht auch wandkinos. Das Verhältnis von Breite zu dieser Titel nicht für eine konkrete Berufs- Höhe beträgt 1,33:1. bezeichnung, sondern wird einfach für besondere Verdienste an einem Filmpro- Added Value (Filmtontheorie, Chion): Der jekt vergeben. In der Regel handelt es sich informative und expressive Gehalt eines dabei eher um einen Deligierten des Pro- Klangs, der dem in Verbindung mit diesem duzenten, als um eine übergeordnete Per- Klang abgebildeten Geschehen erst seine son. volle Prägnanz verleiht. Zum Beispiel ein Faustschlag, den man ohne Ton mögli- cherweise฀kaum฀wahrnehmen฀würde. B Affiliate (US-Fernsehen): Lokale TV-Sta- Backlighting (Filmtechnik): Beleuch- tion, die zwar nicht direkt zu einem Bro- tungstechnik, bei der ein Objekt von hin- adcast-Network gehört, großteils aber des- ten angestrahlt wird. sen nationales Programm übernimmt. Back Story (Drehbuchtechnik): Die Vorge- Agent (Filmbusiness): Vertritt Schauspie- schichte einer Filmhandlung. Die wesent- ler und andere kreative Akteure in der Ver- lichen Bestandteile dieser Vorgeschichte, handlung von Filmgeschäften. Tritt oft werden dem Zuschauer oft beiläufig in Di- selbst als Schnürer von Filmpaketen auf, alogen oder auch durch bildliche Elemen- indem er z.B. Material von Autoren an te, wie Fotografien u.ä. vermittelt. Stars, Regisseure oder Studios weiterleitet oder versucht, möglichst viele seiner Basic Cable (US-Fernsehen): „Freies“ Ka- Klienten in einem Filmprojekt unterzu- belfernsehen, für das der Kabelkunde kei- bringen: Wer Klient A will, muss auch nen Aufpreis zahlt. Nach einer neueren Klient B nehmen etc. Üblicherweise erhal- Definition werden die meisten dieser Ka- ten Agenten etwa 10% der von ihnen ver- näle ähnlich wie in Europa auch als handelten Gagen und Preise. ad-supported cable bezeichnet. 254 Glossar

Blind Bidding (Filmgeschichte, Filmbusi- Caper-Movie (Filmgenre): Film, in dem es ness): Heute weitgehend verbotenes Ver- um einen ausgetüftelten Raub, Überfall steigerungsverfahren, bei dem ein Kinobe- oder ähnliches geht. Zum Beispiel treiber für einen Film bietet, ohne ihn ge- OCEAN’S ELEVEN (1960; 2001). sehen zu haben. CGI (Tricktechnik): Computer Generated Block Booking (Filmgeschichte, Filmbusi- Images/Imaging. Am Computer herge- ness): Heute verbotene Strategie, die Kino- stellte Figuren, Bilder etc. betreiber zwang, mit dem zugkräftigen Cheat Cut (Filmtechnik): Schnittmontage, A-Film eines Studios immer auch eine Rei- bei der eine Einstellung nicht exakt mit he zweitklassiger Filme ins Programm zu den bisherigen oder nachfolgenden Gege- nehmen. benheiten übereinstimmt. Blockbuster (Allgemein, Filmbusiness): Cinema of Attractions (Filmgeschichte, Ursprünglich die Bezeichnung für eine Filmtheorie): Vorklassische Filmperiode Bombe, die einen ganzen Häuserblock in und ästhetische Tradition, bei der das Nar- Schutt und Asche legen konnte. Seit den rative eine eher untergeordnete Rolle Fünfzigerjahren eine Bezeichnung für spielt und es vor allem um das Zuschau- sehr erfolgreiche Filme und solche, die es stellen von spektakulären Elementen und werden sollen. Nicht zuletzt durch den Schockeffekte geht. meist großen finanziellen Aufwand, der für ihre spektakulären Schauwerte betrie- Composite Shot (Tricktechnik): Eine aus ben wird. mehren Teilelementen zusammengesetzte Aufnahme. Box Office Gross (Filmbusiness): Die Ein- nahmen, die ein Film an der Kinokasse er- Consent Decree, Paramount Decree zielt. Auch gross receipts genannt. (Filmgeschichte, Politik): Ein auf Bestre- ben des amerikanischen Justice Depart- Break Even (Filmbusiness): Punkt, an dem ments erwirkter Beschluss des Obersten ein Film die für seine Produktion und Lan- Gerichtshofs aus dem Jahre 1949, der Pa- cierung notwendigen Kosten eingespielt ramount und in der Folge auch die ande- hat. Je nach Bestimmung dieser Kosten ren Majors zwang, sich von ihren Kinos zu können verschiedene oder auch fließende trennen. Daneben wurden auch noch ei- Break-Even-Punkte definiert werden. nige andere als wettbewerbswidrig erach- Broadcast Network (US-Fernsehen): Ter- tete Praktiken verboten. restrisch empfangbarer Privatsender. Die Continuity Editing (Filmtechnik): Monta- vier großen amerikanischen Networks geprinzip, das über verschiedene Techni- sind NBC, CBS, ABC und das etwas jünge- ken versucht, den Film als kontinuierli- re Fox. Daneben gibt es mit dem WB-Net- chen, orientierungsfreundlichen und stö- work und UPN mittlerweile zwei weitere rungsfreien Erzählraum erscheinen zu las- kleine Netlets. sen.

C Co-Producer (Filmbusiness): In der Regel ein mehr oder weniger gleichberechtigter Camp (Kulturwissenschaft, Kunst-, Film- Partner des Produzenten. theorie): Affirmative Zelebration der be- wusst als übertrieben, künstlich oder kit- Credits, Credits-Sequence (Filmtechnik): schig wahrgenommen, respektive ge- Vorspann. Anrechnende Nennung der Ak- zeichneten Elemente eines Kunstobjekts. teure, die an einem Film mitgewirkt haben. Glossar 255

Crosscutting (Filmtechnik): Parallelmon- hören, aber nicht Teil dieses Universums tage. Schnitt an einen anderen Schau- sind. Zum Beispiel Untertitel oder Musik, platz. die die Handlung untermalt, aber nicht von einer im Handlungsraum angesiedel- Cue (Filmpsychologie, Neoformalismus): ten Quelle stammen kann. Gerade Musik Signal, Fingerzeig, Hinweis. kann oft fließend von einem diegetischen Cut Effects (Filmton): Toneffekte, die aus zu einem nicht-diegetischen Status wech- einem Archiv stammen oder speziell für seln. eine Produktion aufgenommen oder de- Distribution Fee (Filmbusiness): Pauscha- signt worden sind. Foley-Geräusche bilden le, die der Distributor eines Films für seine eine gesonderte Kategorie. Dienste, Fixkosten und das finanzielle Ri- siko veranschlagt. Im Durchschnitt be- D trägt diese Gebühr etwa 33% der Rental- Einnahmen. Deadline (Neoformalismus): Zeitultima- tum. Ein im Hollywoodkino häufig ver- Divx (Video, Computer): 1. Ein Ende der wendetes dramaturgisches Prinzip um Neunziger gegründetes und gescheitertes Spannung zu erzeugen. DVD-Verleihsystem. 2. Ein Kompressions- verfahren für Filmdateien. Dead Time-Effekt (Tricktechnik): Spezial- effekt, bei dem der Eindruck entsteht, die Dolly (Filmtechnik): Kamerawagen. Ent- Zeit im filmischen Raum sei eingefroren, weder auf Reifen oder auf Schienen. während sich die Kamera aber immer noch bewegt. E De-CSS (Video, Computer): Programmco- de, der es erlaubt, DVDs, die mit dem so Editor, editing (Filmtechnik): Verantwort- genannten Content Scrambling System ver- licher für den Filmschnitt. In Europa auch schlüsselt worden sind, abzuspielen. als Cutter bezeichnet.

Deferment (Filmbusiness): Bonuszahlung, Ellipse (Neoformalismus): Auslassung in die beim Eintritt eines bestimmten zeitli- einer Erzählung. chen oder rechnerischen Punktes bei der Enacting (Neoformalismus) : Audiovisuel- Auswertung eines Films fällig wird. le Wiedergabe von vergangenen Filmer- Development (Filmbusiness): Entwick- eignissen. Typischerweise Flashbacks.In lungsphase eines Filmprojekts bei einem diesem Buch übersetzt als „inszenieren“. Studio. Filme, die über lange Zeit in dieser Im Gegensatz zu recounting. Entwicklungsphase stecken bleiben, be- Establishing Shot (Filmtechnik): Üblicher- finden sich in der sprichwörtlichen „deve- weise eine eher distanzierte Einstellung, lopment hell“. die die räumlichen Verhältnisse und Posi- Device (Neoformalismus): Metasprachli- tionen der Figuren zueinander verdeut- cher Überbegriff für die von einem Film licht. Wird mitunter auch als Master- oder eingesetzten Mittel und Strategien. Cover Shot bezeichnet.

Diegesis, Diegese (Allgemein, Neoforma- Event Movie (Allgemein, Filmbusiness): lismus): Das fiktionale Universum eines Film mit Ereignischarakter. Meist eine gro- Films. Im Gegensatz zu filmischen Ele- ße, spektakuläre Produktion. Oft werden menten, die wir im Kino zwar sehen oder aber auch kleinere Produktionen mit ei- 256 Glossar

nem besonders neugierig machenden Ele- telbar im Film zu sehen bekommen. Ein ment als Event Movie bezeichnet. Zum Bei- auf Schlussfolgerungen und Ergänzungen spiel Stanley Kubricks EYES WIDE SHUT, der basierendes Konstrukt des Zuschauers. wegen seiner langen Drehzeit und promi- Financier-Distributor (Filmbusiness): Or- nenten Besetzung schon lange vor seinem ganisation, die die Finanzierung eines Start für Schlagzeilen sorgte. Films gewährleistet und dafür das Recht Executive (Allgemein, Filmbusiness): Lei- erhält, den Film zu vertreiben und je nach tender Angestellter. Abmachung auszuwerten. Typischerweise ein Filmstudio. Executive Producer (Filmbusiness): Titel, der üblicherweise an Personen vergeben Finsyn (US-Fernsehen, Politik): Financial wird, die einen wesentlichen Beitrag für Interest and Syndication Rules. In den Sieb- das Zustandekommen eines Filmprojekts zigern erlassene und 1995 aufgehobene geleistet haben, an dessen konkreter Aus- Regelung, die es den Broadcast Networks arbeitung aber meistens weniger beteiligt verbot, dauerhafte Rechte an Programm- sind, als der eigentliche Produzent. inhalten zu erwerben.

Extratextuell (Literaturwissenschaft, Film- First Dollar Gross (Filmbusiness): Die vor- theorie): Sich auf etwas beziehend, das teilhafteste Beteiligungsform am Einspiel- nicht Bestandteil eines anderen fiktiven ergebnis eines Films. Der Teilhaber, in der Textes ist, sondern Teil dessen, was wir Regel ein Top-Star oder Star-Regisseur, über die Realität zu wissen glauben, die wird direkt aus den Einnahmen des Distri- diesen Text umgibt. Zum Beispiel eine An- butors bedient, noch bevor dieser die Ge- spielung auf Arnold Schwarzeneggers bio- bühren für den Vertrieb und die Kosten graphischen Hintergrund als Bodybuilder für die Produktion und Werbung abzweigt. oder GODZILLA als Konkurrent von ARMA- GEDDON. (Natürlich haben wir dieses Wis- Flashback (Filmtechnik): Rückblende. sen streng genommen in der Regel auch First-Look Deal (Filmbusiness): Vertrag, über Texte erworben.) der sicherstellt, dass ein Interessent neues Eyeline-Match Cut (Filmtechnik): Schnitt- Material als erster sichten darf. montage, bei der Einstellung A den aus Foley-Geräusche (Filmton): Toneffekte, die dem Bild gerichteten Blick einer Figur von einem Geräuschemacher produziert zeigt und Einstellung B dann das Objekt, werden. Im Gegensatz zu Cut Effects in der auf das sich dieser Blick richtet. Die Blick- Regel manuell und zum laufenden Bild. richtung der Kamera in Einstellung B muss dabei nicht derjenigen der Figur ent- Foreshadowing/Planting (Drehbuchtech- sprechen. Tut sie das, haben wir es mit ei- nik): Das Platzieren von Elementen und nem Point-of-View Shot zu tun. Informationen oder Vorankündigen von Ereignissen in einem quasi noch unschul- digen Kontext, bevor diese Elemente die F für den Film entscheidende Rolle über- Fabula (Neoformalismus): Die chronolo- nehmen (Pay-off). In JAWS warnt Hooper gisch, kausal und in sonstigen Relationen (Richard Dreyfuss) seine Kollegen beiläu- korrekt geordnete Geschichte des Films. fig, dass Pressluftflaschen leicht in die Im Gegensatz zum Syuzhet, das für die oft Luft gehen können, und Quint (Robert versetzte und verschachtelte Präsentation Shaw) fügt hinzu, dass Haie so gut wie al- der Handlung steht, so wie wir sie unmit- les fressen, vielleicht sogar eine Pressluft- Glossar 257

flasche. Am Ende besiegt Brody (Roy Schei- che Kritikerrezensionen und andere Güte- der) den Hai, indem er ihn dazu bringt, siegel angewiesen ist. Oder auch als sich in einer Pressluftflasche zu verbeißen „star-driven“, insofern er mit Kevin Spacey und diese dann explodieren lässt. über einen durchaus zugkräftigen Haupt- darsteller verfügt. Ein konzeptgetriebener Frame Cut (Filmtechnik): Schnittmonta- Film wie INDEPENDENCE DAY kommt dage- ge, bei der ein Objekt den sichtbaren Bild- gen auch mit einem sehr geringen Star- ausschnitt verlässt und in der zweiten Ein- Aufgebot aus und wird vermutlich auch stellung wieder betritt. bei durchwegs schlechten Kritiken sein Franchise (Filmbusiness): In der Unterhal- Publikum฀finden. tungsindustrie Filme oder andere Stoffe, Hook, Marketing-Hook (Filmbusiness): Be- die sich auf Grund ihrer immanenten sonders pointiertes oder anderweitig inter- Qualitäten und hohen Popularität für essantes Strukturelement eines Filmpro- zahlreiche Nachfolge- und Begleitproduk- jekts, das zur Vermarktung eingesetzt wer- te eignen: Sequels, Spin-offs, Merchandise etc. den฀kann.

Housenut, Housefloor, House Allowance G (Filmbusiness): Pauschale zur Entschädi- Greenlighting (Filmbusiness): Das grüne gung der Fixkosten eines Kinobetreibers. Licht geben. Die Entscheidung eines Stu- dios, seine Mittel freizusetzen und mit der I Produktion eines Films zu beginnen. Independent (Filmbusiness): Produktions- firmen, Film-Distributoren oder Filmema- H cher, die zumindest nicht direkt mit einem High Concept: Leicht kommunizierbare der Majorstudios verbunden sind. Bei Fir- Grundidee für einen Film, der schon allein men wie Miramax oder New Line, die zwar auf Grund dieser Grundidee das Interesse immer noch eine gewisse Autonomie ge- des Publikums auf sich zieht. Das Konzept nießen, mittlerweile aber von den Majors für einen Film wie INDEPENDENCE DAY – oder deren Muttergesellschaften aufge- „Aliens greifen die Erde an und zerstören kauft worden sind, spricht man vielleicht dabei sogar das Weiße Haus“ – ist in diesem am฀besten฀von฀„Semi-Independents“. Sinne hoch. Das Konzept für einen Film In-house Produktion (Filmbusiness): Film, wie THE SHIPPING NEWS – „Der schüchterne der komplett unter dem Banner eines Stu- Guy Quoyle (Kevin Spacey) verliebt sich in dios produziert wird. Der Produzent arbei- die falsche Frau, die ihn nach einer kurzen tet als Angestellter des Studios. Ehe verlässt und stirbt. Als Reporter der Lo- kalzeitung des entrückten Fischerortes aus Intertextuell (Literaturwissenschaft, Film- dem seine Familie stammt, lernt er eine theorie): Sich auf einen anderen Text be- neue Frau kennen, entdeckt verschiedene ziehend. Zum Beispiel durch Anspielun- Familiengeheimnisse und gewinnt da- gen oder Zitate. durch allmählich sein von Kindheit an ver- schüttetes Selbstvertrauen zurück“ – ist da- K gegen eher niedrig. THE SHIPPING NEWS würde von Marketingstrategen daher eher Key Light (Filmtechnik): Führungslicht. als ein „review-driven picture“ bezeichnet Üblicherweise die hellste Beleuchtungs- werden, d.h. als ein Film, der auf ausführli- quelle in einer Szene. 258 Glossar

Klassisches Hollywoodkino, Studioära des Zuschauers in psychosemiotisch-mar- (Filmtheorie, Filmgeschichte): Überbegriff xistischen Ansätzen. für das Hollywoodkino zwischen 1917 und ca. 1960. In der Filmwissenschaft ist der Begriff vor allem durch das Standard- L werk The Classical Hollywood Cinema Limited Release (Filmbusiness): Platform (1985) von David Bordwell, Janet Staiger Release, bei dem die maximale Ausweitung und Kristin Thompson geprägt worden. auf wenige Kopien beschränkt bleibt. Klassisches Hollywoodkino wird dabei ei- nerseits als ein Set von ästhetischen Nor- Line of Action (Filmtechnik, Neoformalis- men beschrieben, die zur Ausprägung ei- mus): 1. Imaginäre Linie, die durch die nes flexiblen aber dennoch recht klar cha- Blickrichtung zweier Figuren in einer Sze- rakterisierbaren Filmgruppenstils geführt ne oder durch die Bewegungsrichtung ei- haben, andererseits als ein Produktions- nes Objekts vorgegeben wird und laut modus, der die Ausprägung dieses Stils be- 180°-Regel von der Kamera nur in Ausnah- einflusst hat und umgekehrt. Eines der mefällen überschritten werden sollte. 2. Ziele der Studie war es, ein eher neutrales Handlungsstrang eines Films. und empirisch-historisch fundiertes Mo- dell für das Verständnis von Mainstream- M kino zu entwickeln. Nicht zuletzt in Hin- sicht auf das Theoriegebäude der in den Major (Filmbusiness): Eines der großen Siebzigerjahren dominanten Psychosemio- Hollywood-Filmstudios. Warner Bros., Pa- tik. Bereits in the Classical Hollywood Ci- ramount, 20th Century Fox, Disney, Uni- nema machen die Neoformalisten deut- versal, Columbia Tristar, Metro-Goldwyn- lich, dass sich beide Bereiche, vor allem Mayer / United Artists. DreamWorks wird aber der klassische Erzählstil, auch nach meistens noch immer als Independent 1960 nicht fundamental verändert haben. klassifiziert, auch wenn es mittlerweile Eine Position, die auch in diesem Buch weitaus größere Marktanteile besitzt als weitgehend vertreten wird. beispielsweise MGM.

Konstruktivismus (Psychologie, Philoso- Match-on-Action Cut: (Filmtechnik): Schnitt- phie): Gedankenschule, die in ihrer radi- montage, bei dem sich die Bewegung ei- kalsten Ausformung davon ausgeht, dass nes Objekts aus der ersten Einstellung in wir bedingt durch die Grenzen unseres der zweiten scheinbar nahtlos fortsetzt. Wahrnehmungsapparats immer nur sub- Materializing Sound Indizes (Filmton- jektive Erfahrungen machen und daher theorie, Chion): Klangliche Elemente, die nie Zugang zur Welt an sich erlangen kön- Informationen über die konkrete Materia- nen oder objektive Erkenntnisse über sie lität der abgebildeten Objekte liefern: Be- gewinnen. Bordwell ist dieser zu Selbstwi- steht ein Objekt aus Holz oder Metall? dersprüchen neigenden Gedankenschule Wird das Geräusch durch Reibung oder sicherlich nicht zuzuordnen. Der eher bei- Kollision erzeugt? etc. läufige Verweis auf die konstruktivistische Stossrichtung dient ihm in seinem Werk Matte Painting (Tricktechnik): Gemaltes vor allem dazu, die Aktivität des Zuschau- Hinter- oder Vordergrundbild, das dann ers bei der Filmrezeption hervorzuheben, mit „Live-Action“-Material zusammenko- im Gegensatz zur passiven und durch die piert wird. Außenwelt des Films determinierte Rolle Glossar 259

Merchandise (Allgemein, Filmbusiness): steuerten Kamera aufgenommen werden. In Verbindung mit einem Film oder ande- Die exakte Wiederholbarkeit von Kamera- ren populärkulturellen Phänomenen pro- fahrten, die dieses Verfahren ermöglicht, duzierte Begleitprodukte. Vor allem Spiel- bildet eine wesentliche Voraussetzung da- zeug und Fanartikel. für, zusammengesetzte Aufnahmen zu er- stellen, bei denen sich nicht nur die im Metatextuell (Literaturwissenschaft, Film- Bild sichtbaren Objekte bewegen, sondern theorie): Status einer textuellen Aussage, auch der Kamerablickpunkt selbst. die einen Text als solchen, zum Gegen- stand hat. Im Gegensatz zu den Aussagen, Motion Simulator (Vergnügungsparks): die dieser Text über die von ihm behan- Vergnügungsparkattraktion, die das Ge- delten „gewöhnlichen“ Objekte macht. fühl von Bewegung simuliert. Schlüssel- (Mitunter wird der Begriff auch etwas an- elemente dazu sind das bewegliche Audi- ders definiert.) torium und, wie schon bei vorklassischen Phantom Rides, die Projektion eines Films, Minimum Guarantee (Filmbusiness): Ver- der die „subjektive“ Sicht aus einem be- tragliche Zusage eines später zu zahlenden wegten Fahrzeug oder ähnlichem sugge- Geldbetrages. Aus Sicht des Garantiege- riert. Eine der bekanntesten Motion Simu- bers entspricht eine solche Zahlung dem lator Rides ist das nach der „Todesstern-Se- Mindestbetrag, den er für das Produkt aus- quenz“ aus STAR WARS modellierte Star zugeben bereit ist. Möglicherweise erzielt Tours. der Garantieempfänger über die Beteili- gung an der gemeinsamen Auswertung Motivation (Neoformalismus): Die Art des Produkts aber noch weitere Einnah- und Weise, in der der Einsatz eines Ele- men. ments im Film gerechtfertigt werden kann. Zum Beispiel „realistisch“, wenn Montagesequenz (Filmtechnik): Sequenz, das, was im Film geschieht, weitgehend bei der über den Zusammenschnitt mehr mit dem übereinstimmt, was wir über die oder weniger diskontinuierlicher Mo- reale Welt zu wissen glauben oder auch mentaufnahmen, zeitlich oder räumlich nur „kompositorisch“, wenn ein Film be- ausgedehnte Storyereignisse zusammen- stimmte Dinge einfach als gegeben setzt. gefasst werden. Ein typisches Beispiel sind die Trainings- und Kampfsequenzen in MPAA (Filmindustrie): Motion Picture Asso- der ROCKY-Reihe: „Innerhalb weniger Mo- ciation of America. Interessensverband der nate wurde aus Rocky ein Anwärter auf US-Filmindustrie. den Titelkampf.“ MSO (US-Fernsehen): Multiple System Ope- Morphing (Tricktechnik): Spezialeffekt, rator. Großer Kabelnetzbetreiber. bei dem ein Objekt in einer kontinuierli- chen Transformationsbewegung in ein an- N deres überblendet wird. Negative Pick-up (Filmbusiness): Ein Film, Motion Blur (Filmtechnik, Tricktechnik): der als bereits fertiges „Negativ“ von ei- Wischeffekte, wie man sie auch von der nem Studio erworben wird. Die Finanzie- Fotografie kennt, wenn sich ein Objekt zu rung des Films erfolgt nicht direkt über schnell für die gewählte Belichtungszeit das Studio, sondern in der Regel über ei- bewegt. nen Bankkredit, der auf der Zusicherung Motion Control (Tricktechnik): Technik, des Studios beruht, den Film nach seiner bei der Objekte mittels einer computerge- Fertigstellung zu distribuieren. Als Pick-up 260 Glossar

werden mitunter auch Filme bezeichnet, Overhead (Filmbusiness): Fixkosten. die über ein herkömmliches PFD-Agree- Over-the-Schoulder Shot (Filmtechnik): ment abgewickelt werden. Das heißt Fil- Einstellung in einer Dialogszene, bei der me, die zwar auch hier von einem selbst- die Kamera so positioniert ist, dass neben ständigen Produzenten entwickelt wer- dem Gesicht der einen Figur die Schulter den, aber direkt durch das Studio finan- des Gegenübers zu sehen ist. ziert. Owned and Operated Station (US-Fernse- Narration (Neoformalismus): Filmisches hen): Lokale TV-Station, die sich im Besitz Äquivalent zum Erzähler in der Literatur. eines Broadcast Networks befindet. Von den Neoformalisten betont als Pro- zess und nicht als dinglich oder personifi- ziert vorzustellendes Phänomen charakte- P risiert. Die Instanz, die den Informations- Package-Unit-System: Der heute übliche fluss eines Films leitet und dabei mehr Produktionsmodus für Hollywoodfilme, oder weniger stark in den Vordergrund bei dem unabhängige Produzenten und treten kann. Im Hollywoodkino arbeitet Agenten Filmpakete schnüren und einem die Narration vorwiegend verdeckt. Studio zur Realisierung und Distribution Kunstfilme legen dagegen oft gerade Wert anbieten. Im Gegensatz zum früher übli- darauf, den Narrationsprozess als solchen chen Studiosystem, bei der die gesamte und damit die Künstlichkeit des Darge- Planung eines Filmprojekts innerhalb des stellten sichtbar zu machen. Studios passierte und das zur Realisierung Negative Costs (Filmbusiness): Herstel- notwendige Personal direkt beim Studio lungskosten eines Films. „Negative“ be- angestellt war. zieht sich auf das Endprodukt, der Film als Parallelmontage (Filmtechnik): Üblicher- kopierfertiges Negativ. weise wechselseitiges hin und her sprin- Net Profits (Filmbusiness): Netto-Einnah- gen zwischen verschiedenen Schauplät- men eines Films. Das, was, nachdem zen. Meistens um eine generelle Gleich- sämtliche Kosten des Films gedeckt wor- zeitigkeit der präsentierten Ereignisse an- den sind, übrig bleibt. Wann dieser Punkt zudeuten. erreicht ist, hängt von der jeweiligen Defi- Pay Cable (US-Fernsehen): Gebührenfi- nition dieser Kosten ab, vor allem aber nanziertes Kabelfernsehen. Gegen einen von der Anzahl und Höhe der Profitbetei- bestimmten Aufpreis (Premium) kann der ligungen, die der Produzent oder das Stu- Kunde diese Sender einzeln oder in Pake- dio für den Film vergeben hat. ten abonnieren.

PBS (US-Fernsehen): Public Broadcasting O Service. Ein Verbund vornehmlich durch Off the Tops (Filmbusiness): Kleinere Kos- Spenden, Universitäten und staatliche tenbeträge, die als erstes aus den Ren- Subventionen finanzierter TV-Stationen, tal-Einnahmen eines Films für das Studio die im Vergleich zum europäischen öf- abgezweigt werden. fentlichen Rundfunk eine eher unterge- ordnete Rolle spielen. Output Deal (Filmbusiness): Vertrag, der einem Produzenten die Abnahme seines Performativ (Sprachphilosophie, Spre- Produkts durch einen Auswertungspart- chakttheorie): Eine Aussage, mit der eine ner gewährleistet und umgekehrt. Handlung vollzogen wird. Mit Sätzen wie: Glossar 261

„Ich erkläre euch zu Mann und Frau“, sonstigen Finanzier sein Filmprojekt oder einem unerwarteten „Buh!“, wird schmackhaft zu machen versucht. Oft nicht eine Aussage über die Welt gemacht, wird der Begriff für solche Projekte reser- die wahr oder falsch sein kann, sondern viert, die lediglich auf der Idee für einen eine Handlung vollzogen, die unter den Film beruhen, im Gegensatz zu Projekten, richtigen Bedingungen eine direkte Aus- die bereits als fertiges Drehbuch vorlie- wirkung auf die Welt hat, sie verändert. gen. Filme führen vermutlich keine Sprechakte Plansequenz (Filmtechnik): Üblicherwei- aus, dennoch lässt sich auch hier so etwas se eher längere Einstellung, bei der eine wie eine „performative Achse“ oder Stoß- bestimmte Handlung ohne Schnitt prä- kraft ausmachen: Eine Schlacht kann im sentiert wird. Auch als long take bezeich- Film auf eine betont „neutrale“ Weise dar- net. gestellt werden: Eine weite statische Ein- stellung, die aus großer Distanz Soldaten Platform Release (Filmbusiness): Lancie- zeigt, die aufeinander losrennen. Die „per- rungsmodus, bei dem ein Film mit einer formative“ oder, wie John Austin in einer zunächst nur kleinen Kopienzahl in aus- späteren Präzisierung seiner Theorie gewählten Orten gestartet wird und dann schreibt, „perlokutionäre“ Kraft einer sol- je nach Erfolg bei Publikum und Kritik chen Sequenz wird vermutlich eher eine schrittweise Ausweitung in weitere schwach ausfallen. Umgekehrt kann der Märkte erfährt. Film seine formalen und technischen Mit- Point-of-View Shot (Filmtechnik): Einstel- tel aber auch so einsetzten, dass sie neben lung, die scheinbar exakt aus der Blick- der rein deskriptiven Funktion auch eine richtung einer im Film vorkommenden Fi- direkte Wirkung auf den Zuschauer ha- gur aufgenommen wurde und so ihre sub- ben: Verwackelte Einstellungen, Lichtre- jektive Sichtweise indiziert. flexe, akustische und visuelle Schockeffek- te beschreiben eine Situation nicht nur, Postklassisches Hollywoodkino (Filmtheo- sondern lösen beim Zuschauer unmittel- rie, Filmgeschichte): Überbegriff für die bare Reaktionen und Gefühle aus, denen ästhetischen, historischen, technologi- er sich auch dann kaum entziehen kann, schen und ökonomischen Veränderungen wenn er sich mit der Handlung oder den des Hollywoodkinos nach 1960. Synonym Figuren kaum identifiziert. wird dazu oft auch der Begriff New Holly- wood verwendet. Beide beziehen sich da- PFD-Agreement (Filmbusiness): Producti- bei heute vor allem auf das moderne on-Financing / Distribution Agreement.Ver- Blockbusterkino und weniger auf die „Au- trag, der die Konditionen für die Produkti- teur-Periode“ der späten Sechziger- und on und Auswertung eines studiounabhän- frühen Siebzigerjahre. Einer der Fehler, gig produzierten Films festlegt. der bei den ersten Definitionsversuchen gemacht wurde, ist sicherlich die Überge- Phantom Ride (Filmgeschichte): Vorklassi- wichtung des Wandels . Ähnlich wie sche Bezeichnung für Filme, die mittels per se bei der wurde postklassisches „subjektiver“ Aufnahmen aus einem be- Postmoderne Hollywood mitunter als fundamentaler wegten Vehikel den Eindruck einer Fahrt Bruch mit den Traditionen der vermitteln. Ähnlich wie bei heutigen Mo- klassischen dargestellt. Hierzu gehören un- tion Simulator Rides. Studioära ter anderem die verschiedenen Varianten Pitch (Filmbusiness): Vorstellungsgespräch, der „Fragmentierungsthese“, die behaup- bei dem ein Produzent einem Studio oder tet, Hollywood habe es verlernt kohärente 262 Glossar

und nach klassischen Mustern organisier- Presales (Filmbusiness): Nach Territorien te Geschichten zu erzählen. Beides lässt und/oder Medien aufgesplitterter Vorver- sich, wie dieses Buch zu zeigen versucht, kauf von Filmprojekten an lokale Verlei- so nicht halten. Trotzdem sind die Verän- her oder sonstige Distributoren. derungen und Intensivierungen der letz- Pre-sold Property (Filmtheorie, Filmbusi- ten 50 Jahre sicherlich markant genug, ness): Filmelement, das bereits bekannt ist um einen Begriff wie „postklassisches“ und sich optimalerweise schon zu einem oder „neues“ Hollywoodkino zu rechtfer- früheren Zeitpunkt oder in einem ande- tigen. Zumindest bietet sich der Begriff als ren Kontext als erfolgreich erwiesen hat. hilfreiche Orientierungsmarke an. Projekte mit solchen Elementen haben Postmoderne (Kunsttheorie, Philosophie, eine sprichwörtliche „built-in awareness“. Kulturwissenschaft): Ursprünglich wurde Primetime (US-Fernsehen): Hauptsende- der Begriff in der Architektur und Kunst- zeit zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr. theorie entwickelt, um eine bestimmte äs- thetische Bewegung zu charakterisieren, Prints (Filmtechnik, Business): Filmkopi- die mit verschiedenen Mitteln versucht en. hat, gewisse Engpässe der modernen Producer-Financier (Filmbusiness): Eine Kunst zu überwinden. Durch die Auswei- Produktionsgesellschaft, die über kein ei- tung seines Geltungsbereichs auf die ge- genes Distributionsnetzwerk verfügt. samte spätkapitalistische Kulturepoche und eine aufklärungskritische Wissen- Production Code, Hays Code (Filmge- schaftsströmung ist der Begriff mittlerwei- schichte): Selbstauferlegtes Zensursystem le nicht nur sehr populär, sondern leider der amerikanischen Filmindustrie aus den auch etwas verwässert worden. Dreißigerjahren. 1968 wurde der Code durch das bis heute übliche Rating-System Post-Theory (Filmtheorie): Keine Theorie- abgelöst. schule im strengen Sinne, aber der Titel ei- nes Sammelbandes, der eine Reihe von Auf- Product Placement (Filmbusiness): Das sätzen enthält, die Ansätze für eine Neu- bewusste Platzieren von Produkten oder ausrichtung in der Filmtheorie zu liefern Produktnamen in einem Film oder einer versuchen. Das „Post“ bezieht sich dabei Serie. Zum Teil gegen Bezahlung, oft aber nicht ohne Ironie auf das, was nach der auch für beide Seiten kostenlos. Überwindung des ehemals dominanten The- Profilmisch (Filmtheorie, Neoformalis- oriegebäudes der Psychosemiotik kommen mus): Die physischen Objekte und Gege- soll. Von der Psychosemiotik unterscheiden benheiten einer Szene, bevor sie gefilmt sich die neueren Ansätze vor allem durch wird. Im Gegensatz zur Diegesis, in der die- den unvoreingenommen analytischen Zu- selben Objekte Teil des fiktionalen Uni- gang und die Argumentation für ein akti- versums sind. ves฀und฀kognitives฀Zuschauermodell. Psychosemiotik (Filmtheorie): Ein in den Pre-Credits Sequence (Filmtechnik): Eine Siebzigerjahren entwickeltes und mittler- Sequenz, die eine mehr oder weniger zur weile sehr umstrittenes Theoriegebäude, Haupthandlung gehörende Episode des das versucht hat, die Wirkungsweise des Films noch vor dem Vorspann zeigt. Be- Kinos mit psychoanalytischen, sprachwis- kanntestes Beispiel sind die JAMES BOND- senschaftlichen und marxistischen Kon- Filme. Im Fernsehen wird eine solche Se- zepten von Autoren wie Jacques Lacan quenz auch als Teaser bezeichnet. oder Louis Althusser zu erklären. Zu den Glossar 263

wesentlichen Bestandteilen dieses Gebäu- Rendering (Filmtontheorie, Chion): Der des gehört die Kritik am „Realismuseffekt“ Einsatz von Ton als ein Substitut für eine des Mainstream-Kinos, der den Zuschauer unbestimmte Ansammlung von Sinnes- als ein sich fälschlicherweise als autonom eindrücken, die eine abgebildete Situation verkennendes Individuum, in Wirklich- miteinbezieht. Im Gegensatz zur naturge- keit aber von der Ideologie der Kinoappa- treuen Reproduktion von Klängen, die ratur kontrolliertes „Subjekt“ „positionie- nach realistischen Maßstäben von der ab- ren“ soll. gebildeten Tonquelle ausgehen würden.

Rental-Preis, -Kassette (Videobusiness): R Videokassette, die zu einem erhöhten Preis für den Verleihmarkt angeboten wird. Rack Focus (Filmtechnik): Ruckartige Schärfenverlagerung in einer Einstellung. Rentals (Filmbusiness): Der Anteil der Box-Office-Einnahmen, die an den Distri- Rating-System (Filmbusiness): US-Bewer- butor eines Films fließen. tungssystem für die Altersfreigabe von Fil- men. Vergeben werden die Ratings von ei- Rent-a-System, Rent-a-Distributor (Film- ner Unterorganisation der MPAA. Filme- business): Verleihgeschäft, bei dem ein macher sind nicht gezwungen, sich dieser Produzent lediglich das Distributionsnetz- Bewertung zu unterziehen. Filme ohne werk eines Studios „mietet“, um seinen Rating werden es jedoch schwer haben, ei- bereits anderweitig finanzierten Film aus- nen Kinobetreiber oder Videohändler zu zuwerten. finden, der sie vertreibt. Ähnliches gilt für Residuals (Filmbusiness): An den ur- Filme, die ein NC-17-Rating erhalten ha- sprünglichen Lohn gebundene Tantie- ben. men, die auch kleineren Darstellern und Recounting (Neoformalismus): Vorwie- Mitwirkenden zustehen und über die Jah- gend verbale Wiedergabe von vergange- re der Mehrfachauswertung eines Films nen Filmereignissen. In diesem Buch ausbezahlt werden. übersetzt als „Rapport“. Im Gegensatz zu Revenue Sharing (Videobusiness): System, enacting. bei dem der Videoanbieter direkt an den Reestablishing Shot (Filmtechnik): Rück- Transaktionen des Verleihers beteiligt wird. kehr zu einer eher distanzierten Einstel- Road Show (Filmbusiness): Lancierungs- lung nach einer Reihe von näheren Auf- modus, bei dem ein Film in einer Reihe nahmen, die den Zuschauer über die exklusiver Vorstellungen, von Stadt zu räumlichen Gegebenheiten reorientiert. Stadt getragen wird, ähnlich wie bei einer Release (Filmbusiness): Freigabe, Film- Theatertournee. Wurde vor allem für start, Lancierung. Breitwandepen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren verwendet. Remake (Filmbusiness): Neuverfilmung eines schon einmal verfilmten Stoffes. Bei Neuverfilmung einer Fernsehserie als S Kinofilm ist der Unterschied zum Spin-off Sales Agent (Filmbusiness): Verkäufer von nicht klar gegeben. Handelt es sich aber internationalen Distributionslizenzen. um eine eher alte Serie, ist es vermutlich sinnvoller von einem Remake zu spre- Saturation Release (Filmbusiness): Mög- chen. lichst flächendeckende und gleichzeitige 264 Glossar

Lancierung eines Films in einem bestimm- in entgegengesetzte Richtungen blicken, ten Territorium. Ein etwas modernerer Be- sondern in die gleiche. griff dafür ist der Wide Release. Angesichts Spec Script (Filmbusiness): Ein Drehbuch, der heute üblichen Massenstarts mit Peaks das ohne direkten Auftrag geschrieben von über 8000 bespielten Kinosälen worden ist und in diesem Sinne spekulativ spricht man aber auch heute wieder gerne auf dem Markt angeboten wird. von „Super Saturation“. Spin-off (Filmbusiness): Abspaltungspro- Schemata (Psychologie, Neoformalis- dukt. Typischerweise in zwei Varianten: mus): Mentale Muster, die auf Erfahrun- Entweder im gleichen Medium/Format gen und erlerntem Wissen beruhen und aber mit anderen Figuren oder solchen, bei der Verarbeitung von Informationen die im Original eine eher sekundäre Rolle eingesetzt werden. gespielt haben – die Serie ANGEL ist ein Selbstreferenziell, selbstreflexiv (Litera- Spin-off der Serie BUFFY THE VAMPIRE SLAYER. turwissenschaft, Filmtheorie): Status einer Oder mit den gleichen Figuren aber in ei- Aussage in einem Text, die sich auf den nem anderen Medium/Format – THE Text selbst bezieht. Im allerweitesten Sin- X-FILES MOVIE ist ein Spin-off der gleichna- ne alles, was im Film vorkommt und sich migen Fernsehserie. Im Gegensatz zum auf den Film als Medium bezieht. Im en- Remake erfolgt ein Spin-off noch während geren Sinne ein Film, der über seine eige- das Original aktuell ist. nen Konstruktionsprinzipien spricht. Style (Neoformalismus): 1. Die cinemati- Sell-through-Preis, -Kassette (Videobusi- schen Techniken, die für die Präsentation ness): Videokassette, die zu einem ver- einer Filmhandlung eingesetzt werden. günstigten Preis für den Verkaufmarkt an- Während das Hollywoodkino grundsätz- geboten wird. lich eher bemüht ist, diese Techniken hin- ter der Handlung verschwinden zu lassen, Sequel (Filmbusiness): Fortsetzungsfilm geht es Künstlern oft darum, gerade die einer üblicherweise erfolgreichen Erstpro- Mittel des Films und nicht die damit duktion. Spielt ein Sequel an einem Zeit- transportierte Handlung in den Vorder- punkt, der vor den Ereignissen der Erst- grund zu rücken. 2. Die Summe der cha- produktion liegt, spricht man auch von rakteristischen Techniken und Eigen- einem Prequel. schaften einer bestimmten Gruppe von Shot / Reverse Shot (Filmtechnik): Schuss/ Filmen. Zum Beispiel der Stil des klassi- Gegenschuss-Aufnahme. Eine Technik, die schen Hollywoodkinos oder der Stil der Fil- vor allem für Dialogsequenzen zwischen me von Jean-Luc Godard. zwei Figuren eingesetzt wird. Die erste Ein- Subwoofer (Filmton): Lautsprecher zur stellung zeigt Figur A aus einem Blickwin- Wiedergabe von Basstönen. kel, der mehr oder weniger versetzt dem ihres Gegenübers entspricht. Die zweite Syndication, Syndicated Program (US- zeigt dann Figur B aus einer ähnlichen Po- Fernsehen): Markt für Sendungen, die be- sition von Figur A aus betrachtet. In der Re- reits auf einem Broadcast Network gelaufen gel bleibt die Kamera dabei immer auf der- sind und im Rahmen der Programmgestal- selben Seite der Achse, die durch die Sicht- tung lokaler TV-Stationen wiederholt wer- linien der beiden Figuren markiert wird, da den oder Sendungen, die direkt für diesen bei einer Überschreitung der Eindruck ent- Markt produziert worden sind (First Run stehen könnte, die Figuren würden nicht Syndication). Glossar 265

Syuzhet: (Neoformalismus): Die meist ver- einer bewegten Maske und Bluescreen- setzte und verschachtelte Präsentation der Technologie zwei oder mehrere Aufnah- Ereignisse, wie wir sie unmittelbar im Film men zu einer Einstellung zusammenko- zu sehen bekommen. Gerade das verzö- piert werden können. gerte oder lückenhafte Ausspielen von Story-Informationen macht den Film für U den Zuschauer interessant, der versucht aus diesen Informationen eine chronolo- Union (Allgemein, Filmbusiness): Gewerk- gisch und logisch kohärente Geschichte schaftliche Verbindung. respektive Fabula zu konstruieren.

V T Visual Effects (Tricktechnik): Heute in der Teaser (Filmbusiness, Fernsehen): 1. Kur- Regel mittels Computertechnologie er- zer Trailer, der bereits Monate vor dem stellte optische Tricks. Im Gegensatz zur Filmstart in die Kinos kommt. 2. Im Fern- allgemeineren Kategorie der Special Ef- sehen eine Sequenz, die bereits vor dem fects, zu denen auch physische Effekte Vorspann Inhalte der jeweiligen Serienfol- wie Explosionen etc. gezählt werden. ge preisgibt. Entweder durch Präsentation Mitunter werden „sichtbare“ und „un- einiger Highlights oder indem die Hand- sichtbare“ Spezialeffekte unterschieden. lung bereits beginnt. Im Kino werden sol- Sichtbare Effekte sind solche, bei denen che Sequenzen auch als Pre-Credits Sequen- man weiß, dass es sich um einen Trick ce bezeichnet. handeln muss: Zum Beispiel Neos „bullet Tentpole Picture (Filmbusiness): Indust- dodging“ in THE MATRIX. Unsichtbare Ef- riebezeichnung für einen ökonomisch fekte sind solche, bei denen man nicht wichtigen und in der Regel sehr teuren Film. weiß und auch nicht wissen soll, dass es sich um einem Trick handelt: zum Bei- THX (Filmtechnik, Filmton): Zertifika- spiel ein unschöner Pickel auf Keanu Ree- tionsprogramm für die Qualitätsstandards ves’ Nase, der wegretuschiert werden eines Kinos. Im Gegensatz zu Dolby Digi- muss. tal, DTS und SDDS kein Tonformat. Voice-over (Allgemein): Die Stimme eines Tie-in (Filmbusiness): Kooperative Werbe- nicht-diegetischen Kommentators oder strategie, bei der eine Firma das Image ei- Erzählers. nes Film benutzt, um ihre Produkte zu be- werben, damit gleichzeitig aber auch den Film selbst bewirbt. W

Travelling Matte (Tricktechnik): Traditio- Wide Release (Filmbusiness): Siehe Satur- nelles Trick-Verfahren, bei dem mit Hilfe ation Release.

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Index

0–1 BAY WATCH 182 2001: A฀SPACE ODYSSEY 142–143,฀146,฀194 BEN-HUR 132 48 HRS.฀฀฀204 BEVERLY HILLS COP 180 9 1/2 WEEKS 179,฀181–182 BEVERLY HILLS COP-Reihe฀฀฀179 BEVERLY HILLS NINJA 125 A BILLY JACK 167 A฀BUCKET OF BLOOD 136 BLOODSPORT 177 A฀FEW GOOD MEN 57 BLOW OUT 241 A฀NIGHTMARE ON ELM STREET 177 BLOWUP 139,241 A฀STAR IS BORN 197 BLUE VELVET 72–73 A฀TIME TO KILL 208 BONNIE AND CLYDE 138–140,฀142–143 ADDICTED TO LOVE 58 BOOGIE NIGHTS 183,฀232 AIR FORCE ONE 125,฀169,฀171,฀173–175 BOWFINGER 96 AIRPLANE! 235 BRAM STOKER’S DRACULA 161 AIRPORT 143 BRAVEHEART 23,฀26 ALICE’S RESTAURANT 141–142 BRING ME THE HEAD OF ALFREDO GARCIA 142 ALIEN 164,186 BRINGING UP BABY 26 ALIENS 29, 41 BUFFY THE VAMPIRE SLAYER 264 AMERICAN GIGOLO 179–180,฀182 BULLITT 142–143 AMERICAN GRAFFITI 143, 144, 146, BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID 144 148–149,฀177 ANGEL 264 C ANIMAL HOUSE 177 CAMELOT 133 ANTZ 191 CASABLANCA 27,฀131 APOCALYPSE NOW 146,฀147 CHARLIE’S ANGELS 161 APOLLO 13 192 CHINATOWN 143 ARMAGEDDON 32, 57, 125, 163, 208–213, CITIZEN KANE 48,฀194,฀242 223, 236,฀256 CLEOPATRA 133 AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS 132 CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND 220, ATTACK OF THE CRAB MONSTERS 136 222 COCOON 150 B COMMANDO 177 BACK TO THE FUTURE 58, 59, 177, 181, 242 CON AIR 125,฀210,฀213 BACK TO THE FUTURE II฀฀฀187 CONSPIRACY THEORY 40,฀171 BACK TO THE FUTURE III 60,฀232,฀234 CONTACT 171,฀175 BADLANDS 143 COURAGE UNDER FIRE 40 BALALAIKA 23 CUTTHROAT ISLAND 80 BASIC INSTINCT 39, 40,฀179 BATMAN 92,฀169,฀173,฀181,฀184–185 D BATMAN &฀ROBIN 171,฀173–174,฀175 DANCES WITH WOLVES 24 BATMAN RETURNS 198 DANTE’S PEAK 163 BATMAN-Reihe฀฀฀17,฀118 DARLING LILI 133 BATTLESTAR GALACTICA 197 DAYLIGHT 169 268 Index

DEATH BECOMES HER 189 G DEEP IMPACT 57,฀163–164, 165, 223 GANDHI 49 DELIVERANCE 142–143 GEORGE OF THE JUNGLE 175 DER SCHUH DES MANITU 121 GET SHORTY 240 DICK TRACY 92,฀198 GHOSTBUSTERS 163,฀164 DIE HARD 174, 204, 208–209, 212, 229– GIGI 62 230, 236 GLADIATOR 87 DIE HARD 2฀฀฀30,฀204,฀234 GODZILLA 119, 161, 164, 185, 210, 223, DIE HARD:฀WITH A VENGEANCE 32 236,฀256 DIRTY DANCING 179 GOING THROUGH THE TUNNEL 216 DOCTOR DOLITTLE 133,156 GONE WITH THE WIND 27 DOCTOR ZHIVAGO 133 GOODBYE,฀MR. CHIPS 133 DOG DAY AFTERNOON 143 GREASE 167 DON’T LOOK NOW 48,฀70 GREMLINS 177 DRIVE,฀HE SAID 142 GROUNDHOG DAY 24,฀155–156,฀฀฀208 GRUMPY OLD MEN 150 E E.T.฀฀฀92 H EARTHQUAKE 143,196–197 HALLOWEEN 177,฀233,฀235 EASY RIDER 141–143 HARRY POTTER AND THE CHAMBER OF SECRETS ED WOOD 32, 33 116, 223 EL CID 132 HARRY POTTER AND THE SORCERER’S STONE ELECTRA GLIDE IN BLUE 142 7,฀10,฀97,฀116,฀118,฀123,฀167,฀173,฀185 Enemy฀of฀the฀State฀฀฀74,฀210 HEAVEN’S GATE 77,฀174,฀243 Execution฀of฀Czolosz 218 HELLO DOLLY!฀฀฀133 Executive฀Decision฀฀฀213 HERCULES 171 Exploding฀a฀Whithead฀Tornado 217 HIS GIRL FRIDAY 26,฀242 Eyes฀Wide฀Shut฀฀฀152,฀256 HOME ALONE 92 HOT SHOTS!฀฀฀235 F HOUSE OF WAX 221 Face/Off฀฀฀57,฀171,฀175,฀208,฀209 HUSBANDS 142 Fame฀฀฀179 Fantasia฀฀฀195 I Fast฀Times฀at฀Ridgemont฀High฀฀฀177 IMAGES 142 Fatal฀Attraction฀฀฀179 IN COLD BLOOD 142 Ferris฀Bueller’s฀Day฀Off฀฀฀177 IN THE COMPANY OF MEN 125 Final฀Fantasy฀฀฀193 INDEPENDENCE DAY 26, 30, 152, 164, 174, Five฀Easy฀Pieces฀฀฀142 184,฀210, 222,฀223,฀232,฀234,฀257 Flash฀Gordon-Serie฀฀฀146 INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF DOOM Flashdance฀฀฀163,฀179–180,฀182 31,฀65, 222 Flatliners฀฀฀177 INDIANA JONES-Trilogie 152, 188, 220, 230, Foolish฀Wives฀฀฀242 242 Footlose฀฀฀179 INNERSPACE 198 Forrest฀Gump฀฀฀96 INTERVIEW WITH THE VAMPIRE 49 FRIDAY THE 13TH 177 FROM HERE TO ETERNITY 235 J FUNNY GIRL 133 JADE 179 FUTUREWORLD 186 JAMES BOND –฀DIE ANOTHER DAY 88 Index 269

JAMES BOND –฀GOLDENEYE 119 MISSION TO MARS 163 JAMES BOND-Reihe฀฀฀118,฀230,฀262 MISSION:฀IMPOSSIBLE 161,฀223, 224 JAWS 11, 145–149, 152, 164, 167, 185, 220, MISSION:฀IMPOSSIBLE II 85 243 MONSTERS INC. 83 JAMES BOND –TOMORROW NEVER DIES 29, MOONLIGHTING 230 119 MUTINY ON THE BOUNTY 132 JEWEL OF THE NILE 180 MY BEST FRIEND’S WEDDING 171,฀175 JFK฀฀฀96 JUMANJI 26 N JUNIOR BONNER 142 NASHVILLE 143 JURASSIC PARK 40, 117, 152, 164, 173–174, NICK OF TIME 51 184–186,฀189–190,฀198,฀212 NIGHT MOVES 143 NOBODY’S FOOL 208 K KING KONG 167 O KISS ME DEADLY 238 OCEAN’S ELEVEN 254 KLUTE 142 OLIVER!฀฀฀133 OUT OF AFRICA 27 L OUT OF SIGHT 70, 71 L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD 46 OUTBREAK 26 LA PASSION DE JEANNE D’ARC 70 LAST ACTION HERO 11,฀198,฀231 P LAWRENCE OF ARABIA 49,฀132 PAN-AMERICAN EXPOSITION BY NIGHT 219 LE VOYAGE DANS LA LUNE 214, 219 PAT GARRETT AND BILLY THE KID 142 LES CARTES VIVANTES 220 PEARL HARBOR 26,฀152 LETHAL WEAPON-Serie฀฀฀183 PERSONA 46 LIAR LIAR 155 PLANET OF THE APES 161 LISZTOMANIA 197 PLATOON 92 LITTLE BIG MAN 142 POKÉMON 117 LIVING IN OBLIVION 41 POLTERGEIST 144,฀152 LOLITA 179 PORKY’S 177 LORD OF THE RINGS:THE FELLOWSHIP OF THE PREDATOR 164 RING 81,฀123,฀185,฀193 PRETTY IN PINK 177–178,฀181 LOVE STORY 27,฀132,฀146 PRETTY WOMAN 152 PRIMAL FEAR 26 M PSYCHO 62,฀144 M*A*S*H฀฀฀142–143 PULP FICTION 11, 40, 48, 77, 163, 164, 238, MA VIE EN ROSE 125 240–฀242 MACHINE-GUN KELLY 136 MCCABE &฀฀MRS. MILLER 142 R MEAN STREETS 143 RAGING BULL 147 MEDIUM COOL 143 RAIDERS OF THE LOST ARK 222 MEN IN BLACK 163,฀164,฀171,฀173,฀175 RAMBO:฀FIRST BLOOD 79,฀164,฀177,฀230 MIAMI VICE 182 RAMBO:฀FIRST BLOOD PART II฀฀฀208–209 MIDNIGHT COWBOY 142–143 RANSOM 57 MIDWAY 197 RASHOMON 40 MISSING IN ACTION 177 REAR WINDOW 236–237 MISSING IN ACTION-Zyklus฀฀฀164 RED PLANET 163 270 Index

REPO MAN 238 T RESERVOIR DOGS 240 TARGETS 143 ROBOCOP 198 TAXI DRIVER 142,฀241 ROCKY 126,฀163 TEACHING MRS. TINGLE 234 ROCKY-Reihe฀฀฀177,฀182,฀259 TEENAGE DOLL 136 ROLLERCOASTER 197 TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES 117 ROPE 51 TERMINAL VELOCITY 213 ROSEMARY’S BABY 143 TERMINATOR 230, 237, 280, 180, 230, 237, 242 S TERMINATOR 2:฀JUDGEMENT DAY 188–189 SARATOGA 62 THE ABYSS 188 SATURDAY NIGHT FEVER 163, 167, 179, 235 THE ANDROMEDA STRAIN 47 SAVING PRIVATE RYAN 210–211 THE AVENGERS 161 SCENT OF A WOMAN 24 THE AWFUL TRUTH 26 SCHINDLER’S LIST 208 THE BIRDS 144 SCREAM 11,฀30,฀163,฀233–236,฀242 THE BLACK DIAMOND EXPRESS 215 SECONDS 143 THE BLAIR WITCH PROJECT 93, 124 SESAME STREET 114 THE BOSTON STRANGLER 47 SE7EN 32 THE BREAKFAST CLUB 177, 181 SHREK 191 THE BRIDGE฀ON฀THE RIVER KWAI 132 SISTERS 47 THE BRIDGES฀OF MADISON COUNTY 27, 58 SIXTEEN CANDLES 177 THE CARPETBAGGERS 75 SLEEPLESS IN SEATTLE 122 THE CINCINNATI KID 26 SLIVER 179 THE COLOR PURPLE 148 SOUTH PACIFIC 132 THE CONVERSATION 143, 241 SPARTACUS 132 THE DEER HUNTER 147 SPAWN 171 THE DREAM OF A RAREBIT FIEND 220 SPEED 174,฀209,฀213 THE ENGLISH PATIENT 27, 48 SPEED 2: CRUISE CONTROL 169, 171, 174–175 THE EXORCIST 11, 144–145, 149, 234, 243 SPIDER-MAN 86,฀116,฀173 THE EXORCIST II: THE HERETIC 167 SPLASH 156 THE FALL฀OF฀THE ROMAN EMPIRE 133 ST.฀ELMO’S FIRE 177 THE FIRST WIVES CLUB 150 STAR 133 THE FRENCH CONNECTION 142, 143 STAR TREK 117 THE GETAWAY 142, 143 STAR TREK 2:฀THE WRATH OF KHAN 187 THE GODFATHER 11, 143–145, 149, 243 STAR WARS:EPISODE I–THE PHANTOM MENA- THE GODFATHER II 143 CE 7–8,฀33,฀186,฀200, 223 THE GOONIES 177 STAR WARS EPISODE II: ATTACK OF THE CLO- THE GREAT TRAIN ROBBERY 215, 217 NES 7, 84,฀93 THE HUNGER 182 STAR WARS EPISODE IV:ANEW HOPE 145, THE KING฀OF MARVIN GARDENS 142 147 THE LAST DETAIL 142 STAR WARS EPISODE VI: RETURN OF THE JEDI THE LAST PICTURE SHOW 142 47,฀197 THE LAST STARFIGHTER 187, 190 STAR WARS-Saga 7, 8, 10–11, 32, 33, 78, 92, THE LONG GOODBYE 142 93, 97, 117, 146–150, 164, 186, 197, THE LONG KISS GOODNIGHT 40 208–฀209,฀220,฀243,฀259 THE LONGEST DAY 132 STARSHIP TROOPERS 32,210 THE LOST WORLD 164, 171, 173–174 SUSPICION 42 THE MAN฀WITH฀THE GOLDEN ARM 139 Index 271

THE MAN฀WITH฀THE X-RAY EYES 136 TOMB RAIDER 161,185 THE MASK฀OF ZORRO 161 TOOTSIE 17, 39 THE MATRIX 18, 54–55, 57, 223, 224, 238, TOP GUN 179–180,฀182–183 265 TOY STORY 119,฀188 THE MGM PARADE 131 TRON 186–187,฀189–190 THE MOON฀IS BLUE 139 TRUE CRIME 57 THE NAKED GUN 235 TWINS 231 THE PARADINE CASE 194 TWISTER 26, 32–38, 43, 51, 71–72, 76, 164, THE PARALLAX VIEW 143 209–210,฀213, 222,฀224, 225,฀244 THE PEACEMAKER 26 THE PLAYER 232 U THE POSEIDON ADVENTURE 143 UNDER SIEGE 174 THE RED SHOES 53 UNDER SIEGE 2฀฀฀174 THE ROBE 132,฀195, 221 UP CLOSE &฀PERSONAL 27 THE ROCK 57, 208, 210 THE SEARCHERS 241 V THE SHIPPING NEWS 257 VERBORGENE FESTUNG, DIE 146 THE SIXTH SENSE 44, 53 VOLCANO 163–164,฀208,฀210 THE SOUND฀OF MUSIC 133, 135, 140 THE STING 144 W THE SWIMMER 142 WAR AND PEACE 132 THE TEN COMMANDMENTS 132, 135 WAR GAMES 177 THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 144 WARNER BROTHERS PRESENTS 131 THE THIN RED LINE 46 WATERWORLD 32,฀43–44 THE THOMAS CROWN AFFAIR 47, 142 WEIRD SCIENCE 177 THE TOWERING INFERNO 143 WESTWOLD 186 THE TWENTIETH CENTURY FOX THEATRE 131 WHEN HARRY MET SALLY 49–50,฀152 THE USUAL SUSPECTS 45, 48 WHITE NIGHTS 179 THE WEDDING SINGER 183 WHO FRAMED ROGER RABBIT?฀฀฀105,฀106 THE WILD ANGELS 136 WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?฀฀฀139 THE WILD BUNCH 142 WILLOW 188 THE WIZARD฀OF OZ 226 WOODSTOCK 141 THE฀X-FILES 164, 237–238 THE X-FILES –THE MOVIE 264 Y THERE’S SOMETHING ABOUT MARY 66–69, YOU’VE GOT MAIL 47 72–73 YOUNG SHERLOCK HOLMES 188 THEY SHOOT HORSES, DON’T THEY?฀฀฀48 THIS IS CINERAMA 221 Z THX 1138 143,฀144 ZABRISKIE POINT 142 TITANIC 7, 26–27, 57, 121–122, 152, 164, 165, 185, 186, 191–192, 194, 210, 223, 242,฀244 Neuerscheinung Neuerscheinung

Stefan Rogall (Hrsg.) Burkhard Röwekamp Steven Soderbergh Vom film noir zur méthode noire und seine Filme Die Evolution filmischer 240 S., Pb., über 700 Abb. Schwarzmalerei € 16,80/SFr 29,40 240 S., Pb., 300, teilw. farb. Abb. ISBN 3-89472-340-8 € 19,80/SFr 34,40 Mit Beiträgen von Hans Gerhold, ISBN 3-89472-344-0 Daniel Kothenschulte und Uwe Rasch Die Arbeit dokumentiert und analysiert die Entwicklung des Das Buch zeichnet den unge- Noir-Films anschaulich von den wöhnlichen Werdegang Soder- Anfängen bis in die Gegenwart, berghs anhand seiner höchst von„ A Bout De Souffle“ über individuellen Filme nach. „„Chinatown“ bis hin zu L.A Eine ausführliche Bebilderung mit Confidential“. Szenenfolgen, eine umfassende Eine ausführliche Literatur- und Filmografie, Literaturhinweise und Filmliste rundet die Arbeit ab. ein exklusives Interview mit Steven Soderbergh runden das Buch ab.

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