Corinna Haeger
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Corinna Haeger Doctor of Philosophy The University of Edinburgh 2011 1 Abstract of Thesis This PhD thesis examines the pre-exile writings of Soma Morgenstern, a Jewish- Austrian writer born in 1890 in Brody, Galicia. Morgenstern moved to Vienna before he was forced to flee from the Nazis to Paris, where he lived with Joseph Roth. A few years later, he left for New York, where he died in 1976. The 1990s saw the publication of a complete edition of his works, and since then researchers have started, albeit slowly, to pay closer attention to his writings. Nevertheless, even up to present day there has barely been any detailed academic treatment of his writings (1921-1938) of the interwar period. The aim of this thesis is to explore Morgenstern’s fictional and dramatic works and his Feuilleton in terms of formal as well as content, focussing on aspects such as his representations of Jewish identities found between the wars not only in urban Vienna and Berlin but also in rural Galicia. I aim to show how Morgenstern’s works present a new awareness of traditional Jewish values. These, however, are always critically reflected, ironically refracted and occasionally even parodied. An introduction to the corpus is followed by the second chapter, which focuses on places and the way urban and rural spaces are construed in Morgenstern’s works. In Chapters 2 and 3 I will analyse a selection of prominent characters in Morgenstern’s writing and the semiotics of characters’ clothes in interdependency with concepts of identity. The last chapter explores the treatment of the First Austrian Republic in Morgenstern’s interwar works, focussing more closely on the Habsburg-Mythos as well as the growing anti-Semitism of that period in urban and rural spaces. 2 „WANDERN UND NICHT VERZWEIFELN“: RAUM UND IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN IN SOMA MORGENSTERNS ZWISCHENKRIEGSPROSA (1921-1938) INHALT I EINLEITUNG....................................................................................................... 5 1. ZUM ZIEL DIESER ARBEIT.................................................................................. 5 2. DAS WIEDERENTDECKTE WERK EINES VERGESSENEN?ANMERKUNGEN ZUR REZEPTIONSGESCHICHTE SOMA MORGENSTERNS NACH 1945............................ 19 3. JÜDISCHE IDENTITÄTEN UND ZWISCHENKRIEGSZEIT ...................................... 30 3.1 Kulturelle Identität und Judentum .............................................................. 30 3.2. Juden in Galizien Anfang des 20. Jahrhunderts ......................................... 39 II. „WANDERN UND NICHT VERZWEIFELN“: SOMA MORGENSTERNS WERK 1921-1938.................................................................................................. 41 1. SOMA MORGENSTERNS ZWISCHENKRIEGSWERK:EINFÜHRUNG ..................... 42 1.1 Soma Morgenstern als Dramatiker: ER oder ER und Im Dunstkreis ........... 44 1.2 Soma Morgenstern und das Feuilleton ........................................................ 50 1.3 Soma Morgensterns Romantrilogie Funken im Abgrund ............................. 66 2. SCHAUPLÄTZE:STADT,LAND UND DAS DAZWISCHEN ..................................... 74 1.1 Urbane Räume: Metropole und Moderne .................................................... 81 1.1.1 Quietschvergnügt, quietschsachlich: Wien versus Berlin ..................................................................81 1.1.2 Feindliche Blicke auf die Großstadt? Wien als Wahrnehmungs-Chóc .............................................90 1.1.3 Exkurs: Fragmentarisches Wohlergehen im Kaffeehaus....................................................................99 1.2 Sumpf versus Berg? Konzepte von ruralem Raum...................................... 107 1.3 Tradition inmitten der Stadt: Agudas Jisroel und Raumstruktur ................ 121 3. „KAFTANJUDEN“, „ASSIMILANTEN“ UND „UMKEHRER“: FIGUREN UND JÜDISCHE IDENTITÄTEN..................................................................................... 128 3.1 Großstadtfiguren in Funken im Abgrund................................................... 128 3.1.1 Assimilitis einer „schönen Jüdin“: Weiblichkeit und jüdische Identität ..........................................128 3.1.2 Männliches Großstadtpersonal als Beispiel gelungener Symbiose ..................................................142 3.2 Fremde zwischen Stadt und Land: Vater und Sohn auf der Suche.............. 145 3 3.3 „Ostjuden“: Zwischen Orthodoxie und Distanz......................................... 155 3.3.1 Chassidim und Klerikale..................................................................................................................155 3.3.2 Distanz zur jüdischen Tradition: Jankel der Goj..............................................................................161 4. KLEIDUNG UND IDENTITÄT ............................................................................ 171 4.1 Kleidung und Identität im urbanen Raum ................................................. 177 4.1.1 Zwischen Nichtigkeit und Gewichtigkeit: Kleidung und Männlichkeit..........................................177 4.1.2 Damen, Ulanen, Kostüme: Kleidung und Weiblichkeit...................................................................187 4.2 Kaftan und Röhrenstiefel: Kleidung im ruralen Raum ............................... 195 5. DIE ERSTE REPUBLIK:ZWISCHEN VERGANGENHEIT UND GEGENWART ....... 200 5.1 Der Blick zurück: Mythisierte Vergangenheit zwischen den Kriegen ......... 203 5.1.1 Habsburggelb gestrichen: Wien und die Tradition...........................................................................203 5.1.2 Konstruktion von Vergangenheit und Tradition jenseits des Zentrums ...........................................211 5.2 Konstruktion der Gegenwart: Die Erste Republik...................................... 219 5.2.1 Großstädtischer Antisemitsmus: Juden im Wien der Zwischenkriegszeit........................................223 5.2.2 „Zwischen Hammer und Amboß“: Antisemitismus im galizischen Raum ......................................230 III. RESÜMEE .................................................................................................... 238 IV. LITERATUR................................................................................................. 246 4 I Einleitung 1. Zum Ziel dieser Arbeit In seinem Feuilleton Großes Wiener Taubenschießen,1 erschienen am 21. Juli 1928 in der Frankfurter Zeitung, nicht allzu lange nach dem Justizbrandmassaker in Wien,2 fasst Soma Morgenstern unter dem Schlagwort der „Exzesse des goldenen Herzens“ (DFF 178) all jene Themen zusammen, die in seinem Zwischenkriegswerk dominant werden sollen: Das Verhältnis der Ersten Republik zur eigenen Vergangenheit, den Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Moderne und Tradition, die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild und schließlich den Identitätskonflikt vor allem der österreichischen Juden, die man plötzlich „als zersetzendes, also fremdes Element des Landes zu verweisen“ (DFF 178) geneigt ist. Dieses Feuilleton ist eine Bestandsaufnahme der Ersten Republik, gleichwohl eine sehr subtile. Doch der Bericht über die Tauben, die im Zuge einer „Säuberungsaktion“ (ebd.) von den kostbaren Wiener Denkmälern vertrieben werden sollen, liest sich wie eine Parabel, die die Symptome der Zeit genau erkennt. Nicht zufällig verweist der Terminus „Säuberungaktion“ bereits hier, im Jahr 1928, auf die nationalsozialistische Vernichtungsrhetorik und damit auf das sich verschärfende politische Klima der Zwischenkriegsjahre. Anders als die deutsch-jüdische Literaturgeschichte gründet die österreich- jüdische, wie Dagmar Lorenz nachweist, nicht zuletzt auf dem Mythos des 1 Soma Morgenstern: Großes Wiener Taubenschießen (FZ 21. Juli 1928). In: Dramen, Feuilletons, Fragmente. S. 176-179. Alle Feuilletons werden fortan jeweils bei erster Nennung mit Titel und Datum sowie Angabe der Sigle DFF samt entsprechender Seitenzahl zitiert. Im Übrigen folgt die Zitation Burkhard Moenninghoff, Eckhardt Meyer-Krentler: Arbeitstechniken Literaturwissenschaft. 9., vollständig überarbeitete u. aktualisierte Auflage. München: Wilhelm Fink 2001 (= UTB für Wissenschaft 1582). 2 Der Zusammenstoß zwischen Republikanischem Schutzbund und Frontkämpfervereinigung in Schattendorf fordert am 30.1.1927 zwei Todesopfer. Als in dem Prozess die Angeklagten freigesprochen werden, kommt es am 15.7.1927 zum Brand des Justizpalastes und von der Polizei gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen mit zahlreichen Toten und Verletzen. Verantwortlich für diese Eskalationen waren Bundeskanzler Seipel sowie der den Deutschnationalen 5 multinationalen Habsburgsreiches als goldenem Zeitalter, in dem friedliches und nahezu gleichberechtigtes Zusammenleben möglich war.3 Vor allem in der Nachkriegsliteratur nach 1945 werden österreichische Figuren im Unterschied zu „wahrhaft grausamen“ deutschen Nazis als Verführte dargestellt mit einem „golden heart, popularly ascribed to the Viennese and later unmasked by Helmut Qualtinger as a sloppy and sentimental form of cruelty.“4 Diesen Aspekt des vorgeblich „goldenen Herzens“ verarbeitet Morgenstern bereits in der Zwischenkriegszeit, ehe er nach dem Holocaust sozusagen wiederbelebt wird und als Grundlage für ein Wienbild dient, dass sich in vielen Zügen (u.a. auch die touristenfreundliche Inszenierung Wiens) mit Morgensterns Wienkonstruktion deckt, der diese Aspekte schon vor dem Zweiten Weltkrieg herausarbeitet. Vor allem in der Behandlung jüdischer Themenkomplexe wird ein elementarer Unterschied zwischen der österreichischen und der deutschen Literaturgeschichte