HMU 907317 DIE WUNDER UNSERER LIEBEN FRAU Gedichte zum Lob der Jungfrau Maria, von Gautier de Coincy (1177-1236) auf mittelalterliche volkstümliche Liedweisen vertont

“Es gab dort allerlei Instrumente, und die Musikanten sangen mit volltönender Stimme. Und sie wussten aufs schönste allerlei volkstümliche Lieder zu singen. Und mit trefflicher Sangeskunst boten sie Motetten und Conductus dar.” – Panthère d’Amors, Nicole de Margival, 13. Jahrhundert1

“Warum sollten wir die gute Musik dem Teufel allein überlassen?” – Popsong, Larry Norman, 19772

enn die Troubadours Südfrankreichs Wind säten, waren es um 1200 die Trouvères, ihre nordfranzösischen Vettern, die Sturm ernteten. Der hochtrabende, von höfischen Idealen W geprägte Charakter der provenzalischen Liebeslyrik und die gelehrte Überfeinerung der akademisch gebildeten Dichter wurde durch die schalkhafte Respektlosigkeit der Kathedralsänger und den allbekannten Sittenverfall der Pariser Studenten, durch die Vitalität und Derbheit der Musiker aus den unteren Gesellschaftsschichten und die unchristlichen Ausschweifungen bäuerlicher Feste auf den Boden der Wirklichkeit heruntergeholt. Das Daniel-Spiel, das heute als eine Glanzleistung des musikdramatischen Schaffens im Mittelalter gilt, ist nicht als Beitrag zu den Lustbarkeiten des Festes geschrieben worden, sondern um die an diesem Tag übliche lärmende Zecherei zu zügeln und in Grenzen zu halten. Die Subdiakone der Kathedrale von Beauvais nahmen das Narrenfest zum Vorwand, um – im Innern der Kirche – allerlei Unfug zu treiben: Eselreiten, lautes Lachen, Lärmen und Herumrennen, Klatschen, Tanzen und auf Instrumenten spielen, unmotiviertes Läuten der Kirchenglocken, Zechen, Würfeln und Wahrsagen auf dem Altar, Gewalt und offene Respektlosigkeit gegen die Priesterschaft. Durch das Einbeziehen dieses Treibens in den geordneten Ablauf einer dramatisierten biblischen Geschichte, zumal einer Geschichte, die schlechtes Betragen wie dieses als eine Eigenschaft der gottlosen Babylonier anprangerte, konnte die Kirche das gotteslästerliche Tun als geistliches Lehrbeispiel präsentieren und durch die Darstellung eines heidnischen Narrenfestes auf unverfängliche Weise jede Äußerung übermäßiger Fröhlichkeit im Bereich der Kirche unterbinden. In den Jahren, die der Niederschrift dieses Ludus Danielis vorausgingen, arbeitete Gautier de Coincy, der Prior des nahegelegenen Klosters Vic-sur-Aisne, an seinem eigenen magnum opus, das ebenfalls darauf abzielte, weltliche Begierden in geistliche Bahnen zu lenken. Sein Werk Les Miracles de Nostre Dame enthält Darstellungen zahlreicher, der Legende nach von der Jungfrau Maria gewirkter Wundertaten, in die nach dem Vorbild des Roman de la rose, eines zeitgenössischen weltlichen Versromans, lyrische Gebete und Lieder eingeflochten sind. Wie Jacques Chailley ausführt, der im Geburtsjahr des Verfassers des vorliegenden Artikels die erste Gesamtausgabe der Lieder herausgegeben hat, begann Gautier um das Jahr 1218 damit, lateinische Mirakelerzählungen in Versform ins Französische zu übersetzen. Sein Werk wurde zum Vorbild für viele später entstandene volkssprachliche Sammlungen von Miracles, insbesondere die Cantigas de Santa María von Alfonso el Sabio, der sogar einige Verse von Gautier paraphrasiert hat auf Melodien, die sich in der mündlichen Überlieferung Spaniens bis heute als Volkslieder erhalten haben. Das Meisterwerk von Gautier enthält auch eine Ermahnung in Versen über die Keuschheit, die an die Nonnen von Notre-Dame de Soissons gerichtet ist. Gegenstand dieser Ermahnung ist die Superiorität der mystischen Vermählung dieser “Bräute Christi” gegenüber der irdischen Vermählung; er verwendet dazu Volksweisen und Lieder über die malmariée (die Frau, die unglücklich verheiratet ist mit einem älteren Mann, der vielleicht reich, aber impotent ist). Chailley umschreibt die Ausführungen des Priors wie folgt: “Es ist nichts Unrechtes daran, dass ihr diese Refrains singt, doch habt ihr eine Liebe gewählt, zu der ihre klagenden Texte nicht passen. Singt deshalb von eurer mystischen Liebe und gebraucht statt des weltlichen Textes, der uns allen bekannt ist, Worte nach dem folgenden Muster.” Zusammen mit dieser Ermahnung gibt er ihnen eine geistliche Dichtung an die Hand, der weit verbreitete Refraintexte zugrunde liegen, und unterstreicht auf diese Weise seine Miracles mit neugeschaffenen moralisierenden Liedtexten zu Melodien von Liebesliedern der Trouvères.

1 Contrafactum einer Verszeile von Gautier de Coincy, Prior von Vic-sur-Aisne: “chançonetes et conduis” 2 Contrafactum einer Predigt von Rowland Hill, Pfarrer der Surrey Chapel, 1844: “Es sollten dem Teufel nicht alle guten Weisen überlassen bleiben.”

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Gautier, geboren in Coincy-l’Abbaye bei Soissons, verbrachte nahezu sein ganzes Leben in unmittelbarer Nähe seines Geburtsortes, man ist allerdings geneigt anzunehmen, dass er an der Pariser Universität studiert hat. Als Jüngling trat er in das Kloster Saint-Mèdard in Soissons ein, und dorthin kehrte er in seinen letzten Lebensjahren als Grand Prieur Claustral zurück. Das etwa 200 Jahre später verfasste Manuskript von Soissons ging im 17.Jahrhundert, also noch einmal 200 Jahre später, als Schenkung an eine Äbtissin von Notre-Dame. Diese Handschrift ist die prächtigste und wertvollste von allen bis heute erhaltenen Quellen der Miracles, die einzige in großem Format, eine Handschrift, die durch die Makellosigkeit der kalligraphischen Ausführung und die herrlichen Miniaturen besticht, mit denen sie ausgeschmückt ist, aber auch durch die Qualität und Zuverlässigkeit der Übertragung durch den Kopisten. Chailley führt aus, die Gegend von Soissons sei “fruchtbarer Boden” gewesen, auf dem die Trouvères vielfältige Anregungen “finden” konnten. (Beide Begriffe, das provenzalische trobador und das trovere aus dem Francien, bedeuten “Finder”; es kommt darin der Gedanke zum Ausdruck, dass die besten Lieder gefunden, nicht gemacht werden.) Dichter wie Thierry de Soissons, Raoul de Soissons, Richard de Fournival, der Châtelain de Couci und stammten aus dieser Gegend an der Straße zwischen Champagne und Picardie, die ebenfalls bedeutende Schaffenszentren der Trouvères waren. Gautier de Coincy war ein Zeitgenosse von Thibaut de Champagne, Blondel de Nesles, Gace Brulé, Gautier de Dargies und (muset bedeutet “Sackpfeife”), dem Dichter-Sänger aus bürgerlichem Milieu. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass als Aufnahmeort der vorliegenden Einspielung eine im heutigen Departement Aisne (benannt nach dem Fluss, der durch Soissons fließt) gelegene Abtei gewählt wurde, die im 12.Jahrhundert bereits eine anerkannte Einrichtung war. Bei den Mirakelerzählungen handelt es sich also um Übersetzungen aus dem Lateinischen, während die Lieder Gautiers nach dem Vorbild der Liebeslyrik der Trouvères abgefasst sind. Das ganze Spektrum der in der höfischen Liebesdichtung üblichen Gestaltungsmittel kommt darin zur Anwendung, doch ist ihr Gegenstand nicht die Liebe zu einer irdischen, wenn auch idealisierten Frau, sondern zu der heiligen Jungfrau Maria. Der Trouvère-Praxis entsprechend, die Geliebte hohen Standes nur umschreibend zu benennen, verwendet Gautier biblische, allgemein gebräuchliche oder neu geprägte Bezeichnungen: “mystische Rose”, “Herrin der Welt”, “Himmelskönigin”, “Mutter der Eintracht”, “hehre Geliebte”, “Jungfrau, wie Honig so süß”. Ließen die Trouvères ihren Argwohn und ihren Unwillen an den Rivalen um die Gunst der von ihnen erwählten Gebieterin aus, so richten sich die Angriffe Gautiers gegen diejenigen, die andere – irdische – Frauen lieben, und er bedient sich dazu einer sehr drastischen Sprache: er nennt sie “verdammt”, “verloren”; irdische Liebe ist “Tücke und Verrat”, “Unzucht”, “Schurkerei”; sie ist “übelriechend und stinkt”. Der Dichter selbst ist eine “verwaiste Seele”, “unrein” und “unkeusch”, aber seine Gebieterin – “rein”, “untadelig”, “lauter”, “Mutterbrust, aus der Milch und Honig fließen”, “Jungfrau voll des Wohlgeruchs” – wird ihn “geleiten an den süßen Ort”. “Gefühlvoll, inbrünstig, beinahe krankhaft übersteigert”, so urteilt Chailley. “Mag Marion besingen, wer will, ich besinge Maria. Jedes Jahr habe ich ihr den Tribut einer Reverdie zu zollen”, mit diesen Worten leitet Gautier seine Miracles ein; es geht nicht mehr um die kleinen Leute Robin und Marion und die weltlichen Balladen, deren Gegenstand sie sind, sondern um eine Reverdie, ein Frühlingslied in gehobener Sprache, das Maria wie die dem Lehnsherrn geschuldete rente, die jährliche Abgabe, dargebracht wird. An anderer Stelle bezeichnet Gautier diejenigen, die Maria ergeben sind, als rentiers – ein rentier ist einer, der seinem Herrn oder seiner Herrin durch die Treuepflicht eines Lehnsmannes verbunden ist. “Solange ich lebe, bin ich ihr als rente, als Unterpfand höfischer Liebe, alljährlich eine Ballade oder einen Conductus schuldig.” Gautier scheint als Erster den französischen Begriff conduit für das lateinische conductus verwendet zu haben: wörtlich bedeutet der Begriff “zusammengeführt” oder, um den modernen Musikbegriff zu gebrauchen, “im Ensemble”. Der Conductus war in einem klaren Rhythmus geschrieben, der es den in einer Prozession schreitenden Personen leichter machte, den Gleichschritt zu halten. Solche rhythmischen Weisen waren in idealer Weise für die mehrstimmige Ausarbeitung geeignet, da der klare Rhythmus die zwei oder mehr Sänger im Takt hielt, selbst wenn sie unterschiedliche Melodielinien sangen. Der Conductus entwickelte sich deshalb auch zu einer eigenen Gattung der Mehrstimmigkeit, die vielfach bei liturgischen Prozessionen Verwendung fand. Der Conductus war auch eine literarische

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Gattung mit klarer metrischer Gliederung und rhythmischer Durchformung und mit Perioden gleicher Länge. Diese Art der Versdichtung war nicht nur für die Vertonung im Conductus-Stil hervorragend geeignet, sondern auch für die improvisierte Mehrstimmigkeit, die gestützt auf altüberlieferte Modelle der Volksmusik von einschlägig geschulten Musikern entwickelt wurde, begünstigt durch die rhythmische Struktur der Conductus-Dichtung. Die Komponisten des Mittelalters verwendeten häufig präexistente Melodien, etwa ein Fragment einer Choralmelodie oder eines weltlichen Liedes, als Tenor (Hauptstimme in mehrstimmigen Conductus), wobei unbekümmert Geistliches und Weltliches, Latein und Volkssprache vermischt wurden. Die Trouvère-Pastourelle Hyer matin a l’enjournee diskantiert in 2- und 3-stimmigen polyphonen Vertonungen von Notre Dame de Paris melodiös über einem Choral-Tenor Benedicamus Domino. (Die untextierte dritte Stimme der Motette wird in der vorliegenden Einspielung auf die üblichen Solmisationssilben des mittelalterlichen Hexachords ut re mi fa so la gesungen.) Diesen lateinischen Tenor hat Gautier fallen gelassen, und so entstand ein einstimmiges Lied mit einem geistlichen Text, der durch Umdichtung auf feinsinnige Weise der weltlichen Chanson nachempfunden ist. Die mittelalterliche Ästhetik hatte eine große Vorliebe für solche Contrafacta (Anleihen und Nachdichtungen), und häufig ist nicht mehr festzustellen, welches das Original und welches die geistreiche Abwandlung ist. Gautier war einer, der Anleihen bei anderen machte, es machten aber auch andere Anleihen bei ihm: so finden sich in seinem Werk Contrafacta von Trouvère-Liedern, Choralmelodien und Conductus-Sätzen der Notre-Dame-Schule; die Cantigas de Santa María und die Carmina Burana wiederum enthalten Contrafacta von Melodien, die den Miracles entnommen sind. Einige dieser Melodien sind in den mündlich überlieferten Bestand der Volksweisen eingegangen. Es gibt Vermutungen, der Diskant von De la sainte Leocade könnte von Gautier selbst sein, während es sich beim Tenor um ein Contrafactum eines Conductus von Perotinus handelt, der auch als Melodie des einstimmigen Entendez tuit ensemble Verwendung findet. Die wundervolle Melodie von Royne celeste dürfte der Form einer lateinischen Sequenz nachgebildet sein, doch findet sie sich ausschließlich in den Miracles. Auch die Texte Gautiers sind häufig geistliche Contrafacta weltlicher Lyrik, die Incipits und Refrains zitieren oder mit großem Geschick ganze Gedichte paraphrasieren. Långfoss, der in den 1930er Jahren die Texte Gautiers herausgegeben hat, charakterisierte ihn als einen Dichter mit einem ausgeprägten Eigenstil, der über einen größeren Wortschatz als jeder andere französische Dichter verfügte und der sich seiner Sprache mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit bediente. Man mag seinen Hang zu gekünsteltem Versbau mit gesuchten Reimen belächeln, doch wird dies durch seine hohe sprachliche Meisterschaft, seinen inbrünstigen Glauben und sein tiefes dichterisches Empfinden bei weitem aufgewogen. Wie geistreich Gautier ist, zeigt sich in der Behandlung des lateinischen Anagramms EVA (Eva, deren Name untrennbar verbunden ist mit der Lehre von der Erbsünde) – AVE (das erste Wort der Anrede “Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade”, mit der sich der Engel Gabriel anschickte, Maria die Geburt Christi zu verkündigen.) Das Anagramm ist deshalb Sinnbild der mystischen Läuterung der Seele, die Sünde in Erlösung verwandelt. Mit der Übersetzung in die Volkssprache ergibt sich für Gautier ein zusätzlicher sprachlicher Effekt: durch Umkehrung der Aussprache des französischen Namens Eve erhält er die lateinische Silbe VE (Leid). Er kostet das sinnliche Vergnügen der Klangmalerei mit der Stimme eines Dichter-Sängers aus: “Eva, das ist Bitternis und Galle, Maria, das ist Süßigkeit und Honig. Der Name Evas wird in meinem Munde häufig zu Maria.” Von dieser sinnlichen und intellektuellen Lust an sprachlicher Virtuosität ist jede Zeile der Miracles durchdrungen. Häufig bildet Gautier rimes dérivatives, Reime gleich klingender Wörter wie sert / desert (dient, verdient) oder Homonyme wie fin / fin (in der Bedeutung “erhaben” als Adjektiv, aber “Ende” als Substantiv) oder monde / monde (“rein” und “Welt”), oder er reimt lateinisch gracia (Anmut) auf französisch grace i a (Gnade wird zuteil). Manchmal kommt es zur Häufung vieler Gleichklänge innerhalb weniger Zeilen. Diese beharrliche Wiederholung bedeutsamer Wörter in ständig wechselnder grammatikalischer Form hat in der französischen Versdichtung eine Wirkung, die an die religiöse Verzückung einer lateinischen Litanei oder die mystische Symbolik eines fernöstlichen Mantras erinnert.

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Das vielschichtige Geflecht von Contrafacta und Anspielungen, das den Miracles (und dem gesamten Trouvère-Repertoire) zugrunde liegt, ist in den Refrains besonders dicht gewirkt. Ein Refrain ist nicht nur der ständig wiederkehrende Leitgedanke eines einzelnen Liedes, er stellt auch Zusammenhänge zu anderen Liedern her und knüpft an eine reiche Tradition der bukolischen Dichtung über Schäferliebe, durch Wiesen streifende junge Mädchen oder unter dem grünen Olivenbaum tanzende Damen an. Gautier gibt Ja pour hyver mehrere verschiedene Refrains bei und setzt der kunstvollen Gestaltung und dem sittlich belehrenden Ton der Verse (einem Contrafactum des Li plus se plant d’Amours von ) als Gegengewicht volkstümliche Weisen und allgemein bekannte Texte entgegen, die, obwohl sie unverändert übernommen werden, in diesem geistlichen Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung annehmen. Der diesem Werk innewohnende Kontrast zwischen gehobenem und volkstümlichem Stil ergibt sich aus dieser Verwendung “anspruchsloser” Refrains neben “anspruchsvoller” Trouvère-Rhapsodik, aber auch aus der Grundidee der Miracles, die darin besteht, kunstvoll gebaute Lyrik auf altbekannte Weisen zu vertonen. Die höchste Stilebene bildet der unbegleitete Trouvère- bzw. Kirchengesang in literarisch vollendeter, gewählter Ausdrucksweise, in langen Verszeilen mit kunstvollem Versbau und gefällig wechselndem Versmaß. Auf einer weniger hohen Stilebene treten Instrumente hinzu, am anspruchsvollsten Fiedel und Harfe, Schlagwerk als das geringste unter ihnen. Merkmale der untersten Stilebene sind kurze, knappe Verszeilen mit einprägsamen Reimen und starker Rhythmik: die Sprache ist einfach und geradeheraus. In neuerer Zeit haben Instrumentalisten aus mittelalterlichen Quellen eine ganze Palette hoch entwickelter Improvisationstechniken rekonstruiert. Bordun, Parallelbewegung in Quarten und Quinten, extemporierter Discantus, Kadenzformeln und Heterophonie (gleichzeitige Ausführung verschiedener Varianten ein und derselben Grundmelodie) sind Techniken, durch deren Anwendung die einfache Linie der einstimmigen Melodie spontan zu einem klangvollen Stimmengefüge ausgebaut werden kann. The Harp Consort hat eine Vorreiterrolle bei der Ausdehnung dieser Techniken auf die Refrain-Sänger übernommen, die bei der Wiedergabe volkstümlicher chançonetes einen Chor vokaler Heterophonie improvisieren. Die komponierte Mehrstimmigkeit gehobenen Stils billigte einigen Solosängern sogar noch größere Freiheiten hinsichtlich unaufgelöster Dissonanzen und unüblicher Fortschreitungen zum Erreichen der Kadenz zu, wie in den zweistimmigen Conductus und einer dreistimmigen Motette zu hören ist. Volkstümliche Lieder und geistig anspruchsvollere Formen galten als gesonderte Gattungen, bei ländlichen Festen wurden aber beide nebeneinander dargeboten. In der oben zitierten Schilderung aus Panthère d’Amors ist von der Vortrefflichkeit instrumentaler und vokaler Kunst die Rede, von chançonetes, Motetten und Conductus, und alles bezieht sich auf das Musizieren “im Wald”. Inhaltlich knüpfen viele Conductus an Lieder über die Schäferliebe oder über Hochzeitsfeste an, Motive, die in den Miracles als Metaphern geistlich-religiöser Liebe Verwendung finden. Jean de Meun schreibt im Roman de la rose: “So finden sie, von der Freude beflügelt, unaufhörlich Motetten, Conductus und volkstümliche Lieder singend, die Liebe im grünen Gras, inmitten der Blumen, unter dem Olivenbaum.” Im Prolog der Miracles de Nostre Dame sinniert Gautier de Coincy über gute Musik und den Teufel und stellt in einer schwärmerischen Betrachtung über chant und enchantement (Gesang und Bezauberung) seine eigenen “chançonetes et conduis” vor:

Mögt ihr sie singen, diese klugen Chansons, die gleisnerisch blenden mit Gelächter und Torheit, ich will solche Lieder nicht singen, in denen zu viel Weinen und Unglück steckt. Allzu oft weint die Seele und wird ernüchtert durch den Sänger, der solche Lieder singt. Wollt ihr den Feind bezaubern, solltet ihr von Unserer Lieben Frau singen, für die die Engel Tag und Nacht singen. Wer immer Ihr süßes Loblied singt, bezaubert den Teufel und singt ihn in den Schlaf. So lauscht mir nun, wie ich singe... – Andrew Lawrence-King Übersetzung Heidi Fritz

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1. Cui donrai je mes amours Es ist nicht zu leugnen, dass der verloren ist und verdammt, Wem sollte ich meine Liebe schenken, der Sie nicht liebt, Sie nicht ehrt und Ihr nicht dient. wenn nicht Euch, Gottesmutter? Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... 2. “Liebe, die es versteht zu entzücken...” (instrumental) Lasst uns alle Sie lieben, die taufrische Rose, 3. Hui matin a l’ajournee die herrlich blühende Blume, in Der der Heilige Geist Wohnung nahm. Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen, Sie ist eine Geliebte ohnegleichen. wahrlich, so ist es. Wer Sie liebt und Ihr Lob singt, Wer mir zuhört, der wisse, den wird Sie nicht vergessen, dass der besser blind wäre und taub, Sie wird ihm vielmehr nach seinem Tod der sich von Maria abwendet wegen Marot*. das ewige Leben geben. Der hat den Garten des Himmelreichs Heute früh bei Tagesanbruch schon jetzt für sich gewonnen, schwang ich mich aufs Pferd und ritt der von der Liebe zu Ihr beseelt ist. in raschem Lauf durch eine Wiese, Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. da fand ich ein kleines Blümlein Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... von schöner Gestalt: auf die Blume, die mich entzückte, So bitte ich nun die Königin, richtete ich alsbald mein Augenmerk. die Herrscherin der Welt, Und ich schrieb an die sechs Strophen Die die Quelle ist, das Gefäß, auf die himmlische Blume: durch Die alles rein wird und geläutert, Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. Sie möge meine elende Seele reinwaschen, Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... meine unreine und unkeusche Seele, auf dass sie schließlich untadelig sei, Mag Mariette besingen, wer will, von Grund auf lauter und rein, ich besinge Maria. und Sie möge uns alle huldvoll geleiten, Jedes Jahr habe ich Ihr den Tribut aus diesem Jammertal in Ihr herrliches Land. einer Reverdie zu zollen. Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. Sie ist die Blume, das Veilchen, Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... die prächtig blühende Rose, die einen Duft verströmt, 4. “Holde Gebieterin, schenkt mir Eure Liebe! der uns alle beglückt. Ich liebe nur Euch allein” (instrumental) Ein Duft, der lieblicher ist als der einer jeglichen Blume, 5. Ma viele vieler veut un biau son der Duft der holden Mutter des Herrn. Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. Meine Fiedel Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... ist begierig, eine schöne Weise zu spielen

Mag Robin seine Schätzchen besingen, Für die Schöne, mag der Einfältige die Einfältigen besingen, Die den schönsten Namen hat von allen, besingst aber du sie, Gelehrter, Die Gott einst erwählte, kommen gewiss nur Torheiten heraus. um in Ihr Mensch zu werden, Lassen wir diese alten Hirtenlieder beiseite, und Der im Himmel mit lautem Schall dieses alte Geplänkel, die Engel und Erzengel lobsingen. singen wir neue Lieder Meine Fiedel... mit schönen Texten, einer schönen Melodie, für die Blume, Wer von seiner Seele der ohne Unterlass die bittere Galle hinwegnehmen will, die Engel lobsingen bei Tag und bei Nacht. der muss Tag und Nacht zu Ihr beten, Ich gebe jedem den Rat, Sie zu lieben und Sie zu preisen. zu Unserer Lieben Frau. Oh! Dies ist ein Lied ohnegleichen... Lasst uns, um Sie zu lieben, die törichte Liebe von uns weisen. Lassen wir ab von der törichten Gewohnheit Wer Sie nicht von Herzen zärtlich liebt, einer Liebe, die Narrheit gebiert: kann sich wirklich unglücklich nennen. oft muss seine Kurzweil teuer bezahlen, Meine Fiedel... wer sich ihr hingibt. Lasst uns die Schöne lieben, die Sittsame, die Sanfte, die Stille, die so edlen Sinnes ist, dass Sie niemanden täuscht.

* weltlicher Begriff für Maria/Mariette

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Dem Mann und der Frau, 14. Conductus: Hyer matin a l’enjournee die fromm und ergeben der Jungfrau Maria dienen, Discantus: Gestern früh bei Tagesanbruch in Der, uns zu erlösen, schwang ich mich aufs Pferd und ritt der Gott der Liebe in raschem Lauf durch die Wiesen Mensch geworden ist, auf der Suche nach dem Abenteuer. ist im Himmel schon das Lager bereitet. Dort fand ich eine Maid Eine Kammer haben sie dort und ein Haus. von schöner Gestalt. Meine Fiedel... Es erfüllt mich aber mit Sorge, dass sie keine Notiz von mir nahm. Taufrische Rose, Ein holdes Lächeln hatte sie Lilie, der Heckenrose Blüte, und eine heitere Miene, wer Dein Lob singt, strahlende Augen in einem schönen Gesicht. wer Dich liebt und von ganzem Herzen Dir dient, Sie war allein und sie sang: der hat den rechten Pfad gefunden, der zum Himmel führt, Oh! Oh! Oh! doch weit zurückgeblieben sind die, Sie sang einen Refrain, die keinerlei Tribut Dir zollen. an dem sie großen Gefallen fand, Meine Fiedel... und immer wieder und wieder aufs neue beklagte sie, 6. “Ich muss mit aller Inbrunst singen, dass ihre Gefährtin Marot fern von ihr war. wenn ich an sie denke” (instrumental) Tenor: Fa sol fa, mi sol la... 7. Cui donrai je mes amours? 15. Motette: Hyer matin a l’enjournee / Benedicamus Domino Wem sollte ich meine Liebe schenken, wenn nicht Euch, Gottesmutter? Triplum: fa fa mi, re re mi... Motetus: Gestern früh... (siehe Track 14) 8. “Wenn ich diese Blümlein blühen sehe” (instrumental) Tenor: Lasset uns den Herrn preisen. 9. Puisque voi la fleur novele 16. Ja pour yver, pour noif ne pour gelée

Wenn ich die neue Blume erblicke, Mich kümmert der Winter nicht viel, kann nichts mich davon abhalten, nicht Schnee und nicht Eis, nicht Kloster, nicht Klause, nicht Zelle, nie werde ich mich so übertölpeln lassen, nicht Abtei, nicht Einsiedelei, nie so faul, stumm oder mutlos sein, die Jungfrau Maria zu besingen, dass ich aufhöre, die erhabene Gebieterin die verehrte Gebieterin zu besingen, im Himmel dort oben. die Jesus Christus geboren hat Keiner könnte mit seinem Lied und in Ihren Armen hielt. je eine Schönere besingen. Jedes Jahr mache ich für die gesegnete Jungfrau 10. “Ich will still von einer ruhigen und ein neues Lied, das mich friedlichen Liebe singen” (instrumental) das ganze Jahr über erheitert. Wer nach der Liebe zu Ihr trachtet, 11. Conductus: De la sainte Leocade der kann von sich sagen:

Der heiligen Leocadia, Ihr fühlt nicht der ruhmreichen Jungfrau, wie ich süß wie Honig, liebreizend, der Liebe süßen Schmerz. hold und voller Erbarmen, sollten wir, so scheint es mir, Es sollte die Liebe, gedenken und sie lobpreisen. die fleischlichen Begierden dient, Möge Gott durch ihre Fürsprache nicht Liebe uns alle aufnehmen in Seine Herrlichkeit! genannt werden. Und bitte, makellose Jungfrau, Wenn die Seele durch sie deinen lieben Freund, auf ewig verdammt ist, Er möge uns führen und uns geleiten ist das nicht Liebe, in des Himmels Herrlichkeit. sondern Tücke und Verrat. Deshalb trachte ich 12. “Mein Wunsch ist es, von einer höchst edlen nach der Liebe der Seligen, Frau zu singen” (instrumental) die Trost ist für die Seele; 13. “Bei Gott, verschwindet, wenn ihr nicht liebt” (instrumental) diese Liebe ist es, nach der ich mich sehne und die mir gefällt.

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Ihr fühlt nicht... als einzigen Lohn erbitte ich als ein Zeichen Eurer Gunst Ihr, die ihr Sie liebt, eine Krume Eurer Liebe nur. die edle Rose, die prächtig erblühte, Sie ist mir teurer in Der der Heilige Geist als alles Gold Friesiens*. Wohnung nahm und verweilte, ihr werdet dadurch Holde Gebieterin, schenkt mir Eure Liebe! das ewige Leben erlangen, Ich liebe nur Euch. doch lasst euer Herz nicht unbeständig werden und schwanken. Meine Gebieterin, Eure Liebe Ihr aber, die ihr hat so große Macht, voll Tücke und lügnerisch liebt, dass jeder, der auch wisset, dass vor Gott nur ein Stückchen von ihr besitzt, eure Liebe eitert und stinkt. gewiss sein kann, er wird die Liebe Ihr werdet verdammt sein und die Gnade des Himmelskönigs erlangen. eurer Unzucht wegen. Es tut deshalb Not, Euch zu dienen und Euch zu lieben. Bei Gott, verschwindet, Wahrlich, es ist kein Mensch wenn ihr Sie nicht liebt. so verabscheuenswürdig vor Gott, dass er nicht Erbarmen finden kann bei Ihm, Wen es nach einer wenn er Euch bereitwillig dient. köstlichen Freundin verlangt, Es dient Euch keiner, der liebe mit lauterem Herzen ohne dass es ihm zum Guten gereicht. das unwandelbar ist, die Eine, von Der Gott sprach Wem sollte ich meine Liebe geben, durch den Mund des Jesaja, wenn nicht Euch, Gottesmutter? Die dem Stamm Jesse entspross, Die geboren ward und heranwuchs. 17. “Die Liebe, die mich beseelt, ermuntert mich Er entsage und schüttle sie ab zu singen” (instrumental) die schändlichen Leidenschaften, der törichten Liebe rufe er zu: 18. Royne celestre “Pfui, fort mit dir!” Wenn er all das getan hat, Himmelskönigin, dann spreche er beherzt: segensreich war Deine Geburt, denn Du wirst Pforte Bei Gott... und Fenster des Himmels genannt. Du bist von so edlem Geblüt, Suchen wir das Korn, selige Jungfrau, lassen wir fahren das Stroh, dass im Himmel zu Seiner Rechten lassen wir ab von der Liebe, Gott Dich gekrönt hat: die der Seele Reichtümer raubt, denn an Deiner Mutterbrust, lieben wir von ganzem Herzen die so süß wie Honig ist, und mit unserem ganzen Sein Die, hat Sein lieblicher Mund ohne Deren Liebe getrunken und wurde gestillt. wir Gott nicht fassen können. Erhabene Gebieterin, Der handelt klug, der bestrebt ist, selige Jungfrau, Ihre Liebe zu gewinnen. die ganze Welt betet zu Dir, Wisset, es liebt Sie keiner, allerorten bittet man Dich. sei es auch noch so wenig, Erhabene Jungfrau, rein und unbefleckt, der dadurch nicht von Dir geht der Morgentau aus, sehr an Wert gewönne. mit dem Du alle Geschöpfe genährt und erquickt hast. Wie ich so ohne Unterlass an Sie denke, Glorwürdige Königin, werde ich besser, das glaube ich, Du wardst zu unserem Wohle geschaffen, werde ich besser, es kann nicht anders sein. denn Du bist süßer und lieblicher und tausendmal köstlicher Von Gott und von der ganzen Welt als neuer Wabenhonig. geliebte Gebieterin, Zeichne den aus von ganzem Herzen singe ich und hebe den hervor, Euer Lob und verherrliche Euch. der Dir angenehm war. Auf die Liebe zu Euch, Gewiss kann ich von dem, die mich ergreift und die in mir brennt, der nicht mit aller Kraft danach trachtet, habe ich häufig Dir vor aller Augen zu dienen, Verse und Lieder gemacht:

* Friesland, heute Holland

THE HARP CONSORT 7 MIRACLES OF NOTRE-DAME HMU 907317 DIE WUNDER UNSERER LIEBEN FRAU Gedichte zum Lob der Jungfrau Maria, von Gautier de Coincy (1177-1236) auf mittelalterliche volkstümliche Liedweisen vertont

ein für alle Mal sagen, dass er seine Seele verlieren Ach, ich Unglücklicher, ich habe so viel gesündigt, und dass sie verdammt sein wird. dass mein Leben davon ganz besudelt ist. Der aber, der Dir dient, Mein Herz ist verhärtet, hat sich Gottes würdig erwiesen. ich glaube, ich werde Segensreich war Deine Geburt. dem Feuer der Hölle nicht entgehen. Mutter der Eintracht, Quell der Gnade, lass mir Frieden und Versöhnung angedeihen. Muttergottes, Maria, Die Sünde hat mich ganz beschmutzt und zuschanden gemacht. was immer ein Mensch tut, Quell der Süßigkeit, habe Erbarmen, er wäre töricht, Dich zu vergessen. versöhne mich mit Deinem Sohn, Wende uns Dein Antlitz zu, mancherlei Zwietracht das so lieblich ist, hast Du schon geheilt, und nimm von uns alle Schlechtigkeit. Quelle der Barmherzigkeit. Duftende Rose, frisch erblühte, 19. Conductus: S’amours dont sui espris die ganze Welt verherrlicht Dich und verneigt sich demütig vor Dir: Die Liebe zu Ihr, die mich ergriffen hat, denn in Dir hat Der Wohnung genommen ermuntert mich zu singen. und in Dir erschafft sich neu, Ich verehre Sie und ich singe das Lob Der aus dem Nichts Derer, Die die ganze Welt preist. alle Dinge gemacht und erschaffen hat. So manches Mal veranlasste Sie mich, Wer sich lauteren Herzens Dir ergibt, über Ihre großen Verdienste nachzusinnen, wer Dich liebt und Dir dient und zu Dir betet, wie auch die Wohltaten, die ich von Ihr empfing. dem weist Du bald den rechten Weg Jetzt bete ich zu Ihr, Sie möge meine Seele erheben, und bewahrst ihn vor Torheit. Sie möge sie emporheben In Dir ist keine Täuschung, in den Garten der Wonnen, keine Listigkeit und kein Falsch, der Ihre Wohnstatt im Himmel ist. kein Lug und kein Trug. Deshalb hat der die richtige Wahl getroffen, 20. Entendez tuit ensemble et li clerc et li lai der sich Dir vermählt. Du besitzt Schönheit Eva gab uns dem Tod anheim und Rechtschaffenheit, und brachte das Leid [Ve] über uns, Mut und vornehmen Sinn. das Ave aber brachte uns Hilfe Es begeht keine Torheit, und erlöste uns alle. wer Dich zu seiner Freundin erkiest. Denn wer Dich von ganzem Herzen liebt, Merkt auf, ihr alle, mit dem wird es gewiss ein gutes Ende nehmen Priester und Laien, und das ewige Leben ist sein. hört diesen Gruß an Unsere Liebe Frau, Deshalb verneige ich mich vor Dir, süßeren Gesang weiß keiner. deshalb huldige ich Dir, Kein Gesang kann lieblicher sein Dir, Jungfrau Maria. als das Ave Maria; dies ist der Gesang, den der Engel sang, Taufrische und makellose Rose, als Gott sich vermählte. die Du erfüllt bist vom Heiligen Geist, Eva gab uns dem Tod anheim... Du bist Tochter und Mutter des Sohnes von Gott, unserem Herrn. Ave [Gruß] Der, So makellos rein Die der Engel “voll der Gnade” nannte, und heilsam war Dein Wesen, Gebieterin, in Dir ist so viel dass Dein Vater in Dir Freude und Vollkommenheit, menschliche Gestalt und Fleisch annahm. dass der Heilige Geist Gebieterin, die Du so heilig bist Dich zu seinem Tabernakel machte. und so vollkommen, Wer das nicht glaubt, dass der Heilige Geist ist gewiss verloren und verdammt. über Dich kam und Du von ihm empfingst, Eva gab uns dem Tod anheim... vernimm meine Klage und habe Erbarmen mit mir: Ave, in Deinem gesegneten Schoß meine Lampe ist erloschen, schlief der Herr. und meine Seele ist der Hölle versprochen. Keiner schlummerte je Gebieterin, habe Erbarmen mit mir in so würdiger Kammer. und löse die Schlinge, Dein gesegneter Schoß dass der Teufel, der mich umfasst und mich bindet, hat Den getragen und genährt, nicht länger Gewalt über mich hat. Den Himmel und Erde nicht fassen Bevor der Tod mich verschlingt, und in sich schließen können. hilf, dass ich mich frei machen kann Eva gab uns dem Tod anheim... von Schlechtigkeit und von Sünde.

THE HARP CONSORT 8 MIRACLES OF NOTRE-DAME HMU 907317 DIE WUNDER UNSERER LIEBEN FRAU Gedichte zum Lob der Jungfrau Maria, von Gautier de Coincy (1177-1236) auf mittelalterliche volkstümliche Liedweisen vertont

Ave, Jungfrau Maria, Ave, wenn Du nicht wärst, Du bist gebenedeit wäre die ganze Welt verdammt, unter den Frauen! Gott aber hat Dich Keiner ist so töricht und dumm schon vor der Erschaffung Adams gewollt, – will er nicht, dass seine Seele um die schwere Wunde zu heilen, entflieht und in die Hölle fährt – die Eva uns schlug. dass er Dir nicht auf Knien Wer Dich nicht liebt und nicht ehrt, Tag und Nacht huldigt. wird nie die Liebe Gottes erringen. Eva gab uns dem Tod anheim... Eva gab uns dem Tod anheim...

Ave, die Frucht Deines Leibes Ave, gütige Jungfrau, ist der König der Engel. duftender Balsam, Die Juden wollen es nicht glauben, die Dir dienen und Dich lieben, so sollen sie verbrennen!1 sind voll des Wohlgeruchs. Die Rose geht aus dem Dornbusch hervor, Jungfrau voll Wohlgeruch, die Blüte aus der Dornenranke, Dein Duft ist stärker das sollten sie endlich begreifen, als der von zweimal fünhunderttausend die Wegelagerer und Mörder. Duftwässern und Salben. Eva gab uns dem Tod anheim... Eva gab uns dem Tod anheim...

Ave, Jungfrau Maria, Lasst uns alle mit lauterem Herzen schon zur Zeit des Pharao die Jungfrau Maria bitten, wusste die Weissagung von Dir das wir durch Ihre Hilfe leben durch den Stab Aarons. und in Ewigkeit Wohnung haben bei Dem, Die süße Frucht Deines Leibes Der, um uns das Leben zu geben, hat für uns die Bedeutung am Kreuz gestorben ist. des Stabs ohne Wurzeln, Hier endet das Lied der dennoch grünte. des Priors von Vic. Eva gab uns dem Tod anheim... Eva gab uns dem Tod anheim...

Ave, Jungfrau, von Der Jesaja in seinen Weissagungen sprach, Daniel und Jeremia, auch sie kündeten von Dir, viele andere, Gebieterin, weissagten Deine Geburt tausend Jahre und mehr vor der Menschwerdung Christi. Eva gab uns dem Tod anheim...

Ave, ein erquickender Tau fiel vom höchsten Himmel, Milch und Honig strömten von den Hügeln und Bergen, als Deine gesegnete Mutterbrust Jesus Christus nährte. Die Juden wollen es nicht sehen, bis der Antichrist kommt. Eva gab uns dem Tod anheim...

Ave, wenn so viele von Dir künden, sind die Juden vor Zorn außer sich, die Erde soll sie verschlingen wie Datan und Korach!* Mein Herz hasst sie so, ich kann es nicht leugnen, dass ich, wäre ich König, sie alle in ein tiefes Loch werfen ließe. Eva gab uns dem Tod anheim...

1 Die christliche Strenggläubigkeit des Mittelalters verlangte von Gautier de Coincy, den “Ungläubigen” gegenüber intolerant zu sein und sie zu verurteilen. Dieser Standpunkt des 13.Jahrhunderts wird von The Harp Consort in keiner Weise geteilt oder gebilligt.

* Sie wurden vernichtet, weil sie gegen Mose revoltierten (Num 16)

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