Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte Bd. 40, 2019, S. 91–117

Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang

Han F. Vermeulen, Halle (Saale)

Abstract1 „Welche Ethnologie meint man?“ In der deutschspra- chigen Literatur der Nachkriegszeit wird sowohl von Die Geschichte der Ethnologie beginnt für viele erst ab Ethnologie im Sinne einer Völkerkunde als auch im 1860 mit Adolf Bastian in Deutschland und E. B. Tylor Sinne einer Volkskunde (oder „national ethnology“) in England oder seit 1887 mit Franz Boas in den USA gesprochen; im englischsprachigen Raum spricht man bzw. um 1898 mit Émile Durkheim und Marcel Mauss von „cultural anthropology“ und „social anthropo- in Frankreich. So kann man es in den Lehrbüchern logy“; und neuerdings hört man in Deutschland von lesen: Die Wurzeln der Ethnologie liegen im 19. Jahr­ einer „Sozial- und Kulturanthropologie“. So war die hundert; die deutsche Ethnologie fängt mit Bastian an. Lage um 1980; so ist sie seit der Wende in Deutschland Ähnlich wird die Anthropologie oft mit dem Wirken von und Osteuropa im Allgemeinen. Es gibt eine Vielfalt Rudolf Virchow in Berlin verbunden. Meine Recherchen von Konzepten und Richtungen, die Außenseiter wie haben jedoch ergeben, dass beide Disziplinen bereits im Einheimische kaum durchschauen können. Jedes 18. Jahrhundert entstanden sind, und zwar als parallele Handbuch der Ethnologie hat sich mit diesen Fragen Entwicklungen in unterschiedlichen Wissensbereichen. auseinanderzusetzen: Wie definiert man das zu behan- Im diesem Artikel werde ich auf beide Entwicklun­ delnde Fach; mit welchen Autoren fängt man an? So gen Bezug nehmen und zeigen, dass die Ethnographie stellte auch Bastian in seiner Vorgeschichte der Ethno­ 1732−1747 im Rahmen der Erforschung Sibiriens von logie die Frage, „wann die Ethnologie zuerst in’s Leben dem Historiker G. F. Müller als eine beschreibende und getreten” sei (Bastian 1881b: 12). vergleichende Studie aller Völker hervortrat; dass die Übersieht man die Literatur im englischen, fran- Ethnologie 1771−1775 von A. L. Schlözer in Göttingen zösischen oder deutschsprachigen Raum, dann fällt als eine allgemeine Völkerkunde weiterentwickelt und auf, dass die Antworten gestaffelt sind. Ethnographie 1781−1783 von A. F. Kollár in Wien als ethnologia de­ gab es bereits in der Antike bei Herodotus, Tacitus finiert wurde; und dass die Anthropologie als eine „Na­ und Strabo; sie wurde im Mittelalter von Reisenden, turgeschichte des Menschen“ durch Linné in den Jahren wie Carpini, Rubruck, Marco Polo, Mandeville, oder 1735−1758, Buffon von 1749−1777 und durch Blumen­ von Historikern, wie Ibn Battuta oder Ibn Khaldūn, bach in den Jahren 1775−1795 herausgebildet wurde. betrieben; erfuhr einen Aufschwung mit den übersee- Diese Entwicklungen kann man bis zur Gründung der ischen Reisen von Columbus, Da Gama usw. im ersten BGAEU im Jahr 1869 nachvollziehen. Zeitalter der Entdeckungen (1450−1700); wurde von spanischen und französischen Historikern, wie De Einleitung Acosta, Oviedo, De las Casas, De Sahagún, De Léry oder Lafitau, in der neuen Welt weitergeführt; in der Am Anfang meiner wissenschaftshistorischen For- französischen und schottischen Aufklärung von Philo- schungen in Leiden, in den Jahren 1980−1982, stand sophen, wie Montesquieu, Voltaire, Helvétius, Diderot die Frage „Wann beginnt die Ethnologie?“ Diese oder Ferguson, Smith, Kames, Robertson, betrieben; scheinbar naive Frage warf eine weitere Frage auf: und im 18. Jahrhundert von Prä-Romantikern, wie

1 Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten bei der Berliner bara Rieprecht, Volkmar Schüller, Dirk Nijland, Reimar Sche- Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte fold, Justin Stagl und Wieland Hintzsche. Anett C. Oelschlägel (BGAEU) in Berlin-Dahlem am 25. Februar 2019. Teile dieses bin ich dankbar für die sprachliche Überarbeitung. Dem Max- Aufsatzes erschienen auf Englisch in Этнография/Etnografia Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale) (2018) und auf Französisch in Bérose – Encyclopédie internatio­ danke ich für die Unterstützung meiner Forschung seit 2006. nale des histoires de l’anthropologie (2019). Für die freundliche Stichworte: Forschungsreisen, deutsch-russische Zusammen- Einladung danke ich dem Vorsitzenden Alexander Pashos; für arbeit, systematische Ethnographie, Geschichte der Ethnologie Kommentare und Hinweise Peter Bolz, Marion Melk-Koch, Bar- und der Anthropologie, liberale Ethnologie.

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Rousseau und Herder, sowie von Vater und Sohn wussten, hinzu und was tat das 19. Jahrhundert mit Forster während den Weltumseglungen von James den Kenntnissen und Einsichten der Wissenschaftler Cook praktiziert. Die Ethnologie begann laut vieler des 18. Jahrhunderts? Dazu kommt ein paradigmati- Autoren erst mit den ethnologischen Gesellschaften, scher Fokus im Sinne von Forschungsprogrammen, die 1839−1843 in Frankreich, den USA und England wobei Paradigma definiert wird als ein „research pro- gegründet wurden; seit 1860 machten Bastian, Tylor gramme“ (Lakotos 1977), sowie eine Orientierung auf und Boas sie zu einer selbständigen Wissenschaft. konzeptionelle Geschichte im Sinne einer emic (vs. Dass gerade um 1860 in Frankreich, England und den etic) Betrachtungsweise. Zusammengefasst nenne ich USA die physische Anthropologie dominant wurde, dies eine „historizistisch-emic-paradigmatische“ Me- und „Anthropologie“ seit 1870 als der übergeordnete thode (Vermeulen 2015: 35). Der Fokus liegt dabei auf Begriff galt, dem die Ethnologie unterzuordnen sei, ist einer longue durée Perspektive und die Arbeitsweise ein verkomplizierender Faktor, der kaum berücksich- beinhaltet eine Kontextualisierung der akademischen tigt wird. Für ein klares Verständnis der Entwicklun- Entwicklungen im soziopolitischen und kolonial- gen beider Parallelfächer ist das jedoch unumgänglich. imperialistischen Rahmen, die in diesem Aufsatz nur In solchen Angaben fehlen bislang Daten über die angedeutet werden können. Entwicklung der Ethnographie und Ethnologie in der deutschen Aufklärung. Das ist bedauerlich, weil ge- I. Die Genese der Ethnographie rade im 18. Jahrhundert diese Felder von deutschspra- chigen Historikern und Naturhistorikern konzipiert Forschungen in Halle (Saale), Sankt Petersburg, Mos- und umrissen wurden. In Before Boas (2015) habe ich kau und Novosibirsk haben ausgewiesen, dass die gezeigt, dass die Genese der Ethnographie und ihrer Ethnographie in einer bestimmten Region und in ei- jüngeren Schwester, der Ethnologie, in der deutschen nem bestimmten Zeitalter entstanden ist, nämlich in Aufklärung stattfand, d. h. im „langen“ achtzehnten Sibirien als Ergebnis der deutsch-russischen Zusam- Jahrhundert. Die Ethnographie entstand als eine Be- menarbeit im frühen 18. Jahrhundert. Historiker, wie schreibung der Völker während der Frühaufklärung Gerhard Friedrich Müller, und Naturhistoriker, wie Jo- in Sibirien; die Ethnologie wurde als eine allgemeine hann Georg Gmelin oder , erforsch- Untersuchung der Völker oder Nationen während der ten das Russische Reich im Auftrag der Akademie der Spätaufklärung in Göttingen und Wien begründet. Wissenschaften in Sankt Petersburg und sammelten Beide Wissenschaftstraditionen, die erste deskriptiv, sowohl naturhistorische als auch historische Daten. die zweite allgemein und vergleichend, bezogen sich Dabei waren ethnographische Beschreibungen ein- auf ein neues Forschungsfeld, das auf Deutsch mit begriffen. Auch wenn das Fach noch nicht Ethnogra- „Völker-Beschreibung“ (1740) und „Völkerkunde“ phie genannt wurde, sondern „Völker-Beschreibung“ (1771−1775), auf Neugriechisch mit den Begriffen (Müller 1740), war es wesentlich anders als eine Proto- „ethnographia“ (1767) und „ethnologia“ (1781−1783) Ethnographie. Der russische Historiker der Ethnolo- umschrieben wurde. Alle diese Konzepte wurden in gie, Sergei Tokarev, machte 1966 einen Unterschied der Aufklärung geprägt. Zusammen weisen sie auf ein zwischen „Ethnographie als Wissenschaft” und „eth- damals neues Feld der Theorie und Praxis hin, das ein nographische Kenntnisse“. In der Tat macht es Sinn, oder mehrere Forschungsprogramme beinhaltete. zwischen ethnographischen Berichten (ethnographic In solchen Übersichten wird auch nicht berück- accounts) und Ethnographie im Sinne einer umfassen- sichtigt, dass die Anthropologie, also, die Wissenschaft den „Völker-Beschreibung“ zu unterscheiden. vom Menschen, eine Erfindung der Renaissance und Ethnographische Berichte hat es seit der Antike ge- der Humanisten war (De Angelis 2010), und dass sie geben; sie waren weder systematisch noch vollständig. im 16., 17. und 18. Jahrhundert von Medizinern, Theo- Es ist dem Historiker Müller zu verdanken, dass die logen und Philosophen betrieben wurde, bevor sie von Ethnographie sowohl systematisch als auch umfassend Naturhistorikern, wie Linné, Buffon und Blumenbach, wurde. Deshalb kann man sie als eine systematische zu einer „Naturgeschichte des Menschen“ vereinbart Ethnographie umschreiben. Ab 1732 entwickelte Mül- wurde (Vermeulen 2015). ler ein Forschungsprogramm zur Beschreibung aller Um diese Prozesse analysieren zu können, ist eine Aspekte aller Völker aller Zeiten, das im nördlichen zuverlässige Methode notwendig. Statt präsentistisch, und östlichen Asien praktiziert wurde, mit dem Ziel, also gegenwartsbezogen, arbeite ich strikt historizis- diese Beschreibungen sowohl untereinander als auch tisch und versuche die Vergangenheit (das 18. bzw. 19. mit denen anderer Kontinente vergleichen zu können. Jahrhundert) aus vorherigen Entwicklungen zu erklä- Kennzeichnend ist, dass diese Ethnographie wäh- ren: was fügte das 18. Jahrhundert zu dem, was die rend großer, interdisziplinärer und transnationaler humanistischen Gelehrten im 16. und 17. Jahrhundert Expeditionen entwickelt wurde. Solche waren im

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Messerschmidt war ein Forschungsreisender, torischen Arbeit von Gottfried Wilhelm Leibniz der als Pionier der Erkundung Sibiriens betrachtet (1646−1716). Der Universalgelehrte in Hannover war wird. Geboren in Danzig (Gdansk), hatte er in Jena sehr an China und Russland interessiert und nahm ab und Halle Medizin studiert – in Halle war Friedrich 1696 Kontakt zu Zar Peter I. (1672−1725) und des- Hoffmann sein Lehrer. Nach der Verteidigung seiner sen Beratern auf, um Sprachproben aus Sibirien und Doktorarbeit in Halle (1713) kehrte Messerschmidt Mittelasien zu erhalten. Er beriet den Zaren zur geo- nach Danzig zurück, um dort Medizin zu praktizieren. graphischen Erforschung des Russischen Reiches und Der Naturforscher Johann Philipp Breyne empfahl ihn zur Gründung einer Akademie der Wissenschaften, Peter dem Großen und Areskine, als sie, während der die 1724−1725 realisiert wurde. Leibniz’s historisch- zweiten Europareise des Zaren, im März 1716 Danzig vergleichendes Projekt, dass er „historia etymologica“ besuchten. Im November 1718 unterschrieb er einen nannte, war im Russischen und im Heiligen Römischen Vertrag für eine Expedition, während der er nach Si- Reich sehr einflussreich. Seine ethno-linguistischen birien reisen würde, „um sich a) mit der Geographie Anregungen, mit Hilfe einer historisch-vergleichen- des Landes; b) mit der Naturgeschichte; c) mit der den Linguistik den unbekannten „Ursprung der Natio- Medizin, mit Heilpflanzen und epidemischen Krank- nen“ zu ermitteln sowie Verwandtschaftsbeziehungen heiten; d) mit Aufzeichnungen über sibirische Völker zwischen den Völkern herauszuarbeiten, bildeten im und mit Philologie; e) mit Denkmälern und Altertüm- 18. und 19. Jahrhundert die Grundlage für die Genese lichkeiten und f) mit allem, was bemerkenswert ist, der Ethnographie (Vermeulen 2012, 2015). zu beschäftigen“ (Pekarskii 1862: 351; Winter 1953: Müllers Ethnographie wurde, wie gesagt, von 318). Von März 1719 bis März 1727 reiste Messer- ethnographischen Berichten vorbereitet, auch in schmidt nach und durch Sibirien. Während des ersten Russland. Diese stammten von Handelsreisen und di- Jahres wurde er von Philipp Johan Tabbert, einem plomatischen Missionen oder von wissenschaftlichen schwedischen Offizier und Kartographen deutscher Reisen. Schon vor der Gründung der Akademie der Abstammung, später bekannt als Strahlenberg, und Wissenschaften wurden wissenschaftliche Expeditio­ dessen Neffen, einem Zeichner, begleitet. Von Tobolsk nen durch das expandierende Russische Reich ent- aus reisten sie nach Krasnojarsk und Mangazeja, wo sandt. Diese wurden von der Medizinischen Kanzlei sich die Schweden aufgrund des 1721 geschlossenen (Aptekarskii Prikaz) koordiniert, wobei die Berichte Friedensvertrages zwischen Russland und Schweden und gesammelten Objekte in der 1714 gegründeten verabschiedeten. Ab Mai 1722 setzte Messerschmidt Kunstkamera archiviert wurden. Alexander Bekovich- seine Reise mit drei russischen Studenten und zwei Cherkassky untersuchte 1714−1717 die Region um das deutschen Dienern fort. Sie reisten von Irkutsk durch Kaspische Meer bis zum Khanat von Chiwa; Lorenz das Transbaikal-Gebiet und entlang der chinesischen Lange reiste 1715, 1719 und 1720−1722 über Land und mongolischen Grenze bis nach Argunsk. Von dort nach China; Gottlob Schober besuchte 1717−1720 Ka- reisten sie zurück nach Irkutsk und Jeniseisk. Dort san, Astrachan, Persien und das Kaspische Meer; Da- begegnete Messerschmidt und Martin niel Gottlieb Messerschmidt reiste zwischen 1719 und Spangberg, Leiter der Ersten Kamtschatka-Expedition 1727 durch Sibirien bis an die Grenze zur Mongolei (1725−1730). Vom 23. Juli bis zum 12. August 1725 und zu China; und Johann Christian Buxbaum durch- berieten sich Bering und Messerschmidt wiederholt querte die Türkei, Armenien, Dagestan, den Kaukasus in deutscher Sprache über Reiserouten und tauschten und Astrachan zwischen 1724 und 1727. Diese Aus- Notizen aus. Messerschmidt machte Bering mit Kar- wahl an Reisezielen (Kaspisches Meer, China, Sibirien, ten des nordöstlichen Teils von Asien, einschließlich Astrachan, Kaukasus) legt einen sorgfältigen Plan Witsen (1687), bekannt (Messerschmidt 1962−77, nahe, der wahrscheinlich von dem Leibarzt des Zaren, Bd. 4: 172−192). Robert Areskine (1677−1718), mit Unterstützung des Während seiner Winterquartiere in Abakan (1721− Zaren entworfen wurde (Vermeulen 2015: 113−116). 1722), Krasnojarsk (1722−1723), Irkutsk (1723−1724), Es gab andere Reisende sowie russische Geodäten Chitinsk (1724−1725) und Samarovskoj jam (1725− und Kartographen, aber Schober, Messerschmidt und 1726) ordnete Messerschmidt seine Sammlungen Buxbaum waren Ärzte, die an den Universitäten in und schrieb Entwürfe von Werken, die er nach seiner

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Abb. 1. Gerhard Friedrich Müller vor dem Hintergrund der Nouvelle Carte aus 1758 – künstlerische Darstellung von Adam Adach, 2019. © Adam Adach, Paris

Rückkehr veröffentlichen wollte. In Chitinsk ordnete (Messerschmidt 1962−1977), wurden sie im Archiv er seine Forschungsergebnisse in sieben Bereiche: der Akademie aufbewahrt und dienten späteren aka- „Geographie, Philologie, antiquarische Denkmäler, demischen Reisenden als Dokumentation für ihre Mineralogie, Botanik, Zoologie und Medizin“ (Mes- eigenen Reisen. Messerschmidts ausführlichen Briefe serschmidt 1962−77, 3: 194). Im Februar 1726 reiste er und Rapporte aus der Periode 1716−1721 wurden nach Tobolsk, um seine Sammlungen zu ordnen und neuerdings herausgegeben (Basargina 2019). an die Medizinische Kanzlei in Sankt Petersburg zu Gerhard Friedrich Müller (1705−1783) war von senden. Über den Ural kehrte er in die europäischen Messerschmidts Ergebnissen beeindruckt und wurde Teile Russlands zurück und hielt sich acht Monate in durch dessen Sammlungen inspiriert. Nach seinem Solikamsk auf, bevor er über Moskau nach Sankt Pe- Studium der Geschichte in Rinteln und Leipzig (bei tersburg zurückkehrte. Johann Burkhard Mencke) war Müller nach Russland Nach seiner Rückkehr hatte sich das Forschungs- gereist, wo er Ende 1725 rechtzeitig für die Eröffnung klima verändert. Katharina I., die Witwe Peters I, starb der Akademie der Wissenschaften eintraf. Er war dort im Mai 1727. Das Interesse an Forschung nahm ab als Geschichts- und Lateinlehrer tätig, bevor er 1730 und die Regierung war sparsam, u. a., weil die Erste Professor der Geschichte an der Akademie wurde. Kamtschatka- oder Erste Bering-Expedition hohe Als Mitglied der Kommission, welche die Sammlun- Kosten verursachte. Messerschmidt legte einen Plan gen Messerschmidts ordnete, erinnerte er sich später: für die Bearbeitung seiner Ergebnisse bei der gerade „Es übertraf alle erwartung, wie sehr die kaiser[liche] gegründeten Akademie der Wissenschaften vor, kunstkammer damals mit inländischen naturalien und erhielt jedoch keine Unterstützung. Im September seltenheiten durch des hrn. Messerschmid[t]s fleiss wurde er angewiesen, seine Journale und Feldmateri- vermehrt worden“ (Müller 1890: 147, 150−151). Das alien der Kunstkamera zu übergeben. Im Februar 1728 Interesse von Müller an Sibirien wurde durch die Aus- wurden diese Sammlungen von einer Kommission der wertung der Sammlungen von Messerschmidt erheb- Akademie untersucht, darunter der Leiter der Kunst­ lich gesteigert. Doch, obwohl Messerschmidt, der als kamera Schumacher, der Astronom und Kartograf Arzt ausgebildet worden war, den sibirischen Völkern, Joseph-Nicolas Delisle, die Botaniker Johann Amman ihren Sprachen und Antiquitäten rege Aufmerksam- und sowie die Historiker Gott- keit widmete, hatte er seine ethnographischen Beob- lieb Siegfried Bayer und Gerhard Friedrich Müller. achtungen nie zu einer einzigen Schrift zusammenge- Diese benötigten zwei Wochen, um die Sammlungen fasst und die Ethnographie nicht als ein eigenständiges von Messerschmidt zu katalogisieren. Obwohl seine Fach betrachtet. Genau dies setzte sich der Historiker Journale nie vollständig veröffentlicht wurden und Müller während seiner zehnjährigen Forschungen in nur diejenigen aus dem Zeitraum von März 1721 bis Sibirien zum Ziel (Abb. 1). April 1726 in einer verkürzten Ausgabe erschienen

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II. Müller und die Anfänge der systematischen „De historia gentium“ (Zur Geschichte der Völker). Ethnographie in Sibirien Als Gmelin aus gesundheitlichen Gründen seine Teil- nahme zurückzog, beriet sich Müller mit Bering, der Als Historiker, Geograph und Ethnograph nahm sein Interesse an der Expedition noch steigerte. Be- Müller zwischen 1733 und 1743 an der Zweiten Be- ring empfahl ihn Kirilov, der Müller zur Bewerbung ring- oder Zweiten Kamtschatka-Expedition teil, die, aufforderte. Müller bewarb sich um seine Teilnahme wie ihr Vorgänger, untersuchen sollte, ob Asien und an der Expedition im Februar 1733 bei der Akademie Amerika über Land verbunden waren oder ob eine und der Senat stimmte im März zu. Als Gmelin im Seereise durch die Arktis nach China möglich war. Juni der Expedition wieder beitrat, wurde der Vertrag Während seiner ersten Reise war Bering nicht in der von Müller honoriert. So schlossen sich drei Profes- Lage gewesen, weit genug gen Norden zu segeln und, soren der Expedition an, Vertreter aller drei Klassen aufgrund von Nebel, hatte er die amerikanische West- der Akademie (Müller 1890: 263, 270−271; Hintzsche küste nicht gesichtet. Daher schlug er eine zweite Ex- 2004: 199−200). pedition mit dem Ziel vor, die Nordostpassage durch Während ihrer zehnjährigen Reise durch Sibirien den Arktischen Ozeanen zu finden, die nordwestliche reisten Gmelin und Müller meist zusammen und kon- Küste Amerikas und alle Inseln zwischen Asien und zentrierten sich jeweils auf die Naturgeschichte und Amerika (wie Japan, das legendäre Joao da Gama Land die politische Geschichte Sibiriens, die historia natu­ und die Insel Jeso) zu erkunden, die arktische Küste ralis und die historia civilis. Dabei ergänzten sie sich: des Russischen Reiches zu kartographieren und eine Wenn Gmelin an einem Ort war, den Müller nicht südliche Seeroute entlang des Okhotskischen Mee- aufsuchte, dann sammelte er auch historische Daten; res zu ermitteln. Sowohl die erste als auch die Zweite wenn Müller einer Route ohne Gmelin folgte, dann Kamtschatka-Expedition waren Marineoperationen, sammelte er auch naturhistorische Daten (Abb. 2). die von der Admiralität und dem russischen Senat in Ein solche Arbeitsteilung vermittelten sie auch ihren Sankt Petersburg geleitet wurden. Studenten und Mitarbeitern (siehe unten). Im Gegensatz zu Berings erster Expedition nah- Müllers Ausbildung war historisch orientiert und men diesmal auch Wissenschaftler teil. Sie waren Mit- während der Expedition führte er ein Expeditions- glieder der Akademie der Wissenschaften und wurden journal, das fünf Foliobände umfasste (Elert 1999: 40). beauftragt, die Natur und die einheimische Bevölke- Er sammelte Materialien zur Geschichte, Geographie rung Sibiriens zu erforschen und zu beschreiben. Es und Ethnographie Sibiriens. Obwohl das letztere Feld war vor allem Ivan Kirilovich Kirilov (ca. 1689−1737), erst drei Jahrzehnte später „ethnographia“ genannt dem ersten Sekretär des Senats, zu verdanken, dass wurde (siehe unten), verwendete Müller im Jahr 1740 den Zielen der Expedition wissenschaftliche Unter- den Begriff „Völker-Beschreibung“, um das von ihm suchungen hinzugefügt wurden (Hoffmann 2005: beabsichtigte Feld zu bezeichnen. Er hatte vor, drei Bü- 72). Kirilov war von Zar Peter I. beauftragt worden, cher zu diesen Themen zu schreiben. Jedoch erschien die Kartierung des expandierenden Reiches voranzu- zu seinen Lebzeiten nur seine Sibirische Geschichte, treiben (Kirilov 1977), und er beaufsichtigte sowohl und diese nur in gekürzter Form (Müller 1761−1763). die Zweite Kamtschatka- als auch die erste Orenburg- Während Müllers Geographie Sibiriens noch immer Expedition (1734−1737). Im Juni 1732 erteilte der ein Manuskript ist, erschien seine Ethnographie Si- Senat der Akademie ein Dekret mit dem Ziel, einen biriens – dank Eugen Helimski, Aleksandr Elert und Professor für astronomische Beobachtungen als Mit- Wieland Hintzsche – in zwei zusammenhängenden arbeiter der Kamtschatka-Expedition vorzuschlagen Fassungen: Die erste nach Völkern geordnet, 2003 und, da diese Gegenden noch „unerschlossen und und 2018; die zweite nach Themen geordnet, 2009 bisher noch unbekannt“ waren, auch mit anderen und 2010. Untersuchungen, einschließlich einer „wahrhafte[n] Neben diesen ethnographischen Arbeiten und Beschreibung der dortigen Völker und ihrer Sitten so- seiner Instruktion „De historia gentium“ von 1732, wie der Früchte der Erde“ (Hintzsche 2004: 24, 27), zu schrieb Müller mindestens vier weitere Instruktionen beauftragen. Die Akademie empfahl Louis Delisle de für die ethnographische Forschung seiner Mitreisen- la Croyère (1687−1741) für die astronomischen Unter- den. Da Gmelin und Müller, aufgrund mangelnden suchungen, schlug jedoch vor, einen zweiten Professor, Proviants in , nicht in der Lage waren, selber Johann Georg Gmelin (1709−1755), zur Erforschung nach Kamtschatka zu reisen, schickten sie im Juni der drei Naturreiche hinzuzufügen. Während beide 1737 aus Jakutsk Stepan Petrowitsch Krascheninnikov als Mitglieder der Akademie Instruktionen für ihre (1713−1755) zu der Halbinsel. Gmelin beauftragte sei- Teilnahme erarbeiteten, schrieb Müller im November nen Studenten Krascheninnikov, die Naturgeschichte 1732 eine Instruktion zur historischen Forschung: Kamtschatkas zu untersuchen, und Müller trug ihm

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Abb. 2. Die Reiseroute von Müller während der Zweiten Kamtschatka-Expedition (aus Vermeulen 2015: 150). © Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle (Saale)

auf, die Geschichte, Religion, Sprachen, Siedlungen, gab er Steller den Auftrag, ihre Kleidung zu sammeln Ernährung und Krankheiten der Tungusen (Ewen- (Punkt 18). Identische Anweisungen betrafen Grup- ken), Lamuten (Ewenen) und Giljaken (Niwchen) pen in der Region Okhotsk, wo Steller die Lamuten, am Okhotskischen Meer sowie der Kamtschadalen Korjaken, Tungusen und Giljaken dokumentieren (Itelmenen), Korjaken und „Kurilen“ (Ainu) auf Kam- sollte (Punkt 32). Müller beauftragte Steller außer- tschatka zu dokumentieren und ihre Kleider zu sam- dem, Krascheninnikovs Studien auf Kamtschatka zu meln (Hintzsche 2001: 25, 19; Bucher 2002: 79−82). überwachen und sicherzustellen, dass eine vollstän- Im März 1738 schickte Müller Krascheninnikov eine dige „Natur- und politische Geschichte“ der Halbinsel zusätzliche Instruktion mit 219 Fragen zur Beschrei- verfasst werden würde (Punkt 37). Aus diesem Grund bung der Völker, ihrer Sitten und Gebräuche auf Kam- erhielt Steller eine Kopie der Anweisungen an Kra- tschatka (Bucher 2002: 85−87). Dieses Dokument war scheninnikov, um die Forschungen des Studenten zu so grundlegend, dass der russische Historiker Alek- überprüfen, ihn unter sein Kommando zu stellen und sandr Andreev meinte, dass Gmelin es als Ausgangs- einen Plan für die verbleibenden Untersuchungen auf- punkt für seinen Reisebericht verwendete (Elert 1999: zustellen (Hintzsche 2001: 85, 94). Da zeitgenössische 24, zitiert von Bucher 2002: 88, Fn. 292). Bilder von Steller nie gefunden worden sind, wird hier Im Februar 1739 verließ der Arzt und Naturhis- die künstlerische Darstellung eines Malers aus Bad toriker Georg Wilhelm Steller (1709−1746) Jeniseisk Windsheim, Stellers Geburtsort, gezeigt (Abb. 3). für das gleiche Ziel. Da Steller Assistent von Gmelin Nach sieben Jahren Forschungsaufenthalt in war, gab dieser ihm eine Instruktion von fünfzig An- West-, Nord- und Zentralsibirien schrieb Müller im weisungen. Müller fügte nur zwei Aufträge hinzu, aber Juni 1740 eine Instruktion für Johann Eberhard Fi- diese waren umfassend. Steller sollte die Lebensweise scher (1697−1771), einen Historiker, der seine Arbeit der Burjaten in der Region Irkutsk sowie der Tungusen weiterführen sollte. In dieser Anleitung fasste Müller (Ewenken) und Jakuten (Sakha) entlang der Lena und alles zusammen, was in Bezug auf Sibiriens Geschichte um Jakutsk herum erforschen und darüber hinaus ihr und Geographie untersucht werden sollte, einschließ- Verhalten, ihre religiösen Ideen und ihre politische lich der Ethnographie und Linguistik. Diese Instruk- Geschichte beschreiben. Weiterhin sollte er den Ma- tion umfasste 1.287 Punkte in sechs Teilen sowie drei ler Johann Christian Berckhan anregen, sie vor ihren Anhänge und ein „Vokabularium nach welchem die Häusern (Jurten) zu zeichnen, sowohl mit Geräten Sprachen im Dialecte der Völker zu sammeln“ seien. als auch mit schamanischen Utensilien. Außerdem Der sechste Teil, der 923 Punkte enthielt, beauftragte

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(1768) gilt als weniger bedeutend als Müllers Sibirische Geschichte. Sein Buch enthält jedoch eine lange Ein- führung: „Von den namhaften Völkern in Sibirien und an dessen Gränzen“. Außerdem stellte er ein „Vocabu- larium continens trecenta vocabula tringinta quatuor gentium, maxima ex parte Sibiricarum“ zusammen, das Material aus 34 sibirischen Sprachen enthält, wel- ches durch Müller, Fischer und andere Teilnehmer der Zweiten Kamtschatka Expedition gesammelt worden war, vollkommen im Rahmen von Leibniz’s Projekt einer historisch-vergleichenden Sprachkunde. Stellers Beschreibung von dem Lande Kamtschatka (1774) besteht aus zwei Teilen, die naturhistorische (Kapitel 1−18) und ethnographische Themen (Kapi- tel 19−37) behandeln. Obwohl Steller weder den Be- griff „Ethnographie“ noch sein deutsches Äquivalent verwendete, beschrieb er die Itelmenen, Korjaken, Tschuktschen, Lamuten (Ewenen) und „Kuschi“ (Ku- rilen) genauso, wie Müller es angeordnet hatte. Lin- Abb. 3. Georg Wilhelm Steller auf der Beringinsel – künstlerische Darstellung von Gerhard Rießbeck, 2008. © Gerhard Rießbeck, Bad denau produzierte eine Beschreibung, die von seinen Windsheim Herausgebern als „historisch-ethnographische Mate- rialien der sibirischen und nordöstlichen Völker“ be- zeichnet wurde (Lindenau 1983). Lindenau hatte sogar Fischer, „die Sitten und Gebräuche der [sibirischen] die Gesänge der tungusischen Schamanen mit einer Völker“ zu erforschen und zu beschreiben (Müller deutschen Übersetzung dokumentiert. Hieraus ergibt 2018: 374−423). Müller beendete die Instruktion mit sich die Schlussfolgerung, dass die Instruktionen von folgenden Worten: Müller genau befolgt worden waren und seine Bemü- „Zu mehrerer Erläuterung sind bey dieser Völker-Beschrei- hungen tatsächlich die Forschungsergebnisse erbrach- bung alle Scribenten und Reyse-Beschreibungen, welche von ten, die er sich erwünscht hatte. denen Sitten und Gebräuchen derer übrigen Asiatischen, Müllers „Völker-Beschreibung“ beinhaltete ein Africanischen und Americanischen Völker Nachricht geben, Programm für eine systematische und vergleichende mit zu Rathe zu ziehen, und allenthalben Vergleichungen an- Ethnographie. Die erste Stufe davon wurde im Rah- zustellen“ (Müller 1900: 83, 2018: 423). men einer zunehmenden Kolonisierung der russi- Diese „Völker-Beschreibung“ sei „von allen Völkern in schen Teile Nordasiens ausgeführt. Die Forscher wa- Zusammenhange vorzutragen“ (op. cit.). Sie wurde von ren jedoch nicht im Dienst der Kolonialverwaltung, Müller und seinen Mitarbeitern ausgeführt. Genauso sondern der Akademie der Wissenschaften. Das For­ wie Steller von dem Zeichner Berckhan und dem Stu- schungsprogramm wurde auch nicht zum Nutzen der denten Aleksei Petrovich Gorlanov begleitet wurde, Kolonialverwaltung betrieben, sondern um einen reiste Fischer mit dem schwedischen Übersetzer Ja- Vergleich dieser Völker untereinander wie auch mit cob Johann Lindenau (1706−1794), der sich später den Völkern anderer Erdteile zu erreichen. von ihm trennte, um eigenständig zu recherchieren. Sie beschrieben die Völker Sibiriens, zeichneten und Müllers Ethnographisches Programm sammelten ihr Kulturgut und schickten das Material an die Kunstkamera in St. Petersburg. Gmelin und Während der Zweiten Kamtschatka-Expedition wurde Müller sowie ihre Mitarbeiter, Krasheninnikov, Steller, Müller zum Ethnographen. Vielmehr als Messer- Fischer und Lindenau, schufen Werke voller ethnogra- schmidt, der sich als Arzt und Naturforscher vor allem phischer Informationen. Krascheninnikovs Opisanie für die einheimische Medizin und die Naturgeschichte zemli Kamchatki (1755) berichtet über geographische, interessierte, untersuchte Müller die Geschichte, Geo- wirtschaftliche, ethnographische und politisch-histo- graphie und Ethnographie Sibiriens. Müller beschrieb rische Gegebenheiten; ihr dritter Teil hieß „Über die die Völker Sibiriens sowohl individuell als auch thema- Völker von Kamtschatka“. Das Buch wurde von Mül- tisch vergleichend. In seiner im Sommer 1740 in Surgut ler herausgegeben, der selber zwei Kapitel und eine verfassten Instruktion an Fischer konzentrierte er sich, Karte hinzufügte. Es erschien wenige Monate nach neben der Geschichte und Geographie Sibiriens, auf die Krascheninnikovs Tod. Fischers Sibirische Geschichte (nichtrussischen) Völker Sibiriens und deren „Sitten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 98 Han F. Vermeulen, Halle (Saale) und Gebräuche“. Zwei Jahrhunderte später stellte der 254). Wie im Fall Messerschmidts wurde Müller we- Historiker Andreev 1937 fest, dass Müllers Fragen noch gen des Klimas in der Akademie der Wissenschaften, immer nicht vollständig beantwortet waren (Bucher voller Konflikte und Konkurrenz, von einer Veröffent- 2002: 12). Mark Kosven nennt Müllers Instruktion an lichung entmutigt. Wieland Hintzsche (2010) bestä- Fischer „ein hervorragendes ethnographisches Doku- tigte, dass Müller drei Studien über seine sibirischen ment. Es besteht kein Zweifel darüber, dass man sie Forschungen plante. Da es in der Akademie jedoch auch heute noch fruchtbar in der modernen ethno- kein Interesse an einer Arbeit über sibirische Völker graphischen Feldforschung einsetzen könnte“ (Kosven gab, hielt er es nicht für notwendig, seine verglei- 1961: 182; Bucher 2002: 106). Aleksandr Elert (1996: chende Synthese für eine Publikation vorzubereiten. 38) erläuterte: „Bis heute wird Müller als Ethnograph Auf Grundlage seiner ethnographischen Texte überwiegend aufgrund jener wenigen ethnographi- und seiner Instruktionen wissen wir jedoch heute schen Materialien beurteilt, die in den veröffentlichten mit Sicherheit, dass Müller während der Zweiten Teilen seiner ‚Geschichte Sibiriens‘ zu finden sind. Aber Kamtschatka-Expedition auch selbst aktiv ethnogra- entsprechend der Spezifik dieses Werkes hat Müller phische Forschungen betrieben hatte und dass er seine seine Aufmerksamkeit nicht der materiellen und geis- Kollegen und Assistenten, sowohl deutsche als auch tigen Kultur der sibirischen Völker gewidmet, sondern russische, damit beauftragt hatte, die Völker Sibiriens ihrer ethnischen Geschichte, [d. h.] der Art und Weise auf die gleiche empirische und umfassende Weise zu ihrer Einbeziehung in den russischen Staat“. erforschen und zu beschreiben. Müllers Sibirische Geschichte (1761−1763) und Si­ Müller hatte alle regionalen Zentren Sibiriens be- birskaia istoriia (1763−1764) enthalten nur deshalb so sucht, Spezialisten wie Schamanen befragt und aus- wenig Ethnographie, weil er die Veröffentlichung ei- giebig Materialien gesammelt, darunter Wörterlisten, nes separaten Buches über sibirische Völker plante. Da historische Daten und Artefakte sowie archäologische Müllers ethnographische Arbeiten erst im 21. Jahrhun- Denkmäler (kurgane) dokumentiert. Während der dert veröffentlicht wurden, konnten auch seine Leis- Expedition entwickelte er historisch-kritische und tungen für die Begründung der Ethnographie bis dahin vergleichende Methoden, die er an seine Mitreisen- nur als dünn bewertet werden. Historiker oder Ethno- den vermittelte. Er wies sie auf sehr konkrete Weise graphen mit Kenntnissen der russischen Archive, wie an, alle Aspekte der Völker zu studieren, denen sie in A. I. Andreev, L. P. Potapov und S. A. Tokarev, wussten denjenigen Regionen begegnen würden, die er selbst zwar, dass Müller weitreichende ethnographische Un- nicht besuchen konnte. tersuchungen durchgeführt hatte, es gab jedoch keine Kritisch gegenüber der älteren Tradition von Reise­ veröffentlichten Beweise. Aleksandr Elert war einer der berichten, die zwar ethnographische Informationen ersten, der Müllers ethnographische Handschriften enthielten, jedoch seiner Meinung nach „unvollstän- wiederentdeckte und 2009 dessen „Beschreibung der dig“ waren, lehnte Müller die Reiseberichte über die sibirischen Völker“ in einer russischen Übersetzung Einwohner von Livland und Estland, die Lappen, die veröffentlichte. Diesen Text hatte Müller bereits nach Völker der Wolga-Region, die Samojeden, die Ostja- der Rückkehr von seiner sibirischen Reise in den Jahren ken und andere Völker Sibiriens als unzulänglich ab: 1743 bis 1745 auf der Grundlage eines früheren Manu- „Jene Nachrichten, die bereits erschienen sind, und zwar von skripts, Nachrichten über Völker Sibiriens, 1736−1737, [Adam] Brand [1698] über die Liefländer und die Estländer, verfasst. Während letzteres eine ethnographische Be- von [Johannes] Scheffer [1673, 1675] über die Lappen, von schreibung der untersuchten Völker ist (Müller 2003, [Adam] Olearius [1647] über verschiedene Völker am [Fluß] 2018), ordnet ersteres Müllers Material nach Themen, Volga, von Bruijn [Cornelis de Bruyn 1711] über die Samoje- den, von [J. B.] Müller [1720] über die Ostjaken, von Isbrand um Sitten und Gebräuche systematisch vergleichen [Eberhard Isbrand Ides 1696, 1704] und dem unbenannten zu können (Müller 2009, 2010). Zu seinen Lebzeiten Verfasser der Anmerkungen zum Geschlechtsregister des veröffentlichte Müller nur wenige ethnographische Ar- Abul­gasi über zahlreiche sibirische Völker [anonym 1726] beiten. Am umfangreichsten war seine „Nachricht von und des [Philipp Johann von] Strahlenberg [1730] über wei- tere in Rußland und Sibirien lebende Völker können alle als dreyen im Gebiete der Stadt Casan wohnhaften heidni- unvollständig angesehen werden“ (Müller 2010: 5). schen Völkern, den Tscheremissen, Tschuwaschen und Wotiacken“, die 1759 als Aufsatz veröffentlicht wurde, Müllers Kritik ist von zentraler Bedeutung: da diese jedoch bereits 1733 mit acht Zeichnungen fertig gestellt Berichte nicht vollständig waren, konnte er sie für war, und die sich auf seine Forschungen in Kasan am sein vergleichendes Projekt einer umfassenden Völ- Anfang der Expedition konzentrierte. ker-Beschreibung nicht verwenden. Müller äußerte Über die Gründe, warum Müller auf die Heraus- sich hierzu in einem Vorwort, das er 1759 für seinen gabe seiner ethnographischen Texte verzichtete, kann Aufsatz über die Völker in der Umgebung von Kasan man nur spekulieren (Elert 1999: 59; Hoffmann 2005: plante. Dieses Vorwort, geschrieben um 1744−1745,

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang 99 sowie die letzten Absätze seiner Instruktion von 1740 und Kollegen; 4) er inspirierte andere Gelehrte, eth- für Fischer weisen darauf hin, dass Müllers ethnogra- nographische Untersuchungen durchzuführen; und 5) phisches Programm aus drei Schritten bestand: er entwickelte ein theoretisches Konzept für diese Art 1) möglichst detaillierte ethnographische Beschrei- Forschung, das er mit dem Begriff „Völker-Beschrei- bungen einzelner Völker, und zwar aller Völker Sibiri- bung“ zusammenfasste (Vermeulen 2015: 132). ens; 2) ein systematischer Vergleich, sowohl zwischen Die systematische Ethnographie hatte ihren Ur- den heutigen sibirischen Völkern als auch zwischen sprung in Sibirien mit Müller und seinen Kollegen, diesen und ihren Vorfahren; und 3) eine „ganz allge- Studenten und Assistenten während der Zweiten meine Völkerbeschreibung“ (Müller 2010: 5). Kamtschatka-Expedition, 1733−1743. Einige Teil- Müllers ethnographisches Programm wird nicht nehmer kehrten erst 1747 zurück; Müller arbeitete nur in seinen Instruktionen sichtbar, wie Kosven und bis 1747 an seinen ethnographischen Notizen. Diese Bucher meinen (Kosven aufgrund von Müllers Ins­ Ethnographie war das Ergebnis des Zusammenspiels truktion für Fischer, Bucher aufgrund von diesen und zwischen russischen und deutschen oder deutschspra- vier anderen Instruktionen), sondern auch aus seiner chigen Gelehrten und Verwaltern. Müller reagierte auf eigenen Ethnographie (seine Beschreibung, die Nach­ das Dekret von Kirilov c.s. mit seiner Instruktion für richten, seine Aufsätze und Vorworte). Zusammen bil- die Erforschung der Geschichte der Völker (1732), den diese Quellen ein ethnographisches Programm, die sich bereits 1740 zu einer umfassenden und ver- das aus den drei eben genannten Schritten bestand. gleichenden Völker-Beschreibung entwickelt hatte. In Die beiden ersten Schritte, alle Völker Sibiriens zu diesem Zusammenhang stand er in Kontakt mit dem beschreiben, um sie untereinander und mit Völkern russischen Historiker Vasilii N. Tatishchev, der ähnli- anderer Erdteile zu vergleichen, ermöglichten ihm ei- che Ideen über eine Völkergeschichte hegte. nen internen und einen externen Vergleich. Sein eth- Müllers Programm zur Beschreibung aller Aspekte nographisches Forschungsprogramm sah eine Reihe aller sibirischen Völker, um sie unter sich und mit den ethnographischer Studien vor, die alle Aspekte aller Völkern anderer Regionen zu vergleichen baute auf der sibirischen Völker einschließlich der ausgestorbenen Arbeit von Leibniz auf, der viel zur Entwicklung von beschreiben würden, gefolgt von ihrem Vergleich mit Wissenschaft und Kunst in Russland beigetragen hat. „den übrigen Asiatischen, Africanischen und Ameri- Historische Sprachvergleiche waren nicht die einzigen canischen Völker[n]“. In dem für seinen Artikel von Merkmale für Müller, sie hatten jedoch den Vorteil, 1759 geplanten Vorwort gab Müller an, dass er die dass sie nicht bewertend waren. Die sprachverglei- vergleichenden Forschungen von Joseph-François La- chende Methode gab deutschen und russischen Wis- fitau,Moeurs des sauvages Amériquains, comparées aux senschaftlern einen Vorsprung gegenüber Gelehrten moeurs der premiers temps (1724), als „vortreffliches anderer wissenschaftlicher Zentren, die die Völker Beispiel“ sah (Müller 2010: 5). Müller hatte das verglei- nur nach ihren Sitten und Gebräuchen oder sogar chende Projekt von Lafitau übernommen, eben dessen nach „Nationalcharakter“ verglichen, was spekulati- Buch mit auf die Reise genommen, und wollte alle Da- ver ist, als ein Vergleich auf Grundlage der Sprachen ten sammeln, die nötig waren, um die sibirischen Völ- (Vermeulen 2012, 2015). Die ethno-linguistische ker mit anderen Völkern vergleichen zu können. Sein Grundlage der Ethnographie war kennzeichnend für letztes Ziel, mehr noch, seine Vision für die Zukunft deutsche und russische Vertreter dieser Forschungs­ war es, zu einer „allgemeinsten Völkerbeschreibung“ zu tradition bis tief ins 19. Jahrhundert hinein. gelangen, d. h. zu einer allgemeinen Ethnologie, die auf Festzuhalten ist, dass die Ethnographie als eine einer Reihe von vollständigen Ethnographien basierte. systematische und umfassende Beschreibung der Völ- Aleksandr Elert (1999) betrachtet Müller als „den ker (narody) während der Frühaufklärung in Sibirien ersten Ethnograph[en]“ und Wieland Hintzsche (Nordasien) entstand, im Kontext einer territorialen (2010: xxxiv) nennt ihn „den eigentlichen Vater der Erweiterung des Russischen Reichs, der „post-first wissenschaftlichen Ethnologie“. In Before Boas habe contact“ Beziehungen und der Versuche, die Bevölke- ich Müller aufgrund folgender fünf Punkte als „einen rung zu besteuern. Begründer der Ethnographie“ bezeichnet: 1) er führte während der Zweiten Kamtschatka-Expedition eth- Müllers Nachfolger in Russland nographische Forschungen durch und beschrieb die sibirischen Völker während und nach der Expedition; Müller stand am Anfang einer reichen Tradition in 2) er begann ein ethnologisches Programm für Sibi- der Geschichte der Ethnologie, die sich sowohl in rien, das beschreibend, umfassend, systematisch und Russland als auch in Deutschland entwickelte. Sein vergleichend war; 3) er entwickelte ethnographische Forschungsprogramm beeinflusste nicht nur Gmelin, Methoden und schrieb Instruktionen für Studenten Fischer, Steller, Krascheninnikov und Lindenau wäh-

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 100 Han F. Vermeulen, Halle (Saale) rend der Zweiten Kamtschatka-Expedition, sondern Völkerbeschreibung, Naturgeschichte und Ökonomie (7 auch Petr Rytschkov (1712−1777), der an der Ersten Bände, 1781−1796). Der dritte Band von Falcks Bericht Orenburg-Expedition teilgenommen hatte und dessen hatte zum Titel Beyträge zur Thierkenntniß und Völker­ Arbeiten Müller redigierte. Auch Pallas und Schlözer beschreibung (1785−1786, Bd. III), der allerdings von (siehe unten) ließen sich von Müllers Programm ins- Georgi herausgegeben wurde. Neben seinem eigenen pirieren. Bericht produzierte Georgi eine zusammenfassende Wie bei den frühen Expeditionen war auch bei den Beschreibung aller Nationen des Russischen Reichs in späteren Akademischen Expeditionen die Koopera- vier Bänden (1776−1780). Der Schluss ist eindeutig: tion zwischen russischen und deutschen Gelehrten Pallas, Falck und Georgi setzten das ethnographische ertragreich. Während Messerschmidt, Müller, Gmelin, Forschungsprogramm von Müller fort und bauten auf Steller und Fischer in der Frühaufklärung ihre russi- den von ihm gelegten Grundlagen auf. schen Kollegen mit Kirilov, Tatishchev, Rytschkov, Krasheninnikov und Fedor Soimonov fanden, standen III. Von der Ethnographie zu der Ethnologie: die Namen Pallas und Lepechin in der Spätaufklärung Schlözer, Gatterer und Kollár symbolisch für die Zusammenarbeit in der naturhisto- rischen und ethnographischen Forschung. Während die Forschungstradition in Russland lange Peter Simon Pallas (1741−1811) war einer der Zeit ethnographisch ausgerichtet blieb, vollzog der fünf Leiter der „Physikalischen Expeditionen“, die Historiker August Ludwig Schlözer (1735−1809) in wieder­um Teil der „Akademischen Expeditionen“ Göttingen die Weiterentwicklung der Ethnographie waren. Fünf Gruppen von Gelehrten und Studenten zur Ethnologie. Schlözer interessierte sich für die his- untersuchten zwischen 1768 und 1774 die asiatischen torisch-vergleichende Sprachwissenschaft, das gleiche und europäischen Teile des Russischen Reiches. Thema, das Müller und Fischer während der Zweiten Die anderen Gruppen wurden von Johann Anton Kamtschatka-Expedition intensiv bearbeitet hatten. Güldenstädt (1745−1781), Samuel Gottlieb Gmelin Nach seinen historischen und philologischen Studien (1745−1774), Ivan Ivanovich Lepechin (1740−1802) in Wittenberg und Göttingen, arbeitete Schlözer von und Johann Peter Falck (1727−1774) angeführt. Letz- 1761 bis 1767 in Sankt Petersburg (Winter 1961). Das terer wurde von Johann Gottlieb Georgi (1729−1802) erste Halbjahr war er Hauslehrer von Müllers Söhnen abgelöst. Müller verfolgte diese Expeditionen mit gro- und wohnte in dessen Haus. Dort, und durch seine ßem Interesse, sprach im Juli 1768 mit Pallas, als die- freundschaftlichen Beziehungen mit Johann Eberhard ser Moskau besuchte, und fungierte oft als Vermittler Fischer, wird er in Müllers Forschungsprogramm Ein- zwischen den Expeditionsmitgliedern vor Ort und der sicht erhalten haben. Danach arbeitete er an der Aka- Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. demie der Wissenschaften, wobei er sich besonders für Dank besserer Arbeitsbedingungen unter Katharina die frühe russische Geschichte interessierte. der Großen wurden diesmal alle Berichte veröffent- Nach seiner Rückkehr in Göttingen arbeitete licht, einige sogar, als die Expeditionsmitglieder noch Schlözer an mehreren wichtigen Schriften, vor allem unterwegs waren. an seiner Probe Russischer Annalen (1768) und an Wie bei der Zweiten Kamtschatka-Expedition, er- der Allgemeine[n] Nordische[n] Geschichte (1771). Im forschten die Mitglieder der Physikalischen Expediti- letzteren benutzte er nicht nur die Begriffe Ethnogra- onen nicht nur die drei Bereiche der Natur, sondern phie, Ethnograph und ethnographisch, sondern auch auch die Völker der besuchten Regionen, ihre Sitten, – wohl als Erster – den Begriff „Völkerkunde“. Das Bräuche, religiösen Vorstellungen, Denkmäler und tat er im Rahmen einer Geschichte des europäischen Antiquitäten. Ein Unterschied bestand darin, dass und asiatischen Nordens, die er reformieren wollte. In alle Gruppenleiter Naturwissenschaftler waren, d. h. dieser großangelegten Folioausgabe machte Schlözer naturhistorisch interessierte Ärzte, während Müller mit längst überholten Annahmen über die alte und und Fischer Historiker waren. Für die damalige For- mittelalterliche Geschichte des Nordens Schluss, wo- schung im russischen Reich war kennzeichnend, dass bei er sich auf Chroniken und Sprachstudien stützte. die frühe Ethnographie sowohl von Historikern als Er zeigte, dass die Slawen ursprünglich auf deutschem auch von Naturhistorikern betrieben wurde. Boden wohnten, dass die Völker im Norden Europas Ein direkter Hinweis auf Müllers Einfluss ist, dass und Asiens verwandt waren und entwarf eine Spra- Pallas, Georgi und Falck sein Konzept „Völker-Be- chenklassifikation der „Stamm-Völker“ des europä- schreibung“ in ihren Veröffentlichungen anwendeten. ischen Nordens mit fünf Gruppen: Samojeden, Fin- Pallas nahm Müllers Begriff „Völker-Beschreibung“ in nen, Letten, Slawen und Germanier (Schlözer 1771: den Titel seiner Zeitschrift auf: Neue Nordische Bey­ 292−344). Mit Hilfe der Materialien von Fischer, Kra- träge zur physikalischen und geographischen Erd- und scheninnikov, Rytschkov und vielen anderen tat er

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang 101 das auch, obwohl weniger detailliert, mit den Völkern schrieb in einer deutschsprachigen Besprechung dieses des asiatischen Nordens: Kara-Kitajer, Kirgisen, Ka- Werkes: „Der V.[erfasser (Schöpperlin)] fängt mit der saczia, Mongalen, Burjatten, Kalmücken, Dsongaren, Ethnographie an …“ (Thilo 1767: 47). Drei Jahre spä- Teleuten, Jakuten, Tungusen, Samojeden, Wogulen, ter bemerkte Schöpperlin, dass die „eigentliche Erd- Ostjacken, Tartaren, Bucharen, Kurilen, Kamczadalen, beschreibung … neulich von der Völkerbeschreibung Korjacken, Lamuten, Jukagern, Czuckczen (Schlözer unterschieden wird“ (Schöpperlin 1770). Zwischen 1771: 391−436, in seiner Schreibweise). Schlözer, Schöpperlin und Thilo gab es nicht nur eine In diesem Rahmen stellte er die kritische Frage, theoretische Verwandtschaft, sie alle arbeiteten an der was man mit der „Welt-Unkunde“ der Alten tun sollte alten und mittelalterlichen Geschichte, sondern auch (Schlözer 1771: 286, 291) und mit den fehlerhaften persönliche Beziehungen. Thilos Mutter war eine ge- Annahmen über die Beziehungen zwischen z. B. Kel- borene Schlözerin, eine Anverwandte von Schlözer, ten, Germanen, Mongolen und Tartaren: und vor Beginn seiner Studien hatte Schlözer bei Thilo gewohnt, der ihn über seine Studien in Wittenberg be- „Die Auflösung dieser Frage steht in Linnei Philosophia bo­ raten hatte. Während seines Urlaubs von 1765−1766 tanica: denn alles was dieser grosse Mann von der systemati- schen Einleitung und Benennung der Pflanzen sagt, läßt sich war Schlözer nach Franken gereist, um seine Mutter dem Wesen nach auch auf die Völkergeschichte übertragen. zu besuchen und um Familiengeschäfte mit Studien zu Es ist ein Systema Populorum in Classes et Ordines, Genera kombinieren (Winter (1961: 12). Es ist anzunehmen, et Species, redactum möglich: die Sprachen würden für den dass er Thilo und Schöpperlin getroffen hat. Wenn das Geschichtsforscher, was die Staubfäden für den Kräuterleh- so ist, war Schlözer das transnationale Bindeglied zwi- rer seyn. Aber vorher wäre eine Philosophia ethnographica nöthig, damit kein Rudbeck, kein Pezron, kein Becanus, die- schen Müller in Russland und Thilo und Schöpperlin ses grosse Leibnitzische Project durch eine verkehrte Ausfüh- in Schwaben (Abb. 4). rung lächerlich mache“ (Schlözer 1771: 210−211, n. A).

Sich auf Leibniz und Linné stützend, argumentierte Schlözer, dass eine Philosophia ethnographica nötig sei, um ein Systema Populorum zusammenstellen zu können, und dass der Geschichtsforscher sich – bei Mangel an Chroniken – nur auf die Sprachen konzen- trieren kann.

„Darf ich ein allgemeines, sicheres, und kräftiges Mittel vor- schlagen, diesen Kitzel, die Völker mehrerer Welttheile und Jahrtausende unter sich in geschlossene Systemen zu brin- gen, aus dem Grunde zu heben, diese Aufwallungen einge- bildeter Allwissenheit niederzuschlagen, und historische Genien, die noch nicht mit dieser Seuche behaftet sind, auch in Zukunft davor zu präserviren? Ein Blick auf das ganze unserer Völkerkunde ist dieses kräftige Mittel. Er demüthi- get uns aufs äusserste, dieser weite Blick; er läßt uns fühlen, welch erstaunliche Ignoranten wir in der Völkerkunde sind; wir sehen beschämt, wie geschäftig wir uns in einem engen Zirkel von ein paar hundert Völkern drehen, und dabey den stolzen Wahn hegen, als kännten wir alle oder doch die meis- ten Völker (…).“ (Schlözer 1771: 286).

Im Jahr seiner Rückkehr aus Sankt Petersburg hatten bereits zwei Landsmänner von Schlözer den Begriff Ethnographie introduziert. Der Historiker und Alt- Abb. 4. August Ludwig Schlözer von einem unbekannten Maler, philologe Johann Friedrich Schöpperlin (1732−1772), ca. 1778−1779 (Mit freundlicher Genehmigung der Kunstsammlung Rektor des Gymnasiums in Nördlingen (Schwaben), der Universität Göttingen. Foto: Kristina Bohle, Göttingen) benutzte ihn 1767 in seiner neugriechischen Form „Ethnographia“ in einer auf Latein geschriebenen Schlözer übernahm nicht nur Müllers Programm, son- Geschichte des alten Schwaben (Suavia veteris), in dern er erweiterte es auch. Er wandelte dessen Völker- der er bemerkte „Ethnographia haec potius dicenda Beschreibung in eine allgemeine „Völkerkunde“ um, est, quam geographia Sueviae veteris, quam nunc wobei es sich – wie bei Müller – um alle Völker aller brevissime subiicimus“ (Schöpperlin 1787: 439). Sein Zeiten handelte. Diese allgemeine Völkerkunde stand älterer Kollege, Albrecht Friedrich Thilo (1725−1772), nicht nur zentral in seiner Allgemeinen Nordischen Ge­

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 102 Han F. Vermeulen, Halle (Saale) schichte, sondern auch in seinen Lehrbüchern für Stu- erster beeinflusste er seinen älteren Kollege Johann denten: die Vorstellung seiner Universal-Historie (1772), Christoph Gatterer (1727−1799), der seit Schlözers Vorstellung der Universal-Historie (1775) und WeltGe­ Rückkehr in Göttingen auch das Forschungsfeld der schichte nach ihren HauptTheilen(1785−1789). In den Ethnologie betrat. Wie Schlözer betrachtete Gatterer Jahren 1771−1775 führte Schlözer, in diesen Werken die sprachhistorische Methode von Leibniz für die und während seiner Vorlesungen an der Universität Unterscheidung der Völker in der Frühgeschichte als Göttingen, die Konzepte „ethnographisch“ und „Völ- wichtig. Anders als Schlözer, sah er die Ethnographie kerkunde“ ein. Er platzierte die Völkerkunde neben der nicht als Teil der Geschichte, sondern brachte sie im Weltkunde (Chorographie), Erdkunde (Geographie) Haupt der Geographie unter. So schrieb Gatterer 1775: und Staatenkunde (Statistik). Schlözers Völkerkunde „Die ganze Erdbeschreibung, mit, und ohne Rücksicht auf war systematisch-theoretisch und basierte auf einer die Eintheilung in alte, mittlere und neue, läßt sich, meines (linguistischen) Ethnographie in Analogie mit der Na- Erachtens, bequem unter 4 Haupttheile oder Wissenschaften turhistorie. Zur Herstellung einer „nach Linnäischer bringen: 1) Gränzkunde (Horismographia), 2) Länderkunde (Chorographia), 3) Staatenkunde (Poleographia oder geo- Methode verfertigte[n] Systema Populorum, in Classes graphica Politice), und 4) Menschen- und Völkerkunde & Ordines, Genera & Species“ sei eine „philosophia (Anthropographia und Ethnographia). Es versteht sich von ethnographica“ notwendig (Schlözer 1771). selbst, daß, weil hier von Geographie die Rede ist, diese Aus der Art und Weise, wie Schlözer die neuen 4 Kunstwörter in geographischer Bedeutung, nicht histo- Begriffe aufführte, wird klar, dass er die Völkerkunde risch, nicht politisch, nicht statistisch usw. genommen wer- den“ (Gatterer 1775: 4−5). mit der Ethnographie gleichsetzte und (wie Müller) ein Programm vorlegte, um alle Völker der Erde zu Bemerkenswert ist, dass Gatterer die Ethnographie beschreiben und miteinander zu vergleichen. In der mit der Anthropographie, d. h. mit einer „Menschen- Vorstellung seiner Universal-Historie entwickelte er beschreibung“ verband. Zu bemerken ist auch, dass eine weltumspannende Perspektive, in der die „eth- Gatterer eine erste Gliederung der Völkerkunde vor- nographische Methode“ eine der vier Methoden der stellte (Gatterer 1775: xviii–xxxvi) und einen Grund Weltgeschichte sein sollte: „Man ordnet die Facta“: dafür angab, warum die Völkerkunde nicht länger in 1. chronographisch, 2. technographisch, 3. geogra- der Geschichte beheimatet werden konnte: es gab auch phisch, 4. ethnographisch (Schlözer 1772: 96−99, 1775: „wilde Völker“ ohne geschriebene Geschichte (Gatte- 292−294). Seine Definition der ethnographischen rer 1773: 16). Allerdings, da Gatterer die Geographie Ordnung der historischen Begebenheiten leuchtet ein: als Hilfsdisziplin der Geschichte betrachtete, würden „4. ethnographisch. Man teilt die Bewohner des Erdkreises die Ergebnisse der Ethnographie im Bereich der Geo- in grosse und kleine Haufen, nach gewissen mer oder we- graphie letztendlich wieder zurückfließen in die Mut- niger zufälligen Aehnlichkeiten, in denen eine Menge von terdisziplin der Geschichte, von der die Ethnographie Menschen unter sich übereinkommen. Wegen dieser Aehn- gerade abgespalten worden war. lichkeit denkt man sich die ganze Menge als eine Einheit, und Johann Gottfried Herder (1744−1803), der oft als man nennt sie Ein Volk“ (Schlözer 1772: 99, 1775: 294). Gründervater der Ethnologie gesehen wird, war we- Man „denkt … sich … Ein Volk“. „Aber was nennt niger begeistert von Schlözers Völkerkunde. Herder man Ein Volk?“ Schlözer unterschied drei Auffassun- kritisierte Schlözers Universalhistorie (1772) und zeigte gen von „Volk“: eine geographische, genetische (oder keinen Respekt für seine Terminologie: „Synchronis- historische) und politische (oder statistische) Auffas- tisch, Ethnographisch, und wie die harten Worte mehr sung: „Wer keine griechischen Kunstwörter vertragen heissen“ (Herder 1772b). Auch Schlözers Begriff „Völ- kan, der sage von Völkern, die nur in geographischer kerkunde“ benutzte er erstaunlich wenig; stattdessen Bedeutung als Ein Volk gedacht werden: ‘sie gehören in sprach er von „Gemälde[n] der Nationen“ (Ideen II, 7, I) Eine Klasse’; von denen in genetischer: ‘sie sind von Ei- oder von einem „Gemälde der Verschiedenheit unseres nem Stamme’; von denen in politischer Bedeutung: ‘sie Geschlechts“ (Ideen II, 6, VII). Herder formulierte zwar gehören zu Einem State’“ (1772: 104, 1775: 298). Für im Journal meiner Reise 1769 „das Programm einer glo- die „genetische“ Auffassung war eine linguistische Eth- balen Völkerkunde“ (Mühlmann 1968), das er in seinen nographie notwendig, konform mit dem Projekt von Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Leibniz. Die wichtigsten Völker und die „Nebenvölker“ (4 Bde. 1784–1791) weiter entwickelte. Aber das war ordnete er in „Völker-Klassen“. Für Schlözer waren vor nur ein Teilaspekt seiner Philosophie. Wichtig ist Her- allem die „Hauptvölker“ wichtig, weil sie „Zusammen- der für das methodische Prinzip der Empathie: „sich hang“ in der Weltgeschichte gebracht hatten. einfühlen“ (Herder 1772a) und weil er die „Humanität“ Schlözer war erfinderisch mit Termini wie „Völ- als durchgehendes Prinzip der Menschwerdung betonte kerkunde“ oder „Völkersystem“ und sehr einflussreich (Briefe zu Beförderung der Humanität, 1793−1797). Das in der Spätaufklärung, die von Göttingen ausging. Als war der Eckstein seiner Anthropologie.

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Ab 1781 wurde Schlözers Völkerkunde von dem besuchten Schlözers Vorlesungen. Zu den Anhängern slowakischen Historiker Adam Frantisek Kollár von Schlözer und Gatterer zählten Fulda, Sprengel, (1718−1783) zu einer Ethnologie umgestaltet. Kollár Canzler und Norrmann, die eine (allgemeine) Völker- war Direktor der Hofbibliothek in Wien und kannte kunde entwickelten. Kants Nachfolger in Königsberg, Schlözers Arbeiten. Er führte 1781−1783 den Begriff Wilhelm Traugott Krug, nahm 1796 die „Ethnogra- „ethnologia“ in den Gelehrtendiskurs ein und defi- phie“ in seinen Versuch einer systematischen Enzy­ nierte ihn im letzten Jahr als: klopädie der Wissenschaften auf und klassifizierte sie, „Ethnologia, wie ich sie oben beiläufig erwähnt habe, ist die wie Gatterer, zusammen mit der „Anthropographie“ Erkenntnis der Völker und Nationen, denn sie ist das Studi- innerhalb der Geographie (Krug 1796−1797). Durch um gelehrter Männer, mit dem sie die Ursprünge, Sprachen, Schlözers und Gatterers Vorlesungen und durch die Sitten und Einrichtungen verschiedener Völker und schließ- Publikationen ihrer Schüler oder Nachfolger wurden lich das Vaterland und die alten Wohnsitze, mit der Absicht die neuen Ideen der Völkerkunde in die Welt expor- erforschen, die Volksstämme und Völker ihrer [eigenen] Zeit richtiger beurteilen zu können“ (Kollár 1783, Bd. 1: 80). Im tiert – zuerst im deutschsprachigen Raum, danach in Original: „Ethnologia, cujus supra ob iter memini, est noti- Nachbarländer, wie Holland, Schweiz, Elsass usw., wo tia gentium populorumque, sive est id doctorum hominum man der deutschen Sprache mächtig war. studium, quo in variarum gentium origines, idiomata, mo- Zehn Jahre nach Einführung der Völkerkunde res, atque instituta, ac denique patriam vetustasque sedes eo an der Universität Göttingen, wurde sie Thema einer consilio inquirunt, ut de gentibus populisque sui aevi rectius judicium ferre possint.“ neuen Reihe von Zeitschriften, die man die ethnologi- schen Zeitschriften nennen kann. Im Jahr 1781 gaben Die Definition ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. J. R. Forster und M. C. Sprengel den ersten Band ihres Erstens benutzt Kollár zwei Begriffe für das deutsche Journals, Beiträge zur Völker- und Länderkunde, her- Wort „Volk“, nämlich gens und populus. Er redet von aus (Leipzig, 1781−1793, 27 Bde.). Und in Petersburg einer „notitia gentium populorumque“, d. h. einer erschien der erste Band von Pallas’ Zeitschrift, Neue Studie der Völker (oder Völkerschaften) und Natio- Nordische Beyträge zur … Erd- und Völkerbeschrei­ nen. Damit gab er m. E. die Komplexität des Problems bung, Naturgeschichte und Ökonomie (St. Petersburg an: gens war ein Volk als homogene Gruppe; populus und Leipzig, 1781−1796, 7 Bde.). Daraufhin startete eine heterogene Gruppe, mit mehreren gentes in sich. J. W. von Archenholtz seine Literatur und Völkerkunde Vielleicht ist dieser Unterschied im Deutschen besser (Dessau und Leipzig, 1782−1791, 9 Bde.) und T. F. Ehr- mit „Stämme und Völker“ zu übersetzen, im damali- mann das Magazin der Erd- und Völkerkunde (Giessen, gen Sinne. Wie auch immer, die Differenz zwischen 1783−1784). Letzteres brachte es nur auf zwei Hefte. Homogenität und Heterogenität ist bis heute wichtig. Es war aber der Auftakt mehrerer Zeitschriften und Zweitens ist die umfassende und gegenwartsbezogene Buchreihen Ehrmanns und anderer Kompilatoren, Definition interessant, vor allem im Vergleich zu die sich mit der Länder- und Völkerkunde und den Umschreibungen in der „conjectural“ oder spekula- Reiseberichten jener Zeit auseinandersetzten. In der tiven Geschichtsschreibung, die nur die „Sitten und Periode 1781−1791 erschienen mindestens 14 solcher Gebräuche“ der Völker betonten. Offensichtlich hatte Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, vor allem Kollárs Herkunft als Slowake, der auch Ungarisch und in Norddeutschland (Vermeulen 1994, 2015). Sie er- Deutsch sprach und in Wien die Hauptburg der His- füllten den wachsenden Bedarf des gebildeten Publi- toriographie Mitteleuropas leitete, Einfluss auf seine kums an Berichten über die Völker der Welt. breitgefasste Vision. Anhand dieser Daten gelangt man zu der folgen- So wurde die Völkerkunde oder Ethnologie in den Tabelle der Konzeptualisierung von Ethnographie den 1770er und 1780er Jahren von Historikern in und Ethnologie, einer neuen Wissenschaft und eines akademische Zentren und Bibliotheken in Göttin- neuen Vokabulars: gen und Wien als eigenständiger Wissenschaftszweig eingeführt – eine wesentliche Weiterentwicklung der Völker-Beschreibung 1740 (Müller in Surgut, Si- Völker-Beschreibung, die in Sibirien direkt aus dem birien) Forschungsfeld hervorgegangen ist. → ethnographia 1767 (Schöpperlin und Thilo Durch Schlözers und Gatterers Wirken wurde die in Nördlingen, Schwaben) Völkerkunde an der Universität Göttingen zu einem zentralen Thema der Gelehrsamkeit. Göttingen war Völkerkunde 1771–1775 (Schlözer in Göttingen, Strahlungszentrum für die Völkerkunde wie auch we- Hannover) nig später für die (physische) Anthropologie von Blu- → ethnologia 1781–1783 (Kollár in Wien, menbach (s. unten). Zusammen bildeten sie Hunderte Österreich) Studenten aus. Die Brüder Grimm und Humboldt (Vermeulen 2015: 354–355, 447)

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 104 Han F. Vermeulen, Halle (Saale)

Bemerkenswert ist, dass alle diese Gelehrten deutsch- Maffei, apostolischer Schreiber in Rom (1506), als sprachige Historiker waren, keine Philosophen oder Anthropologia formuliert; Jean Boucher, französischer Naturforscher. Interessant ist auch, dass die deutschen Dichter (1516); Galeazzo Capella, Staatsmann in Mi- Begriffe „Völker-Beschreibung“ und „Völkerkunde“ frü- lan (1533), als natura umana: „die menschliche Natur“ her erschienen als ihre neugriechischen Äquivalente. definiert; Robert Ceneau, Theologe in Paris (1557); Das deutet darauf hin, dass die Gelehrten, die diese Richard Harvey, Satyriker in London (1593) und Otto Begriffe prägten, wissenschaftliche Ziele verfolgten, da Casmann, Theologe in Hanau (1594−1596). Wissenschaften in Kombinationen griechischer Wörter Laut einer Zählung von Roger Brisson (USA) gab beschrieben werden mussten. Auf diese Weise wurden es zwischen 1501 und 1800 über 112 Bücher mit An- sie in die wissenschaftliche Nomenklatur eingeführt. thropologie im Titel; davon 84 im deutschsprachigen In derselben Zeit wurde der Begriff „Volkskunde“ Raum: Im 16. Jahrhundert: 6 Titel; im 17. Jahrhundert: in Leiden (Johannes le Francq van Berkhey 1776) und 31 Titel; im 18. Jahrhundert: 76 Titel. Total sind das 112 Göttingen (Friedrich Ekkard 1782) geprägt. Anschlie- Werke mit Anthropologie im Titel; davon im deutsch- ßend wurde er überall in Deutschland gebraucht. Der sprachigen Raum 84, wobei die Periode 1770−1800 Begriff „folk-lore“ wurde 1846 von William Thoms in mit 43 Titeln einen deutlichen Aufschwung verzeich- London geprägt und gilt als angelsächsisches Äquiva- net (Brisson 2009). lent des deutschen Begriffes Volkskunde. Im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts Wie gesagt, wurden die genannten Termini und gab es mehrere Varianten von Anthropologie: eine die Idee einer weltumspannenden Völkerbeschrei- medizinische Anthropologie oder „Psychomedizin“ bung bald durch Wissenschaftler und Journalisten in (Krüger); eine theologische Anthropologie (anthropo­ Nachbarländern übernommen. In Russland wurde logia sacra); eine philosophische Anthropologie (Kant, weiterhin ethnographisch gearbeitet; in den USA Herder); eine pädagogische Anthropologie (Campe); tauchte 1802−1803 erstmals der Begriff „ethnological“ und eine physische Anthropologie. Letztere begann auf, und zwar in der von Thomas Jefferson und/oder mit Linné (1735) und Buffons l’historie naturelle de Benjamin Smith Barton aufgestellten Instruktion für l’homme (1749) und führte 1775 zu Blumenbachs die Lewis and Clark Expedition (1804−1806). Sie be- naturhistorischer Anthropologie, die vier, später fünf nutzten den Begriff in der Formulierung Ethnological „Varietäten“ unterschied, hauptsächlich auf Grund von Information Desired (Vermeulen 2015: 355, 402−404). Hautfarbe und Schädelform. Diese Instruktion kann als ein englischsprachiges Das Objekt der Anthropologie war entweder die Echo der Instruktionen betrachtet werden, die Müller Natur des Menschen; eine anatomische Beschreibung während der Zweiten Kamtschatka-Expedition in den (Anthropographia); eine Verbindung zwischen Körper Jahren 1733−1743 aufgestellt hatte. und Seele (commercium mentis et corporis) bei den Psychomedizinern Krüger und Platner in Halle und IV. Anthropologie und Anthropographie im Leipzig; oder eine naturhistorische Betrachtung der 18. Jahrhundert Menschheit als Gattung (species). In der Nachfolge von Linné und Buffon formulierten Anatomen, wie Blu- Das Objekt der Ethnologie, das nicht „das Volk“ oder menbach, Camper und Soemmerring; Philosophen, „das Völkische“, sondern die Völkervielfalt, die Plura- wie Kant und Meiners, sowie Naturhistoriker, wie lität der Völker, aller Völker, widerspiegelte, war völlig Johann Reinhold Forster und Georg Forster Theorien anders als das der wenig später geprägten „Menschen- über die menschlichen „Varietäten“ bzw. „Rassen“. Buf- rassen“, die von der naturhistorischen Forschung durch fons Begriff „race“ wurde von Kant ab 1775 als „Racen“ Linné, Buffon, Blumenbach u. a. thematisiert wurden. in Deutschland introduziert. Blumenbach unterschied Kurze Zeit nach der Einführung der Völkerkunde von zunächst, wie Linné, Buffon und Kant, vier Varietäten, Schlözer und Gatterer wurde in Göttingen auch eine später fünf. Ab 1790 bezeichnete er Buffons Naturge- physische Anthropologie entwickelt. Johann Friedrich schichte des Menschen als Anthropologia. Blumenbach (1752−1840) ist einer der Gründerväter Seine Hauptarbeit, De generis humani varietate na­ dieser Anthropologie. Seine Werke wurden nicht nur tiva in drei Ausgaben (1776, 1781, 1795), erschien in in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Eng- deutscher Übersetzung mit dem Titel Über die natürli­ land sowie in den USA wahrgenommen. chen Verschiedenheiten im Menschengeschlecht (1798). Anthropologie, die Lehre vom Menschen, war Der Titel der französischen Ausgabe (De l’Unité du ein Produkt des Humanismus und des ersten Entde- genre humain, et de ses variétés, 1804) weist deutlicher ckungszeitalters (1450−1650). Die ersten Belege des auf Blumenbachs These der Einheit des Menschenge- Begriffs findet man bei Magnus Hundt, Theologe und schlechts hin. Mit der englischen Übersetzung von Mediziner in Leipzig (Antropologium 1501); Raffele 1865 wurde „anthropology“ in der angelsächsischen

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Welt synonym für das Studium der „Natural Variety sollte, das in den Händen menschenverachtender Re- of Mankind“. gimes zu Ausschließung und Genozid führte. In Frankreich wurde 1799 die Société des Obser­ Den klarsten Beweis dafür, dass um 1800 beide vateurs de l’Homme gegründet, eine Gesellschaft der Wissenschaften, die Anthropologie und die Ethnolo- Wahrnehmer des Menschen, die nur fünf Jahre be- gie, zu unterschiedlichen Wissensdomänen gehörten, stand, die aber das Thema einer weltumfassenden finden wir in Ehrmanns Werk. Theophil Friedrich Anthropologie in Frankreich auf die Tagesordnung Ehrmann (1762−1811) war ein geographischer Schrift- brachte. Dagegen scheint die Ethnologie damals in steller aus Straßburg, der seit 1788 in Stuttgart und Frankreich noch nicht bekannt gewesen zu sein. seit 1803 in Weimar lebte und sich einen Namen als In seiner Forschung kombinierte Blumenbach An- Herausgeber von Reisebeschreibungen gemacht hatte, thropologie mit Ethnologie, weil er, obwohl Anatom, die er teilweise aus dem Französischen, Englischen und auch Kurator des Akademischen Museums in Göt- Holländischen übertragen hatte. Er gab auch eine Reihe tingen war, in dem u. a. wichtige Sammlungsobjekte ethnologischer Zeitschriften heraus, die 1783 mit dem aus dem Pazifik und aus Sibirien eintrafen. In meh- erwähnten Magazin der Erd- und Völkerkunde begann. reren Aufsätzen erklärte er sich für das „Studium der Bereits 1787 publizierte er einen Aufsatz mit dem Titel Menschheit und der Völkerkunde“ (z. B. in den Göt­ „Kurze Übersicht der Völkerkunde“, 1791 eine Ethno­ tingischen Anzeigen von gelehrten Sachen, 1797: 163). graphische Bildergallerie, und 1792 einen Aufsatz „Über Auch Gatterer hatte 1775 die Ethnographie mit die Völkerkunde“, in dem er einen klaren Unterschied der „Anthropographie“ kombiniert, als vierter Teil zwischen einer allgemeinen und einer besonderen der Geographie. Wie wir sahen, sprach er von „Men- Völkerkunde machte (Ehrmann 1792: 7). Die Völker- schen- und Völkerkunde (Anthropographia und Eth- kunde, so schrieb er, „umfaßt alle Völker der Erde“ und nographia)“. Blumenbach verwendete 1784 die gleiche sei eine „weit ausgedehnte Wissenschaft“ (1792: 3, 17). Kombination: „Menschen- und Völkerkunde“ sowie Die allgemeine Völkerkunde „wird auch – doch mich 1788 die Verbindung „Natur- und Völkerkunde“. Der dünkt etwas uneigentlich – Geschichte der Menschheit Philosoph Christoph Meiners (1747−1810) benutzte genannt“ (1792: 11), mit einem expliziten Verweis auf ethnologische Daten, um seine Rassentheorien zu Meiners. Im Jahr 1808 kam Ehrmann auf diese The- bestätigen. In seinem Grundriß der Geschichte der matik zurück und unterschied wieder die allgemeine Menschheit (1785: xx−xxi) unterschied er zwei „Haupt- von einer besonderen Völkerkunde, aber diesmal fügte stämme“, die Kaukasische und die Mongolische; „der er die Begriffe Ethnologie und Ethnographie hinzu: Kaukasische Stamm [zerfalle] wiederum in zwo Ra- „allgemeine Völkerkunde oder Ethnologie“ und „be- cen: in die Celtische und Slawische”. Diese Verwechs- sondere Völkerkunde oder Ethnographie“. lung von Kategorien, „zwei Hauptstämme“, die „in Dieser Aufsatz erschien in dem von F. J. Ber­ zwo Racen zerfallen”, die er mit ästhetischen und in- tuch und J. S. Vater in Weimar herausgegebenen haltlichen Bewertungen verband, übernahm Meiners Allgemeine[n] Archiv für Ethnographie und Linguistik, möglicherweise von Buffon, der „la nation tartare“ mit unter dem Titel „Umriss der allgemeinen und beson- „cette race tartare“ vermischte und 1750 sowohl von deren Völkerkunde“ (Ehrmann 1808a). Im gleichen „la race noire“ sprach als auch von der Notwendigkeit, Band publizierte Ehrmann noch einen Aufsatz: „Skiz- „de diviser des noirs en différentes races“ (Buffon III, zirte Übersicht der Hauptverschiedenheiten der Völ- 1750). Der Geograph E. A. W. Zimmermann beklagte ker, in Betreff der Leibesfarbe (Mit einer Charte der sich bereits 1778 darüber: man wisse nie, ob „Buffon Menschen-Rassen)“ (Ehrmann 1808b), in dem er die von Arten (species) oder von Geschlechtern [genus] Anthropologie von Blumenbach zusammenfasste. Die redet“ (Zimmermann 1778). Die Forschungsreisen- Karte brachte eine „Übersicht der vorzüglichsten Va- den Reinhold und Georg Forster unterschieden im rietäten des Menschen. Nach dem Blumenbachschen Pazifik „two races“ (später Polynesier und Melanesier Systeme“. Hieraus folgt, dass Ehrmann die Ethnologie genannt), welche Blumenbach 1781 in einer fünften und die Anthropologie als separate Fächer betrachtete, „malaische Varietät“ zusammenfasste. die getrennt behandelt werden sollten, auch wenn es Solche Versuche, das Studium der „Rassen“ mit Verbindungen zwischen beiden gab. denen der „Völker“ zu verbinden, mehrten sich im 19. Jahrhundert und speisten sich aus dem Bedürfnis, die V. Ethnographie und Ethnologie im frühen Völker der Erde bestimmten Oberkategorien zuzuord- 19. Jahrhundert nen. Wenn es nur vier oder fünf menschliche „Rassen“ gäbe, welche Völker gehörten dann zu welcher Rasse? In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte die Das war auch schon eine Frage für Blumenbach, die Rezeption und Weiterentwicklung der Ethnologie in bis 1945 zu einem verhängnisvollen Problem werden Europa und in den USA in zwei Richtungen: a) Ethno-

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 106 Han F. Vermeulen, Halle (Saale) logie als Ethnographie in Russland, Deutschland, Böh- täten des Menschengeschlechts zu erforschen: „the men, Ungarn, den Niederlanden, Frankreich, usw. und distinguishing characteristics, physical or moral, of b) Ethnologie als physische Anthropologie, ab 1839 the varieties of Mankind which inhabit, or have in- in Frankreich und England, später auch in anderen habited the Earth; and to ascertain the causes of such Ländern Europas und in den USA. Diese Aufspaltung characteristics“. Das war allerdings bei Blumenbach und die beiden Varianten sind in der Literatur kaum das Objekt der Anthropologie! In den USA wurde wahrgenommen worden. das Ziel der American Ethnological Society (AES), die Nach der Napoleonischen Zeit nahmen deutsch- 1842 gegründet wurde, neutraler aufgefasst: „Man sprachige Schriftsteller und Verleger das Thema einer and the Globe he inhabits, as comprised in the term Ethnographie rasch wieder auf. In Göttingen schrieb Ethnology in its widest meaning“. Auch in Russland der Geograph Carl Ritter zwischen 1813 und 1818 die blieb die Bedeutung der Ethnographie eindeutig die ersten Bände seiner Erdkunde in ihrem Verhältniß zur einer Völkerbeschreibung: die Russische Geographi- Natur und Geschichte des Menschen (eine Reihe, die, sche Gesellschaft hatte seit ihrer Gründung 1845 eine bis zu seinem Tod im Jahr 1859, 21 Bände beinhal- Abteilung für Ethnographie (otdelenie etnografii) als ten würde und unvollendet blieb); ab 1820 hielt Ritter 4. Abteilung neben den Abteilungen für Physische Vorlesungen über „Länder- und Völkerkunde“ an der Geographie, Mathematische Geographie und Statistik Universität Berlin. In Jena gab Friedrich Alexander (Vermeulen 2015: 409−10, 417−22, 8−10). Stattdessen Bran zwischen 1818 und 1829 das Ethnographische zog William Edwards in Frankreich eine physische Archiv heraus in 39 Bänden und nicht weniger als 80 Studie von Rassen IN Völker vor (Topinard 1885: 119). Heften. In Potsdam produzierte der Geograph und Ihm folgten James Cowles Prichard in England, Paul Kartograph Heinrich Berghaus verschiedene ethno- Broca in Frankreich und Douwe Lubach in Holland. graphische Zeitschriften, z. B. Hertha. Zeitschrift für Diese rassenorientierte Ethnologie wurde von zeitge- Erd-, Völker- und Staatenkunde (14 Bde.) und Anna­ nössischen Autoren wie Lazarus und Steinthal (1860: len der Erd-, Völker- und Staatenkunde (60 Bde.) sowie 13) als „physikalische Ethnologie“ identifiziert – im eine Allgemeine Länder- und Völkerkunde (6 Bde.), Unterschied zu einer „psychischen Ethnologie“ (Ver- die Grundlinien der Ethnographie (1849) und einen meulen 2015: 420, n. 40). Die Geschichte der Ethnolo- Allgemeine[n] ethnographische[n] Atlas (Gotha 1852). gie bzw. „the History of Anthropology“ hat diese Vari- In Wien publizierte der Sprachforscher Friedrich ante lange nicht anerkannt, weil die frühe Geschichte Müller 1873 eine Allgemeine Ethnographie (2. Auflage der Ethnographie und Ethnologie nicht genügend un- 1878−1879) und in Leipzig der Geograph Oscar Pe- tersucht worden war. Erst neuerdings wurde mit der schel 1874 eine Völkerkunde, die bis 1897 in sieben Aufarbeitung einer Ethnologie nicht im Sinne einer Auflagen erschien und ins Englische, Französische Völkerkunde, sondern im Sinne einer Rassenkunde und Niederländische übersetzt wurde. begonnen (Vermeulen 2015, McMahon 2019). Die englische Ausgabe von Peschels Völkerkunde Gustav Friedrich Klemm (1802−1867), Kulturhisto- bekam den Titel The Races of Man (1876). Damit riker und Sammler, war Bibliothekar am Dresdner Hof wurde das Thema wesentlich umgedeutet. Das hängt von 1834−1864. Seine „culturhistorische Sammlung“ mit einem epistemologischen Wandel zusammen, der war die Grundlage seiner Allgemeine[n] Cultur-Ge­ sich ab 1829 in Frankreich, danach auch in England schichte der Menschheit in 10 Bd. (Leipzig 1843−1852) und z. B. in den Niederlanden abzeichnete. Das Er- und der Allgemeine[n] Culturwissenschaft in 2 Bd. gebnis sehen wir in den ethnologischen Gesellschaf- (Leipzig 1855−1858). Erstere enthielt eine „Fantasie ten, die um 1840 in Paris und in London gegründet über ein Museum für die Culturgeschichte der Mensch- wurden. Während die Völkerkunde in Deutschland heit“ (1843). Klemms Arbeiten sind bekannt, weil seine weitgehend als Ethnographie aufgefasst wurde, nicht Sammlungen von etwa 15.000 Exponaten ins Museum nur bei Schlözer und Gatterer, sondern auch in den für Völkerkunde zu Leipzig einflossen (1869−1870). Zeitschriften von Bran, Berghaus usw., definierten die Klemm unterschied drei Stufen von Kulturentwick- ethnologischen Gesellschaften von Paris und London lung: Wildheit, Domestizierung und Freiheit. Mit sei- das Objekt der Ethnologie nicht mehr als eine Völker- ner Theorie der Ungleichheit der menschlichen „Ras- kunde, sondern als eine Rassenkunde. sen“, die er als Motor der Weltgeschichte ansah, und die Die Société ethnologique de Paris (SEP) wurde 1839 er in „aktive“ Racen (Mexikaner, Ägypter, Chinesen, gegründet, um die „Menschenrassen“ zu erforschen: Japaner, Europäer) und „passive“ Racen (Mongoloiden, „l’étude des races humaines d’après la tradition his- Negroiden, Finnen, usw.) unterteilte, welche „zusam- torique, les langues et les traits physiques et moraux men gehören“, wird er als ein Vorläufer von Arthur de de chaque people.“ Die Ethnological Society of London Gobineau betrachtet. Dennoch übte Klemm mit seiner (ESL) wurde 1843 gegründet, um ebenfalls die Varie­ kulturhistorischen Sammlung nicht nur Einfluss auf

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Marx und Bastian in Deutschland aus, sondern auch Psychologen und Pädagogen Johann Friedrich Herbart auf A. Pitt Rivers und E. B. Tylor in Oxford sowie O. T. (1776−1841), Kants zweiter Nachfolger in Königsberg Mason in Washington. und danach Professor in Göttingen. Dabei ging es Im Jahr 1859, parallel zu der Veröffentlichung sowohl Waitz als auch Bastian um eine Völkerpsycho- von Charles Darwins , mit logie, eine Disziplin, die von dem Psychologen Moritz der die Theorie der Transmutation der Arten in der Lazarus und dem Sprachforscher Heymann Steinthal Biologie gängig wurde, erschienen Maximilian Pertys in der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift für Völ­ Grundzüge der Ethnographie (Leipzig 1859) und der kerpsychologie und Sprachwissenschaft (1860−1890) erste Band von Theodor Waitz’s Anthropologie der Na­ weiterentwickelt wurde. Wie Waitz war Bastian Kri- turvölker (Leipzig 1859−1872, 6 Bde.). Der erste Band tiker der anthropologischen Theorie einer Rassenun- wurde von J. F. Collingwood für die Anthropological gleichheit. Anders als Waitz war er kein Anhänger der Society of London übersetzt und erhielt den Titel In­ Evolutionstheorie von Darwin, vor allem nicht in der troduction to Anthropology (London 1863). Die beiden Übersetzung von . Auch die unilineare letzten Bände wurden von seinem Freund und Schüler, Geschichtsauffassung von L. H. Morgan und E. B. Ty- dem Geographen Georg Gerland, zu Ende geführt. lor lehnte er ab. Die Anthropologie von Theodor Waitz (1821−1864), Die Idee einer physischen Einheit des Menschen Professor für Philosophie in Marburg, ist nicht nur als stammt weder von Bastian noch von Waitz, sondern Kompendium wichtig, sondern auch weil er gegen die eher von Blumenbach und dessen Schüler Alexander polygenetischen Theorien mehrerer Menschenarten von Humboldt (1769−1859). Letzterer hatte auf seinen argumentierte. Der erste Band handelte explizit „Über Reisen in Europa, Amerika und später in Asien die die Einheit des Menschengeschlechts und den Natur- Vielfalt der Natur und des Menschen wahrgenommen zustand des Menschen“. Robert Lowie (1937: 16−18) und hielt trotzdem an einer Einheit in der Vielfalt fest. hat Waitz mit Meiners und Klemm als einen der Während seiner Vorlesungen in Berlin (1827−1828) „Pioniere“ der Ethnologie dargestellt, was übersieht, sprach von Humboldt über die „Einheit des Men- dass Meiners und Klemm rassistische Theorien heg- schengeschlechts“; Fragmente davon existieren in ten, während Waitz die Absicht hatte, biologistische seinem Kosmos (1845−1862) und in seinem Nachlass. und rassistische Vorurteile zu bekämpfen. Bernhard Auch Georg Forster, der Weltreisende, dessen Mit- Streck (2007) hat darauf hingewiesen, dass Waitz’ reisender von Humboldt im März–Juni 1790 auf der Anthropologie „die erste wirklich quellenkritische Zu- Reise durch Deutschland, Holland und Flandern nach sammenstellung des ethnographischen Wissens um London und zurück über Paris gewesen war, hatte die die Mitte des 19. Jahrhunderts“ war und dass er seine Idee einer „Einheit in der Mannigfaltigkeit“ formuliert Arbeit „als Zusammenführung von Natur- und Geis- (Forster 1791−1792). Und Herder hatte sich in seinen teswissenschaften“ begriff, „die ein gemeinsames Ziel Ideen gegen eine Einteilung der Menschheit in „vier der Gesamtmenschheit im Auge hatte“. oder fünf Rassen“ ausgesprochen (Herder 1784−1791, Dennoch blieb die Entwicklung in Deutschland vor Band II, Buch 7, Kapitel I, 1785). allem ethnographisch orientiert, wie Berghaus’ Grund­ Auf diese Grundlage stellte Bastian das Konzept linien der Ethnographie (1849), Pertys Grundzüge der einer geistigen Einheit der Menschen, die er mit dem Ethnographie (1859), Friedrich Müllers Allgemeine Konzept von „Elementargedanken“, die universell für Ethnographie (1873) und Peschels Völkerkunde (1874) die Menschheit seien, zum Ausdruck brachte. Diese – wohl die ersten Lehrbücher vor Tylors Anthropology kontrastierte er mit den „Völkergedanken“, die charak- (London 1881) – belegen. teristisch für individuelle Völker seien und die er mit „geographischen Provinzen“ und „Culturkreisen“ ver- VI. Ethnologie und Anthropologie im Berlin des band (z. B. Bastian 1868a−b,1881a, 1886, 1895). Seine Theorien werden im wissenschaftlichen Diskurs noch späten 19. Jahrhunderts immer hervorgehoben (Fiedermutz-Laun 1970, 2007; Erst mit Adolf Bastian (1826−1905), Gründungsdi- Koepping 1983, 1995, 2000; Fischer et al. 2007; Chev- rektor des Königlichen Museums für Völkerkunde in ron 2007). Sie verknüpften sich mit dem Universalis- Berlin, trat die Ethnologie voll ins Zentrum der öf- mus von Leibniz, Müller, Schlözer und den Brüdern fentlichen Aufmerksamkeit. Bereits in seiner ersten von Humboldt, dem Relativismus von Forster, Herder größeren Arbeit, Der Mensch in der Geschichte (1859), und Franz Boas sowie mit dem Anti-Rassismus von postulierte er die „geistige Einheit der Menschheit“. Adolf Bastian und Rudolf Virchow in Berlin und von Bastian war, wie Waitz, an Forschungen auf dem Ge- Boas in Berlin und New York. biet der Psychologie interessiert. Beide standen unter Freilich passierte das in einer Periode, in der nicht dem Einfluss der Psycholinguistik des Philosophen, nur die Industrialisierung Europas und die zuneh-

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1875, Ethnologie lehrte. Über seinen Unterricht in der Auch für Bastian wurde die Ethnologie immer Periode 1875 bis 1900 ist wenig bekannt; vermutlich, mehr eine „Lehre vom Menschen“ (Bastian 1895). Es weil er viel im Museum tätig war und oft auf Reisen. ist schwierig, sich hier Klarheit zu verschaffen, wenn Erst am 11. Januar 1900 wurde er ordentlicher Hono- man nicht die Forschungen seiner Mitarbeiter und rar-Professor (Fiedermutz-Laun 2007: 59−64). Assistenten betrachtet. Ende der 60er Jahre gründete Bastian mit Robert Bei der Eröffnung des Museums im Dezember Hartmann die Zeitschrift für Ethnologie (1869), die 1886 hatte Bastian vier Assistenten: Albert Grün- das Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropolo- wedel (1856−1935) für Indien und Asien, Wilhelm gie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) wurde. Grube (1855−1908) für Ostasien, Felix von Luschan Bei der Gründung der BGAEU arbeitete er eng mit (1854−1924) für Afrika und Ozeanien, und Albert dem Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow Voss für die Abteilung Prähistorie; selbst betreute er (1821−1902) zusammen (Lewerentz 2004, 2007). Das vermutlich die Amerikasammlung, die damals die war eine interessante Kombination von Fächern. Ab umfangsreichste war (König 2007: 127). Dazu kamen 1859 wurde in Frankreich, England und den USA die direkt und indirekt Karl von den Steinen und Franz (physische) Anthropologie dominant, vor allem unter Boas. Ein kurzer Vergleich ihrer Karrieren und For- dem Einfluss von Paul Broca, der 1859 in Paris eine schungen leuchtet ein. anthropologische Gesellschaft, 1867 ein anthropolo- Karl von den Steinen (1855−1929) hatte, wie gisches Labor und 1876 eine anthropologische Schule Bastian, Medizin studiert und machte mehrere For- gründete. Seit 1871 galt „Anthropology“ in England schungsreisen. Kaum zwanzig Jahre alt promovierte er als die allgemeinere Disziplin (Stocking 1971), der 1875 an der Universität Straßburg, spezialisierte sich die Ethnologie, die Linguistik und die Urgeschichte als Psychiater in Wien und war 1878−1879 Assistenz- untergeordnet waren. Mit dem Neanderthal-Fund arzt an der Charité in Berlin. Dann brach er auf eine bei Düsseldorf (1856), dem Anthropologentreffen in Weltreise auf, die ihn 1879−1881 über New York nach Göttingen (1861), auf Einladung von Rudolf Wagner Cuba, Mexiko, Polynesien, Java, China, Japan, Indien (Blumenbachs Nachfolger), dem zweiten „Congrès und Ägypten führte. Im April 1880 begegnete er in international d’anthropologie et d‘archéologie préhis- einem Hotel in Honolulu auf Hawaii Bastian, der ihn toriques“ (Paris 1867) und den Debatten über Ethnolo- anregte, sich der Ethnologie zuzuwenden und ethno- gie und Anthropologie in England, war das Verhältnis graphische Objekte zu sammeln (von den Steinen 1905: zwischen diesen Wissenschaften vom Menschen ein 243). Nach seiner Rückkehr trat er 1881 in die Berliner großes Thema. Es war deshalb eine gute Entscheidung, Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur- die Berliner Anthropologische Gesellschaft kurz nach geschichte ein. Kurz danach begleitete er als Arzt und ihrer Gründung, also kurz nach 1869, in Berliner Naturforscher die deutsche Südpolarexpedition nach Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Ur- Südgeorgien (1882−1883). Auf der Rückreise stieg er geschichte umzubenennen. Damit kam eine – inter- in Montevideo aus der Polarexpedition aus und fasste national gesehen – sehr frühe Kombination dieser drei den Plan, eine ethnologische Forschung in Südamerika Wissenschaften zustande, die es sonst nirgendwo in zu unternehmen. Im Jahr 1884 erkundete Karl von den vergleichbarer Weise gab. Das Royal Anthropological Steinen das Flussgebiet der Oberen Rio Xingú, begleitet Institute (RAI), 1871 entstanden aus einer Fusion der von seinem Vetter Wilhelm von den Steinen, der als Ethnological Society und der Anthropological Society, Maler und Zeichner auftrat, und dem Physiker Otto kannte nur zwei Felder. Die Anthropological Society of Clauss sowie von zwei brasilianischen Assistenten und Washington (ASW), gegründet 1879, beabsichtigte die einer Gruppe brasilianischer Soldaten (Abb. 6). Bearbeitung von vier Feldern („Archaeology, Somato- 1887−1888 unternahm von den Steinen eine zweite logy, Ethnology, and Philology“). Das war der Beginn Reise durch Brasilien, die 2. Xingú-Expedition, ermög- des in Nordamerika berühmten „four-fields approach“. licht durch ein Stipendium der Humboldt-Stiftung, auf Das war ein breites Feld voller Varianten. In seiner der er von dem Ethnologen und Anthropologen Paul Vorgeschichte der Ethnologie schrieb Bastian: „Da zu- Ehrenreich (1855−1914) aus Berlin und dem Geo- gleich [mit den ethnologischen und anthropologischen graphen Peter Vogel aus München begleitet wurde. Gesellschaften] in Berlin das Fundament zum ersten Der Ertrag beider Reisen war erheblich. Mit seiner Museum für Ethnologie … gelegt ist, darf die bisher Grammatik der Bakaïrí-Sprache (Leipzig, 1892) und noch ungewiss schwankende Zukunft dieser lange seinen Reiseberichten Durch Central-Brasilien (Berlin, heimathlosen Wissenschaft als gesichert betrachtet 1886) und Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens werden“ (Bastian 1881b: 6−7). Als „heimatlose Wissen- (Berlin, 1894; Neuauflage als gekürzte „Volksausgabe“ schaft“ brauchte die Ethnologie Kompagnons, wie er 1897) legte von den Steinen das Fundament für die schreibt „Verbindungen“ mit anderen Wissenschaften. ethnologische Erforschung Südamerikas (Kraus 2004).

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nommen (Hermannstädter 1996: 85). Obwohl diese Habilitationsschrift nie gedruckt wurde, hielt von den Steinen auf dem 8. Deutschen Geographentag in Berlin einen Vortrag mit dem nur geringfügig geänderten Ti- tel „Erfahrungen zur Entwicklungsgeschichte der Völ- kergedanken“ (von den Steinen 1889). Danach war von den Steinen zwei Jahre Privatdozent in Marburg und erhielt im Dezember 1891 das Prädikat „Professor“ (Kraus 2001: 37). Im Sommer 1893 kehrte er nach Ber- lin zurück, wo er als Privatdozent und als Herausgeber der ZeitschriftDas Ausland. Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde tätig war. Im gleichen Jahr erhielt er eine Stelle am Museum für Völkerkunde, wo er bis 1906 Kurator und Direktor der amerikanischen Abteilung war. Von 1900 bis 1904 war er auch außerordentlicher Professor an der Universität. Im Auftrag des Muse- ums besuchte er 1897−1898 die Marquesas-Inseln in Polynesien, um die materielle und geistige Kultur der Einwohner zu erforschen und ethnographische Objekte zu sammeln. Auf dem Hinweg reiste er von Montreal nach Vancouver, wo er im Juli 1897 bei dem norwegischen Sammler Filip Jacobsen eine Sammlung der Nordwestküsten-Indianer erwarb, die eigentlich für Boas zusammengestellt worden war (Bolz 1999). Auf der Rückreise seiner Forschung auf den Marquesas reiste er von Kalifornien nach New York und besuchte unterwegs die Hopi in Arizona, wo er 200 Photogra- phien machte (Bredekamp 2019). Im Juni 1898 begeg- nete er Boas in New York. Das war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Franz Boas (1858−1942) hatte in Heidelberg, Abb. 6. Karl von den Steinen posierend in Rio de Janeiro, 1884. Bonn und Kiel Naturwissenschaften und Philosophie Fotographie von Alberto Henschel & Co. (Mit freundlicher Geneh- studiert, wurde 1881 in Kiel promoviert und unter- migung von Reimar Schefold, Amsterdam) nahm 1883−1884 bei den Inuit auf Baffinland seine erste Forschung. Danach arbeitete er vom September Bemerkenswert ist, dass er während seiner zweiten 1885 bis zum Frühsommer 1886 unter Bastians Obhut Expedition auch eine frühe Form von Feldforschung im Berliner Museum, in einer „inspirierenden Umge- betrieb (von den Steinen 1912). bung“ mit Grünwedel, Grube und von Luschan (Boas Im Januar 1889 verlieh die Universität Halle von den zitiert in Cole 1999: 96). Letztere waren Mitarbeiter, Steinen die Ehrendoktorwürde und im August 1889 die Verantwortung für die Sammlung trugen, während habilitierte er sich an der Universität Berlin mit einer Boas als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter (in heutiger Arbeit über „Erfahrungen zur Entwicklungsgeschichte Terminologie: Volontär) tätig war und nur einen Teil des Völkergedankens“. Das war die dritte Habilitation der Amerikasammlung bearbeitete. Dazu gehörte eine für dieses Fachgebiet in Deutschland überhaupt, nach Sammlung von Objekten aus dem Nordwesten Ame- Bastians Habilitation für Ethnographie an der Univer- rikas, die 1881−1883 von dem norwegischen Kapitän sität Berlin (Dezember 1866) und Boas’ Habilitation Johan Adrian Jacobsen im Auftrag von Bastian gesam- für Geographie und Ethnographie (Mai 1886). (Edu- melt worden war (Bolz 1999). Außerdem traf Boas sich ard Selers Habilitation, auch in Berlin, im Jahr 1894, von Januar bis Mai 1886 regelmäßig mit einer Gruppe handelte von mexikanischen Bilderhandschriften). In von neun Bella-Coola (Nuxalk) Indianern, die für eine seiner Habilitationsschrift versuchte von den Steinen Völkerschau nach Europa gebracht worden waren und seine Wahrnehmungen mit Bastians Völkergedanken in Berlin Tänze und Musik vorführten. Diese Begeg- zu vereinbaren. Leider war Bastian selber auf Reisen nungen brachten Boas dazu, sich – nach seiner Habi- (seiner sechsten Reise) und die Schrift wurde in der litation an der Berliner Universität im Mai 1886 – auf philosophischen Fakultät nur mit Vorbehalt ange- die Erforschung der „First Nations“ an der Nordwest-

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang 111 küste Amerikas zu konzentrieren (Boas 1885, 1887, 1888). Im Sommer 1886 reiste er über London in die USA und nach Kanada, wo er eine Art Feldforschung begann, die er in den kommenden Jahren fast jeden Sommer weiterführte. Damit baute er sich in unter- schiedlichen Funktionen in New York, Washington und Chicago einen Namen als bestinformierter Eth- nologe, Anthropologe und Linguist des nördlichen Amerikas auf (Abb. 7) und erhielt 1899 eine Professur für „Anthropology“ an der Columbia Universität in New York. Dort entwickelte er die „four fields“ weiter, gründete 1902 die American Anthropological Associ- ation und bildete über fünfzig Doktoranden aus, die als „the Boasians“ bekannt wurden. Aus dem ersten Teil der Biographie von Boas durch Rosemary Lévy Zumwalt: Franz Boas: The Emergence of the Anthropologist (2019) geht hervor, dass Boas seine Forschung in dieser Frühphase immer wieder mit Ethnographie andeutet und fast nie mit Anthropologie – obwohl er auch anthropometrische Untersuchungen durchführte. Boas’ Forschungsprogramm war in die- ser Phase durch eine Kombination von Ethnographie und Linguistik mit dem Ziel gekennzeichnet, durch die Sprache die Kultur der „Stämme“ zu entschlüsseln, Abb. 7. Franz Boas für ein Diorama mit dem Titel „Hamats’a ihre „folktales“ und Mythen zu dokumentieren sowie coming out of secret room“ im United States National Museum po- ihre materielle Kultur zu sammeln, unter anderem um sierend, um 1895. (National Anthropological Archives, Smithsonian Institution, Washington, DC, USA, Negative No. MNH 8302) seine Forschung zu finanzieren. Diese Ausführungen weisen darauf hin, dass Boas und von den Steinen ähnliche Forschungsziele hatten: anderen. Dennoch ist das Betreiben von Ethnographie eine enge Verbindung zwischen Ethnographie und damals wie heute kennzeichnend für die Ethnologie, Linguistik, eine systematische Aufmerksamkeit für auch für die deutschsprachige Ethnologie, selbst wenn sowohl die materielle als auch die geistige Kultur sowie man sie, wie es 2015−2017 in Berlin geschehen ist, in eine intensive Sammeltätigkeit für Museen, die direkt Sozial- und Kulturanthropologie umbenennt. von Bastian angeregt wurde. Darüber hinaus teilten sie Bastians und Virchows Abkehr von Rassismus, Antise- Schlussfolgerung mitismus und Sozialdarwinismus. In Berlin wird diese Form von Wissenschaft heutzutage „liberale Ethnolo- Vorliegender Aufsatz demonstriert, dass die Ethno- gie“ genannt: mit Boas überlebte „die liberale [anti- graphie weder in der Antike existierte noch mit den rassistische] Berliner Schule“ in den USA, „während Sozialevolutionisten im 19. Jahrhundert als Ethnolo- der Wind in Deutschland sich bereits vor dem Ersten gie entstand, sondern dass sie sich als eine umfassende Weltkrieg änderte“ (Pfeffer 2007: 78); „diese Schule und systematische Beschreibung von Völkern oder um Bastian [betrieb] ihr Fach- und Sammelgebiet im Nationen während der Frühaufklärung in Sibirien he- zähen Widerspruch zum Wilhelminismus ihrer Tage“ rausbildete, also ab etwa 1730. Die wegweisende Rolle (Bredekamp 2017). von Gerhard Friedrich Müller (1705−1783), einem der Mit Bastian begann eine neue Phase in der Ge- Gründerväter der systematischen Ethnographie, kann schichte der Ethnologie, in der die Ethnologie eine auf in diesem Prozess nicht genügend gewürdigt werden. Theorie bezogene Wissenschaft wurde, in der jedoch Für die Genese der Ethnographie waren die multidis- ethnographisches Sammeln und ethnographische For- ziplinären Forschungsexpeditionen nach Nordasien schung prägend blieben. In seiner Vorgeschichte der von zentraler Bedeutung, die von der Akademie der Ethnologie stellte Bastian (1881b) implizit dar, dass die Wissenschaften in Sankt Petersburg entsandt und Ethnologie als Wissenschaft erst um 1860 anfängt. So deren Ergebnisse in der Kunstkamera archiviert wur- konnte Thomas Achelis (1889) Bastian als einen Haupt- den. Infolge der Zusammenarbeit deutschsprachiger vertreter der „modernen Ethnologie“ bezeichnen – im Historiker und Naturwissenschaftler sowie russischer Unterschied zu Ethnographen, wie Ritter, Berghaus und Gelehrter und Verwalter trat eine systematische Eth-

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 112 Han F. Vermeulen, Halle (Saale) nographie aus der sibirischen Forschungspraxis her- In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat in vor. Diese Ethnographie war nicht eine Wissenschaft Berlin eine liberale (antirassistische) Ethnologie her- des „Anderen“ oder des „Fremden“, sondern eine vor, die in den Händen von Adolf Bastian und seinen Beschreibung von „ethnos“ bzw. von „ethnē“ (Plural), Mithelfern Karl von den Steinen und Franz Boas auf also „aller Völker“. eine Kombination von Ethnographie und Linguistik In der Spätaufklärung entwickelte August Ludwig bezogen war und die zum Ziel hatte, die materielle Schlözer in Göttingen Müllers „Völker-Beschreibung“ und geistige Kultur der Völker, besonders der ur- zu einer „Völkerkunde“ oder „Ethnographie“ weiter sprünglichen Völker, zu dokumentieren. Im Jahr 1881 (Schlözer 1771) und Adam Frantisek Kollár tat in Wien betrachtete Bastian zu Unrecht die Ethnographie vor den entscheidenden Schritt zu einer „ethnologia“, die 1860 als eine „Vorgeschichte der Ethnologie“. Bastian Kollár (1783) als „notitia gentium populorumque“ war deshalb nicht der Gründervater der Ethnologie, definierte, also, als eine Studie der Völker und Natio­ sondern der Gründervater der klassischen Ethnologie, nen. Alle diese ethnos-Begriffe (Stagl 2002) wurden so wie Malinowski der Gründervater der modernen von Historikern in Mehrvölkerreichen, wie in Russ- Ethnologie im 20. Jahrhundert war. land, im Heiligen Römischen Reich und Österreich, Das ist die Relevanz des 18. Jahrhunderts für die geprägt. Die Ethnographie war also ein Produkt des Anthropologie heute: Die Ethnographie ist und war zweiten Entdeckungszeitalters und der Aufklärung. der Kern der Ethnologie. Die Einheit der Ethnologie Sie war nicht die Mutter der Ethnologie, wie oft an- liegt in der Ethnographie. Das herausragende Merk- genommen wird, sondern ihre ältere Schwester. Beide mal der deutschsprachigen Ethnologie ist demnach traten aus der Historiographie hervor. Im Jahr 1808 die Ethnographie/Ethnologie von Müller, Schlözer beschrieb Theophil Friedrich Ehrmann das Verhältnis und Kollár sowie die liberale Ethnologie von Bastian, zwischen beiden eindeutig: „allgemeine Völkerkunde von den Steinen und Boas. Sie sollte nicht abgewertet, oder Ethnologie“ und „besondere Völkerkunde oder sondern geschätzt werden. Ethnographie cum Ethno- Ethnographie“. Ethnographie und Ethnologie waren logie in Deutschland war (im besten Fall) transnatio- zwei Seiten derselben Medaille: eine beschreibende nal, kosmopolitisch, umfassend, systematisch, histo- und vergleichende Studie aller Aspekte aller Völker risch und liberal. aller Zeiten. Nach der Genese der Ethnographie, Ethnologie und (physischen) Anthropologie im 18. Jahrhundert Literatur entwickelte sich das Fachgebiet im 19. Jahrhundert in Achelis, Thomas (1889): Die Entwickelung der modernen Ethno­ vier Richtungen: Ethnologie als Ethnographie; Ethno- logie. Berlin: Mittler. logie als (physische) Anthropologie; die Dominanz Andreev, Aleksandr Ignat’evich (1937): Trudy G. F. Millera o Sibi- der (physischen) Anthropologie; und die Geburt der ri [G. F. Müllers Arbeiten über Sibirien]. In: G. F. Miller, Is­ liberalen Ethnologie in Berlin. Für das 18. Jahrhun- toriia Sibiri. Moskva/Leningrad: Izdatel’stvo Akademii Nauk dert lassen sich die Entwicklungen in einem einfa- USSR, Bd. 1: 59−144. 2. Auflage 1999. Archenholtz, Johann Wilhelm von (Hg.) (1782−1796): Littera­ chen Schema anordnen: historia naturalis (neben der tur und Völkerkunde. Ein periodisches Werk. 5 Bde. Dessau, Medizin und Theologie) versus historia civilis (neben 1782−86. Forts. Neue Litteratur und Völkerkunde. 4 Bde. Philosophie und Jura); im ersten Bereich entwickelte Dessau und Leipzig, 1787−1791. sich die Anthropologie, im zweiten die Ethnographie Basargina, Ekatarina Yu. (Hg.) (2019): Pervyj issledovatel’ Sibiri D. bzw. Ethnologie. Im späten 18. und vor allem im 19. G. Messeršmidt: Pis’ma i dokumenty 1716−1721. [Der erste Jahrhundert komplizierte sich die Lage. Wissenschaft- Erforscher Sibiriens D. G. Messerschmidt: Briefe und Doku- mente, 1716−1721. St. Petersburg: Nestor-Istoriia. ler suchten Allianzen mit der Geographie (Gatterer, Bastian, Adolf (1860): Der Mensch in der Geschichte. Zur Begrün­ Ritter, Berghaus), mit der Linguistik (Leibniz, Müller, dung einer psychologischen Weltanschauung. 3 Bde. Leipzig: Schlözer, Bastian, Boas, von den Steinen), mit der Verlag Otto Wigand. Geschichte (Müller, Schlözer, Kollár), mit der Phi- − (1868a): Das Beständige in den Menschenrassen und die Spiel­ losophie (Kant, Herder, Meiners), mit der Anatomie weite ihrer Veränderlichkeit. Prolegomena zu einer Ethno­ (Blumenbach, Wagner, Virchow), mit der Biologie graphie der Culturvölker. Mit einer Karte von Prof. Kiepert (Haeckel), mit der Rechtsgeschichte (Bachhofen), mit [siehe 1868b] Berlin: Dietrich Reimer. der Psychologie (Waitz, Bastian, Lazarus, Steinthal, − (1868b): A. Bastian und H. Kiepert, Übersichtskarte der ethno­ logischen Culturkreise nach ihrer ungefähren Begrenzung im Wundt) oder mit der Soziologie (Durkheim, etc.). Ein 15. Jahrhundert. Berlin: Dietrich Reimer. breites Feld, in dem man genau unterscheiden sollte, − (1881a): Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom wer, was, wann genau gemeint und mit wem oder was Menschen und seine Begründung auf ethnologischen Samm­ in Verbindung gebracht hat. lungen. Berlin: Ferdinand Dümmlers Verlagsbuchhandlung.

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang 113

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Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren 114 Han F. Vermeulen, Halle (Saale)

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Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte / Band 40 / 2019 / 91–117 / DOI 10.30819/mbgaeu.40.8 / © Logos + Autoren Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im 18. und 19. Jahrhundert: Einheit, Vielfalt und Zusammenhang 117

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Han F. Vermeulen − Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung / Max Planck Institute for Social Anthropology, Halle (Saale) − Advokatenweg 36 06114 H a l l e (Saale) E-Mail: [email protected]

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