Die Elenden I
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Die Elenden I. und II. Teil1 Französischer Titel: Les Miserables Produktion: DEFA Studio für Spielfilme; Société Nouvelles Pathé Cinema; P.A.C., Paris; SERENA-Film, Rom; 1957/58 Drehbuch: René Barjavel, Jean-Paul Le Chanois nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo. Dramaturgie: Ilse Langosch. Regie: Jean-Paul Le Chanois. Kamera: Jacques Natteau. Musik: Georges van Parys. Bauten: Karl Schneider, Serge Pimenoff. Kostüme: Marcel Escoffier, Jacqueline Guyot, Luise Schmidt. Schnitt: Emma Le Chanois, Lieselotte Johl. Produktionsleitung: Paul Cadeac, Richard Brandt, Erich Kühne. Deutsche Dialoge: Ruth Fischer. Synchron-Regie: Johannes Knittel Darsteller: Jean Gabin (Jean Valjean), Danielle Delorme (Fantine), Bernard Blier (Javert), Serge Reggiani (Enjolras), Bourvil (Thenardier), Elfriede Florin (Madame Thenardier), Gianni Esposito (Marius), Beatrice Alta Riba (Cosette), Fernand Ledoux (Bischof Myriel) u. v. a. (Totalvision/Breitwand, Farbe, I. Teil: 2772 m, ca. 100 min; II. Teil: 2781 m, ca. 101 min; für Jugendliche unter 18 Jahren nicht zugelassen) Ersteinsatz2: I. Teil: 16. Januar 1959; II. Teil: 23. Januar 1959 Inhalt: I. Teil: 1802. Jean Valjean, der ein Brot gestohlen hatte, wird nach 19 Jahren Haft entlassen, doch als früherer Sträfling bleibt er ein Ausgestoßener. Auf seiner Wanderung durch Frankreich nimmt ihn der Bischof Myriel, ein ungewöhnlicher Mann, der bescheiden und nach dem Gebot der Nächstenliebe lebt, auf. Selbst als Valjean ihm silbernes Besteck stiehlt, erklärt der Bischof den Gendarmen, er habe es Valjean geschenkt.3 Jean Valjean ist von der Güte des Bischofs überwältigt und beschließt, sein Leben zu ändern. Jahre später lebt er unter dem Namen „Monsieur Madeleine“ in einer kleinen Stadt, wo er eine Fabrik gegründet und soziale Einrichtungen geschaffen hat und schließlich zum Bürgermeister gewählt wird. Der Polizeiinspektor Javert entdeckt die wahre Identität Jean Valjeans. Doch Valjean, der der sterbenden Prostituierten Fantine versprochen hat, sich um ihre kleine Tochter Cosette zu kümmern, entkommt Javert und taucht mit Cosette in Paris unter, wo er sich fortan ganz ihrer Erziehung widmet. II. Teil: 1832. In Paris ist ein Aufstand ausgebrochen. Auch der junge Marius, den Cosette liebt, kämpft auf den Barrikaden. Javert hat sich verkleidet unter die Revolutionäre gemischt und wird entdeckt. Jean Valjean, der zu den Revolutionären gestoßen ist, bietet sich an, Javert zu erschießen, schenkt seinem alten Feind aber Leben und Freiheit. Als der Aufstand niedergeschlagen wird, flieht Valjean mit dem schwer verwundeten Marius durch die Abwasserkanäle. Dabei wird er von Javert entdeckt, der zum ersten Mal in seinem Leben das Gesetz nicht beachtet: er läßt seinen Retter, den Sträfling, laufen, kann aber damit nicht leben und begeht Selbstmord. Cosette und Marius heiraten. Jean Valjean enthüllt seinem 1 In den Kinos der BRD lief der Film in einer 159 min langen Fassung unter dem Titel „Die Miserablen“ (Ersteinsatz: 29. Januar 1960). 2 Die Premiere der französischen Fassung fand bereits am 12. März 1958 in Paris statt. 3 In dieser Szene übergibt der Bischof Valjean auch noch einen silbernen Leuchter. Daß dieser Teil der Szene geschnitten wurde, zog die meisten anderen Änderungen nach sich, denn der Regisseur verwendete den Leuchter als optisches Symbol, das mehrfach auftaucht, wenn sich Valjean in Gewissenskonflikten an den Bischof erinnert. Schwiegersohn sein Geheimnis. Marius, der ihn für den Mörder Javerts hält, verbietet ihm, Cosette weiterhin zu sehen. Als Marius die Wahrheit über Javerts Tod und seine Rettung erfährt, ist es zu spät: die Trennung von Cosette hat Jean Valjean allen Lebensmut genommen. Erst an seinem Sterbebett kommt es zur Versöhnung. Aktenbefund: BArch/FA O. 355 Bemerkungen: In Zusammenarbeit mit französischen Produzenten drehte die DEFA in den Jahren 1956-1959 vier Literaturverfilmungen4, von denen „Die Elenden“ die aufwendigste war. Sie wurden von französischen Regisseuren gedreht und waren in den Hauptrollen mit Stars des französischen Films besetzt, die DEFA brachte in erster Linie technische Kräfte und Darsteller einiger Nebenrollen ein. Im westlichen Ausland, so in der BRD, wurden die Filme teilweise als rein französische Produktionen angekündigt. Dies führte dazu, daß diese Koproduktionen besonders bei den Funktionären des Kulturministeriums nicht unumstritten waren, und im Fall von „Die Elenden“ artikulierte sich dieses Unbehagen in Form von Kritik an angeblich im Film enthaltener „christlich-bürgerlicher Ideologie“. Bereits bei einer Informationsvorführung des I. Teils am 2. April 1958 (Dokument 1) wurde vorgeschlagen, „einige Szenen, die die Frage der Kirche behandeln, zu schneiden oder zu kürzen“5. Nach der Vorführung des II. Teils am 12. Mai 1958 in der Hauptverwaltung Film (Dokument 3) wurde „die hier vorliegende Klassikerverfilmung sehr unglücklich“ genannt. „Die werkgetreue Verfilmung hat leider mit sich gebracht, daß die religiöse, idealistische Tendenz zu sehr in den Vordergrund gerückt worden ist. [...] Es bleibt die Frage nach der Freiheit des Gewissens völlig unbeantwortet, da hier nicht die Gegenfrage ‚für wen?‘ gestellt wird.“ Eine weitere Informationsvorführung beider Teile mit Mitarbeitern der Abteilung Kultur des ZK wurde am 20. Mai 1958 durchgeführt (Dokumente 2 u. 4). „Filmminister“ Erich Wendt stellte nachträglich fest: „Werke Hugos sind kulturpolitisch nicht für die Verfilmung geeignet“ – wegen der „romantisierenden, religiösen, phantastischen Auffassungen Hugos“. Der Leiter der Abteilung Kultur des ZK, Siegfried Wagner, befürchtete, „daß die Kirche und die Junge Gemeinde den Besuch dieses Films organisiert“. Es wurde festgestellt: „Eine Zulassung des Films in der jetzigen Fassung würde gleich einer Unterstützung der religiösen Tendenzen sein.“ „Radikale Schnitte“ seien notwendig, um einen „für uns erträglichen Film“ zu erhalten. Auch an der Abnahme am 20. August 1958 nahmen ZK-Vertreter teil (Dokument 4). Der Film wurde nicht zugelassen, sondern mit Auflagen für Kommentar- und Dialogänderungen an das Studio zurückgegeben. Am 1. Oktober 1958 reichte das Studio die entsprechenden Vorschläge für Textänderungen bei der Hauptverwaltung Film ein (Dokument 5). Am 21. Oktober 1958 wurde der Film schließlich zugelassen (Dokument 6). In der dabei verfaßten Einschätzung werden allerdings zahlreiche ideologische Mängel beklagt: „Die sich 4 Außer „Die Elenden“ „Die Abenteuer des Till Ulenspiegel“ nach Charles de Costers Roman (Regie: Gérard Philipe, Joris Ivens; mit G. Philipe in der Titelrolle, Aufführung 1957); „Die Hexen von Salem“ nach dem Schauspiel „Hexenjagd“ von Arthur Miller (Regie: Raymond Rouleau; mit Yves Montand und Simone Signoret, Aufführung 1957) und „Trübe Wasser“ nach Balzacs Roman „La Rabouilleuse“ (Regie: Louis Daquin, mit Jean-Claude Pascal, Erika Pelikowsky und Ekkehard Schall, Aufführung 1960). 5 Es geht dabei und im folgenden fast ausschließlich um die für die Geschichte des Haupthelden entscheidende Gestalt des Bischofs Myriel, der schon von Victor Hugo als Ausnahmegestalt eines wahren Christen geschildert ist. Die Figur tritt nur in der Exposition des I. Teils auf. aus dem Gesamteindruck dieses Films ergebenden Gefühlswerte liegen in einer falschen Richtung, sind unklar und uns nicht nützlich.“ „Die Frage der Religion und der Kirche wurde sehr objektivistisch interpretiert.“ Schon die Wahl der literarischen Vorlage sei „in der gegenwärtigen Situation nicht glücklich“ gewesen. Daß die Feststellung getroffen wurde, „daß bei diesem Film offensichtlich unsere Prinzipien einer echten Co-Produktion verletzt wurden“, mag schon darauf hindeuten, daß die Zusammenarbeit mit französischen Produktionsfirmen bald danach ein Ende fand.6 Dokument 1 Aktennotiz der Hauptverwaltung Film, Abt. Filmabnahme und -kontrolle über die Vorführung des 1. Teils des Films am 2. April 1958 v. 12. April 1958. BArch/FA O. 355 Der erste Teil des Films „Die Elenden“ wurde am 2.4.1958 vor der Abnahmekommission für DEFA-Filme vorgeführt. Anwesend: Kollegen Wendt, Abusch (zeitweise), Ackermann (zeitweise), Schauer (zeitweise), Beling, Pägelow, Liedtke, E. Lange, Wege, Prof. Dr. Wilkening, Bork (zeitweise). Die Diskussion konnte noch keine endgültige Einschätzung des Films ergeben. Das ist erst möglich, wenn auch der zweite Teil angesehen worden ist. Die Kollegen Wendt und Ackermann schlugen vor, einige Szenen, die die Frage der Kirche behandeln, zu schneiden oder zu kürzen. Beide müßten den Film aber noch einmal sehen, um Schnitte festlegen zu können. Die Freigabe des Films erfolgt erst nach Ansicht des zweiten Teiles. Die Vorführung galt nicht als Abnahme. Dokument 2 Sekretariat des Stellv. Ministers für Kultur, Erich Wendt: „Aktenvermerk „betr. ‚Die Elenden‘, I. und II. Teil – Vorführung vor Mitarbeitern des ZK am Dienstag, dem 20. Mai 1958“ v. 21. Mai 1958. DR 1/ 7728 Es waren anwesend: Seitens des ZK der SED: Gen. Kurella, Gen. S. Wagner, Gen. J. Mückenberger, Gen. Lewin, Gen. Zeißler, Gen. Adam, Genn. Knapp Seitens des Ministeriums: Gen. Wendt, Gen. Ackermann, Gen. Schauer, Gen. Pägelow, Gen. Rehse, Genn. Beling In der Diskussion wies Gen. Wendt darauf hin, daß mit der Koproduktion dieses Filmes ein Beschluß des ZK verletzt worden ist, der besagt, nach welchen Gesichtspunkten bei der Auswahl von Werken des klassischen Erbes vorzugehen ist. Werke Hugos sind kulturpolitisch nicht für die Verfilmung geeignet. Der Film ist ziemlich werkgetreu, wobei die romantisierenden, religiösen, phantastischen Auffassungen Hugos stark in Erscheinung treten (im Gegensatz zum sowjetischen Film