Die Elenden I. und II. Teil1

Französischer Titel: Les Miserables

Produktion: DEFA Studio für Spielfilme; Société Nouvelles Pathé Cinema; P.A.C., ; SERENA-Film, Rom; 1957/58

Drehbuch: René Barjavel, Jean-Paul Le Chanois nach dem gleichnamigen Roman von Victor Hugo. Dramaturgie: Ilse Langosch. Regie: Jean-Paul Le Chanois. Kamera: Jacques Natteau. Musik: Georges van Parys. Bauten: Karl Schneider, Serge Pimenoff. Kostüme: Marcel Escoffier, Jacqueline Guyot, Luise Schmidt. Schnitt: Emma Le Chanois, Lieselotte Johl. Produktionsleitung: Paul Cadeac, Richard Brandt, Erich Kühne. Deutsche Dialoge: Ruth Fischer. Synchron-Regie: Johannes Knittel

Darsteller: (Jean Valjean), Danielle Delorme (Fantine), Bernard Blier (Javert), Serge Reggiani (Enjolras), Bourvil (Thenardier), Elfriede Florin (Madame Thenardier), Gianni Esposito (Marius), Beatrice Alta Riba (Cosette), Fernand Ledoux (Bischof Myriel) u. v. a. (Totalvision/Breitwand, Farbe, I. Teil: 2772 m, ca. 100 min; II. Teil: 2781 m, ca. 101 min; für Jugendliche unter 18 Jahren nicht zugelassen) Ersteinsatz2: I. Teil: 16. Januar 1959; II. Teil: 23. Januar 1959

Inhalt: I. Teil: 1802. Jean Valjean, der ein Brot gestohlen hatte, wird nach 19 Jahren Haft entlassen, doch als früherer Sträfling bleibt er ein Ausgestoßener. Auf seiner Wanderung durch Frankreich nimmt ihn der Bischof Myriel, ein ungewöhnlicher Mann, der bescheiden und nach dem Gebot der Nächstenliebe lebt, auf. Selbst als Valjean ihm silbernes Besteck stiehlt, erklärt der Bischof den Gendarmen, er habe es Valjean geschenkt.3 Jean Valjean ist von der Güte des Bischofs überwältigt und beschließt, sein Leben zu ändern. Jahre später lebt er unter dem Namen „Monsieur Madeleine“ in einer kleinen Stadt, wo er eine Fabrik gegründet und soziale Einrichtungen geschaffen hat und schließlich zum Bürgermeister gewählt wird. Der Polizeiinspektor Javert entdeckt die wahre Identität Jean Valjeans. Doch Valjean, der der sterbenden Prostituierten Fantine versprochen hat, sich um ihre kleine Tochter Cosette zu kümmern, entkommt Javert und taucht mit Cosette in Paris unter, wo er sich fortan ganz ihrer Erziehung widmet. II. Teil: 1832. In Paris ist ein Aufstand ausgebrochen. Auch der junge Marius, den Cosette liebt, kämpft auf den Barrikaden. Javert hat sich verkleidet unter die Revolutionäre gemischt und wird entdeckt. Jean Valjean, der zu den Revolutionären gestoßen ist, bietet sich an, Javert zu erschießen, schenkt seinem alten Feind aber Leben und Freiheit. Als der Aufstand niedergeschlagen wird, flieht Valjean mit dem schwer verwundeten Marius durch die Abwasserkanäle. Dabei wird er von Javert entdeckt, der zum ersten Mal in seinem Leben das Gesetz nicht beachtet: er läßt seinen Retter, den Sträfling, laufen, kann aber damit nicht leben und begeht Selbstmord. Cosette und Marius heiraten. Jean Valjean enthüllt seinem

1 In den Kinos der BRD lief der Film in einer 159 min langen Fassung unter dem Titel „Die Miserablen“ (Ersteinsatz: 29. Januar 1960). 2 Die Premiere der französischen Fassung fand bereits am 12. März 1958 in Paris statt. 3 In dieser Szene übergibt der Bischof Valjean auch noch einen silbernen Leuchter. Daß dieser Teil der Szene geschnitten wurde, zog die meisten anderen Änderungen nach sich, denn der Regisseur verwendete den Leuchter als optisches Symbol, das mehrfach auftaucht, wenn sich Valjean in Gewissenskonflikten an den Bischof erinnert. Schwiegersohn sein Geheimnis. Marius, der ihn für den Mörder Javerts hält, verbietet ihm, Cosette weiterhin zu sehen. Als Marius die Wahrheit über Javerts Tod und seine Rettung erfährt, ist es zu spät: die Trennung von Cosette hat Jean Valjean allen Lebensmut genommen. Erst an seinem Sterbebett kommt es zur Versöhnung.

Aktenbefund: BArch/FA O. 355

Bemerkungen: In Zusammenarbeit mit französischen Produzenten drehte die DEFA in den Jahren 1956-1959 vier Literaturverfilmungen4, von denen „Die Elenden“ die aufwendigste war. Sie wurden von französischen Regisseuren gedreht und waren in den Hauptrollen mit Stars des französischen Films besetzt, die DEFA brachte in erster Linie technische Kräfte und Darsteller einiger Nebenrollen ein. Im westlichen Ausland, so in der BRD, wurden die Filme teilweise als rein französische Produktionen angekündigt. Dies führte dazu, daß diese Koproduktionen besonders bei den Funktionären des Kulturministeriums nicht unumstritten waren, und im Fall von „Die Elenden“ artikulierte sich dieses Unbehagen in Form von Kritik an angeblich im Film enthaltener „christlich-bürgerlicher Ideologie“. Bereits bei einer Informationsvorführung des I. Teils am 2. April 1958 (Dokument 1) wurde vorgeschlagen, „einige Szenen, die die Frage der Kirche behandeln, zu schneiden oder zu kürzen“5. Nach der Vorführung des II. Teils am 12. Mai 1958 in der Hauptverwaltung Film (Dokument 3) wurde „die hier vorliegende Klassikerverfilmung sehr unglücklich“ genannt. „Die werkgetreue Verfilmung hat leider mit sich gebracht, daß die religiöse, idealistische Tendenz zu sehr in den Vordergrund gerückt worden ist. [...] Es bleibt die Frage nach der Freiheit des Gewissens völlig unbeantwortet, da hier nicht die Gegenfrage ‚für wen?‘ gestellt wird.“ Eine weitere Informationsvorführung beider Teile mit Mitarbeitern der Abteilung Kultur des ZK wurde am 20. Mai 1958 durchgeführt (Dokumente 2 u. 4). „Filmminister“ Erich Wendt stellte nachträglich fest: „Werke Hugos sind kulturpolitisch nicht für die Verfilmung geeignet“ – wegen der „romantisierenden, religiösen, phantastischen Auffassungen Hugos“. Der Leiter der Abteilung Kultur des ZK, Siegfried Wagner, befürchtete, „daß die Kirche und die Junge Gemeinde den Besuch dieses Films organisiert“. Es wurde festgestellt: „Eine Zulassung des Films in der jetzigen Fassung würde gleich einer Unterstützung der religiösen Tendenzen sein.“ „Radikale Schnitte“ seien notwendig, um einen „für uns erträglichen Film“ zu erhalten. Auch an der Abnahme am 20. August 1958 nahmen ZK-Vertreter teil (Dokument 4). Der Film wurde nicht zugelassen, sondern mit Auflagen für Kommentar- und Dialogänderungen an das Studio zurückgegeben. Am 1. Oktober 1958 reichte das Studio die entsprechenden Vorschläge für Textänderungen bei der Hauptverwaltung Film ein (Dokument 5). Am 21. Oktober 1958 wurde der Film schließlich zugelassen (Dokument 6). In der dabei verfaßten Einschätzung werden allerdings zahlreiche ideologische Mängel beklagt: „Die sich

4 Außer „Die Elenden“ „Die Abenteuer des Till Ulenspiegel“ nach Charles de Costers Roman (Regie: Gérard Philipe, Joris Ivens; mit G. Philipe in der Titelrolle, Aufführung 1957); „Die Hexen von Salem“ nach dem Schauspiel „Hexenjagd“ von Arthur Miller (Regie: Raymond Rouleau; mit und , Aufführung 1957) und „Trübe Wasser“ nach Balzacs Roman „La Rabouilleuse“ (Regie: Louis Daquin, mit Jean-Claude Pascal, Erika Pelikowsky und Ekkehard Schall, Aufführung 1960). 5 Es geht dabei und im folgenden fast ausschließlich um die für die Geschichte des Haupthelden entscheidende Gestalt des Bischofs Myriel, der schon von Victor Hugo als Ausnahmegestalt eines wahren Christen geschildert ist. Die Figur tritt nur in der Exposition des I. Teils auf. aus dem Gesamteindruck dieses Films ergebenden Gefühlswerte liegen in einer falschen Richtung, sind unklar und uns nicht nützlich.“ „Die Frage der Religion und der Kirche wurde sehr objektivistisch interpretiert.“ Schon die Wahl der literarischen Vorlage sei „in der gegenwärtigen Situation nicht glücklich“ gewesen. Daß die Feststellung getroffen wurde, „daß bei diesem Film offensichtlich unsere Prinzipien einer echten Co-Produktion verletzt wurden“, mag schon darauf hindeuten, daß die Zusammenarbeit mit französischen Produktionsfirmen bald danach ein Ende fand.6

Dokument 1 Aktennotiz der Hauptverwaltung Film, Abt. Filmabnahme und -kontrolle über die Vorführung des 1. Teils des Films am 2. April 1958 v. 12. April 1958. BArch/FA O. 355

Der erste Teil des Films „Die Elenden“ wurde am 2.4.1958 vor der Abnahmekommission für DEFA-Filme vorgeführt. Anwesend: Kollegen Wendt, Abusch (zeitweise), Ackermann (zeitweise), Schauer (zeitweise), Beling, Pägelow, Liedtke, E. Lange, Wege, Prof. Dr. Wilkening, Bork (zeitweise). Die Diskussion konnte noch keine endgültige Einschätzung des Films ergeben. Das ist erst möglich, wenn auch der zweite Teil angesehen worden ist. Die Kollegen Wendt und Ackermann schlugen vor, einige Szenen, die die Frage der Kirche behandeln, zu schneiden oder zu kürzen. Beide müßten den Film aber noch einmal sehen, um Schnitte festlegen zu können. Die Freigabe des Films erfolgt erst nach Ansicht des zweiten Teiles. Die Vorführung galt nicht als Abnahme.

Dokument 2 Sekretariat des Stellv. Ministers für Kultur, Erich Wendt: „Aktenvermerk „betr. ‚Die Elenden‘, I. und II. Teil – Vorführung vor Mitarbeitern des ZK am Dienstag, dem 20. Mai 1958“ v. 21. Mai 1958. DR 1/ 7728

Es waren anwesend: Seitens des ZK der SED: Gen. Kurella, Gen. S. Wagner, Gen. J. Mückenberger, Gen. Lewin, Gen. Zeißler, Gen. Adam, Genn. Knapp Seitens des Ministeriums: Gen. Wendt, Gen. Ackermann, Gen. Schauer, Gen. Pägelow, Gen. Rehse, Genn. Beling In der Diskussion wies Gen. Wendt darauf hin, daß mit der Koproduktion dieses Filmes ein Beschluß des ZK verletzt worden ist, der besagt, nach welchen Gesichtspunkten bei der Auswahl von Werken des klassischen Erbes vorzugehen ist. Werke Hugos sind kulturpolitisch nicht für die Verfilmung geeignet. Der Film ist ziemlich werkgetreu, wobei die romantisierenden, religiösen, phantastischen Auffassungen Hugos stark in Erscheinung treten (im Gegensatz zum sowjetischen Film „Gavroche“7). Beim Zuschauer entsteht das Gefühl, als sei die Revolution unsinnig gewesen (es siegt die christliche Liebe). Der Film fördert nicht unsere sozialistische Demokratie, sondern umgekehrt; fördert nicht den

6 Vgl. Anmerkung 4. 7 UdSSR 1937. Kinderfilm, Regie: Tatjana Lukaschewitsch. Eine sehr freie Bearbeitung eines Handlungsstranges aus „Die Elenden“. Ersteinsatz: 7. Oktober 1949. Glauben an das Volk und daran, daß das Volk die Gesellschaft ändern kann, sondern flickt an der Gesellschaft herum mit Edelmut; er fördert Vorurteile, die in unseren Menschen stecken. Gen. Wagner teilt diese Ansicht. Er stellt die Frage: Welche Wirkung hat dieser Film politisch gesehen? Der Bogen spannt sich vom Haus des Bischofs, wo Jean Valjean zum ersten Mal als Mensch behandelt wird, bis zu den Leuchtern am Ende des Films. Jean V. hat sein ganzes Leben versucht, gütig zu seine gegen Freund und Feind, im Sinne des göttlichen Glaubens. Es ist zu erwarten, daß die Kirche und die Junge Gemeinde den Besuch dieses Films organisiert. Gen. Wagner schlägt vor, zur Filmkonferenz8 eine genaue Analyse des Films anzufertigen und ihm einen entsprechenden sowjetischen Film („Don Quichotte“9 oder „Othello“10) gegenüber zu stellen. Es ist zu entscheiden: Wird der Film bei uns aufgeführt? Wenn ja, wie kann er noch verändert werden, so daß ein für uns erträglicher Film daraus wird? Die Genossen sprachen sich überwiegend dafür aus, ihn zu zeigen. Es sind aber radikale Schnitte erforderlich. (Gestalt des Bischofs, Leuchter-Symbol, Barrikaden-Szenen. Das sozial-kritische Moment mehr in den Vordergrund stellen. Idylle – Rosengarten usw. – kürzen) Es wurde beschlossen: 1. Gen. Wagner und Gen. Wendt sehen sich den Film, zusammen mit einigen anderen Genossen, nochmals an. 2. Der Film wird, anhand der literarischen Vorlage, exakt analysiert und – bei Gegenüberstellung eines ähnlichen Films aus der Sowjetunion („Othello“) zum Gegenstand von Beratungen auf der Filmkonferenz gemacht.

Dokument 3 Hauptverwaltung Film, Abt. Filmabnahme: „Aktennotiz über das Ergebnis der Diskussion zu dem Film ‚Die Elenden‘ II. Teil, der am 12.5.58 vorgeführt wurde“, v. 6. August 1958. BArch/FA O. 355

Anwesend: Koll. Wendt, Schauer, Harkenthal, Beling, Pfeuffer, Pägelow, Rehse, Prof. Dr. Wilkening, Knittel, Jordan

Im Ergebnis der Diskussion wurde festgestellt, daß die hier vorliegende Klassikerverfilmung sehr unglücklich ist. Dies bezieht sich vor allem darauf, daß der Stoff nicht gewissenhaft genug ausgewählt wurde. In diesem Zusammenhang wurde noch einmal an die Entschließung des ZK zu Fragen der Kulturarbeit von 1952 erinnert. Die werkgetreue Verfilmung hat leider mit sich gebracht, daß die religiöse, idealistische Tendenz zu sehr in den Vordergrund gerückt worden ist. An anderen Stellen gibt es dagegen keine genügende Aufklärung über die politische Situation dieser Zeit. Hier ist vor allem der Charakter der Juni-Revolution von 183011 nur schwach angedeutet. In der dramaturgischen Bearbeitung ist keine kritische Auseinandersetzung mit der Klassik zu spüren. Die sich aus dem Gesamteindruck ergebenden Gefühlswerte liegen in einer falschen Richtung. Es bleibt die Frage nach der Freiheit des Gewissens völlig unbeantwortet, da hier nicht die Gegenfrage „für wen?“ gestellt wird.

8 Vom 3.-5. Juli 1958 in Berlin. 9 UdSSR 1957. Regie: Grigori Kosinzew. Ersteinsatz: 24. Januar 1958. 10 UdSSR 1955. Regie: Sergej Jutkewitsch. Ersteinsatz: 22. Januar 1956. 11 Richtig: Juli-Revolution. Der in Roman und Film geschilderte Aufstand ereignete sich 1832. Es wird empfohlen, den Schlußkommentar zu ändern, und zwar dahingehend, daß man sagt, der Dichter hat seine Zeit geschildert, ohne die ganze Größe der Idee und die Bedeutung der damaligen Ereignisse voll zu erkennen. Der Film soll nach der Filmkonferenz noch einmal angesehen werden.

Dokument 4 Hauptverwaltung Film, Abt. Filmabnahme: „Aktennotiz über die Informationsvorführung des Films ‚Die Elenden’ I. und II. Teil am 20.5.58“, v. 6. August 1958. BArch/FA O. 355

Anwesend: Gen. Kurella, Wagner, Zeißler, Röder, J. Mückenberger und andere Mitarbeiter der Abt. Kultur des ZK, Ackermann, Schauer, Pägelow.

Übereinstimmend wurden die gleichen Feststellungen wie bei der Vorführung am 12.5.58 getroffen. Die Anwesenden gaben die Empfehlung, den Film noch einmal zu überprüfen und dabei nach Möglichkeit die Tendenz der christlich-bürgerlichen Ideologie herauszunehmen bzw. abzuschwächen. Nach Möglichkeit soll nur das erhalten bleiben, was auch noch eine Bedeutung für unsere Gegenwart hat. Eine Zulassung des Films in der jetzigen Fassung würde gleich einer Unterstützung der religiösen Tendenzen sein. Es wurde vorgeschlagen, den Film noch einmal ansehen zu können, um die Vorschläge weiter zu präzisieren.

Dokument 5 Protokoll der Abnahme-Vorführung am 20. August 1958. Protokoll Nr. 340/58 B und Beschluß-Protokoll (gekürzt)12 v. 23. August 1958. BArch/FA O. 355

[…] Entscheid: Der Film wird zur Bearbeitung an das Studio zurück gegeben. Bemerkungen: Siehe beiliegendes Beschlußprotokoll

Anwesenheit: Gen. Wendt, Beling, Harkenthal, Pfeuffer, Rehse, Gen. Wagner, J. Mückenberger – ZK –, Dr. Schwalbe – Studio –

Inhaltsangabe: Verfilmung des gleichnamigen Romans von Victor Hugo.

Einschätzung: Eine Einschätzung des Films wurde bereits bei den Vorführungen am 12.5. und 20.5.58 gegeben (Aktennotizen vom 6.8.58). In der Vorführung am 20.8.58 wurde beschlossen, den Film an das Studio zurückzugeben. Gleichzeitig wurden die im beiliegenden Beschlußprotokoll festgehaltenen Änderungsvorschläge gemacht.

Auf Vorschlag des Gen. Wagner wird von der Abt. Kultur des ZK vor der Aufführung des Films eine Pressekonferenz vorbereitet und durchgeführt, in der eine kritische Analyse zu

12 Kommentaränderungen wurden nur in thematischer Auswahl dokumentiert, soweit sie ohne Kenntnis des Urtextes verständlich sind. Insgesamt wurden 18 Kommentarstellen noch einmal überarbeitet, wobei überwiegend der soziale Hintergrund des Geschehens verdeutlicht wurde. diesem Film gegeben wird und in der unsere Prinzipien bei der Verfilmung des klassischen Erbes dargelegt werden, da dieser Film ein Beispiel dafür ist, wie die Pflege des klassischen Erbes nicht verstanden werden kann. Ebenso wird Gen. Wagner es übernehmen, die Kulturredaktion des ND zu beauftragen, sich in ihrer Filmkritik prinzipiell mit diesem Film auseinanderzusetzen.

[Anlage] Beschluß-Protokoll Vorführung des Films „Die Elenden“ am 20.8.58 [...]

Beschluß I. Der gesamte Kommentartext ist zu überarbeiten. Besondere Beachtung ist dabei dem Kommentartext in folgenden Szenen zu widmen: 1.Teil: a) Kommentar, der unter den Bildern im Hause des Bischofs bei der Mahlzeit liegt, verändern. [...] d) Rückerinnerung Jean Valjeans. Szene im Zimmer, als er sich entscheidet, sich der Polizei zu stellen. Schnitt: Stimme des Bischofs. 2. Teil: [...]

II. Folgende Dialoge sind zu verändern und Bildschnitte oder Kürzungen vorzunehmen: 1. Teil 1. Mahlzeit beim Bischof: Salbungsvoller Dialog des Bischofs ist sachlicher zu gestalten. 2. Unterhaltung des Bischofs im Garten mit Gendarmen und Jean Valjean: Nach den Worten „Ich komme gleich nach“ Schnitt, so daß die Unterhaltung Bischof – Jean Valjean in der Wohnung entfällt. 2. Teil 3. Unterhaltung zwischen Enjolras – Marius ist zu verändern. Stichpunkt: „... wenn auch das Volk die Republikaner verläßt ...“ 4. Szene im Haus Gillenormand: Unterhaltung der beiden Schwiegerväter ist auf das dramaturgisch Notwendige zu beschränken. 5. Sterbeszene Jean Valjean ist zu kürzen und die Einstellung zu schneiden, in der er sich an den Bischof zurückerinnert. Damit entfällt der Blick auf den Leuchter und sein Dialog, daß nur die Liebe im Leben Bestand hat. 6. Szenen in den Katakomben: Der ganze Komplex Jean Valjeans Gang durch die Kloaken ist zu kürzen.

Die Änderungsvorschläge sind der VVB zur Bestätigung einzureichen. Nach der durchgeführten Änderung ist der Film noch einmal der Abnahmekommission vorzuführen.

Dokument 6 Vorschläge des DEFA-Studios für Spielfilme für Kommentar- und Dialogänderungen v. 1. Oktober 1958. (Auszug). BArch/FA O. 355

[...] Änderungen Dialog I. Teil

Zu 1) Der Dialog während der Mahlzeit beim Bischof ist wie bisher belassen worden, da er im neuen Zusammenhang (Kommentaränderungen) organisch und charakterlich richtig ist. Zu 2) Die Überreichung der Leuchter durch den Bischof entfällt, nach „ich komme gleich nach“ erfolgt von dem sich gegenüberstehenden Jean Valjean und Bischof ein harter Schnitt zur nächsten Szene.

Änderungen Dialog II. Teil

Zu 3) Die beanstandete Textstelle ist folgendermaßen geändert: Der Fremde: „... Die ganze Armee ist zum Angriff bereit. Vor kurzem schäumte das Volk, aber jetzt – ist es still geworden. Wir sind zu schwach, es bleibt keine Hoffnung.“ Marius: „Dann erheben wir noch als Tote Protest! Für die Republik haben wir gekämpft – für die Republik gehen wir in den Tod.“ Zu 4) Die Unterhaltung der Schwiegerväter wird durch einen kurzen Schnitt am Anfang ihrer Unterhaltung verkürzt. Eine weitere Kürzung ist aus dramaturgischen und technischen Gründen nicht möglich. Zu 5) Die Sterbeszene wird geschnitten. Nach dem Satz: „Habt euch immer lieb, das ganze Leben.“ Es entfällt die Philosophie über die Liebe und die Rückerinnerung an den Bischof. Zu 6) Eine weitere Kürzung der bereits um 60 % geschnittenen Kloakenszenen ist nicht möglich.

Dokument 7 Mitteilung von Anne Pfeuffer, Sektor Filmproduktion, an Thea Beling, Staatliche Filmabnahme, v. 14. Oktober 1958. Gekürzt. DR 1/ 7728

Änderung des Films „Die Elenden“ Die vom Studio vorgelegten Änderungen sind nach unserer Meinung das Höchstmöglichste, was sich erreichen ließ, wenn man die Dramaturgie des Films nicht zerstören will. Sie wurden vom Genossen Wischnewski vorgenommen und entsprechen dem, was wir vom Studio fordern mußten. Obwohl wir uns schon bei der Abnahme darüber verständigten, daß diese Bearbeitung nichts am Gesamtfehler des Films ändert, glauben wir, daß durch diese Vorschläge die in der Abnahme festgelegten Verbesserungen erreicht werden. Die Änderungen lagen auch dem Genossen Schauer vor, der sie ebenfalls bestätigt. [...]

Dokument 8 Protokoll der Zulassung am 21. Oktober 1958. Protokoll Nr. 446/58 v. 14. November 1958 (Auszug). BArch/FA O. 355

[...] Einschätzung: Der Film wurde in der vorliegenden überarbeiteten Fassung freigegeben, obwohl er auch noch jetzt wesentliche Schwächen hat. Dem Regisseur und einigen Schauspielern, z. B. Jean Gabin und Blier, sind einige interessante Szenen und Höhepunkte in diesem Film gelungen. Durch seine Anlage und die damit verbundenen Aussagen wird er den Aufgaben einer wertvollen Klassikerverfilmung nicht gerecht. Die von dem Dichter gestaltete große Idee wurde nicht erschöpfend und dadurch uns nicht nützlich gestaltet. Die Filmschöpfer bezogen den für damalige Verhältnisse bedeutenden Standpunkt V. Hugos eines allgemein-menschlichen Realismus mit einer starken Tendenz zur christlich-bürgerlichen Ideologie und einer idealistischen Grundkonzeption. Dadurch wurde die Aussage des Films nicht nur eingeengt, sondern verkehrt. Die Frage der Religion und der Kirche wurde sehr objektivistisch interpretiert. Insgesamt bleibt die historische Situation, in der dieser Film spielt, politisch unklar. Das trifft besonders auf den Charakter der Juni-Revolution 183013 zu. Die Einschätzung dieses Films verlangt die Feststellung, daß bei diesem Film offensichtlich unsere Prinzipien einer echten Co-Produktion verletzt wurden. Nicht zuletzt dadurch kam es zu einer verkehrten Grundkonzeption bei der Verfilmung. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, daß bei aller Bedeutung der „Elenden“ von V. Hugo die Auswahl dieses Werkes für eine Verfilmung in der gegenwärtigen Situation nicht glücklich ist. Die sich aus dem Gesamteindruck dieses Films ergebenden Gefühlswerte liegen in einer falschen Richtung, sind unklar und uns nicht nützlich. Die Aussage des Films entspricht insgesamt nicht unseren realistischen Kunstprinzipien. Der Film zwingt zu einer kritischen Auseinandersetzung über die Art und Weise der Verfilmung klassischer Werke. Er ist ein Produkt unseres gegenwärtigen Standes in der Entwicklung unserer nationalen Produktion auf diesem Gebiet, mit dem sich die Öffentlichkeit kritisch auseinandersetzen muß. Aus diesem Grunde wurde beschlossen, daß vor der Aufnahme dieses Films in den Spielplan eine Pressekonferenz durchgeführt wird.

13 Vgl. Anm. 7.