Milhaud Le Train Bleu
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VOL. 9 Sauguet La chatte | Milhaud Le train bleu | Scarlatti • Tommasini Les femmes de bonne humeur Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern Robert Reimer 02 DIAGHILEV · LES BALLETS RUSSES VOL. 9 Verehrte Ballettfreunde und Musikliebhaber! 03 DARIUS MILHAUD (1892 – 1974) DOMENICO SCARLATTI (1685 – 1757)/ Als ich die erste CD dieser Reihe in meine Hände Le train bleu – Ballett [35:57] VINCENZO TOMMASINI (1878 – 1950) bekam, war ich mehr als nur erfreut über den Be- Les femmes de bonne humeur – Suite [16:27] ginn dieser Ausgabe, die schon lange ein Deside- rat sowohl der Tanz- als auch der Musikwissen- Deutsch 1 Introduction [00:56] schaft darstellt, aber sicher auch einen Wunsch 12 vieler Liebhaber der Ballettmusik erfüllt. Das Ver- 2 I. Cinq Sonates [02:00] I. Chœur des poules et des gigolos [01:18] dienst von Serge de Diaghilev, die Revolution des 13 II. Allegro [03:38] 3 II. Entrée de Beau Gosse [01:54] europäischen Balletts durch die Ballets Russes, 14 4 III. Entrée de Perlouse [01:17] III. Andante [04:10] gründet gerade auch auf der Musik, die ihm von 15 IV. Non presto, in tempo di ballo [02:38] früh an von großer Bedeutung und Wichtigkeit 5 IV. Rentrée de Beau Gosse [01:39] war. Als 18-Jähriger ging er 1890 nach St. Peters- 16 6 V. Chœur des poules et des V. Presto [03:48] burg, um am dortigen Konservatorium Gesang gigolos – farce des cabines und Komposition zu studieren – wo er allerdings et Scène de l’avion [05:56] HENRI SAUGUET (1892 – 1974) abgewiesen wurde. Es folgte ein kurzes Intermez- zo an der juristischen Fakultät, dann gab er das 7 La chatte – Ballett [31:23] VI. Entrée de la championne Studium auf, um Privatunterricht bei Nikolai Rims- de tennis – et couplet ky-Korsakov zu nehmen. Dieser hielt den anhal- 17 avec Beau Gosse [05:38] Ouverture [02:33] tenden Wunsch Diaghilevs, doch noch zum Kom- 8 VII. Entrée du joueur de golf 18 I. Jeux des garçons – Allegro [03:48] ponisten zu avancieren, für schlichtweg absurd! et valse avec Perlouse [04:44] 19 II. Invocation à Aphrodite – Doch die Kunstkreise der Hauptstadt waren die 9 Andante ma non troppo [02:22 Milhaud · ScarlattiSauguet · |Tommasini VIII. Introduction et duo de Beau ] | Welt Diaghilevs. Er wandte sich der modernen Gosse et de Perlouse [06:41] 9 20 III. La Métamorphose [00:34] russischen Kunst zu, organisierte 1897 eine erste . 10 L IX. Chœur des poules et des 21 von mehreren Ausstellungen, es folgte die auf- IV. Danse de la chatte [01:50] O gigolos – fugue de l’engueulade [04:36] wändig gestaltete Kunstzeitschrift Mir Isskustva, V 22 V. Adagio [03:22] 11 X. Final du chapeau [00:58] in der er sich erstmals nachdrücklich für den Aus- 23 VI. Retour des garçons – Allegretto [01:19] tausch zwischen Russland und den westlichen 24 VII. Scherzo – Vivace [03:10] Ländern einsetzte. Zunehmend wurde Diaghilev der Mittelpunkt eines Künstlerkreises bestehend 26 VII. Hymne Final [02:02] aus Malern wie Alexandre Benois, Léon Bakst, Konstantin Korovin, Alexander Golowin, dem Kri- John Neumeier tiker Walter Nouvel sowie den Komponisten Ni- TOTAL TIME [74:01] kolai Tscherepnin und später Igor Strawinsky. des Balletts Sylvia folgte. Sein aufstrebendes und Wegweisend war das Erlebnis einer Vorstellung sicher zielgerichtetes Talent rief Gegner in die- von Lohengrin auf einer seiner Europareisen, das sem Traditionshaus auf den Plan, die ihn nur mit ES BALLETS RUSSES ES BALLETS L Konzept des Gesamtkunstwerks hinterließ blei- einer Intrige stoppen konnten. Sein Vertrag | benden Eindruck. Diaghilev selbst hinterließ wie- wurde zurückgezogen, und so endete jede weite- derum als Dramaturg Eindruck am Kaiserlichen re Zusammenarbeit mit dem Kaiserlichen Theater mit der Herausgabe der dortigen Jahrbü- Theater. Diesem Eklat verdanken wir, dass sich cher, die er zu Kunstbüchern entwickelte, der Diaghilev dem Ausland zuwandte. Die erfolgrei- dann seine Aufsicht über die Neueinstudierung che Aus stellung russischer historischer Portraits DIAGHILEV DIAGHILEV–BALLETS RUSSES 04 Musik und Handlung 05 im Taurischen Palais im ersten Revolutionsjahr Er war einer der produktivsten, experimentier- Reklame für ihre aktuelle Bademode machen Als Igor Strawinsky Diaghilev im Jahre 1920 die 1905 war Anstoß für die im Folgejahr stattfinden- freudigsten, unausgeglichensten Komponisten konnte), Picasso gestattete die Kopie eines seiner Pulcinella-Partitur vorlegte, zeigte sich der Chef de Ausstellung im Salon d’Automne in Paris. 1907 der Musikhistorie: Verfasser achtminütiger Bilder als Vorhang-Dekor. Diaghilev, Widmungs- der Ballets russes erbost über Strawinskys Ein- Deutsch folgte der Kunst die Musik, ein Konzert mit den Opern, dreiminütiger Sinfonien und der ersten träger von Milhauds Partitur, maß dem neuen griffe in die Vorlage, (vermeintliche) Kompositio- Deutsch besten russischen Solisten, 1908 das erste Opern- sinfonischen Jazzfuge, tiefernster Bekenner sei- Ballett „eine außergewöhnliche Bedeutung“ bei, nen des barocken Italieners Pergolesi. Er hatte gastspiel mit Boris Godunow von Modest Mus- nes jüdischen Glaubens und Vertoner einer verkündete dabei vollmundig ein ästhetisches ähnlich Unkompliziertes erwartet wie drei Jahre sorgsky mit Fjodor Schaljapin in der Hauptrolle. Papst-Enzyklika; er schockierte mit knirschenden Programm, das, weil es sich als so zukunftwei- zuvor, als ihm Vincenzo Tommasini delikate Or- Dissonanzen und bedenkenlosen Süßlichkeiten, send ausgab, besonders zeitgebunden erscheint: chestrierungen von Scarlatti-Sonaten lieferte, die Am 19. Mai 1909 war es dann so weit, die Ballets schrieb Sambas und verwickelte Kontrapunkte – „Die ‚Ballets russes de Diaghilev‘, eine künstleri- sich so gut (und erfolgreich) zum Vertanzen einer Russes eroberten aus dem Théâtre du Châtelet nicht zu vergessen die beiden Streichquartette sche Vorhut der Menschheit, können nicht auf venezianischen Dialektkomödie von Carlo erst Frankreich, dann die westliche Welt. Der nie Nr. 14 und 15, die man getrennt oder auch gleich- der Stelle treten, nicht das Leben von gestern le- Goldoni geeignet hatten. Es handelte sich um Le vorher gekannte Zusammenklang aus Bühnen- zeitig spielen kann: Darius Milhaud, Mitglied der ben, nicht einmal das von heute. Sie müssen be- donne di buon’umore bzw. Les femmes de bonne bild, Choreographie und Musik revolutionierte französischen Groupe des Six. Serge Diaghilev reits das Morgen voraussehen…“ humeur. die Kunst des Balletts. suchte ihn Ende 1923 auf und bat ihn um eine neue Ballettmusik für die folgende Saison, wohl Dieses „Morgen“ wurde repräsentiert durch In einer italienischen Kleinstadt bemühen sich Die Bedeutung der Musiken kann aber hierbei gar wissend, dass Milhaud bereits einen Ballett-Auf- Sport, Amerikanismen, Vorliebe für Maschinen – die „gut gelaunten Frauen“ – junge, alte, verhei- nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir wis- trag für die Truppe des mit Diaghilev entzweiten vom Fotoapparat bis zum Flugzeug – und über- ratete, ledige – mit unterschiedlichen Absichten sen nicht nur aus Augenzeugenberichten, welche Léonide Massine angenommen hatte – aber haupt durch das vertanzte überschäumende und Intensitäten um’s andere Geschlecht. Alte, Sensation die Werke Rimsky-Korsakovs, Tscherep- auch, dass Milhaud in Windeseile komponieren Lebens gefühl der „Années folles“. junge, hässliche, schöne Männer werden ver- nins, Strawinskys oder Ravels in Paris hervorrie- konnte. Eine Fähigkeit, die Diaghilev in Anspruch führt, getäuscht, verliebt und/oder lächerlich ge- fen. Besonders in den Rezensionen, ob in Europa nehmen wollte, denn er brauchte ein neues Stück An einem Strand mit Badekabinen und Sonnen- macht. Im Zentrum aller Verwechslungs- und Milhaud · ScarlattiSauguet · |Tommasini | oder auch in Amerika, wird der Musik ein so we- für seinen frischgebackenen „Premier danseur“, schirmen tummeln sich neben jungem, flirtberei- Täuschungsmanöver: die in Leonardo (Léonide 9 sentlicher Stellenwert zugemessen, wie wir ihn einen Engländer namens Patrick Healey-Kay, der tem Volk das Mädchen Perlouse (Lidia Sokolova), Massine) verliebte Mariuccia (Tamara Karsavina) . heute in den Kritiken, ob Tages- oder Fachpresse, sich in Paris Anton Dolin nannte. eine Tennisspielerin (Bronislava Nijinska), ein und die melancholische Verlobte Leonardos, L nicht mehr finden. Für mich als Choreograph ist Golfspieler (Léon Woizikowski) und ein Schönling Costanza (Lubov Tschernitscheva). Massine war das unverständlich. Was auch immer Diaghilev Milhaud benötigte für beide Partituren nur einen (Anton Dolin), der mit akrobatischen Einlagen auch der hochgelobte Choreograph der marionet- vollbrachte, zum Ballett kam er nur dank seiner Monat: das Stück für Massine hieß Salade, das entzückt. Zu den Strandspielen, Sonnenbädern, tenhaft anmutenden Tänze, Léon Bakst entwarf Neigung zur Musik. Bei allen Rekonstruktionen, für Diaghilev Le train bleu – nach dem Luxuszug, ironisch-gymnastischen Übungen und amourösen prächtige Vorhänge und Kostüme, machte zu- Bühnenimpressionen oder den zahlreichen Inter- mit dem die „Haute société“ seit 1922 von Paris Verwicklungen schrieb Milhaud eine Musik, dem, laut Diaghilew, „den ersten Schritt zur Zer- pretationen der damaligen Choreographien wird an die Côte-d’Azur fuhr. („Le train bleu“ heißt bis die auf all das verzichtete, womit er bis dato die störung der Bühnenperspektive“, als er sein Dekor aus der Ära der Ballets Russes, durch unzählige heute ein Nobel-Restaurant im Pariser Gare de Moder nisten entzückt und die Konservativen so zeichnete, als ob es durch einen konkaven Neudeutungen der von Diaghilev in Auftrag ge- Lyon.) Allerdings: „Wichtig