Francia Bd. 40
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Francia – Forschungen zur westeuropäischen Geschichte Bd. 40 2013 DOI: 10.11588/fr.2013.0.40960 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online- Publikationsplattform der Max Weber Stiftung - Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden. Herbert Zielinski EIN BRIEF HARRY BRESSLAUS AN PAUL FRIDOLIN KEHR IM APPARAT DER »GALLIA PONTIFICIA« Der als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie im hannoverschen Dannen- berg im Jahre 1848 geborene Harry Bresslau († 1926), dessen unübertroffenes »Handbuch der Urkundenlehre«, in erster Auflage 1888/89 erschienen1, erst unlängst ins Italienische übersetzt wurde2, zählt zu den herausragenden deutschen Mediävisten im wilhelminischen Kaiserreich3. Im Deutschen Historischen Institut Paris (DHIP) befindet sich an versteckter Stelle unter den dort verwahrten Materialien aus den An- fangszeiten der »Gallia Pontificia« ein unbekannter inhaltsreicher Brief Bresslaus4 an den in seiner Generation nicht minder bedeutenden Mediävisten und herausragen- den Wissenschaftsorganisator Paul Fridolin Kehr (1860–1944). Dieses vierseitige Schreiben vom 1. Januar 1904 soll im Folgenden kommentiert und ediert werden (Anhang I). Erwähnt werden in ihm Friedrich Althoff (1839–1908), der einflussrei- che Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium, ferner der renommierte Straßburger Archäologe und Vorsitzende der dortigen Wissenschaftlichen Gesell- 1 Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Leipzig 1889. Die allein maßgebliche 2. Auflage erschien 1912 (1. Bd.), 1915 (2. Bd., 1. Abt.) und 1931 (2. Bd., 2. Abt., aus dem Nachlass hg. von Hans-Walter Klewitz). Ein eigener Registerband, bearb. von Hans Schulze, folgte 1960. Die jüngeren Auflagen sind nur unveränderte Nachdrucke der 2. Aufl. – Folgenden Bibliotheken und Archiven (in alphabetischer Reihenfolge), in denen ich arbeiten durfte oder die mir Kopien übersandt haben, bin ich zu Dank verpflichtet: Berlin, Staatsbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Marburg, Hessisches Staatsarchiv; Mün- chen, Bibliothek und Archiv der MGH; Paris, Bibliothek des DHIP; Strasbourg, Bibliothèque nationale et universitaire. 2 Harry Bresslau, Manuale di diplomatica per la Germania e l’Italia, Roma 1998, erstmals mit ei- ner Bibliographie. 3 Die Literatur zu Bresslau verzeichnet Peter Rück, Erinnerung an Harry Bresslau (1848–1926) zum 150. Geburtstag, in: Erika Eisenlohr (Hg.), Fachgebiet historische Hilfswissenschaften. Ausgewählte Aufsätze zum 65. Geburtstag von Peter Rück, Marburg an der Lahn 2000 (Ele- menta diplomatica, 9), S. 245–283, hier S. 245–258. Der 2004 verstorbene Marburger Mediävist schweizerischer Nationalität hatte bereits umfangreiche Vorarbeiten für eine Biographie Bress- laus angestrengt; vgl. Peter Rück, Erika Eisenlohr, Peter Worm (Hg.), Abraham Bresslau (1813–1884): Briefe aus Dannenberg 1835–1839. Mit einer Einleitung zur Familiengeschichte des Historikers Harry Bresslau (1848–1926) und zur Geschichte der Juden in Dannenberg, Mar- burg an der Lahn 2007 (Elementa diplomatica, 11), S. 5 f.; Peter Rück (Hg.), Harry Bresslau. Berliner Kolleghefte 1866/67–1869; Nachschriften zu Vorlesungen von Mommsen, Jaffé, Köp- ke, Ranke, Droysen, Marburg an der Lahn 2007 (Elementa diplomatica, 12). Eine detailreiche Übersicht bietet Bettina Raabe, Harry Bresslau (1848–1926). Wegbereiter der Historischen Hilfswissenschaften in Berlin und Straßburg, in: Herold-Jahrbuch N. F. 1 (1996), S. 49–83. 4 Paris, Deutsches Historisches Institut (DHIP), Apparat der »Gallia Pontificia«, Karton 28. Ich danke Rolf Große, der mich auf die Unterlagen aufmerksam machte und mir ihre Benutzung er- möglichte. 208 Herbert Zielinski schaft Adolf Michaelis (1835–1910) sowie schließlich Hermann (Reincke-)Bloch (1867–1929), ein Straßburger Mitarbeiter und Kollege Bresslaus, der noch im selben Jahr ein Ordinariat in Rostock erhielt, wo er nach dem Ersten Weltkrieg politisch aktiv wurde und 1920/21 das Amt des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Schwe- rin bekleidete. 1. Harry Bresslau Bresslau, der Verfasser unseres Briefes, begann sein Studium der Geschichte im han- noverschen Schicksalsjahr 1866 auf der dortigen Landesuniversität Göttingen. Schon 1869, als gerade 21-jähriger, schloss er sein Studium mit der von Georg Waitz (1813– 1886) betreuten Promotion ab und ging anschließend auf Anraten von Johann Gustav Droysen (1808–1884) nach Berlin, wo er sich 1872 habilitierte und 1877 eine außer- ordentliche Professur für mittelalterliche Geschichte erhielt. Anschließend geriet seine Hochschulkarriere trotz viel beachteter Arbeiten5 ins Stocken – ein Schicksal, das ihn im wilhelminischen Kaiserreich mit vielen jungen Wissenschaftlern jüdischer Abstammung verband6. Erschwerend kam in seinem speziellen Fall hinzu, dass er in der Berliner Antisemitismuskontroverse der Jahre 1879/80 in leidenschaftlicher Weise gegen Treitschke, der damals den Antisemitismus »aus der Gosse in akademi- sche Kreise trug«7, Stellung bezogen hatte. Auch war er offensichtlich nicht bereit zu konvertieren, wie andere jüdische Gelehrte es damals taten und wie ihm Ranke ein- mal geraten hatte8. Schließlich nahm Bresslau 1890, zuletzt durch eine Intrige um die mögliche Nach- folge Wilhelm Wattenbachs (1819–1897) auf dessen Berliner Lehrstuhl gebracht9, nach 13-jährigem Extraordinariat einen Ruf an die »Reichsuniversität« Straßburg an. Das Straßburger Ordinariat war durch ein von dem schon genannten Friedrich Althoff10 geschickt eingefädeltes Tauschgeschäft zustande gekommen11. Man wurde in Berlin auf diese Weise nicht nur einen unbequemen, wenngleich fachlich bestens 5 Zu nennen sind insbesondere der 3. Bd. der Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich II., Berlin 1875, die Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Konrad II., Bd. 1–2, Berlin 1879–84 so- wie der 1. Bd. des Handbuchs der Urkundenlehre (1889, wie Anm. 1). 6 Vgl. Raabe, Bresslau (wie Anm. 3), S. 61–64. 7 Ibid., S. 60. 8 Diese Episode überliefert Friedrich Meinecke, ibid., S. 61. 9 Ibid., S. 67 f. 10 Der Jurist Althoff hatte in jungen Jahren am Aufbau der Straßburger Universität mitgewirkt, war dort 1872 Extraordinarius und 1880 Ordinarius geworden, ehe er 1882 ins preußische Kul- tusministerium ging. Zu seiner Persönlichkeit siehe Bernhard vom Brocke (Hg.), Wissen- schaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das »System Althoff« in histo- rischer Perspektive, Hildesheim 1991 (Edition Bildung und Wissenschaft, 5); Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Edition und Kommentierung des Briefwechsels, Berlin 1997, S. 94–128; ders., Gisela Franke (Hg.), Theodor Mommsen und Friedrich Althoff. Briefwechsel 1882–1903, München 2012, S. 1–56 (Einleitung). Siehe auch unten, S. 222–225. 11 Vgl. Stephan Roscher, Harry Bresslau in Strassburg. Ein jüdischer Mediävist als deutsch-nati- onaler »Kulturprotestant« im Reichsland Elsass-Lothringen, Filderstadt-Bernhausen 1992 (Der Westen. Beiheft, 14), bes. S. 5 f.; ders., Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg 1872–1902, Frankfurt am Main u. a. 2006 (Europäische Hochschulschriften, 1003), bes. S. 186–195. Ein Brief Harry Bresslaus an Paul Fridolin Kehr 209 ausgewiesenen Außenseiter auf elegante Weise los, sondern konnte gleichzeitig den katholischen Historiker Paul Scheffer-Boichorst (1843–1902), der seit 1876 in Straß- burg lehrte, auf einen renommierten Berliner Lehrstuhl berufen – beides im Einklang mit der von Althoff verfolgten Hochschulpolitik, der im Zuge seiner Modernisie- rungsbestrebungen sowohl die Förderung katholischer als auch die Emanzipation jüdischer Hochschullehrer anstrebte. Bresslau baute sich in Straßburg, dessen Uni- versität mit ihrer schon in der Gründungsphase konsequent ausgebauten Seminar- struktur und ihren großzügig ausgestatteten Seminarbibliotheken zu den moderns- ten im Reich zählte12, eine reiche Wirkungsstätte auf und engagierte sich auch politisch in der liberalen Landespartei, in der er seit 1903 führend tätig war13. Im Fe- bruar 1904, gut einen Monat nach seinem Brief an Kehr, wurde er mit großer Mehr- heit zum Rektor der Universität gewählt. 1912 übernahm er den Vorsitz der renom- mierten Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft, die er bis kurz vor seinem Tode leitete14. 2. Hermann (Reincke-)Bloch Unter den Persönlichkeiten, die Bresslau in seinem Brief erwähnt, wird an erster Stelle Hermann (Reincke-)Bloch (1867–1929) genannt. Dieser war wie Bresslau jü- discher Abstammung15, doch waren schon seine dem Berliner Bildungsbürgertum entstammenden Eltern16 zum Protestantismus konvertiert17. Der in Berlin 1891 bei Paul Scheffer-Boichorst promovierte Bloch war zum 1. April 1892 von Bresslau als Mitarbeiter der »Diplomata«-Abteilung der Monumenta Germaniae Historica in 12 John E. Craig, Scholarship and Nation Building. The Universities of Strasbourg and Alsatian Society, 1870–1939, Chicago u. a. 1984; Roscher, Straßburg (wie Anm. 11). – Nicht zugänglich war mir Brigitte Goldenberg, Das Historische Seminar der Universität Straßburg von 1872–