Neue Lesarten Zu Othmar Schoeck Am 8
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Schweizer Musikzeitung Nr. 3 / März 2007 5 Neue Lesarten zu Othmar Schoeck Am 8. März hat sich der Todestag des bedeutenden Schweizer Komponisten zum 50. Mal gejährt (SMZ) Über 400 Lieder hat Othmar Schoeck komponiert; dazu kommen acht Opern und einige wenige Kammermusikwerke und Konzerte. Das Gedenkjahr eröffnet zahl- reiche Möglichkeiten, die Vielschichtigkeit seiner Werke zu entdecken. Zudem erinnert eine Wanderausstellung an die grossen Leistungen des Komponisten. Verena Naegele Als «letzter Liedmeister» oder gar als «letzter Ro- mantiker» wird Othmar Schoeck in klischeehaf- ter Vereinfachung gerne genannt; eine Bezeich- nung, die allerdings zu kurz greift. Neben dem Liedlyriker gibt es auch noch den Operndrama- tiker, der nicht weniger als acht Werke der Gattung hinterlassen hat. Und auch wenn nur wenige Kammermusikwerke existieren, so hat Schoeck doch zwei gewichtige Violinsonaten, zwei Streichquartette, und dazu so bedeutende konzertante Werke wie das Violinkonzert oder das Hornkonzert komponiert. Gar keinen Sinn hatte Schoeck hingegen für das Pädagogische. Von ihm gibt es nur ganz wenige Klavierstücke, Othmar Schoeck mit der Sängerin Julia Moor (Tinti in Massimilla Doni) und Karl Schmid-Bloss, dem Direktor und auch die sind anspruchsvoll. Und wenn des Stadttheaters Zürich zwischen 1931 und 1947. Foto: Stadtarchiv Zürich Schoeck für seine Chöre komponierte, nahm er weder technisch noch harmonisch Rücksicht Solche avantgardistischen Elemente sind inte- re zu William Ratcliff von Heine aufgeführt wur- auf die «Dilettanten». grale Bestandteile von Schoecks Musiksprache.» den. Wichtige Impulse vermittelte ihm in dieser Natürlich bildet das über 400 Nummern um- Werke wie das Notturno für Streichquartett und Zeit die junge ungarische Geigerin Stefi Geyer, fassende Liedschaffen den Schwerpunkt von Stimme oder die Oper Penthesilea belegen mit der er die D-Dur-Violinsonate op. 16widmete, ein Schoecks über mehr als fünf Jahrzehnte sich er- Expressivität bei maximaler Durchhörbarkeit Meisterwerk mit liedhafter Melodik und an streckendes Wirken, und zweifellos bildet eine diese Einschätzung. Brahms anknüpfender variativer Verdichtung. an spätromantische Harmonik angelehnte Mu- Der 1886 in Brunnen geborene Othmar Im Rahmen des Zyklus «Connaissez-vous siksprache das Rückgrat von Schoecks Kunst. Es Schoeck gehörte zusammen mit Arthur Honeg- Schoeck» wird das Werk am 18. März von Tho- kommt dazu, dass Schoeck sich stark dem deut- ger und Frank Martin zur ersten bedeutenden mas Wicky in Riehen gespielt. Geyer, welche das schen Kulturkreis verbunden fühlte und er sich Generation von Schweizer Komponisten des 20. heftige Liebeswerben von Schoeck nicht er- nicht scheute, die Opern Massimilla Doni (1937) Jahrhunderts. Schoeck war das jüngste von vier widerte, inspirierte ihn zu seinem Violinkonzert und Schloss Dürande (1943) im Hitler-Deutsch- Kindern des Kunstmalers Alfred Schoeck und op. 21 «Quasi una fantasia», in welchem er sei- land uraufzuführen. Zunehmende Isolation nach der Hoteliertochter Agathe Fassbind in Brun- nen Liebesschmerz zu verarbeiten suchte. In sei- dem Weltkrieg war die Folge, was sich einerseits nen. Eigentlich sollte Othmar in die Fusstapfen nem Exemplar des Klavierauszuges sind über auf Schoecks immer pessimistischere Musikspra- des Vaters treten, weshalb er zuerst Malunter- einigen Passagen veritable Liebeserklärungen in che auswirkte, andererseits auch zum Verschwin- richt bei Hermann Gattiker und Ernst Würten- Worten notiert. Insgesamt besticht das konven- den der Werke aus dem Konzertsaal beitrug. berger erhielt. Zahlreiche, wenig bekannte tionell dreisätzige Werk durch die Unmittelbar- Doch war es gerade auch die ältere Rezeption Aquarelle, Öl- und Bleistiftskizzen zeugen vom keit des Ausdrucks und das über weite Strecken um die Schweizer Schoeck-Freunde Hans Corrodi zeichnerischen Talent Schoecks, der sich zudem lyrische Monologisieren des Soloinstrumentes. und Werner Vogel, die den retrospektiven Aspekt bis weit in die Zwanzigerjahre hinein auf Post- 1909 wurde Schoeck dann Dirigent des Män- in Schoecks Œuvre betonten und die Modernität karten an Freunde und in Gästebucheintragun- nerchors Aussersihl Zürich und 1911 zusätzlich zu wenig gewichteten. Zudem hielt sich Schoeck gen mit Karikaturen präsentierte. Leiter des Lehrergesangsvereins Zürich. Zwar fast ausschliesslich an herkömmliche Gattungen mochte der Komponist und Musiker das konser- und Formschemata, sei es bei den Violinsonaten, Erste Erfolge vative Männerchorwesen nicht, musste sich den Opern wie dem Singspiel Erwin und Elmire, aber vorerst als Chordirigent seinen Lebens- dem Musikdrama Venus oder den Klavierliedern. 1905 begann Schoeck dann ein Musikstudium unterhalt verdienen. Der Ausbruch des Ersten Das Bild des Traditionalisten hat denn auch mass- am Konservatorium Zürich bei Friedrich Hegar, Weltkrieges hatte für Schoeck grosse finanzielle geblich die Schoeck-Interpretation geprägt. Carl Attenhofer und Lothar Kempter, das er von Einbussen zur Folge, die 1916 durch ein Stipen- Erst der britische Musikwissenschafter Chris 1907 bis 1908 bei Max Reger in Leipzig abschloss. dium des Winterthurer Mäzens und Klarinettis- Walton begann in seiner vieldiskutierten Anschliessend kehrte er nach Zürich zurück, wo ten Werner Reinhart (1884–1951) gemildert Schoeck-Biographie mit diversen Klischees auf- er bis zu seinem Tod 1957 wohnte. Einen ersten wurden. 1917 wurde Schoeck zudem als Kapell- zuräumen und betont: «Wer an der tonalen, grossen Erfolg errang Schoeck kurz nach seiner meister des Konzertvereins St. Gallen berufen, spätromantischen Oberfläche kratzt, (...) der Rückkehr aus Leipzig beim Tonkünstlerfest in wo er bis 1944 blieb, als er während eines Kon- entdeckt darunter durchaus moderne Spuren. Baden, wo seine Serenade op. 1 und die Ouvertü- zerts mit Herzinfarkt zusammenbrach. 6 N°3 / Mars 2007 Revue Musicale Suisse miert die kleistsche Vorlage in seiner Vertonung er resigniert an, er schreibe seine Mörike-Lieder Veranstaltungen zum Gedenkjahr auf diese tragische «Urfeindschaft der Ge- ganz allein für sich selbst: «Es hat ja keinen Sinn schlechter». «Das Stück muss vorüberrauschen mehr – von Mörike will niemand etwas wissen.» Wanderausstellung: «Othmar Schoeck – wie ein Sturmwind, dass der Hörer überhaupt Besonderes Gewicht bei den Liederzyklen ge- Komponieren und Leben in der Schweiz», nicht zum Aufatmen kommt und erst am bührt sicherlich dem Notturno, das nur schon Stadthaus Winterthur mit einem Vernissage- Schluss aus der Spannung entlassen wird», mit seiner aussergewöhnlichen Besetzung für konzert (8. März – 2. Mai); Tonhalle St. Gal- meinte Schoeck zu seinem Meisterwerk. Diese Streichquartett und Stimme aufhorchen lässt len (9. Mai – 8. Juni); Brunnen, Galerie am Prämisse hat Penthesilea, deren bitonale Schock- und an Schönbergs frühes Streichquartett fis- Leewasser (17. Juni – 22. Juli); Tonhalle Zü- wirkungen diejenigen von Strauss fast noch Moll op. 10 erinnert. Im Melodrama Ode an Na- rich (September). überflügeln, durchgehend erfüllt; ja, das ly- poleon op. 41 hat sich Schönberg später noch Konzerte: Tonhalle St. Gallen, 24. Mai, risch-beruhigende Liebesduett zwischen Pen- einmal mit dieser Besetzung auseinanderge- 19.30 Uhr, Sinfonieorchester St. Gallen, Lei- thesilea und Achilles wurde gar erst nach der Ur- setzt. Schoeck selber hat das Notturno in den tung: Jiˇri Kout, Schoeck: Sommernacht op. aufführung in Dresden von Schoeck dazukom- Umkreis der Zweiten Wiener Schule gebracht, 58, dazu Werke von Alban Berg, Igor Stra- poniert. Trotzdem ist Penthesilea, in der die wie aus den Aufzeichnungen von Werner Vogel winsky und Richard Strauss; Brunnen SZ, «Hörner brüllen wie die Uristiere», so der Musik- hervorgeht. Zudem verweist auch die Verwen- 17. Juni 19.30 Uhr, Anne-Florence Marbot, kritiker Willi Schuh, eine expressionistische dung einer Chaconne im Schlussstück darauf, Sopran, Hans-Jürg Rickenbach, Tenor, Klangekstase, ein faszinierender «Schoeck- hat doch Alban Berg mit alten Tänzen wie der Hansjürg Kuhn, Klavier, Schoeck: Wands- Schock» geblieben, der in jüngster Zeit zu meh- Chaconne, die mit der Passacaglia verwandt ist, becker Liederbuch op. 52 und diverse Lieder; reren interessanten Neuinszenierungen führte. experimentiert. Der fünfteilige, rund 45-minü- Tonhalle Zürich, 1. September 19.30 Uhr, Bet- Das Theater Basel wird das Werk im September tige von Pessimismus und Depression geprägte tina Boller, Violine, Walter Prossnitz, Klavier, 2007 unter Leitung von Mario Venzago neu he- Zyklus Notturno besticht durch die Ausgewo- Schoeck: Violinsonaten op. 16 und op. 46, da- rausbringen. Venzago hat zudem bei Claves erst- genheit der Form und den hohen Ausdrucksge- zu Werke von Schumann und Schönberg. mals das umfangreiche gross besetzte Chor- halt. Durch das Aufbrechen der harmonischen Siehe auch: www.othmar-schoeck.ch schaffen eingespielt. zugunsten einer polyphonen Lesart und eines Zum Besten, was Schoeck komponiert hat, dynamischeren Zugriffs haben Interpreten wie Werner Reinhart unterstützte den Komponis- sind zahlreiche Lieder zu zählen. Zyklen wie die das Carmina Quartett und Mathias Goerne ten über Jahrzehnte und ermöglichte ihm finan- Elegie für Kammerorchester nach Gedichten jüngst gezeigt, wie aufregend vielschichtig ziell ein mehr oder weniger sorgenfreies Leben. von Eichendorff und Lenau (1922/23), Lebendig Schoeck sein kann. Das Carmina-Quartett spielt 1924 widmete Schoeck seinem Winterthurer begraben nach der Gedichtfolge von Gottfried das Notturno übrigens am 10. Mai beim Musik- Förderer als Dank seine Liederfolge