VOICE Die Zeitschrift der GfbV | Dezember 2016 | Nummer 4

Sri Lanka: Neuer Bericht zur Militarisierung auf der -Halbinsel

Leben im Schatten des Militärs

Seit 27 Jahren besetzt das sri-lankische Militär («Schatten des Militärs») an einer Veranstaltung in grosse Gebiete auf der Jaffna-Halbinsel und nutzt Jaffna veröffentlicht. Drohanrufe des Militärs im Vor- dabei das Land auch für wirtschaftliche Zwecke. feld schreckten viele Personen von einer Teilnahme Der neue GfbV-Bericht «Under the Military’s Sha- ab. Trotzdem waren knapp hundert Betroffene anwe- dow» zeigt: Trotz Versprechungen hat die Re- send. Auch Vertreterinnen und Vertreter aus Politik gierung bisher nur kleine Stücke der besetzten und Kirche sowie von Fischereigewerkschaften und Flächen an die Bevölkerung zurückgegeben. Tau- Lokalbehörden nahmen teil. Sie zeigten sich froh sende Flüchtlinge leben noch unter widrigsten darüber, dass die GfbV im Bericht die Probleme der Umständen in Lagern für intern Vertriebene. Die Militarisierung aufzeigt. Im Anschluss kündigten sie GfbV hat ihren Bericht über die Situation in Jaff- an, sich für die Rechte der Vertriebenen einzusetzen. na im Oktober veröffentlicht. Trotz Drohanrufen Einige Betroffene sprachen trotz den Drohungen of- des Militärs im Vorfeld unserer Veranstaltung fen über ihre Probleme mit der Militarisierung. haben viele Menschen ihre Probleme offen ange- sprochen. So fragte ein Mann aufgebracht: «Möchte die Regie- rung denn, dass alle Vertriebenen in die Schweiz aus- Am 19. Oktober hat die Gesellschaft für bedrohte reisen? Sonst hätte sie uns unser traditionelles Land Völker ihren Bericht «Under the Military´s Shadow» schon längst zurückgegeben!» 2 | 4-2016

Wenn das Militär Hotels betreibt Abfälle herum, und bei heissen Temperaturen breitet sich Ge- Im Juni 1990 vertrieb das sri-lankische Militär durch Luftangrif- stank aus. Wenn es stark regnet, werden die Lager überflutet fe im Norden der Jaffna-Halbinsel Zehntausende von Tamilen. und die Bewohner müssen ihre ohnehin sehr schlecht ausge- Seither hält es grosse Gebiete als Sicherheitszone unter seiner statteten Häuser verlassen. Die schlechte Hygiene hat zur Folge, Kontrolle. Nur ein kleiner Teil der ehemaligen Bewohner hat das dass sich Krankheiten schnell ausbreiten. Zusätzlich werden die eigene Land zurückbekommen. Zehntausende intern Vertriebene intern Vertriebenen aus den Lagern von der Gesellschaft diskri- dürfen weiterhin nicht auf ihr Land zurückkehren. Unterdessen miniert. Sie haben grosse Schwierigkeiten, eine gute Arbeit zu betreibt das Militär auf dem beschlagnahmten Boden Landwirt- finden. Schliesslich werden viele Haushalte von Frauen geführt, schaft, Fabriken und touristische Einrichtungen (siehe Kasten). welche sich über die mangelnde Privatsphäre und sogar Über- griffe beklagen. Die Wenigen, die bisher in die angestammte Heimat zurückkeh- ren durften, können ihren ursprünglichen Beruf – die meisten Ein weiteres Problem ist die ständige Überwachung durch das als Fischer oder Bauern – wieder aufnehmen. Andere Flüchtlin- Militär. So kommen die Geheimdienste regelmässig in die Lager, ge wurden an Orten angesiedelt, welche vormals nicht bewohnt um die Bewohnerinnen und Bewohner auszufragen und auch waren. Aufgrund der geographischen Lage ist es in diesen Ge- einzuschüchtern. Auch das Rechercheteam für unseren Bericht bieten teilweise nicht möglich, Landwirtschaft zu betreiben musste dies hautnah miterleben. Unsere lokale Partnerorgani- oder fischen zu gehen. So können diese Menschen weiterhin sation «National Fisheries Solidarity Movement» (NAFSO) wurde keine Existenzgrundlage aufbauen und verharren in Armut. mehrmals duch die Aktivitäten des militärischen Geheimdiens- tes in der Arbeit behindert und hatte teilweise Mühe, Infor- Leben unter ständiger Überwachung mationen zur Situation in den Lagern für intern Vertriebene zu Auf der Jaffna-Halbinsel leben immer noch Tausende von Men- sammeln. Ein Armeeoffizier und mehrere Soldaten wollten sich schen unter äusserst prekären Lebensumständen in Lagern für sogar Zugang zu den Zimmern des Rechercheteams verschaffen. intern Vertriebene. Dort verharren sie oft seit 27 Jahren. So Dies wurde ihnen aber verweigert. müssen die Bewohnerinnen und Bewohner einige wenige Toi- letten mit mehreren Hundert Menschen teilen. Es liegen überall Text: Yves Bowie, GfbV-Kampagnenleiter

1 2 3 Fotos: © Yves Bowie, GfbV Fotos: © Bowie, Yves Foto 1: Schild eines Militärlagers im «Palaly Cantonment», der Sicherheitszone Foto 2: Kleines Mädchen in einem Wiederansiedlungsgebiet auf der Jaffna-Halbinsel Foto 3: Behausung in einem Lager für intern Vertriebene auf der Jaffna-Halbinsel | 4-2016

Editorial Liebe Leserin, lieber Leser «WIESO BRAUCHT DAS MILITÄR UNSER LAND NOCH?» Stellen Sie sich vor, Sie möchten an der Präsentation eines neuen GfbV-Berichts teilnehmen und haben sich das Datum in Ihrer Agenda vorgemerkt. In den Tagen vorher erhalten Sie telefonisch Drohungen und werden aufgefordert, dem Anlass fernzubleiben. So geschehen in Sri Lanka Mitte Oktober, als die GfbV ihren neuen Bericht «Schatten des Militärs» über die Situation auf der Jaffna-Halbinsel vorstellte (mehr dazu in dieser Voice ab Seite 1). Trotz Einschüchterungsversuchen kamen knapp hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Foto: © Yves Bowie, GfbV Foto: © Bowie, Yves an die Veranstaltung. «Wir sind froh, dass die GfbV die Juljes Selvamalar musste während dem Krieg fliehen und Probleme der Militarisierung klar benennt», so lauteten lebt bis heute in einem Lager für intern Vertriebene. Sie verschiedene Stimmen aus dem Publikum. versteht nicht, warum das Militär ihr Land noch immer «Die Menschenrechtslage in Sri Lanka verschlechtert als Hochsicherheitszone besetzt hält. sich deutlich», sagt GfbV-Kampagnenleiter Yves Bowie, Die 47-jährige Juljes Selvamalar ist die Tochter eines Fi- der Anfang November aus Sri Lanka in die Schweiz schers aus , im Norden der Jaffna-Halbinsel. zurückkehrte. So wurden diesen Herbst in Jaffna zwei Die ganze Familie wurde 1990 während einem Angriff der Studenten ermordet, es kam zu Entführungen und sri-lankischen Luftwaffe vertrieben. Seit 27 Jahren lebt gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Marine und Juljes Selvamalar nun im Nethawan-Camp, einem Lager Dorfbewohnern, und die Überwachung und Einschüch- für intern Vertriebene. Dort sind die Infrastruktur und die terung der Zivilgesellschaft und Lokalbevölkerung Hygiene-Verhältnisse schlecht und es gibt kaum Einkom- durch Sicherheitskräfte hat sich verstärkt. Angesichts mensmöglichkeiten. Die Familie hat ihre Lebensgrundlage dieser Situation steht die GfbV dem neuen Migrati- als Fischer verloren und lebt vom Einkommen des Sohnes, onsabkommen kritisch gegenüber, das die Schweiz und der als Maurer arbeitet. Juljes’ Ehemann wurde 2008 ent- Sri Lanka im Oktober unterzeichnet haben. Die GfbV führt und von ihm fehlt bis heute jede Spur. fordert die Schweiz auf, sich noch stärker für die Einhal- tung der Menschenrechte vor Ort einzusetzen. Immer noch hält das Militär das Land der Familie besetzt und führt direkt neben ihrem ehemaligen Grundstück ein Jenische und Sinti feiern Anerkennung, Roma bleiben Militärhotel für touristische Zwecke. Diesen Sommer be- in der Warteschlaufe: Unter diesem Titel berichten wir suchte Juljes Selvamar mit ihren beiden Kindern dieses ab Seite 6 über einen historischen Auftritt von Bundes- Hotel, um ihnen die ehemalige Heimat zu zeigen. «Als ich rat Alain Berset an der Feckerchilbi, über neue Durch- mein Land sah, musste ich so weinen», sagt sie traurig. gangsplätze für Jenische und Sinti im Kanton Bern, «Ich habe den grossen Wunsch, dahin zurückzukehren, wo aber auch über fehlende Transitplätze für ausländische ich aufgewachsen bin.» Und sie fügt bitter an: «Der Krieg Fahrende, über rassistische Tendenzen gegenüber Roma ist vorbei, wieso braucht das Militär unser Land noch? Sie und zwei Klagen seitens der GfbV. können doch staatseigenes Land für ihr Hotel verwenden.» Wir wünschen eine anregende Lektüre! Obwohl ein Teil des Landes zurückgegeben und ein Wieder- ansiedlungsprozess gestartet wurde, warten noch unzählige Menschen darauf, heimkehren zu können. In die neue Regierung hat Juljes Selvamar denn auch kaum Vertrauen: «Bis jetzt hat die Regierung nicht Wort gehalten, sondern Dominique Schärer, nur leere Versprechungen gemacht.» Kommunikationsverantwortliche GfbV

Mit unserer Kampagne «Stop Ocean Grabbing» setzen wir uns für Menschen ein, die durch die Plünderung der Meere | Impressum: oder die Beschlagnahmung des Zugangs zum Meer ihrem VOICE 4-2016, Dezember 2016 Herausgeberin: Gesellschaft für bedrohte traditionellen Beruf als Fischer nicht mehr nachgehen können. Völker, Schermenweg 154, 3072 Ostermundigen, 031 939 00 00, [email protected], www.gfbv.ch Redaktion: Dominique Schärer Layout: Tania Brügger Marquez Auf unserem Blog www.oceangrabbing.ch erzählen wir Mitarbeiter an dieser Nummer: Angela Mattli, Angela Schweizer, Christoph nebst Juljes Geschichte auch die Schicksale von weiteren Wiedmer, Martin Wanner, Yves Bowie Erscheinungsweise: vierteljährlich Betroffenen aus Sri Lanka. Auflage: 8500 Exemplare Druck: gdz AG, Zürich; gedruckt auf Plano Speed («FSC Mix») Abonnement: CHF 30.–/Jahr Mitgliederbeitrag: mindestens CHF­­­ 60.–/Jahr Titelbildfoto: Yves Bowie, GfbV WIEDERANSIEDLUNGSGEBIETE

Sri Lanka Kankesanthurai DIE JAFFNA-HALBINSEL Valalay Vadakku Village Mayliddy

Anthony Puram

Tellippalai Varthawilan Palaly Kilaka TOURISMUSGEBIETE Mannikawatti Point Pedro Kankesanthurai Dambakolapatuna Mayliddy Casuarina Beach Freigegebenes Land Thayiddi Sicherheitszone «Palaly Cantonment» Palaly Flughafen Karaignar- Tellipalai Insel

Jaffna Kayts-Insel

TOURISMUSGEBIET

Chundikulam Naturpark Konatpulam Camp Neethawan Camp Delft-Insel Sabapathipillai Camp Supermadam Village LAGER FÜR INTERN VERTRIEBENE Elephant Pass

Stadt Ehemalige Hochsicherheitszone Kilinochchi

MILITÄRISCH KONTROLLIERTES LAND INTERN VERTRIEBENE Im so genannten «Palaly Cantonment» befinden sich Gemäss Regierungsangaben gab es im Juni laut Regierungsangaben fast 20 000 Quadratkilometer 2015 auf der Jaffna-Halbinsel 42 201 intern Land unter der Kontrolle des Militärs. Die GfbV fordert vertriebene Personen. Diese Menschen haben die Regierung von Sri Lanka auf, das besetzte Land den ihre angestammte Lebensgrundlage in der ursprünglichen Besitzern zurückzugeben. Fischerei und in der Landwirtschaft verloren. WIEDERANSIEDLUNGSGEBIETE

Sri Lanka Kankesanthurai DIE JAFFNA-HALBINSEL Keerimalai Valalay Vadakku Village Mayliddy

Anthony Puram

Tellippalai Varthawilan Palaly Kilaka TOURISMUSGEBIETE Mannikawatti Point Pedro Kankesanthurai Dambakolapatuna Mayliddy Casuarina Beach Freigegebenes Land Thayiddi Sicherheitszone «Palaly Cantonment» Palaly Flughafen Karaignar- Tellipalai Insel

Jaffna Kayts-Insel

TOURISMUSGEBIET

Chundikulam Naturpark Konatpulam Camp Neethawan Camp Delft-Insel Sabapathipillai Camp Supermadam Village LAGER FÜR INTERN VERTRIEBENE Elephant Pass

Stadt Ehemalige Hochsicherheitszone Kilinochchi

LEBEN IM LAGER VON FRAUEN GEFÜHRTE HAUSHALTE Die GfbV-Partnerorganisation NAFSO (National Fisheries Infolge des Krieges gibt es allein im Nordosten Sri Lankas Solidarity Movement) hielt im September 2015 fest, dass 59 000 bis 84 000 Haushalte, die von Frauen geführt wer- allein im Jaffna-Distrikt 1536 intern vertriebene Familien den. Frauen und Mädchen bilden die verletzlichste Bevölke- in eigens dafür eingerichteten Lagern lebten. rungsgruppe des Landes. 6 | 4-2016

Schweiz: Jenische, Sinti und Roma Jenische und Sinti feiern Erfolge, Roma in der Warteschlaufe Foto: ©Andreas Radgenossenschaft / Bildarchiv von Gunten Bundesrat Alain Berset besuchte die diesjährige Feckerchilbi in Bern.

Für die Jenischen und Sinti war das Jahr den, bedeutet die Annahme des Gegenvor- auf deren berechtige Bedürfnisse ein. Zwei 2016 ein sehr gutes Jahr. Die beiden schlages zur Wiedergutmachungsinitiative Jahre nach den Protestaktionen und der Minderheiten sind neu mit ihrer Eigenbe- durch das Parlament in der Herbstsession. unwürdigen polizeilichen Räumung ist der zeichnung anerkannt. In der öffentlichen So soll der Bund nebst der wissenschaftli- Kanton Bern bereit, seinen Verpflichtungen Aufarbeitung ihrer Verfolgungsgeschichte chen Aufarbeitung 300 Millionen Franken gegenüber den nationalen Minderheiten wurden Meilensteine gesetzt. Und im für finanzielle Leistungen zugunsten der endlich nachzukommen. Ein grosser Erfolg Kanton Bern sollen drei neue Durch- Betroffenen fürsorgerischer Zwangsmass- für das unermüdliche Engagement vieler gangsplätze entstehen. Für die Roma nahmen bereitstellen. Die Politik will somit Selbstorganisationen und ihrer Unterstüt- sieht die Bilanz leider nicht so positiv ein Stück Gerechtigkeit wiederherstellen. zerinnen und Unterstützer. aus. Ein Grund mehr, mit unserer «Stopp In der gleichen Herbstsession bekräftigte Antiziganismus»-Kampagne am Thema der Bundesrat in seiner Antwort auf die Umso bedauerlicher ist es, dass der Antrag zu bleiben. Interpellation von Barbara Gysi (SP) zum für einen Transitplatz für ausländische Gedenken an die Opfer des «Hilfswerks Kin- Fahrende zurückgewiesen und auf eine Die gute Nachricht zuerst: Mitte Septem- der der Landstrasse», dass die Erinnerung billigere Lösung plädiert wurde. Dieser ber – anlässlich der Feckerchilbi in Bern – an die problematischen Aspekte unserer Umstand wird die gegenwärtigen Kon- sprach Bundesrat Alain Berset das aus, Geschichte gepflegt werden müssen. «Ge- flikte im Berner Seeland nicht entschär- worauf Schweizer Jenische und Sinti lange denkstätten können dabei eine positive fen. Seit der Aufhebung des sogenannten gewartet haben: «Liebe Jenische und Sinti, Rolle spielen», so der Bundesrat. Daher «Zigeunereinreiseverbotes» von 1973 be- Sie bereichern die Schweiz!» Als Beglei- sei er bereit, die Unterstützung einer reisen fahrende Roma-Gruppen von März tung sozusagen folgte das bundesrätliche Initiative Dritter zur Errichtung einer Ge- bis Oktober regelmässig die Schweiz. Statement, dass Jenische und Sinti künftig denkstätte zu prüfen. Dies ist ein klarer nicht mehr unter dem diffusen Begriff Erfolg unserer Kampagne gegen das Ver- Gemäss Schätzungen handelt es sich um «Fahrende», sondern unter ihrer Eigen- gessen, welche die GfbV zusammen mit 400 bis 500 Wohnwagen. Dennoch stehen bezeichnung anerkannt und angesprochen den Organisationen der Jenischen führt. ausländischen fahrenden Roma in der werden. Dies, so Bundesrat Berset, sei keine Schweiz lediglich drei offizielle Durch- Wortklauberei: «Mit Sprache schafft man Platzfrage für fahrende Roma bleibt un- gangsplätze zur Verfügung. Dies führt Realität». geklärt dazu, dass fahrende Roma gezwungen sind, Ein weiterer Erfolg für die fahrenden Je- auf den «spontanen Halt» auszuweichen, Aufarbeitung der Geschichte der «Kin- nischen und Sinti konnte im Kanton Bern wo Wohnwagen bei Landwirten, Gewerbe- der der Landstrasse» erhält Schub gefeiert werden. Im September beschloss betrieben oder auf öffentlichen Flächen Ein Meilenstein für die Betroffenen fürsor- der Grosse Rat, drei neue Durchgangsplät- von Gemeinden gegen Entgelt aufgestellt gerischer Zwangsmassnahmen, unter de- ze für einheimische Jenische und Sinti zu werden. Obwohl die Mehrheit dieser Arran- nen sich auch zahlreiche Jenische befin- schaffen. Endlich geht der Kanton Bern gements reibungslos verlaufen, kommt es | 4-2016 7

vor, dass einige Roma-Gruppen die hiesigen Gesetze und Gepflogenheiten Mit FENAMAD unterwegs in Peru nicht kennen oder respektieren. Diese Konflikte – wie diesen Sommer in Im Oktober reiste ich als Vertreter der GfbV Berner Seeland – haben kostspielige Polizeieinsätze zur Folge. Mit einem für Recherchen und für Gespräche mit der zusätzlichen offiziellen Durchgangsplatz würde sich die Situation wesentlich Indigenen-Organisation FENAMAD in den entspannen. Südosten von Peru. Dabei konnte ich den Präsidenten der FENAMAD, Julio Cusurichi, und eine Experten-Delegation auf eine Reise zu vier indigenen Gemeinden in der Provinz Madre de Dios begleiten. Die Basis für die Dachorganisation FENAMAD (Federación Nati- va del Río Madre de Dios y Afluentes) sind 34 indigene Gemeinden aus der Provinz Madre de Dios. Julio Cusurichi möchte während seiner Amtszeit jede dieser Gemeinden mindestens einmal persönlich besuchen. Er sagt dazu: «Auch wenn die Reise zwei oder drei Tage dauert, das Wichtigste ist, dort zu sein. Ganz gleich, ob es Gemeinden mit 12, 20 oder 300 Familien sind, wir werden sie besuchen. Und das tun wir gerade.» Die vier schwer erreich- baren Gemeinden sind dabei die letzten, die noch fehlen.

Foto: ©Franziska Rothenbühler Wenn FENAMAD eine indigene Gemeinde Die in der Schweiz lebenden Roma fordern Anerkennung. besucht, wird jeweils eine Versammlung einberufen, um über aktuelle Entwicklun- Politische Stimmung gegen Roma verschärft sich gen zu informieren und konkrete Projekte Gleichzeitig stellt die GfbV eine klare Verschärfung des politischen und me- in die Wege zu leiten. Zu den Aufgaben der dialen Klimas gegenüber Roma fest. Dies zeigt sich insbesondere in einer FENAMAD gehören der Transport von Mate- beunruhigenden Zunahme von offen rassistischen Äusserungen von Schweizer rial in die abgelegenen Gemeinden wie auch Politikerinnen und Politikern. Konkrete Lösungsvorschläge bleiben dabei Verhandlungen mit nationalen Ministerien. auf der Strecke. Roma gelten vielerorts als Sündenböcke – auch in der Neben der ganz konkreten Verbesserung der Schweiz. Dabei kommt es regelmässig zur Herabwürdigung der ganzen Min- Lebensumstände der indigenen Gemeinden spielt dabei immer auch deren längerfristige derheit, ohne dass die Organisationen der Roma zu Wort kommen und ohne Stärkung eine wichtige Rolle. Workshops und dass dies von der Öffentlichkeit verurteilt wird. So hat sich beispielsweise Informationsaustausch mit anderen Gemein- die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus bisher nicht öffentlich zu den sollen ihre eigene Entwicklung vorantrei- den jüngsten Vorfällen geäussert, und auch von Politik und Behörden kam ben – mit Unterstützung von Organisationen kaum Unterstützung. Aus diesem Grund haben wir zusammen mit Schweizer wie der GfbV. Roma-Organisationen zwei Klagen gegen einen Lysser Gemeinderat und einen Bieler Kantonsrat eingereicht, wobei bedauerlicherweise auf die eine Text: Martin Wanner, Praktikant Kampagne Wirt- Klage nicht eingetreten wird, da die GfbV nicht als geschädigte Person gilt. schaft & Indigenenrechte

Text: Angela Mattli, GfbV-Kampagnenleiterin Foto: ©Martin Wanner, GfbV Foto: ©Martin Wanner, Der FENAMAD-Präsident Julio Cusurichi (zweiter von links) besucht die Gemeindeversammlung von Maizal. 8 | 4-2016

Markus Mugglin im Interview Was NGO-Kampagnen bewirken können Wie geht es in Zukunft mit der Unternehmens- verantwortung weiter? Entscheidend wird sein, wie weit die Unternehmen den Schutz der Menschenrechte respektieren, darüber transparent Rechenschaft ablegen und allfälligen Opfern die Möglichkeiten bieten, sich zur Wehr zu setzen. Das heisst, ob sie bereit sind, die UNO-Prin- zipien für Unternehmen und Menschenrechte umzu- setzen. Und ebenso entscheidend ist, ob Bundesrat und Parlament gewisse gesetzliche Vorgaben machen werden. Nichtregierungsorganisationen wie die GfbV werden dabei eine wichtige Rolle als Brücke zu den Menschen in armen Ländern spielen, damit diese ihre Schutzrechte geltend machen können.

Was können die Konsumenten selber für faire Ar- beitsbedingungen und Umweltschutz tun? Die Lieferketten sind transparenter als früher und

Foto: ©Markus Mugglin man kann sich darüber informieren, unter welchen «Ich beobachte einen Prozess von Veränderungen» – Markus Mugglin untersucht die Bedingungen Produkte hergestellt wurden. Logos und Wirkung von NGO-Kampagnen auf Arbeitsbedingungen und Umweltschutz bei Konzernen. Zertifizierungen können den Konsumentinnen und Konsumenten bei ihrer Wahl helfen, auch wenn sie Der Journalist und Ökonom Markus Mugglin analysiert in seinem Buch nicht immer fehlerfrei Auskunft geben. Veränderungen «Konzerne unter Beobachtung», wie Schweizer Unternehmen unter- finden eben auch über den Einkaufskorb statt. schiedlich auf den Druck der Zivilgesellschaft reagieren und was sich in der Schweiz verändert hat. Das Buch zeigt: Nichtregierungsorganisatio- Interview: Angela Schweizer, Praktikantin Kommunikation nen (NGOs) haben mit ihren Kampagnen Einiges in Sachen Arbeitsbedin- gungen und Umweltschutz erreicht.

Was hat Sie dazu bewogen, zum Thema Konzernverantwortung ein Buch zu veröffentlichen? Während meiner Tätigkeit als Journalist bin ich immer wieder auf einzelne Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Konzernen gestossen. Im Buch wollte ich einen grösseren Bogen spannen und aufzeigen, was die vielen einzelnen Kampagnen über die Jahrzehnte hinweg bewegt haben. Auf jeden Fall fanden wesentliche Veränderungen statt. TIPP

Sie sprechen von einer Erfolgsgeschichte: NGOs können mit ihren Markus Mugglin: «Konzerne unter Beobach- Kampagnen etwas bewirken. Was denn konkret? tung. Was NGO-Kampagnen bewirken können» Unternehmen haben Neuerungen vorgenommen, welche Teilantworten sind Konzerne stehen weltweit in der Kritik. NGOs auf das, was gefordert oder angeklagt wurde. Heute besteht eine viel grössere decken auf, wie Multis Menschenrechte miss- Transparenz in den Lieferketten als in den 1990er Jahren. Damals sprach achten, die Umwelt schädigen, Arbeitskräfte noch fast niemand darüber, ausser wenn es um Fair Trade im kleineren ausbeuten, Profite in Steueroasen verstecken. Rahmen ging. Die Wirtschaft anerkennt heute, dass die Menschenrechte Auf die Kritik reagieren die Konzerne mit neuen auch für sie ein Thema sind. Ich beobachte einen Prozess von Veränderun- Strategien. Markus Mugglin untersucht, ob die gen, der aber noch nicht abgeschlossen ist. «soziale Unternehmensverantwortung» mehr ist als nur Imagepflege und was sich verändert hat. Sie erwähnen im Zusammenhang mit dem Thema Gold auch die GfbV. Wie schätzen sie den Einfluss der GfbV-Goldkampagne ein? Die GfbV-Recherchen deckten fragwürdige Praktiken im Goldhandel zwischen Peru und der Schweiz auf. Nach meiner Wahrnehmung haben sie wesentlich dazu beigetragen, dass die Diskussion über die heikle Rolle der Schweiz im Goldhandel in Gang gekommen ist. Rotpunktverlag 208 Seiten, 29 Franken Mehr über Markus Mugglin: www.markusmugglin.ch