Sri Lanka: Neuer Bericht Zur Militarisierung Auf Der Jaffna-Halbinsel
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VOICE Die Zeitschrift der GfbV | Dezember 2016 | Nummer 4 Sri Lanka: Neuer Bericht zur Militarisierung auf der Jaffna-Halbinsel Leben im Schatten des Militärs Seit 27 Jahren besetzt das sri-lankische Militär («Schatten des Militärs») an einer Veranstaltung in grosse Gebiete auf der Jaffna-Halbinsel und nutzt Jaffna veröffentlicht. Drohanrufe des Militärs im Vor- dabei das Land auch für wirtschaftliche Zwecke. feld schreckten viele Personen von einer Teilnahme Der neue GfbV-Bericht «Under the Military’s Sha- ab. Trotzdem waren knapp hundert Betroffene anwe- dow» zeigt: Trotz Versprechungen hat die Re- send. Auch Vertreterinnen und Vertreter aus Politik gierung bisher nur kleine Stücke der besetzten und Kirche sowie von Fischereigewerkschaften und Flächen an die Bevölkerung zurückgegeben. Tau- Lokalbehörden nahmen teil. Sie zeigten sich froh sende Flüchtlinge leben noch unter widrigsten darüber, dass die GfbV im Bericht die Probleme der Umständen in Lagern für intern Vertriebene. Die Militarisierung aufzeigt. Im Anschluss kündigten sie GfbV hat ihren Bericht über die Situation in Jaff- an, sich für die Rechte der Vertriebenen einzusetzen. na im Oktober veröffentlicht. Trotz Drohanrufen Einige Betroffene sprachen trotz den Drohungen of- des Militärs im Vorfeld unserer Veranstaltung fen über ihre Probleme mit der Militarisierung. haben viele Menschen ihre Probleme offen ange- sprochen. So fragte ein Mann aufgebracht: «Möchte die Regie- rung denn, dass alle Vertriebenen in die Schweiz aus- Am 19. Oktober hat die Gesellschaft für bedrohte reisen? Sonst hätte sie uns unser traditionelles Land Völker ihren Bericht «Under the Military´s Shadow» schon längst zurückgegeben!» 2 | 4-2016 Wenn das Militär Hotels betreibt Abfälle herum, und bei heissen Temperaturen breitet sich Ge- Im Juni 1990 vertrieb das sri-lankische Militär durch Luftangrif- stank aus. Wenn es stark regnet, werden die Lager überflutet fe im Norden der Jaffna-Halbinsel Zehntausende von Tamilen. und die Bewohner müssen ihre ohnehin sehr schlecht ausge- Seither hält es grosse Gebiete als Sicherheitszone unter seiner statteten Häuser verlassen. Die schlechte Hygiene hat zur Folge, Kontrolle. Nur ein kleiner Teil der ehemaligen Bewohner hat das dass sich Krankheiten schnell ausbreiten. Zusätzlich werden die eigene Land zurückbekommen. Zehntausende intern Vertriebene intern Vertriebenen aus den Lagern von der Gesellschaft diskri- dürfen weiterhin nicht auf ihr Land zurückkehren. Unterdessen miniert. Sie haben grosse Schwierigkeiten, eine gute Arbeit zu betreibt das Militär auf dem beschlagnahmten Boden Landwirt- finden. Schliesslich werden viele Haushalte von Frauen geführt, schaft, Fabriken und touristische Einrichtungen (siehe Kasten). welche sich über die mangelnde Privatsphäre und sogar Über- griffe beklagen. Die Wenigen, die bisher in die angestammte Heimat zurückkeh- ren durften, können ihren ursprünglichen Beruf – die meisten Ein weiteres Problem ist die ständige Überwachung durch das als Fischer oder Bauern – wieder aufnehmen. Andere Flüchtlin- Militär. So kommen die Geheimdienste regelmässig in die Lager, ge wurden an Orten angesiedelt, welche vormals nicht bewohnt um die Bewohnerinnen und Bewohner auszufragen und auch waren. Aufgrund der geographischen Lage ist es in diesen Ge- einzuschüchtern. Auch das Rechercheteam für unseren Bericht bieten teilweise nicht möglich, Landwirtschaft zu betreiben musste dies hautnah miterleben. Unsere lokale Partnerorgani- oder fischen zu gehen. So können diese Menschen weiterhin sation «National Fisheries Solidarity Movement» (NAFSO) wurde keine Existenzgrundlage aufbauen und verharren in Armut. mehrmals duch die Aktivitäten des militärischen Geheimdiens- tes in der Arbeit behindert und hatte teilweise Mühe, Infor- Leben unter ständiger Überwachung mationen zur Situation in den Lagern für intern Vertriebene zu Auf der Jaffna-Halbinsel leben immer noch Tausende von Men- sammeln. Ein Armeeoffizier und mehrere Soldaten wollten sich schen unter äusserst prekären Lebensumständen in Lagern für sogar Zugang zu den Zimmern des Rechercheteams verschaffen. intern Vertriebene. Dort verharren sie oft seit 27 Jahren. So Dies wurde ihnen aber verweigert. müssen die Bewohnerinnen und Bewohner einige wenige Toi- letten mit mehreren Hundert Menschen teilen. Es liegen überall Text: Yves Bowie, GfbV-Kampagnenleiter Sri Lanka 1 2 3 Fotos: © Yves Bowie, GfbV Fotos: © Bowie, Yves Foto 1: Schild eines Militärlagers im «Palaly Cantonment», der Sicherheitszone Foto 2: Kleines Mädchen in einem Wiederansiedlungsgebiet auf der Jaffna-Halbinsel Foto 3: Behausung in einem Lager für intern Vertriebene auf der Jaffna-Halbinsel | 4-2016 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser «WIESO BRAUCHT DAS MILITÄR UNSER LAND NOCH?» Stellen Sie sich vor, Sie möchten an der Präsentation eines neuen GfbV-Berichts teilnehmen und haben sich das Datum in Ihrer Agenda vorgemerkt. In den Tagen vorher erhalten Sie telefonisch Drohungen und werden aufgefordert, dem Anlass fernzubleiben. So geschehen in Sri Lanka Mitte Oktober, als die GfbV ihren neuen Bericht «Schatten des Militärs» über die Situation auf der Jaffna-Halbinsel vorstellte (mehr dazu in dieser Voice ab Seite 1). Trotz Einschüchterungsversuchen kamen knapp hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer Foto: © Yves Bowie, GfbV Foto: © Bowie, Yves an die Veranstaltung. «Wir sind froh, dass die GfbV die Juljes Selvamalar musste während dem Krieg fliehen und Probleme der Militarisierung klar benennt», so lauteten lebt bis heute in einem Lager für intern Vertriebene. Sie verschiedene Stimmen aus dem Publikum. versteht nicht, warum das Militär ihr Land noch immer «Die Menschenrechtslage in Sri Lanka verschlechtert als Hochsicherheitszone besetzt hält. sich deutlich», sagt GfbV-Kampagnenleiter Yves Bowie, Die 47-jährige Juljes Selvamalar ist die Tochter eines Fi- der Anfang November aus Sri Lanka in die Schweiz schers aus Kankesanthurai, im Norden der Jaffna-Halbinsel. zurückkehrte. So wurden diesen Herbst in Jaffna zwei Die ganze Familie wurde 1990 während einem Angriff der Studenten ermordet, es kam zu Entführungen und sri-lankischen Luftwaffe vertrieben. Seit 27 Jahren lebt gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Marine und Juljes Selvamalar nun im Nethawan-Camp, einem Lager Dorfbewohnern, und die Überwachung und Einschüch- für intern Vertriebene. Dort sind die Infrastruktur und die terung der Zivilgesellschaft und Lokalbevölkerung Hygiene-Verhältnisse schlecht und es gibt kaum Einkom- durch Sicherheitskräfte hat sich verstärkt. Angesichts mensmöglichkeiten. Die Familie hat ihre Lebensgrundlage dieser Situation steht die GfbV dem neuen Migrati- als Fischer verloren und lebt vom Einkommen des Sohnes, onsabkommen kritisch gegenüber, das die Schweiz und der als Maurer arbeitet. Juljes’ Ehemann wurde 2008 ent- Sri Lanka im Oktober unterzeichnet haben. Die GfbV führt und von ihm fehlt bis heute jede Spur. fordert die Schweiz auf, sich noch stärker für die Einhal- tung der Menschenrechte vor Ort einzusetzen. Immer noch hält das Militär das Land der Familie besetzt und führt direkt neben ihrem ehemaligen Grundstück ein Jenische und Sinti feiern Anerkennung, Roma bleiben Militärhotel für touristische Zwecke. Diesen Sommer be- in der Warteschlaufe: Unter diesem Titel berichten wir suchte Juljes Selvamar mit ihren beiden Kindern dieses ab Seite 6 über einen historischen Auftritt von Bundes- Hotel, um ihnen die ehemalige Heimat zu zeigen. «Als ich rat Alain Berset an der Feckerchilbi, über neue Durch- mein Land sah, musste ich so weinen», sagt sie traurig. gangsplätze für Jenische und Sinti im Kanton Bern, «Ich habe den grossen Wunsch, dahin zurückzukehren, wo aber auch über fehlende Transitplätze für ausländische ich aufgewachsen bin.» Und sie fügt bitter an: «Der Krieg Fahrende, über rassistische Tendenzen gegenüber Roma ist vorbei, wieso braucht das Militär unser Land noch? Sie und zwei Klagen seitens der GfbV. können doch staatseigenes Land für ihr Hotel verwenden.» Wir wünschen eine anregende Lektüre! Obwohl ein Teil des Landes zurückgegeben und ein Wieder- ansiedlungsprozess gestartet wurde, warten noch unzählige Menschen darauf, heimkehren zu können. In die neue Regierung hat Juljes Selvamar denn auch kaum Vertrauen: «Bis jetzt hat die Regierung nicht Wort gehalten, sondern Dominique Schärer, nur leere Versprechungen gemacht.» Kommunikationsverantwortliche GfbV Mit unserer Kampagne «Stop Ocean Grabbing» setzen wir uns für Menschen ein, die durch die Plünderung der Meere | Impressum: oder die Beschlagnahmung des Zugangs zum Meer ihrem VOICE 4-2016, Dezember 2016 Herausgeberin: Gesellschaft für bedrohte traditionellen Beruf als Fischer nicht mehr nachgehen können. Völker, Schermenweg 154, 3072 Ostermundigen, 031 939 00 00, [email protected], www.gfbv.ch Redaktion: Dominique Schärer Layout: Tania Brügger Marquez Auf unserem Blog www.oceangrabbing.ch erzählen wir Mitarbeiter an dieser Nummer: Angela Mattli, Angela Schweizer, Christoph nebst Juljes Geschichte auch die Schicksale von weiteren Wiedmer, Martin Wanner, Yves Bowie Erscheinungsweise: vierteljährlich Betroffenen aus Sri Lanka. Auflage: 8500 Exemplare Druck: gdz AG, Zürich; gedruckt auf Plano Speed («FSC Mix») Abonnement: CHF 30.–/Jahr Mitgliederbeitrag: mindestens CHF 60.–/Jahr Titelbildfoto: Yves Bowie, GfbV WIEDERANSIEDLUNGSGEBIETE Sri Lanka Kankesanthurai DIE JAFFNA-HALBINSEL Keerimalai Valalay Vadakku Village Mayliddy Anthony Puram Tellippalai Varthawilan Palaly Kilaka TOURISMUSGEBIETE Mannikawatti Point Pedro Kankesanthurai Dambakolapatuna Mayliddy Casuarina Beach Freigegebenes