Mit Musik Gegen Naturgewalten Und Dunkelheit Die Färöer Und Ihre Musik Von Christiane Rebmann Sprecher: Peter Binder
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Mit Musik gegen Naturgewalten und Dunkelheit Die Färöer und ihre Musik Von Christiane Rebmann Sprecher: Peter Binder Sendung: Freitag, 01.07.2016 um 19.20 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Wir sind ein Land der Sänger. 1. Song: Ave / Rekavidur Nicht nur die Musiker von Ave, auch andere färöische Künstler wie Teitur, Eivör, Marius Ziska, Högni Reistrup, Orka oder Danjal sind mittlerweile auch international bekannt. Sie führen die Musikseligkeit ihrer Landsleute auf die jahrhundertealte Gesangstradition, die langen dunklen Winter und den Einfluss der überwältigenden Natur zurück. 2. Song: Kristian Blak / Aviphonie - Eystur Aus der Aviphonie No. 3 von Kristian Blak. Der 69jährige dänische Wahlfäröer hat großen Anteil an der außergewöhnlichen Entwicklung der Musikszene der Inselgruppe. Er gründete 1977 das Plattenlabel Tutl und bietet dort Kollegen aus den Bereichen Folk, Pop, Jazz, Metal, HipHop, aber auch Klassik ein Forum. Blak erklärt beim Gespräch im Backstagebereich des G! Festivals sein Konzept. O-Ton: Tutl ist ein Musiker- und Komponisten Label. Bei uns gibt es keine Zensur. Wenn also jemand den Drang hat, Musik zu produzieren, kann er das bei Tutl tun. Das muss natürlich finanziert werden. Dafür sind die Musiker selbst zuständig. Manche sagen: „Bringt die Musiker doch nicht schon als Teenager raus!“ Das Gute daran ist doch aber, dass auf diese Art dokumentiert wird, wie der Künstler als Teenager klang. Dafür muss man sich doch nicht schämen. Außerdem sind die jungen Musiker im Tutl Studio in guten Händen. Die Leute dort haben Routine. Die meisten Musiker hier haben ihre ersten Alben schon als Teenager veröffentlicht. Dass sich viele von ihnen eindrucksvoll weiterentwickelten, hat auch mit Blaks weiteren Aktivitäten zu tun. 2 O-Ton: Wenn in einem Dorf nichts passiert, dann ist das deine eigene Schuld. Hier in Göta fragten wir uns: „Was können wir tun?“ Die Antwort war: Wir gründeten einen Musikclub. Und als nächstes wurde das G! Festival ins Leben gerufen. Und weil es sich um ein ganz kleines Land handelt, zeigt es auch international Wirkung. Es ist so klein hier, dass man allen Kollegen, die hierherkommen, zwangsläufig begegnet. In unseren Musikclub lud ich bekannte Künstler als Solomusiker ein. Sie kamen gern, weil die Färöer so exotisch sind. Und diese Gäste erhöhten wiederum das Niveau unserer einheimischen Musiker. So entwickelte sich in der Phase von der Labelgründung bis Anfang der 80er Jahre eine Szene, in der plötzlich statt zwei Bassisten oder Schlagzeugern sieben zur Verfügung standen, erinnert sich Blak. Die damals 15jährigen Kinder sind heute alle Profis. Er selbst gründete diverse Bands und ist immer noch mit der Folkgruppe Kvonn sowie der Ethnojazzformation Yggdrasil aktiv. 3. Song: Yggdrasil / Atufressurin Kristian Blak lebt in der Hauptstadt der Färöer, in Tórshavn in einem kleinen Haus in der Altstadt. O-Ton: Es heißt China. Wir haben also eine Chinatown in Tórshavn. Unser Haus heißt Unterchina, das daneben Oberchina. Früher haben wir unseren Häusern keine Straßennummern gegeben, sondern Namen. Eines unserer Häuser hieß Haus des Bruders. Von seinem Haus sieht er auf den Leuchtturm, den Hafen und auf Boote. Ein malerischer Blick, den auch die Touristen mögen. Im Sommer überfluten sie die Inseln. Blak sucht dann nach Ruhe und Ausweichmöglichkeiten. Wir veranstalten hier Konzerte mitten in der Natur, sagt er. Zweimal die Woche kann man zur Konzertgrotte segeln und Musikern beim Improvisieren zuhören. O-Ton: Wir segeln vor die Höhlen auf Hestur Island und fahren die Leute dann mit kleineren Booten direkt rein - Je nachdem, wie sich das Meer verhält. Diese Art der Höhlenkonzerte ist einzigartig. Der Ausflug lohnt sich auch wegen der vielen seltenen Vogelarten, die auf den abgelegeneren Inseln nisten. Kristian Blak schuf aus den Aufnahmen, die ein befreundeter Ornithologe gesammelt hatte, eine Avifonie. 3 4. Song: Kristian Blak / Aviphonie - Vestur Die Färöer liegen weit draußen im Nordatlantik zwischen Norwegen, Island und Schottland. 18 Inseln mit sanften Hügeln in sattem Grün und teilweise schroffen Felsküsten. Bei Höchsttemperaturen um die 12 Grad im kurzen Sommer und sehr langen Wintern entwickeln die Menschen besondere Eigenheiten, sagt der 28jährige Singer Songwriter Benjamin Petersen von der Band Ave. O-Ton: Wenn es auf den Färöern stürmt und schneit, werden die Menschen schnell manisch depressiv. Wenn das Wetter im Sommer gut ist, flippen alle aus. Im Winter dagegen sitzen alle nach der Arbeit zuhause und schreiben zum Beispiel Songs. Für das Musikprojekt Ave tat sich Petersen mit seinem 20 Jahre älteren Patenonkel, dem Dichter und Musiker Petur Polson, zusammen. 5. Song: Ave / Oydin Benjamin schätzt das Leben auf den Färöern. Er mag die Nähe zur Natur. O-Ton: Auf den Färöern ist es sehr ruhig. Wir züchten Schafe, und manche von uns jagen auch Wale. Wir kaufen nicht alles im Supermarkt. Obwohl wir natürlich eine moderne Gesellschaft sind. Wir haben Internet und leben in richtigen Häusern. Aber wir wissen, wo unsere Nahrung herkommt. Die Menschen in den großen Städten haben davon meist keine Ahnung. Weil sie alles im Supermarkt bekommen. Ich denke, unsere Art zu leben ist gesünder. Meine kleine Tochter weiß: Wenn die Schafe glücklich sind, schmecken sie besser. Er selbst lernte schon früh, was es heißt, mit weniger als dem sprichwörtlich Nötigsten auszukommen. Weil sein Vater immer wieder lange Phasen bei den Ache Indianern in Paraguay lebte, verbrachte auch er viele Monate seines Teenagerlebens dort. O-Ton: Es war toll, so zu leben. Wir hatten nichts, wir hatten nicht mal Strom. Geld spielte keine Rolle. Wir hausten im Wald und jagten und - lebten einfach. Wir machten uns keine Sorgen über irgendwas. Das war eine unglaubliche Erfahrung. Sicher spielen auch diese Erlebnisse eine Rolle in seiner Musik. Die Leichtigkeit, die die Sicherheit einer gewissen Unabhängigkeit von materiellen Dingen mit sich bringt, spiegelt sich am Ende des Albums im Hidden Track wider. 4 O-Ton: Das war unser letzter Song. Nach einer Woche im Studio luden wir all unsere Freunde ein. Wir hatten Bier besorgt. Jemand hatte eine Flasche Whiskey dabei. Wir betranken uns, und dann drückten wir die Aufnahmetaste. Ich denke, das kann man hören. In diesem Song steckt so viel Freude. Er wird jetzt immer auf Parties auf den Färöern gespielt. Wenn ich abends durch die Stadt nachhause laufe, dann höre ich oft aus einem Haus, wie die Leute diesen Song spielen. Er ist bei uns zur Partyhymne geworden. 6. Song: Ave / Hidden Track Marius Ziska lädt für unser Interview in das Haus seiner Mutter in Søldarfjørður ein, wo er aufgewachsen ist. Wir setzen uns ins Gartenhäuschen, von dem man einen wunderbaren Blick über den Fjord hat. O-Ton: Dies ist ein sehr wichtiger Ort für mich. Ich bin seit drei Jahren Vater. Wir leben in einem kleinen Apartment in Tórshavn. Dort komme ich nicht zum Schreiben. Hier geht das. Hier gibt es das Meer und die Bäume. Die Bäume und das Meer singen die ganze Zeit für dich. Du musst das nur wahrnehmen und in der richtigen Umgebung sein, um darauf reagieren zu können. Ziska entdeckte mit sieben auf dem Dachboden die alte Gitarre seiner Mutter. Sie hatte nur eine Saite. O-Ton: Ich dachte mir eine Melodie aus. Und dann lud ich meine Eltern ins Wohnzimmer ein und sagte: „Ich werde jetzt ein Konzert für euch geben. Ich habe nämlich gerade ein Lied geschrieben. Als ich neun war, schenkte mir mein Vater ein Drumkit. Später kam er mit einem Bass nachhause und dann mit einer Gitarre. Ich lernte beides, dann zerrte ich meine Klassenkameraden mit nachhause, brachte dem einen Schlagzeugspielen bei, dem anderen Bass. Und dann fragte ich: Wer will singen? Niemand. Okay, dann sing ich eben. Seine Stimme klingt so verträumt, wie er selbst auch wirkt. Eine Hälfte der Lieder auf seinem zweiten Solo Album „Home/ Heim“ singt er auf Englisch, die andere Hälfte in seiner Heimatsprache. 7. Song: Marius Ziska / Naerveran 5 O-Ton: „Naerveran“ heißt einerseits Gegenwart, aber andererseits auch, dass du dir selbst treu bist. Der Text geht ungefähr so: Jetzt kommt die Gegenwart und übernimmt diesen Moment. Während ich versuche, den Augenblick festzuhalten, engleitet er mir wieder.“ Ich finde das ziemlich philosophisch. Einen Großteil von Marius Ziskas Texten schreibt Hans Jakob Kollslid. Sie werden im färöischen Schulunterricht verwendet. Kollslid war mal Rockstar in Thailand, erzählt Ziska und zeigt rüber auf ein schmutziggelbes größeres Gebäude am gegenüberliegenden Ufer des Fjords.