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FESTLICHE ARIEN FESTIVE ARIAS

Bach Händel Buxtehude Schütz Telemann

FRITZ WUNDERLICH FRITZ WUNDERLICH FESTLICHE ARIEN | FESTIVE ARIAS

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750) GEORG FRIEDRICH HÄNDEL (1685–1759) DIETRICH BUXTEHUDE (1637–1707) (1681–1767)

aus/from: Weihnachtsoratorium aus/from: Der Messias HWV 56 20:42 bs Wachet auf, ruft uns die Stimme 12:42 Warum verstellst Du die Gebärden? 16:31 Kantaten I–III BWV 248 8:57 Kantate für Alt, , Bass, 2 Violinen Kantate auf den 3. Sonntag nach dem 7 Tröstet, tröstet Zion und Basso continuo BuxWV 101 Erscheinungsfest für Tenor, obligate Oboe 1 Es begab sich aber zu der Zeit (Nr 2 • Arioso) 3:27 Text: Philipp Nicolai (1556–1608) und Basso continuo Nr. 6, TWV 1:1502 (Nr. 2 • Rezitativ Evangelist) 1:37 8 Alle Tale macht hoch erhaben Text: Matthäus Arnold Wilkens 2 Und sie gebar ihren ersten Sohn (Nr. 3 • Arie) 4:31 Hanne Münch (Alt) • Hermann Werder- (Nr. 6 • Rezitativ Evangelist) 0:37 9 Und alle, die ihn sehen mann (Bass) • Horst Neumann, Bertha cl Warum verstellst Du die Gebärden? 0:34 3 Und es waren Hirten in derselben (Nr. 27 • Rezitativ) 0:57 Krimm (Violinen) • Alfred Gemeinhardt cm Nein, laß dein Dulden 6:37 Gegend (Nr. 11 • Rezitativ Evangelist) 0:55 bl Die Schmach bricht ihm sein Herz (Violoncello) • Friedrich Engert (Kontra- cn Ja, nimm, o Mensch 4:24 4 Frohe Hirten, eilt, ach eilet (Nr. 29 •I Rezitativ) 2:29 bass) • Manfred Hug (Cembalo) co Nur getrost, gelaßne Seele 4:56 (Nr. 15 • Arie) 3:46 bm Schau hin und sieh! 5 Und sie kamen eilend (Nr. 30 • Arioso) 1:37 Fritz Fischer (Oboe) • Wolfgang Meyer (Nr. 30 • Rezitativ Evangelist) 1:30 bn Er ist dahin aus dem Lande HEINRICH SCHÜTZ (1585–1672) (Violoncello) • Hermann Werdermann 6 Und die Hirten kehrten wieder um (Nr. 31 • Rezitativ) 0:35 2 Weihnachtsmotetten (Cembalo) (Nr. 34 • Rezitativ Evangelist) 0:34 bo Doch du ließest ihn im Grabe nicht für 4 Singstimmen und Basso continuo (Nr. 32 • Arie) 3:06 aus: Cantiones sacrae SWV 53–93 bp Aber der im Himmel wohnet Total Time: 66:20 (Nr. 42 • Rezitativ) 0:16 bt Supereminet omnem scientiam, bq Du zerschlägst sie mit dem o bone Jesu SWV 76 4:47 Eisenszepter (Nr. 43 • Arie) 2:12 bu Pro hoc magno mysterio pietatis br O Tod, wo ist dein Stachel SWV 77 2:42 (Nr. 50 • Duett Alt, Tenor) 1:32 mit (Sopran) • Radio-Sinfonieorchester Stuttgart • (Alt) • Hanne Münch (Alt) • Hermann Werder- Stuttgarter Hymnus Chorknaben Radio-Sinfonieorchester Stuttgart • mann (Bass) • Horst Neumann (Violine) • August Langenbeck Philharmonischer Chor Stuttgart Walter Henschel, Karl-Georg Mentrup Heinz Mende (Viola) • Alfred Gemeinhardt (Violoncello) • Digitales Remastering der SWR-Originalbänder Friedrich Engert (Kontrabass) Digitally remastered from the original SWR tapes FRITZ WUNDERLICH • Festliche Arien FRITZ WUNDERLICH • Festliche Arien Die Seele zum Klingen bringen raturgewandten Solosänger“ hervorhob. Die war, dass seine Interpretation zum Standard CD: Studio-Aufnahmen und durchweg Raritä- Arie „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“ legt davon erklärt wurde. Nur so kann ich mir erklären, ten in Wunderlichs Repertoire, die es meines Wieso erobern bestimmte Sänger die Herzen Zeugnis ab, doch auch in den Rezitativen des dass manche Zuhörer Fritz Wunderlich bei Wissens nur in dieser frühen Serie von Stutt- der Zuhörer vom ersten Augenblick an, ob- Evangelisten ist bereits Ungewöhnliches zu geistlicher Musik als ‚zu opernhaft‘ empfun- garter Rundfunk-Produktionen gibt. In den wohl sie gesangstechnisch durchaus anfecht- hören, wenngleich Wunderlich zu diesem den haben – statt sich zu freuen, diese Musik Aufnahmen der Weihnachtsmotetten von bar sind – während andere, die jede Phrase Zeitpunkt nur ansatzweise zeigen konnte, mal von so einer tollen Stimme zu hören!“ Schütz und der Kantate Wachet auf, ruft uns mustergültig singen, beim Publikum mehr Re- was in seiner zehn Jahre später entstandenen die Stimme von Buxtehude, die ein Jahr nach spekt und Bewunderung als Liebe auslösen? Studio-Aufnahme unter so wun- Wie schnell sich Wunderlich in seinen Anfän- dem Weihnachtsoratorium in der legendären Man könnte es mit dem Schlagwort „Persön- derbar zum Ausdruck kommt: dass Bachs gerjahren in Stuttgart entwickelte, zeigt der Villa Berg in Stuttgart entstanden, sind es vor lichkeit“ erklären, nannte es Musik durchaus gewinnt, wenn sie mit sinnli- Vergleich zum nächsten Konzertmitschnitt allem das bruchlose Legato und die scheinbar das „Geheimnis“: etwas, das sich jeder Analy- cher Stimme vorgetragen wird. auf dieser CD: Händels Messias unter der Lei- mühelose Flexibilität in den Verzierungen, die se entzieht. Man hat es oder hat es nicht. Des- tung von Heinz Mende, aufgenommen in der aufhorchen lassen – Qualitäten, die Wunder- halb zeigt es sich wohl auch bei vielen Sän- Der „keusche protestantische Ton“, der weder Stuttgarter Liederhalle am 20. März 1959. Zu lich im Unterricht bei seiner Lehrerin Mar-

H C S T U E D gern schon ganz am Beginn ihrer Laufbahn, der Lehre Luthers noch den Werken Bachs ge- diesem Zeitpunkt konnte Wunderlich bereits garethe von Winterfeldt entwickelte und bei unabhängig von Berufserfahrung und ge- recht wird, war in den 1950er Jahren noch so auf eine beachtliche Erfolgsserie zurückbli- Gustav Scheck und Fritz Neumeyer im Frei- sangstechnischer Entwicklung. stark verbreitet, dass Theodor Egel, einer der cken: seinen sensationellen Durchbruch mit burger Musikkreis für Alte Musik kultivierte. führenden Kirchenmusiker in jener Zeit, Wun- der Zauberflöte am 18. Februar 1956, seine So auch beim jungen Fritz Wunderlich. Seine derlich scharf zurechtwies, als dieser eine ersten Platten-Produktionen (Querschnitte Zwischen diesen Einspielungen und der Auf- frühe Aufnahme von Bachs Weihnachtsorato- Phrase des Evangelisten nach Herzenslust von La Bohème und Madame Butterfly), erste nahme von Telemanns Warum verstellst du DEUTSCH rium, der Mitschnitt einer Aufführung in der her­ausschmetterte: das könne er in der Oper Gastspiele in Wien, Aix-en-Provence und Edin- die Gebärden liegen nur 13 Monate, doch Stuttgarter Markuskirche vom 18. Dezember machen, aber nicht bei Bach. Und noch in den burgh. Auch privat hatte sich einiges getan: Wunderlichs Stimme wirkt hier wesentlich 1955, dokumentiert den Jahrhundert-Sänger Jahren seines Weltruhms, als er die großen Im August 1956 hatte er Eva Jungnitsch, kerniger, sein Vortrag differenzierter. Wer sein am Beginn seiner Karriere. Viereinhalb Mona- Oratorien und Messen unter Karajan, Böhm jüngste Harfenistin im Stuttgarter Opern-Or- Potential in so kurzer Zeit derart entwickelt, te zuvor hatte er sein erstes Opernengage- und Richter sang, gab es bei aller Bewunde- chester, geheiratet, ein Jahr später war Toch- muss nicht nur äußerst motiviert, sondern ment angetreten, am renommierten Würt- rung für den Opernsänger Wunderlich nicht ter Constanze zur Welt gekommen. Bei den permanent auf der Überholspur gewesen tembergischen Staatstheater in Stuttgart. selten den versteckten Vorwurf, dass er für vorliegenden Szenen aus dem Messias hört sein. Dieser Eindruck wird voll und ganz be- Nach kleineren Rollen in Wagners Meistersin- Geistliche Musik zu sinnlich und zu üppig man einen Wunderlich, der sich wesentlich stätigt, wenn man all die Opern-Aufführun- ger und Tannhäuser, in Verdis Otello und Mus- klinge. „So viel Sex in der Stimme“, erinnerte mehr „traut“ als 1955, der zupackender, gen, Konzerte und Aufnahmen zusammen sorgskys Boris Godunow war das Weihnachts- sich Wunderlichs Kollege Josef Metternich, selbstsicherer und natürlich auch erfahrener trägt, die Wunderlich zwischen 1955 und sei- oratorium seine erste größere Aufgabe in „war man in diesem Repertoire nicht gewohnt. singt. Ein Mann auf dem Weg zur Weltkarriere. nem Unfall im September 1966 gesungen hat. dieser Spielzeit. Und er erfüllte sie immerhin Viele kannten nur die Aufnahmen von Karl so gut, dass Kurt Honolka, der führende Kriti- Erb, der Bach mit weißer, fast geschlechtslo- In den Jahren zwischen diesen Mitschnitten Ein solches Pensum schafft nur, wer sich dem ker in Stuttgart, ihn als „ungewöhnlich kolo- ser Stimme vortrug, und damit so erfolgreich entstanden die übrigen Dokumente auf dieser Sängerberuf mit Haut und Haaren verschrie-

4 5 FRITZ WUNDERLICH • Festive arias FRITZ WUNDERLICH • Festive arias ben hat und zudem über außergewöhnliche Striking a chord in the soul aria “Frohe Hirten eilt, ach eilet” testifies to found Fritz Wunderlich to be ‘too operatic’ for Energiereserven verfügt. Wunderlichs Witwe this, yet extraordinary skill can also be heard sacred music – instead of rejoicing at being Eva hat in Interviews wiederholt berichtet, Why is it that certain singers capture the in the recitatives of the Evangelist, even able to hear this music by such a great voice, dass die gemeinsamen Jahre von ständiger hearts of their listeners from the very first though Wunderlich at this point in time was for a change!” Übermüdung geprägt waren. Wunderlich moment, even though their singing tech- only able to hint at what would be so wonder- wollte beides: Erfüllung im Beruf wie auch im nique is not indisputable, while others sing fully expressed ten years later in the studio A comparison with the next live concert re- Privatleben. Und einige Jahre schaffte er es each phrase immaculately, yet receive more recording under Karl Richter: that Bach’s cording on this CD shows how quickly auch. Er war ein ausgesprochener Workaholic, respect than admiration from their audi­ music gains when it is performed with a sens­ Wunderlich developed in his beginning years genoss aber genauso sein Familienleben und ences? We could explain it with the catch- ual voice. in Stuttgart: Handel’s Messiah under the di- das Zusammensein mit Kollegen und Freun- word “personality”, although Christa Ludwig rection of Heinz Mende, recorded at the Stutt- den. Als leidenschaftlicher Fotograf und Ama- called it “mystery”: something that escapes The “chaste Protestant tone”, which does jus- gart Liederhalle concert hall on March 20, teurfilmer sagte er auch einiges über sich any analysis. Either you have it or you don’t. tice neither to Luther’s teachings nor to 1959. At this time, Wunderlich was already selbst: seine Fotos und Filme zeigen, wie er That is probably why it appears in many sing- Bach’s works, was so widespread in the 1950s able to look back on a considerable string of

H C S T U E D die Dinge sah und was ihm wichtig war. Auch ers right at the start of their careers, regard- that Theodor Engel, one of the leading church successes: his sensational breakthrough with in diesem Punkt ist Wunderlich heute in den less of their experience or technical singing musicians of that day, sharply rebuked on February 18, 1956, his first Medien präsenter als zu seinen Lebzeiten. ability. Wunderlich for belting out one of the Evangel­ record productions (cross-sections of La Bo- Und wie das vorliegende Programm mit geist- ist’s phrases to his heart’s content: he could hème and Madame Butterfly), his first guest licher Musik zeigt, hatte er schon in seinen And so it was with the young Fritz Wunderlich. do that in an opera, but not with Bach. And appearances in Vienna, Aix-en-Provence, and Anfängerjahren das „Geheimnis“: die Bega- His early recording of Bach’s Christmas Orato- even in the years of his worldwide fame, Edinburgh. Quite a bit had happened in his ENGLISH bung, mit seinem Gesang die Seelen der Zu- rio, recorded live in Stuttgart’s Church of St. when he sang the great oratorios and masses private life, as well: he had married Eva Jung- hörer zum Klingen zu bringen. Mark on December 18, 1955, documents this under Karajan, Böhm, and Richter, a hidden nitsch, the youngest harp player in the Stutt- Thomas Voigt singer of the century at the start of his career. reproach that he sounded too sensual and gart Opera Orchestra, in August 1956, and Four and a half months previously he had sumptuous for sacred music could not infre- one year later their daughter Constanze came begun his first opera engagement at the re- quently be perceived in all the admiration for into the world. In these scenes from the Mes- ✼ ✼ ✼ nowned Württemberg State Theater in Stutt- Wunderlich as an opera singer. “So much sex siah, we hear a Wunderlich who is much more gart. Following minor roles in Wagner’s in a voice,” Wunderlich’s colleague Josef Met- “daring” than in 1955, whose singing is more Meistersinger and Tannhäuser, Verdi’s Otello, ternich remembers, “was not customary in “hands-on”, more self-assured and, of course, and Mussorgsky’s Boris Godunov, the Christ- this repertoire. Many were only familiar with more experienced. A man on the way to a mas Oratorio was his first major assignment the recordings by Karl Erb, who performed global career. of the season. And he accomplished it so well Bach with a white, almost genderless voice, that Kurt Honolka, the leading critic in Stutt- and was so successful with it that his inter- The rest of the documents on this CD were gart at that time, highlighted him as “a solo pretation was declared standard. This is the made in the years between these live record- singer unusually skilled in coloratura”. The only way I can explain why many listeners ings: studio recordings and downright rarities

6 7 FRITZ WUNDERLICH • Festive arias in Wunderlich’s repertoire, which, as far as I formances, concerts, and recordings between know, are only available in this early series of 1955 and his accident in September 1966. Stuttgart radio productions. In the recordings of the Christmas motets by Schütz and the To accomplish this amount of work, a singer cantata Wachet auf, ruft uns die Stimme by must be devoted body and soul to their career Buxtehude, which were made one year after and what is more, have extraordinary energy. the in the legendary Villa Wunderlich’s widow Eva repeatedly stated in Berg in Stuttgart, the unbroken legato and the her interviews that the years they spent to- apparently effortless flexibility in the orna- gether were marked by permanent fatigue. ments are what make us prick up our ears – Wunderlich wanted fulfillment both in his qualities that Wunderlich developed while tak- career and in his private life. And for a few ing lessons from Margarethe von Winterfeldt, years, he managed to achieve it. He was an and cultivated with Gustav Scheck and Fritz avowed workaholic, but equally enjoyed fam-

H S I L G N E Neumeyer in the Freiburg Early Music Society. ily life and spending time with his colleagues and friends. He was an impassioned photog- Only thirteen months separate these record- rapher and amateur film maker, and his ings from that of Telemann’s Warum verstellst photos and films show how he saw things du die Gebärden, yet Wunderlich’s voice here and what was important to him. In this point, makes a much pithier impression, and his per- too, Wunderlich is more present in the media formance seems more nuanced. Anyone who today than he was during his lifetime. And as develops their potential in such a brief time this program of sacred music shows, he al- must not only have been extremely motiv­ ready had “mystery” in his years as a begin- ated, but also constantly in the fast lane. This ner: the talent of striking a chord in the souls impression is thoroughly confirmed if we con- of his listeners with his singing. sider together all of Wunderlich’s opera per- Thomas Voigt

Aufnahme | Recording Tr. 1–6: 18.12.1955 Stuttgart Markuskirche; Tr. 7–16: 21.03.1959 Stuttgart Liederhalle; Tr. 17–19: 05.12.1956 Stuttgart Villa Berg; Tr. 20–23: 13.01.1958 Untertürkheim Krone • Künstlerische Aufnahmeleitung | Artistic Director Tr. 1–16 und 20–23: Erich Prümmer; Tr. 17–19: Kretschmar • Toningenieur | Sound Engineer Tr. 1–6: Baun, Schwein, Huber, Schiffmann; Tr. 7–16: Binder, Schütze; Tr. 17–19: Feix, Weidnagel; Tr. 20–23: Rösler, Schütze • Digital Remastering Gabriele Starke, Boris Kellenbenz • Ausführender Produzent | Executive Producer Dr. Sören Meyer-Eller • Beihefttext | Booklet notes Thomas Voigt • Coverphoto Lauterwasser/ Fritz Wunderlich Archiv • Redaktion Beiheft | Booklet Editing SME • Design Wolfgang During • Übersetzung | Translation Dr. Miguel Carazo and Associates • Verlage | Publisher Tr. 7–16: Peters; Tr. 17–23: Bärenreiter Digitales Remastering der SWR-Originalbänder | Digitally8 remastered from the original SWR tapes