HALLESCHES JAHRBUCH FÜR GEOWISSENSCHAFTEN

BAND 39

HALLE (SAALE) 2017

HALLESCHES JAHRBUCH FÜR GEOWISSENSCHAFTEN

Herausgeber

Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin - Luther Universität Halle-Wittenberg

G. BORG M. FRÜHAUF C. FÜRST C. GLÄSSER H. HEINISCH H. PÖLLMANN P. WYCISK

Schriftleitung D. MERTMANN T. DEGEN S. STÖBER

BAND 39

Halle (Saale) 2017 Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Titelbild / Frontpage Alfred Kirchhoff Foto: aus Privatbesitz.

Anschrift von Herausgebern und Schriftleitung:

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Institut für Geowissenschaften und Geographie Von Seckendorff - Platz 3/4 D-06120 Halle (Saale)

e-mail: [email protected]

Schriftleitung: D. Mertmann T. Degen S. Stöber

ISSN 2193-1305 © 2017 im Selbstverlag des Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg Alle Rechte vorbehalten Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 1

Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg KARL-HEINZ KRAUSE

E-Mail: [email protected]

Schlüsselwörter: Hermann Guthe, Alfred Kirchhoff, Geographie-Lehrstuhlgründung, Universität Halle-Wittenberg

Keywords: Hermann Guthe, Alfred Kirchhoff, foundation of professorial chair in geography, University of Halle-Wittenberg

Zusammenfassung Ministry of Education in Berlin. In March 1873 the faculty filed a petition again. Again only one candidate Seit Dezember 1871 bemühte sich die Philosophische was suggested Alfred Kirchhoff (1838 – 1907), Fakultät der Universität Halle um eine Geographie- a teacher of vocational education and lecturer of Professur. Alleiniger Wunschkandidat war zunächst geography at the Prussian War Academy in Berlin. This Hermann Guthe (1825 – 1874), Lehrer für Mi- time the attempt at a nomination proceeding ended neralogie und Mathematik an der Polytechnischen successfully. On the 7th of May in 1873 Kirchhoff Schule in Hannover (heute Leibniz Universität was appointed as the first full professor for geography Hannover) und Autor geographischer Standardwerke. at the University of Halle. After the University of Der Berufungsversuch scheiterte gut ein Jahr später an (1871) and the Polytechnic University (today der zögerlichen Haltung des Unterrichtsministeriums University of Technology) (1873) this was in Berlin. Im März 1873 stellte die Fakultät the third full professorial chair in after the erneut einen Berufungsantrag. Vorgeschlagen foundation of the German Reich in 1871. Kirchhoff wurde auch wieder nur ein Kandidat. Es war der took up his professorial chair at the beginning of the Gewerbeschullehrer und Dozent für Geographie an winter semester in 1873/74. He was working as a der preußischen Kriegsakademie in Berlin Alfred lecturer in Halle for 31 years. His scientific fields of Kirchhoff (1838 – 1907). Diesmal endete das research were the theory of geography, the regional Berufungsverfahren erfolgreich. Am 07.05.1873 wur- geography of Germany, the regional geography of de Kirchhoff zum ersten ordentlichen Professor Europe and school geography. The article reports about für Geographie an der Universität Halle ernannt. Es the development and the accompanying circumstances war nach der Universität Leipzig (1871) und dem of the chair foundation that took more than one and a Polytechnikum (heute TU) München (1873) die half year as well as about the co-operating people. dritte ordentliche Geographie-Professur, die nach der Reichsgründung 1871 in Deutschland eingerichtet wurde. Kirchhoff nahm seine Tätigkeit zu Beginn 1. Vorbemerkungen des Wintersemesters 1873/74 auf. Er lehrte 31 Jahre Am 07.05.1873 wurde Alfred Kirchhoff, in Halle. Seine wissenschaftlichen Arbeitsgebiete waren die Theorie der Geographie, die deutsche Oberlehrer (mit Professorentitel) an der Landeskunde, die Länderkunde von Europa und die Berliner Luisenstädtischen Gewerbeschule Schulgeographie. In dem Beitrag wird über den Verlauf und Dozent für Allgemeine Erdkunde an und die Begleitumstände dieser sich über eineinhalb der Königlich Preußischen Kriegsakademie Jahre hinziehenden Lehrstuhlgründung sowie über die in Berlin, als erster ordentlicher Professor mitwirkenden Personen berichtet. für Geographie (damals hieß das Beru- Abstract fungsgebiet noch „Erdkunde“) an die Since December 1871 the Faculty of Philosophy of the Philosophische Fakultät der Vereinigten University of Halle tried to apply for professorial chair Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg1 in geography. At first Hermann Guthe (1825 - 1874), berufen. Der Termin seines Amtsantritts in a teacher of mineralogy and mathematics at the Halle war der 01.10.1873. Sein anfängliches Polytechnic School in Hannover (today Leibniz University of Hannover) and author of Geographic Jahresgehalt betrug 1.500 Taler (UAHW, standard works, seemed to be the only suitable Rep. 6, Nr. 334, Bl. 298). Zwei Wochen candidate. The first attempt at a nomination failed später begann das Wintersemester. Mit one year later because of the hesitant position of the dem in der „Bestallungsurkunde“ (UAHW, 2 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Rep. 6, Nr. 334, Bl. 300) angegebenen Hannover zu gewinnen (Dezember 1871 bis Datum der Berufung Kirchhoffs – dem 20. Februar 1873) und der letztendlich erfolg- 07.05.1873 – wurde das Fach Geographie reichen Berufung von Alfred Kirchhoff/ als eigenständige Wissenschaftsdisziplin an Berlin (21. Februar bis 07. Mai 1873). der Alma Mater Halensis et Vitebergensis 2. Das Bemühen der Philosophischen Fa- offiziell gegründet2. Zu Semesterbeginn am kultät um Hermann Guthe 15.10.1873 von 17 – 18 Uhr hielt Kirchhoff seine erste Vorlesung über „Geographie Die Berufung Kirchhoffs hat eine ein- der außereuropäischen Erdtheile“, die erste einhalbjährige Vorgeschichte, denn die öffentliche (d. h. frei zugängliche) Vorlesung Bemühungen der Universität Halle um „Ausgewählte Capitel der physischen Erd- einen Lehrstuhl für Geographie reichen bis kunde“ fand am 20.10. von 15 – 16 Uhr ans Ende des Jahres 1871 zurück. Anfang statt3. Veranstaltungsort war einer der Hörsäle Dezember 1871 richteten zwei ordentliche („Auditorien“) in der Nachbarschaft der Aula Professoren der Philosophischen Fakultät, im ersten Obergeschoss des Universitäts- der Mineraloge Heinrich Girard10 und der hauptgebäudes (Löwengebäude). Nachdem Historiker Ernst Dümmler11, einen Antrag Kirchhoff auf der ersten Fakultätssitzung des an den Dekan ihrer Fakultät, dem Ordinarius Wintersemesters am 30.10. vom Dekan Bern- für Philosophie Johann Eduard Erdmann12. hardy4 in die Fakultät eingeführt worden Einleitend konstatierten die Antragsteller, war, leistete er am 01.11.1873 den Diensteid dass es notwendig sei, „der großen Anzahl von vor den Mitgliedern des akademischen Senats jungen Männern, die an unserer Universität mit dem Rektor5 an der Spitze (UAHW, Rep. zu Lehrern gebildet werden, Gelegenheit 4, Nr. 679, Bl. 249 u. 293). zu einem wissenschaftlichen Studium der Kirchhoffs Geographie-Lehrstuhl war der Geographie zu geben“ (UAHW, Rep. 21, erste, der nach der Reichsgründung 1871 an Nr. 541, Bl. 101). Der weitere Inhalt dieses einer preußischen Universität errichtet wurde Schreibens war folgender (UAHW, Rep. 21, – 14 Jahre nach dem Tod des ersten Geogra- Nr. 538, Bl. 12): Die Philosophische Fakultät phie-Ordinarius in Preußen und in Deutsch- solle sich deshalb „höheren Orts“, d. h. land Carl Ritter6. Dessen Berliner Lehrstuhl beim preußischen Minister der geistlichen, war nach seinem Tod 1859 in ein Extraordi- Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten nariat umgewandelt worden, welches seitdem (kurz Unterrichtsminister), dafür einsetzen, Heinrich Kiepert7 innehatte. Er wurde erst dass an der Universität Halle eine Professur ein Jahr nach Kirchhoff zum Ordinarius für Geographie errichtet wird. Als einzigen ernannt. Somit war Kirchhoff nach Rit- Kandidaten für die Besetzung der Geographie- ter der zweite Ordinarius für Geographie in Professur schlugen die Verfasser des Antrages Preußen. Nach der Universität Leipzig (Som- Hermann Guthe, Lehrer für Mineralogie und mersemester 1871 Oscar Peschel8) und der Mathematik an der Polytechnischen Schule Polytechnischen Schule (heute TU) München in Hannover (heute Leibniz Universität (Sommersemester 1873 Hermann Guthe9) Hannover), vor. Ob das neue Fach mit war der hallesche Geographie-Lehrstuhl der einem Extraordinariat oder einem Ordinariat dritte im damaligen Deutschen Reich. Seit ausgestattet würde, ließen die Antragsteller dem Wintersemester 1873/74 ist das Fach offen. Dekan Erdmann ergänzte deshalb Geographie ohne Unterbrechung im Lehrplan nach Erhalt des Antrages diesen um einen der Universität Halle vertreten. wichtigen Punkt. Für das neue Fach solle eine Die Errichtung des Geographie-Lehrstuhls ordentliche Professur geschaffen werden (also an der Universität Halle war ein langwieriger nicht – wie es häufig bei der Neueinführung Prozess, der sich in zwei Akten vollzog: dem eines Faches an den Universitäten üblich war gescheiterten Versuch, Hermann Guthe/ – zunächst ein Extraordinariat). Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 3

Für den Personalvorschlag gab es sehr begründete sein hohes Ansehen als Geograph gute sachliche Gründe. Guthe besaß als und Methodiker. Außerdem trat er durch die Lehrer und Autor im Fach Geographie ein Veröffentlichung mehrerer Karten über den ausgezeichnetes Renommee. Er war – wie Raum Hannover (1872/73) als Kartograph fast alle Geographen seiner Generation hervor (weiteres zu Guthe vgl. Kluckhohn – auf diesem Fachgebiet Autodidakt. Als 1874, Ratzel 1879, Wagner 1928, Poser Student der Mathematik, Philosophie, 1966). Naturwissenschaften und alten Sprachen in Der von Girard und Dümmler eingebrachte, Göttingen und Berlin hatte er an der Berliner überzeugend begründete Antrag wurde vom Friedrich-Wilhelms-Universität 1847/48 bei Dekan Erdmann von vornherein ohne Ein- Carl Ritter Vorlesungen gehört. Durch ihn schränkungen unterstützt. In seinem Zirkular wurde er für die Geographie gewonnen und zu vom 25.12.1871, wo er die Fakultätsmitglieder einem vertieften Selbststudium dieses Faches um eine Stellungnahme zu dem Vorschlag angeregt. 1856 wurde er in Göttingen mit der bat, schrieb er: „Indem ich mich dem Antrage Dissertation „Zur Geschichte und Geographie der beiden Herrn Collegen auf das Wärmste der Landschaft Margiana, des heutigen anschließe, ersuche ich Sie alle, über den Merw“ zum Dr. phil. promoviert. Sein guter Dümmler-Girardschen Antrag mit Ja oder Ruf als Lehrer und dann als Oberlehrer Nein abzustimmen. Indem ich mit meinem Ja für alte Sprachen, Deutsch, Mathematik, vorausgehe, bemerke ich zugleich daß, im Naturgeschichte und Geographie am Lyzeum Falle sich die Majorität dafür erklären sollte, in Hannover (1849 – 1863) sowie ab 1863 ich ein Schreiben an den Curator … abfassen als Lehrer (seit 1868 mit Professorentitel) würde, welches die wesentlichen Punkte für Mineralogie und Mathematik an der aus der Beilage [d. h. dem Antrag] enthält, Polytechnischen Schule in Hannover brachte zugleich aber erwähnen würde, es sey nicht ihm zwei zusätzliche Lehraufträge für das glaublich, daß Herr D. Guthe, der uns als Fach Geographie ein. 1863 – 1864 hielt er beim der allein wünschenswerthe Mann erscheine, königlichen Hof in Hannover geographische als Extraordinarius kommen werde, und Vorträge vor dem Kronprinzen Ernst August dies sei ein Grund mehr, die Errichtung und den Prinzessinnen und 1863 – 1866 einer ordentlichen Professur zu wünschen.“ unterrichtete er im Nebenamt Geographie an (UAHW, Rep. 21, Nr. 538, Bl. 12). der Königlichen Kadettenschule in Hannover. Erdmanns Engagement für den Antrag trug Als Autor wurde Guthe durch zwei gute Früchte. Auf der Fakultätssitzung am geographische Publikationen in ganz 03.01.1872 stimmten alle Fakultätsmitglieder Deutschland bekannt: der Monographie dem Berufungsantrag zu (UAHW, Rep. 21, „Die Lande und Hannover. Nr. 538, Bl. 12, 12a u. 14). Daraufhin wurde Mit Rücksicht auf die Nachbargebiete umgehend ein entsprechendes Schreiben geographisch dargestellt“ (1867) und dem der Fakultät zusammen mit dem Original „Lehrbuch der Geographie für die mittleren des Antrags von Girard und Dümmler und oberen Classen höherer Bildungsanstalten vom Dekan an den Universitätskurator so wie zum Selbstunterricht“ (1868). Roedenbeck13 übersandt, verbunden mit Das erstgenannte Werk war eine damals der Bitte, er möge mit seiner „gütigen als vorbildlich geltende geographische Befürwortung den Antrag auf Errichtung einer Landeskunde des Königreichs Hannover Geographie-Professur [für Hermann Guthe] und des Herzogtums Braunschweig. Vor dem Minister vorlegen.“ (UHAW, Rep. 21, allem aber das Lehrbuch, welches bis zu Nr. 538, Bl. 12b). Der Kurator unterstützte Guthes Tod 1874 in drei Auflagen erschien das Fakultätsanliegen und schickte das Ganze und das für lange Zeit als das beste auf dem am 17.01.1872 an das Unterrichtsministerium Gebiet der Allgemeinen Geographie galt, in Berlin weiter (UAHW, Rep. 6, Nr. 334, 4 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Bl. 153). Da von Berlin eine Rückäußerung und da ihm seit einiger Zeit ein akzeptables monatelang ausblieb, stellte der neue Angebot aus München vorlag, entschied er Dekan, der Chemiker Heinrich Wilhelm sich für dieses15. Als bisheriger Lehrstuhl- Heintz 14, nach einem weiteren einstimmigen Kandidat für die Fridericiana meldete er sich Fakultätsbeschluss am 17.05.1872 auf beim Unterrichtsministerium in Berlin und Empfehlung Dümmlers erneut den Antrag beim Dekan, dem Ordinarius für Mathematik (wiederum über den Kurator) für die Be- Eduard Heine16, ab. Das Hallesche Tage- rufung Guthes auf das vor vier Monaten blatt Nr. 42 vom 19.02.1873 (S. 182) in- erbetene Geographie-Ordinariat (UAHW, formierte seine Leser über die „betrübende Rep. 21, Nr. 539, Bl. 30). Die Antwort des Mittheilung“ vom Rückzug Guthes unter Unterrichtsministeriums blieb allerdings Bezugnahme auf den 18.02. In seinem wiederum aus. So verging das Jahr 1872. Die Fakultätszirkular vom 20.02.1873 schrieb für die Errichtung des Lehrstuhls notwendi- Heine an seine Kollegen: „Herr Professor gen Geldmittel wurden seitens Berlins weder Guthe theilt mir mit großer Dankbarkeit zugesagt noch bewilligt, aber es erfolgte auch gegen die Facultät, die ihn berufen hat, mit keine Ablehnung des Berufungsantrags durch daß er und unter welchen Verhältnissen er das Unterrichtsministerium. einen Ruf nach München angenommen habe. Die Philosophische Fakultät nahm un- Da der Professor Guthe uns zu dem Antrage abhängig von dieser für sie äußerst unbe- auf Gründung einer Professur für Geogra- friedigenden Situation im Frühsommer phie Veranlaßung war, so werde ich in der 1872 Verbindung zu Guthe auf, um sich Sitzung [am 25.02.] die Facultät befragen, ob dessen Zustimmung zu versichern. Guthe sie nunmehr noch Schritte zur Besetzung des sagte der Fakultät zu, dass er im Falle Lehrstuhles für Geographie zu thun gedenkt, einer Berufungsanfrage aus Berlin dieser ehe dieser gegründet ist.“ (UAHW, Rep. 21, zustimmen und gern nach Halle kommen Nr. 541, Bl. 11). Hinter der angekündigten würde. Aus einem Brief Guthes vom Befragung seiner Fakultätskollegen stand 20.06.1871 an Hermann Wagner, damals die Befürchtung des Dekans, dass der Un- Gymnasiallehrer und Mitarbeiter an der terrichtsminister – ohne die Fakultät zu kon- Geographischen Anstalt von Justus Perthes sultieren – über die personelle Besetzung der in Gotha, kann man sogar schließen, dass nunmehr von Berlin befürworteten künftigen eine erste Kontaktaufnahme der Universität Geographie-Professur im Alleingang ent- zu Guthe bezüglich einer Berufung nach scheiden könnte. Halle schon vor der Antragstellung erfolgt Der Wettlauf um Guthe zwischen München war. Guthe teilte Wagner nämlich damals und Halle ging also zugunsten Bayerns aus, mit: „Meine Hallesche Angelegenheit reift obwohl Guthe, wie er mehrfach schriftlich langsam, aber sie reift. Dies sage ich Ihnen betont hatte, sehr gern nach Halle gekommen im Vertrauen.“ (Wagner 1928, S. 20). wäre. Wagner schildert die Dramatik dieses Der Berufungsvorgang wurde bis Anfang bayerisch-preußischen Wettbewerbs um 1873 vom Unterrichtministerium in der Guthe so: „Kaum hatte er dorthin [d. h. Schwebe gehalten, indem man auf den Guthe an München] sein Jawort gegeben, als halleschen Antrag einfach nicht reagierte. Zu eine Viertelstunde später, wie uns Kirchhoff dieser Zeit bemühte sich die Polytechnische berichtet hat, die definitive Berufung nach Schule in München (heute TU) ebenfalls um Halle eintraf. Nun war es zu spät.“ (Wagner die Errichtung eines Geographie-Lehrstuhls 1928, S. 22). Im Sommersemester 1873 nahm und auch hier war Guthe der bevorzugte Guthe seine Lehrtätigkeit in München auf. Kandidat für das geplante Ordinariat. Als Zehn Monate nach seinem Amtsantritt fielen Mitte Februar 1873 in Berlin noch immer keine zunächst seine Familie und dann er selbst Entscheidung zugunsten Guthes gefallen war einer in München grassierenden Cholera- Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 5

Epidemie zum Opfer. Hermann Guthe starb Professur hatte sich nach dem Scheitern am 28.01.1874 in München. Kirchhoff des ersten Berufungsanlaufs nicht geändert. schrieb am 22.02.1874 zum Tode Guthes Die Fakultät suchte einen Hochschullehrer, an Hermann Wagner: „Daß mich Guthes dessen Hauptaufgabe die Ausbildung plötzlicher Tod erschüttert hat, können Sie zukünftiger Geographielehrer für die höheren sich denken. Wußte ich doch von ihm selbst, Schulen Preußens war. Bei der Personalsuche wie gern er hierher [d. h. nach Halle] statt legte man neben fachlicher Kompetenz18 nach München gegangen wäre, und, wie es größten Wert auf das didaktische Geschick, sich um eine Viertelstunde handelte, daß er die praktische Unterrichtserfahrung und die vor dem Isarstrand bewahrt geblieben wäre rhetorischen Fähigkeiten des Kandidaten. und folglich auch vor all den fürchterlichen Die Fakultät beschloss die Einrichtung Keulenschlägen des Schicksals.“ (Wagner einer Vorschlagskommission, welche „No- 1907, S. 29). minalvorschläge berathen solle“. Als Kommissionsmitglieder wurden auf Vor- 3. Die Berufung Alfred Kirchhoffs schlag des Dekans die beiden Initiatoren Nur einen Tag, nachdem Heine das Fa- von 1871, Girard und Dümmler, sowie kultätszirkular in Umlauf gebracht hatte, der Philologe Gottfried Bernhardy4, fand der unsichere Zustand bezüglich des der Germanist Julius Zacher19 und Heine Fortganges des Berufungsvorgangs sein En- als Dekan gewählt (UAHW, Rep. 21, Nr. de. Kurator Roedenbeck teilte der Fakultät 541, Bl. 71). Es vergingen nur gut drei Wo- am 21.02. folgendes mit: „Da der Professor chen, bis die Vorschlagskommission zu Guthe in Hannover, wie mir mitgetheilt worden einem Ergebnis kam. Die Kandidatensuche ist, einen Ruf nach München angenommen war nicht einfach gewesen. Potenzielle hat, so ersuche ich die philosophische Wegberufungskandidaten von anderen Uni- Fakultät ganz ergebenst, sich anderweit über versitäten nach Halle gab es nicht. Die die Besetzung der Professur für Erdkunde, Professoren waren entweder zu alt oder sie welche voraussichtlich von dem Landtage waren fest mit ihrer Universität verbunden20. binnen kurzem bewilligt werden wird, Somit kamen nur geeignete Akademiker aus 17 gefälligst äußern zu wollen.“ (UAHW, Rep. dem außeruniversitären Bereich in Betracht. 21, Nr. 541, Bl. 99). Die Kommission entschied sich in einem Es macht den Eindruck, als wäre das ersten Schritt für fünf Berufungskandidaten. Unterrichtsministerium durch die Absage Diese waren Richard Andree21/Leipzig, Guthes endlich zum schnellen Handeln Karl Freiherr von Fritsch22/Frankfurt gezwungen worden, denn nun überschlugen am Main, Georg Gerland23/Halle, sich die Ereignisse. Auf der Fakultätssitzung Alfred Kirchhoff24/Berlin und Hermann am 25.02. informierte Heine seine Kollegen Wagner25/Gotha (UAHW, Rep. 21, Nr. über das Schreiben des Kurators. Der De- 541, Bl. 102). Von den fünf Auserwählten kan drängte aufgrund der Erfahrungen hatten vier Naturwissenschaften (Andree, mit der zögerlichen Haltung Berlins da- v. Fritsch, Kirchhoff, Wagner) und einer rauf, dass eine Berufungsliste noch in der Geisteswissenschaften (Gerland) studiert26. winterlichen Vorlesungspause von der Fa- Drei von ihnen waren Gymnasiallehrer, die kultät verabschiedet werden solle (einige neben anderen Fächern seit vielen Jahren Professoren hatten für eine Verschiebung Geographie unterrichteten (Gerland, auf das Sommersemester plädiert). Dabei Kirchhoff, Wagner). Von Fritsch war blieb offen, ob der Landtag die Geldmittel habilitierter Privatdozent mit Lehrerfahrung für ein Ordinariat oder ein Extraordinariat in Geologie, Mineralogie und Physischer bewilligen würde. Das Motiv für die Geographie am Polytechnikum und an der angestrebte Einrichtung einer Geographie- Universität Zürich sowie danach Dozent 6 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

bei der Senckenbergischen Naturforschen- beiden Reisen zu den Kanaren in Petermanns den Gesellschaft in Frankfurt/Main. Der Mitteilungen berichtet. Trotz dieser für einen Privatgelehrte und wissenschaftliche Autor Geologen außergewöhnlichen Verbindung zur Andree hatte keine schulische oder aka- Geographie stellte die Kommission bei ihrer demische Lehrtätigkeit aufzuweisen. Die Beurteilung v. Fritschs für die beantragte Kommission hatte lediglich Kenntnis von Professur richtigerweise fest: „Seine Arbeiten seinen „gerühmten“ Vorträgen im Leipziger sind vorzugsweise geognostisch.“ (UAHW, Erdkundeverein. Rep. 21, Nr. 541, Bl. 102). Wagner gab schon Die Publikationsleistungen der Kandidaten in jungen Jahren fünf Monographien über waren nach Umfang und Inhalt sehr unter- die geographische Entdeckungsgeschichte schiedlich. Bei Andree dominierten volks- Afrikas, Ostasiens und der Arktis in der kundliche Themen (mit z. T. nationalistischem populärwissenschaftlichen Schriftenreihe Einschlag), über die er hauptsächlich in „Das Buch der Reisen und Entdeckungen“ der Zeitschrift „Globus“ berichtete. Von heraus. Danach fand der studierte Ma- geographischer Relevanz waren einige thematiker mit seinen fundierten Beiträgen seiner Monographien: ein Bericht über zur geographischen Statistik der deutschen seine Schottlandreise (1866), eine auf Länder, erschienen in Petermanns Literaturstudien basierende landeskundliche Mitteilungen und im Geographischen Jahr- Beschreibung Abessiniens (1869), seine buch, wissenschaftliche Anerkennung. 1870 Handels- und Verkehrsgeographie von legte er eine mathematisch-kartographische 1871 (Bemerkung des Autors dazu in seiner Studie über die Dimensionen des Erd- kommentierten Bibliographie von 1912, S. sphäroids im Geographischen Jahrbuch vor 339: „Da ist nichts Besonderes dran!“) und und 1872 eröffnete er (zusammen mit dem eine Schrift über deutsche Nordpolforscher Geographen und Verlagskollegen Ernst (1872). Von Fritsch war ein ausgewiesener Behm28) die neunteilige, bis 1893 fortgesetzte Geologe und der einzige Feldforscher Publikationsreihe „Die Bevölkerung der unter den Kandidaten. Über die Ergebnisse Erde“ in den Ergänzungsheften zu Petermanns seiner größeren Forschungsreisen (1862 Mitteilungen. 1872 schrieb Wagner seinen Kanaren, 1866 Santorin, 1872 Kanaren und bis dahin einzigen schulgeographischen Marokko gemeinsam mit dem Geographen Aufsatz „Ueber die wichtigste Ursache Johann Justus Rein27) legte er eine Reihe der geringen Erfolge des geographischen gewichtiger Publikationen (darunter zwei Unterrichts auf unsern höhern Schulen“, der Monographien) vor. Außerdem berichtete in der Zeitschrift für mathematischen und er über die Ergebnisse seiner Feldstudien naturwissenschaftlichen Unterricht erschien. im Thüringer Wald, in den Schweizer Seine Kritik am schlechten Zustand des Alpen und im Maingebiet in angesehenen Geographieunterrichts in Deutschland und geowissenschaftlichen Zeitschriften. Wenn an der mangelhaften (oder sogar fehlenden) auch sein Interesse vorrangig geologischen, Qualifikation der Lehrer verband er – ähnlich vulkanologischen und paläontologischen wie Kirchhoff ein Jahr zuvor – mit der Themen galt, so war seine Affinität zur Forderung, dass Geographie-Lehrstühle für Geographie unverkennbar, weshalb er auf die Ausbildung von Fachlehrern an den deut- Vorschlag Girards auf der Kandidatenliste schen Universitäten eingerichtet werden soll- stand. Gemeint ist damit nicht nur seine ten. In Gerlands Publikationsliste findet physisch-geographische Vorlesungs- und sich bis 1873 keine geographische Schrift. Vortragstätigkeit in Zürich und Frankfurt und Auch seine gedruckte Gedächtnisrede für seine Präsidentschaft im Frankfurter Verein für Alexander von Humboldt (1869) enthält Geographie und Statistik. Er hat auch in drei keinerlei geographierelevante Aussagen. großen geographischen Beiträgen über seine Seine für die Berufung anrechenbaren Aktivitäten beschränkten sich darauf, dass er Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 7

als Gymnasiallehrer in Magdeburg, dann in Diskussion um Gegenstand und Methodik Halle Geographie (neben anderen Fächern) der Geographie stand und dass er deren unterrichtete. Gerlands Veröffentlichungen Ergebnisse auf die Gestaltung eines mo- stammten aus seinen beiden Arbeitsgebieten, dernen Geographieunterrichts zu übertragen der Sprachwissenschaft (speziell Altphilo- vermochte. Dass er dazu auch in der logie und germanische Philologie) und der Praxis fähig war, belegte sein guter Ruf Völkerkunde (damals verwendete Synonyma: als Geographielehrer sowohl für Kinder Ethnologie und Ethnographie). Letztere als auch für Erwachsene an der Berliner wurde zu dieser Zeit als ein eng mit der Luisenstädtischen Gewerbeschule bzw. an Geographie verwandtes Fach oder sogar als der dortigen preußischen Kriegsakademie. ein Teilgebiet derselben angesehen29. Aus Daneben bestand noch eine weitere sehr diesem Grund kam Gerland auf die Liste der wichtige Verbindung Kirchhoffs zur Berufungskandidaten. In der Ethnographie Schulgeographie. Nach dem Tod des hatte er beachtliche Leistungen aufzuweisen. halleschen Schulgeographen Hermann Nach dem Tod des Marburger Anthropologen Adalbert Daniel32 im Jahr 1871 hatte Theodor Waitz30 übernahm er die schwie- ihn der Waisenhaus-Verlag in Halle dafür rige Aufgabe, das Hauptwerk seines aka- gewonnen, zwei deutschlandweit bekannte demischen Lehrers „Anthropologie der Schullehrbücher dieses Autors neu zu Naturvölker“ zu vollenden. In zwei Bänden bearbeiten und herauszugeben. Es handelte legte er unter Verwendung der Waitz'schen sich um Daniels „Lehrbuch der Geographie Vorarbeiten eine ethnographische und kul- für höhere Unterrichtsanstalten“ (1. Aufl. turhistorische Beschreibung der Völker der 1845) und um dessen „Leitfaden für den Südsee vor. Dieses Werk von über 1.000 Unterricht in der Geographie“ (1. Aufl. 1850). Seiten fand überall Anerkennung, so auch Die ersten überarbeiteten Auflagen beider bei den Geographen (obwohl der Text nur Werke erschienen unter Kirchhoffs Namen wenige, aus der Literatur übernommene im Jahr 1872. geographische Ausführungen enthält). Mit Die Kommission stand wegen des Fakultäts- seinem 1868 erschienenen Buch „Über das beschlusses, die Berufungsliste noch in der Aussterben der Naturvölker“, einer sich an ei- winterlichen Vorlesungspause zu verabschie- ne breite Leserschaft richtenden Mahnschrift, den, unter großem Zeitdruck. Um schnell gelang ihm ein weiteres wichtiges Werk. voranzukommen und um sich nicht auf ihr Hinzu kamen mehrere ethnographische eigenes Urteil allein zu stützen, holten die Zeitschriftenaufsätze. Kirchhoffs Publi- Kommissionsmitglieder bei vier auswärtigen kationsliste vor seiner Berufung enthielt drei Sachverständigen Stellungnahmen über die botanische und drei schulbotanische Schriften, Kandidaten ein. Es waren die Geographie- ein knappes Dutzend Arbeiten zur Geschichte Professoren (Universität seiner Geburtsstadt Erfurt (darunter zwei Leipzig) und Heinrich Kiepert (Universität Monographien) und des Landes Thüringen Berlin), der Pädagoge und Herausgeber der sowie eine schulgeographische Abhandlung Zeitschrift für das Gymnasialwesen Her- mit dem Titel „Zur Verständigung über die mann Bonitz33 (Berlin) sowie der Direktor Frage nach der Ritterschen Methode in der Berliner Kriegsakademie Karl Rudolf unserer Schulgeographie“ in der Zeitschrift von Ollech34 (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, für das Gymnasialwesen 1871. Dieser bis Bl. 104; Hallesches Tageblatt v. 19.04.1873, dahin einzige Aufsatz Kirchhoffs mit S. 393). Die schriftlichen Gutachten sind im geographischem Inhalt31 spielte für seine halleschen Universitätsarchiv nicht mehr Wahl zum Berufungskandidaten eine wichtige vorhanden. Rolle. Der 25 Seiten umfassende Text belegte, Nach einer ersten Beratungsrunde der dass sein Autor – ohne Geographiestudium – Vorschlagskommission schieden Andree, auf der Höhe der aktuellen wissenschaftlichen 8 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

v. Fritsch und Wagner aus dem Kan- deren Mehrheit für Kirchhoff ein positives didatenkreis aus. Abschließend bemerkte Votum abgab (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, Dekan Heine in seinem Bericht zu ihnen: Bl. 104). Am 25.03.1873 fand die in dieser „Jeder dieser Männer wird an seiner Stelle Angelegenheit entscheidende Fakultätssit- Vorzügliches leisten.“ (UAHW, Rep. 21, Nr. zung statt. Das einstimmige Votum der Vor- 541, Bl. 103). Seine Prophezeiung traf bei schlagskommission für Kirchhoff allein jedem von ihnen ein. Andree vollbrachte löste bei den übrigen Fakultätsmitgliedern als Leiter der in Leipzig ansässigen eine längere, z. T. kontrovers geführte Kartographischen Anstalt des Verlages Diskussion aus. Eine Gruppe von Professoren Velhagen & Klasing Hervorragendes in plädierte dafür, Gerland nicht zu übergehen der Atlaskartographie. Von Fritsch (1873 und ihn neben Kirchhoff mit auf die in Halle) und Wagner (1876 in Königsberg Vorschlagsliste zu setzen. Schließlich wurde [russ. Kaliningrad], ab 1880 in Göttingen) über zwei Alternativen abgestimmt: entweder wurden zu Professoren berufen. Ersterer Kirchhoff allein oder Kirchhoff an erster erlangte als Geologe und Paläontologe (primo loco) und Gerland an zweiter Stelle wie auch als Präsident der Leopoldina (secundo loco) für die Berufung vorzu- (1896 – 1906) hohes Ansehen. Wagner schlagen35. Das Abstimmungsergebnis war avancierte (gemeinsam mit Kirchhoff) zum knapp. Laut Sitzungsprotokoll wurde führenden Vertreter der Schulgeographie Kirchhoff mit einem Stimmenverhältnis an den deutschen Universitäten. Es ist die von 8 : 6 als alleiniger Berufungskandidat Frage, ob Wagner nicht in den engeren nominiert (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, Bl. Kandidatenkreis gekommen wäre, wenn 73 u. 74). Über die fachliche Beurteilung die Kommissionsmitglieder dessen bereits der beiden zur Abstimmung gestandenen erwähnten, auf eigenen Schulerfahrungen Kandidaten schreibt Dekan Heine in gründenden schulgeographischen Aufsatz seinem Abschlussbericht: „Auf Herrn gekannt hätten. Seine dort geäußerten Gerland, Prof. an dem städtischen Gymnas. Vorstellungen über das Studium ange- hierselbst, hat sich naturgemäß unsere hender Geographielehrer und über den re- Aufmerksamkeit ganz besonders gerichtet. formbedürftigen Geographieunterricht an Als Schüler des Marburger Philosophen den höheren Schulen gingen in die gleiche Theodor Waitz hat er dessen großes Werk Richtung, wie sie Kirchhoff ein Jahr zuvor in über Anthropologie der Naturvölker voll- seinem Aufsatz von 1871 erstmals überhaupt endet. Er ist zugleich ein Freund der formuliert hatte (Wagner bezog sich auch Naturwissenschaften. Schriftstellerisch als explizit auf ihn). Wagners Pech war es wohl, Ethnologe u. Sprachforscher thätig hat er dass diese Arbeit in einer Zeitschrift erschien, als solcher in seinen Arbeiten ein reiches wo man ein solches Thema nicht erwartete und werthvolles Material niedergelegt. Wenn und wo es deshalb von der Kommission wir nun, obgleich sein ganzes wissenschaftl. unentdeckt blieb. Streben seine Berufung an eine Univers. Für die Vorschlagsliste standen nun nahe legt, von seiner Berufung gerade an noch Gerland und Kirchhoff zur unsere Universität in unserem Antrage völlig Wahl. In einer ausführlichen und gründ- absehen, so darf dies nicht im geringsten für lich abwägenden Diskussion kam die eine Mißachtung dieser schätzbaren Kraft Kommission zu dem einstimmigen Ergeb- gehalten werden. Hat er auch 12 Jahre nis, der Fakultät Kirchhoff allein für die an dem Gymnasium in Magdeburg in der Professur vorzuschlagen. Diese Empfehlung Geographie unterrichtet, so giebt doch dies stützte sich neben eigenen Bewertungen und seine bisherige hauptsächliche Thätigkeit auch auf Aussagen der schriftlich befragten als Lehrer der classischen Sprachen keinen auswärtigen Gutachter über die Kandidaten, genügenden Anhalt dafür, daß er ohne längere Vorbereitung und neue Studien im Stande Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 9

sein würde, gerade unseren Bedürfnissen zu (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, Bl. 103 – 104). genügen36 und wir beklagen aufrichtig, daß Letztlich setzte sich damit die Meinung die Verhältnisse ihm nicht gestattet haben, derjenigen Fakultätsmitglieder durch, die eine akademische Thätigkeit oder doch mit Kirchhoff einen ausgewiesenen aka- eine ihr ähnliche und zwar in einem Fache demischen Lehrer für die Fakultät gewinnen zu bewähren, welches dem hier in Frage wollten. In dem an den Universitätskurator stehenden wenigstens verwandt ist. Roedenbeck gerichteten Bericht des Dekans Es kommt aber hinzu, daß wir glauben, jetzt vom 03.04. über den Berufungsvorschlag der zum zweiten Male eine für uns ganz geeignete Fakultät wurden von Heine dann auch die und in dem Fache bereits bewährte Lehrkraft allseits anerkannten Fähigkeiten des Kandi- in dem Dr. Alfred Kirchhoff, Lehrer an der daten als hervorragender Lehrer besonders Luisenstädtischen Gewerbeschule und an herausgestellt. In dem Text heißt es, dass der Kriegsakademie, ermittelt zu haben. Kirchhoff „eine für uns ganz geeignete und Wir durften deshalb davon absehen, unsere in dem Fache bereits bewährte Lehrkraft“ Forschungen mit Zeitverlust, noch auf andere sei (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, Bl. 103). Am Namen auszudehnen. Derselbe hat durch 04.04.1873 wurde der hallesche Berufungs- seine Aufsätze37 in der Zeitschrift für das vorschlag an das Unterrichtsministerium von Gymnasialwesen herausg. von Bonitz, über Roedenbeck mit dessen Befürwortung über- die Methode des geographischen Unterrichts sandt40 (UAHW, Rep. 6, Nr. 334, Bl. 287). sowohl unsere als auch vieler Anderer Am 12.04.1873 traf die Nachricht aus Ber- Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Obwohl lin beim Kurator ein, dass die Staatshaus- von naturwissenschaftl. Studien ausgehend haltsmittel für eine ordentliche Geographie- hat er in dem Werke „Weistümer der Stadt Professur vom Unterrichtsminister bewilligt Erfurt“ so wie in dem Geschichtsbild „Erfurt worden seien (UAHW, Rep. 6, Nr. 334, Bl. im 13. Jhdt.“ und in einigen Beiträgen für 288). Dies wurde der Fakultät am 19.04. mit- die neuen Mittheilungen des thüringisch geteilt (UAHW, Rep. 21, Nr. 541, Bl. 111). sächsischen Alterthumsvereins38 historische Kirchhoff nahm die ihm vom Minister an- Arbeiten von anerkannter Gediegenheit gebotene Professorenstelle Mitte April 1873 geliefert, die zugleich durch ihre Klarheit an. Noch im gleichen Monat gab der Kurator auf das Talent des Verfassers im Darstellen der halleschen Universität 100 Taler aus dem geographischer Verhältnisse hinweisen39. Universitätsetat zum Kauf „kartographischer Im Augenblick mit der Neugestaltung Hülfsmittel“ für Kirchhoff frei (UAHW, geographischer Lehrbücher (von Daniel) Rep. 6, Nr. 334, Bl. 298). Dessen Bestallung beschäftigt trägt er zugleich die Geographie durch Unterrichtsminister Falk erfolgte per an der Kriegsakademie vor, die einst Ritter Urkunde am 07.05.1873 (UAHW, Rep. 6, Nr. dort lehrte, und zwar, wie wir durch eine 334, Bl. 298 u. 300). In seinem Fakultätszirku- Anfrage erfahren, versteht er das Interesse lar vom 04.06.1873 unterrichtete der Dekan der Zuhörer durch seine Vorträge, die er in Heine die Fakultätsmitglieder über die „Er- klarer schmuckloser, wohlüberlegter Rede nennung des Prof. Dr. Kirchhoff zum ordentl. hä[l]t, zu erregen. Daß, wie wir ferner noch Professor in unserer Fakultät“ (UAHW, erfahren, Gelehrte des Fachs wie Hr. Kiepert, Rep. 21, Nr. 541, Bl. 51). Somit wurde die Pädagogen wie Hr. Bonitz, und militairische Gründung des halleschen Geographie-Lehr- Sachverständige die ihn persönlich kennen, stuhls erst 1873 – dann aber innerhalb von ihn schätzen, erhöht das Vertrauen, mit dem zwei Monaten – vollzogen, nachdem in den wir seine Berufung empfehlen. - Wir haben vorangegangenen 16 Monaten seit der ersten daher beschlossen, Herrn Dr. Alfred Kirch- Lehrstuhlbeantragung der Philosophischen hoff allein für die neu gegründete Professur Fakultät von Seiten Berlins nichts geschehen der Geographie in Vorschlag zu bringen.“ war. 10 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Rückblickend gewinnt man den Eindruck, Lehrstuhl in Straßburg (frz. Straßbourg). dass Kirchhoff schon bald nach Eröffnung Über die Gründe, weshalb sich das Verfahren des zweiten Berufungsverfahrens eine Präfe- zur Errichtung des Geographie-Lehrstuhls in renz den Anderen gegenüber eingeräumt Halle fast eineinhalb Jahre hinzog, ist nichts wurde, glaubte man doch bereits bei der Kan- Konkretes bekannt. Die Verzögerung entstand didatensuche, „jetzt zum zweiten Male [d. bei dem Versuch der Fakultät, Guthe nach h. nach Guthe] eine für uns ganz geeignete Halle zu holen. Dieser äußerte sich bereits in und in dem Fache bereits bewährte Lehrkraft einem Brief vom 20.08.1872 an Wagner zur … ermittelt zu haben.“ (UAHW, Rep. 21, abwartenden Haltung Berlins wie folgt: „Ich Nr. 541, Bl. 103). Dass sich die Vorschlags- kann mir dies aus dem Ministerialwechsel und kommission für Bonitz und v. Ollech als dem Drange der Kammerverhandlungen wohl Gutachter entschied, spricht für diese Vermu- erklären.“43 (Wagner 1928, S. 21). Ob es tung. Beide kannten Kirchhoff aus verschie- auch finanzielle Gründe gewesen sind, welche denen Perspektiven: als Autor, Rezensent und das Unterrichtsministerium so lange zögern Lehrer (Bonitz) und als Dozent (v. Ollech). ließen, die mit der Berufung verbundenen Es ist dagegen wenig wahrscheinlich, dass Personal- und Sachmittel bereitzustellen, man über die anderen Kandidaten ähnlich ist die Frage. Ebenso möglich ist, dass der gut informiert war. Bei der Abstimmung über preußische Landtag mit der überlangen Kirchhoff und Gerland als Berufungskan- Hinauszögerung der Entscheidung zu tun didaten schien ersterer für das von der Fakultät hatte, musste dieser doch der Einrichtung definierte Anforderungsprofil besser geeignet jeder neuen Universitätsprofessoren-Stelle zu sein. Für seine Wahl zum alleinigen Lehr- zustimmen und die notwendigen Gelder stuhlanwärter sprachen seine Leistungen als bewilligen. Ihm gehörten einflussreiche Ab- Geographielehrer und -dozent, als Schul- geordnete an, die entschiedene Gegner einer buchautor sowie als Vordenker einer Reform Etablierung der Geographie als selbständige der Schulgeographie. Hinzu kam ein weiterer universitäre Disziplin waren. Zu ihnen zählten Faktor, der zugunsten Kirchhoffs sprach. auch so bekannte Universitätsprofessoren, Die Tatsache, dass vor ihm Carl Ritter an wie der Mediziner Rudolf Virchow44 der Kriegsakademie unterrichtet hatte und und der Althistoriker Theodor Mommsen45 er in dessen Nachfolge stand41, wertete sein (vgl. Wagner 1910, S. 172, Schultz 1980, Image als Geographie-Dozent von vornher- S. 65 – 6746). Es ist auch denkbar, dass ein stark auf, was sich dann nach kurzer Zeit das Konkurrenzverhältnis zwischen der durch seine dort erfolgreiche Arbeit auch als führenden preußischen Universität Berlin und berechtigt erwies. Demgegenüber sprachen der älteren „Provinzuniversität“ Halle zu die- für Gerland nur dessen völkerkundliche ser Verzögerung beigetragen hat: Berlin hatte Schriften, denn sein zweiter wissenschaftli- zu dieser Zeit nur ein Extraordinariat, Halle cher Schwerpunkt, die Sprachwissenschaft, beanspruchte aber ein Ordinariat. Andererseits sollte in dem Verfahren keine Rolle spielen. ist auffällig, dass man sich im Berliner Interessanterweise war der Wortführer unter Unterrichtsministerium mit der halleschen Gerlands Fürsprechern ein Fachkollege des Lehrstuhlgründung sehr beeilte, als nach Kandidaten, der in der Fakultät hoch angese- Sachsen (Leipzig 1871) dann auch Bayern hene Sprachwissenschaftler August Fried- im Frühjahr 1873 ein Geographie-Ordinariat rich Pott42. Es schien für Gerland zudem in München eingerichtet hatte. Das Ganze von Nachteil gewesen zu sein, dass er in war wohl nun für die Regierenden in Berlin Halle tätig war. In den Akten klingt nämlich zu einer Prestigeangelegenheit geworden. an, dass die Fakultät befürchtete, durch seine Eine Bemerkung der Saale-Zeitung (Nr. 43 (Mit-)Wahl in den Verdacht der Bevorteilung v. 20.02.1873) lenkt das Augenmerk noch eines Einheimischen zu kommen. Gerland auf eine ganz andere Option, die 13-monatige erhielt zwei Jahre später den Geographie- Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 11

Verschleppung der (dann zu späten) Berufung geographische Professur Prof. Hermann Guthes zu erklären. Der Journalist deutete Guthe in Hannover, ein nach geschichtlicher an, dass Guthe möglicherweise bei dem und naturwissenschaftlicher Seite hin Berliner Unterrichtsministerium lange Zeit ausgezeichneter Geograph, vorgeschlagen; in Verdacht stand, er sei nach wie vor ein bei der vor wenigen Jahren erfolgten Berufung Anhänger der von Preußen 1866 abgesetzten Peschels nach Leipzig war er bereits als Welfen-Dynastie in Hannover und wäre somit würdiger Candidat neben diesem genannt ein politischer Gegner Preußens (vergl. auch worden. Guthe legte einen großen Werth da- Kap. 4 und Anmerkung49). rauf, an unsere Universität zu kommen, und zeigte sich unverdrossen entgegenkommend, so 4. Die Reaktion der halleschen Tages- daß wir noch vor wenigen Tagen ihn gewinnen presse auf das Berufungsresultat zu können glaubten. Jetzt aber (da wir doch Die halleschen Tageszeitungen verfolgten nicht glauben können, daß seine früheren mit Interesse den Berufungsvorgang47. Dabei nähern Beziehungen zum hannoverschen ging man wegen der misslichen Situation, Königshause ihn verdächtigt hätten49) ist diese in welcher sich die Universität aufgrund der ausgezeichnete Kraft durch die ungeschickte langen Wartezeit bis zur Entscheidung befand, und wenig fördernde formelle Behandlung sehr kritisch mit der Berliner Obrigkeit um. So dieser Angelegenheit seitens der berliner schrieb das Hallesche Tageblatt am 19.02.1873 Kreise für unsere Universität verloren … Wir nach der Absage Guthes: „Halle, 18. Februar. müssen diese wenn auch vielleicht unbewußte Wir bedauern die betrübende Mittheilung Rücksichtslosigkeit der leitende [sic] Kreise machen zu müssen, daß Professor Guthe gegen Halle mindestens beklagen.“ (Saale- aus Hannover, welcher seitens der hiesigen Zeitung, Nr. 43 v. 20.02.1873). In der Nr. 83 philosophischen Facultät seit Jahr und Tag vom 08.04.1873 kam die Saale-Zeitung noch für die neu zu begründende geographische einmal auf den Verlust Guthes für Halle Professur vorgeschlagen war, durch die zurück und sprach von „der interesselosen ungeschickte und wenig fördernde formelle Langsamkeit des Geschäftganges“ als Behandlung dieser Angelegenheit seitens der Grund dafür, womit zweifellos das Berliner maaßgebenden Berliner Kreise für unsere Unterrichtsministerium gemeint war. Universität verloren ist. Derselbe hat einen Aber auch gegenüber der halleschen Philo- ihm zugegangenen höchst ehrenvollen und sophischen Fakultät äußerte die Saale-Zeitung 48 finanziell günstigen Ruf an die Universität (im Gegensatz zum Halleschen Tageblatt) und die polytechnische Schule in München während des zweiten Berufungsvorgangs angenommen und wird bereits Ostern seine harsche Kritik. Hauptsächlich ging es um Vorlesungen dort eröffnen. Wenn man kein den Personalvorschlag der Fakultät für Bedenken trägt einer aus eigener Kraft sich zu die Besetzung des Geographie-Lehrstuhls. frischer Blüthe emporringenden Universität Die Einwände betrafen vor allem die fort und fort ihre besten Kräfte zu entziehen, Nichtberücksichtigung Georg Gerlands. so sollte man doch wenigstens dann nicht Er war zu dieser Zeit Oberlehrer (mit feilschen und sich hinter formelle Bedenken Professorentitel) am halleschen Stadt- verstecken, wenn sich die Möglichkeit bietet gymnasium. Dort hatte er als Pädagoge auf bequeme Weise eine Lücke auszufüllen.“ einen guten Ruf. Durch seine öffentlichen (Hallesches Tageblatt, Nr. 42 v. 19.02.1873, Vorträge über ethnologische Themen war er S. 182). Die Saale-Zeitung vom 20.02.1873 stadtbekannt. Er gehörte auch im Februar äußerte sich unter der Überschrift „Halle, 1873 zu den Mitbegründern des halleschen den 19. Februar“ ebenso bedauernd wie Erdkundevereins und hatte gut besprochene kritisch zum Rückzug Guthes: „Seitens der wissenschaftliche (u. a. ethnologische) hiesigen philosophischen Facultät war seit Publikationen aufzuweisen, unter denen geo- Jahr und Tag für die neu zu begründende, 12 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

graphische Arbeiten allerdings fehlten. Bei Urtheil der competentesten Gelehrten wie der Redaktion der Saale-Zeitung glaubte man, Kiepert, Peschel, des General von Ollech, Völkerkunde mit Geographie gleichsetzen zu welcher Gelegenheit hatte die ausgezeichne- können und war deshalb der Meinung, dass ten Erfolge Kirchhoffs in seiner Wirksamkeit Gerland für die Berufung auf den Geographie- an der Königl. Kriegsacademie genau kennen Lehrstuhl bestens geeignet sei und dass zu lernen, die Universität eine vorzügliche er unfair behandelt wurde. Denn er blieb – Kraft. K. ist nicht nur durch seine schrift- nach anfänglicher Nominierung – letztlich stellerischen Leistungen (der Referent in der unberücksichtigt. Dazu äußerte sich das Blatt Saalezeitung schien dieselben nur zum Theil am 08.04.1873 so: „Daß bei der Besetzung zu kennen) bestens legitimirt, sondern es geht der geographischen Professur nichts von dem ihm namentlich der Ruf eines anregenden, so nahe liegenden Prof. Gerland verlautet, durch vielseitige naturwissenschaftliche und scheint mehr in persönlichen Antipathien als historische Kenntnisse erfolgreich wirkenden wissenschaftlichen Motiven seinen Grund Lehrers voraus, der es gewiß bald verstehen zu haben, da die ethnologischen Verdienste wird dem großen Mangel an tüchtig durchge- dieses Gelehrten zu bedeutend sind, um für bildeten Lehrern der Geographie auf unseren ein objectives Urtheil nicht sehr schwer in die höheren Schulen abzuhelfen und dem geo- Wagschale zu fallen.“ (Saale-Zeitung, Nr. 83 graphisch naturwissenschaftlichen Unter- v. 08.04.1873). richt frische Kräfte zuzuführen.“ (Hallesches Diese Sätze gaben den Anstoß für eine Tageblatt, Nr. 91 v. 19.04.1873, S. 393). kurze, aber heftige Kontroverse in dieser An- Die Replik der Saale-Zeitung erschien gelegenheit zwischen den beiden konkurrie- einen Tag später mit der Überschrift „Zur renden Lokalzeitungen. Das Hallesche Tage- Berichtigung und Abwehr“. Sie fiel in blatt stand voll auf Seiten der Fakultät. Gegen ihrer Wortwahl nicht weniger deutlich aus. das Berufungsverfahren, die Auswahl der Abgesehen von den zahlreichen Sticheleien Gutachter und die Nominierung Kirchhoffs gegen den Konkurrenten richtete sich die Kritik als alleinigem Berufungskandidaten gab es wiederum gegen die Nichtberücksichtigung keine Einwände. Der Artikel vom 19.04.1873 Gerlands in der Vorschlagsliste, ohne hat folgenden Wortlaut: „Dem Vernehmen dass zugleich explizit verlangt wurde, nach ist Professor Dr. Kirchhoff in Berlin Kirchhoff dafür zu streichen. Aber die nach den Vorschlägen der hiesigen philoso- mehrheitliche Fakultätsentscheidung für ei- phischen Facultät zum ordentlichen Profes- ne Alleinnominierung Kirchhoffs und der sor für den neubegründeten Lehrstuhl der deshalb zwangsläufig erfolgte Ausschluss Geographie an hiesiger Universität ernannt. Gerlands führten zu einem Frontalangriff Wir wollen nicht wie ein hiesiges Blatt [d. h. gegen einen Teil der Fakultätsmitglieder die Saale-Zeitung], welches bereits öfter mit und gegen mehrere der von der Fakultät wenig Tact und vielem Behagen die Angele- konsultierten Gutachter. Um die Haltung genheiten unserer Fridericiana auch hier- des Blattes zum Berufungsverfahren zu bei auf das Gebiet persönlichen Klatsches dokumentieren, werden die wichtigsten übertragen, untersuchen, welche Motive die Passagen des Textes nachfolgend wörtlich Facultät bestimmt haben sich über die Wahl zitiert: „Das 'Halle'sche Tageblatt' hat schlüssig zu machen, und es fällt uns nicht ein (gelegentlich der etwas verspäteten die ausgezeichneten Leistungen eines andern Nachricht von der Berufung des Herrn Dr. hiesigen Gelehrten auf ethnologischem Ge- A. Kirchhoff in die neugegründete Professur biete [gemeint ist Georg Gerland] darum für Geographie an unsre Universität) in geringer anzuschlagen, weil in dem vorlie- Nr. 91 vom gestrigen Tage sich erlaubt, die genden Falle die Wahl auf Professor Kirch- Berichte der Saale-Zeitung überhaupt zu hoff gefallen ist. Jedenfalls gewinnt nach dem verdächtigen. - Das genannte Blatt übersieht Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 13

in dem vorliegenden Falle zunächst, daß nicht Einzelne nicht zurück, abgesehen davon, sowohl die Berufung des Herrn Dr. K. an und dass seine fragmentarischen Kenntnisse über für sich, sondern lediglich die vollständige Kirchhoffs geographierelevante Leistungen Uebergehung des Herrn Prof. Dr. Gerland den Anschein der Einseitigkeit verstärkten. von Seiten der philos. Fakultät dem Ref. Das Hallesche Tageblatt reagierte darauf aufgefallen war. Es darf jetzt hervorgehoben noch einmal mit einer langen, auffallend po- werden, daß die dem Vernehmen nach lemisch formulierten Antwort, die sich in er- außerordentlich geringe Majorität, welche ster Linie gegen den vom Kontrahenten be- für die alleinige Empfehlung des Herrn nutzten Stil der Darstellung richtete. Neue Dr. K. stimmte, Mitglieder der Fakultät sachliche Argumente enthielt der Artikel einschloß, welche theils die Schriften des nicht. Neu war nur ein gegen das Konkur- Herrn Prof. G. gar nicht, theils seinen Namen renzblatt geäußerter Verdacht. Aus diversen nur oberflächlich kannten; dagegen die Details in dessen beiden Artikeln schloss starke Minorität, welche gleichzeitig Herrn man, dass der Verfasser von einem Insider Prof. G. empfohlen wünschte, durchweg aus informiert worden sei oder dass er der Infor- Sachkennern bestand. - Zweitens konnte der mant (d. h. ein Professor der Fakultät) selbst Ref. sich nicht den Uebelstand verhehlen, daß wäre. Mit der Frage „Wer sind Sie?“ wurde Herr Dr. K. lediglich auf Grund brieflicher der „Zeilenschreiber“ aufgefordert, seinen Mittheilungen berufen werden sollte, indem Namen zu nennen (Hallesches Tageblatt, Nr. größere Leistungen über Geographie oder 93 v. 22.04.1873, S. 404). Die Saale-Zeitung nah verwandte Fächer (wie bei Prof. G.) nicht reagierte nicht darauf. Den gleichen Vorwurf vorlagen. Das 'Hall. Tgbl.' nennt uns jetzt die hätte allerdings auch die Gegenseite erheben Namen der Männer, auf deren Urtheil sich die können, denn es war genauso unerklärlich, Fakultät gestützt zu haben scheint: Kiepert, woher das Hallesche Tageblatt z. B. die Na- Peschel, General von Ollech [Bonitz fehlt]. men von drei Gutachtern kannte. So kann Da durchweg nur der anregende Vortrag be- man wohl davon ausgehen, dass jede Seite tont wird, so mag es befremden, daß das Ur- ihren Informanten hatte, der jeweils einer der theil eines ausgezeichneten Kartenzeichners, beiden Abstimmungsgruppen angehörte. der aber ein notorisch schlechter Redner Mit der Favorisierung Gerlands durch die [Kiepert] ist, und (wenn einmal der Name Saale-Zeitung rückte Kirchhoff für sie an 'Gerland' aufgeworfen war) das Urtheil eines die zweite Stelle. Zur Wahl des Letzteren ausgezeichneten heldenmüthigen Generals, äußerte sich das Blatt zurückhaltend, zu- der die ethnologischen Schriften des halli- gleich aber auch zuversichtlich. Man schrieb: schen Gelehrten nicht kannte [v. Ollech], „Als eigentlich geographischer Schriftsteller hier so schwer wiegen sollte; wichtiger hat er sich mit Ausnahme einer Abhandlung wäre das Urtheil eines so außerordentlichen ‚über die Methode des geographischen Un- Gelehrten wie des Prof. Peschel gewesen, der terrichts‘ nicht bekannt gemacht. … Man er- aber, wie wir vernehmen, durchaus keinen zählt Wunderdinge von seinem Lehrtalent, so Gelehrten in bestimmter Weise empfohlen daß die Universität sich nur Glück wünschen hat. Indeß hat der Ref. die betreffenden kann, ihn zu gewinnen.“ (Saale-Zeitung, Nr. Schriftstücke nicht einsehen können.“ 83 v. 08.04.1873). (Saale-Zeitung, Nr. 92 v. 20.04.1873). Man gewinnt den Eindruck, dass der „Referent Die Berichterstattung der beiden Zeitungen der Saale-Zeitung für Universitätswesen“ über die Kandidatenwahl für den ersten mit seinem leidenschaftlichen (und halleschen Lehrstuhlinhaber der Geographie einseitigen) Plädoyer für Gerland die war so konträr und parteiisch, dass es dem Grenzen einer objektiven Berichterstattung Leser nahezu unmöglich war, sich ein eigenes überschritt. Dabei schreckte er sogar vor der Urteil zu bilden. Mit seinen Vorlesungen Unterstellung fachlicher Inkompetenz gegen und Vorträgen an der Universität, in der 14 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Öffentlichkeit und in den Erdkundevereinen Unbedingte Erwähnung finden muss eine ganz Deutschlands erfüllte Kirchhoff nach für Lehrstuhlbesetzungen an Universitäten seiner Berufung die in der Presse geäußerten damals außergewöhnliche Episode. Während journalistischen Erwartungen an ihn voll und des laufenden Berufungsverfahrens meldete ganz. Otto Schlüter50 (1952, S. 469), der sich der in Halle ansässige Privatgelehrte bei Kirchhoff studiert hatte, beschrieb seinen Otto Ule (1820 – 1876) in eigener Sache akademischen Lehrer wie folgt: „Kirchhoffs zu Wort. Ule hatte am 15.02.1873 – also drei Vortrag war musterhaft. Er war ein Redner Monate vor der Errichtung des Geographie- von seltenen Gaben. Seine Rede war nicht Lehrstuhls an der Universität – den Verein für eigentlich glänzend, aber höchst reizvoll Erdkunde zu Halle gegründet und war einen und erleuchtend. Meist sprach er langsam, Monat später zu dessen Vorsitzenden gewählt überlegend, aber immer klar, anschaulich, worden. Seine Publikationsliste umfasste beziehungsreich und in vollendeter Form. … eine stattliche Reihe naturwissenschaftlicher Seine Beredsamkeit, in Verbindung mit dem und geographischer (besonders ent- Reichtum seines großen Wissens zeigte sich deckungsgeschichtlicher) Bücher und auch, wenn er die Sitzungen des Vereins für Aufsätze in Fachzeitschriften. Außerdem Erdkunde leitete. … Da er sowohl in Halle war er seit 1856 der Herausgeber der po- wie anderwärts viele belehrende Vorträge pulärwissenschaftlichen Zeitschrift „Die hielt, da er bei jeder Gelegenheit für seine Natur“. Auch durch die große Zahl der in der Ideen eintrat, für die Erdkunde überhaupt Öffentlichkeit und in Vereinen gehaltenen und die Schulgeographie im besonderen wissenschaftlichen Vorträge hatte er sich einen und alles das in einer ebenso lichtvollen, Namen gemacht. Dank seiner umfangreichen wie liebenswürdigen und humorgewürzten Publikations- und Vortragstätigkeit war er Art, so ist es nicht verwunderlich, daß Mitglied in angesehenen wissenschaftlichen Kirchhoff der bekannteste und populärste Vereinigungen. Er war Ehrenmitglied unter den deutschen Hochschulgeographen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig, wurde.“ Die Kritik der Saale-Zeitung, die korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft auch von einem Teil der Fakultätsmitglieder für Erdkunde zu Berlin und gehörte der geteilt worden war, Kirchhoff hätte so gut Gesellschaft Deutscher Naturforscher wie keine Veröffentlichungen aus seinem und Ärzte, der Leopoldina sowie der zukünftig zu vertretenden Fach aufzuweisen, Naturforschenden Gesellschaft zu Halle an. hat dieser in den 31 Jahren seines Wirkens Fünf Tage nach seiner Wahl zum Vorsitzenden gründlich korrigiert. Aus seiner Feder des Vereins für Erdkunde zu Halle wandte er stammen an die 200 Schriften, hinzu kommen sich am 18.03.1873 – eine Woche vor der Hunderte von Rezensionen geographischer entscheidenden Sitzung der Philosophischen Schriften. 1877 rief er die Mitteilungen des Fakultät – mit einem Brief an den Kurator Vereins für Erdkunde zu Halle a. S. als erste Roedenbeck. Darin bot er sich für die in hallesche geographische Fachzeitschrift ins Gründung befindliche Geographie-Professur Leben, die er bis 1904 als Herausgeber und als Kandidat an und berief sich dabei auf Vereinsvorsitzender leitete. Roedenbecks Vorgänger Carl Moritz von Die Saale-Zeitung gab schon bald nach Beurmann51. Kirchhoffs Amtsantritt ihre gegen ihn Der wörtliche Text des Briefes lautet: „Dem gerichtete zweifelnde Haltung auf und Vernehmen nach wird gegenwärtig die in wandelte sich zu einem Sympathisanten des wissenschaftlichen geographischen Kreisen Professors. längst ersehnte Einrichtung eines Lehrstuhls für Erdkunde an der hiesigen Universität 5. Die Bewerbung Otto Ules auf den Geo- beabsichtigt. Da ich nun seit einer langen graphie-Lehrstuhl Reihe von Jahren mich speciell mit dem Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 15

Studium dieser Wissenschaft beschäftigt und Eigenwerbung war ein Bruch akademischer für meine Leistungen auf diesem Gebiete Regeln, und dies in zweifacher Hinsicht. Er auch einige Anerkennung gefunden habe, da schlug nicht nur sich selbst als geeigneten ich überdies Ihrem hochverehrten Vorgänger Berufungskandidaten vor, sondern nannte Herrn Oberpräsidenten v. Beurmann wie- auch noch seine Gutachter (die ihm zweifel- derholt das von ihm gewünschte Versprechen los wohlwollend gesonnen waren), von denen gegeben habe, mich für den Fall der nur einer (Peschel) Geograph war. Somit war Errichtung eines solchen Lehrstuhls zur Ules Vorstoß von vornherein zum Scheitern Annahme desselben bereit zu zeigen; so verurteilt. Weder bei der Kandidatenaus- glaube ich mich verpflichtet, auch jetzt mich wahl der Vorbereitungskommission noch in Euer Hochwohlgeboren, wie der hiesigen der entscheidenden Fakultätssitzung fiel sein philosophischen Facultät – für den Fall, daß Name. Ules Brief hatte Kurator Roedenbeck meine Dienste gewünscht werden möchten einen Tag nach dem Empfang (20.03.) mit – zur Verfügung zu stellen. Ich weiß freilich dem Vermerk „Ad acta“ am 21.03. versehen nicht wie weit etwa Verhandlungen mit (UAHW, Rep. 6, Nr. 334, Bl. 281). Das kurze andern Gelehrten bereits angeknüpft oder Zwischenspiel eines Eigenberufungsversuchs geschehen sind, und da ich durchaus in war beendet. Ob Roedenbeck den Dekan und keiner Weise lästig fallen möchte, so stelle die Fakultätsmitglieder davon in Kenntnis ge- ich vertrauensvoll Euer Hochwohlgeboren setzt hat, ist nicht bekannt. In den Akten des ganz anheim, welchen Gebrauch Sie von Universitätsarchivs ist über den Vorgang mit meiner Erklärung machen wollen. Nur Ausnahme des Ule-Briefs nichts vorhanden. das glaube ich noch versichern zu dürfen, Ob und wie weit sich die Nachricht über daß, wenn mir die Ehre einer Berufung zu Ules Verstoß gegen die Berufungsregeln Theil werden sollte, ich, wie ich es bisher an der Universität und darüber hinaus in in allen Verhältnissen gewohnt war, meine der Stadt verbreitet hat, lässt sich heute ganze Kraft den übernommenen Pflichten nicht mehr feststellen. Sein guter Ruf als zuwenden würde, und daß ich jede andre Wissenschaftler und als Vorsitzender des mir noch so lieb gewordene Thätigkeit vor halleschen Erdkundevereins nahm durch der academischen Lehrthätigkeit, die mir als diesen Fauxpas jedenfalls keinen Schaden. höchster und ehrenvollster Beruf gilt, würde Bei den alljährlichen Vorstandswahlen des zurücktreten lassen. Ueber meine Befähigung Vereins von 1874 – 1876 wurde er dreimal wie über meine bisherigen Leistungen auf zum Vorsitzenden wiedergewählt und er blieb dem Gebiete der Erdkunde würden übrigens es bis zu seinem tragischen Unfalltod im die geographischen Gesellschaften in Berlin August 1876. Sein Stellvertreter war ab 1874 und Leipzig, besonders die letztere, der ich Alfred Kirchhoff. Die Zusammenarbeit seit lange als Ehrenmitglied angehöre, so wie zwischen beiden verlief reibungslos. Ihr deren Vorsitzende, die Herren Professoren persönliches Verhältnis war von gegenseitiger Bastian52, Hartmann53, Bruhns54, Peschel55 Achtung geprägt. gewiß die bereitwilligste Auskunft geben.“ (Originalbrief: UAHW, Rep. 6, Nr. 334, Bl. 6. Der erste Lehrstuhlinhaber Alfred 281). Kirchhoff Ules wissenschaftliche Leistungen (die Kirchhoff wirkte 31 Jahre – vom Win- allerdings hauptsächlich auf populärwis- tersemester 1873/74 bis zum Sommersemester senschaftlichem Gebiet lagen) waren unter 1904 – an der halleschen Universität. Als Fachleuten und Bildungsbürgern unbestrit- er am 01.10.1873 sein Lehramt antrat, fehl- ten und auch den Fakultätsmitgliedern, von te es an allem, was für die akademische denen mehrere in der Mitgliederliste des Erd- Ausbildung von Geographen notwendig war. kundevereins standen, bekannt. Aber seine Hauptsächlich mangelte es an Lehrmitteln und 16 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Unterrichtsräumen. Von Beginn an wandte stand in dem neuen Gebäude ausreichend er viel Energie für die Beschaffung von Raum zur Verfügung. Büchern, Karten, Atlanten und Wandkarten Als Hochschullehrer zeichnete sich Kirch- auf, die den Kern der „Geographischen hoff dadurch aus, dass er über eine vielseitige Sammlung“ bildeten (später kamen diverse natur- und geisteswissenschaftliche Bildung Anschauungsmittel, wie Landschaftsbil- verfügte, ein hervorragender Didaktiker und der und ethnographische Schautafeln und Pädagoge war und eine außergewöhnliche, Einzelstücke, hinzu). Die für den Bücher- den Zuhörer packende rhetorische Begabung und Kartenkauf zugewiesenen Finanzmittel besaß. Seine öffentlichen Vorlesungen waren äußerst bescheiden. So manches Ge- wurden in zunehmendem Maße auch von schenk befreundeter einheimischer Spender Studierenden anderer Fächer und Fakultäten und von ihren Expeditionen zurückgekehrter und sogar von Professoren besucht. Unter Forschungsreisender trug dazu bei, den seinen Studenten und Doktoranden findet „Geographischen Apparat“ zu bereichern. In man eine Reihe prominenter Namen. Ein räumlicher Hinsicht fristete die Geographie Dutzend späterer Inhaber von Geographie- – nominell und rechtlich dank Kirchhoffs Lehrstühlen haben bei ihm studiert. Zu Initiative vom „Lehrstuhl für Erdkunde“ seinen 77 Doktoranden zählten der Gothaer zum „Seminar für Erdkunde“ im Herbst Kartograph Hermann Haack56, der Me- 1885 aufgewertet – ein sehr bescheidenes teorologe Richard Assmann57 und der Dasein. In den ersten 30 Jahren befand schwedische Asienforscher Sven Hedin58. sich die Geographie im 2. Obergeschoss Hauptanliegen Kirchhoffs in der Lehre des Löwengebäudes (damals „Haupt- und war die Ausbildung von Geographielehrern Aulagebäude“). Zunächst war es nur möglich, für höhere Schulen. Er legte Wert auf eine einige Wandschränke mit Lehrmaterial auf solide fachliche (bes. länderkundliche) und dem frei zugänglichen Korridor aufzustellen. zugleich fundierte didaktisch-methodische Später kamen der Hörsaal XIII und ein schma- Ausbildung der Studenten. Dem zweiten Ziel les Zimmerchen (ehemaliger Karzerraum) dienten (neben den üblichen länderkundlichen für die Unterbringung weiterer Teile der in- Fachvorträgen) die Einführung von unter- zwischen angewachsenen Geographischen richtsorientierten sog. Schulvorträgen der Sammlung hinzu. 1891 bekam das Seminar Studenten und das Kartenzeichnen. Der für Erdkunde zwei Räume, die für Seminare Erfolg zeigte sich in einer größer werdenden und das Kartenzeichnen der Studenten genutzt Hörerzahl, obwohl Geographie lange Zeit kein wurden (der heutige „Historische Hörsaal“). Anstellungsfach für Lehramtsabsolventen an Die Vorlesungen fanden im Hörsaal XII, ab Schulen war. Studenten, deren Interesse der 1892 in dem größeren Hörsaal XIII (dem geographischen Feldforschung galt, empfahl „geographischen Auditorium“) statt. Trotz Kirchhoff den zusätzlichen Besuch anderer dieser kleinen Fortschritte herrschte weiterhin Universitäten, besonders der hervorragenden Platzmangel. Kirchhoff blieb nach wie geomorphologischen Schule Ferdinand vor nichts weiter übrig, als einen Teil der von Richthofens59 in Berlin. Allen seinen seminareigenen Bücher und Karten in seiner Studenten riet er nachdrücklich, geologische Privatwohnung unterzustellen und dort auch Vorlesungen in Halle zu besuchen und an Lehrveranstaltungen abzuhalten. Gegen Ende geologischen Exkursionen teilzunehmen. Er 1903 zog das Seminar für Erdkunde in das selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen neu errichtete Melanchthonianum (damals keine Exkursionen durchführen. Bis 1878 „Auditorien- und Seminargebäude“) um, wo lag die gesamte Lehrtätigkeit bei Kirchhoff. es drei Souterrainräume im Schulstraßenflügel Dann bekam er Unterstützung von den bekam. Nun erst, in seinem letzten Amtsjahr, Privatdozenten, die sich bei ihm habilitiert hatte Kirchhoff ein eigenes Dienstzimmer. hatten: Rudolf Credner60 (ab 1878), Für Vorlesungen, Seminare und Übungen Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 17

Richard Lehmann61 (ab 1881), Willi Ule62 Mitautor), seine Schulbücher „Erdkunde (ab 1889) und Adolf Schenck63 (ab 1890). für Schulen“ (2 Teile, 1892/93, 14. Aufl. Kirchhoffs wissenschaftliche Arbeits- 1908) und die zusammen mit seinem gebiete waren die Theorie der Geographie64, Kollegen Siegmund Günther65 verfasste die geographische Landeskunde Deutsch- „Didaktik und Methodik des Geographie- lands (deutsche Landeskunde genannt), Unterrichts“ (1895, 2. Aufl. 1906). Trotz die Länderkunde Europas und die Schul- der uneingeschränkten Anerkennung dieser geographie. Er hat weder geographische Werke durch die Fachwelt und ihrer weit Feldforschung betrieben noch größere For- verbreiteten Verwendung in der Schulpraxis schungsreisen unternommen. Dies hätte seine (auch im Ausland) blieb Kirchhoff seinem schwache körperliche Konstitution nicht reformorientierten Engagement für die zugelassen. Hinzu kam, dass er als Folge Schulgeographie in Deutschland zu seinen einer Operation in jungen Jahren das rechte Lebzeiten nur ein Teilerfolg beschieden. Auge verloren hatte, wodurch seine Sehkraft Kirchhoffs zweite Wirkungsstätte war empfindlich eingeschränkt war. Er fand der Verein für Erdkunde zu Halle a. S. (ab seinen anerkannten Platz unter den deutschen 1881 Thüringisch-Sächsischer Verein für Hochschulgeographen als Autor, Bibliograph, Erdkunde), den er ab 1876, vorbildlich Initiator und Editor wissenschaftlicher Werke unterstützt durch seinen Stellvertreter Karl in allen vier Arbeitsgebieten. Zur Theorie der Freiherr von Fritsch, als Vorsitzender leite- Geographie schrieb er in den 70er Jahren ein te. Oberstes Ziel war die Popularisierung der knappes Dutzend Aufsätze. Danach wandte Geographie und ihrer Nachbarwissenschaften er sich anderen Forschungsschwerpunkten in der heimischen Bevölkerung. Dank zu. Länder- und landeskundliche Werke, die Kirchhoffs unermüdlichem Einsatz gelang unter Kirchhoffs Namen (als Herausgeber es binnen weniger Jahre, den ursprünglichen und als Mitautor) erschienen sind, waren: Lokalverein zu einem die gesamte Provinz „Länderkunde von Europa“ (5 Bde., 1887 – Sachsen umschließenden Regionalverein 1907), „Anleitung zur deutschen Landes- und mit Halle als Zentrum und mehreren sog. Volksforschung“ (1889), „Archiv für Landes- Zweigvereinen auszubauen. Das führte zu und Volkskunde der Provinz Sachsen nebst einem sprunghaften Anstieg der Neueintritte. angrenzenden Landesteilen“ (jährlich, 1891 1885 erreichte die Mitgliederzahl mit 556 – 1904), „Bibliothek der Länderkunde“ (11 eingetragenen Personen ihren Höhepunkt Teile, 1898 – 1902) sowie „Bericht über die (bei der Übernahme des Vereinsvorsitzes neuere Literatur zur deutschen Landeskunde“ durch Kirchhoff waren es 104 Mitglieder). (3 Bde., 1901 – 1906). Seine wichtigste Im Zentrum der Vereinsarbeit standen die Leistung für die geographische Landeskunde regelmäßig stattfindenden Vorträge mit Deutschlands war die Mitbegründung und die einem breit gefächerten Themenspektrum. langjährige Herausgabe der Publikationsreihe Kirchhoff selbst ging mit gutem Beispiel „Forschungen zur deutschen Landes- und voran. Er stand 86mal am Rednerpult. Volkskunde“ zwischen 1888 und 1907 (15 Außerdem schrieb er Beiträge in den Bände), die noch bis heute unter dem Titel Mitteilungen des Erdkundevereins und äußer- „Forschungen zur deutschen Landeskunde“ te sich öfters in der halleschen Tagespresse erscheint. In der Schulgeographie setzte zu aktuellen geographischen Themen. Dank Kirchhoff als engagierter Autor deutliche seiner guten persönlichen Beziehungen zu Zeichen. Innerhalb von 13 Jahren erschienen vielen Fachkollegen gelang es ihm immer seine „Schulgeographie“ (1882, 13. Aufl. wieder, ein attraktives Vortragsprogramm 1908; ein Handbuch für Lehrer), der zu präsentieren, in welchem der Auftritt „Schulatlas für die Oberclassen höherer prominenter Forschungsreisender die Höhe- Lehranstalten“ (1884, 50. Aufl. 1906; er war punkte markierten. Eine weitere Absicht 18 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Kirchhoffs war es, die Vereinsmitglieder der erste Ordinarius dieser Fächerverbindung mit ihrer Heimatprovinz wissenschaftlich an einer deutschen Universität. bekannt zu machen. Dazu dienten die 3 Im Lektionskatalog des Wintersemesters durch ihn eingeführten, Jahr für Jahr 1873/74 sind für Kirchhoff drei Vor- stattfindenden Exkursionen in ein engeres lesungen ausgewiesen: Geographie der mitteldeutsches Gebiet, die unter der Leitung außereuropäischen Erdtheile (privatim, 4 ausgewiesener Kenner der Vor-Ort-Situation Std.), Geognostisch-geographische Ueber- standen. Des Weiteren gehörte zu jedem sicht über Deutschland (privatim, 3 Std.), Programm der Jahreshauptversammlungen Ausgewählte Capitel der physischen Erd- des Vereins, die an jährlich wechselnden kunde (publice, 1 Std.). Orten durchgeführt wurden (sie hießen 4 Gottfried Bernhardy (1800 – 1875): deshalb Wanderversammlungen), eine von Altphilologe. 1829 – 1875 ordentlicher Ortskennern geführte Exkursion in die Professor für Klassische Philologie an Umgebung des jeweiligen Tagungsortes. der Universität Halle und 1844 – 1875 Wie die Vorträge erfreuten sich auch die Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek. vom Verein angebotenen Exkursionen großer Vom 12.07.1873 – 12.01.1874 Dekan der Beliebtheit unter den Mitgliedern. Nach Philosophischen Fakultät. 28 Jahren unermüdlichen Einsatzes trat 5 Kirchhoff im Mai 1904 wegen seines sich Rektor war vom 12.07.1873 – 12.07.1874 verschlechternden gesundheitlichen Zustands Rudolf Haym (1821 – 1901). Er war von vom Vereinsvorsitz zurück. Unter seiner 1851 – 1860 Privatdozent, 1860 – 1868 Leitung erlebte der hallesche Erdkundeverein außerordentlicher Professor, 1868 – 1901 seine erste und längste Blütezeit (weiteres zu ordentlicher Professor für Deutsche Kirchhoff vgl. Ule 1907, Biereye 1926, Literaturgeschichte an der Universität Halle. 6 Schlüter 1952, Krause 2007). Carl Ritter (1779 – 1859): Geograph. 1820 – 1825 außerordentlicher Professor, 7. Anmerkungen 1825 – 1859 ordentlicher Professor für Erd-, 1 Dies war damals der Name der Universität Länder-, Völker- und Staatenkunde. Er war Halle. Sie führte im Laufe ihrer Geschichte der erste ordentliche Professor für Geographie drei Namen: Friedrichs-Universität Halle an der Universität Berlin und zugleich in (12.07.1694 – 21.06.1817), nach der Ver- Deutschland. einigung mit der Universität Wittenberg (der 7 Heinrich Kiepert (1818 – 1899): Geo- Leucorea) Vereinigte Friedrichs-Universität graph und Kartograph. 1859 – 1874 außer- Halle-Wittenberg (21.06.1817 – 10.11.1933), ordentlicher Professor, 1874 – 1899 or- für beide Zeitabschnitte wurde auch die dentlicher Professor für Geographie an der latinisierte Bezeichnung Fridericiana ver- Universität Berlin. wendet, und seit dem 10.11.1933 Martin- 8 Oscar Peschel (1826 – 1875): Geograph Luther-Universität Halle-Wittenberg. und Ethnologe. 1871 – 1875 ordentlicher 2 Es sei darauf hingewiesen, dass an der Professor für Geographie an der Universität halleschen Universität vor Kirchhoff schon Leipzig. einmal eine Geographie-Professur über ein 9 Hermann Guthe (1825 – 1874): Geo- Vierteljahrhundert existiert hat. Allerdings graph. Febr. 1873 – Jan. 1874 ordentlicher betrug der zeitliche Abstand zwischen der Professor für Geographie am Polytechnikum Errichtung beider Lehrstühle 70 Jahre. Der München. „Vorgänger“ Kirchhoffs hieß Johann 10 Heinrich Girard (1814 – 1878): Geo- Samuel Ersch (1766 – 1828). Er war von loge und Mineraloge. 1844 – 1849 Privatdo- 1803 – 1828 ordentlicher Professor für Geo- zent für Mineralogie an der Universität Ber- graphie und Statistik in Halle und zugleich lin, 1849 – 1853 außerordentlicher Professor, Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 19

1853 – 1854 ordentlicher Professor für Mi- phischen Fakultät. neralogie und Geognosie an der Universität 17 Die damals in Preußen üblichen Be- Marburg, 1854 – 1878 ordentlicher Professor rufungsverfahren unterschieden sich von für Mineralogie an der Universität Halle. den heutigen u. a. dadurch, dass eine zu 11 Ernst Dümmler (1830 – 1902): Histo- besetzende Professorenstelle nicht öffentlich riker (Mediävist). 1855 – 1858 Privatdozent, ausgeschrieben wurde, für die man sich dann 1858 – 1866 außerordentlicher Professor, bewarb. Vielmehr war – wie im vorliegenden 1866 – 1888 ordentlicher Professor für Ge- Fall – die Suche und die anschließende schichte und Historische Hilfswissenschaften Nominierung der (des) Kandidaten für an der Universität Halle, 1888 – 1902 Vorsit- die Vorschlagsliste (Berufungsliste) eine zender der Zentraldirektion der Monumenta Aufgabe der betreffenden Fakultät. Alle Germaniae Historica in Berlin. stimmberechtigten Fakultätsmitglieder konn- 12 Johann Eduard Erdmann (1805 – ten Berufungskandidaten vorschlagen, von 1892): Philosoph. 1836 – 1839 außerordentli- denen maximal drei Personen nach Diskus- cher Professor, 1839 – 1892 ordentlicher sion und anschließender Abstimmung aus- Professor für Philosophie an der Universität gewählt wurden. Die Kandidaten wurden Halle; vom 12.07.1871 – 12.01.1872 Dekan dabei zu keinem Zeitpunkt persönlich in das der Philosophischen Fakultät. Geschehen einbezogen. Zur Urteilsfindung 13 Rudolf Roedenbeck (1822 – 1891): Ju- konnten externe Gutachter zusätzlich heran- rist, Geheimer Oberregierungsrat, D. theol. gezogen werden. Der Unterrichtsminister h. c. (Marburg 1871). 1871 – 1883 Kurator entschied dann, welcher der Nominierten von der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle- ihm zum Ordinarius oder Extraordinarius Wittenberg. Kurator: Als Beauftragter des berufen wurde. Er konnte aber auch, ohne die Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Fakultät einzubeziehen, die Professorenstelle Medicinal-Angelegenheiten war er staatli- mit einem anderen Kandidaten seiner Wahl cher Aufsichtsbeamter über die Verwaltung besetzen. So hat er – nachdem der Kurator des Vermögens der Universität und ihrer Kas- Roedenbeck im Sommer 1873 einen Antrag sen sowie Vertreter der Universität in ihren für die Einrichtung eines Extraordinariats (als Rechtsgeschäften und -streitigkeiten (heutige Ersatz für den schwer erkrankten Ordinarius Dienstbezeichnung: Kanzler). Der Kurator Heinrich Girard) gestellt hatte – über die konnte auch Einfluss auf Berufungen von Besetzung des im folgenden Herbst neu Professoren in den Fakultäten und beim Un- errichteten Extraordinariats für Mineralogie terrichtsministerium nehmen. und Geognosie durch Karl Freiherr von 14 Fritsch allein entschieden (was den Protest Heinrich Wilhelm Heintz (1817 – der Philosophischen Fakultät, die sich 1880): Chemiker und Pharmazeut. übergangen fühlte, auslöste; vgl. UAHW, 1850 – 1855 außerordentlicher Profes- Rep. 21, Nr. 542, Bl. 65, 67 – 69, 72, 78, 105). sor, 1855 – 1880 ordentlicher Professor 18 für Chemie an der Universität Halle; vom Unter fachlicher Kompetenz verstand 12.01. – 12.07.1872 Dekan der Philoso- man in der Fakultät, dass der Kandidat phischen Fakultät. – dem damaligen Verständnis über Geo- 15 graphie entsprechend – in der Lage sein Hartke (1969, S. 51) schreibt, dass musste, das Humboldtsche geographische die Zusage Guthes für das Polytechnikum Forschungswerk mit der Ritterschen Me- München vom 21.02.1873 datiert. thode (Einbeziehung des Menschen in die 16 Eduard Heine (1821 – 1881): Mathe- Geographie) zu verknüpfen (UAHW, Rep. 21, matiker. 1856 – 1881 ordentlicher Profes- Nr. 541, Bl. 102). Damit verbunden war die sor für Mathematik an der Universität Halle; Forderung nach Kenntnissen zum Stand der in vom 12.01. – 12.07.1873 Dekan der Philoso- vollem Gange befindlichen Diskussion über 20 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Gegenstand und Methode der Geographie als 1868 Mitglied und von 1872 – 1873 Präsi- wissenschaftliche Disziplin. dent des Frankfurter Vereins für Geographie 19 Julius Zacher (1816 – 1887): Germa- und Statistik. Er wurde – ohne Beteiligung nist. 1854 – 1856 Privatdozent, 1856 – 1859 der Philosophischen Fakultät – vom preußi- außerordentlicher Professor, 1863 – 1887 or- schen Unterrichtsminister zum Winterseme- dentlicher Professor für Deutsche Philologie ster 1873/74 (also zeitgleich mit Kirchhoff) an der Universität Halle (1859 – 1863 war an die Universität Halle berufen und war hier er Ordinarius für Deutsche Philologie an der 1873 – 1876 außerordentlicher Professor für Universität Königsberg [russ. Kaliningrad]). Mineralogie und Geognosie, 1876 – 1906 20 1873 gab es an den deutschen Hochschu- ordentlicher Professor für Geologie, Paläon- len sieben Professoren mit geographischer tologie, Mineralogie und Petrographie sowie Lehrtätigkeit: Johann Eduard Wappäus/ 1876 – 1906 stellvertretender Vorsitzender Göttingen (geb. 1812, ab 1854 Ordinarius für des Vereins für Erdkunde zu Halle a. S. (ab Geographie und Statistik), Carl Neumann/ 1881 Thüringisch-Sächsischer Verein für Breslau [poln. Wroclaw] (geb. 1823, ab Erdkunde). 1865 Ordinarius für Geographie und Alte 23 Georg Gerland (1833 – 1919): Alt- Geschichte), Oscar Peschel/Leipzig (geb. philologe, Linguist, Ethnologe und Geo- 1826, ab 1871 Ordinarius für Geographie), graph. Ab 1856 Gymnasiallehrer in Kassel, Hermann Guthe/München (geb. 1825, ab Hanau, Magdeburg (1858 – 1870) und 1870 1873 Ordinarius für Geographie), Ferdinand – 1875 Oberlehrer (mit Professorentitel) am Heinrich Müller/Berlin (geb. 1805, ab Stadtgymnasium in Halle. Er wurde 1875 1845 Extraordinarius für Geographie), ordentlicher Professor für Geographie und Heinrich Kiepert/Berlin (geb. 1818, ab Ethnographie an der Universität Straßburg 1859 Extraordinarius für Geographie, und war ein Mitbegründer der Geophysik speziell Historische Geographie), Robert (1887 Gründer und Herausgeber von: von Schlagintweit/Gießen (geb. 1833, Gerlands Beiträge zur Geophysik). Asienforscher, ab 1864 Extraordinarius für 24 Alfred Kirchhoff (1838 – 1907): Geo- Geographie). graph und Schulgeograph. Ab 1861 Lehrer 21 Richard Andree (1835 – 1912): Eth- in Mülheim (Ruhr), Erfurt und 1865 – 1873 nologe, Volkskundler, Kartograph und Oberlehrer (1873 mit Professorentitel) an der Geograph. 1859 – 1864 Hüttenbeamter in Luisenstädtischen Gewerbeschule in Berlin, Böhmen, seit 1864 Privatgelehrter, wissen- 1871 – 1873 Dozent für Allgemeine Erd- schaftlicher Autor und Journalist in Leip- kunde an der Königlich Preußischen Kriegs- zig, (ab 1890) und München akademie in Berlin, 1873 – 1904 ordentlicher (1904 – 1912), 1873 – 1890 Leiter der Kar- Professor für Geographie an der Universität tographischen Anstalt des Verlages Velha- Halle sowie 1876 – 1904 Vorsitzender des gen & Klasing in Leipzig. Vereins für Erdkunde zu Halle a. S. (ab 1881 22 Karl Freiherr von Fritsch (1838 – Thüringisch-Sächsischer Verein für Erd- 1906): Geologe, Paläontologe und Minera- kunde, dessen Ehrenvorsitzender Kirchhoff loge. 1863 – 1866 Privatdozent für Mineralo- ab 1904 war). gie, Geologie und Physische Geographie an 25 Hermann Wagner (1840 – 1929): der Eidgenössischen Polytechnischen Schule Geograph, Schulgeograph und Statistiker. Zürich (heute ETH) und 1864 – 1866 auch an 1864 – 1876 Gymnasiallehrer in Gotha, der Universität Zürich, 1867 – 1873 Dozent 1868 – 1876 zugleich Mitarbeiter bei der für Geologie und Mineralogie und „arbei- dortigen Geographischen Anstalt Justus tendes“ Mitglied (1872/73 2. Direktor) in der Perthes. Er wurde 1876 ordentlicher Pro- Senckenbergischen Naturforschenden Ge- fessor für Geographie an der Universität sellschaft in Frankfurt am Main sowie seit Königsberg [russ. Kaliningrad] und war Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 21

anschließend von 1880 – 1920 Geographie- sität Marburg, 1848 – 1862 außerordentlicher Ordinarius an der Universität Göttingen. Professor, 1862 – 1864 ordentlicher Professor 26 Geographie gehörte bei keinem der fünf für Philosophie daselbst. Er las u. a. über An- Berufungskandidaten zu ihren Studien- thropologie und gilt als einer ihrer Begründer. fächern. Sie alle waren in dieser Disziplin 31 Kirchhoff hat zwar bis zu seinem Autodidakten. Amtsantritt im Herbst 1873 keinen weiteren 27 Johann Justus Rein (1835 – 1918): geographischen Aufsatz verfasst, er schrieb Geograph. Ab 1866 Mitglied (1868 – 1870 aber bereits seit 1870 für die Zeitschrift für u. 1872/73 Direktor) der Senckenbergischen das Gymnasialwesen sechs Besprechungen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt über kartographische (3), schulgeographische am Main, 1876 – 1883 ordentlicher Professor (2) und geographische (1) Werke, die mit für Geographie an der Universität Marburg, zusammen 43 Druckseiten z. T. Aufsatzfor- 1883 – 1910 desgl. in Bonn. mat besaßen. 28 Ernst Behm (1830 – 1884): Geograph. 32 Hermann Adalbert Daniel (1812 – 1856 – 1884 Mitarbeiter in der Geographi- 1871): Schulgeograph. 1834 – 1870 Leh- schen Anstalt Justus Perthes in Gotha; 1866 rer (ab 1854 mit Professorentitel) am Begründer des Geographischen Jahrbuchs, Königlichen Pädagogium der Francke- 1872 – 1882 gemeinsam mit Hermann Wag- schen Stiftungen in Halle; Autor schul- ner Autor der Publikationsreihe „Die Be- geographischer Lehrbücher, die in Deutsch- völkerung der Erde“ (1. - 7. Teil), erschienen land weite Verbreitung fanden. Die nach in den Ergänzungsheften zu Petermanns Mit- Daniels Tod (1871) von Kirchhoff neu teilungen. bearbeiteten und ab 1872 (bis 1884 bzw. 1885) 29 Die enge Verbindung zwischen Geo- herausgegebenen Auflagen wurden in mehrere graphie und Ethnographie reicht bis ins 18. Sprachen übersetzt und auch in Schulen des Jahrhundert zurück. In Halle hielten zwischen europäischen Auslands verwendet. 1780 und 1800 der Geograph Johann Ernst 33 Hermann Bonitz (1814 – 1888): Altphi- Fabri (1755 – 1825), der Mineraloge Johann lologe, Pädagoge und Schulreformer in Reinhold Forster (1729 – 1798) und der Preußen. 1836 – 1848 Gymnasiallehrer in Historiker Matthias Christian Sprengel Dresden, Berlin und Stettin [poln. Szczecin], (1745 – 1803) Lektionen über Länder- und 1849 – 1867 ordentlicher Professor für Klas- Völkerkunde und sie verbanden auch in ihren sische Philologie an der Universität Wien, Publikationen beide Fächer miteinander. 1867 – 1875 Direktor des Gymnasiums zum Völkerkunde war 1825 sogar eines der Grauen Kloster und des königlichen Seminars Berufungsgebiete Carl Ritters (s. Anm. 5). für gelehrte Schulen in Berlin, 1875 – 1888 Heinrich Kiepert und Oscar Peschel waren Vortragender Rat im preußischen Unterrichts- zwar Geographie-Professoren, sie lasen aber ministerium. Bonitz war von 1869 – 1874 auch über Völkerkunde. Letzterer schrieb Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift 1873 das Standardwerk „Völkerkunde“. Es für das Gymnasialwesen (Berlin), in welcher wurde 1881 und 1885 von Kirchhoff neu Kirchhoff 1871 seinen Aufsehen erregenden bearbeitet und herausgegeben. Darüber hinaus Aufsatz „Zur Verständigung über die Frage hielt dieser ab 1887 Vorlesungen über „Neuere nach der Ritterschen Methode in unserer Ergebnisse der Erd- und Völkerkunde“. Auch Schulgeographie“ und sechs geographische bei vielen später berufenen Geographie- Rezensionen veröffentlichte. Professoren stand Völkerkunde mit auf dem 34 Karl Rudolf von Ollech (1811– Lehrprogramm. 1884): Preußischer General der Infante- 30 Theodor Waitz (1821 – 1864): Philo- rie. 1871 – 1877 Direktor der Königlich soph, Historiker, Anthropologe. 1844 – 1848 Preußischen Kriegsakademie in Berlin, an der Privatdozent für Psychologie an der Univer- Kirchhoff von 1871 – 1873 als Dozent für 22 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Allgemeine Erdkunde lehrte. Schlüter 1952, S. 473). 35 Bei der Abstimmung, ob Kirchhoff 41 Kirchhoff war nicht der direkte allein oder Kirchhoff und Gerland (als Nachfolger Carl Ritters als Geographie- Ersatzkandidat) auf die Vorschlagsliste für das Dozent an der Königlich Preußischen Unterrichtsministerium gesetzt werden sollen, Kriegsakademie in Berlin (1816 – 1859 hieß spielte außer fachlichen Aspekten noch eine sie Königliche Allgemeine Kriegsschule). Erfahrung der Fakultät aus vorangegangenen Nach Ritter (1820 – 1853) lehrte dort Berufungsverfahren eine Rolle. Dekan zunächst Ferdinand Heinrich Müller, Heine riet dringend zur Kandidatenliste mit 1845 – 1880 außerordentlicher Professor für Kirchhoff allein. Seine Begründung: Er Geographie an der Universität Berlin, von könne sich nicht erinnern, „daß jemals ein 1853 – 1871 das Fach. Ihm folgte von 1871 – primo loco Genannter, wenn noch Andere 1873 Kirchhoff als dritter Dozent. genannt werden, hierher berufen worden sei.“ 42 August Friedrich Pott (1802 – Der frühere Dekan Erdmann stimmte dem 1887): Sprachwissenschaftler. 1833 – 1838 aus eigener Erfahrung zu (UAHW, Rep. 21, außerordentlicher Professor, 1838 – 1887 Nr. 541, Bl. 74). ordentlicher Professor für Allgemeine 36 Ein ähnliches Bedenken ließ Sapper Sprachwissenschaft an der Universität Halle. (1935, S. 335) anklingen, wenn er Gerlands Er las auch über Ethnographie. 1845 war er Berufung auf den Straßburger Lehrstuhl Mitgründer der Deutschen Morgenländischen 1875) als ein gewagtes Experiment bezeich- Gesellschaft. nete, bei dem einem Ethnologen und Philolo- 43 Guthe meinte den personellen Wech- gen die geographische Professur übertragen sel im Ministerium der geistlichen, Unter- wurde. In Straßburg [frz. Straßbourg] gelang richts- und Medicinal-Angelegenheiten und das Experiment, in Halle entschied man sich die damit einhergehenden Veränderungen zwei Jahre zuvor gegen ein solches. im Ministerium. Am 22.01.1872 wurde der 37 Heine verwendete hier wahrscheinlich seit 1862 amtierende Minister Heinrich von für Kirchhoffs schulgeographischen Artikel Mühler (1813 – 1874) durch Adalbert und dessen sechs Rezensionen (vgl. Anm. 31) Falk (1827 – 1900) ersetzt, der bis 1879 das die zusammenfassende Bezeichnung „Auf- Ministerium leitete. sätze“. 44 Rudolf Virchow (1821 – 1902): 38 Es sind die beiden Beiträge Kirchhoffs Mediziner. 1856 – 1902 ordentlicher Profes- in den vom Thüringisch-Sächsischen sor für Pathologie und Anatomie an der Verein für Erforschung des vaterländischen Universität Berlin; 1862 – 1902 Abgeordneter Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale des preußischen Landtags. in Halle herausgegebenen Neuen 45 Theodor Mommsen (1817 – 1903): His- Mittheilungen aus dem Gebiet historisch- toriker (Alte Geschichte), Träger des No- antiquarischer Forschungen von 1869 (s. belpreises für Literatur (1902). 1861 – 1903 Literaturverzeichnis). ordentlicher Professor für Römische Alter- 39 Dies ist eine Behauptung, für die sich in tumskunde an der Universität Berlin; 1863 den genannten Schriften Kirchhoffs kein – 1866 und 1873 – 1879 Abgeordneter des einziger Nachweis findet. Es handelt sich um preußischen Landtags. rein historische Arbeiten, in denen nicht ein 46 Ihre Skepsis gegenüber der Geographie geographischer Gedanke zu finden ist. als selbständige universitäre Wissenschafts- 40 Damit ist die Behauptung Willi Ules, disziplin und ihre ablehnende Haltung ge- Kirchhoff wäre vom Minister „ohne Wissen genüber der Gründung neuer Geographie- und Willen der Fakultät“ nach Halle berufen Professuren an preußischen Universitäten worden, widerlegt (Ule 1907, S. 10; vgl. auch brachten Virchow und Mommsen wenige Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 23

Jahre später – am 09.03.1875 – in der De- bereits in ihrer Ausgabe vom 19.02.1873 (S. batte des preußischen Abgeordnetenhauses 182). Die Mitteilung des Dekans an seine um die Errichtung weiterer geographischer Fakultätskollegen über Guthes Rückzug da- Lehrstühle in Preußen zum Ausdruck. Die tiert vom 20.02.1873. Äußerungen der beiden Redner (Virchow 48 Guthe wurde nur an die Polytechnische war der Berichterstatter der Budgetkommis- Schule in München, nicht noch an die dortige sion) zu diesem Sachverhalt sind in wörtli- Universität berufen. chen Protokollen überliefert. (Schultz 1980, 49 Der Autor des Artikels wies mit S. 66). Wäre es nach ihnen gegangen, hätte dieser Bemerkung auf ein möglicherweise es gar keine Geographie-Professuren an den ausschlaggebendes politisches Motiv für preußischen Universitäten gegeben. Sie lehn- die abwartende Haltung der preußischen ten die Einführung der Geographie als neues Regierung zur Berufung Guthes hin. Dieser akademisches Unterrichtsfach ab und bezwei- hatte eine Zeit lang in persönlicher Verbindung felten, dass es überhaupt kompetente Kandi- zum hannoverschen Herrscherhaus der daten für diese Professuren gäbe. Zudem war Welfen gestanden, indem er 1863/64 die der Historiker Mommsen – wie damals noch Kinder des Königs Georg V. (1819 – viele seiner Fachkollegen – der Überzeugung, 1878; König v. Hannover 1851 – 1866) in die Geographie sei so stark in der Geschich- Geographie unterrichtete. Außerdem war er te bzw. der Staatskunde/Statistik verankert, ab 1863 als Dozent für Geographie an der dass eigene Lehrstühle für dieses Fach nicht Königlichen Kadettenschule in Hannover erforderlich seien. Die akademische Geogra- nebenamtlich tätig. Nach Ende des 1866 um phie-Ausbildung künftiger Lehrer sollte also die Vorherrschaft im künftigen Deutschen weiterhin von den Historikern (so nebenbei) Reich geführten Krieges zwischen Preußen, mit übernommen werden. Virchow empfahl Österreich und deren Verbündeten (sog. Geographielehrern, ihren geographischen Deutscher Krieg) gehörte das Königreich Bildungsmangel durch Selbststudium zu be- Hannover, welches auf Seiten Österreichs heben, denn es könne „diejenige Geographie, gestanden hatte, zu den Verlierern. Es wurde welche (…) den Lehrern an den Gymnasien im Oktober 1866 vom Sieger annektiert und als und Realschulen fehlt, jedermann aus guten Provinz Hannover dem Königreich Preußen Handbüchern vollkommen erlernen (…), einverleibt. Das weckte den Widerstand bei ohne dazu vorbereitet zu werden.“ (Zitat nach den Unterlegenen. Unter Führung der 1869 Schultz 1980, S. 67). Es fällt auf, dass Vir- gegründeten Deutsch-Hannoverschen Partei chow und Mommsen immer nur von einem („Welfenpartei“) wurde die Wiederherstellung Teil der Geographie (der späteren Anthropo- des Königreichs Hannover unter welfischer geographie) sprachen und dass sie damit die Herrschaft zum politischen Ziel erklärt. naturwissenschaftliche Geographie vollkom- Darauf bezog sich die vom Artikelschreiber men ignorierten. Ginge es nach ihnen, sollte in Klammern gesetzte, geschickt formulierte alles beim Alten bleiben. Eine schon zu die- Anmerkung. Mit aller Vorsicht deutete er an, ser Zeit als dringend erachtete Reform des dass möglicherweise seitens der preußischen Geographie-Unterrichts an den Schulen wie Regierung gegen Guthe – wegen seiner auch die Etablierung der Geographie als ei- früheren Nähe zum welfischen Herrscherhaus genständige Universitätsdisziplin für das – lange Zeit der Verdacht bestand, er sei ein Lehrerstudium hatten in ihren Vorstellungen Anhänger dieser pro-welfischen und damit keinen Platz. anti-preußischen Gesinnung. Das wäre aber 47 So erfuhren die Professoren der Philoso- mit der Stellung eines Professors in Preußen phischen Fakultät die Absage Guthes zuerst nicht vereinbar gewesen. Den Verdacht aus der Zeitung. Das Hallesche Tageblatt der preußischen Behörden könnten zudem meldete dies unter dem Datum des 18.02. noch einige Sätze Guthes aus dem Vorwort 24 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

seines Buches über die geographische Direktor der Sternwarte an der Universität Beschreibung des Königreichs Hannover Leipzig. Er war Mitglied und 1870 – 1879 (1867) gestützt haben: „Theilnehmende wird Vorsitzender des Vereins für Erdkunde zu es interessieren, daß dies Werk aus Vorträgen Leipzig. entstanden ist, die ich Sr. Königlichen 55 Der Geographie-Ordinarius Oscar Pe- Hoheit dem Kronprinzen Ernst August von schel war 1871 – 1875 stellvertretender Hannover in den Jahren 1863 und 1864 über Vorsitzender des Vereins für Erdkunde zu die Geographie unseres Landes hielt. Dem Leipzig. Andenken des liebenswürdigen Prinzen ist es 56 Hermann Haack (1872 – 1966): Kar- gewidmet.“ (Guthe 1867, S. VII). Wie dann tograph, Geograph und Schulgeograph. Guthes Berufung nach Halle (die allerdings 1893 – 1896 Studium der Geographie in Hal- zu spät kam) zeigte, erwies sich die wohl le (bei Kirchhoff), Göttingen (bei Wagner) aus Berliner Politiker- oder Beamtenkreisen und Berlin (bei v. Richthofen). 1897 – 1944 stammende Mutmaßung als nicht zutreffend. leitender Kartograph in der Geographischen 50 Otto Schlüter (1872 – 1959): Geo- Anstalt Justus Perthes in Gotha. Nach dem graph. 1906 – 1909 Privatdozent für Geo- Zweiten Weltkrieg war er bis 1954 in dem Go- graphie an der Universität Berlin (1906/07 thaer Verlag (ab 1955 VEB Hermann Haack auch an der Handelshochschule Berlin), Geographisch-Kartographische Anstalt Go- 1909 – 1911 desgl. an der Universität Bonn, tha) leitend tätig. Seine wissenschaftliche 1911 – 1938/1951 ordentlicher Professor für Hauptleistung war die Schaffung bzw. die Geographie an der Universität Halle. Neubearbeitung und Herausgabe von Atlan- 51 Carl Moritz von Beurmann (1802 ten, Globen, Schulatlanten und -wandkarten. – 1870): Jurist, Dr. phil. h. c. (Halle 1863). Er gründete mehrere geographische und kar- 1862 – 1870 Kurator der Vereinigten Fried- tographische Zeitschriften und rief 1912 den richs-Universität Halle-Wittenberg. Er war Verband Deutscher Schulgeographen ins – wie auch Ule – Mitglied des Vereins für Leben. 1948 – 1954 gab er Petermanns Geo- Erdkunde zu Leipzig und der Naturforschen- graphische Mitteilungen heraus. den Gesellschaft zu Halle. Beide kannten sich 57 Richard Assmann (1845 – 1918): Me- vom gemeinsamen Besuch der Vereinssitzun- teorologe und Klimatologe, Mitbegründer gen. Von Beurmann schätzte Ule wegen der Aerologie. 1885 – 1886 Privatdozent seiner geographischen Vorträge in beiden für Meteorologie und Klimatologie an Vereinen. der Universität Halle, ab 1886 wissen- 52 (1826 – 1905): Ethno- schaftlicher Oberbeamter am Preußischen loge. 1871 – 1899 außerordentlicher Profes- Meteorologischen Institut Berlin und sor, 1899 – 1905 Honorarprofessor für Eth- Privatdozent (1892 Titularprofessor) für nologie an der Universität Berlin. Er war Meteorologie an der dortigen Universität, Mitglied und 1872/73 Vorsitzender der Ge- 1899 Gründer des Aeronautischen Ob- sellschaft für Erdkunde zu Berlin. servatoriums in Berlin, 1905 – 1914 Direktor 53 Robert Hartmann (1831 – 1893): Me- des von ihm 1904 ebenfalls gegründeten diziner, Zoologe und Ethnologe. 1867 – 1893 Aeronautischen Observatoriums in Lindenberg außerordentlicher Professor für Anatomie an (Kreis Beeskow), 1914 – 1918 ordentlicher der Universität Berlin. Er war Mitglied und Honorarprofessor für Meteorologie an 1872/73 stellvertretender Vorsitzender der der Universität Gießen. Der promovierte Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Mediziner (1869) hospitierte, promovierte 54 Karl Christian Bruhns (1830 – 1881): und habilitierte 1885 bei Kirchhoff. Er ist Astronom und Meteorologe. 1860 – 1868 der Erfinder des Aspirations-Psychrometers, außerordentlicher Professor, 1868 – 1881 führte die Erforschung der Hochatmosphäre ordentlicher Professor für Astronomie und mittels Ballonaufstiegen ein und war der Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 25

Entdecker der Stratosphäre. der Seminarleitung der Ordinarien Alfred 58 Sven Hedin (1865 – 1952): Schwedischer Kirchhoff (1873 – 1904), Eduard Brück- Geograph und Forschungsreisender. Studium: ner (1904 – 1906) und Alfred Philippson 1886 – 1888 Geologie, Mineralogie und (1906 – 1911) statt. Er wurde 1907 als außer- Zoologie in Stockholm und Uppsala, 1889 ordentlicher Professor für Geographie (ab – 1890 und 1892 Geographie in Berlin (bei 1919 ordentlicher Professor) an die Univer- F. v. Richthofen), 1892 Fortsetzung des sität Rostock berufen und gründete dort 1911 Gegraphiestudiums in Halle und Promotion das Geographische Institut. bei Kirchhoff. Er unternahm zwischen 1893 63 Adolf Schenck (1857 – 1936): Geologe und 1935 vier Expeditionen nach Zentralasien und Geograph. 1889 – 1918 Privatdozent (u. a. Pamir, Tarimbecken, Lop Nur, Kunlun, (ab 1899 Titularprofessor), 1918 – 1922 Karakorum, Tibetisches Hochland, Trans- ordentlicher Honorarprofessor für Geographie himalaja/Hedin-Gebirge, Gobi). (hauptsächlich Länderkunde, Physische 59 Ferdinand von Richthofen (1833 Geographie und Kolonialgeographie) an der – 1905): Geologe und Geograph. 1875/ Universität Halle. Seine Lehrtätigkeit fand 79 – 1883 ordentlicher Professor für Geo- unter der Seminarleitung der Ordinarien graphie an der Universität Bonn, 1883 Alfred Kirchhoff (1873 – 1904), Eduard – 1886 desgl. an der Universität Leipzig, Brückner (1904 – 1906), Alfred Philippson 1886 – 1905 desgl. an der Universität Berlin. (1906 – 1911) und Otto Schlüter (1911 – Er war einer der Begründer der modernen 1938/1951) statt. Geographie in Deutschland. Sein „Führer für 64 Zur Zeit der Berufung Kirchhoffs Forschungsreisende“ (1886) war ein Stan- hatte die Geographie als wissenschaftliche dardwerk für Geographen und Geologen. Disziplin noch keine festen Konturen. In 60 Rudolf Credner (1850 – 1908): Geo- den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts loge und Geograph. 1878 – 1881 Privatdo- fand in Geographenkreisen eine breite zent für Geographie (hauptsächlich Physische Diskussion darüber statt, was denn Geographie) an der Universität Halle. Er Geographie als Wissenschaft sei, wie sie wurde 1881 als außerordentlicher Professor nach außen abzugrenzen wäre und welche für Geographie (ab 1891 ordentlicher Profes- historisch überkommenen Anschauungen sor) an die Universität Greifswald berufen noch Gültigkeit hätten. Zentraler Streitpunkt und war der Begründer der Geographie an war der Einfluss, den das theoretische dieser Universität. Fundament der Geographie Carl Ritters 61 Richard Lehmann (1845 – 1942): Geo- auf das neue Ideengebäude haben sollte. graph und Schulgeograph. 1881 – 1885 Die diskutierten Schwerpunkte des hier als Privatdozent für Geographie (hauptsächlich „Theorie der Geographie“ bezeichneten Physische Geographie und Schulgeographie) Themenkomplexes lassen sich mit folgenden an der Universität Halle. Er wurde 1885 als Stichworten umreißen: Forschungsgegenstand außerordentlicher Professor für Geographie und Methoden der Geographie, ihre (ab 1897 ordentlicher Professor) an die Theo- Untergliederung in Teilgebiete, ihre logische und Philosophische Akademie (ab Anwendungsbereiche sowie ihre Abgrenzung 1902 Universität) Münster berufen und war gegenüber den Naturwissenschaften und der Begründer der Geographie in Münster. der Geschichte. Mit der Klärung dieser 62 Punkte sollte die theoretische Basis für eine Willi Ule (1861 – 1940): Geograph, modernisierte Geographie (die man später als Sohn von Otto Ule. 1889 – 1907 Privat- „klassische Geographie“ bezeichnete) gelegt dozent (1897 Titularprofessor) für Geogra- werden. An dieser Diskussion beteiligte sich phie (hauptsächlich Physische Geographie Kirchhoff in den 1870er Jahren sehr lebhaft. und Länderkunde) an der Universität Hal- 65 le. Seine Lehrtätigkeit in Halle fand unter Siegmund Günther (1848 – 1923): Ma- 26 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

thematiker, Geograph und Schulgeograph. Gymnasial-Wesen, 25, 1: 10 – 35;. Berlin. 1873 – 1874 Privatdozent für Mathematik Kluckhohn, A. (1874): Hermann Guthe. an der Universität Erlangen, 1874 – Bericht ü. d. Kgl. Polytechn. Schule München 1876 Privatdozent für Geographie am f. d. Studienj. 1873 – 1874: 60 – 63; München. Polytechnikum (heute TU) München, 1886 Krause, K.-H. (2007): Zum einhundertsten – 1919 ordentlicher Professor für Geographie Todestag von Alfred Kirchhoff. Hallesches an der TU München. Jahrb. Geowiss., 29: 133 – 144, 1 Abb.; Halle 8. Literatur (Saale). Andree, R. (1912): Schriften von Richard Langhans, P. (1920): Schriften von Her- Andree 1860 – 1912. Zeitschr. Ethnologie, mann Wagner (1864 – 1920). Petermanns 44, I: 338 – 353; Berlin. Mitteilungen, 66: 118 – 122; Gotha. Biereye, J. (1926): Alfred Kirchhoff. In: Luedecke, O. (1906): Karl Freiherr von Hist. Komm. Prov. Sachsen u. Anhalt (ed.): Fritsch, Präsident der Akademie. Nekrolog. Mitteldeutsche Lebensbilder. 1: 357 – 375; Leopoldina, 42: 44 – 53, 1 Abb.; Halle. Magdeburg. Poser, H. (1966): Guthe, Hermann Adolph Gerland, G. (1869): Rede zur Gedächtniß- Wilhelm. Neue Dt. Biogr., 7: 342 – 343; feier Alexander von Humboldts. Abh. Natur- Berlin. wiss. Ver. Magdeburg, 1: 3 – 31; Magdeburg. Ratzel, F. (1879): Guthe, Hermann. Allg. Guthe, H. (1867): Die Lande Braunschweig Dt. Biogr., 10: 221; Leipzig. und Hannover. Mit Rücksicht auf die Nach- Sapper, K. (1919): Georg Gerland. Geogr. bargebiete geographisch dargestellt. 661 S.; Zeitschr., 25: 329 – 340; Leipzig u. Berlin. Hannover (Klindworth's Verlag). Schlüter, O. (1952): Die Errichtung des Hartke, W. (1969): Geographisches Insti- Lehrstuhls für Geographie an der Universität tut der Technischen Hochschule München. Halle und dessen erster Inhaber Alfred Kirch- In: Festschrift zur 100-Jahrfeier der Geogra- hoff. In: 450 Jahre Martin-Luther-Universität phischen Gesellschaft München 1869 – 1969. Halle-Wittenberg. Bd. II: 465 – 473, 1 Abb.; 1: 51 – 54; München. Halle. Kirchhoff, A. (1869): Erfurts Verfassungs- Schultz, H.-D. (1980): Die deutschspra- zustände im Mittelalter. Eine Kritik der chige Geographie von 1800 bis 1970. Ein Lambert'schen Ansichten. Neue Mittheilun- Beitrag zur Geschichte ihrer Methodologie. gen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Abh. Geogr. Inst. Anthropogeographie, 29; Forschungen, 12: 53 – 106; Halle u. Nordhau- FU Berlin. sen. Ule, W. (1907): Alfred Kirchhoff. Ein Le- Kirchhoff, A. (1869): Bemerkungen zu bensbild. 30 S.; Halle (Verlag der Buchhand- Lamberts Antikritik. Daselbst, 12: 554 – 559. lung des Waisenhauses). Kirchhoff, A. (1870): Die ältesten Wagner, H. (1872): Ueber die wichtig- Weisthümer der Stadt Erfurt über ihre Stel- ste Ursache der geringen Erfolge des geo- lung zum Erzstift Mainz. 314 S., 1 Kte.; Halle graphischen Unterrichts auf unsern höhern (Verlag der Buchhandlung des Waisenhau- Schulen. Zeitschr. math. u. naturwiss. Unter- ses). richt, 3: 95 – 113; Leipzig. Kirchhoff, A. (1870): Erfurt im dreizehnten Wagner, H. (1907): Aus den Anfängen der Jahrhundert. Ein Geschichtsbild. 168 S.; akademischen Vertretung der Erdkunde an Berlin (Mittler). deutschen Hochschulen. Geogr. Anzeiger, 8: Kirchhoff, A. (1871): Zur Verständigung 28 – 32; Gotha. über die Frage nach der Ritterschen Methode Wagner, H. (1910): Die Pflege der Geo- in unserer Schulgeographie. Zeitschr. graphie an der Berliner Universität im ersten Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 27

Jahrhundert ihres Bestehens, 1810 – 1910. Petermanns Mitteilungen, 56/II: 4, 169 – 176; Gotha. Wagner, H. (1928): Zur Erinnerung an Her- mann Guthe. Jahrb. Geogr. Ges. Hannover f. d. J. 1928: 17 – 27; Hannover. Waitz, W.: Anthropologie der Naturvölker. Mit Benutzung der Vorarbeiten des Verfas- sers fortgesetzt von Georg Gerland. T. 5: Die Völker der Südsee, 2. Abt.: Die Mikro- nesier und nordwestlichen Polynesier. Ethno- graphisch und culturhistorisch dargestellt. 230 S.; Leipzig 1870. T. 6: Die Völker der Südsee, 3. Abt.: Die Polynesier, Melanesier, Australier und Tasmanier. Ethnographisch und culturhistorisch dargestellt. 829 S., Leipzig 1872. Anonym (1875): Geographische Nekrologie des Jahres 1874. Hermann Guthe. Petermanns Mitteilungen, 21: 43; Gotha. Quellen für die biographischen Daten der in den Anmerkungen genannten Personen waren Personalakten des UAHW, die Chronik der Königlichen vereinigten Friedrichs- Universität Halle-Wittenberg, die Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), die Neue Deutsche Biographie (NDB) und die Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE) sowie einzelne Biographien und Nekrologe. Außerdem wurden verwendet: Hallesches Tageblatt. Amtliches Verord- nungsblatt für die Stadt Halle und den Saal- kreis. 74. Jg. (1873); Halle. Saale-Zeitung (Der Bote für das Saalthal). 7. Jg. (1873); Halle. Archivalien Universitätsarchiv Halle-Wittenberg (UAHW): Personal- und Vorlesungsverzeichnisse. UAHW, Rep. 4, Nr. 679. UAHW, Rep. 6, Nr. 334. UAHW, Rep. 21, Nr. 538. UAHW, Rep. 21, Nr. 539. UAHW, Rep. 21, Nr. 541. UAHW, Rep. 21, Nr. 542. 28 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Porträts der an der Lehrstuhlgründung 1871 – 1873 beteiligten Personen

Die Initiatoren

Abb 1: Ernst Dümmler Abb 2: Heinrich Girard

Der Berufungskandidat 1871 – 1873

Abb 3: Hermann Guthe Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 29

Die Berufungskandidaten 1873

Abb 4: Richard Andree Abb 5: Karl Freiherr von Fritsch

Abb 6: Georg Gerland Abb 7: Alfred Kirchhoff

Abb 8: Hermann Wagner 30 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Dekane

Abb. 9: Johann Eduard Erdmann Abb. 10: Heinrich Wilhelm Heintz

Abb. 11: Eduard Heine Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 31

Die Mitglieder der Vorschlagskommission

Abb. 12: Ernst Dümmler Abb. 13: Heinrich Girard

Abb. 14: Eduard Heine Abb. 15: Gottfried Bernhardy

Abb. 16: Julius Zacher 32 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Gutachter

Abb. 17: Heinrich Kiepert Abb. 18: Oscar Peschel

Abb. 19: Hermann Bonitz Abb. 20: Karl Rudolf von Ollech Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 33

Der Kurator Der Rektor

Abb. 21: Rudolf Roedenbeck Abb. 22: Rudolf Haym

Der Minister

Abb. 23: Adalbert Falk 34 Krause, K.-H.: Die Gründung des Lehrstuhls für Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Der erste Lehrstuhlinhaber

Abb. 24: Alfred Kirchhoff Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 39 (2017), 1-35 35

Bildnachweise des Anhangs (in der Reihenfolge der Abbildungen)

Ernst Dümmler: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 3, Bild 95, E. Dümmler Heinrich Girard: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Girard#/media/File:Heinrich_Gi- rard.jpg Hermann Guthe: TUM.Archiv der Technischen Universität München, Bestand Fotografie, Portrait Professoren TUM.Archiv. Fotobestand Prof. Hermann Guthe Richard Andree: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b2/PSM_V41_ D073_Richard_Andree.jpg Karl Freiherr von Fritsch: http://www.catalogus-professorum-halensis.de/fritschkarlfrei- herrvon.html Georg Gerland: http://musee-sismologie.unistra.fr/fileadmin/upload/Sismologie/Histo- rique/georg-gerland.jpg Alfred Kirchhoff: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 3, Bild 88, A. Kirchhoff Hermann Wagner: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Hand- schriften und Seltene Drucke, Sammlung Voit: Wagner, Hermann, Bild Nr.1 Johann Eduard Erdmann: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 3, Bild 132, J. E. Erdmann Heinrich Wilhelm Heintz: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 3, Bild 80, H. W. Heintz Eduard Heine: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 3, Bild 83, E. Heine Ernst Dümmler: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ludwig_Dümmler#/media/ File:Ernst_D%C3%BCmmler.jpg Heinrich Girard: Aus Privatbesitz. Eduard Heine: http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/history/Posters/316.html Gottfried Bernhardy: http://www.kulturfalter.de/index.php?id=gottfried-bernhardy Julius Zacher: UAHW, Rep. 40-I, Z 15, J. Zacher Heinrich Kiepert: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8453164n/f1.item Oscar Peschel: https://de.wikipedia.org/wiki/Oscar_Peschel#/media/File:Oscar_Ferdinand_ Peschel01.jpg Hermann Bonitz: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Bonitz#/media/File:Hermann_ Bonitz_-_Imagines_philologorum.jpg Karl Rudolf von Ollech: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Rudolf_von_Ollech#/media/ File:Karl_Rudolf_von_Ollech.jpg Rudolf Roedenbeck: UAHW, Rep. 40-I, R 29, R. Rödenbeck Rudolf Haym: UAHW, Rep. 40-VI, Nr. 1, Bild 063, R. Haym Adalbert Falk: http://osiek.info.pl/adalbert-falk Alfred Kirchhoff: Aus Privatbesitz.