MASTERARBEIT

Titel der Masterarbeit Die Abrechnung mit der jugoslawischen Idee in kroatischen und deutschen Publikationen

verfasst von Benjamin Schett

angestrebter akademischer Grad Master of Arts (MA)

Wien, 2014

Studienkennzahl lt. A 066 687 Studienblatt: Studienrichtung lt. Masterstudium Osteuropäische Geschichte Studienblatt: Betreut von: a.o. Univ.-Prof. Dr. Alojz Ivanišević Inhalt

1) Einführung S. 3 2) Der historische Revisionismus S. 4 3) Franjo Tuđmans „Bespuća povijesne zbiljnosti“ S. 5 3.1) Der „Mythos Jasenovac“ und Tuđmans Verhältnis zum Judentum S. 6 4.) Die „Versöhnung aller Kroaten“ (Pomirba) S. 13 4.1) „Svehrvatska pomirba“ unter Tuđman S. 19 5) Vorwürfe gegenüber der jugoslawischen Geschichtsschreibung S. 25 5.1) Jasenovac – Streit um Opferzahlen S. 28 6) Die katholische Kirche als Bestandteil der kroatischen Staatsidee und die S. 30 Kollaborationsvorwürfe an den Klerus 7) Die kroatische Bauernpartei (HSS) als Bestandteil der kroatischen S. 39 Staatsidee 7.1) Die Vereinnahmung des Erbes von Stjepan Radić durch den Nationalismus S. 41 8) Verbrechen der Ustaše und der Četnici S. 46 8.1) Gegenseitige Feindbilder: Ustaše und Četnici, Katholizismus und S. 48 Orthodoxie 8.2) Der gegenseitige Vorwurf der Kollaboration S. 52 8.3) Der Mythos des Četnik-Widerstandes S. 62 9) Der Faschismusvorwurf als politische Waffe S. 69 10) Die Rezeption des jugoslawischen Zerfallsprozesses in Deutschland: Johann Georg Reißmüllers Einsatz „für“ Kroatien S. 74 10.1) „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ S. 77 11) Ein Beispiel für eine deutsche pro-jugoslawische Positionierung S. 87 12) Schlusswort S. 89 13) Bibliographie S. 91

Abstract S. 99

Abstract in englischer Sprache S. 101

Lebenslauf S. 103

2 1) Einführung

Eine vielen jungen Staaten, die im 20. Jahrhundert ins Leben gerufen wurden, gemeinsame Herausforderung ist, die Eigenstaatlichkeit mit Hilfe historischer Bezugspunkte und/oder Mythen zu rechtfertigen. Auch die österreichische zweite Republik baute lange Zeit auf dem Mythos von Österreich, dem „ersten Opfer NS-Deutschlands“ auf, während die Erben Otto Bauers auf der einen, und Dollfuß' auf der anderen Seite, historische Feindschaften zugunsten einer neuen Sozialpartnerschaft unter den Tisch kehrten. Vor ähnlichen Problemen standen viele der neuen, aus dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens hervorgegangenen, Staaten, zumal einige von ihnen über keine, oder weit zurückliegende, staatliche Traditionen verfügten. Hinzu kommt die Selbstwahrnehmung als Opfer kommunistischer Repressionen, was häufig das Herunterspielen oder Verharmlosen von der Rolle, die Angehörige der eigenen Nation gespielt hatten, wenn sie an faschistischen Verbrechen beteiligt waren, zur Folge hatte. Der Fall Kroatien ist unter anderem deshalb interessant, weil sich Präsident Franjo Tuđman, der das Land in die Unabhängigkeit führte, selbst als Historiker betätigt hatte und, wie manch anderer seiner ähnlich gesinnten KollegInnen, ein Bild vom westlich- katholischen und demokratischen Kroatien entwarf, welches sich gegen kommunistische Serben zur Wehr zu setzen hätte, deren orthodox-byzantinische Kultur dem europäischen Freiheitsgedanken diametral entgegengesetzt sei. Dies sollte helfen, politische Gräben zwischen inner-kroatischen Antagonismen zu überwinden, bis hin zur Integration jener Kräfte, die in der Tradition des Ustaša- Faschismus standen. Gleichzeitig würde man kroatischen BürgerInnen frühere kommunistische Aktivitäten verzeihen, sollten sie sich am Kampfe für die Unabhängigkeit beteiligen. Dieser heikle geschichtspolitische Hintergrund sorgte zeitweise für Kritik an der damals kroatienfreundlichen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Ziel der Masterarbeit ist, Werke und Ideologie der maßgebenden HistorikerInnen der Wendezeit auf die Art und Weise hin zu untersuchen, wie die kroatische Eigenstaatlichkeit gerechtfertigt wurde. In der vorliegenden Arbeit betrifft dies vor allem Franjo Tuđman selbst und sein bekanntestes Buch „Bespuća povijesne zbiljnosti“. Dies schließt eine Beschäftigung mit jenen inländischen HistorikerInnen mit ein, die von Tuđman als tendenziell kroatienfeindlich eingestuft werden. Hinzu kommen die Ursprünge von

3 Tuđmans Vorstellung einer gesamt kroatischen Versöhnung. Die Rolle, die die deutsche Außenpolitik 1990/91 in Bezug auf die Jugoslawien-Krise gespielt hat, kann hier nicht behandelt werden, da dies Gegenstand einer separaten Arbeit sein müsste. Geschweige denn die Frage, ob diese Politik, deeskalierend wirkte oder nicht. Vielmehr werden die Texte des, in diesem Zusammenhang, wohl einflussreichsten medialen Ideengebers, des damaligen Herausgebers der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Johann Georg Reißmüller, mit Hilfe der zuvor gewonnenen Erkenntnisse, gelesen und eingeordnet. Dieser war, anders als die meisten seiner früheren KollegInnen, ein langjähriger Kenner der Region und ließ, wie sich zeigen wird, seine Parteinahme nicht an Deutlichkeit fehlen. Die Frage wird aufgeworfen, inwieweit in der nationalen kroatischen Propaganda ein Bild von „den Kroaten“ versus „die Serben“ gezeichnet wird, welches keine Zwischentöne zulässt. In umgekehrter Lesart traf dies auf die serbische Seite selbstverständlich ebenfalls zu. Darüber hinaus wird untersucht, wie entsprechende Stereotype auch im Westen gepflegt wurden, was einem besseren Verständnis der jugoslawischen Tragödie nicht unbedingt zuträglich war.

2) Der historische Revisionismus

Auf Deutschland und Österreich bezogen, wird mit dem Begriff in erster Linie eine Neubewertung der Kriegsschuldfrage des Zweiten Weltkrieges assoziiert. Die extremste Form des historischen Revisionismus äußert sich in der Leugnung oder Bagatellisierung des Massenmordes am europäischen Judentum zwischen 1941 und 1945. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich gelten derartige Äußerungen als justiziabel. Im Jahr 2005 führte dies zur Verhaftung und Verurteilung des britischen Historikers David Irving auf österreichischem Boden, welcher als Bewunderer Hitlers gilt und der mehrfach die Existenz von Gaskammern in Frage gestellt hatte. Das Publikum in der Bundesrepublik Deutschland wurde im Rahmen des sogenannten Historikerstreits, zwischen 1986 und 1987, mit den Positionen des Historikers Ernst Nolte konfrontiert, welcher den Judenmord zwar nicht leugnete, diesen jedoch in einer Weise zu „kontextualisieren“ sich anschickte, die auf die Behauptung hinauslief, bei den Verbrechen des Nationalsozialismus habe es sich um eine Reaktion auf bolschewistische/stalinistische Verbrechen gehandelt, welche den ersteren in Sachen Systematik und Vernichtungswille in nichts nachgestanden hätten. Der Gulag sei somit „ursprünglicher“ gewesen als das

4 nationalsozialistische Konzentrationslager. Eine weniger relativistische Variante besteht in der Formulierung der Theorie des „Totalitarismus“, welche nicht versucht, die nationalsozialistische Politik teilweise zu relativieren, jedoch auf die Ähnlichkeiten zwischen nationalsozialistischer und beispielsweise stalinistischer Herrschaft hinweist. Manche HistorikerInnen sehen in der Hungerkatastrophe, die sich 1932-1936 auf dem Gebiet der heutigen Ukraine abspielte, eine vonseiten Stalins bewusst herbeigeführte Vernichtungsaktion, die somit mit der Vernichtungspolitik gegenüber dem europäischen Judentum vergleichbar wäre. Zuletzt sorgte der US-amerikanische Historiker und Yale- Professor Timothy Snyder für Aufsehen, nachdem er in seinem 2010 erschienen Werk „Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin“ entsprechende Thesen vertrat. In nahezu sämtlichen Staaten des ehemals staatssozialistischen Ostblocks, inklusive Jugoslawiens, wurden Bestrebungen nach der Wende 1989/90 virulent, die bisher offiziellen Narrative radikal in Frage zu stellen und diese durch zuweilen ähnlich autoritäre, national aufgeladene Denkmuster zu ersetzen. Im Falle Kroatiens bedeutete dies, wie bereits erwähnt, eine teilweise Rehabilitierung kroatischer Akteure aus der aus der Zeit zwischen 1941 und 1945 betraf, wo die kroatische Ustaša über die formal unabhängige NDH herrschte und eine, an Hitler und Mussolini angelehnte, genozidale Politik betrieb.

3) Franjo Tuđmans „Bespuća povijesne zbiljnosti“

Franjo Tuđman, während des Zweiten Weltkriegs als Partisan im Widerstand aktiv, war ursprünglich Angehöriger der titoistischen Nomenklatura im vom Bund der Kommunisten regierten Jugoslawien. Tuđman betätigte sich ebenfalls als Historiker und war in dieser Funkion für den bedeutendsten kroatischen Kulturverein, der „Matica Hrvatska“ tätig. Aufgrund des Vorwurfs nationalistische Thesen zu verbreiten, fiel er 1967 in Ungnade und wurde von allen seinen öffentlichen Ämtern enthoben. Bereits zuvor unterschied sich Tuđman von seinen serbischen (und auch manchen kroatischen) HistorikerkollegInnen, indem er den Fokus seiner Forschung auf einen spezifisch kroatischen Antifaschismus (hrvatski antifašizam) legte. Dies ist insofern bemerkenswert, da die offizielle jugoslawische Geschichtsschreibung in der Regel den gemeinsamen Kampf der südslawischen Völker gegen den äußeren Feind in den Vordergrund zu stellen trachtete.1 Nach den Ereignissen des sogenannten „Kroatischen Frühlings“ 1971 wurde Franjo

1 Siehe: Darko Hudelist, Tuđman. Biografija, Zagreb, 2004, S. 290.

5 Tuđman verhaftet. Eine weitere zweijährige Haftstrafe folgte 1982. Ab 1987 begann Tuđman, nachdem er einen Reisepass erhalten hatte, diverse Vorträge vor kroatischen Exilvereinen zu halten, in Kanada, den USA und Westeuropa. Tuđman schickte sich in seinem 1989 erschienenen Werk “Bespuća povijesne zbiljnosti” an, mit der traditionellen jugoslawischen und/oder serbischen Geschichtsschreibung zu brechen. Diese, so Tuđman, sei bestrebt, der kroatischen Bevölkerung eine Kollektivschuld an faschistischen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs aufzuerlegen. Deshalb seien die üblichen Darstellungen von Verbrechen der Ustaše maßlos übertrieben, während man an KroatInnen begangene Verbrechen vonseiten der PartisanInnen, aber auch der Četnici, bagatellisiert oder gänzlich verschwiegen habe. Die kroatische Nation als historisches Kontinuum werde dadurch tabuisiert, mit dem Ziel, einen von Belgrad ausgehenden Zentralismus aufrechtzuerhalten. Tuđman gibt an, dass Dokumente, welche er in seiner Funktion als Historiker des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Kroatien in den 60er Jahren gesichtet habe, ihm in dieser Hinsicht die Augen geöffnet hätten. Gleichzeitig bemüht sich der Autor um eine Art philosophische Meditation über die unzähligen, die Weltgeschichte durchziehenden, von Menschen an Menschen begangenen Gewalttaten. Die den Kroaten angeblich unterstellte “Genozidalität” werde hauptsächlich durch das Verbreiten überhöhter Opferzahlen aus dem Konzentrationslager Jasenovac begründet. Deshalb ist im Buch auch vom “Mythos Jasenovac” (Jasenovački mit) die Rede.

3.1) Der „Mythos Jasenovac“ und Tuđmans Verhältnis zum Judentum Bei einem von Tuđman ausführlich zitierten Zeugen handelt es sich um Ante Ciliga, welcher zeitweise kommunistische und später nationalistische Positionen vertrat, und zwischen 1942 und 1943 einige Monate in Jasenovac interniert war. Tuđman referiert, sich auf Ciliga berufend, dass das Lager zwar nach deutschem Vorbild errichtet worden sei, es hätten die jüdischen Insassen jedoch eine beträchtliche Machtfülle gegenüber nichtjüdischen Inhaftierten genossen. („Iako je jasenovački logor bio organiziran po uzoru na njemačke, čak su i stambene barake dopremljene iz Njemačke, glavna njegova ‚originalnost‘ bila je je baš u položaju i ulozi Židova.“ 2) Eine weitere „Zeugenaussage“, auf die Tuđman sich beruft, ist jene des Häftlings Vojislav Prnjatović, welcher aus Jasenovac entkommen war. Dieser soll behauptet haben, dass jüdische Insassen sich frei hätten

2 Franjo Tuđman, Bespuća povijesne zbiljnosti, Zagreb 1989, S. 318.

6 bewegen dürfen, und, dass sie mit ihren Familien gemeinsam private Wohnungen zur Verfügung gestellt bekamen. dass dieser seine Aussagen gegenüber dem Kommissariat für Flüchtlinge der Belgrader Kollaborationsregierung Milan Nedićs machte, erwähnt der Autor zwar, zieht jedoch nicht in Betracht, dass eine korrekte Schilderung des jüdischen Leidens in dieser Umgebung mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht erwünscht gewesen wäre.3 Ciliga erklärt sich dies mit der Behauptung, Pavelićs Bewegung sei ursprünglich eine geradezu philosemitische gewesen. Die Art und Weise, wie Tuđman zitierte, legt nahe, dass auch er die Ansicht vertrat, Juden hätten in Jasenovac spezielle Privilegien genossen, da die Wurzeln der Ustaša- Bewegung, zumindest teilweise, jüdisch seien. Hierbei können Tuđman und Ciliga auf Josip Frank verweisen, der vom Judentum zum Katholizismus konvertierte und ein prominentes Mitglied der “Partei des Rechts” (Stranka prava) war. Aus Franks Partei (Frank starb 1911) sollte sich ab 1929 die Ustaša- Bewegung als deren militanter Flügel herausbilden. Frank war ein Gegner jeglicher kroatischer Zusammenarbeit oder gar Verständigung mit der serbischen Bevölkerung. Solche Bestrebungen (einer Zusammenarbeit zwischen Kroaten und Serben) hatte es durchaus gegeben, man denke an Bischof Josip Juraj Strossmayer (1812-1905), der ein früher Verfechter eines südslawischen Zusammenschlusses war. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass Josip Frank für eine enge Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche eintrat, eine Position, die der zwar gläubige, jedoch dezidiert antiklerikale Vordenker des kroatischen Nationalismus und Gründer der Partei des Rechts, Ante Starčević, strickt ablehnte. Dass die Vordenker der Bewegung, aus welcher später die Ustaša hervorgehen würde, “nur” SerbInnen und weniger Jüdinnen und Juden als zu bekämpfende GegnerInnen ausmachten, macht die Behauptung, der jüdischen Bevölkerung des NDH seien wie auch immer geartete Privilegien vergönnt gewesen, nicht weniger problematisch. Von Franks jüdischer Herkunft lässt sich des weiteren nicht automatisch auf eine generell philosemitische Gesinnung kroatischer Nationalisten schließen. Der vielfach als “Vater der Heimat” (otac domovine) gehandelte Ante Starčević vertrat Positionen, welche dem im 19. Jahrhundert aufkommenden biologistischen Antisemitismus nahe kommen. Juden gehörten einer “Rasse” an, die weder “Moral noch Vaterland” kennen würden, so Starčević. („Židovi... su pasmina, izuzev koje iznimke bez svakoga morala i bez svake domovine, pasmina koje svako udo podano je samo dobitku osebnu, ili onome svojih

3 S. 316 – 319.

7 rođaka.“4) Eine Teilnahme von Juden am öffentlichen Leben wirke sich zerstörerisch auf eine Gesellschaft aus, da auch “das Glas voll klarsten Wassers” verderbe, sobald man auch nur “einen Krumen Dreck” hinzufüge. (U čašu najbistrije vode baci mrvu blata, pa se sva voda bude zamutiti.)5 Starčević, der den Einfluss des katholischen Klerus eigentlich abgelehnt hatte, hatte “den kroatischen Nationalismus zu einer Religion gemacht und dem kroatischen Staat eine eschatologische Dimension verliehen”6, wie Alojz Ivanišević schreibt. 1895 wurde die “Reine Staatsrechtspartei gegründet, welche sich vom Vater der Staatsrechtspartei insofern distanzierte, als man dessen Antiklerikalismus und der Gegnerschaft gegenüber Österreich abschwor. Somit konnte der kroatische Staatsgedanke (državotvornost) sich nicht nur in einer politischen, sondern auch in einer religiösen Dimension äußern, so Ivanišević. Tuđman erweist sich in seinem Buch als Bewunderer Starčevićs, welchen er als “großen Kroaten” (hrvatski velikan) preist. Tuđman äußert sich nicht zu Starčevićs antijüdischen Bemerkungen, weißt allerdings darauf hin, dass dessen feindselige Haltung gegenüber dem Serbentum sich ausschließlich auf jene Serben beziehe, welche auf kroatischem Territorium lebten und gegen kroatische Interessen handelten. (“On će se negativno odnositi samo prema Srbima koji žive u Hrvatskoj, a rade protiv njena interesa”7) Es stellt sich hierbei allerdings die Frage, welche Grenzen Tuđman “Kroatien” zuordnet und wie er dessen “Interessen” definiert. Außerdem werden von serbischer Seite inkriminierte Aussagen Starčevićs, es gebe keine serbische Nation, mit angeblich ähnlich lautenden Ausführungen Vuk Stefanović Karadžićs über die kroatische Nation gekontert. Angeführt wird ein Zitat Karadžićs, in welchem dieser die Ansicht vertritt, dass im Falle der Kroaten, wenn man sie nicht als Serben bezeichne, kein anderer ethnischer Terminus Sinn mache. (“ako ne će da su Srbi oni nemaju nikakvoga narodnoga imena”) Vuk Karadžić war der Ansicht, dass, wer dieselbe Sprache spreche, folglich derselben Nation angehöre, weshalb in seinen Augen Kroaten katholische Serben waren. Eine Sprache des ethnischen Hasses kann man dem Sprachreformer, die damaligen Verhältnisse berücksichtigend, nicht vorwerfen. Würde

4 Nenad Miščević in: Novi List, 25. 02. 2006: http://novine.novilist.hr/default.asp? WCI=Rubrike&WCU=285A285D2863285A2863285A28582858285E286328982897288F2863286328592860 2858285E285B285828632863286328582863E (29. 02. 2014) 5 Ebd. 6 Alojz Ivanišević, Kroatische Kirche und katholisches Volk. National-, staats-, und volkskirchliche Tendenzen in der katholischen Kirche Kroatiens, S. 148, in: Alojz Ivanišević (Hrsg.), Re-Sakralisierung des öffentlichen Raums in Südosteuropa nach der Wende 1989, F.a.M. 2012. 7 Tuđman, S. 356.

8 heute jemand behaupten, Kroaten seien katholische Serben, dürfte man mit einigem Recht davon ausgehen, dass, wer sich so äußert, eine politische Agenda verfolgt. In einer Antwort auf einen seine Thesen kritisierenden Artikel vom März 1861, erschienen in der Zagreber Zeitschrift Pozor, erklärt Karadžić, Serben seien jene, die den štokavischen Dialekt sprächen, ungeachtet ihrer Religion: „A i same moje riječi u onome članku javno dokazuju, da G. J. Miškatović krivo razumije i nepravo tumači pomenuti nadpis mojega članka, jer sam ja kazao, da su Srbi samo oni koji govore srpskijem jezikom bez razlike vjerozakona i mjesta stanovanja, a za Čakavce i Kekavce nijesam kazao da su Srbi.“8 Trotzdem vertreten manche kroatische HistorikerInnen, die davon ausgehen, der Chauvinismus stelle ein ungebrochenes Kontinuum in der serbischen Geschichte dar, die These, bei Vuk habe es sich um einen Wegbereiter ethnischer und religiöser Intoleranz gehandelt. Der in früher Yale doziert habende kroatische Historiker und zeitweilige Politiker Ivo Banac schreibt in seinem Buch von 1984, „The national question in Yugoslavia“: „Karadžić, in short, brought forth a modern Serb national ideology, the purpose of which was to assimilate the vast majority of Catholic Croats and all Bosnian Muslims.“9 Eine Aussage, die, im Jahre 1861, doch sehr unschuldig anmutet. Andererseits gab und gibt es auf serbischer Seite Versuche, das Werk des kroatischen Äquivalents zu Karadžić, des Schriftstelles und Sprachreformers Ljudevit Gaj (Welcher sich als Gegenüberstellung in diesem Zusammenhang sicherlich besser eignet als Starčević) zu minimieren, mit dem Argument, dieser hätte sein geistiges und linguistisches Schaffen von der serbischen Seite abgekupfert. So schrieb der serbische Dichter und Diplomat Jovan Dučić 1942 in der serbisch-amerikanischen Zeitschrift „Srbobran“ über die, in seinen Augen, dürftigen und plagiierten kulturellen Leistungen „der Kroaten“: „Da ne bude nikakve zabune, potrebno je reći da Hrvati nisu bez velikih duhovnih razloga izvršili ovaj moralni preobražaj, uzimajući tuđi književni jezik za svoj sopstveni (što je nesumnjivo bezprimeran slučaj među narodima).“10 Die Vorgehensweise, mit angeblichen oder tatsächlichen Verbrechen der Gegenseite (Hauptsächlich Serbien, teilweise sind die Adressaten von Tuđmans Vorwürfen auch Juden) zu kontern, wiederholt sich im Laufe des Textes einige Male. Dies bedeutet nicht, dass der Antisemitismus in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ein konstituierendes Element des kroatischen Nationalismus ausmachte. In Anbetracht der

8 Zitiert aus: Viktor Novak, Vuk i Hrvati, Beograd1966, S. 464. 9 Ivo Banac, The national question in Yugoslavia. Origins, history, politics, New York 1984, S. 80. 10 Jovan Dučić, Jugoslovenska ideologija: istina o "jugoslavizmu": http://www.rastko.org.rs/istorija/jducic- jugoslovenstvo_c.html.

9 Tatsache, dass der politische Alltag der meisten europäischen Länder alles andere als frei von antisemitischen Vorstellungen war, stellt die Salonfähigkeit antijüdischer Propaganda in dieser Zeit noch keinen Beweis für einen direkten Vernichtungswillen dar, wie er etwa bei Deutschlands Nationalsozialisten vorhanden war. Fraglich bleibt, in welcher Form sich eine solche Erkenntnis auf die Rezeption der Ustaša- Verbrechen entlastend auswirken sollte. Fakt bleibt, dass der NDH ein singuläres Beispiel eines NS-Marionettenstaates ausmacht, der in Eigenregie Todeslager betrieben hat, deren Opfer mehrheitlich SerbInnen waren, gefolgt von Jüdinnen und Juden, Roma und kroatischen RegimegegnerInnen. Laut Stanley Payne übernahm Ante Pavelićs Bewegung spätestens 1936/37 die rassischen Vorstellungen der NS-Ideologen, freilich unter Beibehaltung der volkstümlichen Bauernromantik und eines ausgeprägten Klerikalismus.11 Im Protokoll der Wannsee-Konferenz, deren Ergebnis der Entscheid zur “Endlösung der Judenfrage” sein sollte, vom 20. Januar 1942, lässt sich bezüglich der fortschreitenden Planungen nachlesen, dass die kroatische Judenpolitik, den deutschen Vorstellungen entsprechend, die notwendigen Maßnahmen bereits ergriffen habe: “In der Slowakei und Kroatien ist die Angelegenheit nicht mehr allzu schwer, da die wesentlichsten Kernfragen in dieser Hinsicht dort bereits einer Lösung zugeführt wurden.”12

Dass Tuđman ein seltsames Verhältnis zum Judentum pflegt, zeigt sich in verschiedenen Stellen des Buches, die in der englischen und deutschen Übersetzung nicht zu finden sind. Die des Autors häufig herangezogene Methode der Gegenüberstellung verschiedener Verbrechen, mit dem Ziel die Ustaša-Herrschaft zumindest teilweise zu relativieren, findet sich auch in diesem Zusammenhang. An die Adresse Israels richtet sich deshalb der Vorwurf, es betreibe, nach Jahrhunderten von Diskriminierung und Verfolgung der Jüdinnen und Juden, eine “genozidale Politik” gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, weshalb man mit gutem Recht von “Judäo-Nazismus” sprechen könne. (“Nakon svega što je pretrpio u povijesti, naročito onog strahovitog stradanja u drugom svjetskom ratu, židovski će narod za veoma kratko vrijeme povesti prema palestinskom narodu tako okrutnu, genocidnu politiku da je s pravom okrštena kao judeo-nacizam.”13) Anschließend wird darauf hingewiesen, dass es nicht antisemitisch sei, von “Judäo-

11 Payne, Stanley G., A History of Fascism. 1914-1945, Wisconsin 1996, S. 406. 12 http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/wannseekonferenz/index.html . (29. 02. 2014) 13 Tuđman, S. 160.

10 Nazismus” zu sprechen, da der Begriff ursprünglich vom israelischen Naturwissenschaftler und Religionsphilosophen Jehuschaja Leibowitz geprägt worden sei. Ob Tuđman, wie es beim israelischen Intellektuellen Leibowitz der Fall gewesen sein dürfte, sich aus Empathie mit den PalästinenserInnen entsprechend geäußert hat, oder, ob seine Motivation eine andere war, sei dahingestellt. Auffallend häufig jedoch werden Zitate anderer, möglichst unverdächtiger, Zeugen herangezogen, wenn es darum geht, Referenzen für Aussagen zu finden, die manche als problematisch erachten könnten. Dies ist im Falle Ante Ciliga ersichtlich und auch bei anderen Gelegenheiten, wie beispielsweise in einer Rede, die Tuđman, als Präsident Kroatiens, 1997 in Vukovar gehalten hat. Die serbische Bevölkerung Kroatiens adressierend, zitiert der Präsident ein Gedicht des serbischen Poeten Jovan Jovanović Zmaj, welches besagt, dass Kroaten niemandem etwas wegnehmen würden, während sich Serben auf einem Wege des Unrechts und der Gesetzlosigkeit befänden: “Osim toga, dopustite da vas podsjetim na riječi velikoga srpskog pjesnika Zmaja Jove Jovanovića, koji je, među inim, rekao: "Hrvat se ne bori da što otme kome, čuva sveti oganj na ognjištu svome. I dok tako čini ih najtežih dani i Bog i pravda na njegovoj su strani." I nastavlja Zmaj Jova: "A kuda će Srbin - zar da se dade putu na kom nema zakona ni pravde?" Evo vam jednog mislećeg, velikog Srbina pjesnika. To vam je osnova za zajedničku suradnju.”14 Auch in Bezug auf die Zwangskonvertierung orthodoxer SerbInnnen zum katholischen Glauben, liefert Tuđman Quellen, welche belegen sollen, dass diese durchaus auf freiwilliger Basis stattgefunden hätten. Referenzpunkt hierfür ist Miloš Obrknežević, der zu jener äusserst begrenzten Zahl Orthodoxer gehörte, die ab 1942 auf dem Territorium der NDH an der Schaffung einer „Kroatisch Orthodoxen Kirche“ (Hrvatska Pravoslavna Crkva, HPC) beteiligt waren. Laut Obrknežević seien die serbischen Fluchtwellen in Richtung Serbien oder der italienischen Besatzungszone Ergebnis einer Art Angst-Psychose gewesen: „Po njemu, već samo proglašenje Pavelićeve NDH pobudilo je kod pravoslavnog pučanstva potrebu prilagodbe i lojalnosti prema hrvatskoj državi, s jedne strane, a s druge, stvorilo psihozu neizvjesnosti i straha.“15 Im Grunde habe es kein klar formuliertes anti-serbisches Programm gegeben und die Konvertierungen seien nur begrenzt im Interesse des Regimes gewesen. Die Einrichtung der HPC zeige auch, dass die Orthodoxie als solche nicht als Gegner betrachtet wurde,

14 www.tudjman.hr/govori/vlak-mira-govor-u-vukovaru. (29. 02. 2014) 15 Tuđman 1989, S. 403.

11 nur dann, wenn sie in Form der Serbischen Orthodoxie einen Machtanspruch aus Belgrad manifestiere.16 Die von Vladimir Dedijer genannte Zahl von 203 ermordeten orthodoxen Priestern sei kein Beweis für eine grundsätzliche anti-orthodoxe Haltung vonseiten der NDH-Autoritäten, solche Begebenheiten seien im Kontext des Bürgerkriegs zu betrachten, in welchem auch Partisannen und Četnici Jagd auf katholische Geistliche gemacht hätten.17 Die Idee einer „Kroatisch-Orthodoxen“ Kirche scheint Tuđman mit Sympathie zu betrachten, da es normal sei, dass orthodoxe Gemeinden eine dem jeweiligen Nationalstaat angepasste Autokephalie annehmen würden.18 Die verschiedenen Anstrengungen, Verbrechen der Ustaše zu negieren, oder als Folge serbischer Untaten zu rechtfertigen, werden durch allgemeine Reflexionen über die Gewalttaten, die Menschen die gesamte Weltgeschichte hindurch gegeneinander verbrochen haben (Tuđman: „zlosilje“) ergänzt. Zumindest sei es nicht unlogisch, dass Bewegungen, Völker, Staaten, Religionen oder Ideologien, die um ihr Bestehen kämpften, jene, die in einem solchen Fall im Wege stehen, auf gewaltsame Weise beseitigen würden: “Kad neki pokret ili narod, država ili njihov savez, religija ili ideologija, ima pred sobom protivnika kojeg drži pogibeljnim za svoj opstanak, ili glavnom zaprekom za svoju prevlast,učinit će sve moguće, i upotrijebiti sva sredstva da ga savlada pa i uništi, ako ga na drugi način ne može podvrći svojoj volji.“19 Die Aussiedlung/Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn, wie sie im Rahmen der Potsdamer Konferenz beschlossen worden war, bezeichnet Tuđman als Verbrechen, gleichzeitig dient ihm das Beispiel als Beleg, dass Vertreibungen und/oder genozidale Handlungen ein nicht ungewöhnliches Phänomen in der Weltpolitik darstellten. Dies habe sicherlich negative Konsequenzen, die auf solche Aktionen folgende ethnische Homogenisierung und die erreichte Kohärenz der Staatsgrenzen seien jedoch für die zukünftige Entwicklung eines Landes hilfreich: „S druge strane, dovode do etničke homogenizacije pojedinih naroda, do većeg sklada nacionalnog sastava pučanstva i državnih granica pojedinih zemalja, pa to može imati pozitivne učinke na kretanja u budućnosti u smislu smanjivanja razloga za nova nasilja i povoda za nove sukobe i međunarodne potrese.”20 Auch wenn der Autor sich hier offiziell auf die Vergangenheit bezieht, darf man annehmen, 16 Ebd., S. 399. 17 Tuđman 1989, S. 400-401. 18 Ebd., S. 399. 19 Tuđman 1989, S. 161. 20 Tuđman 1989, S. 364.

12 dass die diversen historischen Zeitreisen, die in dem Buch unternommen werden, nicht zuletzt in Hinblick auf die bevorstehende Entstehung eines kroatischen Staatswesen, wie Tuđman es anstrebte, gelesen werden können. Im Rahmen der Vorbereitung der kroatischen Militäroperation „Sturm“ (Oluja), die im August 1995 stattfand und zur Massenflucht der serbischen Bevölkerung aus den Gebieten Banija, Kordun und Lika führte, soll sich der kroatische Präsident auf deutliche Weise geäußert haben, welches Ziel zu erreichen sei, es sollten „praktisch keine Serben übrigbleiben“ (..da Srbi praktički nestanu... 21) Es sei angemerkt, dass die Authentiziät der „Brioni-Protokolle“ (Briunski transkripti), die Gespräche zwischen dem Präsidenten und der militärischen Spitze dokumentieren und in welchen die inkriminierte Aussage enthalten ist, in gewissen Kreisen Kroatiens umstritten ist. Präsident Ivo Josipović hält sie für echt, bezweifelt aber, dass für den endgültigen Beweis eines geplanten Verbrechens ausreichen. Tuđmans Bemerkungen über „die Juden“ einerseits, und andererseits dessen relativistische Positionen über eine Politik der ethnischen Homogenität, hinterlassen einen gewissen Interpretationsspielraum, wenn es darum geht dessen Aussagen über die „Genozidalität“ des alten Testaments zu beurteilen: „Kao što smo već mogli zaključiti iz prethodnog razmatranja, u samim (judaističkim) počecima sve naše poznije, zapadne, civilizacije, u ono drevno doba kad vrhunac povijesno-filozofske ljudske misli izražava riječ biblijskoga boga Jahve, - genocidno je nasilje prirodna pojava, sukladna ljudsko- društvovnoj i mitološko-božanskoj naravi.“22 Ob die zitierten Ausführungen als Kritik am Judentum zu verstehen sind, oder als allgemeiner Relativismus (Der Hang zur „Genozidalität“ ist so alt wie die Menschheit), sei dahingestellt. Das nach unten korrigieren von Opferzahlen hatte Tuđman nicht nur auf das KZ Jasenovac beschränkt. Im Buch “Bespuća povijesne zbiljnosti” finden sich entsprechende Passagen auch zum Holocaust im allgemeinen. Ein Kapitel, welches den Titel „Im Schatten des »Holocausts«“ („U sjeni »Holokausta«„) trägt, ist ebenfalls enthalten. Teilweise unter Berufung auf Standartliteratur (Hilberg, Levin) zur Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden (Wenn auch deutlich andere Schlüsse ziehend als die erwähnten Forscher) spricht Tuđman von der „... Notwendigkeit zu erwähnen, dass manche die Zahl von sechs Millionen Toten für »stark übertrieben« halten und als »objektive Schätzung« eine Million Opfer anführen.“(„ …razlozi zašto ima potrebu

21 Protokoll der Brioni-Transkripte in: Index, 16. 04. 2011: http://www.index.hr/vijesti/clanak/procitajte- brijunske-transkripte-glavni-dokaz-haskog-suda-/547318.aspx. (29. 02. 2014) 22 Tuđman, S. 172.

13 spomenuti da, na drugoj strani, broj od šest milijuna mrtvih neki smatraju krajnje »pretjeranim«, navodeći milijun žrtava kao »nepristranu prosudbu«“23)

4.) Die „Versöhnung aller Kroaten“ (Pomirba)

Anders als beispielsweise im postkommunistischen Polen oder in Ostdeutschland, fand in Kroatien keine umfassende Abrechnung mit der Kaste der früheren Machthaber statt. Dies lässt sich, abgesehen von der Tatsache, dass einige von Tuđmans Verbündeten aus der alten Nomenklatura rekrutiert worden waren, auch mit der Doktrin der “gesamt-kroatischen Versöhnung” (svehrvatska pomirba), wie sie vom ersten Präsidenten des unabhängigen Kroatien vertreten wurde, erklären. Entsprechende Ideen kamen bereits in kroatischen Emigrantenkreisen im Laufe der 60er Jahre auf. In diesem Zusammenhang seien der damals in der Bundesrepublik Deutschland tätige Branimir Jelić und der in Francos Spanien lebende Vjekoslav “Maks” Luburić genannt. Bei Jelić handelt es sich um einen nationalistischen Exilpolitiker, der bereits vor dem deutschen Einmarsch im Königreich Jugoslawien, im Auftrag von Pavelićs Ustaša- Bewegung diversen Tätigkeiten im Ausland nachging, darunter propagandistische Agitation in Süd- und Nordamerika. Im Herbst 1939 wurde Jelić von der britischen Marine in Gibraltar verhaftet. Laut Payne war Branimir Jelić maßgebend an der Forcierung einer engeren Orientierung der Bewegung an der nationalsozialistischen Ideologie beteiligt.24 Nach Kriegsende gründete der umtriebige nationalistische Aktivist in München ein “Kroatisches Nationalkomitee” und gab die Exilanten-Zeitschrift “Kroatischer Staat” (Hrvatska Država) heraus. In West-Berlin gehörte das CDU-Mitglied Jelić zu den MitbegründerInnen des “Berliner Freundeskreises der CSU”, eine Unterstützergruppe der Bayrischen Christlich Sozialen Union, der Schwesterpartei der Christlich Demokratischen Union. Die CSU stand schon immer im Ruf, konservativer zu sein als die gesamtdeutsche Partei der ChristdemokratInnen. Laut Jelić bestand das Ziel darin, die Vorstellungen des damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß salonfähiger zu machen.25 Am Rande sei bemerkt, dass letzterer auch vonseiten Tuđmans zustimmend zitiert wird, in Bezug auf eine

23 Tuđman, S. 156. 24 Payne, S. 407. 25 Branko Jelic in: Der Spiegel, 16.02.1970: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45202542.html. (29. 02. 2014)

14 Aussage, Deutschland solle nicht auf die Ereignisse von 1933-1945 reduziert werden.26 Ausserdem soll Strauss verlautbart haben, dass schliesslich auch andere Verbrechen begangen hätten, nicht zuletzt auch an Deutschen. Hinzu komme das Schicksal der „Kosaken und Kroaten“, nach Kriegsende. („...a «dokaz za to je sudbina Kozaka, zatim hrvatske vojske, njemačkih ratnih zarobljenika i proganjanje Nijemaca» iz mnogih zemalja.“27) In einem Interview mit dem deutschen Fernsehen von 1962 erklärt Branimir Jelić die Schaffung eines unabhängigen kroatischen Staaten zum gemeinsamen Ziel aller kroatischen Emigrantenorganisationen, welches mit friedlichen, und, gegebenenfalls, auch mit “anderen, revolutionären” Mitteln zu erreichen sei. Kontakt mit Serben bestehe keiner, “weil wir mit denen in einem Staat absolut nicht sein wollen”, wie Jelić ausführt.28 Trotzdem gehörte letzterer zu jenem Teil der rechtsextremen kroatischen Emigration, welcher sich, im Rahmen des sich anbahnenden kalten Krieges, den Westmächten als akzeptable antikommunistische Opposition anzudienen bestrebte, so Guy Walters.29 Andere Gruppierungen sollten bald auf offen terroristische Methoden zurückgreifen, die u. a. die Ermordung jugoslawischer Diplomaten bis hin zur Sprengung von Passagierflugzeugen umfassten. Im damals stark antikommunistisch geprägten Klima der Bundesrepublik Deutschlands (Willy Brandts Entspannungspolitik lag noch in ferner Zukunft), genossen die Aktivitäten der kroatischen Rechtsradikalen mitunter eine gewisse Unterstützung, wie in einem Spiegel-Artikel von 1963 geschildert wird: „Die deutschen Behörden, denen der fanatische Antikommunismus der Flüchtlinge imponiert, verfolgen zwar die Ausschreitungen, lassen den Anhängern der Emigranten- Organisationen aber finanzielle und moralische Unterstützung zuteil werden.“30

Vjekoslav “Maks” Luburić, der ebenfalls eine Versöhnung inner-kroatischer Antagonismen propagierte, hatte sich zuvor dank seiner Funktion als ehemaliger Leiter des Konzentrationslagers Jasenovac durch ein, gegenüber den Häftlingen ausgeübtes, besonders sadistisches Verhalten einen Namen gemacht. Wie bereits erwähnt, endete Luburićs Odyssee nach dessen Flucht aus Jugoslawien, nach

26 Tuđman 1989, S. 269. 27 Tuđman 1989, S. 294. 28 https://www.youtube.com/watch?v=it8DubZSJS8 . (29. 02. 2014) 29 Guy Walters, Hunting Evil. The Nazi War Criminals Who Escaped and the Quest to Bring Them to Justice, NY 2010, S. 113. 30 Autor nicht genannt: Der Spiegel, 01.05.1963: .http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45143285.html. (29. 02. 2014)

15 Kriegsende, im nach wie vor faschistisch regierten Spanien unter General Franco. Dort gründete er die rechtsextreme Emigrantenorganisation „Kroatischer Volkswiderstand“ (Hrvatski Narodni Odpor) und gab Propaganda-Zeitschriften heraus. Diverse kroatische Exilanten distanzierten sich von Luburić, was weniger mit dessen Ideologie, sondern mit der Tatsache zu tun hatte, dass sich die blutrünstige Vergangenheit des früheren KZ- Vorstehers allzu kompromittierend auf die national-kroatische Sache auswirkte. Luburić wurde 1969 ermordet, wahrscheinlich mit Zutun des jugoslawischen Geheimdienstes UDBA. DER SPIEGEL verwies damals auf eine Aussage Branislav Jelićs, der, selbst als ehemaliger Ustaša, der Ansicht war, dass das Engagement des soeben Ermordeten der kroatischen nationalen Bewegung eher geschadet hatte: "Das wäre so, als würden heute in Deutschland Bormann oder Himmler eine Organisation für die Wiedervereinigung Deutschlands gründen."31 Auf Jelićs Konkurrenzbewegung hatte Luburić seinen Mitarbeiter Krunoslav Batušić angesetzt, der diesen als "Militärsachverständiger" angeblich beraten sollte, doch, in Wirklichkeit, ausspionierte. Trotzdem vollzogen beide, Jelić und Luburić, in etwa zur selben Zeit, eine teilweise ideologische Wende. Anstelle der sturen antikommunistischen Agitation, deren Auswirkungen auf die Verhältnisse in der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Kroatien sich in Grenzen halten sollten, wurde ein neues Konzept verabschiedet. Nicht “der Kommunismus” sollte den Hauptfeind ausmachen, sondern die angeblich in Jugoslawien dominierende serbische Vorherrschaft. Deshalb sollte Jugoslawien zerschlagen werden, ein Ziel, für welches auch national orientierte Vertreter der kroatischen Kommunisten und ehemalige (kroatische) PartisanInnen gewonnen werden sollten. Alex Bellamy zitiert hierzu aus einer Stellungnahme von Luburićs „Hrvatski Narodni Odbor“, HNO: "[We] regard Yugoslavism and Yugoslavia as the greatest and only evil that has caused the existing calamity [...] We therefore consider every direct or indirect help to Yugoslavia as treason against the Croatian nation [...] Yugoslavia must be destroyed - be it with the help of the Russians or the Americans, of Communists, non-Communists or anti- Communists - with the help of anyone willing the destruction of Yugoslavia: destroyed by the dialectic of the word, or by dynamite - but at all costs destroyed."32 Vom offenen Bekenntnis zur terroristischen Gewalt abgesehen, unterscheidet sich diese

31 A.n.g.: Der Spiegel, 05.05.1969: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45741533.html. (29. 02. 2014) 32 Alex J. Bellamy, The Formation of Croatian National Identity: A Centuries-Old Dream?, Manchester 2004, S. 93.

16 Position nicht wesentlich von jener Jelićs. Dieser hielt sogar eine Unterstützung von sowjetischer Seite für möglich, in Hinblick auf eine Loslösung Kroatiens vom jugoslawischen Staate.33 Im Falle Luburićs darf davon ausgegangen werden, dass sich dieser von Francos Politik der “reconciliación“34 hatte inspirieren lassen. In den 60er Jahren versuchte der spanische Diktator die offizielle Geschichtspolitik seines Regimes dahingehend zu ändern, dass der Feldzug der Falangisten während des spanischen Bürgerkrieges nicht mehr ausschließlich als „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“ behandelt werden sollte. Eine partielle posthume Gleichstellung von Falangisten und antifaschistischen Republikanern wurde eingeleitet. Schließlich hätten beide Seiten für Spanien gekämpft und seien beide Opfer „historischer Umstände“ gewesen. Parallelen zu den Thesen, welche sich in “Bespuća” nachlesen lassen, sind nicht von der Hand zu weisen. Laut Darko Hudelist vollzog sich Tuđmans offen nationalistische Wende im Rahmen längerer Aufenthalte in den USA und Kanada, zwischen 1987 und 1989. Eine besondere Rolle habe dabei der kanadisch-kroatische Exilverein „Kraljica Mira-Norval“ gespielt, welcher von herzegowinischen Franziskanern geleitet wurde, und wo Luburićs „Versöhnungs“-Thesen geteilt wurden, bei gleichzeitiger Ablehnung des Zusammenlebens von Kroaten und Serben.35 Doch die Opposition zum jugoslawischen Staate ging über die Tätigkeiten extremistischer Exilgruppen und einzelner DissidentInnen im Inland hinaus. Bereits in der zweiten Hälfte der 60er Jahre begannen kroatische Intellektuelle und AktivistInnen eine stärkere kroatische Autonomie innerhalb des jugoslawischen Staates zu fordern, in kulturellen, als auch in politischen Fragen. Manchen galt das jugoslawische Regime als Synonym für serbische Dominanz und die Unterdrückung kroatischer nationaler Gefühle und der kroatischen Kultur und Sprache, egal ob dies unter monarchistisch-unitaristischen oder sozialistischen Vorzeichen geschah. Was die Zeit des titoistischen jugoslawischen Staates betraf, galt auch der Vorwurf einer serbisch dominierten Sprachpolitik. (Neben den Annahmen, das Ziel der von oben dirigierten Geschichtspolitik habe in der Tabuisierung kroatischer nationaler Bestrebungen bestanden.) Im März 1967, immerhin dreizehn Jahre vor Titos Ableben, wurde eine von

33 Stephen Clissold: Croat Separatism. Nationalism, Dissidence and Terrorism (=Conflict Studies 103). London 1979, S. 7. 34 Vgl.: Julia Macher: Verdrängung um der Versöhnung willen? Die geschichtspolitische Auseinandersetzung mit der Franco-Diktatur in den ersten Jahren des Friedlichen Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in Spanien (1975 – 1978), Bonn 2002, S. 25. 35 Siehe: Darko Hudelist, Tuđman, Zagreb 2004, S. 590.

17 rund 140 kroatischen Intellektuellen unterzeichnete „Deklaration über den Namen und die Stellung der kroatischen Schriftsprache“ (Deklaracija o nazivu i položaju hrvatskog književnog jezika) in der Zagreber Zeitschrift Telegram publiziert. Das Sprachabkommen von Novi Sad aus dem Jahre 1954 (in welchem von einer gemeinsamen Sprache, unterteilt in eine „östliche“ und eine „westliche“ Ausprägung, die Rede ist) wurde insofern kritisiert, dass es „Unklarheiten“ (nepreciznosti u formulacijama) hinterlassen habe, welche Tendenzen ermöglicht hätten, die Sprache zu serbisieren. Solche Entwicklungen würden begleitet von etatistischen, unitaristischen und hegemonialen Bestrebungen: „Poznato je u kojim su okolnostima u našoj zemlji oživjele tendencije etatizma, unitarizma, hegemonizma.“36 Die Kroatische Schriftsprache solle deshalb einen dem Slowenischen und Makedonischen vergleichbaren Status erhalten, um den zuvor angeprangerten Tendenzen entgegenzuwirken. Dies solle in der Verfassung festgeschrieben werden: „Ustavnim propisom utvrditi jasnu i nedvojbenu jednakost i ravnopravnost četiriju književnih jezika: slovenskoga, hrvatskoga, srpskoga, makedonskoga.“ Als Reaktion auf die Deklaration wurden, u. a. neun Unterzeichner aus der kroatischen Sektion des Bundes der Kommunisten ausgeschlossen, und auch Tuđmans erzwungene Pensionierung fällt in diesen Zeitraum. Es folgten Dispute zwischen Intellektuellen aus Zagreb und Belgrad, bis sich im April 1971 die Unzufriedenheit in Form des „kroatische Frühlings“ (Hrvatsko proljeće) Luft verschaffen sollte. Eine Bewegung die unter dem Titel MASPOK („Massenbewegung“, Masovni pokret) bekannt wurde, forderte eine verstärkte kroatische politische und kulturelle Eigenständigkeit. Mit Unterstützung konnte beispielsweise vonseiten der Vorsitzenden des Zentralkommitees des Bundes der Kommunisten Kroatiens, Savka Dabčević-Kučar und der "Matica hrvatska" gerechnet werden. Auch vom Sprachdisput abgesehen, verschärfte sich der Ton auf drastische Weise, Teile der Bewegung begannen sich zu radikalisieren. Marie-Janine Calic zitiert aus der Zeitschrift "Hrvatski Tjednik", in welcher konstatiert wurde, der jugoslawische Staat betreibe eine „genozidale Art der Denationalisierung.“37 Das Ereignis ist insofern bemerkenswert, dass schon damals tendenziell nationalistische Positionen bei Teilen der kroatischen Linken auftraten. Während offiziell Brüderlichkeit und Einheit verkündet wurde, existierten sowohl in kroatischen als auch in serbischen kommunistischen Kreisen Strömungen, welche eine stärkere Betonung des eigenen

36 Text siehe „Institut za hrvatski jezik i jezikoslovlje“: http://ihjj.hr/novost/dani-hrvatskoga-jezika-2013/33/. (29. 02. 2014) 37 Marie-Janine Calic, Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 252, Zitiert aus: Hrvatski Tjednik, 16. 4. 1971, siehe Anmerkungen, S. 374.

18 nationalen Elements gerne gesehen hätten. Doch solange Tito am Leben war, blieben deren ProtagonistInnen an den Rand gedrängt. (Als Beispiel eines serbischen National- Kommunisten, der in Ungnade fiel, sei der Schriftsteller Dobrica Ċosić genannt.)

4.1) „Svehrvatska pomirba“ unter Tuđman Ljiljana Radonić weist auf eine Aussage Tuđmans aus dem Jahr 1990 hin, in welcher sich dieser direkt auf Franco beruft: “Bereits im Juli 1990 teilte Tuđman der Berliner Tageszeitung mit, in Kroatien hätten Kroaten unter unterschiedlichen Fahnen für die Freiheit gekämpft. Sogar ein General Franco hätte das gewusst und vor 30 Jahren gemeinsam die Opfer des Faschismus und des Kommunismus beerdigt.”38 Die Vermutung liegt nahe, dass Tuđman in seiner früheren Funktion als Historiker auf einige von Luburićs Pamphlete gestoßen war und sich durch diese, in seiner Weltsicht, hatte beeinflussen lassen. Ulrich Schiller,ehemaliger Korrespondent des Ersten Deutschen Rundfunks in Belgrad, der ein Buch zum deutsch-kroatischen Verhältnis geschrieben hat, weist darauf hin, wie Tuđman „...die Kluft zwischen ehemaligen Partisanen und ehemaligen Ustaša doch hatte schließen wollen – den Empfehlungen des KZ-Baumeisters Luburić folgend.“39 Der kroatische Journalist Jerko Bakotin vertritt die Ansicht, dass sich der erste Präsident des unabhängigen Kroatiens geschichtspolitisch von einem KZ-Massenmörder hat inspirieren lassen. Auf dem Gelände zerstörter Partisanendenkmäler wolle Tuđman Kreuze mit den eingravierten Namen aller im Zweiten Weltkrieg Gefallenen (Partisanen, Ustaše, Heimwehrsoldaten und Zivilisten) errichten: „Osim toga, dosljedno idejama prvog hrvatskog predsjednika Franje Tuđmana o 'svehrvatskoj pomirbi' - zapravo preuzetih od španjolskog diktatora Francisca Franca te ustaškog časnika Vjekoslava Luburića, utemeljitelja jasenovačkog logora - na više su lokaliteta - na primjer u Dugopolju i Košutama - na mjestima uništenih spomenika podizani križevi na koje su upisana imena svih stradalih u Drugom svjetskom ratu - partizana, ustaša, domobrana i civila.“40 Auch Ivo Goldstein sieht eine diesbezügliche ideologische Verbindung, die von Franco,

38 Ljiljana Radonic, Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards, Wien 2009, S. 165. 39 Ulrich Schiller, Deutschland und seine Kroaten. Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus, Bremen 2010, S. 141. 40 Jerko Bakotin in: Nacional, 22. 06. 2012: http://www.nacional.hr/clanak/131708/sramna-epizoda-povijesti. (29. 02. 2014)

19 über Luburić zu Tuđman führt.41 Die ebenfalls erwähnte Beseitigung von antifaschistischen Denkmälern, die den PartisanInnen oder Opfern des Faschismus gewidmet waren, kam in den Jahren 1991 -1995 sehr häufig vor und belegt, dass, Tuđmans Vorstellungen von "Versöhnung" zum Trotz, die Abrechnung mit allem, was angeblich "unkroatisch" ist, im Kroatien der 90er Jahre weit verbreitet war. Ljiljana Radonic weist darauf hin, dass solche Aktionen systematischer Natur waren, sie ist der Meinung, dass von einzelnen Akten des Vandalismus nicht gesprochen werden kann: „Eine gewalttätigere Ausprägung der Delegitimierung des Antifaschismus war die kroatienweite Beschädigung oder Zerstörung von knapp 3.000 Mahn- und Denkmälern für den antifaschistischen Kampf und die ermordeten Opfer, die der Verband der antifaschistischen Kämpfer dokumentiert hat, ...“42 Auch in kroatischen regierungskritischen Kreisen blieb der anti-antifaschistische Bildersturm nicht unbemerkt. In der unabhängigen Wochenzeitung Feral Tribune beschäftigt sich Vid Mlakar in einem Kommentar vom Juli 1996 mit dem Vergleich zwischen „NDH-Nostalgie“ (NDH-Nostalgija) und der verklärten Erinnerung an Titos Jugoslawien (Jugonostalgija). Doch während sich die Jugoslawien-NostalgikerInnen in einer hilflosen Lage befänden, seien deren, die NDH verklärenden, GegnerInnen von einem „krankhaften Fieberwahn“ befallen, welcher durch die Vorarbeit des politische Establishments zustande gekommen sei. („..., NDH-nostalgičarima već dulje vrijeme rastu krila, a raste im i bolesnička vrućica, podgrijavana iz samih vrhova vlasti.“43) Die antifaschistischen Gedenkorte verschwänden, während Aktivitäten zu Ehren der NDH Konjunktur hätten: „I dok prvi s tugom s srcu nemoćno gledaju kako u dimu baruta nestaju spomenici podignuti u čast antifašizma, makar i nemali veze s propalom Jugoslavijom, drugi su krenuli u pravu graditeljsku ofenzivu u čast fašizma i propale Nezavisne Države Hrvatske.“44 Dass die kroatische Gegenöffentlichkeit dem Verhältnis zu den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs und der kirchlichen Positionen zu diesem Thema einige Bedeutung beimaß, lässt sich an der Häufigkeit der Beschäftigung, gerade Ferals, mit dem Thema erahnen. Als Reaktion auf den Vorwurf des Geistlichen und Publizisten Živko Kustić,

41 Goldstein 2008, S. 772. 42 Radonic, S. 159. 43 Vid Mlakar in: Feral Tribune, 15. 07. 1996. 44 Ebd.

20 welcher besagte, bei den MitarbeiterInnen der Zeitung handele es sich um „Kommunisten“, mit denen man bereits vor 1945 nicht habe zusammenarbeiten können, stellt der Mlakar die Frage, wer in dieser Konstellation denn nun die „Faschisten und Nazis“ seien. („Ali tko su onda suvremeni fašisti i nacisti?“45) Der Versuch der Überwindung inner-kroatischer Gräben äußert sich in zahlreichen Beispielen (auch wenn Affinitäten zur NDH-Symbolik in den 90er Jahren eindeutig überwogen), so in der Verfassung Kroatiens von 1990, welche sich ausdrücklich auf den Antifaschismus beruft.46 1993 pries Tuđman die Leistungen der kroatischen antifaschistischen Kämpfer und wies darauf hin, dass die Berufung auf eine Tradition des Widerstandes gegen den Hitlerfaschmus in Europa hohen Stellenwert genieße und Kroatien diesbezüglich zu beneiden sei, wie Nikola Barić erläutert: „Hrvatski antifašizam“ trebao je biti vrijednost s kojom se suvremena Hrvatska može legitimirati pred međunarodnom zajednicom. Štoviše, navodilo se, neke europske države mogle bi zavidjeti Hrvatskoj na njezinim tekovinama “antifašističke borbe”. Antifašistički pokret kakav je u Drugom svjetskom ratu postojao u Hrvatskoj nije imala “ni jedna država Europe”.“47 In Tuđmans politischem Universum tritt hierbei, wie bereits ausgeführt, kein Widerspruch zutage. Ideologien bleiben zweitrangig, konstituierend bleibt der, wie auch immer geartete, „Einsatz für Kroatien”. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Tuđmans Partei nicht nur „gewöhnlichen“ kroatische Oppositionellen und Ex-Kommunisten offenstand, sondern auch Protagonisten, die dem extrem rechten Milieu entstammten. So existieren Videoaufnahmen, welche HDZ- Gründungsmitglied Branimir Glavaš beim Empfang freigekommener kroatischer Kriegsgefangener zeigen. Glavaš ruft den jungen Männern zu, sie könnten frei verkünden „Ustaše zu sein“, da dies in der „neuen Heimat“ nun normal sei.48 Auch Verteidigungsminister Gojko Šušak, früherer Emigrant aus Kanada, ist dem Ustaša-

45 Vid Mlakar in: Feral Tribune, 15. 07. 1996. 46 "- u uspostavi temelja državne suverenosti u razdoblju drugoga svjetskoga rata, izraženoj nasuprot proglašenju Nezavisrie Države Hrvatske (1941) u odlukama Zemaljskog antifašističkog vijeća narodnog oslobodenja Hrvatske (1943), a potom u Ustavu Narodne Republike Hrvatske (1947) i poslije u ustavima Socijalističke Republike Hrvatske ( 1963- 1990).", in. Ustav Republike Hrvatske, 1990: http://cadial.hidra.hr/searchdoc.php? query=Zakon+o+izmjenama+i+dopunama+Kaznenog+zakona&searchText=on&searchTitle=on&filteracttype =all&filtereuchapter=all&resultlimitnum=10&action=search&filterfields=35338&resultoffset=&lang=en&annota te=on&bid=v8ewpwn3TzF4b21Qt8aGNw%3D%3D

47 Nikica Barić, Antifašistička borba u Drugom svjetskom ratu u političkim interpretacijama hrvatskih predsjednika 1991-2006, S. 211 – 235, in: Autorenkollektiv, REVIZIJA PROŠLOSTINA PROSTORIMA BIVŠE JUGOSLAVIJE, Sarajevo 2007, S.214. 48 Film „Yugoslavia – The Avoidable War“ (0:28:15), 1999, verfügbar auf Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=u04IL4Od8Qo. (29. 02. 2014)

21 freundlichen Spektrum zuzurechnen, wie Ivo Goldstein erläutert: „Bio je zagovornik radikalne nacionalističke politike, hrvatskoga separatizma u Bih i simpatija za ustašku NDH. Iako mu je to bila neposredna obveza, nije intervenirao da se privedu pravdi počinitelji poznatih zločina protiv Srba i Bošnjaka u Hrvatskoj i Bih.“ Goldstein schildert auch, dass Tuđmans Verhältnis zu Šušak, trotz dessen offensichtlichen ideologischen Verirrungen und mutmaßlicher Teilschuld an Kriegsverbrechen, von Respekt und Vertrauen gezeichnet war, was dazu führte, dass Letzterer nach eigenen Gutdünken Schalten und Walten konnte: „Prema svjedočenju Ankice Tuđman, njezin suprug Franjo je tvrdio kako je ´Gojko naučio razmišljati na američko-kanadski način, a sačuvao je i svoj hrvatski mentalitet. (…) Između mene i njega postoji povjerenje, što mnogima smeta.“49

Für internationales Aufsehen sorgte Tuđmans Vorhaben, das Gelände, auf dem sich einst das Konzentrationslager Jasenovac befunden hatte, in eine Art “Nationale Gedenkstätte”, im Geiste der Pomirba, umzuwandeln. Zu diesem Zweck sollten die sterblichen Überreste von Opfern und Gegnern des Ustaša-Regimes auf der einen, und Angehörigen der Ustaše und der NDH-Armee (Domobranci) auf der anderen, Seite gemeinsam bestattet werden. Jüdische und antifaschistische Verbände kritisierten, dass hiermit Fragen wie was Ursache und was Wirkung war, wer Opfer und wer Täter war, unter den Teppich gekehrt würden. Da Jasenovac 1991-1995 de facto Teil der selbst-proklamierten Serbischen Krajina- Republik (Republika Srpska Krajina) war, war an Pläne, die Gedenkstätte, dem ideologischen Zeitgeist entsprechend, umzugestalten, erst nach Kriegsende zu denken. dass 1945 – 1948 GegnerInnen der neuen Machthaber auf dem Gelände bei Jasenovac interniert worden seien, sollte als Rechtfertigung für das Projekt herhalten. Tuđman selbst, auf Kritik reagierend, welche “gewisse Kreise, gewisse Einzelne” in der Welt und in Kroatien vorgebracht hätten, äußerte sich wie folgt zur Thematik: “Wenn wir demnach eine Versöhnung wollen, wenn wir mit der Versöhnung die kroatische Freiheit und die kroatische Demokratie erreicht haben, dann müssen wir genau das auch in Jasenovac tun. Nicht um die Knochen der Opfer des Faschismus und des Kommunismus zu vermischen, sondern um genau hier festzustellen – hier, so und so viele sind als Opfer der NDH, des Faschismus und der Rassengesetze umgekommen, aber auch so und so viele als Opfer des Kommunismus. Und um aus diesen Gruben, die wir

49 Ivo Goldstein, Hrvatska 1918 – 2008, Zagreb 2008, S. 762.

22 haben, die Knochen hierher, an diesen Ort zu übertragen, um das auch festzustellen.”50 Außerdem sollten die Gebeine von im domovinski rat (“Der Heimatkrieg”, bezieht sich auf den Krieg 1991-1995) Gefallenen auf demselben Gelände ihre Ruhe finden, so dass das kroatische Volk nicht vergessen werde, “dass es in der Vergangenheit getrennt war (…) und sich das nicht wiederholen dürfe, und wir die Toten versöhnen können, wie wir auch die Lebenden versöhnt haben, ihre Kinder, ihre Enkel.” Die Tatsache, dass es sich bei Jasenovac um eine Stätte systematischer Menschenvernichtung gehandelt hatte, wird hier ausgeblendet. Tuđman spricht im selben Text von 28000 namentlich erfassten Internierten, von denen einige das Lager auch wieder verlassen hätten. Gleichzeitig wird behauptet, in Jasenovac seien ähnliche Zustände auch nach Ende des NDH, also im kommunistischen Jugoslawien, vorzufinden gewesen. Faschistische Verbrechen werden bagatellisiert und mit, in diesem Fall, erfundenen kommunistischen Verbrechen aufgerechnet. Die Adressierung ausschließlich des “kroatischen Volkes” im Zusammenhang mit dem Leid von Menschen in Jasenovac legt nahe, dass die Mehrheit der Opfer (SerbInnen, Jüdinnen und Juden, Roma) für die Geschichtspolitik im Kroatien der 90er Jahre nicht interessant sind. Die bereits erwähnte Zeitung „Feral Tribune“ war dafür bekannt, sich auf drastische und auf satirische Weise mit Tuđmans Autoritarismus und Nationalismus auseinanderzusetzen -weshalb mehrere Gerichtsprozesse gegen das Blatt angestrengt wurden- geriet auch aufgrund der scharfen Verurteilung der offiziellen Geschichtspolitik ins Visier des Staates. Der Autor Marinko Čulić bezeichnet die Pläne zur Umgestaltung der Jasenovac- Gedenkortes in der Ausgabe vom 17. Juni 1996 als „drastische ethnische Säuberung der Jasenovac -Gedenkstätte“ (drastično etničko čišćenje jasenovačkog spomen područja).51 Es gehe dem Präsidenten nicht darum, gegenüber den Opfern des Kommunismus Pietät zu zeigen, sondern um eine revisionistische Umschreibung der Geschichte, was bereits vorherige Aktionen in den vorangegangenen Jahren demonstriert hätten: „Razumije se da nitko nema ništa protiv pijeteta prema žrtvama komunizma, ali hrvatski je predsjednik prije neku godinu u njihovo ime već ukinuo zagrebački Trg žrtava fašizma, sada na isti način može smatrati ukinutim i Jasenovac.“52 In derselben Ausgabe wird bezüglich eines Prozesses, den der Präsident aufgrund eines von ihm selbst initiierten Gesetzes gegen die Zeitung angestrengt hatte, berichtet. In einer früheren Ausgabe war Tuđman in einer Photomontage gemeinsam mit Ante Pavelić zu

50 zitiert nach: Radonic, S. 173. 51 Marinko Čulić in: Feral Tribune, 17. 06. 1996. 52 Ebd.

23 sehen. Dies wurde als Verstoss gegen den Erlass vom 30. April 1996 gesehen, in welchem es heißt, dass Verunglimpfungen des kroatischen Präsidenten zu ahnden seien, da diese Maßnahme dem „Erhalt der persönlichen Integrität des staatlichen Anführers und des allgemeinen Interesses des kroatischen Staates“ diene. (U pokretanju postupka u svakom takvom slučaju treba polaziti od zaštite osobnog integriteta državnog poglavara i opčih interesa hrvatske države.) Laut Feral Tribune wurde dem angeklagten Autor Viktor Ivančić des Weiteren unterstellt, er habe Tuđman als „Nachfolger Francos“ verunglimpft. Hierzu wird in Ferals Berichterstattung u. a. auf das bereits zitierte Taz-Interview von 1990 verwiesen. Zudem habe sich Tuđman auch bei anderen Gelegenheiten ähnlich geäußert, es wird ein Zitat aus dem Magazin „Start“ von 1991 angeführt, in welchem dieser behauptet, es sei wahr, dass der Faschismus Opfer forderte, am schlimmsten hätten „die Kroaten“ jedoch unter den Četnici und den Kommunisten zu leiden gehabt: „Točno je da je bilo žrtava fašizma, ali je isto tako točno da je hrvatski narod pretrpio još veće žrtve od četnika i komunizma. Umjesto da podignemo spomenik svima, kao što je učinio jedan Franco, pa omogučio time normalan razvitak demokracije u Španjolskoj.“53 Dieser etwas eigenwilligen Definition zu Folge, war es Franco, der Spaniens Weg zur Demokratie ermöglichte, und zwar nicht erst, wie allgemein angenommen, durch seinen Tod 1975, sondern durch seine „versöhnliche“ Politik gegenüber den Antagonismen innerhalb der spanischen Gesellschaft. Deshalb habe Francos Spanien Mut und Weisheit (hrabrost i mudrost) bewiesen, was vorbildlich sei, da auch in Kroatien Kommunisten und deren Gegner gegeneinander gekämpft hätten, aber eben doch beide „für Kroatien“.54 Ivančić zieht hieraus den Schluss, dass es absurd sei, von einer Beleidigung des Präsidenten zu reden, wenn dieser selbst sich auf Francos „morbide Idee, die Toten zu versöhnen“ (...što se tiče morbidne ideje pomirenja mrtvih, vidjeli smo, nije sporno.) berufen habe und offensichtlich gedenke, ähnliches auch in Kroatien in die Tat umzusetzen.55 Ein anderes symbolträchtiges Projekt war bereits 1992 in die Tat umgesetzt worden. Davon ausgehend, es handele sich bei Medvedgrad um eine „Königsstadt“, ließ der Präsident einen „Altar der Heimat“ (oltar domovine) errichten, wo von nun an staatliche Protokollarmassnahmen stattfinden sollten. Gewidmet sei der Altar „zu Ehren all jenen, welche lebten und starben für die Errichtung eines freien und unabhängigen, souveränen und demokratischen Staates Kroatien.“ (u čast svih onih koji su živjeli i umirali za

53 zitiert durch Viktor Ivančić in: Feral Tribune, 17. 06. 1996. 54 Viktor Ivančić in: Feral Tribune, 17. 06. 1996. 55 Ebd.

24 uspostavu slobodne i nezavisne, suverene i demokratske države Hrvatske56) Beispiele für Symbole, die an die NDH-Zeit erinnern, und in Tuđmans Kroatien der 90er Jahre inkorporiert wurden, gibt es zahlreiche. So wurde 1994 die Währung aus der NDH- Zeit „Kuna“ eingeführt, entgegen den Vorschlägen des Beraters Slaven Letica, welcher es für ratsamer hielt, das Geld „Adria“ (Jadran) zu nennen. Zeitweise war geplant, die kroatische Staatsfahne sehr eng an jene aus der NDH-Zeit anzulehnen. 1991 ernannte Franjo Tuđman den mutmaßlichen Ustaša-Kriegsverbrecher Ivo Rojnica zum Botschafter der Republik Kroatien in Argentinien. Laut Recherchen vonseiten des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem ist Rojnica für den Tod von Serben, Juden und Roma in der Gegend um Dubrovnik verantwortlich.57

5) Vorwürfe gegenüber der jugoslawischen Geschichtsschreibung Der Vorwurf, nicht nur an gewisse HistorikerInnen aus Serbien, die nachweislich nationalistische Positionen vertreten, sondern auch an jene, die im früheren titoistisch geprägten Jugoslawien forschten, sie verbreiteten anti-kroatische Mythen, findet sich in Tuđmans Schriften, sowie in den Werken anderer HistorikerInnen, die eine ähnliche politische Agenda verfolgen. Einer von ihnen ist Josip Jurčević, Kriegsteilnehmer im Jahr 1991, Historiker und Autor diverser Werke zum Thema Kroatien während und nach des Zweiten Weltkriegs. Dessen Arbeit zum Thema Jasenovac (Nastanak jasenovačkog mita, 1998, auf deutsch 2007 erschienen, unter dem Titel “Die Entstehung des Mythos Jasenovac”) repräsentiert die historisch-politische Denkweise der Ära Tuđman. Holm Sundhaussen fast den politischen Hintergrund der Zeit, in welcher Jurčević seine Studien begann, wie folgt zusammen: “Seine Beschäftigung mit dem 'Mythos Jasenovac' fiel in eine Zeit, die vom Krieg in Kroatien (1991–1995), vom (defekten) autoritären Regime des Staatspräsidenten Franjo Tuđman (1990–1999), von der stürmischen 'Renaissance' des Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien und einem ausufernden serbisch-kroatischen Propagandakrieg seit den späten 1980er Jahren geprägt war.”58 Auch der Historikerin Fikreta Jelić-Butić werden vom Autor “einseitige Interpretation” der Umstände und “Unausgewogenheiten” unterstellt.59 Jelić-Butić hatte in den 70er Jahren unter anderem das historische Werk “Ustaše i Nezavisna Država Hrvatska 1941–1945”

56 Goldstein 2008, S. 773. 57 Siehe: http://www.operationlastchance.org/CROATIA_PR.htm. (29. 02. 2014) 58 http://www.oei.fu-berlin.de/geschichte/soe/rezensionsseite/rezension55.html . (29. 02. 2014) 59 Josip Jurčević, Die Entstehung des Mythos Jasenovac, Zagreb 2007, S. 147 und 148.

25 verfasst, welches damals als eines der Standartwerke galt, das Thema Ustaše und zweiter Weltkrieg betreffend. Selbst Jurčević stellt eine, zumindest stellenweise, Erkennbarkeit der “Quellen und der Problematik” nicht in Abrede, ist jedoch nach wie vor überzeugt, dass die Autorin, ob freiwillig oder nicht wird offengelassen, eine ideologische Einseitigkeit an den Tag lege. Als Beispiel für die angebliche ideologische Borniertheit der kroatisch- jugoslawischen Historikerin, wird u. a. deren Schlussfolgerung genannt, die NDH habe “keinerlei Eigenschaften von Eigenstaatlichkeit”60 aufgewiesen. Behauptungen, welche, so Jurčević, “terminologisch und logisch typisch ideologische Bewertungen gesellschaftlicher Prozesse und des Status der NDH insgesamt” darstellten. Die Aussage findet sich am Ende des (kurzen) Kapitels zu Jelić-Butić und wird nicht weiter ausgeführt. Aus der Charakterisierung der NDH als Satellitenstaat kann schwerlich eine anti-kroatische Haltung abgeleitet werden. Vielmehr legt jene Sichtweise nahe, dass die Ustaše und deren Regime kroatische Interessen eben nicht repräsentierten und vielmehr Erfüllungsgehilfen einer fremden, faschistischen Macht waren. Würde man der kroatischen Bevölkerung eine Art kollektiven Hang zur “Genozidalität” unterstellen wollen, läge es näher, die Bewegung der Ustaše und den NDH-Staat als Verwirklichung kroatischer, und nicht fremder Ideen zu porträtieren. Es stellt sich die Frage, welche Absichten Josip Jurčević hier verfolgt, wenn nicht eine zumindest teilweise Rehabilitierung des NDH- Regimes. Fikreta Jelić-Butićs Buch ist in eine kurze Vorgeschichte der Ustaša-Bewegung vor 1941, die Machtübernahme, Organisation des Ustaša-Systems, eine Erläuterung der gesellschaftlich-politischen Grundlagen des Regimes und die Vorgänge rund um den Kollaps des Systems eingeteilt. Es ließe sich einwenden, dass in einem autoritären Regime verfasste historische Werke zwar korrekt recherchiert sein können, dass aber das nicht gesagte auch politisch sein kann. Nichtsdestotrotz bleibt der Eindruck, dass Jurčevićs Werk um ein Vielfaches ideologischer ausfällt als es bei “Ustaše i nezavisna država hrvatska” der Fall ist. So beruft sich Jurčević fortwährend auf Tuđmans “Bespuća povijesne zbiljnosti”, im ersten Präsidenten des unabhängigen Kroatien erkennt der Historiker offenbar eine unangreifbare wissenschaftliche Autorität, welche augenscheinlich nicht mit denselben (strengen) Maßstäben gemessen wird, wie es bei HistorikerInnen, die im früheren Jugoslawien tätig waren, der Fall ist. Im, vonseiten Jurčevićs inkriminierten, Schlusswort Jelić-Butićs wird der Führung des früheren “Königreichs Jugoslawien” “großserbischer Zentralismus” und “unitaristischer Jugoslawismus” vorgeworfen (…

60 S. 151.

26 politike velikosrpskog centralizma i unitarističkog jugoslavenstva61), was in gewissen kroatischen politischen Kreisen separatistische Tendenzen hervorgerufen habe. Die in der Bevölkerung am breitesten verankerte Gruppierung, die sich mit der “kroatischen Frage” (hrvatsko pitanje) befasst habe, sei die “Kroatische Bauernpartei” (Hrvatska seljačka stranka, HSS) gewesen, Pavelić und seine Leute hätten sich vor Gründung der NDH vor allem dank italienischer Unterstützung über Wasser halten können, aufgrund offener territorialer Rechnungen, die Mussolinis Italien gegenüber Jugoslawien an den Tag legte. Nach der NDH-Staatsgründung sei das Regime der Ustaše auf Gedeih und Verderb von NS-Deutschland abhängig gewesen. Auch aus diesem Beispiel lässt sich eine ideologisch einseitige anti-kroatische Haltung schwerlich ablesen. Informationen über den Charakter des NDH-Regimes und wie sehr es als Staatswesen gefestigt war, lassen sich zahlreichen Berichten und Aufzeichnungen deutscher Abgesandter entnehmen. Auf solche Dokumente wird in der Geschichtsschreibung zu der Periode des Zweiten Weltkriegs in Südosteuropa deshalb auch häufig zurückgegriffen. Hierzu zählen unter anderem die Berichte des deutschen Bevollmächtigten Generals in Zagreb/Agram, Glaise von Horstenau. Es ergibt sich auch dort das Bild eines Regimes, das für sich in Anspruch nimmt, einen souveränen Staat zu repräsentieren, dessen Institutionen jedoch äußerst schlecht funktionierten und dessen Politik des Terrors gegen die serbisch-orthodoxe Bevölkerung, und gegen politisch Andersdenkende zusätzliches Chaos und heftigen Widerstand verursachte. Dies wurde auch für die deutschen Interessen in der Region als ernsthaftes Problem angesehen, da NS-Deutschland seine militärischen Ressourcen vor Allem für die sogenannte Ostfront benötigte und eine Eskalation in Südosteuropa somit nur schaden konnte. Gert Fricke schildert eine Intervention vonseiten von Horstenaus bei Eugen Dido Kvaternik, Chef der Polizei- und Sicherheitsdienste, vom 12. Juli 1941, drei Monate nach der Staatsgründung: „Nur wenige Tage später musste Glaise auf Ersuchen des Militärbefehlshabers Südost erneut bei Kvaternik wegen 'barbarischer Ausweisungsmethoden' gegen Serben vorstellig werden. (…) Wiederum wies er auf die ständig wachsende Rechtsunsicherheit und Unruhe in der Bevölkerung hin, welche die Maßnahmen der Ustascha zur Folge haben mussten.“62 Glaise war der Ansicht, die Exzesse würden die Zukunft durch das Schüren von Hass vergiften, welcher „jahrzehntelang“ währen könnte. Auch Alexander Löhr,

61 Fikreta Jelić-Butić, Ustaše i NDH, Zagreb 1978, S. 311. 62 Gert Fricke, Kroatien 1941-1944. Der „Unabhängige Staat“ in der Sicht des Deutschen Bevollmächtigten Generals in Agram, Glaise v. Horstenau, Freiburg 1972, S. 39.

27 Generalbefehlshaber Südost, äußerte gegenüber der deutschen Favorisierung der Ustaše Bedenken. Der Generäle Einwände wurden nicht geteilt von Siegfried Kasche, SA- Obergruppenführer und Gesandter Erster Klasse in Zagreb während der ganzen Periode des Bestehens der NDH, welcher ein offener Befürworter der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber der serbischen Bevölkerung war. Auch bei Adolf Hitler stießen Beschwerden, die Verhältnisse in der NDH betreffend, auf wenig Interesse.

5.1) Jasenovac – Streit um Opferzahlen Die Anzahl der in Jasenovac, dem berüchtigsten Ustaša-Lager, ermordeten Menschen war und ist Gegenstand eines symbolträchtigen serbisch-kroatischen Disputs, wie sich u. a. den Texten von Tuđman und Jurčević entnehmen lässt. Beide geben sich alle Mühe, mit scheinbar wissenschaftlichen Methoden, möglichst geringe Opferzahlen zu konstruieren. So schreibt Tuđman in “Bespuća povijesne zbiljnosti” von ca. 30’000 bis 40’000 Toten. Der, in einigen Fällen, an und für sich zutreffende Vorwurf, in Serbien würden zu hohe Opferzahlen verbreitet, ignoriert jedoch häufig die Tatsache, dass es sich bei Jasenovac um ein Vernichtungslager handelte und nicht um ein „Arbeitslager“. Die jüdisch- jugoslawische Holocaust-Überlebende Eta Najfeld weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das systematische Auslöschen menschlichen Lebens in Jasenovac zwar nicht “industriell” durchgeführt wurde, wie es etwa in Auschwitz-Birkenau der Fall war, sondern in Form einer Art von Manufaktur des Todes. Die Inhaftierten wurden nicht in Gaskammern, sondern mit Hilfe von Messern, Hammern und anderen Mordgegenständen getötet, bei lebendigem Leibe verbrannt, etc.: “If Auschwitz is said to have been a death factory, then in Jasenovac-Stara Gradiška the death production was manufactured by hand. It must be stressed that Jasenovac-Stara Gradiška was run by the Croatian Ustashe and did not depend in any way on the Germans.”63 Wie Najfeld sagt, handelt es sich um ein (und das einzige) Vernichtungslager des Zweiten Weltkriegs, welches nicht der direkten deutschen Kontrolle unterstand. Eben sowenig lässt sich bestreiten, dass, anders als es bei anderen faschistischen Stätten der systematischen Menschenvernichtung der Fall war, die Mehrheit der dort ermordeten Menschen weder JüdInnen und Juden noch Sinti und Roma waren, sondern Serbinnen

63 Eta Najfeld, My Eyewitness Account of the Persecution of Serbs and Jews in Croatia 1941-1945, S. 130, in: Barry M. Lituchy (Hrsg.), Jasenovac and the Holocaust in Yugoslavia. Analyses and surviver testimonies, New York 2006.

28 und Serben. Im deutschsprachigen Raum gehen diverse HistorikerInnen von einer Opferzahl von knapp unter 100.000 aus, so beispielsweise Holm Sundhaussen.64 Der österreichische Historiker Hans Safrian weist auf die Schwierigkeit hin, die Anzahl Opfer genau zu berechnen und zitiert einen „...Bericht, der Anfang 1944 an Glaise-Horstenau geschickt worden war, wurden die Angaben eines ehemaligen Lagerinsassen wiedergegeben, wonach von der Ustascha in Jasenovac bis Ende 1943 300.000 bis 400.000 Menschen ermordet wurden.“65 Der ehemalige Lagerkomplex erstreckt sich von der kroatischen Ortschaft Jasenovac bis über die Grenze nach Bosnien-Herzegowina (serbische Entität, „Republika Srpska“). Das kroatische Gedenkmuseum existiert in seiner heutigen Form seit 2006 und wird vom kroatischen Kulturministerium finanziert. Während die Webseite des Museums (vorläufig) 82'12966 Tote namentlich zu identifizieren in der Lage ist, darunter 20068 Kinder, erinnert die zentrale Gedenktafel auf der bosnisch-serbischen Seite an 700´000 in Jasenovac zu Tode gekommene Menschen. In Donja Gradina, heute in Bosnien-Herzegowina, befand sich die Haupt-Hinrichtungsstätte. Die, zuweilen maßlosen Übertreibung betreffend der Opferzahlen, wie sie von manchen national-serbischen HistorikerInnen betrieben wurden (und werden), sind der gegnerischen Seite insofern nützlich, als diesen die hochgerechneten Opferzahlen als „Beleg“ dafür dienen, dass es im Grunde gar keinen Genozid gegeben habe. Der serbische Politiker und Schriftsteller Vuk Drašković, der damals extreme nationalistische und chauvinistische Standpunkte vertrat, verbreitete 1985 Flugblätter in welchen behauptet wurde, die Ustaše hätten mindestens 1.5 Millionen SerbInnen ermordet. Somit hätte beispielsweise Tuđman an und für sich recht, die Zahl nach unten zu korrigieren (Was dieser allerdings, wie bereits erwähnt, mit zu niedrigen Zahlen konterte). Doch nachdem der Leser/die Leserin mit einer in ihrem Ansatz gerechtfertigten Kritik konfrontiert wird, wird die Grenze zur Relativierung der Verbrechen, wie so oft, überschritten. So fügt Tuđman seiner Abrechnung mit Drašković eine Bewertung der Ustaša-Verbrechen als eine Art reactio auf serbisches Unrecht hinzu, indem er auch in diesem Zusammenhang auf Ungerechtigkeiten zu Zeiten der jugoslawischen Monarchie hinweist: „... kad nije bilo obitelji koja zbog svog hrvatstva nije na neki način osjetila teror i šikaniranje; ubojstvo hrvatskog povjesnika profesora Šufflaya na zagrebačkoj ulici i isto takav pokušaj ubojstva

64 http://www.oei.fu-berlin.de/geschichte/soe/rezensionsseite/rezension55.html . (29. 02. 2014) 65 Hans Safrian, Die Eichmann-Männer, Wien 1993, S. 224. 66 http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=6284 . (29. 02. 2014)

29 književnika Budaka.“67 Auf der kroatischen Jasenovac-Webseite wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass es sich bei der Mehrheit der Opfer um Serbinnen und Serben handelte. Das Wort „Todeslager“ (logor smrti) taucht ebenfalls auf. Auch der ehemalige kroatische Präsident, Tuđmans früherer Verbündeter und später dessen Kritiker und Nachfolger, Stjepan Mesić gehört zu den UnterstützerInnen der Arbeit des Museum und der Gedenkstätte. Dies bedeutet, dass Mesić, was bereits seit dessen Amtsantritt im Jahr 2000 der Fall war, zum liberaleren Spektrum der etablierten kroatischen Politik gezählt werden darf. Zu Beginn der jugoslawischen Krise hatte Mesić eindeutig andere Standpunkte vertreten, was sich beispielsweise mehreren Reden entnehmen lässt, welche dieser 1991/92, sowohl in Kroatien als auch im Rahmen von Treffen exil-kroatischer Organisationen, gehalten hatte. So ließ Mesić 1992 in Sydney sein Publikum wissen, es bestehe kein Grund, sich für Ustaša-Verbrechen zu entschuldigen: „U Drugom svjetskom ratu, vidite, Hrvati su dva puta pobijedili i mi nemamo razloga se nikom ispričavati. Ovo što skroz traže od Hrvata - ajde idite kleknuti u Jasenovac, kleknite ovdje... Mi nemamo pred kim šta klečati!"68 Redakteure des staatlichen kroatischen Fernsehens HRT, die die inkriminierten Passagen ausstrahlen ließen, entgingen aufgrund vehementer Proteste ihrer Suspendierung.69

6) Die katholische Kirche als Bestandteil der kroatischen Staatsidee und die Kollaborationsvorwürfe an den Klerus

Wie bereits erwähnt, wohnt der kroatischen Staatsidee (državotvornost) sowohl eine weltliche, als auch eine klerikale Ausprägung inne. Ihre ideologischen Wurzeln reichen ins vorletzte Jahrhundert zurück: “Die neue kroatische Staatsdoktrin ist ihrem Inhalt nach überhaupt nicht neu; sie orientiert sich an der erwähnten ‘staatsbildenden’ Ideologie der Reinen Staatsrechtspartei des ausgehenden 19. Jahrhunderts.”70 Gerade in klerikalen Kreisen haben jene “staatsbildenden” Auffassungen das Ende der Ära

67 Tuđman 1989, S. 370 – 371. 68 zitiert aus (Autor nicht genannt): Dnevnik, 09. 12. 2006: http://dnevnik.hr/vijesti/hrvatska/puhovski- mesic-se-mora-javno-ispricati.html. (29. 02. 2014) 69 Klara Rožman in: Jutarnji List, 13. 12. 2006: http://www.jutarnji.hr/vladimir-roncevic-dva-puta-sam-ponudio- ostavku/166288. (29. 02. 2014) 70 Ivanišević (Hrsg.), S. 149.

30 Tuđman teilweise überlebt. Entsprechend ideologisch ausgerichtete Berichterstattung findet sich in der wöchentlich erscheinenden überregionalen katholischen Zeitschrift “Glas Koncila” (Die stimme des Konzils). Der Vorwurf des Verrats an die Adresse von PolitikerInnen und anderen Personen des öffentlichen Lebens schwingt in zahlreichen Beiträgen mit. So wird in einem Kommentar vom 15. 8. 2010 erläutert, dass einzig jene PolitikerInnen, die eine im Geiste der “državotvornost” nationale Zuverlässigkeit vorweisen können, in der Lage sind, Kroatien aus seiner Krise herauszuführen: “Samo s državotvornim političarima, tj. onima koji stvarno žele služiti legalnim i legitimnim hrvatskim nacionalnim ciljevima i boriti se za stvarne hrvatske nacionalne interese, za zajedničko dobro čitave hrvatske nacije, možemo se nadati izlasku iz svih sadašnjih kriza i stvarnom boljitku bogate a devastirane Hrvatske.”71 Vom Kult um Erzbischof Stepinac abgesehen, genießen auch andere kroatisch- katholische Würdenträger den Segen heutiger kirchlicher Institutionen in Kroatien, solche, deren enge Verbindung mit der faschistischen Ustaša-Bewegung noch augenscheinlicher war, als es sich im Falle Stepinac sagen ließe: “So ist z.B. in den letzten Jahren ein regelrechter Personenkult um Vilim Cecelja entbrannt, einen katholischen Priester und aktiven Ustaša, der als Präsident der kroatischen Caritas im ‘Unabhängigen Staat Kroatien’ ein enger Vertrauter vom Kardinal Stepinac war.”72 In einem Kommentar vom 31. 10. 2009 wird in der Zeitung “Slobodna Dalmacija” auf den Widerspruch hingewiesen, dass dieselbe Institution, deren Kardinal sich soeben auf einen “historischen Besuch” zur Gedenkstätte in Jasenovac begeben habe, Ceceljas Erinnerung hochhält, ein Mann, der immerhin die Funktion des NDH-Militärvikars ausgeübt hatte.73 Bei Ivanišević lässt sich nachlesen, dass sich Cecelja bereits zwei Jahre vor Ausrufung der NDH der Ustaša-Bewegung angeschlossen hatte, anders als Alojzije Stepinac, welcher sich Pavelićs Regime eher aufgrund bedingungsloser Devotheit gegenüber der katholisch-kroatischen Unabhängigkeit andiente. Letzterer, dessen Grab sich in der Zagreber Kathedrale befindet, genießt in der katholischen Kirche Kroatiens den Ruf einer unangreifbaren, spirituellen und moralischen

71 Ivan Miklenić in: Glas Koncila, 15. 08. 2010: http://www.glas-koncila.hr/index.php? option=com_php&Itemid=41&news_ID=18649. (29. 02. 2014) 72 Ivanišević (Hrsg.), S. 158/159. 73 Vgl. (Autor nicht genannt): Slobodna Dalmacija, 31. 10. 2009: http://www.slobodnadalmacija.hr/Spektar/tabid/94/articleType/ArticleView/articleId/76674/Default.aspx. (29. 02. 2014)

31 Autorität. Dies ist wenig erstaunlich, in Anbetracht der Tatsache, dass diese Position ihren Segen von “ganz oben” erhalten hat, in Form der Seligsprechung des Kardinals, durch Papst Johannes Paul II., im Sommer 1998. Aufgrund des Vorwurfs der Kollaboration mit dem NDH-Regime wurde Stepinac 1946 zu 16 Jahren Haft verurteilt, von denen er sechs abzusitzen und anschließend den Rest seines Lebens in Hausarrest zu verbringen hatte. Zwei Anträge, Stepinac mit dem Titel eines “Gerechten unter den Völkern” zu versehen (1970 und 1994) wurden von EntscheidungsträgerInnen der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem abgelehnt. Zwar scheint es den Tatsachen zu entsprechen, dass zahlreichen verfolgten Kindern (serbischer und jüdischer Herkunft, angeblich 7000) dank Stepinac Unterschlupf gewährt wurde und, dass der Kardinal einige der Ustaša-Exzesse in privatem Rahmen kritisierte. Es lässt sich gleichzeitig nicht von der Hand weisen, dass die Loyalität, die Stepinac dem NDH-Regime entgegenbrachte, bis Kriegsende währte. Laut Ivo Goldstein trifft es ebenfalls zu, dass Stepinac, in privater Korrespondenz mit Ante Pavelić, zwar eine menschlichere Behandlung der Betroffenen im Rahmen der Deportation der jüdischen Bevölkerung forderte, nicht aber die Deportationen als solche kritisierte. Außerdem habe er die Einführung von Rassengesetzen nicht grundsätzlich verurteilt.74 Andererseits ist es wahr, dass Stepinac die Morde an „unschuldigen“ Menschen mehrfach anprangerte, so bereits in einem Schreiben an Ante Pavelić vom 14. Mai 1941, welches sich auf das kurz zuvor von den Ustaše begangene Massaker an der serbischen Bevölkerung in Glina bezieht: „Poglavniče! Upravo sam dobio vest da su u Glini ustaše streljale 260 Srba bez ikakve istrage ili suda. Znam da su Srbi u ovih dvadeset godina svoje vladavine počinili ozbiljne zločine. Ali ipak nalazim da je moja biskupska dužnost da dignem glas i kažem da katolički moral to ne dozvoljava; zato vas molim da preduzmete najhitnije mjere na čitavoj teritoriji NDH da nijedan Srbin ne bude ubijen dok njegova krivica ne bude dokazana tako da bude očigledno da on zaslužuje smrt. Inače ne možemo računati na blagoslov neba, bez kojeg smo prokleti. Nadam se da nećete zameriti zbog mojih otvorenih riječi.“75 Aus Stepinacs Argumentationsweise spricht eine gewisse Doppeldeutigkeit. Einerseits scheint es festzustehen, dass „die Serben“ (Srbi) „ernsthafte Verbrechen“ begangen haben und, dass im Falle einer nachgewiesenen Schuld (die nicht näher definiert wird) der

74 Ivo Goldstein in: Dalje, 10. 2. 2010: http://dalje.com/hr-hrvatska/u-cemu-je-problem-da-je-stepincu-otisla- glava/293718. (29. 02. 2014) 75 Centar za demokraciju i pomirenje u jugoistočnoj Evropi, Solun i CPU, Sarajevo: Drugi svjetski rat: http://www.cdsee.org/jhp/pdf/WorkBook4_bih.pdf. (29. 02. 2014)

32 Tod eine unter Umständen gerechtfertigte Strafmaßnahme sein kann. Trotzdem belegen dieses und andere Schreiben, dass Stepinac kein Anhänger exzessiver Grausamkeiten war. Gleichzeitig stellt sich die Frage, weshalb Stepinac zu den Vorgängen in Jasenovac weitgehend schwieg, auch wenn der Kardinal 1943 in einem Gespräch mit Pavelić das Lager als „beschämendes Stigma“ (sramotna ljaga76) bezeichnete. In jedem Fall handelt es sich bei dem Kardinal in den Augen jener politischen und religiösen Kräfte Kroatiens, die sich im Geiste der Tuđman-Ära ideologisch geschult haben, um einen geeigneten Bezugspunkt, wenn es darum geht, die Ideologie der državotvornost mit historischen Leitbildern zu adeln. Stepinac war kein Ustaša, aber doch loyal gegenüber der NDH, da diese Kroatiens “natürliches Streben nach Eigenstaatlichkeit” (wie es Tuđman formulieren würde) repräsentierte. Davon ausgehend, dass er sich um das Überleben serbischer und jüdischer Kinder verdient gemacht hat, wird dem (in ihrer Selbstdarstellung) Ideal der katholischen Kirche von Barmherzigkeit und Nächstenliebe entsprochen. Gekrönt wird dies mit dem “Martyrium”, welches dem Kardinal nach der kommunistischen Machtübernahme widerfuhr, da dieser nicht bereit war, von seinen national-kroatischen und religiösen Ansichten abzurücken. Auch wenn Stepinac die Massenmorde nicht gutgeheißen hat, ist es sicherlich nicht falsch zu konstatieren, dass dieser der Ansicht war, dass ein katholisches Kroatien ein Bollwerk des Katholizismus und der westeuropäischen Zivilisation sein müsse, während die serbisch-orthodoxe Mentalität nur Zerstörung bringen könne. Als Kommentar zum Märzputsch 1941 in Belgrad, schrieb der Kardinal: Sve u svemu, Hrvati i Srbi dva su svijeta, sjeverni i južni pol koji se nikad neće približiti osim čudom Božjim. Shizma (tj. Pravoslavlje) je najveće prokletstvo Europe, skoro veće nego protestantizam. Tu nema morala, nema načela, nema istine, nema pravde, nema poštenja.“77 Das Verhalten des Kardinals während der NDH-Zeit und gegenüber Titos KommunistInnen in der Nachkriegszeit illustriert, dass es diesem nicht an Mut fehlte, sich mit Autoritäten anzulegen. Daraus kann allerdings auch der Schluss gezogen werden, dass es Stepinacs bewusste Entscheidung war, sich mit den Ustaše zumindest zu arrangieren, mit den Machthabern der Nachkriegszeit jedoch nicht. Aufgrund der Schwächung der Rolle der katholischen Kirche, muss der jugoslawische Kommunismus Stepinac als das grössere

76 Damir Pilić in: Slobodna Dalmacija, 26. 04. 2008: http://www.slobodnadalmacija.hr/Spektar/tabid/94/articleType/ArticleView/articleId/5191/Default.aspx. (29. 02. 2014) 77 Siehe: Vladimir Dedijer, Novi prilozi, Beograd 1981, 531-4.

33 Übel erschienen sein. Tuđmans Bewunderung für Stepinac speist sich aus dessen Überzeugung, dass kroatische und katholische Staatlichkeit wichtiger sind als jegliche Ideologie: „Suprotno Paveliću koji je NDH poistovjetio s ustaštvom (njegovom vlašću i propašću), Stepinčevo držanje bilo je uvjetovano povijesnom spoznajom da se ideologije mijenjaju, i stranački režimi dolaze i odlaze, a narod ostaje sa svojom potrebom i pravom na samostalan život.“78 Dass sich Historiker wie Vladimir Dedijer bemühten, den Vatikan und die katholische Kirche in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken, wäre ein an und für sich berechtigter Einwand. Die von Dedijer in seinem Buch „Vatikan i Jasenovac“79 angeführten Dokumente sind nicht aussagekräftig genug, dass sie eine direkte Gutheißung der mörderischen Ustaša-Politik vonseiten des Papstes Pius XII. belegen würden. Die meisten Zitate stammen aus der Feder von Vertretern des NDH-Regimes, die von Äußerungen vonseiten des Papstes berichten, in welchen dieser seine Wertschätzung für Ante Pavelić ausgedrückt haben soll. Eine der wenigen von Pius selbst verfassten Mitteilungen, welche Dedijer dokumentiert, besteht in der freundlichen Antwort auf ein Telegramm von Pavelić vom 20. März 1943, in dem sich der Papst folgendermaßen ausdrückt: „Die Wünsche, die Sie und das kroatische Volk uns am Ende des fünften Jahres unseres Pontifikats überbracht haben, sind uns sehr teuer. Wir werden von Gott das Beste für Sie erbitten.“80 Tvrtko P. Sojčić merkt allerdings an, dass es ihm nicht gelungen sei, das entsprechende Dokument ausfindig zu machen, „trotz akribischer Recherche.“81 Die Rolle des päpstlichen Nuntius in Kroatien Ramiro Marcone und des Sekretärs Don Giuseppe Masucci wird somit auf äußerst unterschiedliche Weise interpretiert. Während Dedijer deren Anwesenheit in Zagreb und die photographisch dokumentierten Zusammentreffen der Vatikan-Vertreter mit Repräsentanten des Regimes als Beweis für eine de facto Anerkennung der NDH durch den Vatikan wertet, weisen Verteidiger der Rolle des Vatikans darauf hin, dass deren Mission ausschließlich eine spirituelle gewesen sei und, dass man eine Kooperation mit dem Regime so weit wie möglich gemieden habe. So habe das vatikanische Staatssekretariat nach der Ausrufung der NDH die Wahrung „katholischer Interessen“ in Kroatien und die Bekämpfung möglicher „heidnischer Elemente“, welche das Regime möglicherweise verbreiten würde, betrieben: „[Marcone] will endeavor to avoid official contact with the governing authorities, in such a way that his 78 Tuđman 1989, S. 388. 79 Vladimir Dedijer, Vatikan i Jasenovac, Beograd 1987, dt. Übersetzung: Jasenovac – Das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan, Freiburg 1991. 80 Siehe: Dedijer, Freiburg 1991, S. 66. 81 Sojčić 2008, S. 278.

34 mission be, and appear to be, in accordance with the desires of the Holy See, of a strictly religious nature...Particularly, the Most Reverend Prelate will advise and support Monsignor Stepinac and the Episcopate in combating the evil influence of neo-pagan propaganda which could be exercised in the organization of the new state.”82 Das Zitat findet sich in einem Beitrag für den „Osservatore Romano“, verfasst von Giovanni Preziosi. Außerdem habe Marcone sich für verfolgte Jüdinnen und Juden eingesetzt. Nach einer Intervention vonseiten des Zagreber Oberrabbiners Miroslav Freiberger, habe Marcone die Ausreise einer Gruppe jüdischer Kinder in die Türkei ermöglicht. Auseinandersetzungen kroatischer HistorikerInnen mit dem Historiker und ehemaligen Leiter des Belgrader Museums für die Opfer des Genozids, Milan Bulajić, waren auch in Bezug auf die Rolle der katholischen Kirche keine Seltenheit. Die von Ljubo Boban verfasste Buchreihe „Kontroversen aus der Geschichte Jugoslawiens“ (Kontroverze iz povijesti Jugoslavije) beschäftigt sich mitunter, wie der Titel vermuten lässt, mit den Fragen der Opferzahlen und deren „ideologische“ Deutung. Im dritten Band der besagten Reihe, herausgegeben von der Zagreber Philosophischen Fakultät, widmet Boban, dessen Forschungsschwerpunkte in der Zwischenkriegszeit, der Geschichte der HSS und des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien bestanden, den Thesen Bulajićs ein eigenes Kapitel.83 Boban reagiert hier auf Bulajićs Vorwurf an seine Adresse, er habe eine Involvierung des Vatikans, die Ustaša-Verbrechen betreffend, geleugnet. Boban antwortet unter anderem mit Hilfe von Zitaten aus Masuccis Aufzeichnungen aus der Zeit seines Aufenthaltes auf dem Gebiet der NDH. Bulajić war der Meinung, dass die Tatsache, dass Masucci über die Existenz des Lagers Jasenovac informiert war, auf eine Gutheißung der Verbrechen durch den heiligen Stuhl zu schließen sei. Boban hingegen merkt an, dass sich des vatikanischen Sekretärs Aufzeichnungen entnehmen lässt, dass dieser zwar einer von Dido Kvaternik inszenierten „Führung“ durch das Lager im Jahr 1942 beigewohnt habe. Boban zitiert Masucci, welcher Unbehagen über die Haftumstände äußert, jedoch zum Schluss kommt, dass die Verhältnisse Jasenovac nicht so schrecklich gewesen seien, wie er es erwartet habe. (Koncentracioni logor u Jasenovcu nije tako strašan kao što mi je bilo rečeno.84) Boban führt an, dass man sich die Präsentation Jasenovacs in Form eines Potemkinschen Dorfes vorstellen kann. Es folgen weitere Zitate Masuccis, die der Autor als entlastend qualifiziert. Eines der Zitate 82 Giovanni Preziosi in: L'Osservatore Romano, 11. 08. 2011: http://www.news.va/en/news/the-papers-of- apostolic-visitor-giuseppe-ramiro-ma. (29. 02. 2014) 83 Ljubo Boban, Kontroverze iz povijesti Jugoslavije 3, Zagreb 1990, „Milan Bulajić, Vatikan i Jasenovac, S. 299 – 329. 84 S. 301.

35 bezieht sich auf ein Treffen Masuccis mit Pavelić kurz vor Kriegsende (3. svibnja 1945), in welchem ersterer die Freilassung politischer und ethnisch/religiöser Gefangener und eine Verständigung mit England empfiehlt, um eine „kommunistische Machtübernahme zu verhindern: „Raspravljao sam s njim o načinima kako bi postigao sporazum s Englezima pozavši ih, da dođu u Zagreb i tako sprijece komunističku okupaciju. 85 In diversen serbischen Publikation wird die Quellenlage dementsprechend ausgewertet, dass der Eindruck einer vollständigen ideologischen Äquivalenz zwischen den damaligen vatikanischen Entscheidungsträgern einerseits, und den Ustaše andererseits, nahegelegt wird. In einigen kroatischen Gegendarstellungen wird das weitgehende Schweigen des Vatikans zu faschistischen Verbrechen (und die partielle Kooperation) geleugnet. Ähnliche Probleme ergeben sich auch bei der Lektüre einiger westlicher Forschungsarbeiten, da diese oft aus einer entweder kirchenkritischen bis kirchenfeindlichen, oder aus einer tendenziell apologetischen Perspektive heraus verfasst wurden. Bei der Lektüre von Texten aus beiden Richtungen (soweit diese sich auf glaubwürdige Quellen berufen) entsteht der Eindruck, dass Papst Pius XII. die Massaker zwar, so wie es auch bei Stepinac der Fall war, für schändlich hielt, sich aber gleichzeitig weigerte, das Regime öffentlich und unmissverständlich zu verurteilen, da er an der Existenz eines „katholischen“ Staates in Südosteuropa festhalten wollte. Diese mehr als ambivalente Haltung kontrastiert (wieder wie bei Stepinac) mit einem unversöhnlichen Antikommunismus, den in aller Deutlichkeit zu artikulieren der Papst sich weder vor, während, noch nach des Krieges scheute. Von einer deutlichen Distanzierung kann daher kaum die Rede sein, was, in Anbetracht der Tatsache, dass die Protagonisten des NDH-Regimes ihre Politik unter Berufung auf die katholische Glaubenslehre rechtfertigten, und zumindest Teile des kroatischen Klerus das Regime unterstützten (und ein weiterer Teil sich an den Verbrechen direkt beteiligte), nur als schwerstes moralisches und menschliches Versagen gewertet werden kann. So stand die katholische Geistlichkeit, zumindest zu Beginn seiner Ausrufung, weitgehend hinter der NDH, teilweise auch offen hinter der Ustaša-Bewegung. In Bosnien-Herzegowina agitierten einige Franziskaner offen auf der Seite des Regimes und auch der Erzbischof von Sarajevo, Ivan Šariċ muss zu dessen überzeugten Unterstützern gezählt werden.86 Dieser soll im Beisein Kvaterniks und Glaise von Horstenaus seine Zustimmung ausgedrückt haben, wenn „Kvaternik von seinen scharfen Absichten gegen die Serben

85 S. 311. 86 Siehe z. B.: Emily Greble, Sarajevo 1941-1945. Muslim Christians, and Jews in Hitlers Europe, New York 2011, S. 82 – 83.

36 sprach“.87 Während manche Franziskaner selbst nicht davor zurückschreckten, sich an Mordaktionen gegen Jüdinnen und Juden und SerbInnen zu beteiligen, schlossen sich andere den PartisanInnen an. Wenn jene, welchen an einer Verteidigung der Rolle der katholischen Kirche gelegen ist, eine solche Feststellung als „katholikenfeindlich“ brandmarken, wird übersehen, dass sich diese Kritik an die katholische Kirche als Institution richten sollte. Die ruhmreiche Erinnerung an jene gläubigen Katholiken, die sich dem Faschismus entgegenstellten, in Kroatien, Spanien und anderswo, wird dadurch nicht geschmälert. Es bleibt aber festzuhalten, dass diese mit ihrem Handeln nicht den damaligen institutionellen Richtlinien der Kirche folgten. Dies gilt auch im Falle Deutschlands, wo, trotz des nationalsozialistischen heidnischen Kultes, militärische Siege und des „Führers“ Geburtstage, mit landesweitem Glockenleuten gefeiert wurden.88 Auch wenn der Vatikan die NDH nie offiziell anerkannt hatte, empfing Pius Pavelić als Privatperson. Der Benediktiner Giusseppe Ramiro Marcone weilte im Auftrag des Papstes im NDH-Staat und erfüllte dort in etwa die Rolle eines Nuntius. Nach Kriegsende beteiligte sich der Vatikan an der Organisation der sogenannten „Rattenlinien“, so die Bezeichnung amerikanischer Dienste für die diversen NS- Kriegsverbrechern gewährten Fluchtwege (rat lines). Den Forschungen89 des Historikers Uki Goñi, welcher sich unter anderem auf britisches Archivmaterial stützt, zufolge, genossen die Tätigkeiten des Ustaša-Priesters Krunoslav Draganović und des österreichischen Bischofs Alois Hudal (zumindest) die stillschweigende Unterstützung des Papstes, der diese mit weitgehenden Kompetenzen bezüglich der „Flüchtlingshilfe“ ausstattete. So gelang es diversen Tätern, darunter auch einigen Ustaše, Pavelić eingeschlossen, sich nach Südamerika abzusetzen. In einem Artikel zum Verhältnis der katholischen Kirche gegenüber dem Judentum in Jugoslawien bis 1941, weist Ivo Goldstein nach, dass in manchen katholischen Organen auch zu dieser Zeit antijüdische Stereotype verbreitet wurden, so wie sie in dieser Periode in Europa häufig zu finden waren. Die ständigen Verweise auf Juden als Unruhestifter und Verbreiter von marxistischen und/oder säkular-liberalen Gedanken, lassen erahnen weshalb einige katholische Würdenträger in und außerhalb Kroatiens es an einer

87 Peter Broucek, Ein General im Zwielicht: Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Wien 1988, S. 96. 88 Siehe z. B.: Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich, München 1965. 89 Uki Goñi, Odessa. Die wahre Geschichte. Fluchthilfe für NS-Kriegsverbrecher, Berlin 2006.

37 deutlichen Verurteilung von Faschismus und Nationalsozialismus fehlen ließen, oder diese gar unterstützten. Trotz ideologischer und spiritueller Vorbehalte dürften konservative Katholiken in der Ablehnung von Liberalismus und Marxismus eine programmatische Gemeinsamkeit mit einigen Spielarten des Faschismus entdeckt haben. So existierten, laut Goldstein, auch innerhalb der kroatischen katholischen Kirche bis 1941 Strömungen, welche Antisemitismus und Faschismus verurteilten und solche, die in Hitler und Mussolini mindestens „kleinere Übel“ sahen. Einmal mehr kommt auch die ambivalente Haltung des Erzbischof Stepinac zum Tragen, von welchem einerseits Verurteilungen rassistischer Positionen überliefert sind, und andererseits Vorstellungen von einer jüdischen Verschwörung und der Haltung, dass ein Sieg Englands oder der Sowjetunion einem möglichen Sieg NS-Deutschlands nicht unbedingt vorzuziehen sei. Am fünften November 1940 notiert Stepinac in sein Tagebuch: „If Germany wins, there will be a horrific terror and destruction for small peoples. If England wins, the Masons and the Jews will retain power and immorality and corruption will ensue inour countries. If the USSR wins, the Devil will have gained power over theworld as well as over Hell. Where then can we lift our eyes but to You, Oh Lord?“90 Laut Goldstein handelte es sich bei einer der katholischen Publikationen, welche sich des Antisemitismus schuldig machten, um die Zeitschrift „Hrvatska Straža“, herausgegeben von der Zagreber katholischen Aktion, deren Vorsitzender Stepinac war. Die Rede war mitunter vom „Juden Trotzkij“, von der jüdischen Hochfinanz in Westeuropa, während man das Wirken von Francos Falangisten in Spanien mit Sympathie begleitete.91 Trotzdem wurden in derselben Publikation die Nürnberger Rassengesetze als „ungerecht“ verurteilt.92 Hieraus zieht Goldstein den Schluss, dass die Autoren einerseits antijüdischen Wahnvorstellungen anhingen, daraus allerdings keine Rechtfertigung für die Verletzung der physischen Unversehrtheit von Menschen jüdischen Glaubens ableiteten, weshalb man es als menschlich korrektes Verhalten erachtete, bedrängten Jüdinnen und Juden zu helfen. Die, an der moralischen Autorität ihrer Selbstwahrnehmung gemessenen, gravierenden Verfehlungen der offiziellen katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs und im Kroatien der 90er Jahre, bedeuten nicht, dass es deshalb richtig wäre, „die Katholiken“, genau sowenig wie „die Kroaten“, kollektiv zu verurteilen. Von dem Versagen der Kirche als Institution abgesehen, gab und gibt es katholische Würdenträger, welche sich weigern,

90 zitiert nach: Ivo Goldstein, Croatia. A history, London 1999, S. 126. 91 S. 128. 92 S. 129.

38 den Glauben in den Dienst nationalistischer Agitation zu stellen. In Feral Tribune vom 15. Juli 1996 findet sich ein Gespräch mit dem bosnisch-kroatischen Franziskaner Luka Markešić, in welchem dieser die Kirche auffordert, den „Faschismus“ in Tuđmans HDZ zu verurteilen („Crkva mora osuditi fašizam u HDZ-u.“93) Markešić hält es des weiteren für angemessen, dass von geistlicher Seite Unterstützung für jene politischen Kräfte gewährt werden solle, welchen nationalistische Positionen fremd sind. In der Realität hatte die Kirche eine Kandidatur Markešićs auf Seiten der bosnischen HSS unterbunden: „Red je bio da Crkva prije zabrane moje kandidature osudi ono što je u politici HDZ-a i u drugim nacionalističkim strankama nacističko i fašističko, da osudi sve zlo učinjeno preko tih stranaka i tek je onda možda mogla svećenicima zabraniti sudjelovanje u politici. Ali dok god postoji opasnost od fašističkih poteza tih stranaka, Crkva ne samo da ne smije svečenicima zabranjivati otpor takvoj politici nego takve svećenike upravo ona mora podržati.“94

7) Die kroatische Bauernpartei (HSS) als Bestandteil der kroatischen Staatsidee

In den Kanon jener Kräfte, auf die sich Tuđman berief, als es darum ging, der kroatischen Staatlichkeit eine ideologische Basis zu verleihen, gehört auch die "Kroatische Bauernpartei" (Hrvatska seljačka stranka, HSS) und deren populärer Anführer Stjepan Radić. Gerne verweisen national orientierte kroatische HistorikerInnen wie Dizdar und Soblevski auf die Rolle Radićs, der 1928 von einem serbischen extremistischen Parlamentsabgeordneten erschossen wurde. Dies, und die mit diesem Ereignis einhergehende chaotische Lage im damaligen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, trug zur Etablierung der Königsdiktatur 1929 bei, als der Staatsnahme in „Königreich Jugoslawien“ umbenannt wurde, einhergehend mit einer zunehmend jugoslawisch-unitaristischen Politik (Siehe z.B. Jelić-Butić, NDH i Ustaše) des Regimes. Zu Radićs Zeiten pflegte die Bauernpartei Beziehungen zur Kommunistischen Internationale und die Bewegung trat der Bauern-Internationale bei. Dies stand einer zumindest partiell national-kroatischen Ausrichtung nicht im Wege, da das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen in Komintern-Kreisen damals den Ruf eines „reaktionären Völkergefängnisses“ innehatte. 1932 organisierte die Bauernpartei Massendemonstrationen, im Rahmen eines höchst

93 Luka Markešić in: Feral Tribune, 15. 06. 1996. 94 Ebd.

39 angespannten Klimas, so wurde deren Vizepräsident Josip Predavec ebenfalls ermordet, in diesem Fall von Unbekannten. Das offene Zurschaustellen national-kroatischer Symbole sollte zum festen Bestandteil der Aufmärsche werden.95 Vladko Maček, Nachfolger des ermordeten Radić trat 1939 einer jugoslawischen Koalitionsregierung bei, nachdem er bei Wahlen mehr als 80 Prozent der kroatischen Stimmen auf sich vereinigen hatte können. Ein Abkommen (sporazum), welches eine kroatische Autonomie herstellen sollte, wurde verabschiedet. Nach dem Belgrader Putsch pro-britischer jugoslawischer Offiziere, als Reaktion auf Jugoslawiens Beitritt zum Dreimächtepakt am 25. März 1941, entschloss sich Maček, nach einigem Zögern, zum Rücktritt und kehrte nach Zagreb zurück. Nach dem Einmarsch der Achsenmächte und dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staates weigerte sich Maček die Führung des unabhängigen Kroatien von Hitlers Gnaden zu übernehmen, forderte die Bevölkerung allerdings in einer Radioansprache zur Kooperation mit den Ustaše auf, die als Alternative zur Bauernpartei herhielten. Die damit einhergehende Loyalität eines beträchtlichen Teils der Anhängerschaft der Bauernpartei zum NDH- Regime, zumindest was dessen Anfangsphase betrifft, eignet sich deshalb jenen national- konservativen HistorikerInnen als Vorbild, denen an einer Unterscheidung zwischen dem harten Kern der Ustaša-Bewegung und der angeblichen grundsätzlichen Legitimität des NDH-Staates gelegen ist. Auch die Tatsache, dass gegen Kriegsende die meisten HSS- AnhängerInnen eher dem Widerstand der PartisanInnen zugeneigt waren, dürfte bei jenen nationalen Kreisen, die nicht offen die Ustaša zu ihrem politischen Vorbild gekürt haben, nicht zu Kopfzerbrechen führen. Schließlich lässt sich dies auch im Sinne von Tuđmans Vorstellungen von „kroatischer Zerrissenheit“, welche dieser heilen wollte, instrumentalisieren. Man mag Seiten gewechselt haben, wichtig aber ist, aus der Motivation des Einsatzes „für Kroatien“ heraus gehandelt zu haben. In einem Buch des Historikers Ivan Mušić (1987, erste Ausgabe bereits 1980) wird ein äußerst positives Bild von Radićs Leben und Wirken gezeichnet. Das Buch kann zwar nicht in einem engeren Sinne als „nationalistisch“ bezeichnet werden, der starke Fokus auf Radićs Kampf gegen Belgrads Vereinnahmungsversuche gegenüber der kroatischen Bevölkerung fällt dennoch auf. Ausführlich wird der Bauernführer zitiert, wenn es um das kroatisch serbische Verhältnis geht, so auch Radićs Forderung, Serben in Kroatien mögen sich zu einer „kroatisch-orthodoxen“ Kirche bekennen, soweit sie auf kroatischem Territorium lebten: „On je znajući da j privezanost uz pravoslvlje izvor jačanja srpske

95 Goldstein, S. 125.

40 svijesti, zastupao načelo, da je štetno i nerazumno, 'osobito u Hrvatskoj', proistovjećivati pravoslavlje sa srpstvom, 'nego naprotiv treba isticati, da pravoslavni može baš tako biti istaknuti da bi ostao dosljedan postavljenom načelu.'“96 Dass Zitate wie diese einem gewissen historischen Kontext entstammen, versteht sich, auch ist der Ton des Buches kein aggressiv-antiserbischer. Bemerkenswert ist jedoch, dass auf eine Aussage wie jene, die von orthodoxen Serben, die auf kroatischem Territorium leben, verlangt, sich als „kroatisch-orthodox“ zu verstehen, positiv Bezug genommen wird. Dies vor dem Hintergrund, dass der Versuch der Schaffung einer „kroatisch-orthodoxen“ Kirche „Hrvatska Pravoslavna Crkva“ später vom Ustaša-Regime vorgenommen wurde, nachdem es nicht gelungen war, sämtliche Serbinnen und Serben durch Vertreibung Ermordung oder Konversion zum Katholizismus, rechtzeitig und erfolgreich, loszuwerden. Die diffuse ideologische Orientierung der HSS zu Zeiten ihres Führers Vladko Maček begünstigte die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der Partei, bis hin zu einem äußerst rechten Flügel. Ohne diesen wäre es den Ustaše, die alles andere als eine Massenbewegung waren, erheblich schwerer gefallen, ab April 1941 ein, wenn auch disfunktionales, Staatswesen aufzubauen.97

7.1) Die Vereinnahmung des Erbes von Stjepan Radić durch den Nationalismus Die erstmals 1951 in Buenos Aires erschienene kroatische Exilzeitschrift „Hrvatska Revija“ , mit Antun Bonifačić und Vinko Nikolić als deren ursprüngliche Herausgeber, machte es sich zur Aufgabe, dem NDH-nostalgischen Teil der kroatischen Emigration eine Stimme zu verleihen. So finden sich in den Ausgaben von 1952 Beiträge, verfasst von u. a. Eugen Kvaternik, Džafer Kulenović und Branko Jelić. Der bereits erwähnte Jelić demonstriert hier seinen Übergang vom offen faschistischen Propagandisten zum Anhänger der „freien- westlichen“ Welt, die sich gegen den totalitären (östlichen) Kommunismus zu verteidigen habe: „Od konca zadnjeg Svjetskog rata napetost odnosa izmedju Zapadnog (slobodarsko- demokratskog) i Istočnog (totalitarističko-komunističkog) Bloka ne samo da ne popušta, nego, naprotiv, dnevno raste.“98 Die Idee einer Zusammenarbeit kroatischer NationalistInnen mit (westlichen) Alliierten

96 Ivan Mušić, Stjepan Radić, Zagreb 1987, S. 19. 97 Siehe z. B.: Ivo Perić, Vladko Maček. Politički portret, Zagreb, 2003. 98 Branko Jelić, „Za Jedinstvo Hrvatske Emigracije“, Hrvatska Revija, September, Buenos Aires 1952, S. 195 – 197, S. 195.

41 kursierte bereits im Sommer 1944, also noch zu NDH-Zeiten. Namentlich Innenminister Mladen Lorković und Ante Vokić vertraten die Ansicht, dass es ratsam sei, Pavelić nahezulegen, dass er zurücktreten sollte. Daraufhin sollte eine neue Regierung unter Führung der HSS gebildet, die deutsche Wehrmacht entwaffnet, und ein Bündnis mit den (westlichen) Alliierten geschlossen werden. Sowohl auf Seiten der Ustaše, als auch auf Seiten der HSS stieß diese Idee teilweise auf Unterstützung. Ante Pavelić betrachtete dies als Verrat und befahl die Hinrichtung Lorkovićs, Vokićs und anderer Vertreter einer solchen Lösung. Der „Poglavnik“ war der Ansicht, es bestehe die Möglichkeit eines angloamerikanisch-sowjetischen Krieges, wodurch sowohl NS-Deutschland, als auch die NDH gerettet werden könnten.99 Was kroatische Opferzahlen während und in der Folgezeit des Kriegs betrifft, spricht Jelić von rund einer Million Ermordeten und Gefallenen: „U tim strašnim i pogubnim okolnistima palo je oko milion hrvatskih života,...“ In der vierzigjährigen Jubiläumsausgabe des Blattes vom März 1990 schreibt Herausgeber Vinko Nikolić, man sei von Beginn an den „im ideologischen und nationalen Sinne“ vorgezeichneten Weg gegangen. Das Programm sei nie geändert worden und mit den Umständen keine Kompromisse eingegangen: „Kroz sve duge minule godine išli smo uvijek u ideološkim i nacionalnim smislu zacrtanim putem, ravno k istome cilju. Programa nismo mijenjali, niti smo ikad svojim radom dovodili u pitanje temeljna načela! S načelima nismo trgovali, niti smo s njima pravili kompromise!“100 Zur beschriebenen ideologischen Kontinuität passt, dass sich in der selben Ausgabe die Photographie einer Büste befindet, gefertigt vom amerikanisch-kroatischen Bildhauers Josip Turkalj, die Mile Budak darstellt.101 Des weiteren ist ein Artikel von Franjo Tuđman abgedruckt, der auf einer Rede basiert, welche dieser, laut Herausgeber, im Rahmen eines exil-kroatischen Kongresses im November 1989 in Chicago gehalten hat und den Titel „Stjepan Radić und die kroatische Souveränität“ (Stjepan Radić i Hrvatska Suverenost) trägt. Der Text beginnt mit der Feststellung, Stjepan Radić und die kroatische Staatlichkeit seien von „vielschichtiger geschichtswissenschaftlicher und aktueller politischer Bedeutung“. („Stjepan Radić i hrvatska državnost tema je od višestrukoga povijesno-znanstvenog i aktualnoga političkog

99 Siehe: Branka Magaš, Croatia through history, London 2007, S. 577. 100 Vinko Nikolić, „Četrdeseta godina Hrvatske Revije“, S. 3-23, Hrvatska Revija, März 1990, München- Barcelona, S. 3. 101 Ebd., zw. S. 8 und S. 9.

42 značenja“102) Es erstaunt nicht, dass sich der Autor für den kroatischen Bauernführer und Politiker nicht aufgrund von dessen sozialpolitischen Ideen und Forderungen interessiert, sondern einzig und allein in Hinblick auf die Frage, ob und wie sich dessen Vermächtnis auf heutige Forderung nach kroatischer Unabhängigkeit anwenden lässt. So werden diverse (kurze) Zitate Radićs angeführt, in denen Begrifflichkeiten wie „kroatische Selbstständigkeit“ (hrvatska samostalnost) und „kroatische Freiheit“ (hrvatska sloboda) zu finden sind103. Stjepan Radić wird sogar in eine Traditionslinie mit Ante Starčević gestellt, da er sich wie folgt geäußert habe: „Nastavljajući Starčevićevu misao, Radić poučava, da hrvatske narodne politike -nemamo i ne možemo imati, dokle god nas politici uče – tuđinci, dok nam oni stvaraju naše ideale... dok ne uvidimo-, da nam nije graditi po volji Beča ni Pešte ni bilo koga drugog, negoli vlastitoga naroda.“ Radić, dessen ideologischer Werdegang einigen Schwankungen unterworfen war, stand in jungen Jahren tatsächlich Starčević und der HSP nahe. Mark Biondich zitiert hierzu ein Dokument aus dem Jahre 1892, in welchem sich Radić, ganz im Geiste Starčevićs, zur „serbischen Frage“ äußert: „They are those people, whom our peole call Vlachs ,Serbs, … Their priests and teachers teach them, and have already taught them, that they are 'Serbs' because they are of the same faith as the people in ... And the croats are merely a Serb race.“104 Später distanzierte sich Radić zwar von Starčević, dessen Verhältnis zur Bauernschaft er als ignorant erachtete. Kroatisch-nationale Positionen vertrat Radić allerdings weiterhin und arbeitete zeitweise auch mit den Frankovci zusammen. Radićs Verhältnis gegenüber Serbien und jenen SerbInnen, die in Gebieten lebten, welche er Kroatien zurechnete, war in jedem Fall weniger ablehnend, als es bei Frank der Fall war. Neben radikal anti- serbischen Ansichten und dessen „Ignorierung“ der Bauernfrage machte Radić Frank auch dessen jüdische Herkunft zum Vorwurf, was, in Anbetracht der Richtung, welche Franks Nachfolger Jahrzehnte später einschlagen sollten, nicht einer bitteren Ironie entbehrt.105 Anders als Starčević war er weniger anti-habsburgisch eingestellt und konzentrierte bis Mitte 1918 seine Hoffnungen auf eine, wie auch immer geartete, Donau-Föderation, 102 Franjo Tuđman, „Stjepan Radić i Hrvatska Suverenost“, Ebd., S. 28-38, S. 28. 103 Beide S. 29. 104 Mark Biondich, Stjepan Radić, the Croat Peasant Party, and the Politics of Mass Mobilizaion, 1904 – 1928, Toronto 2000, S. 33. 105 Siehe: Biondich 2000, S. 53.

43 anstelle eines jugoslawischen Staates, welcher „von Serben“ geführt werden würde.106 Es existieren ebenso Äußerungen, in welchen sich Radić für eine Zusammenarbeit zwischen Serben und Kroaten auf Augenhöhe starkmacht, in eine ähnliche Richtung weist auch ein Text, den dieser in 1902 verfasst hatte und welcher den Titel „Kroaten und Serben (Hrvati i Srbi) trägt. Zu Zeiten des SHS-Staates, übte sich der Politiker in der Rolle des wichtigsten kroatischen Oppositionellen gegen den Belgrader Zentralismus. Nach mehrmaligen Gefängnisaufenthalten erklärten sich Radić und seine Bauernpartei im Jahr 1925 schließlich in einem Abkommen mit Nikola Pašić für bereit, die Verfassung (Vidovdanski ustav) des Königreichs zu akzeptieren. Daraufhin trat er auch der jugoslawischen Regierung bei. Diese Zusammenarbeit107, welche von Anfang an auf beiden Seiten durch Misstrauen geprägt war, ließ sich jedoch nicht lange aufrechterhalten, weshalb sich Radić mit der Partei des kroatisch-stämmigen Serben Svetozar Pribićević verbündete, welcher zuvor eine radikale Kehrtwende, vom jugoslawischen Zentralisten zum Anhänger eines ausgeprägten Föderalismus, durchgemacht hatte. Dem Leben des Bauernpolitikers wurde, nach diversen Versuchen eines Attentats, am 20. Juni 1928 ein gewaltsames Ende bereitet, als ein montenegrinisch-radikaler Parlamentsabgeordneter (Puniša Račić), während einer hitzigen Debatte Radić niederschoss. Die Widersprüchlichkeit von Stjepan Radićs Persönlichkeit, dessen sozialpolitische Forderungen, die kroatisch-nationale Orientierung und sein Martyrium sollten es den verschiedensten politischen Strömungen, von links bis rechts ermöglichen, diesen für die jeweiligen eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Um auf Tuđman, der sich als „Vater der Heimat“ (otac domovine) gerne in eine Reihe mit Starčević und Radić stellte, und sein Referat über den Bauernführer zurückzukommen, sei ein weiteres Zitat angefügt, welches der Autor dem Text „Hrvati i Srbi“ entnommen hat und das sich auf die territoriale Ausdehnung Kroatiens bezieht. Zwar erläutert Tuđman, dass sich Radić einer gewissen Zusammenarbeit mit „den Serben“ nicht grundsätzlich abgeneigt zeigte, nicht zuletzt unter dem Eindruck eines nationalen Romantizismus, der ein vereinigtes „Südslawentum“ nach dem Vorbild von „Germanentum“ und „Romanentum“ zumindest theoretisch wünschenswert mache. Dies werde allerdings durch den Hass „der Serben“ auf „die Kroaten“ erschwert. „Ali njegovo shvaćanje tog jedinstva ne dovodi u pitanje 'Državu Hrvatsku' kao povijesno 'baštinski okvir'. A događaji iz 1902. bit će samo povod više da istakne: 'Od Rijeke do

106 Siehe: Biondich 2000, S. 91-119. 107 Biondich 200, S. 216 – 217.

44 Zemuna ima biti samo Hrvatska, a tamo dalje Srbija.'108“109 Von der Frage abgesehen, wie eine Aussage von 1902 zur gewünschten territorialen Ausdehnung des eigenen Volkes historisch zu bewerten ist, ist es kaum vorstellbar, dass sich Tuđman der Assoziationen, welche er mit dem Anbringen dieses Zitats weckte, nicht bewusst war. Wer 1989 von einer kroatisch-serbischen Grenze bei Zemun spricht, propagiert keine alten Radić-Ideen, sondern die NDH-Grenzziehung. Tuđman erwähnt dies nicht und wendet sich dem Terminus „politisches Volk“ (politički narod) zu, welcher von dem in diesem Referat gelobten verwendet wurde. Dies soll unterstreichen, dass durch die (groß-) kroatische Staatlichkeit keine ethnische oder religiöse Diskriminierung befürchtet werden muss: „A «politički narod» znači da su svi stanovnici u Hrvatskoj «hrvatski državljani», bez razlike na vjeru, jezik i narodnost. Od Ne Hrvata (Srba, Nijemaca, Mađara, Židova) ne smijemo tražiti da se zovu Hrvati», ali «imamo dužnost tražiti od njih», da Hrvatsku, zajedničku domovinu poštuju i iskreno ljube kao i mi.110“111 In der Realität sollten sich die Pläne kroatischer Nationalisten in den 90er Jahren vor allem an der sogenannten Banovina aus der Ära Cvetković/Maček orientieren. Mit dem Cvetković/Maček-Übereinkommen vom August 1939 (sporazum) sollte das angespannte serbisch-kroatische Verhältnis verbessert und durch die erhoffte innenpolitische Beruhigung der Fortbestand des jugoslawischen Königreichs in einer schwierigen gesamteuropäischen Konstellation gesichert werden. Zu diesem Zwecke wurde ein autonomes zusammenhängendes kroatisches Gebiet (Banovina Hrvatska) geschaffen, deren damalige Grenzen später bei Tuđman Gefallen finden sollten, da die Hercegovina und Teile Bosniens ebenfalls Bestandteil dieser politischen Entität waren. Möglicherweise trug diese, aus Sicht mehr oder weniger national gesinnter kroatischer Kräfte, Verbesserung der Lage dazu bei, dass sich, nach dem jugoslawischen Beitritt zum Dreimächtepakt am 25. März 1941, die Protestaktionen gegen diesen Schritt auf serbisch bewohnte Gebiete beschränkten. Hitler, dem an der Umwandlung Jugoslawiens in einen Kriegsschauplatz zum damaligen Zeitpunkt nicht gelegen war, änderte seine Haltung nach dem Putsch vom 27. März auf radikale Weise und ließ sich in Hasstiraden gegen das Land und insbesondere die Serben aus, welche, laut Erich Kordt, Bemerkungen über Polen von

108 Anm., Tuđman 1990: Hrvati i Srbi. Hrvatski odgovor na članak Srpskog književnog glasila od 1. augusta 1902. pod naslovom Srbi i Hrvati. Napisao Stjepan Radić, Zagreb 1902., 31 str. (Usp. S. Radić, Politički spisi, Zagreb 1971., 250-274 i 233-249; F Tuđman, Radić u Hrvatskoj povijesti, 18-9). 109 Tuđman 1990, S. 31. 110 Anm., Tuđman 1990: isto 19-21 111 Ebd., S. 31-32.

45 1939 noch überstiegen.112

8) Verbrechen der Ustaše und der Četnici

Die Historiker Zdravko Dizdar und Mihael Soblevski beschäftigen sich in einem 1999 im Rahmen eines vom „Kroatischen Institut für Geschichte“ (Hrvatski Institut za Povijest) herausgegebenen Werks mit „Četnik-Verbrechen in Kroatien und Bosnien Herzegowina“ während des Zweiten Weltkriegs („Prešućivani četnički zločini u Hrvatskoj i u Bosni i Hercegovini 1941 – 1945“). Bereits im Klappentext wird deutlich, dass die Verbrechen serbischer Četnik-Verbände in den Kontext eines „grossserbischen Plans“ gestellt werden, welcher sowohl vor -als auch nach dem Zweiten Weltkrieg seine Gültigkeit hatte: „Izvorište je tih zločina u shvaćanjima desetljićima. Prema dugogodišnjem četničkom nauku okolna nacionalna i povijesna područja na kojima Srba nema, ali ih Srbi smatraju svojim geostrateškim interesom, moraju postati Velika Srbija.“113 Auf den ersten 150 Seiten erläutern die Autoren die Ideologie der Četnik-Bewegung (soweit von einer einheitlichen Četnik-Ideologie gesprochen werden kann) und deren Verbrechen, die an der kroatischen und muslimischen Zivilbevölkerung auf dem Gebiet, welches damals offiziell dem NDH-Regime unterstand, verübt worden waren. Es soll nahegelegt werden, dass die Vernichtungspolitik der Ustaše gegenüber der serbischen Zivilbevölkerung eher als „Reaktion“ auf die „großserbischen Verbrechen“ zu verstehen sei: „Vodeći računa o namjeri Hrvatskog instituta za povijest da progovori o četničkim zlodjelima u Drugom svjetskom ratu, želi se na ovom mjestu pažljivog čitaoca samo podsjetiti da je zloglasni ustaški logor Jasenovac osnovan čak četiri mjeseca poslije početka četničkog genocidnog nasrtaja na Hrvate i Muslimane u NDH ili dva mjeseca nakon ovog Moljevićeva četničkog projekta.“114 Bezug genommen wird hier auf Aussagen des Četnik-Ideologen Stevan Moljević vom 30. Juni 1941, wo dieser die Schaffung eines ethnisch homogenen Groß-Serbien innerhalb Jugoslawiens fordert. Auch jene Serbinnen und Serben, welche sich den kommunistischen PartisanInnen anschlossen, hätten durch Aufwiegelung vonseiten der Četnici entsprechend gehandelt, es 112 Erich Kordt, Wahn und Wirklichkeit. Die Aussenpolitik des Dritten Reiches. Versuch einer Darstellung, Stuttgart 1947, S. 285. 113 Zdravko Dizdar, Mihael Soblevski, Prešućivani četnički zločini u Hrvatskoj i u Bosni i Hercegovini 1941 – 1945, Zagreb 1999. 114 S. 93.

46 sei um den Kampf gegen den kroatischen Staat gegangen, nach dem „Schock“, den der Zerfall des Königreichs Jugoslawien ausgelöst hatte: „Nakon prvoga šoka što su ga izazvale okupacija i razbijanje Juoslavije te stvaranje NDH, četnici su u BiH i Hrvatskoj počeli, najčešće u suradnji i zajedno s komunistima, raditi na organiziranju oružanog ustanka Srba protiv hrvatske države.“115 Das Wort „Genozid“ wird in Zusammenhang mit Četnik-Verbrechen genannt, deren Planung und Durchführung bereits vor der Einrichtung des Konzentrationslagers bei Jasenovac begonnen hatte. Der „aufmerksame Leser“ sollte, laut Meinung der Autoren, deshalb nicht vergessen, wer als erster einen „Genozid“ begonnen habe. Der Umkehrschluss, den man aus diesen Informationen, wenn sie wahr wären, ziehen könnte, ist, auch wenn dies nicht direkt so gesagt wird, dass es ohne die serbischen Massaker nicht zur Installierung des Lagers gekommen wäre. Wie bei Tuđman, wird zwischen dem „Regime“ und dem NDH-Staat als solchem unterschieden. Man darf davon ausgehen, dass die Autoren mit der Position, die manche HSS-Mitglieder (zumindest zu Beginn) eingenommen hatten, symphatisieren: „Slično je bilo i s hrvatskim političarima iz Bosne i Hercegovine, poglavito s onima iz HSS-a koji su prihvaćali državu ali ne i ustaški režim.“116 Dass es sich bei der NDH um einen faschistisches Regime handelte, scheint zuweilen in Vergessenheit zu geraten, da der Eindruck erweckt wird, serbische Četnici seien die Hauptverbündeten der faschistischen Besatzer gewesen. Diese seien es auch gewesen, die erfundene Opferzahlen von den Četnici ungeprüft übernommen hätten. Somit sei der Mythos von der kroatischen „Genozidalität“, an welchem sich bereits Tuđman ausführlich abgearbeitet hatte, im Grunde, zumindest zum Teil eine Erfindung der Achsenmächte: „Izmišljene četničke brojeve o srpskim žrtvama preuzimale su njemačka, talijanska i druge obavještajne službe bez kritičkog provjeravanja. (…) Tako se već tijekom Drugog svjetskog rata na raznim stranama stvarao mit o navodnoj genocidnosti hrvatskog naroda. Za taj mit odgovorne su podjednako i talijanske i njemačke okupacijske postrojbe u Hrvatskoj te u Bosni i Hercegovini.“117 In Bezug auf Opferzahlen aus Jasenovac ist von 49.602 zu Tode gekommenen die Rede, unter Berufung auf das „Bosniakische Institut Zürich-Sarajevo.

Das Themengebiet Krieg, Besatzung und Widerstand wird bei Ivo Goldstein auf gänzlich

115 S. 93 116 S. 92. 117 S. 101.

47 andere Weise behandelt. Auch wenn Goldstein erwähnt, dass auch manche nicht- faschistische Kräfte, wie Teile der HSS, die Errichtung der NDH zu Beginn begrüssten, lässt der Historiker am faschistischen und genozidalen Charakter des von der Ustaša geführten Staates keinen Zweifel. So wurden bereits am 30. April 1941 Rassengesetze nach nationalsozialistischem Vorbild erlassen. Der fanatische Hass auf die serbisch- orthodoxe Bevölkerung und die hiermit einhergehenden Verfolgungen waren, folgt man Goldsteins Ausführungen, fest in der Ideologie der Ustaše verankert und mussten nicht erst durch angebliche und tatsächliche serbische Untaten provoziert werden, Meinungsunterschiede bestanden allenfalls in der Wahl der Mittel: „The more moderate Ustasha leaders were for mass deportations into Serbia and conversion. The 'hard core', headed by Pavelić and his émigré followers, advocated the 'use of all means, even the most terrible' (from a 1932 editorial headed by Pavelić in the paper Ustaša), i. e. death.“118 Zu diesem Zweck wurde eine Unterabteilung des Ustaša-Sicherheitsdienstes gegründet, die dritte Division der „Ustaška nadzornat služba“.

8.1) Gegenseitige Feindbilder: Ustaše und Četnici, Katholizismus und Orthodoxie

Gerade Vladimir Dedijer, früherer Partisanenkämpfer, enger Mitarbeiter Titos und zeitweise dessen Kritiker, wird in den Werken Tuđmans und seiner KollegInnen häufig als Beispiel eines Vertreters jener kommunistischen serbisch-jugoslawischen Historikerzunft genannt, deren Ziel es gewesen sein soll, die kroatische Nation unter Bezugnahme auf deren angebliche Kollektivschuld in ewiger Knechtschaft zu halten. So bezichtigt Tuđman Dedijer zu jenen serbischen HistorikerInnen zu gehören, die dem kroatischen Volk einen pauschalen Hang zur Genozidalität unterstellten. Anders als national-serbische HistorikerInnen, deren Thesen einen „national-genetischen Charakter“ aufwiesen, würde Dedijer die seinigen vorwiegend mit dem Einfluss der katholischen Kirche oder mit der kroatischen „geistigen Beschaffenheit“ begründen („...patološko- genocidna predodređenost, kojoj će jedini (Dedijer, Živojinović) korijene tražiti pretežito u katoličanstvu ili duhovnim svojstvima (Nikola Stojanović, Dedijer, Živojinović), a drugi (Terzić, Krestić) u nacionalno-genetskim značajkama,...“119) Von der Frage einmal abgesehen, ob eine solche Behauptung haltbar ist oder nicht, lässt sich in der Tat nicht abstreiten, dass bei Autoren wie Dedijer Ideologie eine gewisse Rolle

118 Ivo Goldstein, Croatia. A History, London 1999, S. 137. 119 Tuđman, 1989, S. 421.

48 spielt. Offensichtlich atmen Dedijers Werke den Geist der Tito-Zeit, ein Regime, welches während der 60er und 70er Jahre deutlich liberaler war als jene der realsozialistischen Ostblock-Staaten. Trotzdem waren „Brüderlichkeit und Einheit“ (Bratstvo i Jedinstvo), Blockfreiheit, Sozialismus und Arbeiterselbstverwaltung (radničko samoupravljenje) Ideale, die es nicht offen zu hinterfragen galt. Insbesondere der Partisanenkampf gegen die faschistischen Besatzer als (sozialistisch-) jugoslawischer Gründungsmythos war unverzichtbarer Bestandteil der herrschenden Ideologie. Wichtig war es ebenfalls, dessen multiethnischen Charakter zu betonen, schließlich seien es „die Völker Jugoslawiens“ gewesen, die sich, unter schwersten Bedingungen und unvorstellbarer Opferbereitschaft, den Eindringlingen entgegengestellt hatten. dass die Zeit der faschistischen Besatzung ebenfalls von einem blutigen inner-jugoslawischen ethnischen und konfessionellen Bürgerkrieg begleitet wurde, konnte zwar nicht vollständig verschwiegen werden, wurde aber dahingehend geschildert, dass es auf allen Seiten eine Minderheit von Kollaborateuren und Verrätern gegeben habe. Im sozialistischen Jugoslawien lag es natürlich nahe, die internen Gegensätze mit dem Vokabular des Klassenkampfes zu erklären. Vladimir Dedijer bezeichnet in einer seiner Darstellungen der Kriegszeit die Ustaše und deren VorgängerInnen, die Frankianer/ „Frankovci“ als „rechten Flügel der kroatischen Bourgeoisie“ („Desno krilo hrvatske Buržoazije“)120 Etwas stärker ausgeprägt als bei anderen HistorikerInnen, die dem titoistischen Regime ideologisch nahestanden (oder es zumindest nicht offen ablehnten), ist Dedijers äußerst kritische Beurteilung der Rolle, welche die katholischen Kirche, sowohl innerhalb Kroatiens als auch im Falle des Vatikans, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs spielte. Zu diesem Thema hatte der Autor ein eigenes Buch unter dem Titel „Jugoslovenski Aušvic i Vatikan“ verfasst. Dass die äußerst negative Beurteilung der Figur Alojzije Stepinac in national orientierten kroatischen Kreisen nicht gut ankam, erstaunt nicht. Die ethnischen Konflikte werden vonseiten Dedijers auf marxistische Weise interpretiert: „Nemačke vlasti su koristile nacionalne, verske i klasne sukobe u staroj Jugoslaviji, kako bi putem bratoubilačkog rata što lakše sprovodile Hitlerove planove germanizacije.“ Der Autor geht also davon aus, dass die Gegensätze (Dedijer: nationale, Glaubens- und Klassenkonflikte) die als Folge der Besatzung ausbrachen, von Deutschland bewusst instrumentalisiert wurden, um ihre eigene Herrschaft in der Region zu festigen. Dies trifft

120 Vladimir Dedijer, Pokoravanje i komadanje Jugoslavije (S. 457-471), S. 466, Božić, Čirković, Ekmečić, Dedijer, Istorija Jugoslavije, Beograd 1972.

49 sicher in dem Sinne zu, dass die Zerstückelung Jugoslawiens in diverse Satellitenstaaten und Besatzungszonen dem „Divide et Impera“-Prinzip folgten. Die grenzenlose Eskalation dürfte allerdings auch der Besatzungsmacht zu schaffen gemacht haben, da die Verwandlung Jugoslawiens in einen permanenten Unruheherd den Widerstand immer stärker werden ließ. Dem Argument kroatischer RevisionistInnen, Serbenverfolgungen im NDH seien eine Reaktion auf die Untaten serbischer Aufständischer gewesen und antijüdische Maßnahmen seien ausschließlich aufgrund deutschen Drucks durchgeführt worden, würde Dedijer sicherlich widersprechen. So verweist er auf gegen SerbInnen gerichtete Pogrome aus der Zeit der bosnischen Annexionskrise 1908 und zu Beginn des Ersten Weltkriegs: „Frankovci su u kritičnim situacijama jugoslovenskih naroda, na primer u aneksionoj krizi 1908, zatim 1914. prilikom izbijanja rata, na mig ratnih krugova u Beču, bili na našem tlu glavni organizatori pogroma protiv srpskog stanovništva. (…) Pavelić je logikom zločina ovu koncepciju frankovaca doveo do njenih krajnih posledica.“121 Der Historiker scheint des weiteren der Ansicht zu sein, dass auch der zuweilen als „Vater der Heimat“ (Otac domovine) gehandelte Ante Starčević, laut Tuđman „hrvatski velikan“, in die Traditionslinie rechter kroatischer, serbenfeindlicher Ideologie eingereiht werden kann. Jedenfalls wird darauf hingewiesen, dass „die Ustaše sofort nach der Besetzung Jugoslawiens und der Ausrufung und Gründung der NDH, eine Sonderausgabe der gesammelten Werke Ante Starčevićs herausgaben“. (Ustaše su, odmah posle okupacije Jugoslavije i proglašenja stvaranja NDH, u Zagrebu objavile posebno izdanje sabranih dela Ante Starčevića122) Den Terminus „Genozid“ wendet Dedijer in Bezug auf beide Kriegsparteien an, Ustaše auf der einen, und Četnici und die serbische Kollaborationsregierung unter Milan Nedić auf der anderen Seite: „Značajno je da je i desno krilo srpske buržoazije, na čelu s Dražom Mihailovićem i Milanom Nedićem, takođe primenjivalo hitlerovačke koncepte genocida (čišćenje teritorija) prema Muslimanima i Hrvatima.“123 Die Rede ist auch von Hitlers Plänen, „das jugoslawische Volk zu vernichten“ (uništenje jugoslovenskog naroda124). Die zuvor zitierten Ausschnitte legen nahe, dass Dedijer sämtliche SüdslawInnen als gleichberechtigte „Bestandteile“ eines jugoslawischen Volks ansieht, deren Zwietracht vonseiten NS-Deutschlands ausgenutzt wurde, mit dem

121 Dedijer, S. 466. 122 Dedijer, S. 467. 123 S. 467. 124 Ebd.

50 langfristigen Ziel, sie alle zu vernichten. Deutschlands Helfershelfer waren die „rechten Flügel“ sowohl der kroatischen, als auch der serbischen Bourgeoisie. Auch Milovan Đilas schreibt in seinen Memoiren über die von den Četnici verübten Verbrechen: „Den von den Tschetniks an den Moslems begangenen Massakern lagen zumindest anfangs Elemente der Rache und der Verbitterung zugrunde, zumindest bei den Bauern und jenen, deren Angehörige von den Ustaschas getötet worden waren.“125 Der montenegrinische Partisanenkämpfer, Tito-Vertraute und spätere Dissident lässt keinen Zweifel am reaktionären Charakter der Četnik-Verbände, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass diese nicht eine einheitliche Ausrichtung vorweisen konnten, in Bezug auf Fragen von Ideologie und Zielen: „Zwar waren die Tschetniks in dieser Frage weder einig noch voll entschlossen, noch waren sie in der Lage, die Schlächter und Plünderer aus den eigenen Reihen zu eliminieren. Für uns Kommunisten waren die Ustaschas eine fremde, feindliche Macht, während wir die Tschetniks als Konglomerat serbischer liberaler Nationalisten, empörter Bauernmassen sowie serbischer Chauvinisten und Faschisten ansahen.“126 Das Verhalten der Verbände war, je nach Territorium und Zeitraum, unterschiedlich, so Đilas: „Die Tschetnik Bewegung unterschied sich von Gebiet zu Gebiet. Grob gesprochen bezweckte sie anfangs in Bosnien und Kroatien die Abwehr der Ausrottung, in Serbien die Erneuerung der Monarchie und die Hegemonie über die anderen Südslawen, in die Konterrevolution.“127 Die „Konterrevolution“, oder mit anderen Worten die offene Kollaboration der montenegrinischen Četnik-Einheiten mit den Besatzern lässt sich hiermit erklären, dass dort, bis zur Kapitulation, italienische Truppen stationiert waren, die gegenüber der serbischen Bevölkerung und auch gegenüber serbischen Nationalisten eine deutlich konzialiantere Haltung eingenommen hatten, als es bei den Deutschen der Fall gewesen war. So kämpfte man gemeinsam gegen die PartisanInnen. In Kroatien und Bosnien (von den von Italien annektierten kroatischen Küstengebieten abgesehen), wo die serbische Bevölkerung akuter Verfolgung ausgesetzt war, waren die Zielsetzungen somit, zumindest zeitweise, anders. Die Italienische Kooperation mit den Četnici und die deutsche Reserviertheit gegenüber ebendiesen hatte auch mit den italienischen Gebietsansprüchen gegenüber Kroatien zu

125 Milovan Djilas, Der Krieg der Partisanen. Memoiren 1941-1945, Wien, 1978, S. 187. 126 Ebd. 127 Ebd.

51 tun. Obwohl ursprünglicher Förderer der Ustaše, ging es Italien nun darum, die serbische Karte gegenüber der kroatischen auszuspielen, da man an einer möglichst schwachen Stellung der NDH interessiert war. Deutschland jedoch wünschte sich eine möglichst stabile Lage auf dem Gebiet der NDH, weshalb man sowohl den Amoklauf der Ustaše, als auch die italienische Zusammenarbeit mit den Četnici, mit Argwohn betrachtete, da beides für weitere Eskalationen sorgen würde.128 Der Leiter des deutschen Instituts für Grenz- und Auslandskunde, Dr. Lösch, berichtete 1941 aus Dalmatien: „Die militärische Führung tut so, als sei es ihre Aufgabe, neutral zwischen den aufständischen Serben und den Kroaten zu stehen und Frieden zu stiften; in Wirklichkeit nimmt sie eindeutig gegen die Kroaten Stellung und will ganz Dalmatien erwerben...“129 Dass es durchaus Strategiepapiere, verfasst von Četnik-Ideologen, gab, die die „Säuberung“ Bosniens von Nicht-SerbInnen forderten, entspricht jedoch den Tatsachen, auch dass der bereits erwähnte Stevan Moljević derartige Ziele verfolgte, kann nicht geleugnet werden. Den Teufelskreis der Gewalt beschreibt Đilas auf eindrückliche Weise, anhand von den Geschehnissen in der ostbosnischen Ortschaft Foča: „Im Sommer 1941 hatten zuerst die Ustaschas, unter denen es ziemlich viel moslemisches Lumpengesindel gab, die Serben gemordet; dann wurde das Städtchen von den Tschetniks eingenommen, die als Fortsetzung nun die Moslems mordeten. Von den Berichten sind mir grauenvolle Einzelheiten im Gedächtnis geblieben. In Foča selbst hatten die Ustaschas die einzigen Söhne von zwölf angesehenen serbischen Familien hingemordet; im Dorf Miljevina schlachteten sie Serben über einem Bottich – vermutlich um ihn mit Menschenblut statt mit Treber zu füllen. Die Tschetniks wieder brachten gruppenweise gefesselte Moslems auf die Drina-Brücke um und warfen die aneinander geketteten Leichen in den Fluss. Viele Genossen haben solche Gruppen von Leichen gesehen, die an einem Felsen oder an Baumwurzeln hängengeblieben nun in der Strömung hin und her trieben; die Familien der Ermordeten erkannten sogar ihre Angehörigen.“130

8.2) Der gegenseitige Vorwurf der Kollaboration

Von jenen eher marginalen Kräften, deren Hauptanliegen darin besteht, die NDH und die

128 Siehe: Gier 1972, S. 49-50. 129 zt. nach: Gier 1972, S. 50. 130 Ebd.

52 Ideologie der Ustaše offen zu glorifizieren, schickte sich ein Teil der kroatischen HistorikerInnen an, darzulegen, dass der Vorwurf der Zusammenarbeit mit den Besatzern und der Beteiligung am Holocaust, auf Serbien stärker zuträfe, als bei Kroatien der Fall sei. Zu den Argumenten gehören unter anderem die Tatsache, dass im unter deutscher Militärverwaltung stehenden Restserbien eine Kollaborationsregierung unter General Milan Nedić gebildet worden war und der „genozidale“ Charakter der Četnici, wovon beispielsweise bei Dizdar und Soblevski ausführlich die Rede ist. Der Autor Josip Pečarić hat zu ebendiesem Thema ein Buch veröffentlicht131, welches hauptsächlich der Auseinandersetzung Milan Bulajić dient. Die Lager Banjica und Sajmište werden Jasenovac entgegengestellt, dessen Opferzahlen selbstverständlich heruntergespielt werden und dessen Charakter als Vernichtungslager negiert wird. Des weiteren wird behauptet, der Antisemitismus habe eine lange Tradition in Serbien, sei in Kroatien aber nahezu nicht existent gewesen. Unter anderem wird auf den Gedenkort Yad Vashem verwiesen, wo die Prozentsätze ermordeter Jüdinnen und Juden in Kroatien und Serbien mit 75 und 95 Prozent angegeben werden.132 Da sich die Lager Banjica und Sajmište im Großraum Belgrad befanden, schlägt Pečarić vor, die Bezeichnung „Auschwitz des Balkans“ auf Belgrad, und nicht auf Jasenovac, anzuwenden.133 Nicht beachtet wird hierbei, dass die Involvierung der deutschen Besatzungsinstitutionen auf serbischem Gebiet deutlich größer waren, als im Falle der NDH, wo der Massenmord größtenteils autonom organisiert wurde. Zynisch ist Pečarićs Argumentationsweise auch deshalb, weil suggeriert wird, die Bevölkerung Serbiens sei während der Besatzungszeit Herr ihres eigenen Schicksals gewesen. Die zahlreichen Massaker der deutschen Besatzer, begangen an Juden, Kommunisten, aber auch an einfachen serbischen Zivilisten (z.B. Kragujevac), sprechen eine andere Sprache. Wahr ist allerdings, dass sich Nedićs Kollaborationsregierung an der Verbreitung antijüdischer Propaganda beteiligte, was sich beispielsweise in der Organisation einer „Großen Anti-freimaurerischen Ausstellung“ äußerte, in welcher der Nazi-deutsche Antisemitismus vollständig übernommen wurde. Sicherlich ist es nicht falsch, Behauptungen, die darauf abzielen, in Serbien hätte es nie Antisemitismus gegeben, zu widerlegen. Doch wie so häufig werden Verfehlungen auf der

131 Josip Pečarić, Serbian Myth about Jasenovac, Zagreb 2001. 132 S. 200. 133 S. 250.

53 gegnerischen Seite gerne in die Höhe getrieben und die eigene Geschichte reingewaschen. Dies äußert sich auch am Beispiel des serbischen Bischofs Nikolaj Velimirović, der ein bigotter Antimodernist, Antisemit und Antikommunist war. dass dieser auch heute noch von christlich-konservativen Bewegungen in Serbien, die der Ideologie der „Svetosavlje“ nahestehen, verherrlicht wird, ist selbstverständlich kritikwürdig. Doch dabei bleibt es nicht, Velimirović wird ein beschönigtes Stepinac-Bild entgegengestellt, dem, wie so oft, die Rolle eines großen Humanisten und Helfer der Bedrängten zugeschrieben wird.134 2003 wurde Velimirović von der serbisch-orthodoxen Kirche in die Reihe der Heiligen aufgenommen. Velimirović hatte ursprünglich liberale Positionen vertreten und galt als anglophil. Deshalb, und aufgrund seiner ausgeprägten Bildung, galt er als Hoffnungsträger, die Erneuerung der orthodoxen Kirche in einem modernen serbischen/jugoslawischen Staate betreffend. Unter Einfluss der sogenannten Bogomoljci, einer christlich-orthodoxen Laienbewegung, wendete sich der Bischof jedoch in den 1930er Jahren einem rückwärtsgewandten christlichen Nationalismus zu. Dass er im September 1944 im Konzentrationslager Dachau interniert worden war und dort drei Monate zu verbringen hatte, wird mitunter als Begründung für dessen „Antifaschismus“ herangetragen. Dort „genoss“ der Bischof allerdings den Status eines Ehrenhäftlings; ein ihm zugeschriebenes Pamphlet soll in dieser Zeit entstanden sein, unter dem Titel „Srbima kroz tamnički prozor“ (Den Serben durch das Kerkerfenster), welches dessen am weitesten gehende antisemitischen Ausfälle enthält. Den Juden wird unterstellt, für sämtliche „Übel“ der Moderne die Verantwortung zu tragen, da sie Christusmörder und Söhne des Teufels seien: „Njeni političari kao mesečari u zanosu govore o jednakosti svih verovanja i neverovanja. Sva moderna gesla evropska sastavili su Židi, koji su Hrista raspeli: i demokratiju, i štrajkove, i socijalizam, i ateizam, i toleranciju svih vera, i pacifizam, i sveopštu revoluciju, i kaptalizam, i komunizam. Sve su to izumi Židova, odnosno oca njihova đavola.“135 In einer Rede von 1935 hatte sich der Bischof noch positiv auf Adolf Hitler bezogen, da dieser einen dem Glauben nicht feindlich gegenüberstehenden Nationalismus praktiziere, was durchaus dem Geiste des heiligen Sava entspreche. Später distanzierte sich Velimirović jedoch vom Nationalsozialismus und lehnte eine offene Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht ab. Unterstützer der Kanonisierung Velimirovićs weisen auf die Aussagen der Jüdin Ela Trifunović hin, welche in einem offenen Brief von 2001

134 S. 229. 135 http://www.svetosavlje.org/biblioteka/vlNikolaj/KrozTamnickiProzor/Nikolaj070277.htm . (29. 02. 2014)

54 aussagte, dass Velimirović sie und ihre Mutter in einem Kloster während 18 Monaten vor den deutschen Häschern versteckt gehalten habe.136 Dasselbe Argument hatte bereits dazu gedient, Stepinac mit einer Opferrolle zu versehen. Nicht bestreiten lässt sich jedoch des Bischofs enge Zusammenarbeit mit dem Führer der faschistischen Zbor-Bewegung Dimitrije Ljotić, welche bis zu dessen Tod durch einen Autounfall im April 1945 anhielt. Velimirović hielt eine Grabrede für Ljotić, in welcher er dessen Lebenswerk pries und ihn als moralisches, nationales und religiöses Vorbild würdigte. Dies, obwohl an dessen pro-nazistischer Ideologie und der Verstrickung mit den Besatzungsorganen kein Zweifel hatte bestehen können. Die Pomirba-Ideen Tuđmans finden Pečarićs Zustimmung, was am, im Buch erwähnten, Beispiel der Planungen des früheren kroatischen Präsidenten, die Jasenovac- Gedenkstätte umzustrukturieren, zu erkennen ist. Diese seien gerechtfertigt gewesen, da ein Zweig der „Križni put“-Kolonne in Jasenovac geendet habe: „One group of sufferers from the Way of the Cross of the Croatian People also ended up at Jasenovac.“137 Auch Unterschiedslosigkeit zwischen faschistischem und kommunistischem Terror wird einmal mehr suggeriert, unter Bezugnahme auf die Behauptung, das Lager sei vonseiten der PartisanInnen nach Kriegsende weiterbetrieben worden.138 Mit dem Verweis auf den „Kreuzweg“ wird einmal mehr nahegelegt, die Partisanenbewegung sei grundsätzlich anti-kroatisch eingestellt gewesen. So scheinen die jugoslawischen KommunistInnen und SerbInnen zu Synonymen zu verschwimmen: „This is why the communist´s false accusations ahainst Stepinac as a war criminal help Greater Serbian Propaganda, because it diverts attention from the dishonourable behaviour of the SPC.139 Auch der amerikanische Historiker Philip J. Cohen hatte ein Buch unter dem Titel „Serbias Secret War“140 verfasst, in welchem er ähnliche Positionen (einer explizit serbischen Affinität zum Faschismus) vertrat, und hierfür von Tuđman ausgezeichnet wurde. Auf Cohens Werk wird in revisionistischen kroatischen Publikationen häufig Bezug genommen. Das Buch ist im Rahmen einer akademischen Publikationsreihe zu Fragen der südslawischen Geschichte erschienen, herausgegeben vom kroatisch-amerikanischen Historiker Stjepan G. Meštrović. Das Vorwort stammt von David Riesman, emeritierter 136 http://pravoslavlje.spc.rs/broj/913/tekst/vladika-nikolaj-spasavao-jevreje . (29. 02. 2014) 137 Pečarić 2001, S. 111. 138 Ebd. 139 S. 230. 140 Philip J. Cohen, Serbias Secret War, Texas 1996.

55 Harvard Professor für Gesellschaftswissenschaften. Bereits auf den ersten sechs Seiten des ersten Kapitels („The Roots of Serbian Fascism“, S. 3) wird eine direkte Linie, von Ilija Garašanins „Načertanije“141 von 1844, bis zu Vasa Čubrilovićs Pamphlet, welches „die Aussliedlung der Arnauten“ (Iseljavanje Arnauta) aus dem Kosovo fordert, gezogen. Ein Unterkapitel unter dem Titel „Serbias Fascist Movement of the 1930s“, welches sich vor allem mit Ljotićs „Zbor“-Bewegung und Stojadinovićs tendenziell NS-freundlicher Politik beschäftigt, findet sich bereits auf Seite 12. Die Demonstrationen nach dem jugoslawischen Beitritt zum Dreimächtepakt und der März Putsch hätten nichts mit einer wie auch immer gearteten serbischen Antipathie gegenüber NS-Deutschland zu tun gehabt, sondern hätten ausschließlich die Aufhebung der kroatischen Autonomie zum Ziel gehabt, weshalb es dem britischen Geheimdienst gelungen sei, derartige Bestrebungen auf serbischer Seite auszunutzen, um einen Konflikt Belgrads mit Hitler heraufzubeschwören.142 Im Kapitel „Serbian Complicity in the Holocaust“143 wird, in einem ähnlichen Verfahren wie es der Autor zu Beginn des Buches bezüglich der „grossserbischen“ Tradition anstellt, der Antisemitismus als eine Kontinuität der serbischen Geschichte geschildert, welche vom ersten serbischen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft 1804 bis in die heutige Zeit hinein andauere. Gerade in Hinblick auf den Versuch, Sympathien für die jeweils eigene Sache im Westen zu gewinnen, lässt sich erklären, weshalb beide Seiten sich zu Beginn der 90er Jahre bemühten, dem Gegner einen besonders ausgeprägten Antisemitismus mit historischer Kontinuität, zu unterstellen. Hierzu ist festzustellen, dass judenfeindliche Positionen, beispielsweise in der Zwischenkriegszeit, im gesamten Königreich eine eher marginale Rolle spielten, was die Stimmung in der serbischen und kroatischen Bevölkerung betrifft (Von offizieller Seite gab es jedoch antisemitische Tendenzen, inbesondere in den letzten Jahren vor dem Angriff der Achsenmächte.). Bewegungen, die einen offensiven Antisemitismus vertraten und gleichzeitig in der Lage gewesen wären, die Massen zu mobilisieren, existierten weder serbischer- noch kroatischerseits. Der serbische Politiker und spätere Nazi-Kollaborateur Dimitrije Ljotić gründete 1935 die „Jugoslawische Nationalbewegung Zbor“ (Jugoslovenski Nacionalni Pokret Zbor). Die Bewegung stand für einen unitaristischen Jugoslawismus ein und verbreitete rassenbiologische Hetze. Bei 141 „The idea of an ethnically homogenous Greater Serbia, deeply rooted in Serbian political culture, was first codified in 1844 by Ilija Garašanin, then an infliential minister in the Principality of Serbia under the crown of Prince Alexander Karađorđević.“, Cohen 1996, S. 3. 142 Ebd., S. 24 -25. 143 S. 63-85.

56 Wahlen zwischen 1935 und 1938 erhielt „Zbor“ gerade einmal knapp ein Prozent der Stimmen.144 Während innerhalb der serbischen Bevölkerung des Königreichs eine, wohl nicht zuletzt den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs geschuldete, anglo- und frankophile Stimmung vorherrschte, begann sich das Land spätestens ab 1937, unter Regie der damaligen Regierung Stojadinović, immer enger an NS-Deutschland anzunähern. Einer der Gründe hierfür dürfte die Erwägung gewesen sein, dass eine deutschlandfreundliche Politik als Garant gegen italienische territoriale Ansprüche dienen sollte. Mit dem Ziel, Deutschland zu „gefallen“, wurden zunehmend antisemitische Gesetze erlassen, so ein Gesetz vom Oktober 1940, welches jüdischen Klein- und Großhandel verbot. Auch ein Numerus Klausus, der den Zugang jüdischer StudentInnen zu den Universitäten des Landes erschwerte, wurde eingeführt.145 Physische Übergriffe auf die jüdisch-jugoslawische Bevölkerung blieben jedoch aus.

9) Das wechselhafte deutsche und österreichische Serbien-Bild

Das deutsche und/oder österreichische Serbien-Bild war bereits seit einiger Zeit massiven Schwankungen ausgesetzt. Während zu Zeiten der nationalen serbischen Emanzipation von der osmanischen Herrschaft, die Bestrebungen der südslawischen Nation bei einigen deutschen Romantikern Sympathien weckte, man denke an Jacob Grimm, welcher Vuk Karadžićs philologische und folkloristische Tätigkeiten unterstützte, oder des letzteren Freundschaft zu Johann Wolfgang von Goethe, welcher an den Sammlungen serbischer Heldenlieder einigen Gefallen fand. Andererseits existierte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine Form von Antislawismus, der auch vor den Köpfen mancher fortschrittlich denkender Zeitgenossen keinen Halt machte. So betrachteten Karl Marx und Friedrich Engels, an Hegels Vorstellungen vom Volksgeist anlehnend, die südslawischen Völker als „geschichtslos“, da sie zwischen dem osmanischen Imperium und Österreich aufgerieben, nicht mehr in der Lage seien, eine dem Fortschritt dienende historische Mission zu erfüllen. Nach den 1848 niedergeschlagenen bürgerlichen Aufständen, verfasste Engels einen Artikel, in welchem er einen Rachefeldzug gegen „die slawischen Barbaren“ forderte, nicht nur „reaktionäre Klassen“ sondern auch „reaktionäre Völker“ hätten zu verschwinden.146

144 Siehe: Holm Sundhaussen, Geschichte Serbiens, Wien 2007, S. 288-289. 145 Siehe Sojčić 2008, S. 252 – 255. 146 Zitiert aus MEW 6: 176 durch Klaus Thörner in: Jungle World, 26. 03. 2009: http://jungle- world.com/artikel/2009/13/33606.html. (29. 02. 2014)

57 Um die Jahrhundertwende kam die die Vorstellung von Serben als finstere Verschwörer auf (was beispielsweise mit der Ermordung des serbischen Königs Aleksandar Obrenović, der für eine Wien-freundliche Politik einstand, begründet wurde), die darüber hinaus barbarisch und unzivilisiert waren.147 Bekannterweise fand die Hetze gegen alles Serbische ihren Höhepunkt während des Ersten Weltkriegs, die von Karl Kraus ironisch rezipierte Parole „Serbien muss sterbien“ wurde während der Kriegszeit tatsächlich in österreichischen Karikaturen propagiert. Die unerbittliche Kriegsführung der K.u.K. Truppen in Serbien hatte sicherlich ihren Anteil an der überaus hohen Anzahl von serbischen Kriegstoten, welche wahrscheinlich die Millionengrenze überschritt. In der Zeit der relativ guten Verhältnisse zwischen NS-Deutschland und dem Königreich Jugoslawien, bis zum Märzputsch von 1941, sollte sich das deutsche Serbien-Bild einmal mehr einer Änderung unterziehen. In Fachpublikationen, die in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in NS-Deutschland erschienen und die sich mit Südosteuropa beschäftigten, wurde die jugoslawische Staatsgründung durchaus auf positive Weise dargestellt, wobei Serbien eine Art Piemont-Status (oder gar den eines südslawischen Preußen) zugestanden wird. Im 1938 erschienen Band „Der Weg zur Nation“, verfasst vom Südosteuropa-Forscher Gilbert in der Maur, wird der kroatische Separatismus vonseiten Radićs und auch jener der Staatsrechtspartei als schädlich verurteilt: „Der kroatische Separatismus hatte also genau so wie jeder andere Separatismus sich volksschädigend ausgewirkt, ohne mit diesem Festhalten der Tatsache die Ansicht verbinden zu wollen, das Schicksal der 'Julischen Mark' wäre ohne der Anmeldung eines kroatischen Separatismus anders ausgefallen, als es tatsächlich entschieden wurde“.148 Nicht nur Milan Stojadinović, sondern auch König Aleksandar und Nikola Pašić werden als „nationale große Männer“ gepriesen und dementsprechend konstatiert der Autor: „Der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen ging und geht seinen Weg, der das Werden einer Nation zeigt, weil sein Weiser als Aufschrift den Wahrspruch des Jahrhunderts trägt: Ein Volk – ein Reich!“149 Bereits in einem Sammelband aus dem Jahre 1935, herausgegeben „in Verbindung mit dem Südost-Ausschuss der Deutschen Akademie“150 von Franz Thierfelder, wird „dem südslawischen Volk“, sowohl in seiner kroatischen, als auch in seiner serbischen 147 Jörg Becker in: Ossietzky, 03. 10. 2009: http://www.ossietzky.net/20-2009&textfile=757. (29. 02. 2014) 148 Gilbert in der Maur, Der Weg zur Nation. Jugoslawiens Innenpolitik. Stojadinovic als Vollstrecker. III. Band des Werkes „Die Jugoslawen einst und jetzt“, Berlin 1938, S. 25. 149 Ebd., S. 5. 150 Franz Thierfelder (Hg.), Das Königreich Südslawien, Leipzig 1935.

58 Ausprägung, einiger Respekt gezollt. Auch wenn Thierfelder in seinem Entnazifizierungsverfahren bescheinigt wurde, „unbelastet“ zu sein, lässt sich nicht bestreiten, dass dieser einer deutsch-völkischen Gesinnung nicht abgeneigt war.151 Ähnliches gilt für den Geographen, Karl Haushofer, der der damaligen Schule der deutschen „Geopolitik“ angehörte und mit Rudolf Heß befreundet war, nach dessen Tod aber zunehmend in Konflikt mit der nationalsozialistischen Herrschaft geriet. Die Herausgeber des Buches vermitteln somit den Eindruck, dass sie dem deutsch-völkischen Mainstream durchaus angehörten, ohne im engeren Sinne Vertreter einer explizit nationalsozialistischen Ideologie gewesen zu sein. Die von Ivo Andrić in seiner Doktorarbeit beschriebenen, unter den Bedingungen des osmanischen Besatzungsregimes im Vergleich zu Westeuropa beschränkten, Entwicklungsmöglichkeiten der südslawischen Völker, werden auch in einem Beitrag des Balkanologen und Slawisten Alois Schmaus als solche geschildert, allerdings positiv gewertet, aufgrund einer auf diese Weise erhalten gebliebenen „ethnographischen Ursprünglichkeit und Frische“152: „Diese Tatsache ist zum großen Teil der sonst so vielgeschmähten Türkenherrschaft zu verdanken, die mit ihren die primitiven Gemeinschaftsformen erhaltenden sozialpolitischen Bedingungen zu einer Periode der Rückkehr zur ethnographischen Ursprünglichkeit wurde, indem sie dadurch nicht nur altes Brauchtum vor dem Untergang bewahrte, sondern in einer Art rückläufiger Bewegung sogar absterbende Bräuche wieder zu neuem Leben erweckte.“ Einigermaßen erstaunlich mutet die Feststellung an, dass diese, zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung erschienene, Publikation zwar einen national-romantischen Geist atmet, trotzdem aber frei vom, in der nationalsozialistischen Propaganda gepflegten, Feindbild des „slawischen Untermenschen“ ist. Im Beitrag „Die politische Organisation des südslawischen Volkes“, von Egon Hehmann, wird den panslawistischen Ideen aus dem 19. Jahrhundert zugute gehalten, sich von der deutschen Romantik, anstelle der französischen Revolution, inspiriert haben zu lassen.153: „Ernst Moritz Arndts Ruf 'Das ganze Deutschland soll es sein', die burschenschaftlichen Ideen haben jenen geistigen Panslawismus geweckt, dessen Wortführer Tschechen und Slowaken waren, und den im südslawischen Bereich als erster Ljudevit Gaj verkündete, Sohn eines Apothekers

151 Siehe: Eckard Michels, Deutsch als Weltsprache? Franz Thierfelder, the Deutsche Akademie in Munich and the promotion of the German language abroad. 1923–1945., in: German History 22, 2, 2004, S. 206- 208. 152 Alois Schmaus, Sitte und Brauchtum der Südslawen, S. 69, in: Thierfelder 1935, S. 69 – 91. 153 Egon Hehmann, Die politische Organisation des südslawischen Volkes, S. 94, in: Thierfelder 1935, S. 92 – 173.

59 deutscher Abstammung, ...“ Selbst die Leistungen der serbischen Soldaten im Ersten Weltkrieg werden gewürdigt. F. W. von Gerzen weist auf die Besonderheit hin, dass Kroaten und Serben während des Krieges auf gegnerischen Seiten gekämpft, sich aber beide durch äußerste Tapferkeit ausgezeichnet hätten. Vor allem die serbischen Verdienste werden im Laufe des Beitrags gewürdigt, sie seien den deutschen kämpferischen Tugenden weitgehend ebenbürtig: „Der deutsche Soldat hat in seinem serbischen Kriegsgegner einen Kameraden auf der anderen Seite kennengelernt, gegen den zu fechten nicht leicht, und gegen den zu siegen deshalb besonders ehrenvoll war,...“154 Eine deutlich andere Sprache spricht ein 1942 erschienenes Werk, verfasst vom NS- Publizisten Walter Schneefuß unter dem Titel „Die Kroaten und ihre Geschichte“155, herausgegeben vom Wilhelm Goldmann Verlag in Leipzig, im Rahmen einer Reihe, welche den Titel „Weltgeschehen“ trägt. Andere Titel aus derselben Serie (Beispielsweise „Der deutsche Kampf im Osten“, „Deutschtum in Südosteuropa“, „Wer regiert in USA.? - Die Zwiespältigkeit der amerikanischen Politik“, etc.) legen nahe, dass das Ziel der entsprechenden Publikationen darin bestand, die nationalsozialistische ideologische und geopolitische Sicht auf Europa und die Welt den Leserinnen und Lesern nahezubringen. Auf der ersten Seite des einführenden Kapitels „Die Kroaten und ihr Staat“ wird auf die aktuelle und historische Sicht auf „die Kroaten“ hingewiesen: „Denn die Kroaten sind eines der ältesten Völker im mitteleuropäischen Raum, ja, wenn man das geschichtliche Wirksamwerden allein betrachtet, das älteste nach den Deutschen, jedenfalls das älteste von denen, die nach dem Weltkrieg und nach dem Auseinanderfallen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten.“156 Darüber hinaus seien die „blonden hochgewachsenen, sauberen Menschen Kroatiens“ wahrscheinlich Nachfahren der Goten: „Denn siegreich und machtgebietend wie diese hoben sich die Kroaten im Glanze kriegerischen Heldentums plötzlich klar greifbar und ziemlich geschlossen aus den schwankenden Stammesgebilden des Donauraumes hervor.“157 Die Kroaten seien in der Folgezeit in den „Bannkreis der Deutschen und ihrer fränkischen Vorläufer“ geraten, während das Schicksal „der Serben im Guten wie im Bösen vom Osten

154 F. W. Von Gertzen, Der grosse Krieg und der südslawische Soldat, S. 214, in: Thierfelder 1935, S. 214. 155 Walter Schneefuss, Die Kroaten und ihre Geschichte, Leipzig 1942. 156 Schneefuss 1942, S. 7. 157 Ebd., S. 8.

60 her, von Byzanz und dem Türkenreich gestaltet wurde.“158 Erstere hätten für das Abendland dieselbe Bedeutung wie die „Ostmark im Rahmen Deutschlands“.159 Auf den folgenden ca. 50 Seiten wird das Schicksal des kroatischen Volkes im Spannungsverhältnis zwischen Österreich, Ungarn und den Osmanen behandelt und auch auf die romanischen Einflüsse hingewiesen. Des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinands Pläne einer südslawischen autonomen Einheit, unter weitgehender Gleichberechtigung mit Österreich und Ungarn, sei von ungarischer Seite behindert und durch großserbische Ambitionen aus Belgrad hintertrieben worden: „Dies gab Serbien der österreichischen Großmacht gegenüber die Gefährlichkeit eines Unterseebootes gegen ein Schlachtschiff und machte die österreichische Politik so empfindlich gegen alles, was hier an ihren Bestand und ihr Ansehen rührte.“160 Nikola Pašić wird dieses Mal nicht als eine Art südslawischer Bismarck geehrt, es wird ihm vielmehr das Scheitern des künftigen jugoslawischen Staates zur Last gelegt, da er „ein Großserbien, nicht ein Jugoslawien“ gewollt habe und gleichzeitig die „reichen Länder der Kroaten und Slowenen“ beherrschen.161 Die aufgrund der Verhältnisse nach 1918 für die Kroaten ungünstigen geopolitischen Konstellationen hätten diese in die Arme Belgrads getrieben, da die Bedrohung durch italienische Gebietsansprüche und die Wertschätzung der Entente für Serbien, kaum Platz für einen erweiterten Spielraum ließen Dies hätte auch einen zivilisatorischen Rückschritt zur Folge gehabt: „Ganz zweifellos war die Vereinigung mit dem noch nicht all zulange aus türkischer Herrschaft befreiten serbischen Volk für das alte kroatische Kulturvolk ein kultureller Abstieg, denn wenn auch die größere Energie und Aktivität der Serben ein Einholen und Angleichen erwarten ließ, so waren sie eben doch noch nicht so weit, und in Kroatien wollte man die Zwischenzeit am liebsten gesondert verbringen.“162 Anders als die Serben, hätten die Kroaten eine „ungebrochene und daher viel länger wirkende und höhere Kultur“ und eine „mitteleuropäische Lebensweise“ vorzuweisen.163 Dem NDH-Staat ist das (kurze) letzte Kapitel gewidmet, nachdem ohne weitere Erläuterung erwähnt wurde, dass der Putsch vom 27. März 1941 „die Auflösung Jugoslawiens herbeiführte“.164

158 S. 10 und 11. 159 S. 11. 160 S. 55. 161 S. 58 und 59. 162 S. 78. 163 S. 79. 164 S. 100.

61 Nun sei Kroatien frei, bestehe in seinen natürlichen Grenzen und könne seiner (europäischen) Kultur und Tradition entsprechend existieren: „Der junge Staat tritt hier ein nicht unbeträchtliches deutsches Kulturerbe an, dessen Fortführung nicht zu seinen geringsten Aufgaben gehört.“165 Das Schicksal der serbisch-orthodoxen Bevölkerung wird nicht erwähnt. In einer anderen Publikation aus dem selben Jahr (1942), welche sich mit ganz Südosteuropa beschäftigt, wird die NDH-Politik gegenüber der unerwünschten Minderheit kurz angedeutet. Es handelt sich um Josef März' Schrift „Gestaltwandel des Südostens“, in welcher ein kurzes Kapitel namens „Der Unabhängige Staat Kroatien“ enthalten ist. Es wird konstatiert, dass sich ein Zusammenleben beider Völker als nicht wünschenswert erwiesen habe weshalb der neue kroatische Staat entsprechende Maßnahmen ergreife: „Der Wille zu einer kompromisslosen Trennung ist entschieden, er betrifft nicht nur die Wegschiebung alles serbischen Erbes und die Aussiedlung der in Kroatien wohnenden Serben oder ihre Stellung unter ein Sonderregime, sondern auch die Schaffung einer neuen Grundlage für das Gemeinschaftsleben.“166 Die Mordaktionen der Ustaše bleiben jedoch unerwähnt. In jedem Fall ließ die Spitze des NS-Regimes Pavelić freie Hand, trotz Protesten vonseiten deutscher Wehrmachtsgeneräle. Schwerwiegender dürften Hitlers Worte gegenüber Pavelić gewogen haben, als dieser die Durchführung einer, für die nächsten 50 Jahre, „national intoleranten Politik“ in Kroatien empfahl.

8.3) Der Mythos des Četnik-Widerstandes

Als Beispiel für eine nicht-deutsche Publikation, welche einer national-serbischen und antikommunistischen Interpretation der Verhältnisse in Südosteuropa während des Zweiten Weltkriegs nahe kommt, kann Michael Lees 1990 erschienenes Werk „The Rape of Serbia“ dienen. Der Autor wird als früherer britischer „Special Operations Officer“ auf dem Balkan vorgestellt, dessen Aufgabe es war, Widerstandsbewegungen bei Sabotageaktionen gegen die Besatzer zur Seite zu stehen. In der Einleitung lässt Lees keinen Zweifel an seiner Sichtweise der Verhältnisse, dass mit seiner Abwendung von Mihailovićs Četnici einen unverzeihlichen Fehler begangen habe, er sei naiv gewesen und hätte sich von Titos Propaganda täuschen lassen: „It seems incredible that a leader of Churchill`s character and resolution have let himself be steamrolled in this

165 S. 110. 166 Josef März, Gestaltwandel des Südostens, Berlin 1942, S. 47.

62 way.“167 Das Buch liest sich über weite Strecken als persönlicher Erfahrungsbericht, die angeführte Sekundärliteratur ist nicht umfangreich. Lees beschreibt Mihailovićs Männer als durch und durch pro-britisch, was Churchills Verrat besonders bitter habe aussehen lassen, Neben der Darstellung der Četnici als wahre und einzige Vertretung des jugoslawischen Widerstandes finden sich auch Aussagen, die sich am äußerst rechten Rand der serbischen politischen Szene ansiedeln lassen, wie beispielsweise die Darstellung Milan Nedićs als „Patriot“, der unter den gegebenen Umständen das Beste für sein Land wollte: „A Serbian government under General Milan Nedić was appointed to control administration of this remaining rump for the Germans. Unlike Ante Pavelić, the poglavnik (dictator) of the new Independent State of Croatia, Nedić was no fascist. Like General Petain in France, he was a patriotic collaborator who felt that this course was the best means to save something of his country and his people.“168 Titos militärische Erfolge seien auf dessen Skrupellosigkeit zurückzuführen gewesen, zivile Opfer bei Racheaktionen vonseiten der Wehrmacht oder inländischer Kollaborateure bewusst in kauf zu nehmen. Mihailović seien hingegen die Hände gebunden gewesen, da dieser der serbischen Bevölkerung nicht hätte schaden wollen.169 Absprachen mit den Deutschen habe dieser keine geführt, anders als Tito, der sich mit dem Feind mehrfach abgesprochen hätte und dies in einem Ausmaß, welches die Grenze zur Kollaboration überschritten habe.170 Andererseits hätten, nebst Titos PartisanInnen, auch die Deutschen an der Verbreitung der Legende von Mihailović als Kollaborateur teilgehabt, um so die Moral der Zivilbevölkerung zu brechen.171 Die Zusammenarbeit mit den Italienern habe sich frei nach dem Motto „Leben und Leben lassen“ vollzogen: „It was a live-and-let-live collaboration. The Italians were glad of a bit of peace, and the Četniks were preparing to exploit the accomodation when the Italian collapse came.“172 Dass auch die Italiener in den Četnici keine langfristigen Verbündeten sahen, darf angenommen werden, da diese sich als legitime königliche jugoslawische Armeeangehörige verstanden. Somit bestand zunächst die Gegnerschaft zur NDH, als auch gegenüber den PartisanInnen, die für ein sozialistisches Jugoslawien einstanden, schlussendlich würden jedoch auch jugoslawisch-royalistische Gebietsansprüche mit

167 Michael Lees, The Rape of Serbia, London 1990. 168 S. 70. 169 S. 322. 170 S. 118 – 119. 171 S. 121. 172 S. 122.

63 jenen der Italiener kollidieren, so wie bereits in der Vergangenheit. General Roatta war jedenfalls der Ansicht, Italien hätte bereits genügend Feinde in der Region, sich noch weitere zu bescheren, sei keineswegs ratsam.173 Auf deutscher Seite wehrte man sich lange gegen jegliche Zusammenarbeit mit Mihailović. Hitler ging von einem baldigen entscheidenden Offensive der Alliierten auf dem Balkan aus, und war überzeugt, dass sich die Četnici in diesem Fall auf deren Seite schlagen würden. Tatsächlich darf angenommen werden, dass einer von Mihailovićs Gründen, keinen offenen Krieg gegen die Achsenmächte zu führen, in dessen Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Guerilla-Kampfes, der sich ohne die Hilfe einer regulären Armee hinziehen würde, bestand. Deshalb sind die Vorstellungen national-serbischer HistorikerInnen falsch, Mihailović habe Hitler mindestens so stark zugesetzt wie Tito. Des „Führers“ Bedenken bezogen sich auf die Frage, was passieren würde, wenn man die Četnici langfristig gewähren lasse, in der Realität jedoch, waren es die PartisanInnen, welche die Hauptlast des Widerstandes trugen. Die Erzählung vom „britischen Verrat“ der serbischen Royalisten zugunsten kommunistischer Banditen erinnert an Nikola Moravcevićs Roman „Albion Albion“, der das Schicksal der serbischen Royalisten schildert, die den politischen Schachspielen der Großmächte zum Opfer fielen. Dass das Buch ein tendenziöses Gegen-Extrem zum titoistischen Partisanen-narrativ darstellt, zeigt sich auch in der Nicht-Erwähnung von Verbrechen an der kroatischen und muslimischen Zivilbevölkerung. Namhafte Protagonisten, wie etwa der orthodoxe Priester Momčilo Đujić, dem Anführer der berüchtigten „Dinarer Division“, werden gar nicht erst erwähnt. Dessen Zusammenarbeit, zuerst mit Italien und später gar mit Deutschland und auch den Ustaše war offenkundig. Dasselbe galt in den Fällen der Kommandeure Dobroslav Jevđević und Pavle Đurišić.174 Wie so oft werden hier eigene Wünsche, Sehnsüchte und Ängste auf die Region Südosteuropa projiziert, in diesem Fall von einem Autor, dessen Bild eines konservativen Serbien ihn an „die traditionellen Werte“ seiner eigenen Heimat erinnern, denen er nachtrauert: „Mihailović was an officer and a gentleman in the old tradition and of the old school, one of the class that had made the Serbian fighting men such a wonderful example in previous wars. (…) Tragically, we destroyed our old natural friends. I think we did so because, after the British cultural revolution of the 1930s in the leading univerities, our own

173 Siehe: Gier, S. 51. 174 Siehe z.B.: Jozo Tomasevich, War and Revolution in Yugoslavia, 1941–1945: The , Stanford 1975.

64 values had been lost.“175 Dass sich nach Jahrzehnten eines vorherrschenden Narrativs des heroischen und unfehlbaren Partisanenkampfes diverse serbische Historiker und Publizisten anschickten, die offizielle Geschichte Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs einer Revision zu unterziehen, erstaunt nicht. In Bezug auf Draža Mihailović drängte sich die Frage auf, ob dieser ausschließlich die Rolle eines Kollaborateurs und pro-deutschen Banditen spielte, oder ob dessen passive Haltung und indirekte Verständigung mit den Besatzern, z. B. über Mittelsmänner der Nedić-Regierung oder Ljotićs Bewegung, möglicherweise der Vorstellung geschult war, die serbische Bevölkerung sei möglichst zu schonen, solange der Zusammenbruch des Besatzungsregimes nicht unmittelbar bevorstehe. Das Resultat bestand jedoch in vielen Fällen in einer Glorifizierung der Person Mihailovićs, und der Četnici im allgemeinen, wobei deren unzählige Kriegsverbrechen und die eher zweifelhafte Bilanz des „Widerstandskampfes“ keine Rolle mehr spielten. Das Bild einer schlecht organisierten, äußerst heterogenen Bewegung, deren Daseinszweck im Laufe des Krieges hauptsächlich in der Bekämpfung der PartisanInnen und dem Ausüben von Terror gegen die „gegnerische“ Zivilbevölkerung bestand, passt nicht zu der Legende, die von Historikern wie Veselin Đuretić und Miroslav Samardžić und Politikern wie Vojislav Šešelj oder Vuk Drašković gepflegt wurde, dass die serbischen Royalisten die authentischen Vertreter des Widerstandes gegen die Achsenmächte gewesen seien und den Desinformationskampagnen der Kommunisten zum Opfer fielen. Auch im Westen existierten vereinzelte Stimmen konservativer PublizistInnen, die den alliierten „Verrat“ an Mihailović beklagten, so beispielsweise die Journalistin Nora Beloff und der bereits zitierte Michael Lees. Besonders Veselin Đuretić, dessen Buch „Saveznici i jugoslovenska ratna drama“ 1985 aufgrund seiner nationalistischen Stoßrichtung der Zensur zum Opfer fiel, vertritt die These einer kroatischen Kollektivschuld und einer undifferenzierten Verherrlichung der Četnici auf besonders offensive Weise. Diese seien die „wahren“ Antifaschisten gewesen, während Tito die ursprünglich serbisch dominierte Partisanenbewegung bewusst „kroatisiert“ habe und zu diesem Zweck auch ehemalige Ustaše in seine Bewegung aufnahm. Diese Standpunkte äußerte Đuretić in einer Fernsehsendung, zu welcher er gemeinsam mit Mirko Jović176 eingeladen war. Jović kommandierte während des Bosnien- Krieges (1992 – 1995) eine paramilitärische Einheit, die nach Ljotićs Vorbild den Namen

175 S. 325. 176 http://www.youtube.com/watch?v=R__YxQW_QUM . (29. 02. 2014)

65 „Beli Orlovi“ (Weiße Adler) trug und erfreute sich auch in seiner Heimat nur geringer Popularität, was sich beispielsweise in einem tätlichen Angriff vonseiten einer größeren Menschenmenge bei einem Auftritt in Jovićs Heimatort in der Vojvodina äußerte. Das in trauter Zweisamkeit sich vollziehende Gespräch rückt des Historikers Anspruch, den „wahren“ serbischen Antifaschismus zu vertreten, in ein zweifelhaftes Licht. Ein beliebtes Argument im Zusammenhang mit der Rehabilitierung der serbischen royalistischen Freischärler ist die Geschichte der US-amerikanischen „Operation Halyard“, als Mihailovićs Četnici die Versorgung von 513 abgeschossenen amerikanischen Airmen, zwischen Juli und Dezember 1944, organisierten, wofür Mihailović posthum die Auszeichnung „Legion of Merit“ verliehen wurde. Es scheiden sich die Geister in Hinblick auf die Frage, wie Mihailovićs Handeln zu bewerten sei. In manchen Publikationen wird die Vorgehensweise der Četnici in diesem Fall als Beweis einer grundsätzlich pro- westlichen Haltung gedeutet. Andere wenden ein, dass die, im Gegensatz zu Großbritannien, zögerlichere Haltung der USA zu einer vollständigen Abkehr von den Četnici, Mihailović kaum eine andere Wahl ließ, als sich kooperativ zu zeigen, um nicht in den Augen sämtlicher Alliierter als unzweideutiger faschistischer Kollaborateur betrachtet zu werden.177 Auch das Verhältnis Mihailovićs zum Judentum war nicht unkompliziert. In manchen kroatischen Publikationen, und in Phillip J. Cohens Text wird behauptet, Četnici hätten sich auch an der Verfolgung von Jüdinnen und Juden beteiligt. War ist in jedem Fall, dass die antikommunistische Propaganda der Četnici auch antisemitische Komponenten beinhaltete. Die Behauptung, die Partisanenbewegung werde von „Fremden“ geführt, sollte sie in den Augen der serbischen Bauernschaft diskreditieren. Verwiesen wurde hierbei auf Titos (kroatisch-slowenische) Herkunft, und auf die jüdische Abstammung von Moša Pijade, der enger Mitarbeiter bei Titos Generalstab und wichtiges Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei war. So zitiert Aleksandar Lebl aus einem Telegramm Mihailovićs vom Januar 1943: „Svi komandanti su mi odgovorni za svoje reone da su čisti od ovih mangupa i probisveta koje vode stranci Tito i Moša Pijade.“178 Die PartisanInnen wurden deshalb als „Mošinovci“ verspottet, um ihnen einen angeblich „volksfremden“ Charakter anzudichten, dies obwohl Pijade einer alten Belgrader Familie entstammte und sich in der Vorkriegszeit bei serbisch-nationalen Kreisen engagiert hatte,

177 Siehe: AIR WAR COLLEGE AIR UNIVERSITY REPORT NO. 128. AN ANALYSIS OF THE CIRCUMSTANCES SURROUNDING THE RESCUE AND EVACUATION OF ALLIED AIRCREWMEN FROM YUGOSLAVIA, 1941-1945: http://www.znaci.net/00002/406.pdf. (29. 02. 2014) 178 Aleksandar Lebl in: Danas (Beograd), 29.11.2006.

66 und auch während seiner Zeit als Partisanenkämpfer seinen ideologischen Genossen die Idee einer autonomen Krajina-Region unterbreitete, was diese jedoch ablehnten. Auch die Behauptung, Tito sei nicht, wer er vorgebe zu sein, er entstamme vielmehr einer ungarisch-jüdischen Familie, eine auch heute noch kursierende Verschwörungstheorie, findet sich in einem Dokument, welches Lebl im Militär-historischen Institut (Archiv der feindlichen Einheiten) in Belgrad gesichtet hat: „TITO BROZ rođen je u mađarskoj jevrejskoj porodici. Posle sloma Austro-Ugarske preselio se je u Zagreb, gde je izučio tipografski zanat. U toku izučavanja zanata približio se je komunističkoj stranci, pa kako je video, da kao Jevrejin (židov) ne može uspeti u svojim željama, da izbije na površinu stranke TITO odlazi u Beč, gde se specijalizira za podmukle i mračne poslove i ponovo se vraća u Zagreb, da bi zauzeo mesto prvaka stranke.“179 Im Buch „Mi smo preživeli“, herausgegeben vom Jüdischen Museum in Belgrad, wird der Zeitzeuge Dragutin Brandajs mit einer Aussage zitiert, die von der Ermordung zweier Menschen durch Četnici berichtet, da diese nicht in der Lage sind, sich orthodox zu bekreuzigen, wobei es sich bei einem der Opfer um einen katholischen Kroaten und beim anderen um einen jüdischen Ungarn handelt.180 Verteidiger der Rolle, welche die Četnici gespielt haben, oder jene, denen an einer, im Vergleich zur Tito-Zeit, wohlwollenderen Sichtweise gelegen ist, verweisen hingegen auf Aussagen Mihailovićs, in welchen dieser den Antisemitismus verurteilt, und auf die Tatsache, dass sich eine (wenn auch weit weniger als es bei den PartisanInnen der Fall war) geringe Anzahl Juden auch in den Reihen der Četnici fand181. In einem Telegramm vom April 1944 stellte sich Mihailović gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass die Juden „noch mehr“ gelitten hätten als die Serben. Auch Ljotićs Antisemitismus bleibt nicht unerwähnt: "U jednom od naših listova kao da se oseća nota antisemitizma. To je, pak, načisto da naš pokret ne sme poći tim putem. U ovom ratu stradali su Jevreji gore nego mi Srbi, a mi nismo nikada bili protiv onoga ko strada, pa nećemo ni sada. (...) Antisemitski napad ne sme da se pojavi ni u štampi ni u propagandi. Zabranjujem svaku grdnju, kao i raspirivanje mržnje prema Jevrejima u govorima, na javnim sastancima ili privatno po kafanama prilikom iznošenja mišljenja pojedinaca. Jevreji su ljudi kao i ostali narodi, a u ovom ratu stradali su više čak i od nas Srba. Sa svakim onim koji bude u ma kom pogledu ma šta rekao s namerom da bude protiv Jevreja, smatraću kao rad na ostvarenju programa ljotićevaca, te ću sa

179 Ebd. 180 Lebl verweist auf: Mi smo preživeli, Beograd 2006. 181 Ratko Martinović, Od Ravne gore do vrhovnog štaba, Beograd 1989, S. 37.

67 ovakvim postupati po zakonu i nadležnosti. Čiča.“182 Doch wer sich bemüht, die Person Mihailovićs in ein möglichst günstiges Licht zu rücken, kann nicht bestreiten, dass der Widerstand gegen die Besatzung (und selbst gegen die Ustaše) nicht zu dessen Prioritäten gehörte. Vielmehr sollte die serbisch-orthodoxe Bevölkerung den Konflikt möglichst unbeschadet überstehen, und gleichzeitig die Gelegenheit genutzt werden, für vollendete Tatsachen zu sorgen, indem Teile Kroatiens und Bosnien Herzegowinas auf gewaltsame Weise ethnisch homogenisiert wurden. Wenn es darum ging, für die serbisch-orthodoxe Bevölkerung sichere Zonen zu schaffen und gleichzeitig freie Hand zu haben, gegen die PartisanInnen zu kämpfen, waren selbst Abkommen mit den Ustaše kein Tabu, eine Politik, die bereits im Frühling und Sommer 1942 praktiziert wurde.183 Trotzdem fanden auch weiterhin Gefechte zwischen Ustaše und Četnici statt. Im Rahmen der für den Widerstand und die serbische Bevölkerung verheerende Auswirkungen mit sich bringende Kozara-Offensive, welche zwischen Juni und August 1942 stattfand, beteiligten sich Četnik-Einheiten auf Seiten der deutschen Wehrmacht und der Ustaše, mit dem Ziel die PartisanInnen aus Zentral- und Westbosnien zu vertreiben und so eine mögliche Befreiung Banja Lukas zu verhindern. Neben ca. 11000 deutschen und 18000 kroatischen Domobranci waren ca. 2000 Četnici im Hintergrund aktiv. Während und nach den bewaffneten Auseinandersetzungen wurden insgesamt ca. 68000 Zivilisten deportiert, darunter Frauen und Kinder, von denen die meisten im Lager Jasenovac endeten.184 Pro-Četnik-Historiker versuchen hieraus den Schluss zu ziehen, dass, wenn die Četnici, wie es in anderen Gebieten, welche formell zur NDH gehörten der Fall war, eine von ihnen kontrollierte Zone bei Kozara eingerichtet hätten, es nicht zu entsprechenden Kämpfen gekommen wäre, und der örtlichen serbischen Bevölkerung somit einiges Leid erspart geblieben wäre.185 Die Vorstellung von den „zwei serbischen antifaschistischen Bewegungen“ (dva srpska antifašistička pokreta) ist im heutigen Serbien weit verbreitet. Auch wenn dieses Phänomen bereits zu Zeiten von Slobodan Milošević in verschiedenen gesellschaftlichen

182 Ebd. 183 Siehe z. B.: Sojčić 2008, S. 237-238., Josef Rausch, Die jugoslawischen Exilregierungen und Jugoslawien 1941 bis Sommer 1943 unter besonderer Berücksichtigung der Bewegung Draža Mihailovićs, Wien 1971, S. 529-539. 184 Siehe: Antun Miletić, Neke mere i dejstva vermahta na kozari 1941-1942., in: Zdravko Antonić; Joco Marjanović; et al, Kozara u narodnooslobodilackoj borbi i socijalistickoj revoluciji (1941-1945): radovi sa naucnog skupa odrzanog na Kozari (Mrakovica) 27. i 28. oktobra 1977 godine u okviru proslave Titovih jubileja i 35 godisnjice kozarske epopeje, Prijedor 1980, S. 195 - 230. 185 Siehe z. B. Miroslav Samardžić in: pogledi.rs: www.pogledi.rs/kozara. (29. 02. 2014)

68 Bereichen zu beobachten war, erhielt der historische Revisionismus zugunsten der Ravnagora-Bewegung seine offiziellen Weihen nach der politischen Wende vom fünften Oktober 2000. Milošević selbst scheute zeitweilige Bündnisse mit nationalistischen Kräften nicht, hielt aber selbst am Narrativ des Volksbefreiungskrieges fest, war er doch der Vorsitzende der Nachfolgepartei des „Bundes der Kommunisten Serbiens“, der Sozialistischen Partei Serbiens (Socijalistička Partija Srbije). Laut dem Soziologen Todor Kuljić war der Geschichtsrevisionismus bereits vor 2000 stark verbreitet, nahm dann aber, unter anderem dank des wachsenden Einflusses des Politikers Vojislav Koštunica noch mehr zu: „Der Prozess lässt sich schön an den Geschichtsbüchern für die Schule nachvollziehen. Unter Milosevic wurden zwar einige kritische Bewertungen zu Tito eingebaut, aber im Grunde wurde Jugoslawien positiv beurteilt. Die neuen Geschichtsbüchern dagegen rehabilitieren die Cetniks.“186

9) Der Faschismusvorwurf als politische Waffe

Der sowohl auf national-kroatischer, als auch auf national-serbischer Seite existierende Vorwurf, der jeweilige Gegner weise eine spezifische historische Affinität zu faschistischem und/oder genozidalem Gedankengut auf, wirft, abgesehen von der offensichtlichen Unwissenschaftlichkeit des Versuchs eine gewisse ethnische und/oder religiöse Gemeinschaft unter Generalverdacht zu stellen, die Frage auf, mit welchen Voraussetzungen eine Ideologie als „faschistisch“ charakterisiert werden kann. Emilio Gentiles 10 Elementen einer Definition folgend187, würde die Charakterisierung der Ustaše als faschistische Bewegung nur bedingt zutreffen. Bereits bei Punkt eins (Massenbewegung mit klassenübergreifenden Ausmaßen188) fällt eine eindeutige Antwort schwer. Sicherlich war die Ideologie der Ustaše klassenübergreifend ausgerichtet, da nationalistische Vorstellungen von einer Zugehörigkeit zu einer imaginierten

186 Todor Kuljić in: Analyse & kritik, 15. 08. 2003: http://www.akweb.de/ak_s/ak475/36.htm. (29. 02. 2014) 187 Diese Fragestellung ist ausführlicher Gegenstand der Forschung in der Diplomarbeit von Sladjana Krivokuća, Der Versuch einer Charakterisierung des Ustaša-Regimes, Universität Wien 2011. 188 „1. eine Massenbewegung mit klassenüberschreitenden Ausmaßen, wo sowohl in den Führungspositionen wie in der Masse der Anhängerschaft hauptsächlich junge Männer des Mittelstandes eine Rolle spielen, die vorher größtenteils nicht politisch engagiert waren, sich nun aber in der neuen, bisher unbekannten Gestalt der "Parteimiliz" organisieren und ihre Identität nicht über die gesellschaftliche Hierarchie oder die Klassenherkunft bestimmen, sondern durch das Gefühl der Kameradschaft; sie sehen sich als Vollstrecker einer Mission der nationalen Erneuerung, im Kriegszustand mit den politischen Gegnern; sie wollen das Monopol der politischen Macht und setzen Terrormaßnahmen, parlamentarische Taktik und Kompromisse mit den führenden Schichten ein, um eine neue Ordnung zu errichten, welche die parlamentarische Demokratie zerstört.“: http://www.eurozine.com/articles/2007-03-07-gentile-de.html. (29. 02. 2014)

69 Volksgemeinschaft sicherlich keinen Spielraum für Klassenkämpfe zulassen. Eine Massenbewegung waren die Ustaše jedoch nie, bis zur Machtübernahme von Hitlers Gnaden eher eine konspirative Terrororganisation. Auch der katholische Fundamentalismus passt nur teilweise in eine entsprechende Schablone, da faschistische Bewegungen durchaus nicht frei von einer gewissen „modernistischen“ Stoßrichtung waren. Es ließe sich einwenden, dass eine zu weit gehende Vereinnahmung der katholischen Weltanschauung im Falle NS-Deutschlands kontraproduktiv gewesen wäre, da dies für den nicht-katholischen Teil der „deutschen Volksgemeinschaft“ nicht besonders attraktiv gewesen wäre. dass eine faschistische Bewegung versucht sein kann, die Religion für sich zu vereinnahmen, falls die Mehrheit der Bevölkerung derselben Konfession angehört, zeigt sich am Beispiel von Francos Spanien. Die Propaganda der Ustaše war sicherlich widersprüchlich, in Hinblick auf die Frage, ob ein religiöses oder ein „rassisches“ Element ausschlaggebend sein sollte, in Hinblick auf die Frage, wer Teil der „Volksgemeinschaft“ sein kann und darf, und wer nicht. So wurden die Muslime bekannterweise als „edle Blumen des kroatischen Volkes“ geadelt. Teile des muslimischen Klerus stellten sich daraufhin hinter die Politik des Regimes, wie beispielsweise beim Zagreber Mufti Ismet Efendi Muftić der Fall war.189 Als sich abzeichnete, dass die vollständige physische Vernichtung und/oder Vertreibung der serbisch-orthodoxen Bevölkerung ein schwer zu Ende zu führendes „Unterfangen“ darstellte, war ab 1942 der Versuch unternommen worden, manchen SerbInnen ein Schlupfloch zu gewähren, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, sich zu einer, zu diesem Zweck ins Leben gerufenen, „kroatisch-orthodoxen“ Kirche zu bekennen. Auch die NSDAP-Ideologen, obwohl deren Antisemitismus in erster Linie mit „rassebiologischen“ Pseudo-Argumenten begründet wurde, waren nicht in der Lage, ihre Nürnberger Gesetze anders als mit Kriterien der Religionszugehörigkeit zu begründen. Ob man als „Jude“, Mischling ersten und zweiten Grades, oder als „Deutschblütiger“ galt, hing von der Religionszugehörigkeit der Großeltern ab. Die offiziellen „Rassengesetze“ in der NDH sprachen von „Juden und Zigeunern“, Serben waren nicht explizit genannt.190 Insofern variierte die Definition, wer als „Serbisch“ zu gelten habe von Zeit zu Zeit, teilweise wurden ethnische und manchmal religiöse Kriterien verwendet. Serbische ZivilistInnen konnten auch der in den Gesetzen genannten Gruppe der „Nichtarier“ zugerechnet werden. Die Intensität der Verfolgung oblag so häufig den

189 Siehe: Sojčić 2008, S. 134. 190 Siehe Zakonska odredba za obranu naroda i države: http://www.crohis.com/izvori/ustzk.pdf. (29. 02. 2014)

70 lokalen Machthabern. So wurde beispielsweise einem Teil der serbischen Bevölkerung in Sarajevo der Status als „heimische Serben“ (domaći Srbi) gewährt, während andere deportiert wurden, darunter auch Muslime, denen eine Bindung zu Belgrad nachgesagt wurde und die daraufhin als Serben galten.191 Andererseits sind Attribute wie „ein Polizeiapparat, der Dissens und Opposition überwacht, kontrolliert und unterdrückt“ oder „eine Einheitspartei, die die Funktion hat, durch ihre eigene Miliz die bewaffnete Verteidigung des Regimes (...) zu gewährleisten“ auf die Zeit der NDH-Herrschaft durchaus anwendbar. Wie bereits erwähnt war die Ideologie der Ustaše eine klassenübergreifende, es ließe sich jedoch einwenden, dass die institutionellen Rahmenbedingungen der NDH zu schwach ausgeprägt waren um folgendes Element ohne Einschränkung gelten zu lassen: „gemäß technokratischer Prinzipien und orientiert an Solidaritätsidealen sollen Arbeiter und Bauern als unter der Kontrolle des Regimes willig Mitwirkende einbezogen werden, um so die Macht des korporativen Staates zu vergrößern.“ Phänomenologische Attribute sind in jedem Fall zutreffend (Antisemitismus, Rassenwahn), auch wenn vor allem der Antisemitismus von NS-Deutschland übernommen worden war. Die faschistischen Regime Italiens und Deutschlands waren in der Lage, eine gewisse sozial-politische Basis vorzuweisen, Hannah Arendt sprach vom (zeitweiligen) Bündnis zwischen Mob und Elite: „Jedenfalls beruhte das zeitweilige Bündnis zwischen Elite und Mob weitgehend auf dem echten Vergnügen, das der Mob der Elite bereitete, als er daranging, die Respektabilität der guten Gesellschaft zu entlarven, ob nun die deutschen Stahlbarone den 'Anstreicher Hitler' empfingen oder ob das Geistes- und Kulturleben mit plumpen und vulgären Fälschungen aus seiner akademischen Bahn geworfen wurde.“192 Eine solche Form von „Volksgemeinschaft“ wären Pavelić und die Seinen sicherlich gerne hervorzurufen in der Lage gewesen, was in der Realität jedoch nicht zu verwirklichen war, wie man es auch den Berichten deutscher Abgesandter, die sich in der NDH aufhielten, entnehmen kann. dass die Ustaše spätestens nach der Machtübernahme die wichtigsten Eckpunkte der Nazi-faschistischen Ideologie übernehmen sollten, lässt sich an deren Rhetorik erkennen. So ließ Pavelić folgendes verlauten: „Die neue Ordnung stützt und gründet sich auf der Arbeit und Bewirtung des Landes und nicht auf plutodemokratischen Spekulationen des 191 Siehe: Emily Greble-Balić, Preispitivanje historije i historiografije Jugoslavije tokom Drugog svjetskog rata: slučaj Sarajeva, S. 163 – 173, in: Autorenkollektiv, REVIZIJA PROŠLOSTINA PROSTORIMA BIVŠE JUGOSLAVIJE, Sarajevo 2007, S. 168. 192 Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München-Zürich 1986, S. 709.

71 finanziellen und wirtschaftlichen Ausnutzens der Völker durch die jüdisch-kapitalistischen und freimaurerischen räuberischen Systeme.“193 Somit wird dem Antikommunismus die gleichzeitige Verachtung westlicher Systeme als „plutokratische“ jüdisch-kapitalistisch verdorbene Gesellschaften zur Seite gestellt. Das „antikapitalistische Element“, welches faschistische Bewegungen zum Teil vorweisen muss jedoch nicht Max Horkheimers Diktum widersprechen („Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“194), welcher der Meinung war, dass manche Kapitalisten versucht seien, das System unter Einführung einer Diktatur aufrechtzuerhalten. Schließlich bestand der faschistische „Antikapitalismus“ in der demagogischen Strategie, zwischen einem „raffenden Kapital“ (welches als jüdisch halluziniert wurde) und einem „gesunden“, produktiven „schaffenden Kapital“ zu unterscheiden.195 Die Ablehnung der serbischen Orthodoxie wurde von Propagandaminister Mile Budak mit einer Gegnerschaft zum Kommunismus gleichgesetzt, da dieser vom, ebenfalls orthodox geprägten Russland ausginge: „Die hiesigen Orthodoxen und ihre Bischöfe und Popen begeistern sich für das heilige Mütterchen Russland, weil sie denken, das sei irgendein heiliger orthodoxer Kommunismus. Ich wünsche ihnen, dass ihnen dieser heilige orthodoxe Kommunismus den Rücken kratzt, so dass sie sehen, wie es ihnen ergehen wird. Wichtig ist, wie ihr seht, dass sich diese Seuche unter uns Kroaten nicht verbreiten konnte.“196

Die auf beiden Seiten existierenden Anstrengungen, der „gegnerischen“ Nation eine Art kollektive Verantwortung für vermeintliches oder tatsächliches Unrecht zu unterstellen, werden mit Vorliebe mit Schlagwörtern wie „genozidal“ oder „Faschismus“ geschmückt. Wie auch anderswo basieren politisch motivierte Faschismusvorwürfe selbstverständlich nicht auf akademisch korrekten Definitionen desselben. Auf beiden Seiten muss sich also die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass derartige Kampfbegriffe eine maximale propagandistische Wirkung zu erzielen in der Lage sind. Dies scheint auch in Westeuropa und den USA nicht anders zu sein. 1991, im Rahmen des ersten US-amerikanischen Angriffs auf den Irak, meinte beispielsweise der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger,

193 Sojčić 2008, S 187. 194 Max Horkheimer, Die Juden und Europa. In: Gesammelte Werke. Band 4, Frankfurt am Main 1988, S. 308. 195 Gottfried Feder, Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes, Diessen vor München, 1919, Seite 9. 196Siehe: Sojčić 2008, S 194.

72 im Diktator Saddam Hussein „Hitlers Wiedergänger“ zu erkennen. Der Luftkrieg, geführt von der Nato-Allianz gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999, wurde vom damaligen bundesdeutschen Außenminister Joseph Fischer unter anderem dadurch gerechtfertigt, dass es ein „Auschwitz“ im Kosovo zu verhindern gelte. Und in der Folgezeit der Anschläge in New York und Washington vom 11. September 2001, „erfreute“ sich das politische Schlagwort in neokonservativen und zum Teil auch in liberalen Kreisen einiger Beliebtheit. Die Verlockung, den politischen Gegner mit einer Ideologie in Verbindung zu bringen, die den meisten Menschen sinnbildlich für die schlimmsten Massenverbrechen der Menschheitsgeschichte stehen, scheint die Bereitschaft zu rationaler Auseinandersetzung allzu oft zu überragen, und dies nicht nur in Südosteuropa. In diesem Kontext sind auch die diversen Versuche, der jeweils anderen Seite einen tiefsitzenden Antisemitismus zu unterstellen, einzuordnen. Dies wird am Beispiel von Josip Pečarićs Buch deutlich, der sämtliche, z. B. von Bulajić vorgebrachten (undifferenzierten) Vorwürfe in ihr Gegenteil verkehrt und sowohl der Mehrheit der serbischen Bevölkerung als auch der serbisch-orthodoxen Kirche eine Mittäterschaft bei der Verfolgung und Ermordung der serbisch-jüdischen Bevölkerung zuschreibt. Sämtliche Kriegsparteien im zerfallenden Jugoslawien bemühten sich um die Unterstützung jüdischer Organisationen und auch des Staates Israel. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass man sich von einer möglichen „jüdischen“ Solidarität eine ausländische Fremdwahrnehmung der eigenen Seite als ausschließliches Opfer versprach. Es ist auch nicht auszuschließen, dass manche Protagonisten der jahrhundertealten Wahnvorstellung erlagen, dass „die Juden“ über irgendwelche globalen Machtstrukturen die Kontrolle ausübten, weshalb es ratsam sei, sich mit ihnen zu verbünden. So bemühte auch Tuđman sich um israelische Unterstützung, trotz einiger äußerst problematischer Passagen seines Buches. Auf serbischer Seite existierte eine „Serbisch-Jüdische Freundschaftsgesellschaft“ (Društvo Srpsko Jevrejskog Prijateljstva). Deren damalige Vorsitzende, Dr. Klara Mandić, deren jüdische Familie während des Holocausts ausgelöscht wurde, verwies auf den historischen Bund zwischen Menschen jüdischer und serbisch-orthodoxer Herkunft und äußerte sich in einem auf der Webseite „Srpska Mreža“ in englischer Sprache dokumentierten Artikel von 1993 über „das serbische Volk“ folgendermaßen: „You are really one of the rare people of the world which can be counted on the fingers of one hand, a people that simply does not know how to hate.“197 Offenbar ging der Gesellschaft nicht nur darum, auf historische Verbrechen hinzuweisen,

197 http://www.srpska-mreza.com/library/facts/Mandic.html. (29. 02. 2014)

73 denen SerbInnen und Jüdinnen und Juden tatsächlich gemeinsam zum Opfer fielen -wie es in der NDH der Fall war, oder auch im ungarisch besetzten Novi Sad 1942- es sollte vielmehr eine fast genetisch anmutende serbische Immunität gegen jede Form von Antisemitismus konstruiert werden. Dass, wenn die jüdische „Dankbarkeit“ nicht so wie erwartet ausfällt, ein überzogener Philosemitismus auch in sein Gegenteil gekehrt werden kann, versteht sich. Antisemitische Schriften, allen voran die „Protokolle der Weisen von Zion“ werden im heutigen Serbien von christlich-fundamentalistischen Verlagen herausgegeben. Insbesondere die „neue Generation“ des serbischen Nationalismus ist anfällig für antijüdische Positionen, von Skinheadgruppen bis hin zur klerikal- faschistischen Organisation „Obraz“, welche sich anschickt Serbien von sämtlichen materialistischen Übeln, Kommunismus, Kapitalismus und Freimaurertum, zu befreien und eine Gesellschaft zu schaffen, in welcher nur Platz vorhanden ist für gläubige national orientierte Serbisch-Orthodoxe.

11) Die Rezeption des jugoslawischen Zerfallsprozesses in Deutschland: Johann Georg Reißmüllers Einsatz für Kroatien

Für die Masterarbeit ist ein Teilfokus auf die Rezeption der kroatischen Bestrebungen nach Unabhängigkeit von Belgrad vorgesehen. Im Folgenden wird auf die Leitartikel, welche der damalige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ um 1990/91 verfasst hat, eingegangen. Später sollen die Betrachtungen anderer deutscher PublizistInnen, die einen Fokus auf Südosteuropa vorweisen, miteinbezogen werden. Die Relevanz von Reißmüllers damaligem Wirken ist nicht zu unterschätzen. Jürgen Chrobog, der 1991 politischer Direktor des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland war, und, laut FAZ, „an Genschers Seite an allen entscheidenden Sitzungen in Brüssel teilnahm“ erinnert sich folgendermaßen: „Er hat ständig hierfür plädiert und über die F.A.Z. starken Druck ausgeübt, endlich die Anerkennung auszusprechen. Seine beinahe täglichen Leitartikel zu dieser Frage haben Kohls Jugoslawien-Politik getrieben. Und Kohl hat sich dann ebenfalls für die Anerkennung ausgesprochen, weil er diese Diskussion leid war. Die F.A.Z. hat damals einen unglaublichen Druck gemacht... Reißmüller hat uns alle unter erheblichen Handlungsdruck gesetzt."198

198 Michael Martens in: FAZ, 15. 01. 2012: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anerkennung-sloweniens- und-kroatiens-vor-20-jahren-oder-es-wird-zerfallen-11602228.html. (29. 02. 2014)

74 Hinzu kommt, dass Reißmüller, anders als viele seiner damaligen KollegInnen, ein intimer und langjähriger Kenner der Region war, dessen Positionen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig ließen Wie auch im Falle Franjo Tuđmans und anderer HistorikerInnen, die dem national- konservativen Spektrum der kroatischen Geschichtsschreibung zugeordnet werden können, lässt sich bei Reißmüller eine Aufteilung Europas in einen westlich-zivilisierten und demokratischen Westen, und einen byzantinisch und z. T. osmanisch geprägten Osten, deutlich herauslesen. Eine Sichtweise, die den Ausführungen des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntingtons entspricht, dessen bekanntestes Werk den Titel „Clash of Civilisations“ trägt. Aufgrund dieser Gegensätze (westlich katholisch versus orthodox-byzantinisch) sei bereits das 1919 gegründete „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ zum Scheitern verurteilt gewesen, so Reißmüller in einem Beitrag vom 29. Juni 1991: „Zwei einander fremde Kulturen und Zivilisationen, zwei auseinanderklaffende Auffassungen von Rechtlichkeit und Gerechtigkeit, von Staatsmacht und Freiheit stießen aufeinander und ließen sich nicht einmal annähern.“199 Durch Jugoslawien verlaufe eine „Kulturgrenze“, die bereits auf die Teilung Roms in ein Ost- und Westreich im vierten Jahrhundert zurückgehe. Die Aussage, dass es sich bei Serbien seiner Ansicht nach um ein „wenig zivilisiertes“ Land handelt, wird in den Kolumnen in relativer Regelmäßigkeit wiederholt, bis hin zu Reflexionen zum, dort angeblich herrschenden, Verhältnis zur Körperhygiene: „“Nein, wir möchten unbedingt ein Zimmer mit Dusche und WC, so sind wir es halt bei uns daheim in Slowenien gewohnt“, sagte nach langem Hin und Her eine Slowenin am Empfang eines Hotels in einer serbischen Kleinstadt. Man muss die Gesichter der Serben, die danebenstanden, und des Personals gesehen, man muss ihre Bemerkungen dazu gehört haben, um zu wissen, wie ein solches Ereignis Serben aufbringt.“200 Reißmüller legt somit nahe, dass ein, wie auch immer gearteter, jugoslawischer Staat zum Scheitern verurteilt sein musste, da in ihm unterschiedliche Kulturen, Zivilisation und Rückständigkeit, westlich-demokratische Gesinnung und diktatorischer Bolschewismus, unweigerlich in Konflikt miteinander geraten würden. Dass auch zu Titos Zeiten „jugoslawisch“ und „serbisch“ weitgehend als Synonyme zu gelten hatten, auch wenn nicht alle seine VerteidigerInnen SerbInnen waren, führte

199 Johann Georg Reißmüller, Der Krieg vor unserer Haustür. Hintergründe der kroatischen Tragödie, München 1992, S. 10. 200 Reißmüller, S. 91.

75 Reißmüller bereits in einem Beitrag vom 16. April 1984 aus, wo vom „Kroatenschlag von Karadjordjevo“201 die Rede ist. Von PartisanInnen nach Ende des Zweiten Weltkriegs verübte Gräueltaten sind mehrfach Gegenstand der Erläuterungen des damaligen Herausgebers der FAZ. Über den historischen Kontext liest man wenig bis gar nichts, auch hier ist eine Ähnlichkeit mit Tuđman etc. festzustellen. In einem Augenzeugenbericht zum neu erwachten Gedenken an den Höhlen der Jazovka berichtet der Autor: „An dem Baum liegen Kränze mit Schleifen, auf denen steht „Den kroatischen Opfern des Terrors zum Gedenken“, „Den für die kroatische Heimat Gefallenen“, „Den Kroatischen Soldaten“.“ Der Bericht, erschienen am 14. August 1990, endet mit der Hoffnung, das Schicksal des Priesters Krunoslav Draganović werde bald aufgeklärt. Dieser sei „von „Unbekannten“ nach Jugoslawien entführt“ worden, denn „-er wusste von den Massenerschießungen an der Jazovka, hatte darüber für die Öffentlichkeit geschrieben und arbeitete an einem Buch, das die Massenverbrechen der jugoslawischen Kommunisten am kroatischen Volk im einzelnen beschreiben sollte, auch das Verbrechen an der Jazovka“202 Wahr ist, dass sich Draganovićs Rückkehr nach Jugoslawien 1967 unter dubiosen Umständen vollzog, Gerüchte sprechen von einem Abkommen mit dem jugoslawischen Geheimdienst. Gänzlich verschwiegen wird die Tatsache, dass der zum Opfer und Dissidenten stilisierte Priester Ustaša-Faschist war, an Deportationen von Menschen beteiligt, und nach Kriegsende, gemeinsam mit dem österreichischen Bischof Alois Hudal, die Flucht von Kriegsverbrechern nach Südamerika organisierte.203 Von Kroatiens Präsidenten Tuđman zeichnet Reißmüller ein durchwegs positives Bild. Auch wenn der „Vorwurf“ bestehe, „Tudjman habe in die Regierung zuviele ehemalige Kommunisten aufgenommen.“ Tito, zu dessen Vermächtnis Tuđman ein ambivalentes Verhältnis an den Tag legte (siehe pomirba) wird eine pro-serbische Politik vorgeworfen, so in einem Beitrag über Slawonien, vom 19. Februar 1991: „Seit dem Kriegsende sind sie, so ist es in Slawonien noch mehr als anderswo in ihrem eigenen Land, Objekt serbischer Unterdrückung. Tito (…) überantwortete die Kroaten den Serben, um seine Herrschaft zu sichern.“ Carl Gustav Ströhm, konservativer deutscher Journalist und Osteuropa-Berichterstatter, bereits seit dem Aufstand in Ungarn von 1956, war von 1972 bis 1999 für die Tageszeitung 201 Ebd., S. 98. 202 Ebd., S. 125. 203 Siehe z. B. CIC-Bericht, 12. Februar 1947: http://web.archive.org/web/20070209230637/http://www.jasenovac.info/cd/biblioteka/pavelicpapers/cia/cia 0002.html. (29. 02. 2014)

76 „Die Welt“ tätig und vertrat in seinen Beiträgen zum Konflikt in Jugoslawien ähnliche Positionen wie Reißmüller. Von 1999 an bis zum Ende seines Lebens 2004 schrieb Ströhm für die politisch am äußerst rechten Rande angesiedelte Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Franjo Tuđmans Politik verteidigte der Journalist über dessen Tod hinaus, also in einer Zeit als auch in deutschen Medien die Verklärung der Verhältnisse des (offiziellen) politischen Kroatien keine Normalität mehr darstellten. Den Machtwechsel in Kroatien im Januar 2000, der Tuđmans Tod folgte, beschreibt Ströhm in der „Jungen Freiheit“ als Ergebnis der Einmischung westeuropäischer Staaten, da Kroatien durch seine Unabhängigkeit die beiden Nachkriegsordnungen, sowohl Versailles als auch Jalta, in Frage gestellt habe. Deshalb hätten sich England und Frankreich zu unrecht gegen den „Nationaldemokraten“ Tuđman gestellt: „Zweitens hat Tudjman in seiner letzten großen politischen Rede offen gesagt, dass es im Westen starke Kräfte gebe, die dem kroatischen Staat deshalb nichts Gutes wünschten, weil Kroatien nicht nur das System von Jalta, sondern auch das System von Versailles (also die nach dem Ersten Weltkrieg in den Pariser Vorortverträgen festgelegte Ordnung) zerstört habe. Daher herrschte in großen Teilen der westeuropäischen, vor allem britischen und französischen öffentlichen Meinung von Anfang an ein starker Vorbehalt gegen Kroatien.“204 Des weiteren hätte die deutsche Linke sich angeschickt, den soeben verstorbenen kroatischen Präsidenten als „Diktator“ in ein schlechtes Licht zu rücken, da man sich daran gestoßen habe, dass dieser sich auf das politische Erbe von Franz Josef Strauss berief: „Anfang 1991 sagte er auf einem Empfang der Bayrischen Staatsregierung in München, er betrachte die CSU und Franz Josef Strauss als Vorbilder. Diese Schwenkung von extrem links nach Mitte rechts trug ihm die tiefe Abneigung westlicher Linkskreise ein.“ Tuđman Abrechnung mit dem Jugoslawismus sei der gesamten Bevölkerung Kroatiens zugute gekommen und auch die Serben würden „Freiheiten wie noch nie zuvor in der Geschichte“ genießen Die Persönlichkeit des Verstorbenen sei vergleichbar mit Konrad Adenauer und Charles de Gaulle.

10.1) „Der Spiegel“ und „Die Zeit“

Im Wochenmagazin „Der Spiegel“ waren verschiedene Sichtweisen auf die Lage in Südosteuropa vertreten. Bereits in den 60er Jahren wurde von den Tätigkeiten rechtsextremer kroatischer Exilkreise in der Bundesrepublik Deutschland berichtet. Und im

204 Carl Gustaf Ströhm in: Junge Freiheit, 14. 01. 2000.

77 August 2009 werden in einem Bericht Kontakte von Teilen der bayerischen Christlich Sozialen Union (CSU) kritisch begleitet, aus Anlass eines Zusammentreffens des Chefs der rechtsextremen Hrvatska stranka prava (HSP), Anto Đapić mit Mitgliedern der bayerischen Landesregierung.205 Dass es auf Seiten der serbischen Bevölkerung innerhalb der Teilrepublik Kroatiens auch einen realen historischen Hintergrund gab, weshalb diese bezüglich Tuđmans Aktivitäten besorgt waren, wird in einem Spiegel-Artikel vom Februar 1991 jedenfalls anerkannt. Auch wenn kollektive Stigmatisierung ebenfalls anklingt, in diesem Fall, wenn von "den Kroaten" die Rede ist: „Die etwa 600 000 Serben, die in Kroatien leben, haben die Spannungen verschärft. Die Erinnerung an das Wüten der Kroaten in der Ustascha-Zeit unter deutscher Besetzung ist bei ihnen noch wach. Im Gebiet um Knin, nahe der Adriaküste, wo ungefähr ebenso viele Serben wie Kroaten leben, errichteten sie Barrikaden gegen die kroatische Polizei und verlangten ihren Anschluss an Serbien oder zumindest einen eigenen Sabor, ein Gegenparlament.“206 Auch im Spiegel finden sich Beiträge aus dem Zeitraum der ersten Hälfte des Jahres 1991, als der gewaltsame Zerfall des Landes nicht mehr lange auf sich warten ließ und der Terminus vom „Pulverfass Balkan“ nach langer Zeit erstmals wieder in deutschsprachigen Medien zur Geltung kam. Bezüge auf die Geschichte Südosteuropas während und zwischen zwei Weltkriegen werden hergestellt, so am 25. Februar 1991, wo auf das Problem einer serbischen Hegemonie und eine fragile Zusammensetzung unterschiedlicher Kulturen hingewiesen wird. Somit besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu Reißmüllers kulturalistischen Ausführungen, wenn auch gegenüber Kroatien eine weniger glorifizierende Haltung eingenommen wird: „Solche Ambitionen des größten der Völker Jugoslawiens hatten den Staat schon belastet, als ihn die Sieger des Ersten Weltkriegs zum ersten Mal aus dem balkanischen Flickenteppich zusammenfügten: Kroaten und Slowenen aus der untergegangenen Donaumonarchie schlossen sich mit den Königreichen Montenegro und Serbien zusammen - Katholiken mit lateinischer Schrift verbanden sich mit Orthodoxen, welche die gemeinsame Sprache in kyrillischen Buchstaben schrieben, und mit Moslems.“207 Der historische Rückblick wird äußerst knapp gehalten, die Machtübernahme der Ustaše mit

205 John Goetz in: Der Spiegel, 24. 08. 2009: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-66567966.html. (29. 02. 2014) 206 Autor nicht genannt: Der Spiegel, 11. 02. 1991: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488530.html. (29. 02. 2014) 207 Autor nicht genannt: Der Spiegel, 25. 02. 1991: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13490108.html. (29. 02. 2014)

78 einem Satz erwähnt („In Kroatien errichtete die Ustascha, die faschistische Vereinigung des berüchtigten Ante Pavelic, einen eigenen Staat - unter deutschem Protektorat.“) Es folgt der Hinweis auf gegenseitige Massaker während der Kriegszeit und auf die Gründung von Titos Jugoslawien, in welchem eine gewisse serbische Dominanz geherrscht hätte: „Die Serben hatten Territorien verloren, genossen aber in der Regierung und im Offizierskorps eine Vorrangstellung, die sie heute, da Titos Staat auseinanderfällt, bewahren möchten.“ Die zu Beginn relativ vorsichtige Herangehensweise, die jugoslawische Krise zu erläutern,erfährt eine Verschärfung nach den Auseinandersetzungen in Slowenien. Das Titelbild der Spiegel-Ausgabe vom 8. Juli 1991 zeigt eine blutverschmierte jugoslawische Fahne, begleitet von der Überschrift „Völkergefängnis Jugoslawien – Terror der Serben“. So wird ein Bild von wild gewordenen Stämmen vermittelt, welche kollektiv übereinander herfallen ("Wüten der Kroaten", "Terror der Serben").

Von einer vergleichbaren ideologischen und einseitigen Ausrichtung, wie es bei der FAZ der Fall war, kann auch in der Folgezeit nicht gesprochen werden. Versuche, die historischen Hintergründe der Katastrophe zu untersuchen, bleiben in der Regel ausgewogen. Eine Beschreibung der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs vom 20. 7. 1992 erinnert an Milovan Đilas' Darstellungen der ausufernden Gewalt, auf den im Beitrag auch Bezug genommen wird. Auf die auch in Serbien häufig verwiesene Abscheu, die manche Vertreter Deutschlands und (vor allem) Italiens anhand der Ustaša-Schlächtereien zum Ausdruck brachten, wird das Augenmerk gelegt: „Dieser Ustascha-SS schämten sich selbst die Verbündeten. Italiens Außenminister, Duce-Schwiegersohn Graf Ciano, qualifizierte sie als "Banditen" ab und der deutsche Bevollmächtigte General in Agram, Glaise von Horstenau, zieh sie 'ausschließlich der Befriedigung untermenschlicher Instinkte'.“208

Verweise auf die Vergangenheit bleiben in der Spiegel-Berichterstattung keine Seltenheit, bereits in der Folgeausgabe, vom 27. 7. 1992 wird wieder auf die Ustaša – Thematik erneut behandelt, worauf auch die Überschrift hinweist: „Das hier ist altes Ustascha-Land“. Bezug wird genommen auf die Verhältnisse in der Herzegowina, wo die Ideologie der Vergangenheit auf vergleichsweise fruchtbaren Boden traf. Die Flucht der Serben aus Čapljina und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese nicht auf freiwillige Weise vollzogen hatte (beispielsweise anhand der zerstörten orthodoxen Kirche), werden vom Autor nicht

208 Siegfried Kogelfranz in: Der Spiegel, 20. 07. 1992: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13679810.html. (29. 02. 2014)

79 verschwiegen. Über Bezugnahme lokaler Protagonisten auf die Ustaša-Ideologie ließe sich in Reißmüllers Leitartikeln wenig finden: „"Befreites Gebiet" sagen stolz die beiden Männer, die mit todernster Miene die verlassene Tabakfabrik von Capljina bewachen und den rechten Arm zum "deutschen Gruß" recken. Der Kroate Blago Vego und der Moslem Ahmet Tinjak tragen schwarze Uniformen mit Aufnähern, auf denen der alte Faschistengruß "Bereit fürs Vaterland" steht. Auf die Hauswand hinter ihrem Rücken hat einer in deutscher Sprache "West-Herzegowina über alles" gepinselt.“209 Des Weiteren wird ersichtlich, dass die Kräfte, die in dieser Region am Werke waren, auch von Tuđmans all-kroatischen Plänen der Versöhnung nicht viel hielten: „"Erst bringen wir die Serben um", verkünden sie großmäulig, "und dann die Kommunisten."“ So sprachen die Soldaten der HOS (Hrvatske obambrene snage), eine paramilitärische Formation welche vom damaligen Politiker der neugegründeten HSP, Dobroslav Paraga, ins Leben gerufen wurde und auch kampfbereiten westeuropäischen Neonazis offen stand. Ein beträchtlicher Anteil der journalistischen Kommentare, die während der 90er Jahre über die jugoslawische Tragödie publiziert wurden, tendieren dazu, entweder eine Seite für allein verantwortlich zu erklären, oder aber die Generalisierungen auf beide Kriegsparteien zu übertragen, wie im Falle des Schriftstellers Johannes Mario Simmel, welcher "die Serben" als "Schwerverbrecher" bezeichnet, und "die Kroaten" ebenso. Dieser schreibt in einem Geburtstagsgruß an Rudolf Augstein: „Vieles hiervon und manches andere mehr las ich im SPIEGEL. Und wollte es unbedingt aufschreiben, um zu zeigen, dass die Serben sich in dem Krieg, der seit zwei Jahren tobt, zwar gewiss wie Schwerverbrecher betragen, die Kroaten indessen im Zweiten Weltkrieg gewiss ebensolche waren (von heute nicht zu reden),...“210

Am 26. 6. 1995 wird im Spiegel die Frage aufgeworfen, ob das deutsche Vorpreschen bezüglich der Anerkennung zu der Eskalation entscheidend beigetragen habe. Genschers Position wird unter Berufung auf eine beträchtliche Anzahl ausländischer Diplomaten kritisch betrachtet, auch wenn schlussendlich konstatiert wird, dass der Nationalismus die Hauptursache des Krieges gewesen sei. Der Unterhändler der damaligen Europäischen Gemeinschaft, Lord Carrington war der Meinung, die Möglichkeit einer Anerkennung Kroatiens hätte den Zweck eines Druckmittels für Belgrad und den eines Lockmittels für Zagreb erfüllen sollen. Dies habe die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland

209 Walter Mayr in: Der Spiegel, 27. 07. 1992: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13680050.html. (29. 02. 2014) 210 Johannes Mario Simmel in: Spiegel Spezial, 1. 11. 1993: http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d- 19060410.html. (29. 02. 2014)

80 verhindert: „Als Genscher und Kohl schon gut drei Monate später die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens in der EG durchgesetzt hatten, beschwerte sich Carrington, er habe nun "überhaupt keinen Hebel" mehr. Ein halbes Jahr später gab er auf.“211 Der bosnische Präsident Alija Izetbegović habe noch im November 1991 vor den Folgen einer Anerkennung Kroatiens auf die Nachbarrepublik gewarnt. (Obwohl dieser es wenige Monate später selbst für geboten hielt, Bosnien-Herzegowina in die „Unabhängigkeit“ zu führen.)

Auf die schwierige innenpolitische Lage der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Kroatien wird einmal mehr unter Verweis auf die historisch belastete Erfahrung der serbischen Bevölkerung mit dem kroatischen Nationalismus aufmerksam gemacht: „Er [Tuđman] unterließ anfangs jede versöhnliche Geste, obwohl die kroatischen Serben durch die Massaker und KZ-Gräuel kroatischer Faschisten im Zweiten Weltkrieg traumatisiert waren - bis zum Ende der Tito-Zeit ein verbotenes Thema.“ Die Behauptung „Massaker und KZ-Gräuel“ seien zu Titos Zeiten ein Tabu gewesen, lässt sich so nicht bestätigen, da das Lager Jasenovac auch damals ein Begriff war und einige der in dieser Arbeit behandelten historischen Werke zum Thema erschienen noch zu Lebzeiten des Marschalls. Die bekannte Betonblume, welche dem Andenken der Opfer in Jasenovac gewidmet ist, hatte der Architekt Bogdan Bogdanović bereits 1966 errichten lassen.

Von den unterlassenen versöhnlichen Gesten des kroatischen Präsidenten abgesehen, hätten sich die Schatten der Vergangenheit auch auf handfestere Weise Ausdruck verliehen: „Als dann auch noch, in der Kluft der einstigen faschistischen Ustascha, bewaffnete kroatische Schwarzhemden in der Krajina und anderen Serbengebieten auftauchten, errichteten die Serben Straßensperren und versorgten sich bei Überfällen auf Polizeistationen mit Waffen.“ Zweifel an der Objektivität deutscher Balkanpolitik wird des weiteren geäußert, unter Verweis auf ein Zitat von Hans-Dietrich Genschers Nachfolger als Außenminister, Klaus Kinkel, welcher der Ansicht war, es gelte „Serbien in die Knie zu zwingen“.

Auch in der Wochenzeitung „Die Zeit“ finden sich, vor allem in der Periode vor Ausbruch des Bosnienkrieges im April 1992, Abhandlungen, welche sich mit den Positionen und der Politik des kroatischen Präsidenten und seiner Förderer im In- und Ausland kritisch auseinandersetzen. Am 10. Mai 1991 schreibt Michael Schwelien über „den Präsidenten

211 A. n. g.: Der Spiegel, 26. 6. 1995: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9199049.html. (29. 02. 2014)

81 der die Krise will“ und zeichnet dessen Werdegang, vom Tito-General zum Nationalisten, nach. Tuđmans Revision der Opferzahlen, ob berechtigt oder nicht, wird in Hinblick auf die Politik, welcher ein solches Unterfangen dienen soll, problematisiert. Dem, durch die Vergangenheit bedingten, schwierigen Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem zerfallenden Jugoslawien wird Rechnung getragen: „Es mag sein, dass seine Berechnungen genauer sind als jene des früheren kommunistischen Jugoslawiens. Es mag ebenso gut sein, dass seine Zahlen zu niedrig sind. Wenn er sie aber als Mittel in der aktuellen Politik einsetzt, dann weiß er auch, dass dies Reaktionen bewirkt. Von serbischer Seite wird er der 'Verharmlosung' des Faschismus geziehen – und dies in einem Land, dessen Partisanen den Deutschen unter großen Opfern Paroli boten.“212 Das als „schlicht“ beschriebene Geschichtsbild des Präsidenten, welcher eine „Trennungslinie“ zwischen dem „demokratischen“ Westen (dem Kroatien angehöre) und dem „autoritär-byzantinischen“ Osten ausmacht, stimmt einmal mehr mit Reißmüllers Ausführungen überein: „'Sie [die Trennungslinie] wird entlang jener traditionellen Grenze zwischen der westlich-christlichen Zivilisation und der byzantinisch-orthodoxen Zivilisation verlaufen.' In der westlichen Zivilisation hätten 'trotz allem' die universellen und demokratischen Werte des menschlichen Denkens immer überwogen; in der byzantinischen habe es dagegen immer ein Übergewicht autoritärer Strukturen und politischer Willkür gegeben.“

Bereits im April 1989 schätzen Dunja Melčić und Rino Mikulić, beide in der Bundesrepublik Deutschland lebende Historiker mit jugoslawischen Wurzeln, die Situation in ihrer Heimat als sehr ernst ein. Die nicht aufgearbeitete Geschichte und die, aufgrund der autoritären politischen Verhältnisse, Unmöglichkeit des Durchführens einer dem bundesdeutschen Historikerstreit vergleichbaren Debatte, würden das Verhältnis zwischen Serben und anderen jugoslawischen Nationen zunehmend vergiften. Das titoistische Narrativ vom Volksbefreiungskrieg habe der Erinnerung an das menschliche Leid des Krieges nicht ausreichend Raum gelassen: „Als der Metropolit von Belgrad 1984 die wiederaufgebaute orthodoxe Kirche in Jasenovac einweihte, staunte er nicht schlecht, als er in der Gedächtnisstätte lesen musste, dass die Opfer dort schlicht als „Patrioten und Antifaschisten“ bezeichnet wurden.“213 Im Zeitraum 1990/91 wird verschiedenen Stimmen Platz eingeräumt, auch jenen, welche in Tuđmans Politik keine bedenklichen Ustaša-

212 Michael Schwelien in: Die Zeit, 10. 5. 1991: http://www.zeit.de/1991/20/der-kroate-der-die-krise-will/seite- 2. (29. 02. 2014) 213 Dunja Melcic, Rino Mikulic in: Die Zeit, 14. 4. 1989: http://www.zeit.de/1989/16/die-blutige-geschichte- vom-kosovo. (29. 02. 2014)

82 Affinitäten zu erkennen vermögen (Johannes Grotzky schreibt beispielsweise über derartige Vorwürfe im Oktober 1990: „Auch der Hinweis auf die unselige Zeit des Ustascha-Regimes in Kroatien beschwört die Gefahren einer Vernichtungspolitik herauf, die ganz gewiss in diametralem Gegensatz zur Auffassung der heutigen Regierung in Zagreb steht.“214). Die Zeit, damals als linksliberales Medium bekannt, in welchem viele AutorInnen sich intensiv mit den Altlasten der deutschen Vergangenheit auseinandersetzten, folgte zuweilen auch in der Balkanfrage entsprechenden Richtlinien. Eberhard Rondholz rückt in diesem Zusammenhang im November 1992 Vorurteile vom angeblich jahrhundertealten Hass zurecht, welcher dafür gesorgt habe, dass Südosteuropa nicht zur Ruhe komme. Vielmehr sei ein Blick auf die eigene jüngere Geschichte erforderlich, um die Grausamkeit des Konfliktes erklären zu können: „Dabei hätte man, vor allem in Deutschland, sehr wohl vorbereitet sein können auf diese 'archaische Brutalität', und wissen können, wo sie ihren Ursprung hatte – nicht im Mittelalter, sondern in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts. Und es waren Deutsche, die Kroaten und Serben damals aufeinander gehetzt und jene Saat der Gewalt gelegt haben, deren Folgen sie jetzt mit Abscheu und Entsetzen zusehen.“215

Eine ausgesprochen kritische Haltung kommt in einigen Artikeln und Kommentaren zum Vorschein, wenn es um die kroatienfreundliche Politik der Regierung Kohl/Genscher geht, gerade in Hinblick auf die deutsche historische Verantwortung. Trotzdem finden sich auch im Archiv der „Zeit“ Wortmeldungen, welche, nach Ausbruch der Kämpfe in Bosnien Herzegowina von „Genozid“ oder „Völkermord“ sprechen, wobei einmal mehr ein Begriff bewusst ins Spiel gebracht wird, welchen die LeserInnen mit den Gräueln der deutschen Vernichtungslager in Verbindung bringen (Beispielsweise im August 1992: „Wir haben den Völkermord vor Augen, werden verfolgt von Bildern der Lager, bedrängt von den neuen Namen des Schreckens: Omarska, Manjača, Sanski Most, um den Schlaf gebracht von den Berichten der Überlebenden.“216). Auch manchen Stammtisch-affinen Generalisierungen erliegt der ein oder andere Autor, wenn von „den Serben“ und, in geringerem Masse, „den Kroaten“ die Rede ist, welche sich bis aufs Blut hassen und Terror verbreiten. Unter der Überschrift „Ein Land läuft Amok“ suggeriert die Einleitung die Vorstellung, auf dem Balkan würden sich wild gewordene und blutrünstige Barbaren

214 Johannes Grotzky in: Die Zeit, 12. 10. 1990: http://www.zeit.de/1990/42/titos-traum-zerbricht/seite-2. (29. 02. 2014) 215 Eberhard Rondholz in: Die Zeit, 20. 11. 1992: http://www.zeit.de/1992/48/die-saat-der-gewalt/seite-1.(29. 02. 2014) 216 Klaus Hartung in: Die Zeit, 21. 8. 1992: http://www.zeit.de/1992/35/wer-will-denn-bosnien-retten. (29. 02. 2014)

83 gegenseitig bekriegen: „Seit einem Jahr herrscht in Jugoslawien Krieg. Die Serben morden kalten Blutes, doch auch die Kroaten schlagen brutal zu. In Jugoslawien wächst das Grauen. Ein Ende der Schlächterei ist nicht in Sicht.“217

Eine Gemeinsamkeit lässt sich zwischen Reißmüllers Texten und manchen Analysen aus Spiegel und Zeit feststellen: Die Versuchung, die damalige Situation auf dem Balkan mit der angeblichen Unfähigkeit einer oder mehrerer Kriegsparteien zivilisatorische Mindeststandards einzuhalten, zu erklären. So finden sich einerseits Aussagen, welche die serbische Seite als byzantinisch und grausam charakterisieren (Reißmüller) und andererseits die Tendenz, allen Konfliktparteien barbarische Eigenschaften zu unterstellen, es sei mehr oder weniger naturgegeben, dass diese übereinander herfielen. Die berühmte frühere Chefredakteurin und Mitherausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, war, anders als ihr Kollege von der FAZ, eine Gegnerin eines militärischen Eingreifens in Jugoslawien, trotz einer gewissen argumentativen Ähnlichkeit. Dönhoff gehörte zu jenen Publizisten, welche „den Kroaten“ und "den Serben" in etwa dieselbe Primitivität unterstellte: „Selbst die Sowjets, die gern als hinterwäldlerisch, unterordnungsbereit und ohne Sinn für demokratische Regeln geschildert werden, scheinen es fertigzubringen, sich in neue, föderale Strukturen einzupassen, in denen genügend Platz für Autonomie vorhanden ist. Warum sollten dies die angeblich so westlichen Völker Jugoslawiens nicht fertigbringen? Aber wenn sie denn ihren serbokroatischen Haß unbedingt ausleben wollen, dann sollte man sie eben lassen.“218

Auch Spiegel-Chefredakteur Rudolf Augstein, der vor einer Intervention warnt, da sie eine, den Kriegen in Vietnam und Afghanistan vergleichbare, Situation mit sich bringen würde, nennt Südosteuropa, sich auf Robert Kaplan berufend,"das kulturell am wenigsten hantierbare Stück Erde". Eine Blockade gegen „die Serben“ befürwortet Augstein jedoch und fordert offen, dass diese die Zivilbevölkerung auf drastische Weise in Mitleidenschaft zu ziehen habe: „Der Bürgerkrieg in Jugoslawien beläßt den Serben zu viele Trümpfe, die nur durch eine Dezimierung der nicht kämpfenden Bevölkerung entwertet werden können. Mit einer strikten Blockade muss jetzt begonnen werden.“219 Auf den, laut Augstein jahrhundertealten Hass zwischen den Völkern, welcher sich ohnehin nicht bezwingen

217 Michael Sehwelien in: Die Zeit, 16. 6. 1992: http://www.zeit.de/1992/27/ein-land-laeuft-amok. (29. 02. 2014) 218 Marion Gräfin Dönhoff in: Die Zeit, 20. 9. 1991: http://www.zeit.de/1991/39/kopflos-in-das-chaos/seite-2. (29. 02. 2014) 219 Rudolf Augstein in: Der Spiegel, 3. 5. 1993: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13855376.html. (29. 02. 2014)

84 lasse, wird ebenfalls hingewiesen: „Was dort geschieht, passiert seit 500 Jahren und länger.“

Der Staats- und Völkerrechtler Thomas Fleiner spricht von einer „Ethnifizierung der Information“ (welche sich freilich auch bei den Rezeptionen vieler anderer Konflikte feststellen lässt), auf welche ein beträchtlicher Teil der westlichen Journalisten sich eingelassen habe. Man habe „... von Anfang an bei der Anprangerung von Kriegsverbrechen einzelner Krimineller, Soldaten, Freischärler, Offiziere oder Generale nicht von den einzelnen Tätern, sondern fast immer nur von den Serben, den Kroaten und allenfalls von Muslimen gesprochen, als ob ein ganzes Volk für die Schrecken des Krieges verantwortlich gemacht werden kann.“220

In diversen von HistorikerInnen und KennerInnen der Region verfassten Publikationen wird die deutsche Anerkennungspolitik verschieden interpretiert. Während die einen darauf hinweisen, dass der Krieg sich auch durch eine zögerlichere Haltung Bonns nicht mehr hätte verhindern lassen und, dass die Regierung Kohl/Genscher somit keinen destabilisierend wirkenden Alleingang zuwege gebracht hätten, gehen andere davon aus, dass die Internationalisierung der Krise aufseiten der kroatischen Regierung falsche Hoffnungen geweckt habe und somit tatsächlich die Eskalation des Konflikts zusätzlich befördert habe. Es stellt sich hierbei die Frage, inwieweit die in den letzten zehn Jahren erschienene Fachliteratur, zumindest stellenweise, auch in Form einer Primärquelle herangezogen werden kann. Ist es möglich, dass manche ihrer Autoren dem Geschehenen noch sehr nahe stehen, da diese bereits während der Kriege sich als Beobachter und/oder Kommentatoren der Situation betätigt hatten? Als Beispiel für ein, durch die Unmittelbarkeit der Ereignisse nicht unbelastetes Werk dürfte der von Dunja Melčić herausgegebene Sammelband „Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte Verlauf und Konsequenzen“221 gelten. In besagtem Werk sind unter anderem Beiträge von Erich Rathfelder und Joscha Schmierer enthalten. Diese, nicht wie Reißmüller dem konservativen Spektrum zuzuordnen, kommentierten die Situation für linksalternative Medien, ersterer für die Berliner „Tageszeitung“, letzterer für die Zeitschrift „Kommune“. Während Rathfelder sich während des Krieges in Bosnien-Herzegowina lange Zeit in Sarajevo aufhielt und sich mit den Zielen der Regierung Izetbegović weitgehend identifizierte, machte sich Schmierer (ehemaliges Mitglied des Sozialistischen 220 Thomas Fleiner, Minderheiten und Nationalismus, in: Klaus Bittermann (Hg.) Serbien muss sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg, Berlin 2000, S. 50 – S. 73, S. 59. 221 Dunja Melčić (Hg.), Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte Verlauf und Konsequenzen, Wiesbaden, 2007.

85 Deutschen Studentenbundes) während der 90er Jahre als energischer Befürworter eines bewaffneten Eingreifens gegen Serbien einen Namen. Im Jahr 1997 äußerte sich Schmierer zu der Frage, ob er den kroatischen Nationalismus zu Beginn der 90er Jahre unterstützt habe und distanzierte sich von „völkischem“ Denken, meinte jedoch eine gewisse Überschneidung zwischen Demokratie und nationaler Erhebung erkennen zu können. Möglicherweise spielt hier Schmierers linksradikale Vergangenheit (bis hin zu einer zeitweiligen Unterstützung des Pol Pot-Regimes), eine Rolle, und die bereits von Lenin propagierte Losung vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“: „Zu Kroatien und anderen Staaten des früheren Jugoslawien: Völkisches und Demokratisches hat sich dort in der nationalen Bewegung gemischt. Sicherlich hat sich das Völkische durchgesetzt. Das darf nicht heißen , die demokratische Dimension des nationalen Aufbruchs zu negieren - von dieser Prämisse sind wir ausgegangen.“222 In Melčićs Sammelband ist auch ein Beitrag des französischen Historikers Jaques Rupnik enthalten223, welcher die deutsche Anerkennungspolitik im Nachhinein für gerechtfertigt hält und in der anfänglichen Kritik vonseiten Großbritanniens und Frankreichs eine, den Fakten nicht standhaltende, Angst vor einer Revision der Nachkriegsordnungen von Jalta und letztlich auch Versailles sieht. Vielmehr sei Deutschland, dank seiner Wiedervereinigung, selbst mit der Relevanz des Konzepts vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ konfrontiert worden, was zu einer Solidarität mit den Unabhängigkeitsbestrebungen Sloweniens und Kroatiens geführt habe: „Nach dem Fall der Berliner Mauer erreichte es [Deutschland] im Namen des Prinzips der Selbstbestimmung der Nationen die Wiedervereinigung und veränderte damit eine international anerkannte Grenze. Mit welcher Begründung hätte es das gleiche Recht anderen Nationen im postkommunistischen Mitteleuropa verweigern und einen 'Aggressor' dazu noch belohnen können?“224 Die Problematik vom Konzept der Selbstbestimmung wird somit nicht behandelt. Schließlich bestand gerade in der Inanspruchnahme dieses Rechts durch sämtliche Konfliktparteien das Haupthindernis für eine Lösung der Krise: Die „Selbstbestimmung“ der einen Seite, stand jener des Gegners im Wege. Das Beispiel der deutschen Vereinigung durch die Veränderung einer international anerkannten Grenze könnte ebenso für die Rechtfertigung serbischer Positionen verwendet werden. dass sich die 222 Joscha Schmierer in: Jungle World, 14. 08. 1997: http://jungle-world.com/artikel/1997/33/39104.html. (29. 02. 2014) 223 Jaques Rupnik, Die Welt im Balkanspiegel: das Agieren der Grossmächte, in: Melčić (Hg.) 2007, S. 461 – 473. 224 S. 466.

86 Argumentationen und Strategien der Rechtfertigung beider Seiten ähnelten, war bereits bei der Diskussion um Täter- und Opfer-Fragen aus dem Zweiten Weltkrieg ersichtlich.

11) Ein Beispiel für eine deutsche pro-jugoslawische Positionierung

Entgegengesetzte Positionen lassen sich vor allem in Publikationen traditioneller linker Kleinverlage finden, als Beispiel hierfür ließe sich der 1994 erstmals erschienene, von Klaus Bittermann herausgegebene, Sammelband „Serbien muss sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg“ heranziehen. Auf der Rückseite des Buches wird das Anliegen formuliert, befangene Sichtweisen auf den Jugoslawien-Krieg korrigieren zu wollen und Kritik an jenen Medien geübt, welche den Holocaust argumentativ verwenden, um für eine Militärintervention in Kroatien und/oder Bosnien zu streiten: „So schrecklich die Ereignisse auf dem Balkan jedoch sein mögen, sie haben mit Auschwitz nichts zu tun.“225 Enthalten sind Beiträge deutschsprachiger und einzelner internationaler PublizistInnen, von denen manche ihren Fokus auf die unseriöse und/oder oberflächliche Recherche mancher JournalistInnen richten, während andere eigene Interpretationen der Ereignisse auf dem Balkan und ihrer Vorgeschichte beisteuern. Wie der Titel bereits suggeriert, wird vor allem Deutschlands (und Österreichs) Rolle als historisch unverantwortlich und gefährlich kritisiert. Die Schriftstellerin Dorothea Razumovsky beschäftigt sich in ihrem Beitrag aus Bittermanns Buch mit den historischen Altlasten, wenn es um Verbindungen zwischen Deutschland und Kroatien geht.226 Die politischen Prioritäten, wie sie sich in Kroatien 1991 äußern, erläutert Razumovsky an der Gegenüberstellung der Bischöfe Strossmayer und Stepinac, wobei ersterer für die Überwindung historischer Gegensätze zwischen Orthodoxie und Katholizismus und letzterer für deren Verschärfung steht: „Am Denkmal Strossmajers, der sein ganzes Leben dieser Heilung, nämlich der Versöhnung zwischen den durch die Tragödie des Schismas entzweiten Brudervölker der Serben und Kroaten gewidmet hatte, legt an diesem Pfingstsonntag 1991 niemand auch nur eine Blume nieder. Zum Grabe seines Nachfolgers Stepinac im Dom, gleich links neben dem Altar, aber pilgern Aberhunderte.“227 Einige Beiträge setzen sich durchaus auf differenzierte Weise mit dem den Methoden

225 Klaus Bittermann (Hg.) Serbien muss sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg, Berlin 2000. 226 Dorothea Razumovsky, Gott will es!, in: Bittermann 2000, S. 83 – 99. 227 Bittermann 2000, S. 89.

87 auseinander, wie Medien, die Politik und manche Intellektuelle auf das Geschehen im Balkan reagiert haben und warnen vor emotional aufgeladenen Schnellschüssen, wenn es um die Frage geht wie „der Westen“ mit dem Problem umzugehen haben solle. Undifferenzierte emotionale Aufgeladenheit findet sich auch im Buch selbst, so etwa in einem vom Herausgeber Klaus Bittermann verfassten Text. Bittermann wirft die Frage in den Raum, wie es dazu kommen konnte, dass sowohl Teile der deutschen Medien und Politik-Szene, als auch manche französische Intellektuelle (in diesem Fall Alain Finkielkraut) die Sache Kroatiens auf eine solch offensive Weise vertreten würden und deutet an, dies könnte mit einer Sympathie für den Faschismus erklärbar sein. Bei Aussagen wie der folgenden stellt sich die Frage, ob es dem Autor eher um eigene deutsche Befindlichkeiten oder um die eigentliche Situation in Jugoslawien ging: „Vielleicht weil Tudjman, ein glühender Bewunderer von Ante Pavelić, froh ist, dass seine Frau keine Jüdin ist?“228 Als anti-kroatisch-tendenziöse Schrift darf das Buch „Krieg der Religionen. Der ewige Kreuzzug auf dem Balkan“ gelten, welches der kirchenkritische Publizist Karlheinz Deschner gemeinsam mit dem serbischen Politikwissenschaftler Milan Petrović verfasste229. Eine katholisch-kroatische Verschwörung gegen die Orthodoxie wird skizziert, welche jahrhundertelang bestanden habe und auch scheinbare Antagonismen miteinander verbunden hätte, von Starčević und Strossmayer bis zu Stepinac und Tito. Die Motivation jenes Teiles der deutschen Linken, welcher sich partiell mit der serbischen Seite solidarisierte, oder, zumindest dessen Gegner scharf kritisierte, scheint sich aus der Angst gespeist zu haben, Deutschland könne nach seiner Wiedervereinigung 1990 erneut eine aggressive Rolle in Europa spielen. Insbesondere Bittermann wendete diese Denkschablone auf die deutsche Jugoslawienpolitik an, was sich schon im Titel des von ihm herausgegebenen Bandes manifestiert, welches auf den, dank Karl Kraus berühmt gewordenen, Schlachtruf aus dem Ersten Weltkrieg „Serbien muss sterbien“ hinweist. Des weiteren dürften gewisse antiimperialistische Erwägungen (Serbien als Gegner der Nato und der USA) eine Rolle gespielt haben, oder, im Falle Deschners, eine dezidierte Gegnerschaft zur katholischen Kirche. Dieser hatte bereits 1962 ein Werk unter dem Titel „Mit Gott und den Faschisten“ verfasst, in welchem Pavelićs Berufung auf den Katholizismus in einen breiteren Kontext angeblicher und tatsächlicher Versäumnisse

228 Klaus Bittermann, Der Intellektuelle als Kriegshetzer, S. 187, in: Bittermann 2000, S. 179 – 201. 229 Karlheinz Deschner, Milan Petrović, Krieg der Religionen. Der ewige Kreuzzug auf dem Balkan, München 1999.

88 vonseiten des Vatikans gestellt wird.230 Zu solchen Verallgemeinerungen vom „faschistischen“ Kroatien und dem „antifaschistischen“ Serbien schrieb der linke Journalist Kunth Mellenthin 1993: „Die vage Vorstellung, im Zweiten Weltkrieg habe 'Kroatien' gemeinsam mit dem nazistischen Deutschland gekämpft, hingegen "Serbien" auf der Gegenseite, und das wiederhole sich in der heutigen Konstellation, wird den historischen Tatsachen nicht gerecht. Noch ärger wird der Fehler, wenn 'die Kroaten' von damals und heute mit dem Ustascha-Regime identifiziert werden. Weder Kroatien noch Serbien waren, als die deutsche Armee Jugoslawien zerschlug, demokratisch strukturierte Staaten, die ihren Bevölkerungen auch nur annähernd die Informations-, Diskussions- und Teilhabemoglichkeiten einer bürgerlichen Gesellschaft geboten hätten.“231

13) Schlusswort

Die in dieser Masterarbeit behandelten Themengebiete geben einen kurzen Überblick über die Probleme die mit der Rechtfertigung der Durchsetzung und grundsätzlichen Legitimität der kroatischen Eigenstaatlichkeit einhergingen, insbesondere im Hinblick auf das schwierige kroatisch-serbisch-deutsche Verhältnis. Wie zu Beginn erwähnt, darf man davon ausgehen, dass andere 1990/91 neu in Leben gerufene Staaten vor vergleichbar schwierigen geschichtspolitischen Herausforderungen standen. Hinzu kommt der von Tuđman und seinen exil-kroatischen Verbündeten geäußerte Vorwurf, die frühere jugoslawische Geschichtsschreibung habe der kroatischen Bevölkerung eine Kollektivschuld unterstellt, mit dem Ziel, möglichen kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen ihre Legitimität zu entziehen. Wobei der Vorwurf die jugoslawisch-offizielle und auch serbisch-nichtkommunistische Geschichtsschreibung gleichermaßen zu treffen scheint. In diesem Zusammenhang mussten auch Beispiele aus der jugoslawischen Geschichtsschreibung und der serbisch-kroatische Opferdisput untersucht werden. Da die NDH, laut Tuđman, das „jahrhundertealte Streben des kroatischen Volkes nach Eigenstaatlichkeit“ repräsentierte, werden dessen Verbrechen entweder heruntergespielt oder, zumindest teilweise, gerechtfertigt. Aus Tuđmans Biographie und Aussagen lässt

230 Karlheinz Deschner, Mit Gott und den Faschisten, Freiburg 2012. 231Knut Mellenthin in: Analyse & Kritik, 07. 07. 1993: http://www.knutmellenthin.de/artikel/archiv/jugoslawien/der-erste-jugoslawische-staat-und-sein-ende- imzweiten-weltkrieg-771993.html. (29. 01. 2014)

89 sich herauslesen, dass dessen Sympathie für die Bewegung der Ustaše keine Herzensangelegenheit war, als welche sie etwa von Bittermann beschrieben wird. Doch die Einbindung jener in die Gesellschaft, die eine solche Ideologie vertraten, hielt Tuđman nichtsdestotrotz für notwendig. So ließen sich in dessen Umkreis sowohl aus dem Exil heimgekehrte Fanatiker, als auch ehemalige KP-Mitglieder finden. Dies entsprach der Vorstellung, die der erste kroatischen Präsident von „Versöhnung“ hatte, der Feind musste ein äußerer sein. Interessant hierbei ist, dass die Darstellung der Ereignisse, wie sie Tuđman vorgenommen hatte, in Deutschland teilweise auf Resonanz stieß. Von der Frage der Nützlichkeit und/oder Gefährlichkeit der deutschen Jugoslawien-Politik abgesehen, lässt sich feststellen, dass zumindest in einer der führenden deutschen Tageszeitungen Positionen, die damals in Kroatien Verbreitung gefunden hatten, weitgehend übernommen wurden. Was auf Kohls und Genschers Haltung in der Jugoslawien-Krise nicht unerheblichen Einfluss ausübte, so Zeitzeugen. Reißmüllers Texten sind durch das Geschichtsbild eines ausschließlich unter serbischer Kontrolle stehenden Jugoslawien geprägt und der Autor geht so weit, dessen Legitimität, aufgrund kommunistischer Nachkriegsverbrechen, von Anfang an als nicht gegeben darzustellen. Die Vorgeschichte spielt keine Rolle. In Bezug auf Südosteuropa finden sich hier Argumentationsmuster wieder, wie sie, auf Deutschlands Geschichte bezogen, auch 1990/91 in Deutschland nur noch in extrem rechten Kreisen zutage getreten wären. Aus Anlass des 20. Jahrestages der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens würdigt Michael Martens in der FAZ das Wirken des früheren Herausgebers und dessen Einfluss auf die deutsche Außenpolitik. Zur Frage, ob dessen Berichterstattung auch kritische Punkte aufweise, heißt es: „Der Journalist, dessen Artikel auch nach Jahrzehnten noch ausnahmslos korrekte Einschätzungen enthalten, muss noch geboren werden.“232 Das fortgesetzte Studium kroatischer Geschichtsschreibung (inklusive jener Werke von HistorikerInnen, die für einen Neuanfang einstehen, z. B. Ivo Goldstein) und auch solcher von jugoslawischer, serbischer und internationaler Provenienz sollten nicht zuletzt zu einer Antwort auf die Frage beitragen, ob eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit in Bezug auf die jugoslawische Krise eventuell über die Staaten des ehemaligen Jugoslawien hinausgehen müsste. Die „Ethnifizierung“ (Fleiner) der

232 Michael Martens in: FAZ, 15. 01. 2012: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anerkennung-sloweniens- und-kroatiens-vor-20-jahren-oder-es-wird-zerfallen-11602228.html. (29. 02. 2014)

90 Konfliktparteien fand, wie sich gezeigt hat, auch in führenden deutschen Medien ihren Ausdruck. Dies konnte bedeuten, dass einer Seite eine kulturelle Überlegenheit über die andere attestiert wurde (Reißmüller), oder, dass das zerfallende Jugoslawien insgesamt als ein Territorium betrachtet wurde, auf welchem zivilisatorisch rückständige Nationen ihre Stammesfehden austragen, und dies bereits seit Jahrhunderten (Dönhoff und Augstein). Auch Exkurse in andere Epochen zeigen wie die Vorstellung einer südosteuropäischen primitiven Andersartigkeit zwischen Sympathie und Hass hin und her pendeln kann, was sich auch im Vergleich verschiedener NS-deutscher Publikationen äußert. Den komplizierten Sachverhalten von Kollaboration und Widerstand während des Zweiten Weltkriegs (auf dem gesamten Territorium des früheren Jugoslawien) werden jedoch auch jene Publikationen nicht gerecht, welche behaupten, „die Kroaten“ hätten aufseiten der Achsenmächte, und „die Serben“ aufseiten der Alliierten gekämpft.

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98 Die Abrechnung mit der jugoslawischen Idee in kroatischen und deutschen Publikationen, Abstract der Masterarbeit von Benjamin Schett

Eine, den aus dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion hervorgegangenen Nationalstaaten gemeinsame Herausforderung, bestand in der Schaffung eines historischen Narratives, das die Erzählungen ersetzen würde, auf welchen die jeweiligen Vorgängerstaaten gründeten. So wurde meistens auf Ereignisse aus der prä- kommunistischen Zeit verwiesen, um das Bild einer historisch gewachsenen Nation zu vermitteln, mit dem Ziel, möglichen territorialen Ambitionen der Nachbarstaaten ihre vermeintliche Legitimation zu entziehen. Dies traf auch im Falle Kroatiens zu, wo sich der erste Präsident des unabhängigen Landes, Franjo Tuđman, ebenfalls als Historiker betätigte. Dessen, zum Teil geschichtsrevisionistische, Thesen lassen sich in Tuđmans Werk „Bespuća povijesne zbiljnosti“ nachlesen, welches 1989 verfasst wurde und wenige Jahre später im Ausland auf Kritik stossen sollte. Da es sich Tuđman zum Ziel gemacht hatte, kommunistische und/oder von serbischer Seite vorgebrachte, vermeintliche und tatsächliche, Geschichtsmythen zu widerlegen, hatte der Autor verschiedene problematische Aussagen zu Fragen von Verbrechen, Kollaboration und Widerstand aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs getätigt. Doch Tuđmans Thesen gingen über die Ablehnung von Vorwürfen der Kollektivschuld gegenüber der kroatischen Bevölkerung in Bezug auf Verbrechen der Ustaše hinaus, da er, zumindest teilweise, eine Relativierung der Verbrechen selbst anstrebte. Hinzu kommt, dass das Ziel eines unabhängigen kroatischen Staates für Tuđman über allem stand, weshalb er versuchte, zwischen dem „Regime“ der Ustaše und dem „Staat“ als solchen („Unabhängiger Staat Kroatien“, Nezavisna Država Hrvatska) zu unterscheiden. Wer immer sich für Kroatien engagiert habe, solle entsprechend gewürdigt werden, wobei es nebensächlich sei, ob man aufgrund historischer Wirren auf Seiten der Kommunisten, der Ustaše oder anderer politischer Fraktionen (etwa der kroatischen Bauernpartei, auf die ebenfalls eingegegangen wird, da sich Tuđman auch auf diese berief.) gestanden und gekämpft habe. Dies sorgte bei vielen Nachkommen der Opfer der Ustaše für Empörung, darunter Serben, Juden, Roma und kroatische Regimegegner verschiedenster politischer Provenienz. Ein Sachverhalt, welcher auf Seite serbisch-nationalistischer Historikerinnen und Historiker politisch instrumentalisiert wurde. Hinzu kommt, dass diese selbst die alten jugoslawischen Narrative durch nationalistische ersetzten, was sich in der Neubewertung der Rolle der Četnici im Zweiten Weltkrieg äusserte. Vereinzelt hatten sich auch westliche

99 Konservative, wie Beispielsweise Michael Lees mit seinem Buch „The rape of Serbia“, eine ähnliche Sichtweise zu eigen gemacht, welche die alliierte Unterstützung Titos als „Verrat“ geisselten. Vor diesen Hintergründen war auch die deutsche Anerkennungspolitik, betrieben vor allem vom damaligen Aussenminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, Gegenstand von Kritik. Während seit Beginn des Krieges zwischen Serbien und Kroatien 1991 die gegenseitigen Vorwürfe in kroatischen und serbischen Publikationen immer heftigere Züge annahmen, so wurden auch in deutschen Veröffentlichungen emotional aufgeheizte Positionen vertreten. Die Beiträge, die der damalige FAZ-Mitherausgeber Johann Georg Reißmüller zum Thema verfasst hatte, kamen einer einseitigen Unterstützung der kroatischen Seite und einer dezidierten Ablehnung von allem, was als „jugoslawisch“ hätte charakterisiert werden können, gleich. Kroatisch-nationalistische Positionen wurden somit weitgehend übernommen. (Dass solche Sichtweisen auch in Kroatien nicht unumstritten waren, lässt sich durch die Lektüre von Artikeln der Zeitung „Feral Tribune“, oder von den Werken des Historikers Ivo Goldstein, erkennen.) Andere, wie beispielsweise Marion Dönhoff und Rudolf Augstein, vertraten in ihren Kommentaren teilweise kulturalistische Positionen vom Balkan als ständiges Pulverfass, wo sich einander feindlich gesinnte Völker von Zeit zu Zeit eben austoben würden. Demgegenüber war es bei manchen traditionellen Linken üblich, eine Kontinuität im deutsch-kroatischen Verhältnis zwischen 1941 und 1991 zu behaupten. Solche Positionen finden sich etwa im, von Klaus Bittermann herausgegebenen, Band „Serbien muss sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg“. Um die soeben beschriebenen Sachverhalte genauer zu verstehen, wurden für diese Masterarbeit sowohl Tuđmans Text als auch jugoslawische und serbisch-nationale Sichtweisen untersucht. Da insbesondere bei Vladimir Dedijer (als Beispiel eines Vertreters des kommunistischen Partisanen- Narratives) drastische Kritik an der katholischen Kirche zu finden ist, welche andererseits im kroatischen Nationalbewusstsein eine wichtige Rolle gespielt hat, wird auch die Frage von Schuld und/oder Versäumnissen der Kirche Platz eingeräumt. Stellvertretend steht hierfür Bischof Alojzije Stepinac, der wahlweise als Kollaborateur verachtet oder als Märtyrer verehrt wird. Aus der Lektüre der kroatischen, serbischen und deutschen Publikationen wird deutlich, wie festgefahren die Bilder von „den Serben“ und „den Kroaten“, ob man deren vermeintliche Rolle nun als positiv bewertet oder nicht, nicht nur in Jugoslawien selbst waren. Auch im westlichen Ausland war die Stereotypisierung der Nationen des

100 ehemaligen Jugoslawien sehr prominent vertreten.

Die Abrechnung mit der jugoslawischen Idee in kroatischen und deutschen Publikationen (The deconstruction of the Yugoslav idea in Croatian and German publications), Abstract of the MA-Thesis by Benjamin Schett

A challenge, which former Yugoslav and former Soviet states had to face, consisted in the creation of new historical narratives, in order to replace the old ones. In that regard, it was often being referred to pre-communist historical events. The picture of a historically persistent nation could also help to delegitimize territorial ambitions by neighbour states. This was the case for example in Croatia and its former president Franjo Tuđman, who had worked as a historian as well. His most well known publication is the book "Bespuća povijesne zbiljnosti", first published in 1989, a piece that has been widely criticised for its historical revisionism. The authors intention was to debunk, what he regarded as Serbian or communist historical myths about World War 2, but at the same time he himself made several problematic statements on questions of collaboration, resistance and ethnicity in general. Crimes commited by the Ustaše were partly relativated, so Tuđman went further than only renouncing allegations of some sort of Croatian collective guilt. Other than that, the presidents main goal consisted in the historical justification of the necessitiy of creating an independent Croatian state, which included the assumption that the "Independent State of Croatia" would have been a legitimate construction in itself, it had to be evaluated seperately from the regime. Anyone having fought for what he considered to be Croatia would deserve to be remembered with honours. These positions caused much anger among the victim groups, such as Serbs, Jews, Leftists and also many Croats. On the other hand Serbian nationalist writers did not hesitate to politically instrumentalise Tuđmans positions, in order to justify their own goals. At the same time they would attempt to rehabilitate the Četnik-movement. Some Western conservatives agreed with this point of view, such as Michael Lees in his book "The rape of Serbia". With these backgrounds, the German policy of enforcing the recognition of Croatia as an independent state, has been widely criticised. Not only many Serbian and Croatian publications tended to replace reasoning with the stirring of emotions: Such tendencies were to be found in Germany as well. One of the former editors of Frankfurter Allgemeine Zeitung, Johann Georg Reissmüller, used to reproduce Croatian nationalist points of view

101 in his publications during the early 90s. Even though such positions wouldn't remain unchallenged in Croatia itself, which becomes evident, when for example reading the historian Ivo Goldsteins publications or the articles that were published by the weekly Feral Tribune. Others, for example famous German Journalists such as Marion Dönhof and Rudolf Augstein would spread culturalistic views on the conflict in South East Europe, describing the region as a generally violent place, no matter which side would be in question. Some traditional Leftists on the other hand used to claim, that the old German- Croatian World War 2-allience would have been reactivated in order to destroy the Yugoslav state. Such views can be found in the book "Serbien muss sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg", edited by Klaus Bittermann. In order to reach a deeper understanding of the matters described above, Tuđmans book and other Croatian publications, as well as Serbian and Yugoslav ones, are being examined. Some of the latter ones are fiercly critical of the Catholic curch (like Vladimir Dedijer in his publications). Therefore the role of the Croatian Catholic Church, especially the one played by archbishop Alojzije Stepinac, viewed by some as a martyr and by others as a collaborater, needs to be examined as well. By studying the mentioned Croatian, Serbian but also German publications, it becomes evident, how much the stereotypes of "the Serbs" and "the Croats" have been reproduced also outside of former Yugoslavia.

102 Akademischer Lebenslauf, Benjamin Schett

Schule: Gymnasium Bäumlihof, Basel, 1999 – 2004 Minerva Schulen Basel, 2004 – 2006 Eidgenössische Maturität: Oktober 2006

Studium: Studiengang Osteuropa-Studien, Universität Basel, 2006 – 2010 BA of Arts, Dezember 2010, Schwerpunkte: Geschichte und Kulturwissenschaften des ost- und südostslawischen Raums

Regierungsstipendium des Ministeriums für Bildung, Zagreb, Kroatien, Februar – Juni 2011

MA Geschichte (Schwerpunkt: ost- und südosteuropäische Geschichte), Universität Wien, 2011 – 2013/14

Sonstiges: Sprachaufenthalt in Rom, Italien, Juli 2002 Croati Mundi, BKS-Workshop, Trogir, Kroatien, Februar 2008 Workshop, Serbische Sprache und Kultur, Belgrad, Serbien, Juli/August 2009 Russicum (Russisch), Bochum, Deutschland, November 2010 Praktikum: Mitgestaltung des Programms der Sendung „X-Tovka“, in Bosnisch/Kroatisch/Serbischer Sprache, bei Radio X, Basel, März-Mai 2007

Sprachkenntnisse:

Deutsch und Englisch fliessend Bosnisch/Kroatisch Serbisch und Französisch sehr gut Russisch gut Italienisch Grundkenntnisse

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