Wahlsieg für Livni aber Netanyahu neuer Ministerpräsident? Die -Wahlen 2009 in Israel

von Dr. Ralf Hexel, FES Israel, 13. Februar 2009

1. Am 10.02.2009 fanden in Israel vorgezogene Wahlen zur 18. Knesset statt. 5.278.895 wahlberechtigte Israelis waren aufgerufen, über die 120 Sitze ihres Parlaments abzustimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 65,2%, und damit 2% höher als bei den vorigen Wahlen. 2. Das politische System Israels ist instabil. Eine sehr zersplitterte Parteienlandschaft und eine nur 2%ige Sperrklausel bei Wahlen führen zu häufigen Regierungswechseln. 3. Der Wahlkampf wurde im Gefolge des Gaza-Krieges vollständig durch das Thema Sicherheit und den Aufstieg des Rechts-Populisten Avigdor Lieberman dominiert. 4. Die Wahl bestätigte den Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft. Das rechte- ultra-orthodoxe Lager errang 65 der 120 Mandate. Die linken Parteien erlitten eine dramatische Niederlage. Die Arbeitspartei kam lediglich auf 13 Sitze, auf 3. Stärkste Partei wurde mit 28 Sitzen die Zentrumspartei Kadima, gefolgt vom Likud (27) und Yisrael Beitenu (15). 5. Wahlsiegerin von Kadima wird voraussichtlich nicht neue Ministerpräsiden- tin. Likud-Führer Benjamin Netanyahu hat das rechte Lager hinter sich und wird sehr wahrscheinlich von Staatspräsident Peres mit der Regierungsbildung beauftragt wer- den. 6. Für die Regierungskoalition sind mehrere Optionen möglich. Das wahrscheinlichste Szenario ist eine Mitte-Rechts Regierung unter Führung Benjamin Netanyahus, der auch Kadima angehört. 7. Auf den Nahost-Friedensprozess kommen schwierige Zeiten zu, da das siegreiche rechte Lager Konzessionen gegenüber den Palästinensern ablehnt. Eine Schlüsselstellung wird die Obama-Regierung spielen, die eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützt und einer Friedensregelung zum Durchbruch verhelfen will.

Am 10. Februar fanden in Israel die Die politische Zusammensetzung der Wahlen zur 18. Knesset statt. 5.278.985 18. Knesset sieht folgendermaßen aus: registrierte Wähler waren aufgerufen a) Zentrum: Kadima (28 Sitze) ihre Stimme für die 120 Abgeordneten b) Linke Parteien: Arbeitspartei, des neuen israelischen Parlaments ab- Meretz (16 Sitze) zugeben. Es wurden 3.416.587 Stimmen c) Rechte Parteien: Likud, Yisrael abgegeben. Das entspricht einer Beitenu, Nationale Union, Wahlbeteiligung von 65,2%. Bei den Jüdisches Haus (49 Sitze) Wahlen 2006 waren es 63,2%. Insge- d) Religiös-ultraorthodoxe Parteien: samt 33 Parteien bzw. Wahlvereinigun- Shas, Vereinigtes Torah- gen waren zur Wahl angetreten. 12 Judentum (16 Sitze) von ihnen schafften den Sprung ins e) Arabische Parteien: Vereinigte Parlament. Arabische Liste, Hadash, Balad

(11 Sitze) Warum vorgezogene Neuwahlen? war die 22 Tage währende Militär- operation „Gegossenes Blei“ der Seit 1988 hat keine israelische Regie- israelischen Armee (27.12.2008- rung mehr die komplette Legisla- 17.01.2009) gegen die im Gaza-Streifen turperiode von vier Jahren über- regierende Hamas. Diese Mili- standen. Ministerpräsident Ehud Olmert täroperation hatte zur Folge, dass es musste am 21.09.2008 nach nur 2,5 nach Ende der Kampfhandlungen im Jahren Regierungszeit im Gefolge von Wahlkampf ausschließlich um Sicher- Korruptionsvorwürfen und anhaltenden heitsfragen und die zukünftige polizeilichen Ermittlungen von seinem israelische Politik gegenüber den Amt zurücktreten. Als Außenministerin Palästinensern und den arabischen Tzipi Livni, seine Nachfolgerin als Nachbarn ging. Während wirtschafts- Vorsitzende der regierenden Kadima- und sozialpolitische Fragen sowie Partei, es daraufhin nicht schaffte, eine gesellschaftspolitische Themen vor neue Regierung zu bilden, mussten dem Beginn der Militäroperation noch Neuwahlen ausgerufen werden. eine Rolle spielten, waren sie nach deren Ende praktisch von der Für die instabilen Regierungen in Israel Agenda des Wahlkampfes verschwun- gibt es zwei Hauptgründe. Der erste ist den. Daran änderte auch die sich die enorm zersplitterte israelische Par- zuspitzende globale Wirtschaftskrise teienlandschaft, in der sich unmittelbar nichts, deren Auswirkungen auch in Is- die sehr heterogene Bevölkerung des rael mit einer drastisch zunehmenden Einwanderungslandes Israel ausdrückt. Zahl von Entlassungen bereits deutlich Parteien in Israel konstituieren sich nicht zu spüren sind. Das Thema Sicherheit allein entlang politisch-ideologischer wurde zum alles dominierenden Linien, sondern auch auf der Basis Thema des Wahlkampfes. ethnischer und religiöser Zugehörigkei- ten sowie spezifischer Gruppen- Das zweite Phänomen war der rasante interessen (z. B. Rentnerpartei). Der Aufstieg des russischstämmigen zweite Grund ist die niedrige Sperr- Politikers Avigdor Lieberman, Vorsitzen- klausel von 2%. In der 17. Knesset der der rechts-nationalistischen Partei waren 11 Parteien vertreten, ursprüng- Yisrael Beitenu (Unser Haus Israel), die lich sogar 12. Die Partei mit den bisher mit 11 Abgeordneten in der meisten Sitzen war Kadima (29). Sie Knesset vertreten war. Lieberman brauchte aber drei weitere Parteien - wurde 1958 in Kischiniew (Moldawien) Arbeitspartei (19), Shas (12), Rentner- geboren, wanderte 1978 nach Israel partei Gil (6) -, um die für eine regie- ein und trat während seines Studiums rungsfähige Koalition notwendige An- der Politikwissenschaften an der zahl von Sitzen zu erreichen. Im Ergeb- Hebrew University dem Likud bei. nis dessen verfügen relativ kleine Par- Durch seine Freundschaft zu Benjamin teien über einen unverhältnismäßig Netanyahu, der 1996 überraschend großen politischen Einfluss und ein Ministerpräsident wurde, wurde er hohes Druckpotential, um ihre politi- zunächst Generalsekretär des Likud schen Forderungen durchsetzen zu und dann Büroleiter des Premiers können. Netanjahu. 1999 gründete Lieberman mit Yisrael Beitenu eine eigene Partei, Der Wahlkampf - Sehnsucht nach die sich vor allem an die ca. 1 Mio. Sicherheit und einfachen Antworten Israelis wendet, die in den letzten 20 Jahren aus der ehemaligen Sowjet- Zwei Phänomene bestimmten den union ins Land gekommen sind. Bei Wahlkampf zur 18. Knesset. Das erste den Wahlen 1999 errang er mit seiner

2 Partei umgehend einen Sitz im Par- Gaza-Streifen Partei ergriffen und die lament. Unter Ariel Scharon wurde er israelische Armee des Genozids Infrastruktur- und Transportminister. In bezichtigt. Lieberman beschuldigte der Regierung Olmert war er für eine daraufhin die arabischen Bürger Israels begrenzte Zeit Minister für strategische der Illoyalität gegenüber ihrem Staat. Angelegenheiten. Er startete unter dem Titel „Ohne Loyalität keine Staatsbürgerschaft“ Anfang Dezember, also vor Beginn des eine Kampagne, die zur zentralen Gaza-Krieges, wurden Yisrael Beitenu Botschaft seines Wahlkampfes wurde. acht Sitze für die neue Knesset Außerdem kündigt er eine Ge- prognostiziert. Dann setzte eine setzesinitiative an, um die arabischen Entwicklung ein, die sehr plastisch den Bürger des Landes zu zwingen, einen mit dem Gaza-Krieg einhergehenden Treueid auf den Staat Israel abzulegen. Rechtsruck in der öffentlichen Meinung Ein weiterer, offen rassistischer in Israel zum Ausdruck bringt. Die Wahlslogan seiner Kampagne war: überwältigende Mehrheit der „Nur Lieberman versteht arabisch.“ jüdischen Israelis hatte die Mili- Diese Sprüche entfalteten umgehend täroperation im Gaza-Streifen von Be- ihre Wirkung, denn einfache Antworten ginn an uneingeschränkt unterstützt. sind gefragt in schwierigen Kriegs- und Als die Operation beendet wurde, war Krisenzeiten. mehr als die Hälfte von ihnen der Meinung, dass dies ein Fehler war und Im Umgang mit der Hamas lehnt die Kämpfe fortgesetzt werden Lieberman jede Art von Dialog ab und müssten. Sie glaubten nicht an ein fordert den kompromisslosen Einsatz Ende der Bedrohung aus dem Gaza- militärischer Stärke. Im Rahmen des Streifen. Nach ihrer Meinung hätte die Friedensprozesses vertritt er gegenüber Armee weiterkämpfen und die Hamas den Palästinensern ein Konzept des vernichten müssen. Sie verbinden den gegenseitigen Gebietsaustauschs. 2005 erfolgten Rückzug Israels aus dem Danach sollen arabische Bürger Israels Gaza-Streifen mit der Erfahrung eines mitsamt dem Land, auf dem sie leben, massiv zunehmenden Raketen- der Palästinensischen Autonomiebe- beschusses israelischen Territoriums hörde unterstellt werden, während im durch die Hamas. Gegenzug jüdische Siedlungen in der Westbank von Israel annektiert werden Lieberman hat diese von Angst und sollen. Was er vorschlägt, ist faktisch Unsicherheit geprägte Stimmung ein Bevölkerungstransfer, die Aussiede- aufgenommen und geschickt zu lung arabischer Bürger - immerhin 20% nutzen gewusst. Mit markig-populisti- der Bevölkerung - aus Israel. In der schen Slogans hat er Regierung und Jerusalemfrage spricht er sich für eine Armee nach Beginn der Waffenruhe Teilung der Stadt aus, d.h., dass die aufgefordert, weiterzukämpfen und arabischen Viertel Teil eines zukünf- die „Sache zu Ende zu bringen“, d. h., tigen Palästinensischen Staates sein die Hamas vollständig zu vernichten. sollen. Zugleich hat er mit rassistischen Sprüchen und Anschuldigungen Lieberman ist in seinem öffentlichen gegen die Araber und die arabischen Auftreten und seiner politischen Rheto- Parteien in Israel Stimmung gemacht. rik mit europäischen rechts-nationalen Diese hatten während der Kämpfe Populisten wie Jean-Marie Le Pen und und angesichts der hohen Zahl von Jörg Haider vergleichbar. Wie diese Opfern unter der Zivilbevölkerung benutzt er Gefühle von Angst und öffentlich für die Palästinenser im Benachteiligung zur Mobilisierung

3 nationalistischer und rassistischer größte Bedrohung für Israel. Die Haupt- Emotionen, um diese gegen aufgabe einer von ihm geführten Minderheiten zu richten. Denn die Regierung wäre die Beseitigung dieser Israelis sind verunsichert, durch die Gefahr. Gegenüber den Palästinen- nukleare Bedrohung aus dem Iran, die sern hat er deutlich gemacht, dass die Raketenangriffe der Hamas und die Zwei-Staaten-Lösung und ein Rückzug Wirtschaftskrise. Sie blicken besorgt in aus den Siedlungen für ihn nicht zur die Zukunft. Solche Gefühle sind der Debatte stünden. Netanyahu will die klassische Nährboden für rechtes Ge- Besatzungspolitik - er selbst spricht von dankengut. In Krisenzeiten sehnen sich der „Verwaltung der Westbank“ - die Menschen nach einem starken fortsetzen, da nur so Sicherheit für Israel Mann, der sie führt, und Lieberman möglich sei. Sein Konzept dafür heißt bedient diese Sehnsucht. „ökonomischer Frieden“. Er bietet den Für die politische Kultur Israels ist es fa- Palästinensern wirtschaftliche Entwick- tal, dass sich keiner der führenden Poli- lung ohne politische Eigenständigkeit tiker des Landes eindeutig von der ras- bzw. eigenen Staat an. Außerdem sistisch-nationalistischen Rhetorik betonte er, dass er nicht bereit sei, Liebermans distanzierte. Netanyahu, Jerusalem zu teilen. Auch der Golan Livni und Barak, sie alle nahmen diese müsse israelisch bleiben. Mit Bezug auf billigend in Kauf, denn sie gehen die Politik der jetzigen Regierung sagte davon aus, dass eine erfolgreiche er: „Die Ära der Schwäche ist vorbei. Regierungsbildung nur mit Lieberman - Die Ära der Stärke beginnt.“ dann als Königsmacher - möglich sein wird. Nach dem Ende des Gaza-Krieges än- derte sich die Situation. Die Umfrage- Der Likud unter der Führung von Ex- werte für den Likud nahmen ab und Premier Benjamin Netanyahu sah An- die für Yisrael Beitenu nahmen von fang Dezember 2008 mit 35 Mandaten Woche zu Woche zu. Der sich in der wie der sichere Gewinner der Wahlen Gesellschaft verstärkende Trend nach aus. Ihm war es in nur zwei Jahren rechts erfolgte praktisch als Opposition gelungen, den Abwärts- Gegenbewegung zu dem - wenn trend des Likud nach der 2005 er- auch nur leicht - in die Mitte gerückten folgten Abpaltung der Scharon- Likud. Das führte dazu, dass dieser Fraktion - die dann Kadima gründete - seine rechten Wähler an den aggressiv zu stoppen und die Partei, die in der auftretenden Lieberman verlor, ohne 17. Knesset nur über 12 Sitze verfügte, aus dem Zentrum, also von Kadima, zurück an ihren früheren Platz im Wähler hinzu zu gewinnen. Erst gegen Parteiengefüge zu führen. Der Likud Ende des Wahlkampfes gaben Ver- schien für die Wahlen optimal aufge- treter des Likud ihre Zurückhaltung stellt. Netanyahu hatte sich frühzeitig gegenüber Lieberman auf und die Unterstützung der Shas-Partei appellierten an die rechten Wähler, gesichert, die in den vergangenen dass jede Stimme für Lieberman dazu Wahlen stets der ausschlaggebende beitragen würde, Kadima an die Faktor für eine Regierungsbildung war. Macht zu bringen. Zwei Tage vor den Außerdem hatte er den Likud politisch Wahlen war der Likud auf 28 Sitze weiter in die Mitte gerückt, um neue abgerutscht und hatte nur noch ein bis Wählerschichten für die Partei zu ge- zwei Sitze Vorsprung vor Kadima. Aus winnen. einer scheinbar entschiedenen Wahl war ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen In der Außen- und Sicherheitspolitik be- Likud und Kadima geworden. zeichnete Netanyahu den Iran als die

4 Außenministerin Tzipi Livni besitzt ein das erfolgreiche Agieren der Armee im großes politisches Kapital, das sie im Gaza-Streifen zugeschrieben sowie Wahlkampf zwar nicht vordergründig deren Rehabilitierung nach dem thematisierte, das aber eine zentrale erfolglosen Libanon-Krieg im Jahr 2006. Rolle für ihre politische Wirksamkeit Zugleich zeigten die Umfragen aber spielt. Sie gilt in Israel als „saubere“ und auch, dass man ihm nicht zutraute, integre Politikerin, die anders als viele das Land als Ministerpräsident zu ihrer Kollegen noch nie in Skandale führen. Benjamin Netanyahu und Tzipi verwickelt war. Außerdem gilt sie als Livni lagen hier stets weit vor ihm. unbestechlich. Viele Menschen, vor allem junge, vertrauen ihr daher und Im Wahlkampf präsentierte sich Ehud sehen in ihr einen neuen Politikertyp. Barak als erfahrener Politiker und militä- Während des Gaza-Krieges hat sie sich rischer Führer. Sicherheit sei für ihn nicht außerdem erfolgreich in der nur militärische sondern auch wirt- Führungstroika mit Premier Olmert und schaftliche und soziale Sicherheit. Verteidigungsminister Barak behaup- Gegen die Feinde Israels müsse mit tet. Es gelang ihr, sich als führungs- harter Faust vorgegangen werden, starke und auch in Sicherheitsfragen während den verhandlungsbereiten kompetente Politikerin zu präsentieren. Kräften auf palästinensischer Seite die offene Hand gereicht werden könne. In ihren Wahlkampfauftritten hat Tzipi Er versprach ein entschiedenes Livni immer wieder erklärt, dass sie im Vorgehen gegen die Bedrohung aus Verhandlungsprozess mit den Palästi- dem Iran und kündigte eine nensern für politischen Dialog und die strategische Kooperation mit der Zwei-Staaten-Lösung eintrete. Sie prä- Regierung Obama bei der Schaffung sentierte sich als Politikerin, die sich von Frieden im Nahen Osten an. Die dem Frieden verschrieben hat. Friedensinitiative der Arabischen Liga, Zugleich warfen Kritiker aus dem linken so Barak, sei ein guter, wenn auch Lager ihr aber vor, dass ihre Positionen nicht in allen Punkten akzeptabler zur Zukunft Jerusalems unklar seien und Ansatz für zukünftige Verhandlungen. dass sie zwar mit den Palästinensern Wirtschafts- und sozialpolitische The- verhandele, aber gar kein Ergebnis men spielten bei ihm keine Rolle. erzielen wolle. Mit Blick auf den Likud argumentierte sie, es dürfe keine Politik Die Arbeitspartei führte besonders des „entweder Frieden oder Wahlkampf gegen Kadima, da man Sicherheit“ geben. In Bezug auf die dorthin die meisten Stimmen verloren USA erklärte sie nachdrücklich ihre hatte. Kadima wurde als Partei ohne Bereitschaft, in enger Kooperation mit eigenes Konzept und Profil dargestellt der Obama-Regierung intensiv an und Tzipi Livni als in Sicherheitsfragen einer Friedenslösung für den Nahen unerfahrene Politikerin bezeichnet, die Osten arbeiten zu wollen. nicht in der Lage sei, das Land zu füh- Als der Gaza-Krieg begann, wurden ren. Eine Koalition mit Yisrael Beitenu der Arbeitspartei, bisher 19 wollte Barak nicht ausschließen, Knessetmandate, lediglich 9 Sitze im obwohl führende Abgeordnete seiner neuen Parlament prognostiziert. Bereits Partei das von ihm gefordert hatten. während der Kampfhandlungen in Einen Tag vor der Wahl kündigte Barak Gaza stiegen die Werte aber wieder an, nur dann Verteidigungsminister in an und erreichten nach dem Krieg 15 einer neuen Regierung werden zu Sitze. Grund hierfür war allein das Wir- wollen, wenn seine Partei annähernd ken des Parteivorsitzenden 20 Mandate erreiche. als Verteidigungsminister. Ihm wurde

5 Als Mehrheitsbeschaffer spielte die dieser anzubieten hätten. Die Gaza- Shas-Partei in den vergangenen Militäroperation unterstützte „Die Neue Jahren eine ganz zentrale Rolle in der Bewegung – Meretz“, so der offizielle israelischen Politik. Die großen Parteien Name der Liste, anfangs. Mit der (Likud, Labor und seit 2005 Kadima) steigenden Zahl ziviler Opfer waren stets auf die ultra-orthodoxe distanzierte sich Meretz von der Opera- sephardische Partei angewiesen, um tion und forderte deren Einstellung. Die eine Regierung bilden zu können. Mit anfängliche Unterstützung erwies sich einer frühzeitigen Koalitionsaussage zu aber als schwerer strategischer Fehler, Gunsten des Likud schien Shas diese denn Meretz war nun für Kritiker der Rolle erneut spielen zu können. Dann Militäroperation keine Alternative mehr veränderte sich aber mit dem Gaza- zur Politik der Regierung. Die Krieg und dem Aufstieg Liebermans Umfragewerte sanken daraufhin stetig. das gesamte Koordinatensystem für den Wahlkampf. Shas verlor nicht nur Stimmen an Lieberman, sondern auch Wahlergebnisse und politische Zusam- die politisch so ungemein wichtige mensetzung der 18. Knesset Rolle als Königsmacher. In dem völlig von sicherheitspolitischen Themen Der sich in den Wochen vor der Wahl beherrschten Wahlkampf spielte die abzeichnende Rechtsruck in der vor allem sozialpolitische Agenda von öffentlichen Meinung wurde durch die Shas praktisch keine Rolle mehr. Bei Wahlergebnisse bestätigt. Die Israelis den Wahlen 2006 hatte die Partei noch wollen zwar mehrheitlich einen mehr als die Hälfte ihrer Stimmen von Ausgleich mit den Palästinensern und nicht-orthodoxen Wählern bekommen. auch eine Zwei-Staaten-Lösung, aber In einem letzten Versuch, angesichts sie trauen dem linken Lager nicht mehr sinkender Umfragewerte Wähler zu zu, dies durchsetzen zu können. Zwar mobilisieren, attackierte Rabbi Ovadia gewann die Zentrumspartei Kadima Yosef, der spirituelle Führer von Shas, die Wahl mit 28 Mandaten, aber Lieberman wenige Tage vor der Wahl trotzdem konnten die rechten und ganz direkt. Er sagte, dass eine ultra-orthodoxen Parteien unter Entscheidung für Lieberman bedeute, Führung des Likud (27 Sitze) ihre „dem Teufel Macht zu geben“ und Stimmenzahl in der 18. Knesset eine Partei zu unterstützen, die den erhöhen. Sie verfügen nun über Verkauf von Schweinefleisch sowie insgesamt 65 Abgeordnete gegenüber zivile Ehen unterstütze. 55 Abgeordneten der Mitte-Links- Die Meretz-Partei war mit großen Er- Parteien (vgl. Tabelle auf der letzten wartungen und Ansprüchen in den Seite). Wenn man davon ausgeht, dass Wahlkampf gestartet. Als gemeinsame Kadima eine Mitte-Rechts Partei ist, Liste mit einer im November 2008 neu bleiben für die linken zionistischen Par- gegründeten linken Initiative präsen- teien, die Arbeitspartei und Meretz, tierte man sich als neue sozial- nach dieser Wahl zusammen nur noch demokratische Bewegung und als 16 Mandate. Die Linke hat damit in Alternative zur Arbeitspartei, die - so Israel dramatisch an Einfluss verloren. der Schriftsteller Amos Oz - ihre Der renommierte Historiker Tom Segev „historische Mission erfüllt habe.“ kommentierte sogar, dass die Linke in Meretz-Vorsitzender Haim Oron warf Israel damit von der politischen Bühne Tzipi Livni und Ehud Barak vor, „Bibi's verschwunden sei. Die drei arabischen tools“ zu sein, also die Werkzeuge von Parteien konnten mit 11 Mandaten ihre Likud-Chef Benjamin Netanyahu, da Position halten, bzw. um einen Sitz sie keine wirklich andere Politik als verbessern. Die Rentnerpartei Gil, als

6 Protestpartei mit sieben Sitzen in der Wahlkampf. Sein politischer Einfluss ist vorherigen Knesset vertreten, schaffte enorm gestiegen. Viele traditionelle Li- den Einzug ins Parlament nicht mehr. kud-Wähler gaben diesmal ihm ihre Stimme. Er wurde zum Königsmacher, Stärkste Fraktion wurde mit 28 Manda- denn mit seiner Koalitionsaussage ent- ten Kadima mit ihrer Vorsitzenden Tzipi scheidet er darüber, wer die neue Livni. Sie erhielt vor allem die Stimmen Regierung bildet und Ministerpräsident jener, die für eine Fortführung des Frie- wird. Ihn wählten vor allem die densprozesses und für einen Ausgleich russischsprachigen Einwanderer und mit den Palästinensern eintreten. Sie jene, die sich nach einem „starken erhielt viele Stimmen von Frauen und Mann“ sehnen. jungen Menschen. Und sie erhielt Stimmen traditioneller Wähler von Der große Verlierer der Wahl sind Ehud Meretz und Arbeitspartei, die ihre Barak und die Arbeitspartei. Sie Stimme diesmal aus strategischen erreichten nur 13 Mandate, sechs Gründen der aussichtsreicheren weniger als in der vorigen Knesset, und Kadima gaben, um so einen Wahlsieg sind jetzt lediglich die viertstärkste des Likud und eine Regierungsbeteili- Fraktion. Ein absoluter Tiefpunkt für eine gung Liebermans zu verhindern. Der Partei, die im Jahr 1992 unter Yitzhak Wahlforscher Rafi Smith schätzt, dass Rabin noch mit 44 Abgeordneten in sie auf diese Art Meretz und der Knesset vertreten war. Offene Arbeitspartei etwa ein Drittel der Rücktrittsforderungen an Parteichef Wähler abnahm. Außerdem gelang es Barak gab es trotz der dramatischen ihr, mit dem Slogan „Entweder Tzipi Wahlniederlage bisher nicht. Aber die oder Bibi“ kurz vor der Wahl noch viele Parteistatuten sehen vor, dass unentschlossene Wähler für sich zu ge- innerhalb von 14 Monaten nach einer winnen. Parlamentswahl, in der die Ar- beitspartei nicht mit der Regierungsbil- Benjamin Netanyahu schaffte mit dem dung beauftragt wurde, die Parteifüh- Likud ein eindruckvolles Comeback. Er rung neu gewählt werden muss. gewann gegenüber 2006 15 Mandate Yitzhak Herzog, bisher Sozialminister hinzu und erreichte mit 27 Sitzen nur und Nr. 2 auf der Wahlliste der knapp geschlagen Platz zwei. Arbeitspartei, hat dafür inoffiziell bereits Trotzdem wird er sich fragen müssen, seine Kandidatur angekündigt. wie er den bereits sicher geglaubten Wahlsieg innerhalb weniger Wochen Die Arbeitspartei steht nun vor der noch verlieren konnte. Der sehr starke Frage, ob sie in die Opposition geht rechte Flügel in der Partei wird ihn und von dort eine programmatische dafür kritisieren, zu weit ins politische und personelle Erneuerung in Angriff Zentrum gerückt zu sein. Er wurde vor nimmt, oder ob sie sich an der Bildung allem von jenen gewählt, die gegen einer neuen Regierung beteiligt. Barak einen Ausgleich mit den Palästinensern hat, entgegen seiner Äußerung vor der sind, besonders auch in den Wahl, bereits erklärt, dass die Wähler Siedlungen der Westbank. ein Bündnis von Kadima, Likud und Ar- beitspartei wünschten und damit seine Der große Gewinner der Wahl war Bereitschaft zum Mitwirken an einer Avigdor Lieberman. Seine Partei Yisrael Regierung signalisiert. Führende Vertre- Beitenu erreichte 15 Mandate und ter der Arbeitspartei lehnen es aber wurde damit drittgrößte Partei. Er be- ab, erneut als Juniorpartner in eine stimmte mit seiner populistischen und Regierung einzutreten. Sie wollen in die rechts-nationalistischen Agenda den Opposition gehen und haben dabei

7 nicht zuletzt den Likud vor Augen, der profitiert. Die Wahlbeteiligung lag mit es nach drei Jahren Oppositionsarbeit 51,5 % deutlich niedriger als bei der schaffte, seine Mandate mehr als zu jüdischen Bevölkerung. Bei dieser Zahl verdoppeln. spielt eine Rolle, dass aus Protest gegen den Gaza-Krieg und die anti- Ein Schock war für viele Vertreter des arabische Kampagne Liebermans linken Lagers das Wahlergebnis von anfangs ein Wahlboykott erwogen „Die neue Bewegung – Meretz“. An- wurde. Das geringere Interesse ist aber stelle der angestrebten zweistelligen insgesamt Ausdruck des Gefühls von Sitzzahl wurden nur drei Mandate er- Diskriminierung bei der arabischen reicht. Der Zusammenschluss mit der Bevölkerung. Würden sie alle wählen neu gegründeten linken Bewegung gehen, könnten sie ein echter führte für Meretz zu keinerlei Stimmen- Machtfaktor sein. zuwachs, das Gegenteil geschah. Die Ursachen hierfür waren 1) die sich als Die Zahlen belegen, dass es in der schwerer Fehler erweisende neuen Knesset mit 65 Mandaten eine anfängliche Zustimmung zum Gaza- Mehrheit für das rechte-ultraorthodoxe Krieg, 2) die Irrelevanz der eigenen Lager gibt. Das bedeutet, dass eine Wahlkampfthemen angesichts der Mehrheit der Abgeordneten absoluten Dominanz des Themas grundsätzlich gegen Kompromisse mit Sicherheit und 3) die Tatsache, dass den Palästinensern und den viele Meretz-Wähler mit einer Stimme arabischen Nachbarn eingestellt ist. für Kadima einen Sieg Netanyahus und Eine Fortsetzung des Friedensprozesses Liebermans verhindern wollten und wird daher schwieriger sein als mit der außerdem Tzipi Livni inzwischen als vorigen Knesset, in der die dialogbe- politisch wirkungsvollere Vertreterin des reiten Kräfte mit 70 Abgeordneten ein Friedenslagers ansahen. Ob Haim Oron klare Mehrheit hatten. Eine zentrale weiterhin Vorsitzender von Meretz blei- Frage ist nun, ob der Rechtsruck in der ben wird, ist nicht abzusehen. Rück- politischen Landschaft Israels von trittsforderungen gegen ihn gibt es Dauer sein wird und welche bisher nicht, zumindest nicht in der Konsequenzen dies für den Nahost- Öffentlichkeit. Friedensprozess hat.

Die beiden ultra-orthodoxen Parteien - Szenarien für die Regierungsbildung Shas und Vereinigtes Thora-Judentum - erreichten zusammen 16 Sitze, zwei Offenbar ist es in Israel leichter, Neu- weniger als 2006. Auch sie verloren wahlen zu verursachen, als Stimmen an die Partei Liebermans. Die Regierungen zu bilden. Allein in den größte Zustimmung erhielten sie mit letzten 13 Jahren gab es sechs mal 45% der Stimmen in Jerusalem, wäh- Neuwahlen, also in einem Rhythmus rend es in Tel Aviv nur 10% waren. von nur etwas mehr als zwei Jahren. Es ist daher eine dringende Aufgabe, das Die arabischen Bürger wählten diesmal israelische Regierungs- und ausschließlich ihre eigenen Parteien Wahlsystem zu reformieren. Die großen (Vereinigte Arabische Liste, Hadash Herausforderungen, vor denen Israel und Balad). Die zionistischen Parteien steht - die mit dem Friedensprozess erhielten bei dieser Wahl von ihnen verbundenen grundlegenden Ent- praktisch keine Stimmen mehr, scheidungen, die Auseinandersetzung während es 2006 noch ca. 25% waren. mit der Bedrohung durch den Iran, die Besonders die Arbeitspartei hatte Bewältigung der Israel bereits mit früher von arabischen Wählern Wucht treffenden globalen Wirtschafts-

8 krise - erfordern eine starke und Partei angehört, muss also nicht handlungsfähige Regierung. zwangsläufig die Wahlsiegerin Tzipi Livni mit der Regierungsbildung Die Instabilität des Wahl- und Regie- betrauen. Wenn er aufgrund der rungssystems Empfehlungen der Parteien zu der Wenn die notwendigen Reformen aus- Überzeugung kommt, dass Benjamin bleiben, wird sich die Instabilität des Netanyahu bessere Aussichten hat, ein israelischen Regierungssystems auch stabiles und regierungsfähiges Kabinett nach dieser Wahl fortsetzen. Die zu bilden, kann er auch diesem den Wähler haben auch diesmal keine Auftrag dazu erteilen. eindeutige Entscheidung getroffen. Kadima gewann die Wahlen mit nur Peres hat drei Optionen für seine Ent- einem Sitz Vorsprung vor dem Likud. scheidung. Er beauftragt entweder Beide Kandidaten, Tzipi Livni und Livni oder Netanyahu mit der Benjamin Netanyahu beanspruchen Regierungsbildung, oder er fordert deshalb den Wahlsieg für sich. Livni mit beide auf, gemeinsam eine große dem Argument, dass das Volk Kadima Koalition mit eingebauter Rotation zu gewählt habe und sie demzufolge die bilden. Dann würde jeder von beiden nächste Regierung bilden werde. jeweils zwei Jahre als Regierungschef Netanyahu argumentiert, dass die fungieren. Peres selbst hat Erfahrung rechten Parteien mit 65 Sitzen eine mit diesem Modell, denn er hatte in klare Mehrheit errungen hätten, und er den achtziger Jahren mit dem deshalb der Wahlsieger sei. Es wird damaligen Likud-Chef Yitzhak Schamir vom drittplatzierten Kandidaten, von ein solches Rotationsabkommen abge- Avigdor Lieberman, abhängen, wer schlossen. Angesichts des knappen die Regierung bildet. Ob er seinen neu Wahlausgangs wäre diese Lösung gewonnenen Einfluss aber langfristig sogar im Sinne vieler Wähler, denn politisch umsetzen kann, ist offen, denn Likud und Kadima erreichen mit 55 kurz vor der Wahl wurden gegen ihn Mandate fast die Hälfte der 120 polizeiliche Ermittlungen wegen Kor- Knessetsitze. Am 18. Februar werden ruption aufgenommen. voraussichtlich die endgültigen Wahlergebnisse bekannt gegeben. Nach dem israelischen Grundgesetz - Dann beginnt der Präsident, die in der Israel hat keine geschriebene neuen Knesset vertretenen Parteien zu Verfassung - muss Staatspräsident konsultieren. Shimon Peres im Anschluss an die Wahlen die politischen Parteien kon- Ein bitterer Sieg für Tzipi Livni? sultieren und auf der Grundlage dieser Welche Chancen hat Tzipi Livni, von Konsultation darüber entscheiden, Präsident Peres mit der Regierungsbil- welchen Politiker er mit der Bildung der dung beauftragt zu werden? Um neuen Regierung beauftragt. dieses Ziel zu erreichen, müsste Livni Gewöhnlich ist das der Vorsitzende der entweder von Netanyahu oder von Partei mit den meisten Stimmen, aber Lieberman eine Zusage zur Koali- eine Verpflichtung dazu gibt es nicht. tionsbildung bekommen. Eine Mitte- Der Präsident hat die Möglichkeit, Links Regierung ist angesichts der 55 „jedes Knessetmitglied auszuwählen, Sitze des linken Lagers, in der auch die von dem er glaubt, dass es die besten 11 Sitze der bisher noch nie an einer Chancen hat, eine Regierung zu bil- Regierung beteiligten arabischen den.“ Nach maximal 42 Tagen muss Parteien enthalten sind, aus- die neue Regierung dann gebildet geschlossen. Netanyahu wird kaum sein. Peres, der ebenfalls der Kadima- eine Ministerpräsidentin Livni

9 akzeptieren, denn er sieht sich und das ehemaligen Chef und Mentor rechte Lager als Wahlsieger. Eher Netanyahu zusammengehen wird. möglich, wenn auch nicht sehr Unter diesem würde er erster wahrscheinlich, ist ein Bündnis Livnis mit stellvertretender Ministerpräsident ans Yisrael Beitenu. Sie hat nach einem werden und ein wichtiges Ministeramt ersten Treffen mit Lieberman erklärt, erhalten. Zwar würde dies zu dass sie diesen bei zwei seiner zentra- Problemen mit der ultra-orthodoxen len politischen Ziele unterstützen Shas führen, doch haben Vertreter der würde: der Zulassung von zivilen säkularen Yisrael Beitenu bereits Eheschließungen und einer Reform des signalisiert, dass sie einer Koalition mit Regierungssystems (Lieberman strebt Shas durchaus offen gegenüber- ein Präsidialsystem an). Da Lieberman, stünden. Wenn diese beiden Parteien der bisher ein Zusammengehen mit sich einigen - und Shas war in den ver- Livni nicht ausgeschlossen hat, auch gangenen Jahren immer pragmatisch, nicht grundsätzlich gegen eine Zwei- wenn es um die Regierungsbeteiligung Staaten-Lösung und eine Teilung ging - dürfte es für Netanyahu kaum Jerusalems eingestellt ist, gäbe es noch unüberwindbare Hindernisse bei theoretisch tatsächlich eine Basis für der Bildung einer rechten Regierung eine Zusammengehen der beiden geben. Parteien. Für eine funktionierende Die Frage ist aber, ob Netanyahu eine Regierung wären dann aber ausschließlich rechte Regierung mindestens zwei weitere Partner nötig. überhaupt will, ob dadurch sein Die Arbeitspartei? Wenig politischer Spielraum sowohl in der wahrscheinlich, denn in der Arbeitspar- Innen- aber besonders in der Außen- tei scheint eine Mehrheit den Gang in und Sicherheitspolitik nicht zu sehr die Opposition vorzuziehen. Und der eingeschränkt würde. Dies gilt im ultra-rechte Lieberman wird angesichts besonderen für die Zusammenarbeit des Wahlsieges seines eigenen politi- mit der Obama-Regierung, die den schen Lagers kaum einer Regierung Nahost-Friedensprozess aktiv gestalten mit einer Zentrums- und einer und mit „aggressiven Schritten“ Linkspartei zur Mehrheit verhelfen. Trotz voranbringen will. Es ist schwer vor- des Wahlsieges hat Tzipi Livni offenbar stellbar, dass eine israelische nur geringe Chancen, neue Regierung, die sich gegen echte Zuge- Ministerpräsidentin zu werden. Ein ständnisse im Friedensprozess stellt, bitterer Sieg, wenn sie als Wahlsiegerin eine gemeinsame Sprache mit dem in die Opposition gehen müsste. wichtigsten Verbündeten des Landes, den USA, findet. Benjamin Netanyahu – Wahlverlierer aber trotzdem Ministerpräsident? Eine Mitte-Rechts Koalition mit Likud Auch wenn er die Wahl nicht und Kadima? gewonnen hat, besitzt Benjamin Vor diesem Hintergrund könnte es für Netanyahu deutlich bessere Chancen, Netanyahu von strategischem Vorteil neuer Ministerpräsident zu werden. Er sein, die friedensbereite Tzipi Livni an könnte allein mit den Parteien des der Regierung zu beteiligen. Außerdem rechten-ultraorthodoxen Lagers und könnte er mit ihr in der Koalition die den gewonnenen 65 Mandaten eine rechts vom Likud stehenden Parteien Regierung bilden. Zwar hat Lieberman des eigenen Lagers zügeln und zu als kluger Taktiker ein Bündnis mit Konzessionen zwingen. Während seiner Kadima bisher nicht ausgeschlossen, ersten Amtszeit als Ministerpräsident trotzdem gibt es eine relativ hohe konnte er erfahren, was es heißt, das Wahrscheinlichkeit, dass er mit seinem eigene politische Schicksal zu sehr von

10 religiösen und ultra-rechten Parteien einer solchen Regierung der abhängig zu machen. Seine Auf- nationalen Einheit kommt. Netanyahu forderung an Kadima, einer von ihm selbst scheint dieser Konstellation geführten Regierung beizutreten, weist positiv gegenüber zu stehen. Er hat das genau in diese Richtung. Er ist auch in Interviews erkennen lassen. Wider- bereit, dafür einen entsprechenden stand gegen eine Koalition der natio- politischen Preis zu zahlen: Kadima nalen Einheit wird aber vor allem aus könnte das Außenministerium und der Arbeitspartei kommen. Zwar hat Verteidigungsministerium bekommen. Parteichef Barak dafür sein Ein Ministerpräsident Netanyahu würde Einverständnis angedeutet als er gleich dann mit einer Außenministerin Livni nach der Wahl erklärte, dass die und einem Verteidigungsminister Wähler sich für eine Koalition aus Mofaz in einer Mitte-Rechts Koalition Kadima, Likud und Arbeitspartei regieren, der außerdem noch Avigdor entschieden hätten. Er weiß schließlich, Liebermans Yisrael Beitenu angehören dass Benjamin Netanyahu ihn sehr könnte. gern als Verteidigungsminister in Eine solche Konstellation könnte auch seinem Kabinett hätte. Aber eine im Interesse Livnis sein. Ihre Kadima- Reihe seiner Mitstreiter wissen auch, Partei verfügt über keinerlei Erfahrung dass die Arbeitspartei mit ihren nur 13 in der Opposition. Seit sie 2005 Sitzen keinen großen Einfluss auf die gegründet wurde, war sie stets in der politische Agenda der neuen Regierung. Es ist völlig ungewiss, ob die Regierung haben würde. Sie be- nach innen wenig gefestigte Partei, fürchten einen weiteren Bedeutungs- die Herausforderung von vier Jahren und Einflussverlust ihrer Partei und Opposition überstehen und nicht ziehen es deshalb vor, in die auseinander brechen würde. Der Opposition zu gehen. Hardliner und Führer des rechten Flügels der Partei, Ex-Generalstabschef Perspektiven für den Friedensprozess Shaul Mofaz, könnte in dieser Entscheidung eine wichtige Rolle spie- Benjamin Netanyahu hat vor den Wah- len. Während Livni erklärte, dass sie len sehr deutlich gesagt, welche nicht die Absicht habe, eine rechts-ult- Positionen er im Verhältnis zu den raorthodoxe Regierung zu akzeptieren, Palästinensern und zu den arabischen machte ein hoher Kadima-Vertreter Nachbarn vertritt: Keine Räumung von bereits deutlich, dass man letztlich in Siedlungen im Westjordanland, keine eine Likud geführte Regierung Teilung Jerusalems und keine eintreten werde, wenn man dafür das Rückgabe des Golan an Syrien. Außen- und Verteidigungsministerium Wenn er, worauf alles hindeutet, neuer erhalte. Regierungschef wird, wird der im Ge- folge des Gaza-Krieges und des Wenig Chancen für eine Regierung der gescheiterten Annapolis-Prozesse nationalen Einheit ohnehin zum Stillstand gekommene Am Wochenende vor der Wahl Friedensprozess wohl noch kom- sprachen sich in einer von der Zeitung plizierter werden. Auch das Verhältnis „Maariv“ durchgeführten Umfrage 54% zu den USA wird schwieriger werden. der Israelis für eine ganz große Präsident Obama wird sich mit Kritik an Koalition aus. Ihr sollten, mit Netanyahu einer israelischen Regierung, die nicht an der Spitze, auf jeden Fall Likud, zu Konzessionen im Friedensprozess Kadima und Arbeitspartei angehören. bereit ist, auf Dauer gewiss nicht Es ist zwar nicht auszuschließen, aber zurückhalten. Er hat bereits erklärt, dass nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu die Schaffung von Frieden im Nahen

11 Osten zu den obersten Prioritäten der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas neuen US-Außenpolitik gehört. Das ließ nach Bekannt werden der israeli- enge Bündnis zwischen Israel und den schen Wahlergebnisse erklären, dass er USA wird mit Sicherheit unangetastet nicht mit einem israelischen bleiben, aber es ist nicht Ministerpräsidenten verhandeln werde, auszuschließen, dass es zu einer neuen der den Friedensprozess ablehne. Art von Spannungen kommt zwischen Chefunterhändler Sajeb Erekat einer US-Regierung, die sich „ag- erklärte, Israel habe „für einen Zustand gressiv“ für den Friedensprozess der Lähmung gestimmt“, da die neue einsetzen will und einer israelischen israelische Regierung „ungeachtet Regierung, die eine andere Politik ihrer Zusammensetzung nicht in der verfolgt. Auch im Verhältnis zum Iran Lage sein wird, den Friedensprozess mit verfolgen beide Partner offenbar den Palästinensern oder Syrien grundverschiedene Ansätze. Während voranzutreiben.“ Und die Hamas teilte Netanyahu die USA am liebsten für ei- mit, dass der Wahlerfolg von Livni, nen Militärschlag gegen die iranischen Netanjahu und Lieberman zeige, „dass Nuklearanlagen gewinnen würde, hat die Zionisten die radikalsten Terroristen die US-Regierung gerade angekündigt, gewählt haben.“ „Wir haben es nun politische Kontakte zum Iran aufzuneh- mit drei Köpfen zu tun, die für men, um die bestehenden Konflikte im Radikalismus und Terror stehen.“ Dialog zu lösen. Anders als mit den Palästinensern Ein weiteres Problemfeld ist die schwie- könnte die Entwicklung im Verhältnis zu rige Situation auf der palästinensischen Syrien verlaufen. Der syrische Außenmi- Seite. Die Spaltung zwischen nister hat bereits angekündigt, dass PLO/ und Hamas besteht sowohl sein Land bereit sei, die politisch als auch territorial weiter und abgebrochenen indirekten Gespräche erschwert jede Art von mit der neuen israelischen Regierung Verhandlungen. Gegenüber der wieder aufzunehmen und sie in direkte Hamas ist Netanyahu zu keinerlei Verhandlungen zu überführen. Es ist Gesprächen oder Kontakten bereit, er keinesfalls auszuschließen, dass will sie vernichten. Mit der Fatah will er Netanyahu trotz seiner Ankündigung, zwar Gespräche aufnehmen, dass der Golan israelisch bleiben allerdings mit dem Fokus auf einem müsse, zu einer Einigung mit Syrien „wirtschaftlichen Frieden“. Die Zwei- bereit ist. Wichtiges Argument für eine Staaten-Lösung steht für ihn derzeit solche Entscheidung könnte sein, dass nicht auf der politischen Tages- mit einer Rückgabe des Golan ein Keil ordnung. Einen Durchbruch im in die Achse Damaskus-Teheran israelisch-palästinensischen Verhand- getrieben würde. Denn auf diese Art lungsprozess wird es mit Netanyahu könnte Israel eine spürbare deshalb kaum geben. Aber trotzdem Reduzierung der Bedrohung durch den kann es zu erheblichen Fortschritten in Iran erreichen. Die Rückgabe der 1967 konkreten Einzelfragen kommen, denn eroberten Golan-Höhen, also der er wird sich dem Druck der US- Tausch Land gegen Frieden, würde Regierung nicht völlig entziehen kön- dann zu mehr Sicherheit für Israel nen. Außerdem hat er in der Vergan- führen. genheit bewiesen, dass er sehr wohl zu pragmatischen Entscheidungen in der Unter einer rechten bzw. Mitte-Rechts Lage ist. Regierung in Israel zeichnen sich zwei Szenarien für den Friedensprozess ab:

12 Das erste Szenarium ist eine rechte Re- gierung, die dem Friedensprozess Fazit ablehnend gegenübersteht und - vor Die Wahl hat deutlich gemacht, in wel- allem im Gefolge des Drucks der US- cher gespaltenen Situation sich Israel Regierung - nur zu begrenzten befindet. Da ist einerseits der Wunsch Fortschritten, vor allem im Bereich der und die Hoffnung der Menschen, im wirtschaftlichen Entwicklung, im Ver- Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung in hältnis zu den Palästinensern bereit ist. Frieden mit den Palästinensern Seite an Im Verhältnis zu Syrien gibt es keine Seite zu leben. Der Wahlsieg Tzipi Livnis wesentlichen Verbesserungen. steht genau dafür. Andererseits gibt es Verstärkend wirkt in diesem Szenario, die konkrete Erfahrung, dass der Rück- dass die instabilen Machtverhältnisse in zug aus dem Südlibanon (2000) und Israel dazu führen, dass die Regierung dem Gaza-Streifen (2005) zu neuen nur begrenzt handlungsfähig ist. Kriegen - Libanonkrieg 2006 und Gaza- Uneinigen Palästinensern würde dann Krieg 2009 - geführt hat. Die Menschen eine schwache israelische Regierung haben Angst vor neuer Bedrohung und gegenüberstehen. Das Ergebnis wäre erneutem Raketenbeschuss. Der im besten Fall Stillstand. daraus erwachsende Glaube, dass eine Lösung nicht durch Politik und Das zweite Szenarium ist eine weitge- Dialog, sondern nur durch militärische hend stabile Mitte-Rechts Regierung, Stärke erreicht werden kann, hat zum die sich, wenn auch widerstrebend, in Aufstieg Avigdor Liebermans und zu Kooperation mit den USA, der EU und einem Wahlsieg des rechten Lagers Partnern in der Region zu Zugeständnis- unter Führung Benjamin Netanyahus sen im Friedensprozess durchringt. geführt. Aus dieser Situation heraus Während es im Verhältnis zu den eine stabile und handlungsfähige Palästinensern noch nicht zu einem Regierung zu formen, die mit ihrer Durchbruch kommt, gelingt es, Frieden Politik die Existenz Israels sichert und mit Syrien zu schließen und die einen für alle Seiten akzeptablen Frie- Bedrohung aus dem Iran zu verringern. den in der Region erzielt, ist die Her- Rechte bzw. Mitte-Rechts Regierungen ausforderung, vor der die israelischen besitzen für solche Entscheidungen Politiker jetzt stehen. erfahrungsgemäß größeren politischen Spielraum als linke.

Ansprechpartnerin: Annette Lohmann, Tel: 030 / 26 935-7423, E-Mail: [email protected] Friedrich-Ebert-Stiftung, Internationale Entwicklungszusammenarbeit, Referat Naher/Mittlerer Osten & Nordafrika, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin Sie finden den Hintergrundbericht zum Herunterladen sowie Informationen zur Arbeit der FES in der Region auf http://www.fes.de/nahost .

13 Ergebnisse der Wahlen zur 18. Knesset

Charakterisierung Sitze 2009 Partei Stimmen % (Vorsitzender) (2006) 2005 durch Kadima 28 gegründete Zentrums-Partei 22,5 (Vorwärts) (29) (Tzipi Livni)

Konservativ-nationalistisch 27 Likud 21,6 (Benjamin Netanyahu) (12) (Zusammenhalt)

Yisrael Beitenu Rechts-nationalistische Partei 15 11,7 (Unser Haus Israel) (Avigdor Lieberman) (11)

Awoda Sozialdemokratische Partei 13 9,9 (Arbeitspartei) (Ehud Barak) (19) Ultraorthodoxe Partei Shas (Sephardische 11 vorwiegend orientalischer Juden 8,5 Torah-Wächter) (12) (Eli Yishai) Agudat Yisrael Ultraorthodox, vorwiegend 5 (Vereinigtes Torah- ashkenasische Juden (Yakov 4,4 (6) Judentum) Litzman) Bündnis Arabische Ra’am - Ta’al Demokratische Partei, Islamische 4 (Vereinigte Arabische Partei und Ta’al (Arabische 3,4 (4) Liste) Bewegung für Erneuerung) (Ibrahim Sarsur)

HaIchud HaLeumi Radikale rechte Partei 4 3,3 (Nationale Union) (Yaakov Katz) (-)

Hadash Bündnis unter Führung KP Israels (Demokratische Liste mit überwiegend arabischen 4 3,3 für Frieden und Mitgliedern (3) Gleichheit) (Mohammad Barakeh) The New Movement – Links-liberal 3 Meretz 3 (Haim Oron) (5) (Elan) Religiös-zionistische Partei, HaBeit HaYehudi Nachfolger der National 3 2,9 (Jüdisches Haus) Religösen Partei (NRP) (5) (Daniel Hershkowitz) Balad Radikale arabisch-nationale (Nationales 3 Partei 2,5 Demokratisches (3) (Jamal Zahalka) Bündnis)

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