Herwarth Walden. Ein Essayist Der Moderne
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Moira Paleari Herwarth Walden. Ein Essayist der Moderne This article focuses on Walden’s essays as a clear indicator of his modernism and of his avant-garde position in German expressionism. The modern dimension of Walden’s works results on the one hand from his progressive understanding of art, literature and European cultural life, and on the other from his innovative impulses, demonstrated in the dialectical form of his essays, which avoid every closed theory and can be seen as a manifesto for experimental writing at the beginning of the twentieth century. I. Auf die Frage “Wer ist ‘Der Sturm’, der so verkannt wird und so erkennt?”, soll der Dichter August Stramm folgende Antwort gegeben haben: “Der Sturm ist Herwarth Walden”.1 Die Identifikation des Namens und des Wirkens Wal- dens mit der 1910 von ihm in Berlin gegründeten Zeitschrift Der Sturm ist auf seine außergewöhnliche Tätigkeit als Herausgeber, Publizist, Schriftstel- ler sowie Förderer junger Künstler und neuer Kunst zurückzuführen. Obwohl Walden solch eine herausragende Stellung innerhalb der expressionistischen Kultur innehatte, ging es ihm dennoch wie den meisten Expressionisten, die erst in den fünfziger Jahren wieder entdeckt wurden. Der Neudruck seines Periodikums Der Sturm erfolgte 1970,2 und monographische Studien darüber erschienen ebenso ab diesem Zeitpunkt.3 1 Lothar Schreyer: Zur Geschichte des Sturm. In: Herwarth Walden: Einblick in Kunst. Expressionismus Futurismus Kubismus. Berlin: Der Sturm 1924. S. 168. 2 Der Reprint der Zeitschrift Der Sturm erfolgte 1970 beim Verlag Nendeln/ Liechtenstein. Seit den späten sechziger Jahren erlaubten die Neudrucke expres- sionistischer Zeitschriften und Anthologien eine starke Expansion der Expres- sionismus-Forschung. Vgl. Paul Raabe: Die Zeitschriften und Sammlungen des literarischen Expressionismus. Repertorium der Zeitschriften, Bücher, Jahrbücher, Anthologien, Sammelwerke, Schriftenreihen und Almanache 1910–1921. Stuttgart: Metzler 1964. Ders.: Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus. Ein bibliographisches Handbuch. Stuttgart: Metzler 1992. Walter Fähnders: Avant- garde und Moderne 1890–1933. Stuttgart-Weimar: Metzler 1998. S. 160f. 3 Vgl. Wilderich Voermanek: Untersuchungen zur Kunsttheorie des “Sturm”- Kreises. Berlin 1970 (Diss.). Werner Altmeier: Die bildende Kunst des deutschen Expressionismus im Spiegel der Buch- und Zeitschriftenpublikationen zwischen 1910 und 1925. Zur Debatte um ihre Ziele, Theorien und Utopien. Saarbrücken 1972 (Diss.). Kurt Möser: Literatur und die ‘Große Abstraktion’. Kunsttheorien, Poetik und ‘abstrakte Dichtung’ im “Sturm” 1910–1930. Erlangen: Palm und Enke 1983. Volker Pirsich: “Der Sturm”. Eine Monographie. Herzberg: Bautz 1985. 226 In der Wissenschaft wurden Waldens Beiträge zur Kunst-, Kultur- und Lite- raturkritik des Expressionismus zwar inhaltlich eingehend erforscht und mit den Kunsttheorien der Zeit verbunden und verglichen; die von ihm verfass- ten Texte wurden jedoch bisher nicht auf ihre Zugehörigkeit zur “Form” des Essays hin untersucht. Selbst in den einschlägigen Studien zum Essayismus4 werden Waldens Werke nicht erwähnt, obwohl sie nicht nur die Vielfalt sei- nes Engagements für die Künste und seine innovativen und provokatorischen Gedanken zur neuen Ästhetik der Avantgarde belegen, sondern auch sympto- matische Elemente des inhaltlichen und formalen Experimentalismus aufwei- sen, der das essayistische Schreiben um 1900 charakterisiert.5 Dementsprechend werden im Folgenden einige von Walden bis 1920 pub- lizierte Essays analysiert, wobei insbesondere ihrem thematischen, struktu- rellen und stilistischen Experimentieren – im Sinne einer Suche nach neuen ästhetischen Erfahrungen und Ausdrucksweisen – als Element der Zugehörig- keit des Berliner Kritikers zur literarischen Moderne nachgegangen wird. II. Ein Leben für die Kunst6 Waldens Leben ist mit der Kunst eng verzahnt. Herwarth Walden – ursprüng- lich Georg Levin – wurde am 16. September 1878 in Berlin geboren und starb am 31. Oktober 1941 in Saratow / Wolga. Er war künstlerisch viel- fach begabt: Nach dem Besuch des Gymnasiums widmete er sich zuerst der Musik, wobei er bei dem Pianisten Conrad Ansorge Unterricht erhielt und von 1897 bis 1898 dank eines Stipendiums der Franz-Liszt-Stiftung seine Musikstudien in Florenz fortsetzte. Nach seiner Rückkehr nach Berlin 1899 widmete er sich weiterhin der Musik und lebte zunächst als Musiklehrer und Komponist, wobei er gleich Anschluss an künstlerische Kreise der Berliner Bohème fand. In ihnen lernte er die Dichterin Else Lasker-Schüler kennen, und die beiden heirateten 1901. 1904 gründete Walden den Verein für Kunst und begann, Veranstaltungen zu organisieren, an denen zeitgenössische Musi- ker, Schriftsteller, bildende Künstler, Maler und Wissenschaftler teilnahmen. 4 Vgl. Gerhard Haas: Essay. Stuttgart: Metzler 1969. Christian Schärf: Geschichte des Essays. Von Montaigne bis Adorno. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. Essayismus um 1900. Hg. von Wolfgang Braungart und Kai Kauffmann. Heidel- berg: Winter 2006. 5 Man denke u. a. an Hermann Broch, Alfred Döblin, Heinrich und Thomas Mann und Robert Musil. 6 Zu Waldens Leben vgl. Nell Walden: Herwarth Walden. Ein Lebensbild. Berlin- Mainz: Kupferberg 1963. Georg Brühl: Herwarth Walden und “Der Sturm”. Köln: DuMont 1983. Herwarth Walden 1878–1941. Wegbereiter der Moderne. Hg. von Freya Mülhaupt. Berlin: Berlinische Galerie 1991. S. 7–14..