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KulturGeschichtsPfad

11 Milbertshofen- Bereits erschienene und zukünftige Inhalt Publikationen zu den KulturGeschichtsPfaden:

Stadtbezirk 01 - Vorwort Oberbürgermeister Dieter Reiter 3 Stadtbezirk 02 Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt Grußwort Bezirksausschussvorsitzender Stadtbezirk 03 Fredy Hummel-Haslauer 5 Stadtbezirk 04 -West Stadtbezirk 05 Au- Stadtbezirk 06 Geschichtliche Einführung 8 Stadtbezirk 07 Sendling- Stadtbezirk 08 Schwanthalerhöhe Rundgänge Stadtbezirk 09 Neuhausen-Nymphenburg Stadtbezirk 10 Stadtbezirk 11 Milbertshofen-Am Hart I. Rundgang: und Am Hart Stadtbezirk 12 Schwabing- und Siedlung Nordhaide 32 Stadtbezirk 13 Volksschule und Kindergarten am Harthof 35 Stadtbezirk 14 Berg am Evangelisch-lutherische Versöhnungskirche 37 Stadtbezirk 15 Trudering-Riem Stadtbezirk 16 Ramersdorf-Perlach Katholische Kirche St. Gertrud 39 Stadtbezirk 17 -Fasangarten Ehemalige US-amerikanische Siedlung 40 Stadtbezirk 18 Untergiesing-Harlaching Ernst-von-Bergmann-Kaserne 42 Stadtbezirk 19 Thalkirchen-Obersendling- Siedlung Neuherberge 46 Forstenried-Fürstenried-Solln Stadtbezirk 20 Siedlung Kaltherberge 48 Stadtbezirk 21 -Obermenzing Siedlung Am Hart 50 Stadtbezirk 22 Aubing-Lochhausen-Langwied »Judenlager« Milbertshofen 53 Stadtbezirk 23 Allach-Untermenzing Stadtbezirk 24 Feldmoching-Hasenbergl Stadtbezirk 25 Laim II. Rundgang: Milbertshofen Alte St. Georgskirche 60 Josefine und Michael Neumark 63 Neue St. Georgskirche 65 Zwei detaillierte Lagepläne zur Orientierung im Kulturhaus Milbertshofen 67 Stadt bezirk finden Sie im Anhang. Curt-Mezger-Platz 68 Am Ort selbst sind die wesentlichen Stationen durch Evangelisch-lutherische Dankeskirche 70 Markierungsschilder kenntlich gemacht. »Milbenzentrum« 72 Volksschule in der Schleißheimer Straße 275 73 Austria-Tabak 75 Alle Texte und weitere Informationen stehen unter Vulkanisiermaschinenfabrik Zängl/ www.muenchen.de/kgp zur Verfügung. Kulturpark München 76 TSV Milbertshofen 78 Lion-Feuchtwanger-Gymnasium 80 Generationengarten im Petuelpark 82 Bayerische Motoren Werke AG (BMW) 85

III. Rundgang: Olympiadorf und Knorr-Bremse AG 90 Ehemaliger Flughafen Oberwiesenfeld 92 Olympisches Dorf 94 Olympiapark und Olympische Sportstätten 98 Olympiaturm 103

Literaturauswahl 105 Bildnachweis 107 Vorwort Übersichtskarten 109 Die KulturGeschichtsPfade der Landeshauptstadt München sind Rundgänge entlang historisch bedeutsamer Orte und Ereignisse im städtischen Raum. Sie sind nach Stadtbezirken gegliedert und sollen zu einem flächendeckenden topogra - phischen Netzwerk der Geschichte Münchens ausgebaut werden.

Wir laden alle Münchnerinnen und Münchner und alle aus- wärtigen Besucherinnen und Besucher dazu ein, neben den geläufigen Glanzlichtern Münchens auch den weniger bekannten Besonderheiten der Stadtgeschichte auf die Spur zu kommen. Jeder KulturGeschichtsPfad ist als Broschüre erhältlich und im Internet abrufbar. Er führt zu den bedeuten- den Bauwerken, den geschichtsträchtigen Plätzen und den Wohnungen oder Wirkungsstätten bemerkenswerter Per- sön lichkeiten des jeweiligen Bezirks. An Ort und Stelle weisen Orientierungstafeln den jeweiligen Pfad und die betreffende Einzelstation aus. Die KulturGeschichtsPfade

3 sind so angelegt, dass sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können.

Ich wünsche allen Reisenden, die sich zu den historischen Marksteinen vor der eigenen Haustür und jenseits der aus- getretenen Wege aufmachen, anregende, neue Erkenntnisse und dem Projekt der münchenweiten KulturGeschichtsPfade große Resonanz in der Bevölkerung.

Grußwort

Wenn man auf die Frage, wo man denn wohnt, mit einem der beiden Stadtteile Am Hart oder Milbertshofen antwortet, dann heimst man sich einen skeptischen, zum Teil sogar Dieter Reiter mitleidigen Blick ein. Zu tief ist das Image von der »grauen Oberbürgermeister Maus«, das von Industrie, von Militärgelände und einer sozial zu kurz gekommen Bevölkerung mit hohem Ausländeranteil geprägt ist, im Gedächtnis der Allgemeinheit noch verankert. Anders sieht es aus, wenn das Olympische Dorf als Wohn - ort angegeben wird, das – obwohl zu Milbertshofen gehö- rend – allgemein als eigener Stadtteil wahrgenommen wird und einen ungleich besseren Ruf genießt.

Dabei stimmt das schlechte Image längst nicht mehr mit der Realität überein. Das Aschenputtel der Vergangenheit ist gerade dabei, sich in eine strahlend verführerische Schönheit zu verwandeln. Begonnen hat es mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 1972 in München. Das Olympiastadion und der Fernsehturm zählen längst zu den bekanntesten

4 5 Wahrzeichen Münchens. Ein weiteres ist der Hochhausturm »Vierzylinder« der Firma BMW – weltweit ein Sympathie- träger für München – die seit jeher mit Milbertshofen ver- bunden ist. Zusammen mit deren Auslieferungszentrum »BMW-Welt« markiert der »Vierzylinder« eindrucksvoll den Stammsitz des Unternehmens.

Insgesamt ist der Ausblick für den Stadtbezirk 11 sehr posi - tiv. Er hat außer attraktiven Arbeitsplätzen viel zu bieten. Mit dem Olympiapark ein Naherholungs- und Eventgelände von internationalem Format. Eine sehr gute Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine direkte Anbindung an alle Autobahnen über den Mittleren Ring. Der Bezirk hat über den Petuelpark und die Spielmeile eine grüne Schneise in den Norden mit Anschluss an das Radfernwegenetz.

Ein dichtes soziales Netz ist geknüpft worden, in das sich die Pfarr- und Kirchengemeinden der Stadtteile aktiv einbringen. Und »last but not least« der hohe Anteil von Menschen mit Milbertshofen-Am Hart Migrationshintergrund, der den Stadtbezirk zum Schmelz- tiegel macht. Und das ist bei der Herausbildung einer neuen gemeinsamen Identität, die bereits begonnen hat, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass sich der Stadtbezirk 11 zu einem sehr interessanten, attrak- tiven, lebendigen Stadtbezirk mit hoher Lebensqualität ent- wickeln wird. 11 Industrie, Sport und Parks Ihr Fredy Hummel-Haslauer Bezirksausschussvorsitzender Milbertshofen-Am Hart

6 Blick vom Olympiapark auf Milbertshofen-Am Hart. Zu sehen sind unter anderem ein Teil der Olympiahalle, Olym piaturm, Olympiasee und Olympia-Eis sport stadion; außer dem der Mittlere Ring und nördlich davon das Olym - pische Dorf, BMW-Firmen- gelände mit Auslieferungszen - trum, BMW-Hoch haus und BMW-Museum. Geschichtliche Einführung

Der Stadtbezirk Milbertshofen-Am Hart setzt sich aus einem hofen mit den Industrieflächen, die sich vor allem auf dem relativ breiten südlichen und einem schlankeren nördli chen Riesenfeld und nördlich der Moosacher Straße entwickelt Teil zusammen. Im Süden gehö ren der größte Teil des auf haben, zum Stadtbezirk. Der nördliche Teil des Stadtbezirks dem nördlichen Oberwiesenfeld entstandenen Olympiaparks gehörte ursprünglich zu Feldmoching; er endet an der Stadt - mit den wichtigsten Sportstätten und dem Olympischen grenze und wird im Westen von der Schleißheimer Straße, Dorf sowie das Ge biet der historischen Gemeinde Mil berts- im Osten von der Ingolstädter Straße (einschließlich der

8 9 Siedlung Kaltherberge) begrenzt. In diesem Teil des Stadt- bezirks befinden sich nördlich des Eisenbahnnordrings wei- tere Gewerbeflächen sowie ausgedehnte Wohnbebauung, Das Grabrelief der darunter die Siedlungen Am Hart und Neuherberge, das Keferloher in der Wohngebiet Harthof und der neue Stadtteil Nordhaide. Am Alten St. Georgs - kirche zeigt einen nördlichen Ende des Stadtbezirks sind die Naturschutz - Bauern hinter einem gebiete Nordhaide (hervorgegangen aus dem stillgelegten von vier Pferden Truppenübungs platz »Panzerwiese«) und das Hartelholz. gezogenen Pflug, der auf einem dicht umzäunten Feld Im Stadtbezirk 11 leben 74.667 Einwohner auf einer Fläche arbeitet. Aufnahme von 1.341,64 Hektar (Stand 31. Dezember 2014). Der Anteil von 1910 der ausländischen Bevölkerung in Milbertshofen-Am Hart liegt bei 39,2 Prozent und ist der höchste unter allen Münch- Ab 1437 verpachtete das Kloster ner Stadtbezirken. Ein großer Anteil der Einwohnerschaft ist Schäftlarn die Schwaige an den Bauern in den hier angesiedelten Industrie- und Gewerbebetrieben Konrad und seine Frau Anna. Ihnen beschäftigt. Im Stadtbezirk gibt es einen hohen Anteil an folgten Hans und Margret Keferloher, Sozialwohnungen, wobei eine aufgelockerte, weitgehend deren Nachkommen die Schwaige bis niedrige Bebauung mit eingewachsenen Grünflächen vor- 1630 bewirtschafteten. An diese herrschend ist. Familie erinnert im Stadtbezirk 11 die Keferloherstraße. Erhalten blieb ein Grabrelief aus Rotmarmor, das André Die Ursprünge Milbertshofens Keferloher um das Jahr 1500 für sich Im Jahr 1149/1152 schenkte Graf Konrad I. von Valley seinen und seine Frau Apollonia anfertigen Schwaighof (= ein auf Viehzucht ausgerichteter landwirt- ließ. schaftlicher Betrieb) Illmungeshoven dem Kloster Schäft larn. Der Name bedeutet »Hof des Illmung«. Die Schen kungs - Eine ausführliche Beschreibung der urkunde ist die älteste erhaltene schriftliche Erwäh nung des Schwaige von 1616 listet den Besitz späteren Milbertshofen; dieser Name entwickelte sich im von Ludwig Keferloher auf. Demnach Sogenanntes »Kruzi- Laufe der Jahrhunderte aus der Bezeichnung Illmunges - gehörten zur Schwaige damals Haus, fix aus Milbertsho - hoven. Als ältestes überliefertes künstleri sches Zeugnis gilt Herberg, Städl und Vorzimmer, Stallun- fen«: Die Christus- figur ist noch da, das eine auf das Jahr 1120 datierte Christusfigur aus Lindenholz, gen für 24 bis 30 Rosse, ein Bierkeller, Kreuz ging verloren. die in Milbertshofen gefunden wurde und heute im Baye - ein Waschhaus, ein Brunnen, Kleinvieh- Foto: Karl-Michael rischen National museum besichtigt werden kann. stallungen und eine Wagenremise, Vetters

10 11 barkeit über alle Einwohner hatte Sailer auch das Patronats - recht für die St. Georgskirche. 1685 war Milbertshofen vor- übergehend im Besitz des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel, der beabsichtigte, einen Kanal zwischen der Residenz in der Münchner Innenstadt zum Schloss Oberschleißheim zu graben, der auch über Mil bertshofener Gebiet führen sollte. Das Kanalprojekt scheiterte jedoch und die Schwaige ge - langte wieder in den Besitz von Sailers Erben. 1782 erstei- gerte Kurfürst Karl Theodor die Schwaige, die sein Nach- folger Maximilian IV. Joseph, der spätere König Maximilian I. Joseph, 1799 zum Kauf anbot.

Vom Dorf Milbertshofen bis zur Eingemeindung nach München Vier Bauern aus Waldsassen erwarben am 19. April 1800 die 9.004.701 Quadratmeter umfassende Schwaige für 33.000 Gulden. André Ruprecht, Wolf-Adam Schöner und Lorenz und Georg Flaucher verließen mit ihren Familien die Der von Michael dazu Äcker, Wiesen und Krautgarten. Oberpfalz und bezogen die Schwaige Milbertshofen, zu der Wening 1701 ge - Nach den Keferlohern pachteten Lud- damals Stallungen, das Schwaighaus, zwei kleinere Wohn - schaffene Kupfer- wig und Anna Ostermayr 1630 die häuser, Bäckerei, Schmiede und Brunnen gehörten. Auch stich »Die Churfürstl. Schwaig St. Georgen Schwaige. 1670 tauschte das Kloster das vorhandene Vieh und die Weiderechte hatten sie erwor- zu Milbertshofen« Schäftlarn die Georgenschwaige – wie ben. Den Pionieren der Anfangszeit folgten bald weitere (nachträglich kolo - die Schwaige Milbertshofen wegen Siedler aus der Oberpfalz und aus den Nachbarorten riert) ist die älteste der St. Georgskirche auch genannt Milberts hofens; neue Höfe entstanden, Flurstücke aus der bildliche Darstellung der Schwaige, deren wurde – gegen die Hofmark Baierbrunn Gemarkung Moosach wurden gekauft – die Siedlung wuchs Zentrum die 1507 des Kurfürsten Ferdinand Maria, der und entwickelte sich zum Dorf. errichtete Kirche Milbertshofen umgehend verschenkte. St. Georg bildete. 1679 kaufte der kurfürstliche Kammer- diener und Schatzmeister Augustin Sailer die Schwaige, die damit Ritter- sitz wurde; neben der Niedergerichts -

12 13 finanziell – zumal der Gemeinde haus - halt bereits erheblich geschwächt war, weil sich die zwielichtigen Bürger meis - ter Anton Matthes und August Kurz an Gemeindemitteln bereichert hatten. Bereits 1891 und 1897 hatte Milberts- hofen die Eingemeindung nach Mün - chen vergeblich beantragt, doch erst der Antrag vom 28. November 1910 wurde vom Münchner Magistrat positiv beantwortet. Zum 1. April 1913 wurde aus der hochverschuldeten Stadt Milbertshofen der 27. Stadtbezirk der Haupt- und Residenzstadt München.

Das Dorf wächst in die Fläche und in die Anwesen »Beim Die Einwohnerzahl Milbertshofens Höhe: das Wirtshaus Tafelmayer (mit Flaucher« in der wuchs rapide: 1804 zählte die Siedlung Türmchen) überragte das St. Georgskirchlein. Aufnahme um 1910 Petuelstraße, Ölbild zehn Einwohner, 1820 waren es bereits von Johann Martin Ernst 1943. Der 138 und 1830 174 Einwohner. Am Flaucherhof wurde 1. Mai 1910 wurde das Dorf Milberts- 1971 abgerissen. Ein hofen mit 4.001 Einwohnern zur kleins- Mitglied der ober- ten Stadt Bayerns erhoben. Die Bevöl - pfälzischen Gründer- familie Milbertsho - kerung war mehrheitlich katholischen fens, Georg Flaucher, Glaubens, ein Zehntel waren Protestan - übernahm 1868 die ten und ein Milbertshofener gehörte damals eröffnete, dem Judentum an. Die Gemeinde ver- heute noch unter die sem Namen be - fügte über ein eigenes Schulhaus, eine kannte Gaststätte Feuerwehr, eine Gendarmeriestation »Zum Flaucher« in und einen Friedhof. Die Errichtung und den Isarauen. der Unterhalt dieser zentralen Einrich- tungen überforderten die kleine Stadt

14 betrieb Petuel ab 1898 mit seiner »Motorwagen-Gesell- schaft-München« eine Omnibusverbindung entlang der Schleißheimer Straße.

Sein Sohn, Ludwig Petuel jr. (1870–1951), besaß in der Frohschammerstraße eine Tapetenfabrik und in der Schleiß- heimer Straße eine Fahrradfabrik. Er finanzierte 1906 ein Radstadion für 38.000 Zuschauer, das sich jedoch als unren- tabel erwies und 1914 geschlossen wurde.

Petuel jr. und seine Frau Lina waren kinderlos geblieben und hatten ihr aus Bargeld, Wertpapieren und Immobilien bestehendes Vermögen 1956 der Stadt München in Form einer Stiftung vererbt. Diese gründete den »Stiftungsfonds Ludwig und Lina Petuel«, dessen Zweck die Unterstützung blinder und körperbehinderter älterer Menschen ist. An die Petuels erinnern Petuelring, Petueltunnel und Petuelpark. Schleißheimer Die Petuels Straße in Richtung Bis zur Eingemeindung hatten sich die Norden: Links Villen - Stadt München und die Stadt Milberts- bebauung Riesenfeld, dahinter noch unbe- hofen baulich bereits angenähert. baute Grund stücke Ludwig Petuel sen., geboren 1838 als der Petuel schen Sohn einer Freisinger Brauerfamilie, Terraingesellschaft. hatte diese Entwicklung maßgeblich Die von Bäumen gesäumten Straßen vorangetrieben. Petuel war 1868 nach führen zur noch rela - Milbertshofen gekommen, kaufte Bren- tiv einsam stehen den nerei und Brauerei im Schwaighaus, er- neuen St. Georgs - warb zahlreiche Grundstücke und ent - kirche hin. In der Schleißheimer wickelte mit seiner Terraingesell schaft Straße 288 rauchen das Projekt Villensiedlung Riesen feld die Schornsteine der als nördliche Fortsetzung des großbür- Petuelschen Fahrrad- gerlichen Schwabings auf Milberts- werke. Auf der Milbertshofener Rennbahn feierte der beliebte hofener Grund. Um die Attraktivität der Münchner Radrennfahrer Thaddäus Robl (1877–1910) geplanten Wohngegend zu erhöhen seine letzten Erfolge. Radrennbahn mit Publikum um 1909 16 17 Standortentscheidungen mit Langzeitwirkung: Industrie, militärische Anlagen und Flughafen Zum Zeitpunkt der Stadterhebung gab es in Milbertshofen 36 Bauernanwesen und 19 Gärtnereien sowie 137 Gewerbe- und Handwerksbetriebe und neun Industriebetriebe. Zur Bevölkerung zählte damals bereits ein relativ hoher Arbeiter- anteil. Die Industrialisierung Milbertshofens wurde durch den 1900 bis 1909 errichteten Eisenbahnnordring beschleunigt. Wegen des Anschlusses an die Güterbahn und reichlich vor- handener freier Flächen wurde Milbertshofen für die ent- stehende Motorenindustrie (Gründung der Firmen Otto, Rapp und den daraus hervorgehenden Betrieben Süddeutsche Bremsen und BMW) sowie für zahlreiche Zulieferbetriebe (Reifenfabrik Zängl, Maschinen- und Zahnradfabrik Carl Hurth und viele andere) attraktiv. Dass diese Entwick lung begrüßt wurde, zeigt die 1913 erfolgte Benennung der Motorstraße nördlich der alten St. Georgskirche. Auch für das Militär wurde die Gegend interessant: Während des Ersten Welt- kriegs pachtete die bayerische Armee das Gelände des auf- gelassenen Radstadions, das nun direkt an der Bahnlinie lag und richtete ein Depot ein. Zwischen 1936 und 1940 ent- stand hier das Heeresverpflegungsamt, das während des Zweiten Weltkriegs die Wehrmacht mit Nach schub belie - ferte. Das Militärgelände des nördlichen Oberwiesenfelds wurde bereits seit 1890 für Flugübungen und als Flugplatz genutzt. Die Entscheidung der Stadt, hier den ersten Ver- kehrsflughafen Münchens zu errichten minderte, zusammen mit der zunehmenden Ansiedlung großflächiger Industrie- betriebe, aus der Sicht bürgerlicher Schichten den Wohn- Die Ansiedlung von Industrie nördlich des Oberwiesenfelds (Süddeut - wert der Gegend. Gleichzeitig ließen sich Industriearbeiter, s che Bremsen) und auf dem Riesenfeld (Bayerische Motorenwerke) die in den expandierenden Fabriken beschäftigt waren, in und der Ausbau des Flughafens ließen das Projekt Villenviertel Riesen - feld endgültig scheitern. Lageplan des Fluggeländes vom 27. Juli 1927 Milbertshofen nieder. Zu Beginn der 1930er Jahre wurde mit Milbertshofen und Exerzierplatz Oberwiesenfeld. die BMW-Werkssiedlung Keferloher straße/Zietenstraße/ Wallensteinstraße errichtet. 18 19 Wachsende Industrien, neue Wohnsiedlungen, Lager die für BMW arbeiten mussten, in Dachgeschosse und Durch die zunehmende Industrialisierung, die durch die Keller der BMW-Betriebswohnungen gepfercht. Darüber Rüstungspolitik des NS-Regimes ab 1933 weiter angeheizt hinaus unterhielt BMW weitere Lager im Stadtbezirk sowie wurde, stieg auch der Bedarf an günstigen Wohnungen. Ent- das KZ-Außenlager für das Werk 2 in Allach. BMW ent- lang der Milbertshofener Straße/Bad-Soden-Straße/Grieg- wickelte sich in den 1940er Jahren zum wichtigsten privat- straße/Abt- und Silcherstraße errichtete die GWG (Gemein- wirtschaftlichen Arbeitgeber in München mit der höchsten nützige Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft mbH, heute: Zahl an Zwangsarbeitern. Auch die Süddeutschen Bremsen Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH) 1937 bis AG und weitere Zulieferbetriebe der Rüstungsindustrie be- 1939 eine Volkswohnanlage, die jedoch nur in Teilen fertig- schäf tigten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in werks- gestellt wurde. Bereits vorher waren auf den freien Flächen nahen Lagern. nördlich der Bahnlinie, die für die Land wirtschaft wenig ertragreich waren, Wohngebiete errichtet worden: 1935 die Wegen der hohen Dichte an Rüstungsbetrieben war das Reichskleinsiedlung Am Hart, anschließend die Klein sied lun - Gebiet Ziel von alliierten Luftangriffen. Zum Schutz der gen Neuherberge und Kaltherberge. Ab 1939 wurde mit dem deutschen Arbeiter wurden Luftschutzeinrichtungen gebaut; Bau der GWG-»Volkswohnanlage am Harthof« begonnen, die Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen war der Zugang als Teil der von den nationalsozia listischen Stadtplanern ent- verboten. worfenen – jedoch nicht realisierten – »Volksstadt im Nor - den« geplant war. Am Harthof sollten zwischen Schleiß hei - Im Stadtbezirk sind mer Straße, Neuherberg- und Kämpferstraße, beidseits der vier Hoch bunker von 1941 erhalten; sie Dientzenhoferstraße bis zur Rathenaustraße 3.542 Wohnun- befinden sich am gen in 789 Häusern entstehen; kriegsbedingt wurden je - Anhalter Platz 3, in doch nur 1.135 Wohnun gen in 63 Blöcken gebaut. Die der Schleißheimer Siedlung wurde mit Reichsmitteln gefördert, denn der NS- Straße 281, in der Riesenfeldstraße 2 Staat war an der raschen Fertigstellung interessiert, weil und in der Lerchen - hier vor allem Industriearbeiter angesiedelt werden sollten. auer Straße 53. Die Ein großer Teil der Wohnungen war für BMW-Arbeiter vor- Aufnahme zeigt den gesehen; auch Angehörige der SS-Standarte »Deutschland«, Bunker am Anhalter Platz. für die der monumentale Kasernenbau an der Ingolstädter Straße/Neuherbergstraße errichtet worden war, sollten hier wohnen. Beim Bau wurden Zwangsarbeiter und Kriegs- gefangene eingesetzt. Ein Kriegsgefangenenlager der GWG befand sich an der Neu herbergstraße (heute Bezirkssport - anlage). Nach Bezug der Häuser wurden Zwangsarbeiter,

20 Kriegsende, Besatzung, Wiederaufbau Die Rüstungsbetriebe und die Bahn - Auf dem Alabama - linie waren während des Zweiten Welt- gelände gab es auch kriegs wichtige Ziele von Bomben tref- ein eigenes Schul- zentrum für die Kin - fern; zerstört wurden aber auch zahl- der der im Münchner reiche Wohnungen und Häuser sowie Norden stationierten die alte St. Georgskirche. Die am 30. US-Soldaten. In den April 1945 von der Ingolstädter Straße 1980er Jahren drehte der Bayeri sche Rund - nach München einmarschie rende US- funk hier die beliebte Armee stürmte die SS-Kaserne, die Jugend sendung bald zur Warner-Kaserne wurde. Die »Live aus dem Ala- benachbarte Verdun-Kaserne (Stadt- bama«, die unter anderem von Amelie bezirk 12) wurde zur Will-Kaserne, die Fried, Gio vanni di Panzerwiese diente als Truppen - Lorenzo, Sandra übungsplatz, das Heeresverpflegungs - Maischber ger, Gün - amt wurde zum Alabamadepot. Als ther Jauch und Werner Schmidbauer Besatzungsmacht und später als Ver - moderiert wurde. »Judenlager« Knorrstraße bündeter waren die US-Amerikaner bis Zur Zwangsarbeit In der Knorrstraße 148 entstand ab verpflichtete Juden Frühjahr 1941 ein Lager für jüdische bei der Errichtung Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterin - des »Judenlagers« Knorrstraße. Im nen. Im Zuge der »Wohnraumari sie - August 1942 über- rung«, also der gezielten Verdrängung nahm BMW das von Juden aus Häusern und Wohnun - Lager zur Unterbrin - gen, wurde das Lager zum Auffang- gung von Zwangsar - beitern. und Sammellager. Von Herbst 1941 bis August 1942 diente es als Deporta - tionslager: Juden aus Mün chen, Ober- bayern und Schwaben wur den von hier über den Bahnhof Milberts hofen in Konzentrations- und Vernichtungslager ins besetzte Ost europa abtransportiert. Nur wenige überlebten. 22 23 Unmittelbar nach Kriegsende wurden Lager für DPs (= Dis- placed Persons, also für Personen, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Herkunftslandes befanden und Hilfe bei der Rückkehr dorthin beziehungsweise bei der Ausreise in ein anderes Land benötigten) im Stadtbezirk eingerichtet, zum Beispiel in der vormaligen SS-Kaserne und in der Siedlung Kaltherberge. Vormalige Zwangsarbeiter- und Kriegsgefan- genenlager und das ehemalige »Judenlager« dienten als Flüchtlingslager. In den 1950er Jahren wurde der soziale Wohnungsbau im Viertel wieder aufgenommen und begon - nene Projekte wurden fortgeführt. Zahlreiche deutsch- stämmige Vertriebene und Flüchtlinge wurden angesiedelt. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs warben ansäs - sige Betriebe, allen voran BMW, ab den 1960er Jahren aus- ländische Arbeitskräfte an, die sich im Stadtbezirk nieder- ließen.

Die Aufnahme von zum Abzug 1968 ein dominierender 1955 zeigt die GWG- Faktor im Viertel. Im Kalten Krieg wur- Schichtwechsel bei Siedlung Harthof mit den die US-Kasernen im Münchner BMW in Milberts- der Kirche St. Ger- hofen 1968: Das trud: Blick von der Norden zur Durchgangsstation von US- Unternehmen hatte Dientzenhoferstraße Wehrpflichtigen, die nach Korea und Gastarbeiter aus der nach Westen bis zur später nach Vietnam geschickt wurden. Türkei, dem dama li - Hugo-Wolf-Straße; Die starke Präsenz erregte immer wie- gen Jugoslawien im Süden von der und aus Griechen- Rathenaustraße bis der den Unmut der Anwohner, etwa land angeworben. zum Schliemann weg. wenn US-Soldaten in Kneipen randalier - ten, Schmuggel geahndet wurde oder Prostitution in Kasernennähe stattfand.

24 25 großereignis ausrichten durfte. Politiker, Sportfunktionäre und Architekten waren sich darin einig, dass sich »München ’72« grundlegend von den von den Nazis als Propaganda - schau inszenierten Olympischen Spielen von Berlin (1936) abgrenzen musste. Monumentalität in der Architektur war ebenso zu vermeiden wie das Zurschaustellen nationaler Bei der Sonder sit zung des Stad- trats vom 20. Dezember 1965 Symbole. Diese Vorgaben erfüllte der Siegerentwurf von erläuterte der Münchner Ober- Fritz Auer, Büro Behnisch & Partner, der die Stadien in eine bür germeister Dr. Hans-Jochen modellierte Landschaft einbettete und die Gebäude mit einer Vogel dem Präsidenten des Natio - spektakulären Zeltdachkonstruktion von Frei Otto versah. nalen Olympi schen Komitees (NOK) Willi Daume das erste In Abgrenzung zu nationalsozialistischen Massenveran stal - Modell für die Olympiabauten tun gen entwickelte der Designer Otl Aicher (1922–1991) als auf dem Oberwiesen feld. Von federführender Gestaltungsbeauf tragter der Olympischen links nach rechts: Willi Daume, Spiele ein Farbkonzept, das die Nationalfarben schwarz- Albert Bayerle (3. Bürgermeister), Georg Brauchle (2. Bürgermeis - rot-gold konsequent vermied und diese durch blau, grün, ter) und Dr. Hans-Jochen Vogel orange, gelb, weiß und silbern ersetzte.

München ’72: die Welt zu Gast auf dem Oberwiesenfeld München ’72 sollte Das ehemalige Militär- und Flughafengelände Oberwiesen - der Welt ein freund - liches Deutschland feld diente nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Schutt- zeigen: Hostessen abladeplatz für die Trümmer kriegszerstörter Gebäude. Zu internationaler Her - Beginn der 1960er Jahre entschied die Stadt, dass auf dem kunft warben für 280 Hektar großen Gelände ein städtisches Erholungsgebiet diese Idee – hier vor der Kulisse des mit Sportstätten entstehen sollte. Den Wettbewerb gewan- Olym piaparks mit nen die Architekten Henschker und Deiß. Mit diesem Ent - Olympiastadion, wurf bewarb sich München um die Olympischen Som mer- Fernsehturm und spiele und erhielt am 26. April 1966 den Zuschlag. den Terrassenbauten des Olympischen Dorfes. Stoffdackel Im Februar 1967 wurde ein nationaler »Ideen- und Bauwett - Waldi (in den »Mün - bewerb für die Bauten und Anlagen der XX. Olympischen chen ’72«-Farben Otl Spiele 1972« in München ausgeschrieben. Dabei war man Aichers) war das erste Maskottchen sich der Verantwortung bewusst, dass Deutschland erst- für Olympische mals nach dem Zweiten Weltkrieg ein internationales Sport - Spiele überhaupt.

26 27 Der Zuschlag für die Olympischen Spiele und die damit ver- bundenen Investitionen brachten einen enormen Schub für München: Das über Jahre verwaiste zentrumsnahe Brach - land auf dem Oberwiesenfeld wurde bebaut, die lange geplante Stadtautobahn und das U- und S-Bahnnetz wurden termingerecht verwirklicht, die Stadt für Touristen heraus- geputzt.

Die Geiselnahme und Ermordung von elf Teilnehmern des israelischen Olympiateams am 5. September 1972 erschüt - terten die Menschen in München, in der Bundesrepublik Deutschland und weltweit. Vor dem Hintergrund der an Juden in der NS-Zeit verübten Verbrechen wurde es als besonders schlimm empfunden, dass die Opfer Juden waren.

Im Rahmen einer Veränderungen und Ausblick Ge denkfeier zum Vom ursprünglichen Milbertshofen ist Petuelpark über dem 40. Jahrestag des Petueltunnel, 2004 Olympiaattentats wenig erhalten. Was der Krieg nicht wurden am 5. Sep - zerstört hatte, musste Modernisie - tember 2012 am rungs- und Infrastrukturmaßnahmen Mahnmal beim Tat - weichen. In den 1960er Jahren wurde ort der Geiselnahme in der Connolly - der Frankfurter Ring zur Stadtautobahn straße 31 Kränze ausgebaut, das alte Schwaighaus, für die ermordeten mehrere Höfe und Gasthäuser wurden Sport ler niederge- abgerissen und der verbliebene Rest legt. Shay Shapira, Sohn des getöteten des histori schen Dorfes wurde endgül - Leichtathletik-Trai- tig vom jüngeren Ortskern abge trennt. ners Amizur Shapira, Am südlichen Ende Milberts hofens sprach das Kaddisch wurde wenig später die Petuelstraße für die Opfer des Attentats. zum Petuelring erweitert. Das stei- gende Verkehrsaufkommen, emissions- starke Industriebetriebe, ein hoher

28 29 Arbeitslosenanteil, geringe Grünflächen und eine große Zahl von schlecht gebauten Sozialwohnun gen minderten die Wohnqualität. Eine Kehrtwende zum Besseren wurde durch ein 1985 entwickeltes Sanierungs programm und ab 1998 durch das Programm »Soziale Stadt« herbeigeführt. In diesem Rahmen entstanden unter ande rem das Kultur- und Bürgerhaus Milbertshofen mit dem neugestal teten Curt-Mezger-Platz. Die Wohnqualität der Sozial bauten wurde durch anhaltende Modernisierungsmaß nah men verbessert. Das mit einem eigenen U-Bahnanschluss, Infra struktur- einrichtungen und Ein kaufs möglichkeiten ausge stattete neue Stadtteilzentrum Nordhaide ist vor allem für Familien attraktiv. Eine zusätzliche Aufwertung ist vom Staatlichen Gymnasium München-Nord, das zum Schuljahr 2016/2017 in der Knorrstraße 171 eröffnet wird, zu erwarten. Neben dem Olympiapark sorgen heute der 2004 ange legte Petuel- park über dem tiefergelegten Petuelring, der zwischen Petuelpark und Frankfurter Ring auf der ehemaligen Trasse der Trambahnlinien 12 und 13 entstandene Grünzug mit Milbertshofen-Am Hart Spielmeile und das Naturschutzgebiet Nordhaide für mehr Grün im Stadtbezirk.

11 I. Rundgang: Harthof und Am Hart

30 Panzerwiese und Siedlung Nordhaide

Wo von 1998 bis 2011 ein familienfreundlicher Stadtteil ent- stand, befand sich bis 1990 militärisches Sperrgebiet. Die Landeshauptstadt München hatte 1994 die ehemalige »Pan- zerwiese« (Gesamtfläche 200 Hektar) erworben und einen Wettbewerb zu deren Teilbebauung ausgelobt, den die Archi- tekten Hans Engel und Herbert Jötten und die Landschafts - architektin Bü Prechter gewannen. Auf dem südwestlichen Teil des vormaligen Truppenübungsplatzes konzipierten sie die Siedlung »Nordhaide«. Der weitaus größere Teil der »Panzerwiese« blieb unbebaut. Diese in Europa einzigartige aus Kalkmagerrasen mit Gräsern und Kräutern bestehende, über die Stadtgrenze hinausreichende Heidelandschaft steht seit 2002 unter Naturschutz. Viele Wege in der neuen Sied- lung sind nach den hier wachsenden Pflanzen benannt (zum Beispiel Frauenmantelanger, Golddistelanger). Zusammen Luftbild der Siedlung Nordhaide mit »Dia gonale«, die die zentralen mit dem nördlich anschlie ßenden, ebenfalls geschützten Ein richtungen und die Anger miteinander verbindet (Konzept der Waldgebiet Hartelholz bietet die ehemalige »Panzerwiese« kurzen Wege). Sie führt vom Domini kuszentrum im Süden zum Ein - Lebensraum für verschiedene Tierarten (Rebhuhn, Wildka - kaufszentrum MIRA am nördlichen Ende der Siedlung. Daran an schlie- ßend entstand zum Schuljahr 2015/2016 das neue Berufliche Schul - nin chen und verschiedene Bienen arten). Das Heidegebiet zentrum (BSZ) mit Dreifachturnhalle in der Schleißheimer Straße 510 wird auch als Schafweide genutzt. für die städtische Robert-Bosch-Fachober schule (FOS) für Wirt schaft, die städtische Berufsoberschule (BOS) für Wirtschaft und die städtische Fachakademie für Heilpädagogik (FAH). Aufnahme von 2013

Rechts: Der von der Siedlung Nordhaide in Rich tung Naturschutz gebiet wei sende Steg gehört zu dem mehr teiligen Kunstwerk »ALITTLE MORE - LOVE« der Künst lergruppe »das änderungsatelier«. Die Instal la tion ent- stand 2008 im Rahmen von QUIVID, dem Kunst am Bau-Projekt der Landeshaupt stadt Mün chen. Auch der beliebte Brunnen am Nord haide - platz (»Ab durch die Mitte«) von Alexander Laner wurde von QUIVID gefördert.

32 33 In der Siedlung Nordhaide gibt es etwa 2.500 Wohnungen (davon 545 Studen tenwohnungen) für rund 6.500 Men- schen. Rund 30 Prozent der Bewohner haben einen Migra- tionshintergrund. Zahlreiche Grün- und Spielflächen, Be- wohnergärten, reduzierter Autoverkehr und soziale Ein rich- tungen, Kinder tagesstätten und Schulen tragen zur hohen Wohnqualität bei und ermöglichen das gute Zusammen - leben im neuen Stadtteil. Von herausragender Bedeutung ist das Dominikuszentrum, das die Katho lische Kirchen stif- tung St. Gertrud, das Caritaszentrum München-Nord und das Erzbischöfliches Jugendamt-München errichten ließen. In dem von Andreas Meck, Träger des Architekturpreises der Landeshauptstadt München 2015, geplanten Komplex in Backstein-Archi tektur sind verschiedene Beratungs - stellen, eine Kindertagesstätte und ein Andachtsraum untergebracht.

Beim Dominikuszentrum befindet sich die Volksschule und Kindergarten erste Station des »Weges der Hoffnung im Münchener Norden«, der aus insgesamt am Harthof sieben Stationen besteht und die sieben bib- lischen Werke der Barmherzigkeit aufgreift. Das Gebiet zwischen Schleißheimer Die als erste Hallen- Der Weg wurde anlässlich des Ökumenischen Straße und Ingolstädter Straße ge hörte schule Münchens Kirchentags 2010 eröffnet und von namhaf- bis 1950 zu Feldmoching und war konzipierte Schule und der aus Pavillon - ten Künstlern gestaltet. Der von Alix Stadt- dessen Weidewald (Hart). Um 1890 bäumer geschaffene Bildstock »Gitter aus bauten bestehende Efeu« symbolisiert das Thema »Gefangene wurde hier als erstes Gebäude das Gut Kindergarten sind befreien – Überleben können«. Harthof an der heutigen Max-Lieber- denkmalgeschützt. mann-Straße errichtet, das die Landes- Die Luftaufnahme von 1956 zeigt die Der von der Künstlerin Anna Leonie blau hauptstadt München 1927 erwarb. Um An lage in der Hugo- gestaltete Andachtsraum im Dominikuszent - die Schleiß heimer Straße entstand ab Wolf-Straße und die rum ist ein Ort der Ruhe und Kontemplation. 1900 die »Kolonie Harthof«, die über- Kirche St. Gertrud. Hier feiert auch die serbisch-orthodoxe Gemeinde Gottesdienste. wiegend aus Gärtnereien bestand. Den Namen Harthof übernahmen dann mehrere Siedlungen. So auch die seit

34 35 den 1950er Jahren zwischen der Neuherbergstraße und der Rathenaustraße errichtete.

In zwei Bauabschnitten entstanden 1953 bis 1955 und 1958/1959 der Schul komplex in der Hugo-Wolf-Straße 70 und der benachbarte Kindergarten (Hugo-Wolf-Straße 68). Die Architekten Helga und Adolf Schnierle und Fritz Florin planten das mit einer großen Aula ausgestattete Schulhaus als Kulturzentrum für die Stadtrandsiedlung. Die 35 Meter lange, 17 Meter breite und elf Meter hohe Aula bietet eine gute Akustik und eignet sich auch für musikalische Auffüh - rungen. Um die Aula gruppieren sich auf drei Geschoss - ebenen die Klassenzimmer. Die Ostwand der Aula besteht aus einer durchgehenden Glaswand, die den Blick in den Schulpark mit dem alten Baumbestand freigibt.

Seit 1968 ist hier die Balthasar-Neumann-Realschule unter - gebracht. Sie ist benannt nach dem aus Eger/Cheb im Evangelisch-lutherische heutigen Tschechien stammenden Barock- und Rokoko- Versöhnungskirche Baumeister Johann Balthasar Neumann (1687–1753). 1953 erwarb die evangelische Kirche Die Versöhnungs- das Grundstück in der Hugo-Wolf- kirche in der Hugo- Straße. Am 18. September 1956 er- Wolf-Straße 18 wurde nach dem folgte die Grundsteinlegung für den Motto der evangeli - von Franz Gürtner geplanten Neubau. schen Kirche im Jahr Dieser wurde bereits zehn Monate der Grundstein le - später, am 30. Juli 1957, von Kreis - gung 1956 benannt (2 Korinther 5, 20). dekan Oberkirchenrat Arnold Schabert Die entsprechende geweiht. Ab 1959 betreute die Ver- Bibelstelle (»Lasset söhnungskirche die Siedlungen euch versöhnen mit Neuherberge, Am Hart und Harthof Gott«) ist über dem Hauptportal ange - sowie das Barackenlager Frauenholz bracht. Aufnahme (zu letzterem siehe KGP 24). Damals von 1962

36 37 übernahm der engagierte Prodekan Otto Steiner die Pfarr- stelle und die damit verbun dene Seelsorge für die in den Im Jahr 1956 ge- Anfangsjahren von ehemali gen Displaced Persons, Flücht - dachte die Katho- lingen, Geringverdienern und Arbeitslosen geprägte Ge - lische Kirche der meinde. Diese wurde am 8. März 1960 zur selbstständigen Heiligen Gertrud Gemeinde erhoben. Seit ihrem Bestehen engagiert sich die (1256–1302). Aus diesem Grund war Kirchengemeinde für sozial schwächere Gemeindemitglie der es naheliegend, dass etwa durch Sach- und Lebensmittelspenden; anfangs wurde der damals errichtete sie dabei auch von den in den benachbarten Kasernen sta - Kirchenbau in der tionierten US-Streitkräften unterstützt. Auch heute verteilt Weyprechtstraße 75 nach der Ordensfrau die »Kirchenküche« Lebensmittel an bedürftige Gemeinde - des Zisterzienserin- mitglieder. Seit 1962 unterhält die Versöhnungskirche einen nen-Klosters Helfta Kindergarten und Kinderhort (heute Kindertagesstätte Arche benannt wurde. Noah), seit 1974 eine heilpädagogische Tagesstätte sowie eine Altenpflege station, die sich später zur Diakoniestation Katholische Kirche St. Gertrud Harthof-Freimann entwickelte. Die rasche Bebauung des Wohn gebiets Harthof in den Der gemeinsame Posaunenchor der Versöhnungs- und Evan- 1950er Jahren führte 1956 zur Errichtung eines weiteren geliumskirche verschönert die Gottesdienste am Harthof Kirchenbaus für die zugezoge nen Katho liken. Nach nur sechs und in der Nachbargemeinde Hasenbergl. Seit 1970 versteht Monaten Bauzeit wurde die Kirche am 11. Novem ber 1956 sich die Versöhnungskirche auch als Heimat der in der Ernst- von Kardinal Josef Wen del geweiht. Die charakteristischen von-Bergmann-Kaserne stationierten Bundeswehrsoldaten. Fresken der Außenfassade schuf der Künstler Karl Mannin - Für deren Seelsorge ist der Evangelische Militärdekan in ger. Im Kircheninneren hängt das Metallkreuz des Künstlers der Kaserne zuständig, der qua Amt dem Kirchenvorstand Johannes Dumanski. 1963 wurde St. Gertrud selbständige der Versöhnungskirche angehört. Pfarrei; bereits ein Jahr später konnten Pfarrzentrum und Pfarrkindergarten eröffnet werden. Die in der Siedlung Nord - haide lebenden Katholiken gehören zur Pfarrei St. Gertrud; für diese wurde das dortige Dominikuszentrum errichtet. Seit Januar 2009 werden die Gottesdienste der Eritreisch- Orthodoxen Tewahdo Ureal Kirche in München in Räumen der katholischen Pfarrei St. Gertrud gefeiert.

38 39 Ehemalige US-amerikanische Siedlung

Für die Unterbringung von US-Offizieren und ihren Familien ließ die Bundesrepublik Deutschland eine aus 654 Woh nun - gen bestehende Siedlung errichten. Entlang von Rockefeller - straße und Morsering entstanden ab 1954 Wohnblöcke, wie sie für US-Militärsied lungen dieser Zeit typisch sind; für höhere Offiziere wurden in der Morsestraße Doppelhäuser mit Carports errichtet. Für die Versorgung und Unterhaltung der hier lebenden Amerikaner befanden sich in der benach- barten Warner Kaserne und deren unmittelbaren Umgebung ein Kino, ein amerika nisches Warenhaus (Post Exchange/ PX), Clubs und mehrere Sporteinrichtungen. Nach der Räumung der Warner Kaserne durch die US-Streitkräfte im Jahr 1968 wurde die Siedlung an die Bundesvermö gens - verwaltung (heute Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) zurückgegeben, die die Wohnun gen seither vermietet.

Das Luftbild von 1965 zeigt die gebogenen Straßen der US-Siedlung Idylle vor dem Ab - und die ostwärts gelegene Warner Kaserne. Deutlich zu erkennen sind bruch: Die Aufnahme zahlreiche Baseballfelder (baseball diamonds), die die Präsenz der vom Juli 2015 zeigt Amerikaner in dieser Gegend unterstreichen. Der nördliche Teil der eines der ursprüng- US-Siedlung grenzte direkt an den Truppenübungsplatz (Panzerwiese); lich für höhere Offi - nördlich der Kaserne erkennt man die in den 1950er Jahren errichtete ziere der US-Streit- Obdachlosensiedlung, die aufgrund erheblicher Baumängel durch die kräfte errichteten heutige Bebauung ersetzt wurde. Das zwischen Obdachlosensiedlung Doppelhäuser in der und Morsering errichtete Gebäude mit dem großen Parkplatz war der Mortonstraße. Meh- US-Einkaufsmarkt PX. rere Häuser wurden bereits abgerissen, weil hier ein Neubau - gebiet entstehen soll.

40 41 Ernst-von-Bergmann-Kaserne

Das monumentale Hauptgebäude der heutigen Ernst-von- Bergmann-Kaserne (Neuherbergstraße 11) entstand 1934 bis 1938 nach Plänen von Oswald Bieber für die SS-Stan- darte »Deutschland«. Dabei handelte es sich um einen bewaffneten Verband der sogenannten »SS-Verfügungs- truppe«, die später in der »Waffen-SS« aufging. Die Ver- fügungstruppe sollte als Parteiarmee den Machterhalt der NSDAP gewährleisten und wurde vor dem Krieg vor allem als Repräsentations- und Wachtruppe des Regimes einge- setzt. Die SS-Standarte »Deutschland« befand sich nach deren Ausrücken im Zuge der Sudetenkrise ab Oktober 1938 permanent außerhalb der Kaserne und war ab Kriegsbeginn mehrfach an Kriegsverbrechen beteiligt. Die »SS-Kaserne Freimann« diente während des Krieges als Unterkunft und Ansicht vom Exerzierplatz mit dem acht - Ausbildungsstandort der SS; ferner waren hier SS-Flak- stöckigen Turm neben der ehemaligen Haupt - Einheiten stationiert. wache an der Ingolstädter Straße 1939. Der auch als »SS-Kaserne Freimann« bezeichnete äußerlich schlichte und weitläufige Kasernen- Während die SS-Mannschaften in der Kaserne unterge- bau wurde in Stahlbeton errichtet. Die Funk - bracht waren, lebten SS-Führer und -Unterführer mit ihren tions architektur der SS-Kaserne unterscheidet Familien in einer südlich der Kaserne errichteten Siedlung sich hinsichtlich des verwendeten kostspie- ligen Materials, der aufwändigen Bautechnik (Wohnhäuser oberhalb der heutigen Kleinschmidtstraße). und durch den Verzicht auf Fassadenschmuck deutlich von den Wehrmachtsbauten dieser Im Zweiten Weltkrieg bestand in der Kaserne ein Außen- Zeit, die meist als Ziegelbauten errichtet wur - lager des KZ Dachau, dessen Angehörige für die SS-Stand - den und Zierelemente aufwiesen. ortverwaltung arbeiten mussten. Weitere KZ-Häftlinge waren in einem KZ-Außenlager außerhalb der Kaserne unterge- bracht und mussten für die Baufirma Dyckerhoff & Widmann Ergänzungs- und Gewährleistungsarbeiten in der Kaserne ausführen.

42 43 Ein gepanzerter Verband der am 30. April 1945 von Norden einrückenden US-Armee nahm die Kaserne nach erbitterten Kämpfen im Bereich Lohhof-Panzerwiese ein. Ab 1948 hieß die von den Amerikanern bis 1968 genutzte Kaserne »Warner Kaserne«, benannt nach dem am 21. Dezember 1944 in den Ardennen gefallenen Unteroffizier Henry F. Warner (geb. 1923), dem der US-Kongress posthum die »Medal of Honor«, die höchste US-Tapferkeitsauszeich nung, verliehen hatte. Neben der militärischen Nutzung gab es auf dem Gelände bis 1951 ein Lager für Displaced Persons (DPs) und das Hauptquartier der IRO (International Refugee Organization). Die internationale Flüchtlingsorganisation unterstützte die hier lebenden rund 3.800 DPs verschiede - ner Nationalitäten (Stand Oktober 1950) bei der angestreb- ten Ausreise.

Während der Olympischen Spiele 1972 waren in der Kaserne neben Bundeswehreinheiten auch Einheiten der Bayerischen und eine militärgeschichtliche Lehr - Eines der bemerkens- Bereitschaftspolizei, des Bundesgrenzschutzes und des sammlung. An den über 3.000 patho - wertesten Objekte der Technischen Hilfswerks untergebracht. Die Bundeswehr logischen und anatomischen Expo na - militärgeschichtlichen Lehrsammlung ist ein wählte den ehemaligen bayerischen Generalarzt Ernst von ten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs preußischer Verband- Bergmann (1836–1907), der als Begründer der Asepsis und bis heute lassen sich Kriegsver wun dun- mittelwagen von 1867. führender Vertreter der Kriegschirurgie seiner Zeit gilt, als gen studieren, die durch Geschosse, Foto: Mirko Urbat - Namensgeber der Kaserne, in der seit 1980 die Sanitäts - Minen und chemische Kampfmittel schek akademie der Bundeswehr untergebracht ist. 2012 wurde her beigeführt wurden. Die militärge- das Auditorium Maximum der Sanitätsakademie nach dem schicht liche Lehrsammlung der Sani - Medizinstudenten Hans Scholl, dem führenden Mitglied der tätsakademie bewahrt Exponate, Lite- studentischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose« benannt, ratur und Quellen zur Geschichte der der als Sanitätsfeldwebel an der Ostfront eingesetzt wurde. Sanitätsdienste deutscher Streitkräfte 2013 erfolgte die Umstrukturierung der Akademie zum allei- seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. nigen Zentrum für Ausbildung, Forschung und Fähigkeits - Sie steht der interessierten Öffentlich- entwicklung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Zur keit nach Voranmeldung zur Verfügung. Sanitätsakademie gehören auch eine wehrpathologische

44 45 Siedlung Neuherberge

Die Siedlung Auf städtischem Grund wurde im Der zentrale Platz der Siedlung, der Spengelplatz, war Neuherberge ent- August 1936 westlich der Ingolstädter ursprünglich nach einem jung gestorbenen Hitlerjungen stand in unmittel- Straße die aus 169 Kleinhäusern be - benannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er dem barer Nachbarschaft zur SS-Kaserne stehende Siedlung Neuherberge fertig- Landschaftsmaler Johann Ferdinand Spengel (1819–1903) (heute Ernst-von- gestellt. Die Auswahl der Siedler er- gewidmet. Bergmann-Kaserne). folgte nach Kriterien der NS-Ideologie. Aufnahme vom Die Siedlerstellen mit großem Garten- Westlich der Siedlung erinnert der Scholler- Dezember 1938 anteil zur Selbstversorgung waren vor weg an Otto Scholler (1877–1952), den frühe- allem für arme, kinderreiche »arische« ren Werkleiter der städtischen Verkehrs - betriebe, der 1934 von den Nationalsozialisten Familien vorgesehen. Viele der hier entlassen wurde und in der NS-Zeit mehrmals ansässig werdenden Siedler waren als inhaftiert war. Scholler erwarb sich große Zivil arbeiter in den benachbarten Kaser- Verdienste um den Ausbau der öffentlichen nen oder in der Rüstungsindustrie Verkehrs mittel. beschäf tigt.

46 47 Mettenleiter (1765–1853), einem Kupferstecher und Litho- grafen, benannt. Heute werden auf dem begrünten Platz die Feste der Anwohner gefeiert; hier befinden sich ein Wegkreuz, der Maibaum und ein Kinderspielplatz.

Am 4. Dezember 1945 beschlagnahmte die US-Armee sämt- liche Häuser der Siedlung mitsamt der Einrichtung, um dort circa 2.000 Displaced Persons unterzubringen, die von der UN-Flüchtlingsorganisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) betreut wurden. Unter den Eingewiesenen befanden sich zahlreiche Juden aus Osteuropa, die von München in die USA oder nach Palästina ausreisen wollten. Die bisherigen Bewohner der Siedlung mussten ihre Häuser verlassen und wurden vom Münchner Siedlung Kaltherberge Wohnungsamt provisorisch untergebracht; 1949 konnten die meisten von ihnen wieder in ihre Häuser zurückkehren. Die Straßen der Als weitere Selbstversorgersiedlung für Die Zeit der Beschlagnahmung war voller Spannungen. Siedlung erhielten bedürftige Arbeiterfamilien entstand Unter anderem warfen die Eigentümer der Siedlerhäuser erst in den 1950er 1936/1937 östlich der Ingolstädter den neuen Bewohnern vor, die Grundstücke verkommen zu Jahren einen gepflasterten Belag. Straße die Kleinsiedlung Kaltherberge, lassen und Einrichtungsgegenstände illegal zu verkaufen. Aufnahme um 1936 deren einziger direkter Zugang seit jeher über die Gundelkoferstraße führt. Der Mettenleiterplatz bildet den Mittel- punkt der ursprünglich aus 221 Sied - lerhäusern bestehenden Siedlung. Die nationalsozialistischen Planer hatten den Platz ursprünglich nach einem der getöteten Teilnehmer des sogenannten »Hitler-Putsches« (9. November 1923) benannt, den die NS-Propaganda als einen der »Blutzeugen der Bewegung« verehrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Platz nach Johann Michael

48 49 ihrer Ideologie. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde die mit Hakenkreuz fahnen geschmückte Reichsklein sied lung Am Hart am 8. September 1935 durch Oberbürgermeister Karl Fiehler offiziell übergeben.

Der Expansionsdrang des NS-Regimes schlug sich in der Benennung von Straßen nieder: Arnauer Straße, Eger- länder Straße, Kaadener Straße, Karls- bader Straße, Marienbader Straße und Sudetendeutsche Straße wurden bereits 1934 nach Städten im Westen der Tschechoslowakischen Repu blik Die Volksschule an beziehungsweise dem dort lebenden der Rothpletzstraße 40 trug ursprünglich Siedlung Am Hart deutschsprachigen Bevölkerungsteil die Aufschrift: »Dies benannt, den die nationalsozialistische Schulhaus wurde Die Aufnahme vom Die Siedlung Am Hart geht auf das Propaganda durch territorialen An- erbaut in den Jahren Dezember 1938 zeigt Reichskleinsiedlungsprogramm zurück, schluss »Heim ins Reich« holen wollte. 1938–39 zur Zeit der Heimkehr der Sude- die Reichsklein sied- das Reichskanzler Heinrich Brüning am In dem am 30. September 1938 im so - lung Am Hart mit der ten lande in das katholischen Kirche 6. Oktober 1931 per Notverordnung genannten Führerbau (Arcisstraße 12) Deutsche Reich«. Zu den 14 Nothelfern initiiert hatte. Das Reichskleinsiedlungs - (Karlsbader Straße 2). programm galt vor allem Erwerbslosen und sah die Errichtung von einfach ausgestatteten Siedlungshäusern in Eigenleistung vor. Alle Siedlerstellen waren mit großen Gartengrundstücken für den Anbau von Obst und Gemüse und zur Haltung von Kleintieren aus- gestattet, um die weitgehende Selbst- versorgung zu ermöglichen. Nach dem Ende der Weimarer Republik führten die Nationalsozialisten das Programm fort, stellten es jedoch in den Dienst

50 von Groß britannien, Frankreich, Italien und Deutschland unterzeichneten »Münchner Abkommen« wurde die Teilung der Tschechoslowaki schen Republik durch die Abtretung der »Sudetengebiete« an das Deutsche Reich besiegelt. Vom einstigen Ba - rackenlager in der Wenige Monate später, am 15. März 1939, besetzte die Knorrstraße 148 ist deutsche Wehrmacht völ kerrechtswidrig den verbliebenen nichts erhalten ge- Rest des demokratischen Nachbarstaats. blie ben. Ein Denkmal in Gestalt eines abge- storbenen Baumes Von den Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die wurde am 15. No - Tschechoslowakische Republik verlassen mussten, wurden vember 1982 in der viele im Münchner Norden angesiedelt. Entsprechend wur - Knorrstraße/Ecke den die Straßennamen umgewidmet, so dass die Straßen Troppauer Straße (vormals Buhlstraße) Am Hart heute an die Heimat der Neuankömmlinge erinnern; eingeweiht, um da - in den 1950er Jahren kamen die Prager Straße, Gablonzer ran zu erinnern, dass Straße und die Wenzelstraße hinzu. von hier aus Juden deportiert und in den Tod geschickt wur- Am Aussiger Platz stellten ehemalige Bewohner der Stadt den. Lageplan vom Aussig (Ústí nad Labem) 1970 einen Gedenkstein für ihre 4. Dezember 1941 Heimatstadt auf. 1996 ehrten sie hier Leopold Pölzl (1879– 1944), den früheren Bürgermeister der Industriestadt Aussig, »Judenlager« Milbertshofen der das Amt von 1920 bis 1923 und von 1931 bis 1938 innehatte. Der Sozialdemokrat war ein überzeugter Anhän- Auf Anweisung der »Arisierungsstelle« des Gauleiters kon- ger der Tsche choslowakischen Repu blik und wurde nach zipierte das städtische Hochbauamt die Anlage als »Juden - der Besetzung der Sudetengebiete von der Gestapo ver- siedlung Milbertshofen«. Sie sollte – zusammen mit dem haftet; Pölzl starb an den Folgen der erlittenen Folterungen. im Sommer 1941 eingerichteten Lager in – als Sammelunterkunft für die jüdische Bevölkerung Mün - Auf der Bühne des Wirtshauses Am Hart chens dienen, die seit 1939 systematisch aus ihren Woh - (Sudetendeutsche Straße 40) werden regel- nungen verdrängt wurde. Ab dem 25. März 1941 errichte- mäßig Kabarettabende veranstaltet; 2014 ten jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die wurde das Programm mit dem »Kaleidokop - teller« ausgezeichnet. Im Biergarten befindet zum Verzicht auf ihren Lohn gezwungen worden waren, das sich eine Statue des am 21. Februar 1919 Lager in der Knorrstraße. Die 18 Holzbaracken, die dafür ermordeten Bayerischen Ministerpräsidenten verwendet wurden, waren vom Tegernsee herangeschafft Kurt Eisner des Bildhauers Jochen Sendler. worden, wo sie als SA-Unterkünfte gedient hatten. Die in

52 53 stelle München. Sie zwang die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) dazu, Personen für die bevorstehende »Umsiedlung« zu benennen und die Betroffenen über die geplante Maß- nahme und die zu treffenden Vorkehrungen zu informieren. Die erste Deportation von Münchner Juden erfolgte am 20. November 1941 aus dem Lager in der Knorrstraße. Unter der Aufsicht von Wachtmeistern der Münchner Schutzpolizei mussten die für den Transport Ausgewähl ten in den frühen Morgenstunden den etwa 15-minütigen Fuß- marsch zum Bahnhof Milbertshofen (Riesenfeldstraße 115) zurücklegen. Nach drei Tagen erreichten die von einer zwölf köpfigen Wachmannschaft begleiteten 999 jüdischen Männer, Frauen und Kinder die Festungsstadt Kaunas (Litauen). Die Münchner Juden dieses ersten Transports wurden alle am 25. November 1941 in Kaunas erschossen.

Vom Sammellager Milbertshofen erfolgten weitere Depor- Pro Person durften dem von Stachel draht umgebenen, tationen nach Piaski, Theresienstadt und nach Auschwitz. 50 kg Gepäck mit- streng bewachten »Judenlager« Unter- Neben Münchner Juden wurden von hier aus auch Juden gebracht werden. Im gebrachten muss ten »Wohngeld« aus Oberbayern und Schwaben deportiert. Das Lager Mil - Lager angekommen, wurden die Zwangs - bezahlen und hatten in Milbertshofen einge wiesenen ihrer und an weiter entfernt gelegenen Wertsachen beraubt. Münchner Einsatzorten Zwangsarbeit Bewaffnete Bewa- Das Vermögen der zu leisten. cher beaufsichtigten Deportierten fiel an das Besteigen des das Deutsche Reich. Zuges am Bahnhof Die Aufnahme von Spätestens ab Oktober 1941 wurde Milbertshofen am 1941 zeigt Neuan - das Lager in der Knorrstraße zum Morgen des 20. No- kömm linge vor einer Durchgangslager, das Juden vorüber- vembers 1941. Holz baracke. gehend aufnahm, die für die Abschie - bung in die besetzten Ostgebiete bestimmt waren. Zuständig für die Deportation der jüdischen Bevölkerung Münchens war die Staatspolizei leit-

54 55 bertshofen war durchgehend mit knapp 500 ständigen Insas- sen belegt; ein Belegungshöchststand mit circa 1.200 Perso - nen wurde unmittelbar vor der Deportation am 4. April 1942 nach Piaski erreicht. Das »Judenlager« Milbertshofen wurde am 19. August 1942 geschlossen; die verbliebenen 16 Men- schen wurden in das Lager in Berg am Laim gebracht.

Anschließend nutzte BMW das Lager in der Knorrstraße zur Unterbringung von Zwangsarbeitern. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es als städtisches Flüchtlingslager und wurde im Frühjahr 1949 um zwei Baracken mit 24 Wohnun - gen erweitert.

Carla Koppel war seit 1923 mit dem Lebensmittelhändler Carl Koppel (1885–1958) verheiratet. Das Paar bekam sechs Kinder. Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde Carl Koppel für einige Wochen im KZ Dachau inter - niert, im Herbst 1939 war er im Gefängnis Stadelheim. Am 16. April 1940 erhielt Carl Koppel eine Einreiseerlaubnis für die USA und gelangte nach New York. Die Söhne Alfred (1926–2013) und Walter (1928–1988) waren nach den Ge - waltexzessen gegen die jüdische Bevölkerung Münchens im November 1938 bei Berliner Verwandten untergebracht worden. Am 14. Juni 1941 konnten sie in die USA ausreisen. Unter den Deportierten vom 20. Novem - Carl Koppel bemühte sich vergeblich, seine Frau und die ber 1941 war auch Carla (Karola) Koppel vier Kinder aus München zu retten. Diese hatten im August (geb. 1903) mit ihren Kindern Günther (geb. 1924), Hans (geb. 1936), Ruth (geb. 1939 die Wohnung in der Maximilianstraße 15 verlassen 1937) und Judis (geb. 1939). müssen und waren in der Thierschstraße 7 zwangseingewie- sen worden. Im Oktober 1941 mussten die drei jüngsten Kinder im jüdischen Kinderheim in der Antonienstraße 7 untergebracht werden. Nach Erhalt des Deportationsbe - scheids zogen Carla und ihr ältester Sohn Günther in das Lager in der Knorrstraße. Am 20. November 1941 wurden

56 57 sie zusammen mit anderen Lagerinsassen von Wachleuten der Schutzpolizei zum Bahnhof getrieben; die drei im Anto- nienheim untergebrachten Kinder hatte man mit weiteren jüdischen Kindern mit dem Bus zum Bahnhof gebracht und in die Züge gedrängt.

Sohn Alfred hat die Briefe, die seine Mutter aus München schrieb zusammen mit weiteren Familiendokumenten ver- öffentlicht und damit die verzweifelten Bemühungen seiner Eltern dokumentiert, die bis zuletzt alles unternahmen, um die Familie zusammenzuführen und zu retten.

Zwischen Knorrstraße und Schleißheimer Straße erstreckt sich das Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) der Firma BMW. Im südlichen Teil des Gewerbegeländes erinnert die Max-Diamand-Straße an Max Diamand (1910–1974). Der jüdische Textil- großhändler kam 1939 ins KZ Dachau, dann nach Buchen wald und war nach Kriegsende Mitbegründer der Israelitischen Kultusge - Milbertshofen-Am Hart meinde in Mün chen, des Bayerischen Hilfs- werks in der UNNRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) und des jüdischen Altenheims in der Kaulbachstraße; zudem war er Vorstand der Unternehmer- vereinigung Euro-Park.

11 II. Rundgang: Milbertshofen

58 denkmal markiert. Die Kirche war ursprünglich von einem Friedhof umgeben, dessen Ummauerung erhalten ist.

Noch kurz vor der Bombardierung war der wertvolle St.- Georgs-Altar von 1510 in Sicherheit gebracht worden. Der Flügelaltar war eine Schenkung des Abtes von Schäftlarn. Der namentlich nicht bekannte Künstler wird dem Kreis um Jan Polack und Erasmus Grasser zugerechnet. Der Altar war bis zur aufwändigen Restaurierung (1996–2003) einige Jahre in der neuen St. Georgskirche aufgestellt. Der »Förderverein Alte St. Georgskirche« erreichte die Aufstellung des reno-

Alte St. Georgskirche Innenraum der alten St. Georgskirche mit Wandbemalung und Blick von der Moosa- Von der verkehrsreichen Moosacher gotischer Ausstat- cher Straße auf die Straße führt ein Fußpfad zum Alten- tung; Zustand des alte St. Georgskirche St.-Georgs-Platz und damit zum ver- 19. Jahrhunderts mit dem kurfürstli - chen Schwaighaus blie benen Rest des historischen Mil - von 1786, das 1864 bertshofener Ortskerns. Zwischen den zum Schulhaus um - Häusern Alter-St.-Georgs-Platz 4 und 5, gebaut wurde (links). die beide aus dem 19. Jahrhun dert Der einst die Kirche umgebende Friedhof stammen und unter Denkmal schutz wurde bis zur Eröff - stehen, erblickt man den Torso der im nung des neuen Krieg zerstörten alten St. Georgs kirche. Fried hofs an der Das Langhaus der um 1507 errichteten Moosacher Straße im Jahr 1901 genutzt. Kirche wurde am 13. Juni 1944 durch Bombentreffer zerstört. Erhalten blie- ben der frühgotische Satteldachturm und der Chor, die zu einer Kapelle umgebaut wurden. Die einstige Länge des verschwundenen Kirchenschiffs (23 Meter) wird von einem aus mehre - ren Steinquadern gebildeten Krieger - 60 61 vierten gotischen Altars an seiner ursprünglichen Stelle. Der die Kirche umgebende Platz wurde neu gestaltet.

1902 wurde St. Georg Pfarrkirche. Da das alte Kirchlein wegen des schnellen Anwachsens der Gemeinde viel zu klein war, wurde 1912 die neubarocke Neue St. Georgs - kirche am Milberthofener Platz errichtet. Die alte Kirche wurde ab 1928 in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege renoviert, wobei unter anderem die 1599 von Thomas Zehent mayer geschaffenen Fresken freigelegt wurden. Bis zu ihrer Zerstörung feierten im Zweiten Welt- krieg französische Zwangsarbeiter, die in Lagern in Milberts- hofen untergebracht waren, in der alten Kirche Gottes- dienste. Josefine und Michael Neumark Das Gebäude Alter-St.-Georgs-Platz 4 gehört seit 1981 der Stadt München. Hier befinden Im September 1922 zogen Josefine Die ausgebildete sich das »Stadtteilzentrum Milbertshofen« und Michael Neumark in die Riesen - Schauspielerin und der Verein »Stadtteilarbeit e.V.«, der sich feldstraße 79. Am 9. Dezember 1922 Josefine Schullhoff als gemeinnütziger Verein für deutsche und (geb. 1888) heiratete nicht-deutsche Milbertshofener aller Alters - wurde Sohn Josef geboren. Im Rück - 1921 den elf Jahre gruppen engagiert und Beratungs- und gebäude des Anwesens betrieb Mi - älteren Unternehmer Bildungsangebote bereitstellt. chael Neumark ab 1928 die Firma Gebr. Michael Neumark Neumark Farben- und Lackfabrik. Im und gründete mit Der achteckige Hochbunker mit Flakaufbau ihm eine Familie in am Anhalter Platz 3 wurde 1941 errichtet. Zuge der Diskriminierung jüdischer Milbertshofen. Der fünfgeschossige Bau sollte 450 Personen Geschäftsleute wurde dieses Gewerbe Schutz bieten. am 24. Januar 1939 rückwirkend für den 10. November 1938 abgemeldet. Das Wohn- und Geschäftshaus wurde zwangsverkauft und ging an die Firma »Flottweg-Motoren«, die 1932 aus den BMW-Werken hervorgegangen war und Motorräder und Flugmotorenkom- ponenten herstellte. Vor der Zwangs-

62 63 veräußerung hatten Michael und Josefine Neumark alle Waren an Bewohner der Siedlung am Hart verschenkt. Dies war wohl der Dank dafür, dass sich zahlreiche Bewohner Milbertshofens mit einer Unterschriftenaktion für das im Zuge des Novemberpogroms (1938) vorübergehend verhaf - Die Aufnahme von tete Ehepaar eingesetzt hatten. Ab dem 18. Mai 1939 war 1916 zeigt den Fest- die Familie Neumark in der Goethestraße 66/I gemeldet, wo gottesdienst für bereits zahlreiche jüdische Münchner auf engstem Raum König Ludwig III., der nach Milbertshofen leben mussten. Sohn Josef emigrierte in die Schweiz und gekommen war, um später nach Palästina/Israel. das von Franz Reiter geschaffene Decken- Die letzte Münchner Adresse von Josefine und Michael Neu- gemälde zu bewun - dern. Dieses wurde mark war das »Judenlager« Milbertshofen. Sie mussten im Zweiten Weltkrieg beim Bau des Lagers mithelfen und gehörten zu dessen zerstört. ersten Bewohnern. Von dort wurden sie am 4. April 1942 zusammen mit 774 Juden aus Oberbayern und Schwaben Neue St. Georgskirche deportiert; bevor der Zug im Ghetto von Piaski ankam, hatte er 254 weitere Personen aus Regensburg und Niederbayern Bereits 1898 hatte sich ein Verein ge gründet, um Gelder aufgenommen. Josefine und Michael Neumark wurden am für die Errichtung eines größeren Kirchenbaus zu sammeln. 30. Juni 1942 in Piaski ermordet. Unter der Leitung von Pfarrer Theodor Triebenbacher (1868–1908) kamen erhebliche Spenden zusammen. Den Die Erzdiözese München und Freising kaufte Baugrund für die ab 1909 errichtete Kirche stiftete die 1985 das Gebäude Pommernstraße 30 und Löwenbrauerei, die notwendigen Straßenbauarbeiten vermietete es an Walter Lorenz, der hier das bezahlte die Petuel’sche Terraingesell schaft. Haus des Hl. Benedikt, eine Wohngemein- schaft für Obdachlose unterhält. Namens- geber ist Benedikt Labre (1748–1783), der wie Die neue St. Georgskirche entstand in einiger Entfernung ein Bettler im Namen Gottes durch Europa südlich des histori schen Milbertshofener Ortskerns. Die auf pilgerte, nach seinem Tod als Volksheiliger freiem Feld errichtete Kirche sollte einst den Mittelpunkt verehrt und 1881 heiliggesprochen wurde. der sich baulich ausdehnenden Gemeinde Milberts hofen und der ebenfalls wachsenden Villensiedlung Riesenfeld bilden. Die von Otho Orlando Kurz und Eduard Herbert im Stil des Neubarock geplante Kirche wurde am 28. April 1912 geweiht. Ursprünglich war die neue St. Georgskirche aus-

64 65 Kulturhaus Milbertshofen 1913 konnte Pfarrer Josef Ströbel mit 2002 erfolgte die Grundsteinlegung für seinem Hund die seine Kirche umge- ein von Bewohnern und Stadtteilpoli - benden Felder ent- tikern bereits seit langem gefordertes lang spazieren. Öst- Kulturzentrum. Drei Jahre später wurde lich der Kirche wurde das Kulturhaus Milbertshofen am heu - 1928 das Pfarrhaus von Friedrich Haindl tigen Curt-Mezger-Platz 1 eröffnet, das errichtet. Das Kirche im Rahmen des Programms »Soziale und Pfarrhaus ver- Stadt« realisiert worden war. Das Kul- bindende Pfarrheim turhaus Milbertshofen bietet einen aus den 1970er großen Saal, der auch für Kino- und Jahren stammt von Zum Kulturhaus Otto Steidle. Theatervorstellungen genutzt wird, Milbertshofen gehört zahlreiche Seminar- und Gruppenräume auch der »Glas pa - gestattet mit Kanzel, Seitenaltären, Altaremporen und einem sowie Ausstellungsmöglichkeiten. Es last«, eine vom St.-Georgs-Hochaltar. Ein Großteil der neubarocken Ausstat - hat sich zu einem herausragenden kul - Verkehr geschützte Trainings- und tung wurde bei Renovierungen ausgetauscht und gilt als turellen Zentrum im Stadtbezirk ent- Spielfläche für Kinder verloren. wickelt. und Jugendliche.

Ihre heutige Innengestaltung erhielt die Kirche durch die behutsame Renovierung in den Jahren 2002 bis 2005. Seit Oktober 2013 ist die Pfarrei St. Georg Sitz des mit der Pfar- rei St. Lantpert gebildeten Pfarrverbandes Milbertshofen.

Am Milbertshofener Platz wurde 1984 ein von Angelika Fazekas gestalteter Brunnen mit Daten zur Geschichte Milbertshofens auf- gestellt.

In der Schleißheimer Straße 321 befindet sich das Plattenlabel Hydra Rockets, das sich auf die Musik der 1950er Jahre spezialisiert hat. Es unterhält hier auch das privat geführ- te Bill-Haley-Museum, das den musikalischen Helden und dem speziellen Lebensgefühl dieser Ära gewidmet ist. 66 Curt-Mezger-Platz Der neue Platz wurde nach Curt Mezger benannt, der 1895 in München geboren und vermutlich am 12. März 1945 im Bereits in den 1930er Jahren war ge - KZ-Außenlager Ebensee ermordet wurde. Mezger stammte plant, die schmucklose Kreuzung von aus einem großbürgerlichen Elternhaus; die Eltern besaßen Keferloherstraße und Schleißheimer eine herrschaftliche Villa am Karolinenplatz 5 a. Curt Mezger Straße zu einem Platz zu gestalten. Von nahm 1914 bis 1919 als Vizefeld webel des 1. Baye rischen 1931 bis 1963 hatte dieser sogar einen Fußartillerieregiments am Ersten Weltkrieg teil. Nach dem Namen: Jänischplatz, benannt nach Krieg und der Ausbildung zum Bankkauf mann betä tigte er dem Pilo ten Jänisch, der am 6. März sich als Unternehmer für Sportartikel. Ab Januar 1942 war 1913 den ersten Flug von Mün chen Mezger im »Judenlager« Milbertshofen gemeldet, im August nach Wien steuerte. Wegen Nichtaus - 1942 wurde er ins Internierungslager Clemens-August- führung der Platzge staltung, wurde die Straße verlegt. In beiden Lagern übte er zeitweise die Benennung aufgehoben. Erst im Rah - Funktion des Lager leiters aus. Nach Auflösung des Lagers men des Förderprogramms »Soziale in Berg am Laim kam Mezger ins Gefängnis Stadel heim. Im Stadt« 2008 wurde an dieser Stelle ein Herbst 1943 wurde er ins Konzentrationslager Auschwitz zentraler Platz gestaltet. Durch Veren- deportiert, wo er als Krankenpfleger und Totenträger einge- gung der Keferloherstraße, Verlegung setzt wurde. von Bodenplatten, Schaf fung von Sitzgelegenheiten und Pflanzung von Der Hochbunker in der Schleißheimer Bäumen entstand zwischen Kulturhaus Straße 281 wurde 1941 für 514 Schutz - und Dankeskirche ein neuer Treffpunkt suchende errichtet. Als einer von zwei Münchner Bunkern unterlag das Gebäude im Stadtbezirk, der Freiflächen für ver- bis Frühjahr 2015 der Zivilschutzbindung schiedene Veranstaltungen wie Quar - im Katastrophen- und Verteidigungsfall. Kennkarte von Curt tiersfeste und für Floh- und Wochen- Die Nachnutzung des Gebäudes ist derzeit Mezger, der am märkte bietet und zum Verweilen ein- noch offen. 29. Januar 1945 in lädt. das KZ-Außenlager Ebensee verlegt und dort im März 1945 umgebracht wurde.

68 69 durch die Errichtung des stattlichen Ziegelbaus in der Keferloherstraße 66. Die Dankeskirche entstand 1964/1965 nach Plänen des Münchner Architekten Gustav Gsänger, der in der Nach kriegs zeit zahlreiche evangelisch-luthe rische Kirchen in München entworfen hat. 1976 wurden Kindergar - ten und Diako niestation eingeweiht, die Architekt Theodor Hugues ebenfalls als Zie gelbauten errichten ließ. Die Dan - keskirche nutzt die Nähe zum Curt-Mezger-Platz und ver- anstaltet hier ihr Sommerfest; an den Markttagen lädt die Ab 1909 trafen sich die Protestanten Kirche zur Andacht ein. In der »Sonntagsküche« bietet ein zunächst in einem Helferkreis Bedürftigen ein warmes Mittagessen an. Betsaal in der Scho - penhauerstraße 91, An der Keferloherstraße/Zietenstraße/ Häuserblöcke ent- ab 1929 in dem Wallensteinstraße entstand 1930 die BMW- lang der Zieten - Kircherl in der Kefer- Werkssiedlung. straße in der der loherstraße 70. Hier BMW-Werkssiedlung ist heute das Ge- und umgebende meindehaus unterge- Bebauung, Auf - bracht, allerdings ist nahme von 1935 das Türmchen inzwi - schen abgetragen. Aufnahme von 1956 Evangelisch-lutherische Dankeskirche

Der 1929 errichtete Betsaal in der Keferloherstraße 70 er- wies sich schon bald als zu klein für den rasch wachsenden protestantischen Bevölkerungsanteil Milbertshofens. Als Ausweichquartier für Gottesdienste nutzte man in den 1940er Jahren eine Produktionshalle in der Moosacher Straße. Bereits am 15. April 1940 hatte Milbertshofen eine eigene Pfarrstelle erhalten. Durch den Zuzug deutschstäm- miger Flüchtlinge aus dem östlichen Europa stieg die Zahl der Protestanten nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich an und die Raumnot verschärfte sich. Abhilfe wurde geschaffen

70 »Milbenzentrum«

Im Hinterhof der Nietzschestraße 7 b befand sich in den 1970er und 1980er Jahren das »Milbenzentrum« – von den zur Münchner Punkszene zählenden Besuchern meist »Milb« oder »Milben« genannt. Im Keller fanden legendäre Szenekonzerte der Punkband Freizeit 81 und der Krautrock- band Amon Düül statt. Auch gesellschaftspolitische The - men wurden hier aufgegriffen und diskutiert: ab 1975 traf sich hier das linksalternative »Stadtteilzentrum Milberts- hofen« zu Diskussionsveranstaltungen. Mitglieder dieses Volksschule in der Kreises engagierten sich in der Anti-Atomkraft- und der Schleißheimer Straße 275 Umweltschutzbewegung, demonstrierten gegen die Münch- ner Wohnungsnot und hohe Mieten. Die erste Milbertshofener Schule Die 1882 errichtete wurde 1882 gleich neben dem alten Dorfschule (rechts) wurde nach der Zu den Besuchern Schwaighaus errichtet; Architekt war Fertig stellung der des einstigen Szene- Alois Ansprenger, der spätere Bürger - Schule in der treffes zählten bei- meister von Schwabing. Das noch im Schleiß heimer spielsweise Anatol Straße (links) und Nitschke (geb. 1960), alten Ortskern gelegene Schulhaus der Erhebung der heute ein erfolg- wurde bald zu klein. Bereits 1899 ent- Milbertshofens zur reicher Filmprodu - stand in der Schleißheimer Straße 275 Pfarrei als Pfarrhaus zent und Filmver lei - die neue Schule. Diese wurde schon genutzt. her ist und der Künst - ler Forian Süssmayr bald entlang der Zanderstraße und (geb. 1963). Das 1910 und 1933/1934 entlang der Hinterhofgebäude Schleißheimer Straße erweitert und Nietzschestraße 7 b umgebaut. Nach Kriegs zerstörung soll einem Neubau weichen. wurde das Schulhaus Anfang der 1950er Jahre wieder aufgebaut.

Ein Springbrunnen in Vasenform, den die Künstlerin Eugenie Hinrichs geschaffen hat, ziert den 1991 angelegten Jürgen-von- Hollander-Platz. Benannt ist der Platz nach dem Schriftsteller Jürgen von Hollander (1923–1985), einem Mitglied der Gruppe 47.

72 73 2003 wurde die Grundschule an der Hanselmannschule eröffnet. Im Schulhaus Schleißheimer Straße 275 be findet sich heute eine staatliche Mittelschule. Grund- und Mittel - schule nehmen an dem Schulförderprogramm »Schule kickt!« der Stiftung Kick ins Leben teil.

1907 unterrichtete Toni Pfülf (1877–1933) an der Schule in der Schleißheimer Straße 275. Die Sozialdemokratin war bereits in den 1920er Jahren eine energische Gegnerin der NSDAP. Nach dem Machtantritt Hitlers nahm sie sich aus Verzweiflung über ihr politisches Scheitern im Kampf gegen den National - sozia lismus am 8. Juni 1933 das Leben.

Austria-Tabak

1916 wurde in München die »Austria Die Fabrikgebäude Cigaretten- und Rauchtabakfabrikation der Austria-Tabak der k & k Österreichischen Tabakregie« waren äußerlich wie Jugendstilmiets - gegründet, die zehn Jahre später in ein häuser gestaltet und selbstständiges deutsches Unterneh - fügten sich harmo- men, die »Austria Tabakwaren Mün - nisch in die damalige Villen bebauung ein. Toni Pfülf chen« umgewandelt wurde. Im Mil- Die Aufnahme zeigt bertshofener Werk wurde bis 1977 die ehemaligen Pro - unter anderem die Traditionsmarke duktionsbauten in »Nil« hergestellt, die vor allem bei der Schleißheimer Künstlern sehr beliebt war. Die filter- Straße 265–269 im Jahr 1910, die im lose Zigarette mit Orienttabak enthielt Krieg zerstört wur- bis Ende der 1920er Jahre Hanf. Wäh - den. rend des Krieges lief die Produktion bis 1943; gegen Kriegsende wurde in der Fabrik ein Lager des Wehrbe reichs - verpflegungs- und Wehrbereichs beklei - dungsamtes eingerichtet. 74 75 Vulkanisiermaschinenfabrik Zängl/ Kulturpark München In der ehemaligen In dem begrünten, von Skulpturen geschmückten Innenhof Werkshalle (hier in der Frohschammerstraße 14 erinnert das Firmenschild Abbildung aus den »Karl Zängl Vulkanisier-Maschinen« an den Industriebetrieb, 1950er Jahren) befindet sich heute der sich hier einst befand. Dieser war 1926 von dem gelern- die Zentrale eines ten Bäcker Karl Zängl auf der grünen Wiese errichtet worden Weingroßhändlers. und stellte Vulkanisiermaschinen, also Maschinen für die Reparatur abgefahrener Autoreifen, her. schaft für ökologische Forschung e.V., die der Soziologe und Die Anlage wurde 1936 und 1954 erweitert. Von August Politologe Wolfang Zängl gegründet hatte, Räume in der 1941 bis Kriegsende befand sich auf dem Firmengelände einstigen Maschinenfabrik. Damit begann die Umgestaltung ein Lager für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die des ehemaligen Industriebetriebs zum Kulturpark München. mehrheitlich aus Polen, Italien, Frankreich, Belgien und Heute sind die Gebäude an Künstler, Musiker, Umwelt - Holland stammten. schutzgruppen und an die Volkshochschule München (Fach - bereich Gestaltung) vermietet. Die ehemalige Trafostation 1962 erfolgte die Gründung des Zweigwerks in Cham. In wurde umgebaut und wird heute als Restaurant genutzt. den 1960er Jahren waren am Standort Milbertshofen knapp 200 Arbeiter beschäftigt. Nach der 1970 erfolgten Schlie- Die Frohschammer Straße ist benannt nach ßung des Unternehmens wurden die Firmengebäude zu- Jakob Frohschammer (1821–1893), der nach nächst zu Lagerzwecken vermietet. 1977 bezog die Gesell - dem Studium der katholischen Religionslehre 1847 zum Priester geweiht wurde. Er habili - tierte sich 1850 an der Theologischen Fakul - Hoffest im begrünten tät der Universität München, wirkte bis 1854 Innenhof der Froh - als Universitätsprediger und wechselte 1856 schammer straße 14 als ordentlicher Professor an die philosophi- sche Fakultät. Die römische Kurie setzte seine Schriften »Über den Ursprung der mensch- lichen Seelen« (1854), »Einleitung in die Philosophie und Grundriss der Metaphysik« (1858), »Über die Freiheit der Wissenschaft« (1861) auf den Index. 1863 wurde Frohscham- mer von allen geistlichen Ämtern suspendiert und 1871 exkommuniziert. Er verfasste be - deutende philosophische Schriften und schrieb gegen das Dogma von der Unfehl- barkeit des Papstes an.

76 77 TSV Milbertshofen Mitte der 1990er Jahren geriet der Verein wegen Reparatur - arbeiten der Halle in finanzielle Schwierigkeiten. Durch die In der nach dem Milbertshofener Baumeister Hans Denziger Unterstützung der Landeshauptstadt München, des Bayeri - (1861–1938) benannten Hans-Denzinger-Straße 2 befinden schen Landessportverbands e.V., der Firma BMW und den sich die Sportanlagen des TSV Milbertshofen. Dessen Ge - Einsatz der Vereinsmitglieder konnte die Krise überwunden schichte beginnt mit dem am 11. Mai 1905 von Fritz Schüp- und der Fortbestand des TSV Milbertshofen gesichert ferling und Josef Mick gegründeten »Turnverein Milberts- werden. hofen-Riesenfeld«. Dieser trainierte anfangs im Milberts- hofener Schulhaus und auf einer Wiese zwischen Kant- und Der TSV Milbertshofen bietet seinen derzeit rund 2.300 Mit - Schopenhauerstraße, später auf dem Gelände des Heeres - gliedern ein breites Angebot, darunter Aikido, Basketball, zeugamts in der Schleißheimer Straße. Nach dem Zweiten Fußball und Kegeln. Weltkrieg wurde der Verein am 24. Oktober 1945 als »Freier Turn- und Sportverein München-Milbertshofen« wiederge - Die Rollstuhl-Rugby- gründet, nachdem er die erforderliche Lizenz durch die US- Abteilung, die Mu - nich Rugbears, amerikanische Besatzungsmacht erhalten hatte. Seinen heu- wurde 2014 deut- tigen Namen trägt der Verein seit Oktober 1950. Im Olympia- scher Meister im jahr 1972 wurde die Gebrüder-Apfelbeck-Halle errichtet. Sie Rollstuhl Rugby. ist benannt nach den Brüdern Georg und Ludwig Apfelbeck, die sich an der Spitze des Vereins große Verdienste erwor- ben und den Bau der Halle ermöglicht haben.

Viele kennen den TSV Milbertshofen noch aus seinen Profi - sportzeiten, als die Tischtennis-, Handball- und Volleyballab - 1952 erwarb die Kirchengemeinde St. Georg teilung in der Bundesliga vertreten waren. Mit Tischtennis- einen Bauplatz für eine neu zu errichtende star Conny Freundorfer (1936–1988), der dem TSV Mil berts - Kirche. Da die Grundsteinlegung 1957 im Jahr des tausendsten Todestages von Bischof hofen mit Unterbrechungen von 1954 bis 1976 angehörte, Lantpert von Freising erfolgte, wählte man feierte die Tischtennisabteilung nationale Erfolge. Erhard diesen zum Patron der von Architekt Wilhelm (»Sepp«) Wunderlich (1956–2012), Spieler der Deutschen Gärtner geplanten Kirche in der Torquato- Handballnationalmannschaft, trat dem Verein 1984 bei und Tasso-Straße 40. Gegenüber der benach- barten Grundschule befindet sich die holte in der Saison 1990/1991 als Manager den Europa - Skulptur „Lesende Knaben“ von Rolf Nida- pokal der Pokalsieger nach Milbertshofen. Rümelin.

78 79 wurde 1884 in München als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Fabrikanten geboren. 1925 zog Feuchtwanger nach Berlin, wo er den Schlüsselroman »Erfolg« (1930) verfasste, in dem hellsichtig das Auf kom - men der nationalsozialistischen Bewegung in Bayern und in München nachgezeichnet wird. Als die Nationalsozia lis - ten 1933 an die Macht kamen, befand sich Feuchtwanger auf einer Vortragsreise in den USA. Bei seiner Rückkehr nach Europa traf er seine Frau Marta in St. Anton (Öster- reich). Das Ehepaar ging über die Schweiz und Südfrank - reich in die USA ins Exil. Lion Feuchtwanger starb 1958 in Los Angeles.

Die Freiligrathstraße ist benannt nach dem Lion-Feuchtwanger-Gymnasium politischen Schriftsteller Ferdinand Freiligrath (1810–1876), der die sozial ungerechten Zustände seiner Zeit anprangerte. Im Alter Bis zum Bau des Auf einem Grundstück, das die Stadt begeisterte er sich für die Reichsgründung Petuelparks waren München aus dem ehemaligen Besitz und wandelte sich vom politisch-revolu tio - Schüler und Lehrer nären zum patriotischen Dichter. des Lion-Feuchtwan - der Petuel’schen Terraingesellschaft ger-Gymnasiums geerbt hat, wurde 1981 das »Gymna- (Gebäude in der sium am Petuelring« (Freiligrathstraße Bildmitte) Abgasen, 71) fertiggestellt. Am 21. April 1982 Lärm und Verkehr des unmittelbar an- stimmte der Schulausschuss des grenzenden Mittleren Münchner Stadtrats dem Antrag der Rings ausgesetzt. Schule zu, das neue Gymnasium nach Aufnahme von 1997 dem Münchner Schriftsteller Lion Feuchtwanger in Lion-Feuchtwanger- Gymnasium umzubenennen. Die Schule setzt sich in Veranstaltungen Lion Feuchtwanger und Projekttagen bewusst mit dem (1884–1958) Werk ihres Namens gebers ausein - ander.

80 81 gehört der Generationengarten mit Pavillon (Ricarda-Huch- Straße 4). Der Garten entstand im Rahmen des Förderpro- gramms »Soziale Stadt« als Ort der Begegnung von Bürge - rinnen und Bürgern unterschiedlichen Alters und unterschied - licher Herkunft, die das Interesse an gemeinsamer Garten - arbeit teilen. Träger ist der Verein »Stadtteilarbeit e.V.«. Der 400 Quadratmeter große Garten hat neben Gemeinschafts - flächen mit Obstbäumen und Beerensträuchern 28 kleine Parzellen von drei bis sechs Quadratmetern Größe sowie ein Hochbeet. Der Pavillon mit Tonnendach bietet Raum für Veranstaltungen und Projekte; das Gebäude kann auch für Familienfeiern und Feste genutzt werden.

Die Ricarda-Huch-Straße wurde 1947 nach der im selben Jahr verstorbenen Schriftstel- lerin benannt. Ricarda Huch hatte in Zürich Ge schichte, Philologie und Philosophie studiert und war promoviert worden. Große Generationengarten im Petuelpark Beach tung erhielt ihr zweibändiges Werk über die Romantik (1899/1902). 1900 zog Ricarda Huch nach München, wo sie – mit Blick aus dem Nach fünf Jahren Bauzeit wurde der mehrjährigen Unterbrechungen – bis 1927 Pavillon auf den knapp 1.500 Meter lange Petueltunnel lebte. 1924 wurde sie Ehrensenatorin der Generationengarten am 6. Juli 2002 für den Verkehr freige - Universität München, 1926 als erste Frau in geben. Zwei Jahre später wurde der die Sektion Dichtkunst der Preußischen Petuelpark eröffnet, der die Stadtbe- Akademie der Künste ge wählt. Aus Protest gegen die Nationalsozialisten trat sie 1933 zirke Milbertshofen-Am Hart und aus der Preu ßischen Akademie der Künste Schwabing-West miteinander verbin - aus. 1947 wurde sie Ehrenpräsidentin des det, die jahrzehntelang durch den Ersten Deutschen Schriftstellerkon gres ses. Mittleren Ring voneinander getrennt Zuletzt befasste sie sich mit den Biografien deut scher Widerstandskämpfer. Aus dem von waren (zum Petuelpark siehe KGP 04). ihr gesammelten Material wurde 1953 die Schriftstellerin Zu dem von Stephan Huber im Auftrag Studie »Der lautlose Aufstand« über den Ricarda Huch des Baureferats entwickelten Kunst- studentischen Widerstand in München ver- (1864–1947) in einer Aufnahme um 1912 konzept für den Park mit Skulpturen- öffentlicht. Parcours und Café am Fontänenplatz

82 83 Bayerische Motoren Werke AG (BMW)

Die Gründung der BMW AG erfolgte mitten im Ersten Weltkrieg als Rüs - tungsbetrieb: Das Unternehmen ging aus der Bayerischen Flugzeugwerke AG (BFW) hervor, die am 7. März 1916 gegründet wurde und in der Neuler- chen feldstraße (heute Lerchenauer Straße 76) angesiedelt war. Der Name BMW tauchte erstmals 1917 auf, als die Rapp Motorenwerke GmbH (zu- nächst Schleißheimer Straße 288, dann Moosacher Straße 80) in Baye rische Motorenwerke GmbH umbenannt wurde. Von dieser Firma kaufte die BMW-Werkseingang BFW 1922 die Motorenbau ab teilung, mit Verwaltungs - Blick von der Das Haus in der Kantstraße 20 erinnert an den Markennamen BMW und das gebäude im Jahr Schleißheimer die einst geplante Villensiedlung Riesenfeld. weiß-blaue Markenzeichen (Propeller 1930 Straße auf die Kantstraße 20, In der Schleißheimer Straße 247 befindet Aufnahme von 1900 sich eine private griechische Volksschule, in der Kinder von der siebten bis zur neunten Klasse unterrichtet werden.

84 mit zwei weißen und zwei blauen Feldern); das Unterneh - men in der Moosa cher Straße 80 firmierte seit 1920 unter dem Namen Süd deutsche Bremsen AG.

Die ursprüngliche Aufgabe der BFW, die Produktion von Flugmotoren, war Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund von Bestimmungen des Versailler Vertrags ver- boten. Unter dem neuen Namen BMW sollten daher Moto - ren für Kraftfahrzeuge aller Art produziert werden. 1923 präsentierte BMW erstmals ein eigenes Motorrad – wobei nicht nur der Motor, sondern auch die Karosserie in Milberts- hofen gefertigt wurde. 1928 kaufte BMW die Fahrzeug fabrik Eisenach und ließ dort Automobile herstellen; die eingebau - ten Motoren wurden in München gefertigt. Trotz des Ver- bots wurden weiterhin Flugmotoren entwickelt und im Zuge der NS-Rüstungspolitik auch wieder gebaut. Ab 1936 errich - tete BMW eine zweite Produktionsstätte in Allach. Während des Zweiten Weltkriegs produzierte BMW fast ausschließ- lich Flugmotoren für die Luftwaffe und war Münchens größter Rüstungsbetrieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg be schlag- Im Vorfeld der Olym - nahmte die US-Be satzungsmacht die pischen Spiele 1972 Ab 1942 mussten neben Strafgefangenen, osteuropäischen Münchner BMW-Produktionsstätten entstanden das spek- takuläre Hochhaus Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auch KZ-Häftlinge und gab sie zur Demontage frei. Statt der Konzernzentrale für BMW arbeiten, die vor allem in dem 1943 errichteten Motoren wurden im kriegsbeschä dig - und das schüs sel- KZ-Außenlager Allach untergebracht wurden. Ende Juli 1944 ten, ausgeschlachteten Werk Milberts - förmige BMW-Mu - waren im BMW-Werk Milbertshofen insgesamt 16.572 hofen zunächst Haushaltsgeräte pro- seum des österrei- chischen Architekten Arbeiter und Angestellte beschäftigt; der Ausländeranteil duziert. Ab 1948 nahm BMW die Karl Schwanzer. betrug rund 36 Prozent. Die deutschen Beschäftigten waren Motorradproduktion wieder auf und Aufnahme von 1980 in Werkssiedlungen untergebracht, die Ausländer in Zwangs- profitierte von der enormen Nachfrage; arbeiterlagern, wie sie etwa in der Hanselmann straße 30, ab 1952 wurden Autos produziert. Riesenfeldstraße/Keferloherstraße, Schleißhei mer Straße/ Trotzdem geriet das Unternehmen Milbertshofener Straße 15 und in der Preußenstraße Ende der 1950er Jahre in Schwierig- bestanden. keiten. Der Konkurs und die Zerschla -

86 87 gung des Konzerns wurde durch den Einstieg des Investors Herbert Quandt, den Verkauf der Flugmotorenfertigung und die Konzentration auf die Automobil- und Motorradproduk- tion verhindert. Der in den 1960er Jahren einsetzende wirt- schaftliche Aufschwung schlug sich auch in der wach sen - den Beschäf ti gung angeworbener ausländischer Arbeits - kräfte nieder. Als Zeichen des Erfolgs ließ BMW ab 1970 das 99 Meter hohe Verwaltungsgebäude in Gestalt eines Vierzylinders und das schüsselförmige Museum mit BMW- Emblem errichten. 2007 wurde die vom Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfene »BMW-Welt«, das Ausliefe - rungszentrum des Weltkonzerns, eröffnet.

Heute ist BMW einer der wichtigsten Exportbetriebe Bayerns und einer der größten Arbeitgeber. Im Stammwerk Milbertshofen sind etwa 9.000 Mitarbeiter und rund 1.000 Auszubildende beschäftigt. Im benachbarten Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) arbeiten weitere knapp 9.000 Beschäftigte für den Konzern, darunter Ingenieure und Milbertshofen-Am Hart Designer.

III. Rundgang: 11 Olympiadorf und Olympiapark

88 89 Knorr-Bremse AG

Die Fabrikanlage in der Moosacher Straße 80 war ursprüng- lich für die Bayerischen Motorenwerke (BMW) als Produk - tionsstätte für Flugmotoren errichtet worden. Als dieser Produktions zweig nach dem Ersten Weltkrieg wegfiel, kaufte die Berliner Knorr-Bremse AG das Werk, das den Namen BMW ablegte (diesen 1922 zusammen mit dem Firmenlogo verkaufte) und fortan unter dem Namen Süddeutsche Brem- sen AG Druckluftbremsen für die Reichs bahn produzierte. Ab den 1930er Jahren fertigte die Süddeutsche Bremsen AG zunehmend auch Schiffsdiesel-, Traktoren- und Omnibus- Werksgelände zwischen Moosacher Straße motoren. In der NS-Zeit war das Unternehmen ein wichtiger und Lerchenauer Straße um 1925 Rüstungsbetrieb, der eine große Anzahl von Zwangsarbei - tern beschäftigte. Im Frühjahr 1944 lag der Ausländeranteil renden Unternehmens in Milbertshofen. Im nördlichen Be- der insgesamt 2.094 Beschäftigten bei 41,9 Prozent. Unter- reich des Firmengeländes ist ein neues Entwicklungs zent - gebracht waren die Zwangsarbeiter in einem Lager in der rum entstanden, andere Teile des Firmengeländes hat das Moosacher Straße 82; auf dem Werksgelände befand sich Unternehmen verkauft. So erwarb die BMW AG ein mehr ein Kriegsgefan genenlager. als 13.000 Quadratmeter großes Grundstück sowie das denk malgeschützte Torgebäude mit flankierenden Walm dach- Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Berliner Stamm- bauten. In den von Eduard Herbert und Otho Orlando Kurz werk der Knorr-Bremse AG enteignet und die Firmenzentrale geplanten Bauten von 1917/1918 und in weiteren Gebäuden nach München verlegt. 1985 erfolgte die Eingliederung der auf dem Gelände sind ab 2016 Einrichtungen der BMW Süddeutsche Bremsen AG in die Knorr-Bremse AG. Der Group Classic untergebracht: das Unternehmensarchiv, eine Konzern entwickelte sich zum weltweit führenden Hersteller Ausstellung historischer Fahrzeuge sowie der Teileverkauf von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge. Ein für historische Automobile. firmeneigenes Museum informiert über die Unternehmens- geschichte der Knorr-Bremse AG. Westlich des Industrieareals ist ein moderner Hotelbau entstanden; ein neues Wohnquartier Am Standort Milbertshofen beschäftigt das Unternehmen befindet sich im Bau. derzeit knapp 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wäh- Am Oberwiesenfeld 10 befindet sich die rend die Produktion bis 2017 an andere Standorte ausgela - Adolf-Kolping-Berufsschule München, eine gert wird, verbleibt die Konzernzentrale des weltweit agie- private, staatlich anerkannte Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung.

90 91 niere attraktiv und Flugveranstaltungen zogen begeisterte Zuschauer an. Auf dem Exerzierfeld starteten und landeten Heißluftballons und Zeppeline; ab 1909 auch einfache Flug - zeuge. Nach dem Ersten Weltkrieg beschränkte sich die Nutzung auf den zivilen Luftver kehr. Die Ausstattung des Flugplatzes war sehr bescheiden, denn es fehlten Gebäude für die Repa ratur der Flugzeuge und für wartende Passa- giere. 1927 erteilte der Münchner Stadtrat einen Planungs- auftrag, der den Ausbau des Flug platzes Oberwiesenfeld zu einem »Flughafen 1. Ordnung« vorsah. Nach Fertigstellung des Hangars und des moder nen Verwaltungsgebäudes wurde der Flughafen München am 3. Mai 1931 durch Ehemaliger Flughafen Oberwiesenfeld Ober bürgermeister Karl Scharnagl eröffnet.

Flughafenverwal - Nichts erinnert heute mehr daran, Aufgrund der rasch ansteigenden Passagierzahlen zeichnete tungsgebäude mit dass sich auf dem nördlichen Ober - sich bereits kurz nach der Eröffnung ab, dass der Flughafen Junkers D 1758 im Jahr 1931. Die Flug- wiesenfeld – zwischen Nymphen - auf dem Oberwiesenfeld bald zu klein sein würde. Wegen hafengebäude wur - burg-Biedersteiner-Kanal (der an die- der angrenzenden Bebauung konnte der Flughafen nicht den 1968 im Zuge ser Stelle im Zuge der Gestaltung erweitert werden. Nach der Fertigstellung des neuen Ver- der Gestaltung des des Olympiaparks zum Olympiasee kehrsflughafens München-Riem 1939 nutzte die Luftwaffe Olympiageländes abgerissen. An der aufgestaut wurde) und Moosacher den Flughafen Oberwiesenfeld; nach dem Krieg wurde die- Stelle des Verwal- Straße – der erste Verkehrsflug- ser von den US-Streitkräften beschlagnahmt und anschlie - tungs gebäudes ent- hafen Münchens befand. ßend bis zum Beginn der Gestaltung des Olympiaparks im stand das Olympia- Jahr 1968 von Privatfliegern genutzt. stadion. Bereits im späten 19. Jahrhundert war das Militärgelände Oberwiesen - Passagiere mit feld als geeigneter Standort für den Gepäck in der aufkommenden Luftverkehr ent- Abfertigungshalle im »Münchner Flug - deckt worden. Hier wurde 1890 die bahnhof« 1931 damals gegründete »Luftschiffer- Lehrabteilung« der baye rischen Armee stationiert. Das Flugfeld wurde bald auch für zivile Flug pio -

92 93 Olympisches Dorf

Für die Unterbringung von rund 11.500 Sportlern mit Be- treuern entstand im nördlichen Teil des Oberwiesenfelds das Olympische Dorf. Der Entwurf stammt vom Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner und von Werner Wirsing. Wäh - rend die männlichen Sportler in den gestaffelt gebauten, nach Süden ausgerichteten Terras sen bauten untergebracht wurden, bezogen die weiblichen Athleten die sich zum Landschaftspark öffnende Bungalow siedlung. Ein Plan, der die Bele gung während der Olympischen Spiele 1972 zeigt, befindet sich auf dem Weg von der U-Bahn sta tion zur Ladenpassage.

Die Straßen des Dorfes wurden nach Olympiateilnehmern benannt. So erinnert der Helene-Mayer-Ring an die Fechte rin Helene Falkner von Sonnenburg (geb. Mayer, 1910–1953); Durch die Tieferlegung von Auto - Die Aufnahme vom die von der NS-Rassenideologie als »Halbjüdin« klassifi zierte straßen und Parkplätzen sind Straßen 29. August 1972 zeigt deutsche Athletin errang bei den Olympischen Spielen 1936 und Plätze im Olympischen Dorf den den US-Amerikaner Mark Spitz (geb. Silber. Die Straßberger straße ist nach dem Münchner Ge - Fußgängern vorbehalten. Die drei 1950) im Olympi - wichtheber Josef Straßberger (1894–1950), die Nadistraße Wohnstraßen führen vom östlich gele - schen Dorf mit einem nach dem italienischen Olympiasieger im Florettfechten genen Dorfzentrum in die Parkland- Bild von sich bei den Nedo Nadi (1894–1940), die Connollystraße nach dem US- schaft im Westen. Der besseren Orien- Schwimmwettkäm- pfen während der amerikanischen Dreispringer James Connolly (1865–1957) tierung dienen die Medialinien von Olym pischen Som - benannt. In der Connollystraße 31 war das israelische Olym- Hans Hollein – ein farblich gestaltetes merspiele in Mün - piateam untergebracht. Hier fand am 5. September 1972 Leitsystem, das das von Otl Aicher chen. Der Ausnahme- die Geiselnahme von elf israelischen Sportlern durch paläs - entwickelte Farbkonzept aufgreift: blau sportler errang in München insgesamt tinensische Terroristen statt. Zwei Geiseln wurden bereits findet sich in der Connolly-, grün in der sieben Goldme dail - hier ermordet, die übrigen neun Geiseln starben beim miss- Nadi- und orange in der Straßberger- len. lungenen Befreiungsver such am Flugplatz Fürstenfeldbruck; straße. ebenso ein Polizist und fünf Terroristen. Ein Gedenkstein mit einem in Hebräisch und Deutsch verfassten Text erinnert an die Ermordeten.

94 95 Frieden Christi und der evangelisch-lutherischen Olympia - kirche sowie das Kulturzentrum Forum 2.

Etwa 1.800 Studenten wohnen im »Wohnturm« (Helene- Mayer-Ring 7) und in der Bungalowsiedlung des ehemaligen Frauendorfs. Von den ursprünglichen Bungalows sind nur noch wenige erhalten und als Denkmäler saniert. Die rest - lichen wurden 2007 abgerissen und im gleichen Stil aber mit geringerer Fläche, wieder aufgebaut; statt ursprünglich 800 zählt die Siedlung jetzt 1.052 Häuser.

Das Olympische Dorf steht als Teil des Ensembles Olympia- park unter Denkmalschutz.

Westlich des Olympischen Dorfs befindet sich die Zentrale Hochschulsportanlage (ZHS) der Technischen Universität München. Neben fantasievollen Nach den Olympischen Spielen wurden Graffiti sind an den die Wohnungen vermietet und ver- Auf der Hanns-Braun-Brücke, die das Olym- Fassaden der Stu- pische Dorf mit dem Olympiapark verbindet den tenbungalows kauft. Während die Anlage anfangs von und dem deutschen Leichtathleten Hanns grüne Tafeln mit den vielen wegen des vorherrschend ver- Braun (1886–1918) gewidmet ist, erinnert seit Namen der Sportle- wendeten Betons kritisiert wurde, ist 1995 der »Klagebalken« von Fritz König an die rinnen angebracht, das Olympiadorf mit seinen autofreien israelischen Opfer des Olympiaattentats und die während der an den ermordeten deutschen Polizisten. Olympischen Spiele Straßen und Plätzen, den zahlreichen hier einquartiert Spiel- und Grünflächen, den bepflanz - waren. ten Terrassenhäusern, der guten Ver- kehrsanbindung und der eigenen Infra - struktur heute eine der beliebtesten Wohngegenden der Stadt. Hier gibt es eine Grundschule, Kindertagesstätten, eine Ladenpassage, das ökumenische Kirchenzentrum (Architekten Josef Karg und Bernhard Christ) bestehend aus der katholischen Pfarrkirche

96 97 Olympiapark und Olympische Sportstätten

Auf dem ehemaligen Exerzierplatz Oberwiesenfeld wurden die wichtigsten Sportstätten für die Olympischen Sommer- spiele 1972 errichtet. Auf dem einst flachen, unbebauten Bereits seit 1960 Ter rain waren ab 1947 die Trümmer der im Zweiten Welt- erinnert auf dem krieg zerstörten Stadt zu einem »Schuttberg« aufgetürmt »Schuttberg« ein und begrünt worden. Dieser wuchs durch Bauschutt, der bei Kruzifix an die Opfer des Luftkriegs. Das den Arbeiten für den U-Bahnbau entstanden war und hier von Rudolf Belling entsorgt wurde, weiter in die Höhe. Heute ist der etwa 60 (1886–1972) gesta- Meter hohe »Olympiaberg« eine der höchsten Erhebungen tete und vom Deut - im Stadtgebiet; bei gutem Wetter kann man von hier über schen Gewerk - schaftsbund (DGB) die Stadt und ihr Um land bis zu den Alpen sehen. Hier hat und der Landes- sich in dem nach dem US-Bürger rechtler Martin Luther haupt stadt München King (1929–1968) benannten Weg ein ehemaliger Kiosk für finanzierte Friedens- Bauarbeiter zu einem beliebten Biergarten (Olympia-Alm) mahnmal »Schutt - blume« wurde am entwickelt. 10. August 1972 eingeweiht. Unterhalb des Olympiabergs befindet sich der Olympiasee, der vom Nym phenburg-Biedersteiner-Kanal gespeist wird. Die drei wichtigsten Olympia-Sportstät ten – Olympiahalle, Die Seebühne wurde während der Olympischen Spiele Olympia-Schwimmhalle und Olympiastadion – sind durch die 1972 für Kultur veranstaltungen genutzt. Heute veranstaltet von Frei Otto und Günter Behnisch entwickelte Zeltdach - die Stadt München hier die eintrittsfreien »Theatron«-Musik - konstruktion aus Acrylglas miteinander verbunden. Das Eis - festivals. Das Festival des Jahres 2000 ging als »längstes stadion war bereits 1965 bis 1967 errichtet worden; wäh- durchgehendes Musik-Open-Air-Festival der Welt« ins rend der Olympischen Spiele wurden hier Box veranstal tun- Gui ness-Buch der Rekorde (2002) ein. gen ausgetragen. Das Olympia-Eisstadion soll voraussicht- lich 2018 abgerissen werden.

Die wichtigsten Wege und Plätze auf dem Gelände sind nach Sportlern und Olympiasiegern verschiedener Nationen benannt. So erinnert der Coubertin Platz an Pierre de Frédy de Coubertin (1863–1937), der sich maßgeblich für die

98 99 Bereits am 26. Mai 1972 fand mit dem Länderspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen das Team der Sowjetunion eine erfolgreiche »Generalprobe« der Olym- pischen Sportanlagen und der neuen U-Bahn statt. Die Olympischen Sommerspiele 1972 wurden am 26. August eröffnet und endeten mit der Schlussfeier am 11. Sep- tember. Mit der Geiselnahme und der Ermordung von elf israelischen Sportlern und einem deutschen Polizisten am 5. September nahmen die geplanten »heiteren Spiele« eine erschütternde Wende. Nach einem Tag der Trauer und des Aussetzens der internationalen Sportveranstaltung erklärte der Präsident des IOC, Avery Brundage (1887–1975): »The games must go on!«. Die Spiele wurden fortgesetzt, wäh- rend die israelische Mannschaft am 7. September mit den ermordeten Teamkameraden München verließ. Am west- Die Sportstätten wur - Wiederbelebung der Olympischen lichen Lindenhügel entsteht 2016 ein Erinnerungsort für die den in die aus Trüm - Spiele eingesetzt hatte; er entwarf die zwölf Opfer des Attentats. merschutt gestaltete, Olympischen Ringe als Markenzeichen von Bäumen und öf - fentlich zugänglichen der Sportveranstaltung und gründete 1.500-Meterlauf der Rasenflächen ge- das Internationale Olym pische Comite Frauen während der säumte Hügelland - (IOC), dessen Präsident er von 1896 Olympischen Spiele 1972 schaft eingebettet. bis 1925 war. Ein Weg ist nach dem Auf diese Weise wurde bewusst der griechischen Langstrecken läufer Spiri- Eindruck von Monu - don Louis (1873–1940) benannt; ein mentalität vermie - weiterer nach dem Ringer Werner den, der bei den Seelenbinder (1904–1944), der als Olympischen Spielen 1936 in Berlin auch Kommunist von den Nationalsozialisten mit den Mit teln der ermordet wurde. An den polnischen Architektur gezielt Leichtathleten Janusz Kusocinski inszeniert wor den (1907–1940), der als Widerstands - war. Die Aufnahme zeigt Zuschauer- kämpfer von den deutschen Besatzern ströme während der hingerichtet wurde, erinnert der Olym pischen Spiele Kusocinskidamm. 1972.

100 101 Die Nachnutzung des Olympiaparks und seiner Sportstätten Die Bautafel an der war ein zentrales Ziel des Planungskonzepts. Bereits 1974 Baustelle des Fern- war das Olympiastadion Austragungsort der Fußball-Welt - sehturms kündigte meisterschaft; hier fand am 7. Juli 1974 das Endspiel statt, im Oktober 1965 bei dem die Deutsche Fußballnationalmannschaft ihren zwei- an: »Hier entsteht Deutschlands ten WM-Titel gewann. Bis zur Eröffnung der Allianz-Arena höchster Turm«. Seit 2005 fanden die Spiele der beiden Münchner Bundesliga - der Anbringung der vereine im Olympiastadion statt. Vor allem aber dient die neuen Antenne im zentrumsnah gelegene Anlage heute dem Breitensport und April 2005, die rund sechs Millionen Zu- erfreut sich bei den Münchnern großer Beliebtheit als Frei- schauer mit digita - zeit- und Erholungspark. lem Fernsehen ver- sorgt, misst der Olympiaturm 291,28 Meter und ist damit, knapp hinter dem 1980 eröffneten Nürnberger Fernseh- turm (Gesamthöhe 292 Meter), das zweit höchste Gebäude Bayerns. Olympiaturm

Der sogenannte Olympiaturm (Spiridon-Louis-Ring 7) ist seinem Ursprung nach ein vorolympisches Bauwerk. Denn bereits im Januar 1964 hatte der Münchner Stadt- rat den Bau eines dringend benötigten Fernsehturms auf dem Oberwiesenfeld beschlossen. Die Grundsteinlegung für den von Architekt Sebastian Rosenthal geplanten Turm erfolgte am 10. August 1965. Nachdem München am 26. April 1966 den Zuschlag zur Ausrichtung der Olympischen Spiele 1972 erhalten hatte, wurde der Fernsehturm in die Olympia-Planungen eingefügt und entwickelte sich zu einem wesentlichen Wahrzeichen des Olympiaparks. 102 103 Bis zur Eröffnung des Turms am 22. Februar 1968 wurden Literaturauswahl: 52.500 Tonnen Stahl und Beton verarbeitet. In dem sich nach oben verjüngenden Turmschaft sind eine öffentlich - Bauer, Reinhard: Die Siedlung Am Hart 1935–1995. Eine Ge- schichte mit Gegenwart zum 60jährigen Jubiläum, München 1995 nicht zugängliche Treppe mit 1.230 Stufen und drei Aufzü- - Bauer, Reinhard: 1954–2004 Siedlung Harthof. Festschrift zum gen untergebracht. Die untere der beiden Turmkanzeln birgt 50jährigen Jubiläum, hrsg. von der Siedlervereinigung Harthof, die Fernmeldetechnik, in der oberen Turmkanzel befinden München 2004 sich das Drehrestaurant und das 2004 eröffnete Rock - - Bleyer, Burkhard: Verlauf einer Stadtteilkarriere: München-Milbertshofen, Kallmünz 1988 museum . Von den drei Aussichtsplattformen in - Bluhme, Regina: Ein Stück Freisinger Geschichte geht verloren. 185, 189 und 192 Meter Höhe haben Besucher einen Blick Die zwei Petuel-Villen an der Münchner Straße; auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt und auf das Münch - in: FINK, Januar 2014, S. 14-15 ner Umland – bei Föhn reicht die Sicht oft bis zu den Alpen. - Dombart, Theodor: Milbertshofen. Entwicklungsgeschichte eines Münchner Stadtteils, München 1956 - Egger, Simone: »München wird moderner«. Stadt und Atmosphäre in den langen 1960er Jahren, Bielefeld 2013 - Freytag, Beate/Storz, Alexander Franc: Milbertshofen. Die Geschichte des Stadtteils von der Schwaige zur Vorstadt Münchens, München 2004 - Haerendel, Ulrike: Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und »Wohnraum - arisierung« am Beispiel Münchens, München 1999 - Haus der Bayerischen Geschichte (Hrsg.): Edition Bayern, Sonderheft # 02: München ’72, Augsburg 2010 - Heger, Natalie: Das Olympische Dorf München. Planungsexperiment und Musterstadt der Moderne, Berlin 2014 - Heusler, Andreas: Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939–1945, München 1996 - Kirchenstiftung St. Georg Milbertshofen (Hrsg.): Festschrift 1902–1912–2002. 100 Jahre St. Georg Pfarrei – 90 Jahre Pfarrkirche, München 2002 - Koppel, Alfred: »Dies ist mein letzter Brief…«. Eine Münchner Familie vor der Deportation im November 1941, hrsg. von Ilse Macek und Friedbert Mühldorfer, München 2014 - Krause, Leo: Münchner Geschosssiedlungen der 50er Jahre. Ein Forschungsbeitrag zum Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland, München 1991 - Landeshauptstadt München. Referat für Stadtplanung und Bauordnung (Hrsg.): Von der Kaserne zum Stadtquartier. Zur Konversion von Militärflächen in München, München 2013

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Virtuelles Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus Konzept & Inhalt: der Landeshauptstadt München Dr. Karin Pohl

Mit ihrem Audiokunstwerk »Memory Loops« hat die Künstlerin Inhaltliche Beratung: Michaela Melián die Stadt mit einem virtuellen Netz aus Tonspuren Dr. Reinhard Bauer, Heyke Brandtner, Josef Floßmann, überzogen, die auf Archivmaterialien und Aussagen von Zeitzeugen Leo Meyer-Giesow, Hans Scheuerer, Mirko Urbatschek, basieren: Zeugnisse von Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung AG Gedenktafeln der Landeshauptstadt München, während des NS-Regi­mes in München. Bezirksausschuss 11, Stadtarchiv München Jede der 300 deutschen und 175 englischen Tonspuren ist zum Redaktion: Anhören und kostenlosen Download auf einer virtuellen Stadtkarte Benno Zimmermann hinterlegt (www.memoryloops.net). Die Tonspuren sind Collagen Grafische Gestaltung: aus Stimmen und Musik, die thematisch einem Ort innerhalb der Heidi Sorg & Christof Leistl, München ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« zugeordnet sind. Druck & Bindung: Gotteswinter und Aumaier GmbH, München Rückfragen zum Projekt unter: [email protected] 2015, 2. Auflage 2017

Memory Loops ist ein Projekt des Kultur­referats der Landeshauptstadt Spenden für die KulturGeschichtsPfade München / Freie Kunst im öffentlichen Raum in Zusammen­arbeit mit Landeshauptstadt München, HypoVereinsbank München, dem Bayerischen Rundfunk/Hörspiel und Medienkunst. BLZ 70020270, Konto 81300 »Verwendungszweck 9.225.415183.004.1« (bitte unbedingt angeben)

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