Mittwoch, 14. November 2012 ^ Nr.266 Neuö Zürcör Zäitung ZÜRCHER KULTUR21

ZWISCHENRUFE JETZT Visionärer Einzelkämpfer Service public Rock Rücktritt von Piergiuseppe Snozzi als Leiter des A-Cappella-Chors Zürich im Hindi-Fieber Ein Grund, der CD nachzutrauern, sind die mitunter buchstäblich profi- Mit einem Konzert im Gross- Ümit Yoker ^ Der Konsum von Nach- lierten Covers der Spiritualized-Al- münster verabschiedet sich der richtensendungen ist selten eine erhei- ben. Aber natürlich hat sich die briti- ternde Angelegenheit. Dasmuss er auch sche Space-Rock-Gruppe um den Dirigent Piergiuseppe Snozzi nicht sein, natürlich. Weraber der einen Sänger Jason Pierce ihren hervor- am Sonntag von seinem A-Cap- oder anderen Meldung des Schweizer ragenden Rufvor allem dank dichten, pella-Chor Zürich, den er wäh- Fernsehens etwas mehr Leichtigkeit ver- psychedelisch düsteren Rock-Schlei- rend 40 Jahren geleitet hat. leihen möchte,dem sei die Zahlenkom- fen erworben. Dieses Jahr hat die bination 777 ans Herz gelegt, selbst Band ein neues Album herausge- wenn er des Hörens sowie jeglichen bracht: «Sweet Heart Sweet Light», das Thomas Schacher Schweizerdialekts mächtig ist: Aufdie- sie nun live vorstellt, bringt quasi die ser Teletextseite erfährt er,wie sich die Schärfe des Punk mit der Inbrunst des Im Abschiedskonzert erklingen aus- Nachricht dem auf Untertitelung ange- Gospel zusammen. ubs. schliesslich Werkevon Palestrina. Ihm wiesenen Zuschauer präsentiert –etwa, Zürich, X-tra, 14. 11., 20 h. galt die bedingungslose Liebe des Musi- dass Zypern nicht auf die EU-Rats-Prä- kers und Dirigenten Piergiuseppe Snoz- sidentschaft hingefiebert, sondern «Hin- zi. Um den bewunderten Renaissance- di gefiebert» hat. Oder er muss zur Kindertheater Komponisten selber aufführen zu kön- Kenntnis nehmen, dass das geschriebene nen, gründete er 1972 den A-Cappella- Wort nicht unbedingt zum Verständnis In «1×Himmel und zurück» hadert die Chor Zürich, mit dem er in all den Jah- des Walliser Dialekts beiträgt –wirddas kleine Rosa mit dem Schicksal, denn ren über dreihundert Konzerte gegeben Statement eines Gewerkschafters zum ihr Vater ist seit zwei Jahren tot. Die hat. Nun übergibt Snozzi den Chor aus Stellenabbau bei Lonza doch mit «ein Zürcher Dalang-Puppencompany be- gesundheitlichen Gründen in die Hände wichtiges passiert wirddie Energie sein» gibt sich zusammen mit dem Zeichner seines Nachfolgers Bohdan Shved. wiedergegeben. Kein Live-Bericht, bei Yves Noyau auf eine neue Ebene des dem sich SF nicht fürdie Fehleranfällig- Figurentheaters.Aus der Kombina- Jugend im Tessin keit seiner Untertitelung mit Sprach- tion von live gezeichneten Bildern mit erkennung entschuldigen würde. Elementen des Puppenspiels entste- Piergiuseppe Snozzi wurde 1937 in Aber auch das Treiben des gries- hen lebendige Szenen, die sich den Mendrisio geboren und wuchs in Luino grämigen Fernseharztes in der nach ihm Themen Todund Trauer auf kindliche und Locarno im Schosse einer musik- benannten Serie ergänzen Untertitel um und humorvolle Weise nähern. Für liebenden und religiösgeprägten Gross- interessante Details: So wirddas gedank- Kinder ab sechs Jahren. aks. familie auf.Einer seiner Brüder ist der liche Ringen des Dr.House –umden Zürich, Theater Stadelhofen, 14./17. 11., 14.30 h, bekannte Architekt Luigi Snozzi. «Luigi Entscheid etwa, ob er nun, um einen 18. 11., 11 h. ist der Intellektuelle,Piergiuseppe da- Patienten zu retten, seine Beziehung aufs gegen ein Gefühlsmensch»,erklärt Es- Spiel setzen soll oder ob er doch seiner ther Snozzi, Piergiuseppes Frau. «Bei- Lebensgefährtin die Wahrheit sagt, da- Konzert den gemeinsam ist ein gewisser Puris- füraber möglicherweise seinen Patien- mus –strenge Bauten dort, schnörkel- ten in Gefahr bringt –von «melancholi- Der Dirigent, Komponist und Musik- lose Interpretationen hier.» Snozzis Pa- scher elektronischer Minimalmusik» un- wissenschafter Ernst Hess (1912–1968) lestrina-Begeisterung wurde durch den termalt. Dass der Arbeitsantrittdes Arz- hat fürdas Zürcher Musikleben wich- Musiker und Musikwissenschafter Wal- tes am nächsten Morgen von einer tige Impulse gegeben. Er war Präsi- ter Rüsch geweckt. Dieser hatte 1947 in «schwungvollen Melodie» begleitet dent der Allgemeinen Musikgesell- Locarno den CoroPalestrina gegründet, wird, lässt uns erahnen, dass der gute schaft und ein bekannter Mozart-For- in dem auch Snozzis Vater mitwirkte.So Mann einen zu seiner Zufriedenheit aus- scher.Eine Soiree gedenkt seines kam der junge Piergiuseppe als Klavier- gefallenen Entschluss gefasst hat. 100. Geburtstags mit Werken von schüler zu Rüsch und durfte ihn nach Nicht zuletzt teilt uns der Untertitel Hess und Mozart. azn. einigen Jahren bereits bei der Leitung mit, was gerade in einer anderen Spra- Zürich, Musiksaal im Predigerchor (Predigerplatz 33), des Kirchenchors von Muralto vertre- che gesagt wird. Oder auch nicht. Denn 14. 11., 18.15 h. ten. Snozzis Wunsch, Musiker zu wer- als in einer unsäglichen TV-Sendung ein den, standen die Eltern jedoch skeptisch junger Amerikaner italienischer Her-

gegenüber,und so liess er sich zuerst als DerChorleiter und Musiker Piergiuseppe Snozzi geht in Pension. CHRISTIAN BEUTLER /NZZ kunft mit künstlicher Sonnenbräune Musiktheater Primarlehrer ausbilden. Danach folgte und schwarz glänzendem Haar von ein Musikstudium mit Klavier-und einem Bekannten empfindlich in die Es gibt kein inspirierenderes Ge- Chorleiterausbildung an den Akade- und in St. Katharinental bei Diessenho- meidet scharfe Konturen. Damit unter- Weichteile getroffen wird, bringt er sei- sprächsthema als das Wetter.Der mien von Zürich und Wien. Nach dem fen auf.AnPfingsten findet alljährlich scheidet er sich deutlich von den ton- nen Unmut zwar auf Englisch mit über- Autor und Schauspieler Simon Le- Studium wirkte Snozzi verschiedenen- eine Konzertreise ins nahe Ausland angebenden Ensembles der Alte-Mu- aus deutlichen Worten zum Ausdruck. dermann und der Musiker und Kom- orts als Klavierlehrer und Chorleiter statt. Neben Palestrina stehen auch sik-Szene wie etwa dem Hilliard-En- In der deutschen Übersetzung jedoch ponist Michael Wernli –zusammen und gab gelegentlich Klavierabende. weniger bekannte Komponisten wie semble oder der Cappella Pratensis. wandelt sich der Mann nicht nur zum bilden sie das Duo LedermannWernli – Palestrina gilt zwar bei vielen Musik- Anerio,Soriano,Allegri, Victoria, Gal- Letztgenannte interpretiert in ihrer CD- höflichen, sondern auch zum tapferen landen in ihrem Programm «Wätter- freunden als kanonisierter Komponist, lus oder Cardoso auf den Programmen. Einspielung «VivatLeo» die ausgewähl- Burschen –und versichert mit schmerz- pricht» beim Reden über Regen und als Grossmeister des linearen Kontra- Beim Letztgenannten wirkte Snozzi als ten Vokalwerkeaus der Renaissance verzerrtem Gesicht: «Mir geht’s gut.» Stürme bald bei Krisen und Katastro- punkts,aber seine Musik erklingt auch Pionier und brachte etliche Schweizer mit solistischen Männerstimmen, in ei- phen. Und besingen dann ihreWelt- heute noch selten. Diesem Mankowoll- Erstaufführungen zustande. nem geschärften Tonfall und mit deut- untergangsphantasien. ubs. te Snozzi mit der Gründung des A-Cap- lichen Konturen. Doch Snozzi interes- Zürich, Theater Keller 62, 14.–17. 11., 20 h. pella-Chors Zürich abhelfen. Nachdem Snozzis Stilideal siert sich nicht sehr fürdie historische «Parkett»-Raum sich die Rekrutierung von Sängerinnen Aufführungspraxis. «Mein Stilideal für und Sängern in der Anfangszeit wegen Wenn man den Dirigenten nach seinen Palestrinas Musik»,sagt er, «hat sich in sru. ^ Die Kunstzeitschrift «Parkett» Performance der Konzentration auf ein schmales Vorbildern fragt, überlegt er zuerst lan- den vergangenen vierzig Jahren nicht hat im Zürcher Löwenbräu-Areal einen Repertoireschwierig gestaltet hatte,lief ge.Dann nennt er überraschend Sergiu gewandelt.» Waseranstrebt, ist eine ge- Projektraum unter der Leitung von Wieviele Stunden am Taginvestiert sie seit den achtziger Jahren besser. Celibidache,der als Chef der Münchner fühlte «Richtigkeit» jenseits der histori- Theres Abbt eröffnet. Die erste Ausstel- ein wildes Tier in die Beschaffung sei- Heute zählt der Chor 25 Mitglieder; es Philharmoniker mit seinen Brahms- und schen Kategorien. Er hat die Vision lung präsentiert 40 Editionen, die seit nes Lebensunterhalts? Kann es ein sind Amateurmusiker mit einer soliden Bruckner-Interpretationen berühmt ge- eines Musizierens,das bei den Zuhörern 1984 fürdie Zeitschrift geschaffen wur- Theater der Tieregeben? Und, falls musikalischen Grundlage.Von Anfang worden ist. WasSnozzi an Celibidache die Erfahrung von Zeitlosigkeit und den. DasProgramm des «Parkett»-Rau- ja, wie sähe es aus? Mit der Perfor- an war auch Esther Snozzi, die Violine bewunderte,waren dessen langsame Transzendenz auslöst. Dazu gehört auch mes wirdWechselausstellungen mit the- mance «Wild Thing» versucht die Ar- und Gesang studiert hatte,amErfolg Tempi und der meditative Zugang zur die Spiritualitätdes Raums,indem die matischen Schwerpunkten sowie Pro- gentinierin Laura Kalauz in der Gess- des Chors beteiligt, erledigt sie doch die Musik. Damit beschreibt Snozzi auch Musik erklingt. DasGrossmünster,wo jekte,Anlässe und Künstlergespräche nerallee unsereKonzeption von administrativen Belange und sorgt für seinen eigenen Interpretationsstil. Er Snozzi sein Abschiedskonzert leitet, umfassen. Permanent zugänglich sind Menschlichkeit zu hinterfragen. Be- die Stimmbildung.Neben dem Heimat- lässt die horizontalen Melodielinien frei verfügt über diese Voraussetzung. alle «Parkett»-Bände. griffspaarewie animalisch-human, ort Zürich trittder Chor regelmässig in fliessen, wählt bedächtige Tempi, betont Kultur-Natur,zivilisiert-primitiv wer- Basel, Bern, Olten, Kappel am Albis das Flächig-Weite der Musik und ver- Zürich, Grossmünster,18. November,16.30 Uhr. Zürich, «Parkett»-Raum (Limmatstr.268), bis 19. 1. 13. den dekonstruiert –solange,bis sich die Dichotomien auflösen. aks. Zürich, Gessnerallee, 14.–17. 11., 20 h; 18. 11., 18 h. Aus Hunderten von Kehlen Landesmuseum im X-tra Wasdem Reichtum in der Schweiz zu- grunde liegt, lotet eine anschaulich Pascal Münger ^ Dass die britische ben liefert Mark Richardson mit seinem Dementsprechend begehrt sind ihre mittlerweile fünf Alben umfassenden und facettenreich inszenierte Ausstel- Rockgruppe Skunk Anansie eine her- Schlagzeugspiel die nötige rhythmische Konzerte.Auch das X-trawar am Mon- Diskografie klingen live wie aus einem lung im Schweizerischen Landesmu- vorragende Live-Band ist, liegt an zwei Energie.Esgibt in der Rockszene viel tagabend restlos ausverkauft. In diesem Guss. «ICan Dream» und «Weak» vom seum anhand der historischen Wirt- Personen: an der 45-jährigen Sängerin zu selten Schlagzeuger,die es alleine mit Sinne macht Skunk Anansie eben alles Debütalbum «Paranoid And Sunburnt» schaftswunder von Venedig und Deborah Anne Dyer alias und am ihrem Drumming schaffen, Liedern Ei- richtig: In Zeiten der Internetpiraterie (1995) reihten sich nahtlos an Stücke Amsterdam aus.Blickt man in der Schlagzeuger Mark Richardson. genständigkeit zu verleihen. verkauft eine mittelgrosse Band be- wie «IBelieved In You» vom brand- Ausstellung unter dem Titel «Kapital» Skin ist der Wirbelwind der Band. Richardson ist fürSkunk Anansie kanntlich kaum noch genügend CD,um neuen Werk «Black Traffic». über den goldenen Tellerrand der Sie hüpft über die Bühne,schreit ins deshalb Gold wert. Die Band konnte zu überleben; sie ist auf gutbesuchte Diese Konstanz macht die Skunk- Schweiz hinaus,sostösst man nämlich Mikrofon und kümmert sich immer wie- seit ihrem internationalen Hit «Hedo- Konzerte angewiesen. Anansie-Show zwar nur ansatzweise anderswo auf zahlreiche Ingredien- der um die Fans,indem sie vom Büh- nism (Just Because YouFeel Good)» Gut, dass das Publikum – überwie- dynamisch, dafürbleibt der Energie- zen, die auch fürden hiesigen Wohl- nenrand aus Hände abklatscht oder ein- aus dem Jahre1997 zwar nie wieder gend zwischen 20 und 40 Jahrealt –auch pegel über neunzig Minuten lang in stand entscheidend sind. phi. fach einmal in die Menge springt. Das ähnliche Erfolge im Mainstream ver- in Zürich nach der puren Rock-Energie schwindelerregenden Höhen. Und ge- Zürich, Landesmuseum, bis 17. 2. 2013. Publikum revanchiert sich, indem es buchen. Nicht zuletzt dank rhythmi- lechzt, die Skunk Anansie zu bieten hat. nau deswegen mögen Massen ja noch jedes neue Lied mit lauten Rufen be- scher Präzision aber etablierte sie sich Denn über eine Stereoanlage kommen immer die Live-Konzerte dieser briti- grüsst. Und die hymnischen Refrains bis zur vorübergehenden Auflösung im die Grooves und Riffs der Band niemals schen Rockband. www.nzz.ch/nachrichten/kultur werden stets aus Hunderten von Kehlen Jahr 2001 und nach der Wiedervereini- so druckvoll aus den Boxen wie bei mitgesungen. –Zudiesem wilden Trei- gung im Jahr 2009 als Live-Formation. einem Live-Auftritt. Die Lieder aus der Zürich, X-tra, 12. November.