Fokus

IMMER EIN GUTES ZUHAUSE

Wie können die Bedingungen für Nachwuchsspieler weiter verbessert werden? Erstmals gab es nun ein Unterstützungsprojekt, um die Unterbringung der Profis von morgen in den Leistungszentren der Clubs zu optimieren.

Text: Patrick Eckholt

AUFENTHALT Unter den Bildern von früheren Profis des VfL Wolfsburg sitzen Nachwuchsspieler im Internat des Clubs zusammen.

30 MAGAZIN 10 • 2 0 1 6 AUF ENGEM Raum begann seine Karriere. Damals war er in einem klei- nen Zimmer bei Borussia Mönchen- gladbach untergebracht, heute drib- belt er in den Stadien der Bundesliga. „Es war eine schöne Zeit im Inter- nat“, sagt der mittlerweile 25-jährige Patrick Herrmann, der zu einem ge- standenen Bundesliga-Spieler gereift ist. „Vor allem die Herzlichkeit, die man hier von den Internatseltern er- fahren hat, haben einem sehr gehol- fen, schon so früh von zu Hause weg zu sein.“ Viele weitere Kollegen aus der Bundesliga und 2. Bundesliga TRÄUME Patrick Herrmann als Nachwuchsspieler von Borussia Mönchengladbach: haben in dieser oder ähnlicher Form Er hat den Sprung vom Internat in die Bundesliga geschafft. bei ihren Clubs gewohnt. Prominente Beispiele sind auch die Weltmeister und Thomas Müller vom FC Bayern München sowie Marcel Schmelzer von Borussia zehn Clubs der 3. Liga und Regional- ist einzig und allein die Verbesserung Dortmund. ligen (zusammen 315 Talente) analy- im jeweiligen Bereich der Unterbrin- Nicht ausschließlich Internate, son- siert, so dass insgesamt 40 Clubs mit gungsmöglichkeit. dern auch Gastfamilien oder andere 865 untergebrachten Spielern an der In der Ostkurve des Weser-Stadions Einrichtungen, wie beispielsweise Kol- Auditierung teilgenommen haben. beim SV Werder Bremen sind aktuell pinghäuser, eignen sich als Unterkunft Die Unterstützung und Weiterent- 19 Nachwuchsspieler im Wilhelm-­ für junge Nachwuchsfußballer.­ Wäh- wicklung wurde im Rahmen eines Ta- Scharnow-Internat untergebracht. Es rend der Saison 2015/16 wurde im gesbesuchs durch objektive Hinweise gibt Einzel- und Doppelzimmer, dazu Rahmen einer Auditierung/Zertifizie- unabhängiger Fachleute der DQS einen ­gemeinsamen Küchen- und rung erstmals ein Unterstützungs- GmbH betreut. Mit Hilfe des Audit-­ Wohnbereich mit Fernseher, Konso- projekt bezüglich der „Unterbrin- Strukturplans wurden beispielsweise len, ­Computern, Billardtisch und ei- gung von Nachwuchsspielern in den strukturelle Bedingungen wie die ner Tischtennisplatte. Neben diesen Leistungszentren“ durchgeführt. Als Wohnkonzepte in Einzel- und Dop- Freizeitmöglichkeiten müssen sie aber Ergänzung zu den bisherigen Zertifi- pelzimmern im Internat, die sportli- auch Pflichten nachkommen. „Das Le- zierungen und der stetigen Weiter­ che, pädagogische und psychologische­ ben in der Gemeinschaft – gerade im entwicklung der Nachwuchsleistungs- Betreuung sowie die Kommunikation Zusammenleben von jungen Menschen zentren soll das Projekt den Anreiz zwischen den Eltern und der Schule – funktioniert nur, wenn sich auch alle schaffen, speziell die Bedingungen der bewertet. Ergänzt wurde das Projekt in diese Gemeinschaft einbringen und Unterbringung der Talente zu professi- durch eine Analyse der Qualifikation Rücksicht aufeinander nehmen“, sagt onalisieren. Die dadurch angestrebte der Mitarbeiter des Nachwuchsleis- Björn Schierenbeck, Direktor des Leis- Qualitätssicherung, Prozessoptimie- tungszentrums und die Bewertung der tungszentrums in Bremen. „Dazu ge- rung und Risikoabsicherung soll den qualitativen Umsetzung der schuli- hört es natürlich auch, sich an gewisse Talenten die bestmögliche Unterbrin- schen Verknüpfung – orientiert an Regeln zu halten und Aufgaben sowie gung bieten – die in der Regel erst ab den Anforderungen der DFL. Verantwortung zu übernehmen.“ der Altersklasse U16 erlaubt ist. Um Nachhaltigkeit zu erzielen, Doch auch das Leben in den Gast- Gemeinsam haben die DFL Deut- dient der definierte Standard ebenso familien hat sich als erfolgreiches Mo- sche Fußball Liga und der Deutsche zur internen Verwendung wie bei- dell etabliert. Fußball-Bund (DFB) das Projekt initi- spielsweise als Einschätzung gegen- vermittelt die Nachwuchsspieler (ak- iert. In Kooperation mit der Deut- über Eltern. Hierbei geht es jedoch tuell 19) beispielsweise ausschließlich schen Gesellschaft zur Zertifizierung nicht zusätzlich um eine Vergabe von an die insgesamt neun Gastfamilien in von Managementsystemen (DQS Sternen als Zeichen besonders guter Einer- bis Dreierkonstellationen. GmbH) wurden 17 Clubs der Bun- Arbeit wie bei der allgemeinen Zertifi- Gonzalo Castro, der mittlerweile für desliga, die aktuell insgesamt 313 Ta- zierung der 54 Nachwuchsleistungs- aufläuft, hat lente unterbringen, und 13 Vereine zentren mit aktuell 8.650 geförderten während seiner Zeit in Leverkusen in der 2. Bundesliga (237 Talente) unter Talenten insgesamt oder gar um einen einer Gastfamilie gelebt, ebenso wei- die Lupe genommen. Zudem wurden Wettbewerb unter den Clubs. Ziel tere Profis, die in der Bundesliga Kar-

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KONZEPT Auch im Jugendhaus von Borussia Dortmund wird alles dafür getan, um die optimale Betreuung der Nach- wuchsspieler sicherzustellen. Dazu zählt auch die richtige Verpflegung. BVB-Nachwuchstrainer Sercan Engin erklärt, wie das funktioniert.

AUSGLEICH Aufenthaltsbereiche für die Nachwuchsspieler wie hier im Internat des 1. FSV Mainz 05 gehören zum festen Bestandteil der Leistungszentren. riere gemacht haben: René Adler (Hamburger SV), Fabian Giefer (FC Schalke 04), Dominik Kohr (FC Augsburg) und Levin Öztunali (1. FSV Mainz 05). Sie alle lebten in einem entscheidenden Entwicklungs- abschnitt zwischen 16 und 19 Jahren in Leverkusen in solchen privaten Un- terkünften. Aktuell sind mit Tomasz gen Talenten muss daher eine unter deststandards, der ebenso die Mög- Kucz aus Polen und Andrejs Ciganiks pädagogischen Gesichtspunkten sinn- lichkeit der Optimierung mit sich aus Lettland auch zwei ausländische volle Betreuung und Unterbringung bringen soll, um einen Mehrwert für Spieler in Gastfamilien eingegliedert. vorhanden sein. Dazu gehört auch die Clubs bewirken zu können. „Die Beide streben, ohne Deutschkenntnis- die funktionierende Kooperation zwi- Auditierung im Leistungszentrum hat se aus ihrer Heimat gekommen, mitt- schen Schule und Club, die zum einen maßgeblich zur Qualitätssteigerung lerweile einen deutschen Schulab- zusätzliche Trainingseinheiten im unseres Internats beigetragen“, beur- schluss an – dies spricht für die Rahmen des Schulunterrichts vorsieht teilt Björn Schierenbeck das Projekt gelebte Integration in den Familien. aus Sicht der Bremer. Und auch in „Der Wohlfühlfaktor, die familiäre ­Leverkusen hat die Zertifizierung Nähe und die Unterstützung in allen »Die Auditierung im nach Ansicht von Frank Ditgens wert- Lebensbereichen auch außerhalb des Leistungszentrum hat volle Erkenntnisse geliefert: „Der ob- Fußballs sind bei uns Kernelemente maßgeblich zur Qualitäts­ jektive Blick von außen hat die Chan- des Gastfamilienkonzepts“, sagt Frank ce auf eine höhere rechtliche Sicherheit Ditgens, pädagogischer Leiter bei steigerung unseres und das Erkennen von Erweiterungs- Bayer 04 Leverkusen. „Hinzu kommt ­Internats beigetragen.« beziehungsweise Ergänzungspotenzi- ein gewachsenes Team von Gast­ Björn Schierenbeck, Direktor Leistungszentrum alen geboten.“ Wichtig ist, dass die familien mit viel Erfahrung und Ein­ SV Werder Bremen Anmerkungen der Zertifizierung auch fühlungsvermögen für die besondere umgesetzt werden. ­Situation der Spieler fernab von zu und zum anderen die sportliche Bean- Noch träumen die Talente in den Hause in einer Spannungssituation spruchung mit den schulischen Anfor- Zimmern der Internate und Gastfa- zwischen sportlicher und schulischer derungen verknüpfen soll. Ein Bei- milien davon, eines Tages in der Karriere.“ spiel dafür ist die mindestens dreimal Bundesliga auflaufen zu dürfen. Ein Grund dafür, sich bei einem in der Woche stattfindende Hausauf- Doch wer weiß? Womöglich wohnt Spieler für die Unterbringung außer- gabenhilfe, um die Spieler auch ab- im Internat von Borussia Mönchen- halb des Elternhauses zu entscheiden, seits des Platzes intensiv zu fördern. gladbach schon das nächste „Foh- ist neben der sportlichen Herausfor- Bei der erfolgreich durchgeführten len“-Talent, das zukünftig in die derung auch die geografische Entfer- Premiere des Projekts ging es um die Fußstapfen von Patrick Herrmann nung zu dessen Heimat. Bei auswärti- Ermittlung und Schaffung eines Min- treten könnte.

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