von Frédéric Loew Der Zwischenfall von Mamasapano

Der Autor ist Herausforderung für den philippinischen Friedensprozess Programm-Assis- tent beim Forum Ziviler Frie- Seit mehr als 45 Jahren kämpfen muslimische Gue- ippinischen Staates träumen die Jihadisten von einem densdienst in rillagruppen auf der Insel für kulturelle eigenständigen Kalifat in Südostasien. Am 25. Januar Mindanao und und politische Selbstbestimmung. Der Konlikt hat brachen Spezialeinheiten der philippinischen Polizei schreibt regel- mindestens 150.000 Todesopfer gefordert und Mil- in den kleinen Ort Mamasapano in Zentralmindanao mäßig Beiträge lionen Menschen zur Flucht gezwungen. Nachdem auf, wo die beiden Islamisten Unterschlupf gefunden für die Seite frie- vorherige Verhandlungen scheiterten, gibt es seit hatten. Doch die geplante Festnahme verlief alles den-sicher.de der Deutschen 2009 wieder Hoffnung auf eine friedliche Beile- andere als glatt. Nachdem die Sicherheitskräfte Mar- Gesellschaft für gung des Bürgerkriegs, als die größte muslimische wan erschossen hatten und Usman entkommen war, die Vereinten Rebellengruppe, die Moro Islamic Liberation Front kam es zu einem Feuergefecht zwischen der Polizei Nationen. MILF, sich erneut mit der Regierung zu Friedens- und Angehörigen verschiedener Rebellengruppen. gesprächen traf. Die Konliktparteien konnten sich Daran beteiligt waren sowohl Einheiten der MILF als 2012 auf das Bangsamoro Framework Agreement auch der Bangsamoro Islamic Freedom Fighters BIFF, einigen, ein Rahmendokument zu einer Autono- einer weiteren radikalen Organisation, die sich aus mielösung, das 2014 mit einem Friedensabkom- Protest gegen die Friedensverhandlungen 2008 von men besiegelt wurde. Wie fragil der Friedenspro- der MILF abgespalten hatte. Die Auseinandersetzun- zess jedoch ist, wurde Anfang des Jahres deutlich. gen waren die ersten Kämpfe zwischen MILF und Regierungstruppen seit Unterzeichnung des Bangsa- Die Verhaftung der international gesuchten Isla- moro Framework Agreements. Während der Kampf- misten Zulkili Abdhir (besser bekannt als Marwan) handlungen starben außer Marwan 67 weitere Men- ›Leckerer‹ ist Frieden zwi- und Abdul Basit Usman endete in einem Desaster schen, davon 44 Polizisten, 17 Mitglieder der MILF schen Christin- und bedroht nun den Friedensprozess auf Mind- und fünf Zivilisten. nen, Muslimen anao. Die beiden Männer werden der radikalislami- und der indige- schen Gruppe zugerechnet, einer nen Bevölkerung Gruppe, die militanten Splittergruppen nahesteht, Wilde Spekulationen und ungeklärte Fragen schon … (Davao City, Mai 2015) die den Friedensprozess bekämpfen, da ihnen die Foto: dort ausgehandelten Kompromisse nicht weit genug Unmittelbar nach den Geschehnissen in Mamasa- Niklas Reese gehen. Statt einer Teilautonomie innerhalb des phil- pano wurde sehr schnell deutlich, welche Spreng- kraft der Vorfall für den Friedensprozess besitzt. Die bereits vorhandene Skepsis großer Teile der philip- pinischen Gesellschaft gegenüber den Verhandlun- gen schlug in offene Ablehnung um. Die Konfronta- tion wurde als eindeutiger Beleg dafür gewertet, dass man Muslimen nicht trauen könne und deswegen ein Frieden nicht realistisch sei. Diese Annahmen spei- sen sich aus einem gewachsenen historischen Miss- trauen. Erst dem amerikanischen Kolonialregime gelang es Anfang des 20. Jahrhunderts, auch Mind- anao gewaltsam in die Philippinen einzugliedern – und somit dem wirtschaftlichen und politischen Zen- trum Manila zu unterwerfen. Während man im Süden der Philippinen öfters mal den Ausdruck »Imperial Manila« hört, gilt zahlreichen Filipin@s aus dem Nor- den der Süden als unzivilisiert und barbarisch. Der jahrhundertelange Kampf der Moros gegen das spa- nische und dann amerikanische Kolonialregime wird von den christlichen Mehrheitsilipin@s nicht als anti-kolonialer Widerstand wahrgenommen, sondern als Beleg dafür, dass Muslime über eine gewalttätige Natur verfügen. Deswegen sei die einzige Sprache, die Muslime verstünden, die Sprache der Gewalt. Diese These wurde in Folge des Mamasapano-Vor- falls auch von dem derzeitigen Bürgermeister Mani- las und ehemaligen Präsidenten Joseph Estrada

58 > Philippinen > Der Zwischenfall von Mamasapano südostasien ‹ 2/2015 öffentlich vertreten. Gegenüber dem Philippine Star sagte Estrada, der für seine kompromisslose Haltung gegenüber der MILF bekannt ist, unmittelbar nach dem Zwischenfall: »Die einzige Lösung dort ist ein Krieg (all-out war). Während meiner Zeit als Präsident gab es mit der MILF Friedensgespräche, Waffenstill- stand, Friedensgespräche, Waffenstillstand. Aber was ist passiert, sie richten in Mindanao weiter Zerstörung an. Die MILF ist bereits 40 Jahre alt und dies wird nie enden« (The Philippine Star, 28.1.2015). Zu dieser einseitigen Wahrnehmung hat sicher- lich auch die emotionale und unausgeglichene Berichterstattung der Medien beigetragen. Abgese- hen davon, dass viele Vorurteile unkritisch weiter- verbreitet wurden, ielen fast alle Berichte zu Guns- ten der 44 gefallenen Polizisten aus. Sie wurden zu ›Helden‹ stilisiert, während aus den Moro-Kämpfern ›Kriminelle‹ wurden. Neben der einseitigen Berichterstattung betei- ligten sich die Medien außerdem zu einem frühen Zeitpunkt, als die genauen Umstände noch voll- kommen im Dunkeln lagen, an wilden Spekulatio- nen über den Hergang der Ereignisse. Viele Fragen Lösung des sogenannten Bangsamoro-Konlikts ver- AktivistInnen der sind auch bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht zweifels- schlechtert zu haben. Bereits einen Tag nach der orthodoxen Lin- frei geklärt, etwa die, warum die Polizei ihr Vorge- Schießerei zogen einige Senatoren ihre Unterstüt- ken fordern den Rücktritt des Prä- hen weder mit der MILF noch mit der Armee koor- zung für das Bangsamoro Basic Law BBL, die Geset- sidenten – und diniert hat. Eine Absprache mit der MILF wäre dem zesgrundlage für eine neue muslimische Autonomie- wittern die USA Friedensvertrag zufolge erforderlich gewesen, um region, zurück. Damit fehlt dem Gesetzesentwurf hinter dem Vor- Missverständnisse zu verhindern. Eine Koordination gegenwärtig eine Mehrheit im Senat. Verschiedene fall. Foto: zwischen Polizei und Armee hätte zudem vermut- Kommissionen wurden eingesetzt, von denen einige bulutat.com lich Schlimmeres verhindern können. Die MILF hin- bereits ihre Ergebnisse präsentiert haben. Allerdings gegen wird dafür kritisiert, dass sie sich im Kampf gibt es dabei ähnlich viele Einschätzungen wie Kom- gegen die Sicherheitskräfte mit Kämpfern der BIFF missionen. Die Polizei, die MILF, das Justizministe- zusammengetan hatte. Auch wenn es sich dabei eher rium, die internationale Beobachterkommission für um einen ›Pintakasi‹, also eine spontane Koopera- den Friedensprozess, der Senat, der Kongress und tion getreu dem Motto »der Feind meines Feindes ist die Regierung haben jeweils eigene Untersuchungs- mein Freund« handelte, wirft dies ein Schlaglicht auf ergebnisse veröffentlicht. So kommen die MILF und familiäre und lokale Verbindungen beider Gruppen. das Justizministerium in ihren Berichten zu unter- Kritiker/ innen der MILF sehen darin einen Beweis, schiedlichen Ergebnissen. Während das Ministe- dass die MILF nicht ernsthaft um Frieden bemüht sei. rium plant, 90 MILF-KämpferInnen wegen Mordes Damit zusammen hängt auch die Frage, wie es mög- anzuklagen, weist die Guerillaorganisation diesen lich war, dass international gesuchte Bombenbauer Vorwurf zurück, da sie in dem Polizeieinsatz einen scheinbar unbehelligt in den von ihnen kontrollierten Verstoß gegen das existierende Waffenstillstands- Gebieten agieren konnten. Als sicher gilt die Betei- abkommen sieht und die Kampfhandlung somit als ligung der USA an der Operation. Allerdings lässt legitim betrachtet. Die Menschenrechtskommission sich die Supermacht im Antiterror-Kampf ungern in Commission for Human Rights wiederum kritisiert die Karten schauen, weswegen deren Rolle wohl nie die Verwendung des Wortes Massaker im Bericht des eindeutig geklärt werden wird. Genauso wenig wie Untersuchungsausschusses des Senats und wirft dem die Frage, welche Rolle das hohe Kopfgeld, das auf Ausschuss mangelndes Verständnis für den Friedens- Usman und Marwan ausgesetzt war, dabei spielte, prozesses sowie übertriebene Emotionalität vor. die Operation durchzuführen. Mittlerweile sind die Anhörungen zum BBL zwar wieder aufgenommen worden; jedoch ist es ange- sichts der Verzögerungen offen, ob das Autono- Politische Konsequenzen miegesetz noch während der Amtszeit von Präsi- dent Aquino verabschiedet werden kann. Das BBL Die öffentliche Diskussion um Mamasapano und ist zwar nur ein Bestandteil des Friedensprozesses, den Friedensprozess beschäftigt seitdem auch die besitzt aber eine besondere Bedeutung, vor allem Politik und scheint die Chancen auf eine politische für die Muslime. Das Gesetz gibt ihnen die rechtli- südostasien › 2/2015 Der Zwischenfall von Mamasapano < Philippinen < 59 che Absicherung für die Zeit nach dem Bürgerkrieg. zwischen ChristInnen und Muslimen höchste Priori- Nach dem Zeitplan des Friedensprozess stünde jetzt tät, was auch mit seiner eigenen Familiengeschichte eigentlich die schrittweise Entwaffnung der MILF an. zusammenhängt. Corazon Aquino, erste Präsidentin Gibt die Gruppe allerdings ihre Waffen ab, ohne der jungen philippinischen Republik und Mutter des dass der gemeinsam erarbeitete Gesetzesentwurf aktuellen Präsidenten, hatte sich bereits vor knapp verabschiedet wird, könnte sie am Ende ohne alles 20 Jahren für Friedensverhandlungen mit den Mus- dastehen. limen eingesetzt. Offen bleibt, ob Benigno Aquinos Auch wenn die genauen Hintergründe zu der politisches Kapital angesichts seiner Rolle in der Pla- Schießerei in Mamasapano nicht abschließend nung und Aufarbeitung der Mamasapano-Operation geklärt sind und die Meinungen darüber teilweise ausreicht, um dieses Familienprojekt zum Abschluss deutlich auseinander gehen, betrachten Regierung zu bringen. Auch die MILF hat ihrerseits deutlich wie MILF die BIFF als lästiges Hindernis im Friedens- gemacht, dass sie nach wie vor zu dem Friedenspro- prozess, dessen man sich gerne entledigen würde. zess steht und nicht wieder zu den Waffen greifen Kurz nach den Geschehnissen in Mamasapano star- will. Sollten die Verhandlungen scheitern, will die tete das philippinische Militär eine Großoffensive Gruppe ihren Kampf gewaltlos vor den Vereinten gegen die BIFF, was von vielen wohlwollend auf- Nationen fortsetzen. genommen wurde. Regierung und Armee konnten Nach einer aktuellen Umfrage von Pulse Asia ein entschlossenes Vorgehen demonstrieren und den befürworten nur 20 Prozent der Filipin@s die Verab- Eindruck vermitteln, dass sie alles tun, um die für schiedung des BBL in seiner jetzigen Form, wohinge- den Tod der Polizisten Verantwortlichen zur Rechen- gen doppelt so viele den Gesetzesentwurf ablehnen. schaft ziehen. Das beruhigte zumindest vorüber- Dass 40 Prozent der Befragten unentschieden sind, gehend die Hardliner im Land, die sich bereits für deutet darauf hin, dass große Teile der Bevölkerung ein Ende der Friedensverhandlungen mit der MILF wenig über den Friedensprozess, Mindanao und und eine Rückkehr zu einer ›militärischen Lösung‹ die Muslime im eigenen Land wissen. Die öffentli- ausgesprochen hatten. Die MILF wiederum hat die che Diskussion wird vielmehr von Vorurteilen, Wut Offensive unterstützt und die Chance wahrgenom- sowie Rachegefühlen beherrscht. men, sich so als die ›guten Muslime‹ zu präsentie- Eine Chance besteht jedoch in dem gestiege- ren. Ein willkommener Nebeneffekt wird wohl auch nen öffentlichen Interesse am Friedensprozess. Die die Schwächung der radikaleren Konkurrenz gewe- anti-muslimischen Einstellungen, die seit Jahrzehn- sen sein. Dass es zudem die MILF war, die Anfang ten unterschwellig die Bemühungen um Frieden Mai schließlich Usman zur Strecke brachte, wird ihr behindern, wurden nach dem Kampf in Mamasa- vom politischen Establishment als Zeichen des guten pano klar zum Ausdruck gebracht. Dies bietet vor Willens hoch angerechnet. allem der Zivilgesellschaft Ansatzpunkte, um beste- Ob dieses Vorgehen eine langfristige politische hende Vorurteile und Ressentiments zu adressieren. Lösung des Konlikts in Mindanao begünstigt, ist Kirchliche Gruppen und Friedensinitiativen werben allerdings fraglich. Bei den Auseinandersetzungen bereits seit langem für mehr gegenseitiges Verständ- seit Anfang des Jahres sind nach Schätzungen der nis und eine Fortführung des Friedensprozesses, fan- Vereinten Nationen mehr als 120.000 Menschen ver- den dafür oft aber wenig Gehör. Um der Offensive trieben worden. Das polarisiert und spielt wiederum des Militärs etwas entgegenzusetzen, organisierten der BIFF in die Hände, die den Friedensprozess als zivilgesellschaftliche Gruppen Anfang März einen gescheitert betrachtet. Die Großoffensive könnte die- großen Friedenstag, der in vielen Städten auf den ses Bild bei manchen Muslimen bestätigt haben und Philippinen begangen wurde. Bereits im Vorfeld sind Unzufriedene in die Arme der Radikalen treiben. einige Organisationen zu eigenen Missionen nach Mamasapano aufgebrochen, um die betroffenen Menschen vor Ort über ihre Erfahrungen zu befra- Perspektiven für den Friedensprozess gen und so einen Beitrag zu einer ausgeglichenen Debatte zu leisten. Letztendlich ist es genau das, Wie die Situation sich jetzt weiterentwickelt, bleibt wessen es bedarf, um den Konlikt langfristig bei- abzuwarten. Auch wenn der Friedensprozess einen zulegen: Gegenseitiger Respekt und Verständnis für starken Dämpfer erhalten hat, ist den meisten direkt die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Konlikt. Beteiligten klar, dass es keine Alternative zu Frie- Sollte es gelingen, die öffentliche Meinung dahinge- den gibt. Präsident Benigno Aquino engagiert sich hend zu beeinlussen, wäre dies bereits ein großer trotz aller Widerstände nach wie vor für ein Ende der Schritt in Richtung eines nachhaltigen Frieden in den Gewalt in Mindanao. Für ihn hat die Aussöhnung südlichen Philippinen.

60 > Philippinen > Der Zwischenfall von Mamasapano südostasien ‹ 2/2015