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o ie ews nr. 63 3 4 2001 zeitung für den nstudiofilm im arthouse alba • arthouse commercio • • v / / marthouse movie 1+2 • arthouse nord-süd • arthouse le paris • arthouse piccadilly • morgental • riff raff • uto

derder neueneue filmfilm vonvon mitmit undund thethe man man whowho cried cried VORpremieren:lunch-kino im arthouse montag-freitag (ohne sa/so) 12.15 uhr le paris

Sally Potter ist eine der faszinierendsten Filmemacherinnen unserer zuspitzenden Umfeld. Der Krieg wird dabei zum lebensbestimmenden Zeit. Ihre Filme «Orlando» und «Tango Lesson» haben es innert Kürze Verhängnis, das Suzy erst vom Vater, später von ihrem Geliebten, vom Geheimtipp auf die internationalen Hitlisten geschafft, wo als- dem Zigeuner César, trennt. Opern-Arien und Zigeunermelodien kom- bald auch THE MAN WHO CRIED erscheinen dürfte. Potters neuster mentieren die Ereignisse und vermitteln Einblick in die Seelen der Film überzeugt durch eine so sensible wie ergreifende Geschichte. Protagonisten. Diese sind mit Christina Ricci, Johnny Depp, Cate Blan- Diese folgt dem Lebensweg des chett, John Turturro und Harry Dean jüdischen Mädchens Fegele, welches Stanton hochkarätig besetzt. THE MAN kurz vor dem ersten Weltkrieg in Russ- WHO CRIED wühlt auf, berührt und land seine Familie und in Folge davon tröstet. Dies ganz im Sinne Sally Pot- seine Stimme verliert. Fegele wird zu ters, die meint: «Ich hoffe, dieser Film Pflegeeltern nach England gebracht kann Stimme für diejenigen sein, die und fortan Suzy genannt. Sie kommt zur Stille verdammt wurden (und noch als junge Frau nach Paris. Sie entdeckt immer werden). Der Film soll um die das Wunder des Gesangs und die Lie- Verschwundenen trauern und voller be, entkommt aber nicht ihrer Sehn- Freude die Überlebenden feiern.» sucht nach der Heimat: THE MAN WHO Regie: Sally Potter. Mit: Christina Ricci, CRIED entwickelt sich sorgfältig einge- , Johnny Depp, John Turturro, bettet in einem sich dramatisch Harry Dean Stanton. Verleih: Frenetic Films. bread and roses

Gibt es einen Filmregisseur, der seiner Überzeugung treuer ist als Ken Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So auch Maya, die zum Auftakt Loach? Film um Film erzählt der Brite mit viel Gerechtigkeitssinn und von BREAD AND ROSES von zwei «Coyotes» geführt über die Grenze Wissen um gesellschaftliche Bedingtheiten, aufrüttelnde Geschichten von Mexiko nach L.A. kommt. Ihre Schwester Rosa hat ihr einen Job um Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume. Seine Helden sind Arbeiter besorgt, doch Maya mag die Arbeit an der Bar nicht. Lieber geht sie und Arbeitslose, Busfahrer, Deserteure und einfache Mädchen. Dies putzen. Und gehört damit zur riesigen Masse schlechtest bezahlter, selbst dann, wenn Loach fern der Hei- nicht versicherter Heinzelmännchen, die mat dreht wie in «Carla’s Song» und L.A.s Banken und Prunkbauten über «Land and Freedom». Oder wie in Nacht blitzblank putzen. «Die Putz-Uni- BREAD AND ROSES, der in Los Angeles formen machen uns unsichtbar», heisst spielt – und von dem Loach sagt, es in BREAD AND ROSES; Ken Loach er habe vor allem versucht, die Stadt aber will, dass man sieht. Steckt seine der Engel aus einer Sicht zu filmen, Protagonisten in rote T-Shirts. Lässt die das Mainstream-Kino nicht kennt. Liebe passieren. Und plädoyiert ein- Loachs Los Angeles ist dasjenige der dringlich und herzzerreissend für mehr spanisch sprechenden Immigranten, der Humanität und Gerechtigkeit. Menschen aus Puerto Rica, Honduras, Regie: Ken Loach. Mit: Pilar Padilla, Adrien El Salvador, Nicaragua, Equador. Viele Brody, Elpidia Carrillo. Verleih: Filmcoope- unter ihnen weilen ohne Papiere im rative Zürich. quills

Donatien-Alphonse-François de Sade, geboren 1740 in Paris, gestorben tasie nicht einfach unterdrücken lässt. Also gibt er dem Marquis Feder 1814 ebenda: Für die einen war er einer der ersten grossen freien und Papier, engagiert ihn im Anstalts-internen Theater. Doch Coulmier Denker – für andere ein Ketzer, Krimineller und Perversling. Ein Kran- hat die Rechnung weder mit der jungen Wäscherin Madeline noch mit ker, dessen Gedanken und Schriften vom Volke fernzuhalten sind. der verführerischen Macht von de Sades Worten gemacht: Fakten und Das meint auch Kaiser Napoleon, der in QUILLS in einem kurzen, aber Fiktion frei mischend, entwirft Philip Kaufman in QUILLS ein fes- effektvollen Auftritt de Sades Schriften selndes historisches Porträt. Er erweist verbieten und verbrennen lässt und sich dabei wie in «Henry & June» und dem Marquis mit dem Tode droht, falls der «Unerträglichen Leichtigkeit des dieser – und seis unter «Anonyma», wie Seins» als Meister sublimer Erzähl- die eben erschienene «Justine» – noch- kunst. Macht QUILLS, zwischen Gottes- mals etwas publiziere. De Sade – Geof- furcht, Brutalität und Sinnlichkeit frey Rush at his very best! – kümmert balancierend, zum betörenden Kino- das wenig. Er verbringt seine letzten erlebnis. Kein Wunder, hat die ameri- Jahre unter Obhut von Abbé Coulmier in kanische Filmkritik seinen Film zum der Irrenanstalt Charenton und lebt wie «best picture of the year» gewählt. ein Fürst. Coulmier nämlich denkt so Regie: Philip Kaufman. Mit: Geoffrey Rush, gottesfürchtig wie progressiv und er Kate Winslet, Joaquin Phoenix, Michael ahnt, dass sich de Sades rasende Fan- Caine. Verleih: 20th Century Fox. nationale 7

«Voglio una donna!» – «Ich will eine Frau»: Seit der irre Nonno in Sex. Um sich als Mann zu fühlen. Um dem Leben im Rollstuhl Federico Fellinis «Amarcord» auf den Baum stieg und seine Sehn- und Heim noch ein wenig Freude abzugewinnen. Julie fasst sich sucht in den Wind schrie, weiss das Kino um die Liebesnot «behin- ein Herz. Sie bringt das Problem in der Sitzung vor – und stösst derter» Menschen. Selten aber hat jemand diese derart couragiert auf taube Ohren. Also macht sie sich alleine auf, um am Rande und liebevoll auf die Leinwand gepackt wie der Franzose Jean-Pierre der Landstrasse Nummer 7 bei der Prostituierten Florèle für René Sinapi in NATIONALE 7. Der Film nahm das zu kaufen, was für jeden Nicht- seinen Ursprung in den Erfahrungen, Behinderten die vermeintlich selbst- welche die Schwester des Regisseurs verständlichste Sache der Welt ist. im Umgang mit behinderten Patienten NATIONALE 7 geht sein heikles Thema machte. Eines Tages bricht René, der mit Humor und Feingefühl an. Und seit seinem Eintritt ins Heim vor allem evoziert in der Parallelmontage von durch verbale Aggression gegenüber Renés und Julies Liebesleben die Ein- Personal und Mitbewohner aufgefal- sicht, dass in Sachen Liebe alle im len ist, vor ihren Augen in Tränen aus. gleichen Boot sitzen. In NATIONALE 7, überzeugend gespielt von Olivier Gourmet, erklärt René sein Regie: Jean-Pierre Sinapi. Mit: Nadia Kaci, Leid: Er möchte, bevor seine Krank- Olivier Gourmet, Lionel Abelanski. Verleih: heit ihn endgültig einholt, nochmals Frenetic Films. american psycho

Bereits mit «I Shot Andy Warhol», ihrem ersten Spielfilm, hat Jungregis- zum Monster. Aufgeputscht von Kokain streift er durch die Strassen seurin und Drehbuchautorin Mary Harron für Furore gesorgt. Das extra- New Yorks und lässt seine Aggressionen los, die er bei Tageslicht vagante Künstlerschicksal fand beim Publikum ebenso Anklang wie hinter Designer-Klamotten versteckt: Während seine Bekannten und bei den Juroren der wichtigen Festivals. Für AMERICAN PSYCHO hat die Freunde Penner und Prostituierte einfach verachten, bringt er sie um. Kanadierin nach einem Kultroman von Bret Easton Ellis gegriffen – AMERICAN PSYCHO ist eine brandschwarze Gesellschaftssatire, die und sorgt erneut für Aufregung. Im den zügellosen Lifestyle der goldenen Zentrum steht Patrick Bateman. Ideal- 80-er Jahre mit analytischer und mor- typisch verkörpert er Geist und Werte bider Lust an den Pranger stellt. War der Neuzeit. Er ist jung, reich und sieht Frankenstein das Monster des begin- blendend aus. Er hat eine schöne nenden, so ist Patrick das des aus- Freundin, eine noch schönere Geliebte gehenden 20. Jahrhunderts: AMERI- und eine Sekretärin, die ihn anhimmelt. CAN PSYCHO schwebt als virtuose Das viele Geld, das er braucht, um Provokation zwischen Wahn und Wirk- sein Label-Bewusstsein auszutoben, ver- lichkeit und ist mit Christian Bale und dient er sich an der Wallstreet. Tags- Willem Dafoe genial besetzt. über hängt Patrick dekorativ in seinem Regie: Mary Harron. Mit: Christian Bale, Wil- Büro und in exklusiven Clubs herum. lem Dafoe, , Samantha Mathis und Des Nachts jedoch mutiert der Jüngling Chloë Sevigny. Verleih: Xenix Filmdistribution. le cercle

«Ohne Mann erreichst du nie etwas», hat die Mutter Pari immer wieder das Geringste. Es kommen dazu Verbote, wie die des Rauchens in der eingebläut. Wie Recht sie damit hatte: Pari ist zusammen mit zwei Freun - Öffentlichkeit, die permanente Ausweispflicht, die Unmöglichkeit, ohne dinnen aus dem Knast ausgebrochen. Sie ist schwanger von ihrem männliche Begleitung gewisse Gebäude zu betreten. Am schwersten Freund, der vor vier Monaten hingerichtet wurde. Sie möchte das Kind aber lastet die Unterwerfung unter den Mann – Gatte, Vater, Bruder. Am abtreiben, möchte nicht auf die Welt stellen, was nicht erwünscht ist. Anfang von LE CERCLE gebiert Sholaz ein Mädchen statt des erwarteten Schlicht LE CERCLE hat der Iraner Jafar Knaben. «Du bist verloren!» klagt die Panahi seinen in Venedig mit einem Mutter: LE CERCLE beginnt mit ihrem goldenen Löwen ausgezeichneten Film Gang aus dem Krankenhaus. Folgt dann, überschrieben. Er folgt darin sieben die einzelnen Storys kunstvoll ineinan- Frauen. Jede der sieben hat einer Dumm - der verschlingend, mal der einen, dann heit, eines Missverständnisses oder ihrer der anderen Frau. Begibt sich im hek- Naivität wegen eine gewisse Zeit im tischen Treiben Teherans auf eine 90- Gefängnis verbracht. Jede der sieben minütige Recherche sociale, die nicht weiss ein Lied zu singen von den alltäg- nur von ungefähr an Abbas Kiorastamis lichen Einschränkungen, mit denen die magischen «Such-Filme» erinnert. Frauen im Iran zu leben haben. Bei Regie: Jafar Panahi. Mit: Maryam Parvin jedem Gang in der Öffentlichkeit einen Almani, Nargess Mamizadeh, Fereshteh Sadr Chador tragen zu müssen, ist da noch Orafai. Verleih: Filmcooperative Zürich. blue end

Die Bilder sind zur Hauptsache blau. Es gibt dunklere und hellere Jernigan hatte seinen Körper während seiner Haft der Wissenschaft Stellen, fährt man weiter, wölben sich in der Mitte die Farben gelb, vermacht, nicht ahnend, dass er damit als erster Mensch zu einer digi- rötlich und braun. An Experimental-Filme, an Kunstmalerei erinnert das talen Auferstehung kommen würde: Zehn Minuten nach der Hinrichtung und birgt den Schauer des Ungeheuerlichen in sich: BLUE END befasst wird Jernigans Leiche von zwei Wissenschaftlern in Empfang genommen, sich mit dem «Visible Man», dem ersten Produkt des «Visible Human nach Denver überführt, in kobaltblaue Gelatine eingefroren und während Project», einer Art digitalem Anatomie- vier Monaten millimeterweise abgeho- Atlas, der dem Leser eine Reise quer belt und fotografiert. Ausgehend von den durch den Körper des Menschen anbie- wunderschön blauen Bildern bricht der tet. Die Datenbank hat die Grösse von Schweizer Filmer Kaspar Kasics auf, 15 Gigabites, die umgerechnet acht Mil- die Geschichte Jernigans aufzubereiten. lionen Buchseiten entsprechen. Doch Und stellt mit BLUE END einen «gross- hinter den Daten und Bildern, die sich artigen Film über die letzten Dinge» über Internet abrufen lassen und heute vor, der in seiner «kommentarlosen ein wichtiges Instrument der Forschung Lakonie» (Frankfurter Allgemeine Zei- sind, verbirgt sich Schicksal und Leben tung) gewaltigen Eindruck macht. eines Menschen. Er hiess Paul Jernigan und wurde 1993, eben erst 39 Jahre Regie: Kaspar Kasics. Verleih: Lang Film alt, in Huntsville, Texas, hingerichtet. AG. las aventuras de dios

Salvador Dalí, René Magritte, Alain Robbe-Grillet und Luis Buñuel lassen werke, Trouvaillen vom Strand... Manchmal träumt der Mann, wie er grüssen: Mit LAS AVENTURAS DE DIOS stellt der Argentinier Eliseo seinen Job verliert, eine Frau ein Baby wickelt. Er wird zum Verbrecher: Subiela einen Film vor, der den Werken der Meister des Surrealen Eliseo Subiela bezeichnet LAS AVENTURAS DE DIOS als «metaphysi- locker das Wasser reicht. Subielas Film siedelt zwischen Meer, Sand- schen Thriller». Er hat seinen Film mit wenig Geld und einer Digital- strand, verwunschenem Hotel – und dem Armenquartier einer Gross- kamera gedreht. Er hat sich beim Entwerfen des Drehbuchs dem Expe- stadt. Ihr Protagonist steigt angezogen riment des «automatischen Schreibens» und mit einem Seesack auf dem Rücken ausgesetzt, später dem Geschriebenen, aus dem Meer. Er besucht ein verwelk- weil es ihm «Angst einjagte», eine tes Nobelhotel am Strand. Das Hotel ist nachvollziehbare Struktur verpasst. Auf voller schweigender Gäste, in der Halle dass LAS AVENTURAS DE DIOS sein ver- türmt sich Gepäck. Der Mann begegnet rücktester, aber auch konsequentester einer Frau, welche die Frau seiner Träume Film wurde. Die geniale Fortsetzung des sein könnte. In einem Zimmer öffnet er surrealen Traumes, der in seinen früheren den Seesack, holt seine alte Mutter Filmen «El lado oscuro de corazón» und heraus und...: Das klingt spooky, ist «Pequeños milagros» erstmals anklang! aber bloss traumhaft. Ein Herde Schafe Regie: Eliseo Subiela. Mit: Pasta Dioguardi, zieht durchs Hotel; die Frau zeigt dem Flor Sabatella, Daniel Freire. Verleih: Trigon- Mann ihre «Babys» – skurrile Kunst- Film. enemy at the gates

«Der Name der Rose», «L’ours», «L’amant», «Seven Years in Tibet»: Jean Jacques Annaud hat eine Vorliebe für prächtige Erzählungen und Epen. Er frönt dieser auch in ENEMY AT THE GATES, seinem neusten Film; der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs während der Schlacht vor Stalingrad spielt. Derweil die Deutschen einen Sieg nach dem andern erringen, sinkt die Moral auf russi- scher Seite immer tiefer. Einzig Soldat Vassili Zaitsev zeigt sich unbeeindruckt und erschiesst einen Gegner nach dem andern. Also erklärt Offizier Danilov den Präzisionsschützen Vassili zum Nationalhelden, was den Kampfgeist der Russen merklich hebt. Doch Vassili tut sich schwer mit seinem Heldenstand. Er verliebt sich in die bildhübsche Mitstreiterin Tania und zieht die Eifersucht Danilovs auf sich. Und seine todsicheren Kugeln rufen auf deutscher Seite den landesbesten Scharfschützen auf den Plan. Obwohl die ganze Zeit vom Toben des Krieges durchzogen, wird ENEMY AT THE GATES so zur packenden Liebes- geschichte, in der Jude Law und Joseph Fiennes um Rachel Weisz buhlen. Und zur Begegnung zweier Männer – Ed Harris und Jude Law –, die in Friedens- zeiten wohl Freunde geworden wären, sich nun aber ein Duell liefern. Regie: Jean-Jacques Annaud. Mit: Jude Law, Joseph Fiennes, Rachel Weisz, Ed Harris. Verleih: Monopole Pathé Films.