Bach-Marathon
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Bach-Marathon MI 1. APR 2020 | KULTURPALAST PROGRAMM Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Konzert für drei Klaviere und Streicher d-Moll BWV 1063 (ohne Bezeichnung) Alla Siciliana Allegro Konzert für Klavier und Streicher f-Moll BWV 1056 (ohne Bezeichnung) Largo Presto Konzert für zwei Klaviere und Streicher c-Moll BWV 1060 Allegro Adagio Allegro PAUSE Konzert für zwei Klaviere und Streicher c-Moll BWV 1062 (ohne Bezeichnung) Andante Allegro assai Konzert für Klavier und Streicher g-Moll BWV 1058 (ohne Bezeichnung) Andante Allegro assai Konzert für drei Klaviere und Streicher C-Dur BWV 1064 Allegro Adagio Allegro Anna Vinnitskaya | Klavier ARTIST IN RESIDENCE Evgeni Koroliov | Klavier Ljupka Hadzigeorgieva | Klavier Philharmonisches Kammerorchester Dresden WOLFGANG STÄHR Für ein, zwei, drei Klaviere Ein Bach-Marathon KAFFEEHAUSMUSIK Als »Deutschlands größter Kirchenkom- ponist«, als »Erzkantor«, »Spielmann Gottes« und »fünfter Evangelist« sollte Johann Sebastian Bach in die Geschichte der Musik eingehen. Nicht von ungefähr: Den Maßstab setzte das Amt des Leipziger Thomaskantors, das er am längsten, wenngleich nicht am liebsten innehatte. Seine musikalisch anspruchsvollste und gewiss auch dankbarste Aufgabe aber fand Bach als Hofapellmeister im anhaltischen Köthen, als er dort eine Elite der exzellentesten Virtuosen und »CammerMusici« um sich versammelte. An diese Goldenen Jahre konnte Bach erst wieder anknüpfen, nachdem er 1729 in Leipzig (neben seinem Dienst an den Hauptkirchen) die Leitung des Collegium musicum übernommen hatte, eines bunt gemischten Ensembles aus Studenten der Universität, Privatschülern des Thomas- kantors, gastierenden Solisten und Musizierende Studenten in Leipzig, 1727 Leipziger Ratsmusikern, mit denen Bach allwöchentlich auftrat und öfentliche Konzerte gab – in einem Kafeehaus: 2 Das Zimmermannsche Kaffeehaus, Veranstaltungsort des Collegium Musicum von 1723 bis 1741, Kupferstich von Johann Georg Schreiber aus dem Jahr 1732, daneben ein Foto desselben Gebäudes (ganz rechts) und ein Blick in die Katharinenstraße auf einem Foto aus dem Jahr 1905. Das Haus wurde 1943 bei einem Luftangriff auf Leipzig zerstört. in Gottfried Zimmermanns elegantem Während der Handelsmessen gab es noch Lokal, das in der Leipziger Katharinen- eine zusätzliche zweite Soiree am Dienstag. straße lag. In den schmalen, langgezoge- Alles in allem waren es über 500 Konzerte, nen Sälen des ersten Stockwerks konnten die Bach im Laufe der Jahre, von 1729 mit die Musikfreunde an jedem Freitag in der zweijähriger Unterbrechung bis mindes- Zeit von 20 bis 22 Uhr gegen Entrichtung tens 1741 (als Zimmermann starb), an der eines Eintritts- oder Verzehrgeldes den Spitze des Collegium musicum dirigierte, berühmten Johann Sebastian Bach und mehr als 500 Programme von je zwei seine Studiosi bewundern. Im Sommer Stunden Dauer, die er abwechslungsreich wurden die Versammlungen auf den zusammenstellen musste. Nachmittag vor- und in den Zimmer- mannschen Kafeegarten hinausverlegt. 3 AUS ALT MACH NEU Sätze dieser Partitur entstammen ofen- Es liegt auf der Hand, dass er nicht bar nicht nur einem, sondern mehreren unablässig neue Werke schreiben und Werken, von denen freilich kein einziges urauführen konnte, ja dass er, wie bei erhalten blieb. Gute Gründe sprechen der Komposition mancher Kantatensätze dafür, hinter dem Eröfnungssatz den im sogenannten Parodieverfahren, Anfang eines Violinkonzerts in g-Moll auch in seiner Instrumentalmusik ältere zu vermuten. Das »Largo« hingegen, Partituren durch Umarbeitung und das Bach bereits 1729 als Sinfonia seiner Neubesetzung für das Repertoire der Kantate »Ich steh mit einem Fuß im Grabe« wöchentlichen Auftritte reaktivieren BWV 156 voranstellte, dürfte einem musste. Nahezu ausnahmslos alle Klavier- Konzert für Oboe, Streicher und Continuo konzerte, die Bach für das Leipziger entnommen sein. Denn in derselben Collegium musicum und zur Demonstra- Besetzung – und nicht mit einer Solo- tion seines eigenen Könnens als Tasten- violine! – wird auch der Kantatensatz virtuose einrichtete, gehen auf Konzerte musiziert, ein wortloser Gesang und ein für Melodieinstrumente zurück: für Oboe, bewegendes Zeugnis der nie veraltenden Violine oder Viola. Hinter dieser schlich- Bachschen Melodie, wie sie Johann ten Feststellung verbergen sich allerdings Nikolaus Forkel, der erste Biograph des immense Forschungsprobleme, die Komponisten, zu rühmen wusste: »Sie seit vielen Jahren schon die Gemüter bleibt ewig schön und ewig jung, wie die erhitzen und zu höchst ergiebigem Natur, aus welcher sie entsprungen ist.« Meinungsstreit einladen. Auch das »Presto« des f-Moll-Konzerts BWV 1056 könnte auf einer Komposition BWV 1056 mit solistischer Oboe beruhen, fehlen Namentlich bei dem Klavierkonzert in diesem Finale doch die charakteristischen, f-Moll BWV 1056 kreist die Diskussion instrumententypischen Spielfguren der um einen ganz und gar verwickelten Violine, die den ersten Satz kennzeichnen. »Fall« der Bach-Forschung, denn die drei Vielleicht aber war es auch völlig anders, und alle drei Konzertsätze gehörten ur- sprünglich einmal an die Spitze verschol- lener Weimarer oder Köthener Kantaten. 4 Erste Seite des Autographs des Klavierkonzertes BWV 1056 5 BWV 1058 DIE DOPPELKONZERTE BWV 1060 Im Winter 1739/40 brachte Bach sein UND BWV 1062 Konzert in g-Moll für Klavier (ursprüng- Ein Abend in Moll – das klingt wie eine lich Cembalo), Streicher und Basso »Studie in Grau«, nach Melancholie, continuo BWV 1058 mit dem Collegium Trübsinn und Weltschmerz. Das »weiche musicum zur Urauführung. Allerdings Tongeschlecht« legt einen Trauerschleier handelte es sich, bei Licht besehen, auch über das Gemüt. Aber wer weiß, vielleicht bei dieser Partitur um kein funkelnagel- kann man es auch anders sehen (und hö- neues Werk, sondern um eine Bearbeitung ren). Ob hart oder weich, Dur oder Moll: des Violinkonzerts in a-Moll BWV 1041 aus dass die Tongeschlechter und namentlich seligen Köthener Tagen. »Die erhaltenen die Tonarten bestimmte, sogar defnier- Konzerte für Violine und Orchester gehö- bare Afekte übertragen, von der Musik ren zu den Werken Bachs, bei denen man auf den Hörer, davon waren zumindest von vornherein auf jede Analyse verzich- die Vertreter der musikalischen Gelehr- ten muß«, bemerkte Albert Schweitzer samkeit überzeugt. Nehmen wir zum Bei- voller Ehrfurcht. »Das a moll-Konzert ist spiel c-Moll: Der Hamburger Komponist groß in seiner mehr herben Schönheit.« und Musiktheoretiker Johann Mattheson, Geradezu faszinierend wirke auf das ein Zeitgenosse Bachs, beschrieb c-Moll moderne Publikum der zentrale langsame 1713 als einen »überaus lieblichen dabey Satz, der Gesang der Violine über dem auch tristen Tohn«. Der Musiker und Li- Orakelspruch des Basso ostinato: »Unwill- terat Christian Friedrich Daniel Schubart, kürlich denken wir uns irgend etwas, das ein Zeitgenosse Mozarts, notierte 1784 mit der Idee des Schicksals zusammen- in seiner »Charakteristik der Töne« über hängt, hinzu.« Vermutlich hatte Bach c-Moll: »Liebeserklärung, und zugleich das a-Moll-Konzert um 1719/20 in Köthen Klage der unglücklichen Liebe. – Jedes komponiert, zwanzig Jahre vor dem Schmachten, Sehnen, Seufzen der liebe- Leipziger Kafeehauskonzert, der Neu- trunknen Seele, liegt in diesem Tone.« fassung mit Klavier. Dergleichen literarische Defnitionen lassen sich ebenso mühelos erhärten wie verwerfen. Im 18. Jahrhundert jedoch, im Zeitalter der Auflärung, der 6 der Thomaskantor alsbald mit seinem »Bachischen Collegium Musicum« in der Leipziger Catharinenstraße. Es bleibt eine befremdliche Vorstellung: Bachs »heilige Musik« im Kafeehaus? Doch wollen wir annehmen oder wenigstens hofen, dass die Gäste den Billardtisch räumten, die Tabakspfeife erkalten ließen und konzentriert lauschend vor leeren Gläsern saßen, als Johann Sebastian Bach in die Saiten grif. Allerdings scheint der Typus des andächtigen Bach-Hörers ohne- hin einer späteren Epoche anzugehören. Wie etwa der 1944 geborene niederlän- dische Schriftsteller Maarten ’t Hart, der Johann Sebastian Bach in seinen späten Leipziger nie den Tag vergessen wird, als er zum Jahren. Portarit eines unebekannten Malers ersten Mal das Doppelkonzert BWV 1043 wahrscheinlich aus dem 19. Jahrhundert nach dem Portrait von Elias Gottlob Haussmann hörte, zu Besuch bei einem Studienkolle- gen, der eine Schallplatte aufegte. Und Wissenschaften, des Fortschritts und der dann begann der langsame Satz. »Wie Enzyklopädien, entsprach es durchaus fnde ich die Worte, um zu beschreiben, der vorherrschenden intellektuellen was damals in mir vorging? Dass es die Disziplin, die Afekte zu systematisieren bewegendste musikalische Erfahrung und die Tonarten zu katalogisieren. meines Lebens war, steht fest. Nichts Doch die Vorgeschichte beginnt in davor und nichts danach hat jemals einen d-Moll. Als Hofapellmeister in Köthen so tiefen Eindruck auf mich gemacht. komponierte Bach eine Triosonate für Während die beiden Violinen geduldig, zwei Violinen und Basso continuo, die fast behutsam, in dem öden Weltall, in er um 1730, mittlerweile in Leipzig, zu dem wir leben, nach genau jenen Tönen einem Doppelkonzert umfunktionierte, suchten, die alle Schrecknisse beschwö- dem berühmten d-Moll-Konzert BWV ren, hielt mein Kollege plötzlich im 1043. Und dieses Concerto musizierte 7 Reden inne. Er sah mich an, legte einen vermutet werden, dass er es zusammen Finger auf die Lippen.« Noch Jahrzehnte mit seinen Söhnen Carl Philipp Emanuel später fragte sich Maarten ’t Hart: »Was und Wilhelm Friedemann oder mit hat Bach empfunden, dass er eine solche seinen begabtesten