Myanmar Am Scheideweg KOFF Newsletter Nr. 142, November 2015
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KOFF Newsletter Nr. 142, November 2015 Myanmar am Scheideweg KOFF NEWSLETTER NR. 142 - november 2015: MYanmar am Scheideweg 2 Editorial Am 15. Oktober unterzeichneten acht Anführer bewaffneter ethnischer Gruppen in Myanmar eine Waffenstillstandsver- einbarung mit der Regierung. Auch wenn diese Vereinbarung nach zwei Jahren intensiver Verhandlungen als historisch angesehen werden kann, stellt sie auch einen gewissen Misserfolg für den Präsidenten U Thein Sein dar, da dieser eigent- lich eine landesweit geltende Waffenstillstandsvereinbarung mit allen bewaffneten ethnischen Gruppen vor den Parla- mentswahlen am 8. November anstrebte. Die Wahlen an sich sind auch von enormer Bedeutung für Myanmar, stellen sie doch eine wichtige Etappe auf dem Weg zum politischen, sozialen und wirtschaftlichen Übergang des Landes dar. Zudem sind es die ersten Wahlen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1948, die als transparent und inklusiv gewertet werden können. Diese eng miteinander verbundenen Ereignisse werden die Zukunft Myanmars auf Dauer prägen. Gleichzeitig stellen sie das Land vor grosse Herausforderungen. Diese Ausgabe zeigt die wichtigsten Herausforderungen der internationalen Gemeinschaft in diesem Kontext auf und präsentiert zahlreiche Aktionen und Projekte der Bundesverwaltung und zivilge- sellschaftlicher AkteurInnen aus der Schweiz, die sich dessen annehmen. Marie Seidel Redakteurin Inhalt SCHWERPUNKT aktuelles > Myanmar: Bedeutende Entscheidungen > Prävention als zukünftiges Kernthema in Sichtweite 3 der Friedensförderung 10 > Noyau de Paix und swisspeace initiieren dossier gemeinsamen Lernprozess 11 > Wie sollen Debatten über Föderalismus in Myanmar geführt werden? 4 > Kurs „Fragility, Conflict & Statebuilding“ 11 > Frieden, Zivilgesellschaft und > Internationale Partnerorganisationen 12 Wirkungsorientierung in Myanmar 5 > Die Arbeit von Geneva Call mit bewaffneten PUBLIKATIONEN nichtstaatlichen Akteuren in Myanmar 6 > Ein landesweiter Waffenstillstand in Myanmar weiterhin in der Schwebe 13 > Der Beitrag von DCAF zur Polizeireform in Myanmar 7 > Stimmen aus dem Friedensprozess in Myanmar 13 > Bürgernahe Gouvernanz und Frieden in Myanmar 7 > Mit Schweinezucht einen Beitrag zum Frieden WEBTIPP leisten 8 > Informationsplattform zu Myanmar und Südostasien 13 > Wie die Schweiz den Wahlprozess unterstützt 9 AGENDA > Bevorstehende Veranstaltungen 14 Herausgeber: Kompetenzzentrum KOFF Friedensförderung KOFF Kompetenzzentrum Friedensförderung Sonnenbergstrasse 17 Centre pour la promotion de la paix CH - 3000 Bern 7 Centre for Peacebuilding Tel: +41 (0)31 330 12 12 www.koff.ch SCHWERPUNKT 3 Myanmar: Bedeutende Entscheidungen in Sichtweite Nach über zwei Jahren intensiver Verhandlungen unterzeichneten die Regierung von Myanmar und acht Mitglieder eines Bündnisses aus 15 bewaffneten ethnischen Gruppen am 15. Oktober 2015 eine historische Waffenstillstandsvereinbarung. Da mehrere Schlüsselgruppen eine Unterzeichnung der Vereinbarung inmitten andauernder Kämpfe in den Grenzgebieten des Landes jedoch ablehnen, ist die Waffenstillstandsvereinbarung nicht so „landesweit“, wie die Gesprächspartner gehofft hatten. Die Unterzeichnung erfolgt nur Wochen vor dem Urnengang für ein weiteres historisches Ereignis in Myanmar: die Parlamentswahlen. Die Ergebnisse des Friedensprozesses und der Wahlen sind untrennbar miteinander verbunden. Im November schaut die ganze Welt nach Myanmar – noch nie stand so viel auf dem Spiel. swisspeace Die Unterzeichnung einer landesweiten Waffenstillstandsvereinbarung (NCA) Julia Federer zwischen der Regierung von Myanmar und VertreterInnen des Koordinationsteams Programme Officer, Mediation Landesweiter Waffenstillstand (NCCT) könnte einen jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt praktisch beenden und den Prozess hin zum politischen Dialog einleiten. Der NCA-Prozess begann 2011 mit dem formellen Friedensaufruf des Präsiden- Link ten U Thein Sein an alle bewaffneten ethnischen Gruppen und durchlief seither rund ein halbes Dutzend Gesprächsrunden. Reale Aussichten auf eine Unter- Aktivitäten von swisspeace zeichnung der Vereinbarung noch vor den Wahlen trübten sich jedoch, als in der in Myanmar Region Kokang, im nördlichen Shan-Staat und im Kachin-Staat erneut Kämpfe aufflammten. Aus der jüngsten Sackgasse bezüglich der Frage, wer die Verein- barung inmitten andauernder Kämpfe überhaupt unterzeichnen dürfe, fand man trotz intensiver Verhandlungen in den letzten Wochen vor den Wahlen kaum wieder heraus: Nach einem Gipfeltreffen der Anführer stimmten nur acht Gruppen einer Unterzeichnung zu. Mitten in des sich schnell wandelnden Friedensprozesses in Myanmar gehen registrierte WählerInnen am 8. November 2015 für 91 Parteien und 300 KandidatInnen an die Urne. Das aktuelle politische Klima ist verglichen mit den Wahlen 2010 und 2012 eindeutig ein anderes. Trotz vieler Herausforderungen ist der Wahlprozess transparenter und inklusiver geworden. Obwohl Aung San Suu Kyi verfassungs- rechtlich nicht Präsidentin werden kann, führt sie mit der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), der landesweit populären Oppositionspartei, eine stärkere Kampagne als damals, als sie noch unter Hausarrest stand. Allerdings erwar- tet man von der NLD keinen Erdrutschsieg wie in den vergangenen Wahlen. Die Zeichen deuten eher auf einen Stimmen- und Sitzgewinn für ethnische Parteien hin, was diesen im Vergleich zu früher ein stärkeres politisches Mitspracherecht geben würde. Doch diese Wahl spielt sich nicht nur auf den Wahlplattformen ab. Die politische Landschaft in Myanmar wird von Ethnizität und Religion beherrscht. Ultra-nationalistische Buddhistengruppen wie die Ma Ba Tha gewinnen auch in der Wahlpolitik zunehmend an Einfluss. Ma Ba Tha hat grosse Zusammenkünfte organisiert und Unterlagen verteilt, die als unverhohlenen Angriff gegen die NLD gewertet werden können. Ohne klare Wahlregeln, die solche Aktivitäten verbieten, und ohne erkennbares Einschreiten der Regierung könnte das die Wahlergebnisse entscheidend beeinflussen. Streitfragen über Rasse und Religion zwischen Muslimen und Buddhisten konkretisierten sich in kommunaler Gewalt und die ernsthafte poli- tische Lage im Rakhaing-Staat könnte den demokratischen Übergang des Landes zusätzlich schwächen. Die Ergebnisse des landesweiten Waffenstillstandsprozesses und der Wahlen sind untrennbar miteinander verbunden. Konkret bedeutet das Fehlen eines wirklich landesweiten Waffenstillstands, dass die Kämpfe in den Grenzgebieten weitergehen und somit das Wählen erschweren könnten. Im Hinblick auf die Zeit nach den Wahlen bleibt unklar, wie der Friedensprozess weitergehen wird. Nach der unvermeidlichen Umbesetzung der politischen Ämter wird ein Wechsel von Verhandlungspartnern und ihren Befürwortern stattfinden, was auch dazu führen wird, dass das Vertrauen zwischen den AkteurInnen neu aufgebaut werden muss. Dabei wird der Prozess klar an Schwung verlieren, denn bis er weitergehen kann, KOFF NEWSLETTER NR. 142 MYanmar am Scheideweg 4 werden nach den Wahlen viele Monate vergehen. Durch die Folgen des unklaren Status der landesweiten Waffenstillstandsvereinbarung bleibt auch die Unsicher- heit über den politischen Dialogprozess, der nach der Unterzeichnung der Verein- barung eingeleitet werden muss, bestehen. Die Unterzeichnung der Vereinbarung und die Wahlergebnisse gelten für viele nationale und internationale AkteurInnen trotz dieser Unsicherheiten als potentielle Wendepunkte in der Geschichte des Landes. Tatsächlich können diese zwei Ereignis- se nach über 50 Jahren des bewaffneten Konflikts und der Militärherrschaft die un- gewöhnlichen und komplexen Übergänge, die Myanmar die letzten fünf Jahre durch- gemacht hat, institutionalisieren. Dadurch geraten die an den Prozessen beteiligten AkteurInnen jedoch unter enormen Druck: Sie müssen diese Prozesse voranbringen und neue Phasen initialisieren (à la politische Dialoge und demokratische Gouver- nanz); sie müssen den Ruf von Myanmar im Ausland als früherer Schurkenstaat, der sich der internationalen Gemeinschaft anschliesst, wahren; und sie müssen – einfach gesagt – eine friedliche und blühende Zukunft schaffen. Obwohl der Friedensprozess von lokalen AkteurInnen lanciert und gesteuert wurde (es gibt keine Drittpartei als internationale Vermittlerin im Friedensprozess), hat der Zustrom von internationalen Friedensfördernden, die den lokalen AkteurInnen Unterstützung und Beratung anbie- ten, zu diesem Druck beigetragen. Zu diesem kritischen Zeitpunkt sollten internati- onale AkteurInnen die Lage reflektieren und sicherstellen, dass trotz ihrer Anwesen- heit und ungeachtet der Folgen die lokalen AkteurInnen weiterhin am Steuer dieses Prozesses sitzen. Das aussergewöhnliche Tempo, mit dem die Übergänge von einer Militär- zu einer Zivilregierung und von bewaffnetem Konflikt zu Frieden stattfinden, steigert den Druck zusätzlich. Internationale AkteurInnen sollten berücksichtigen, dass viele tief- greifende Missstände auch mit einer Waffenstillstandsvereinbarung nicht angegangen werden und dass Schlüsselprobleme noch nicht in der Vereinbarung inbegriffen sind. Bis hin zur Umsetzung und zum politischen Dialog ist es ein langer Weg. Auch wenn die Durchführung und das Ergebnis der Wahlen den Übergang zu einer Zivilherrschaft wei- terbringen, bleibt schwierig vorauszusehen, wie es der neuen Regierung ergehen wird. swisspeace unterstützt FriedensakteurInnen und zivilgesellschaftliche Organisa- tionen in Myanmar durch angewandte Forschung, Trainings und weitere Aktivitä- ten mit dem Ziel, dass Einheimische am Steuer bleiben. Dieser „Light Footprint“- Ansatz beinhaltet,