Nachrichten Aus Dem Stadtarchiv Gera
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Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera Ausgabe 4/2017 Liebe Leserinnen und Leser, die letzte diesjährige Ausgabe unseres Informationsbriefes spannt den chronologischen Bogen vom 18. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit unserer Stadt. Beginnend mit einem Blick in die Liedersammlung der Gräfin Sophia Henriette Dorothea Reuß (1723-1789), über die Erinnerung an den 100. Todestag und das Wirken des Heimatforschers und Museumsleiters Robert Eisel (1826-1917), Facetten der 120jährigen Geschichte des hiesigen Botanischen Gartens sowie den in diesem Jahr erschlossenen Bestand des ehemaligen Arbeitertheaters der SDAG Wismut/Bergbaubetrieb Schmirchau bzw. des späteren Amateurtheaters der Stadt Gera, tangiert diese Ausgabe vielfältige Aspekte der Stadtgeschichte Geras. Bei der Lektüre wünsche ich Ihnen viel Vergnügen! Ihre Christel Gäbler Leiterin des Stadtarchivs Gera Beiträge dieser Ausgabe: „Heyrathen mag ich nicht“ – Ein Scherzlied vor 300 Jahren *** Personen der Stadtgeschichte – Teil 3: Robert Eisel – Heimatforscher und Museumsleiter *** 120 Jahre Botanischer Garten am Museum für Naturkunde der Stadt Gera *** 50 Jahre Spielfreude – Der Bestand des „Arbeitertheaters der SDAG Wismut, Bergbaubetrieb Schmirchau/Amateurtheater der Stadt Gera e. V. im Stadtarchiv Gera „Heyrathen mag ich nicht“ – Ein Scherzlied vor 300 Jahren Im 18. und 19. Jahrhundert entstanden handschriftliche Sammlungen von Märchen, Sagen, Kinderliedern, Volksliedern, aber auch Sammlungen erotischer Lieder und Gedichte. Letztere, teilweise gedruckt vorliegend, sind heute aber relativ unbekannt, doch damals waren sie „in aller Munde“. Bekannt ist zum Beispiel die „Crailsheimsche Liedersammlung“, ein handschriftliches Liederbuch von Christiane Wilhelmina Carolina Louisa, Barone de Crailsheim (1761–1796). (Das Manuskript befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung „Ms. germ. qu. 722“.) Das Liederbuch liegt heute in verschiedenen Auszügen gedruckt vor. Gräfin Sophie Henriette Dorothea Reuß wurde am 13.06.1723 in Gera geboren. Sie heiratete am 21. November 1746 auf Schloss Osterstein in Gera den Graf Friedrich Botho zu Stolberg-Roßla (1714 – 1768 in Roßla). Nach dem Tod ihres Ehemanns kehrte sie nach Gera zurück. Sie verstarb am 27.08.1789. Mit nach Roßla nahm die Ehefrau ein "Lieder-Buch für Sophia Henriette Dorothea Comteße Reuß. Angefangen zu sammeln Anno 1741", das nach ihrer Rückkehr nach Gera in der Fürstlich Stolbergischen Bibliothek verblieb. (Im Zuge der Bodenreform der ULB Halle zugeschlagen und nach 1990 restituiert, ist das Manuskript heute leider verschollen.) In dieser Sammlung entdeckte Carl Schüddekopf (Goethe-Jahrbuch 1898, S. 296) die Vorlage für einige von Goethe notierte Zeilen. Insgesamt meint Schüddekopf, dass die Sammlerin „einen eigenartigen Geschmack beweist“, wohl, weil die Sammlung vielleicht auch andere erotische Dichtungen enthält. Hinweise auf dieses Volkslied finden wir auch an anderen Stellen. So berichtet Max Mechow („Der Liedbestand einer Pioniereinheit im 2. Weltkrieg“ Jahrbuch für Volksliedforschung 14. Jahrg. 1969, S. 62-84), dass zum bereits im Ersten Weltkrieg gesungen Lied „Morgen marschieren wir zu dem Bauern ins Nachtquartier …“ als Zusatzstrophe gesungen wurde: „Mädchen, ich rate dir, / Heirate keinen Unteroffizier! Das Geschrei der Kinder / Im Sommer und im Winter: Vater, gib uns Brot, / Vater, schieß uns tot!“ Das Thema „nicht heiraten wollen“ wird aber auch Frauen in den Mund gelegt, so durch Hermann Ewald Schack („Heyrath aus Liebe: Ein Nachspiel mit Arien u. Gesängen“ Gotha 1781, S. 11): „Frey und ledig will ich bleiben, / Selbst mir meine Zeit vertreiben, Krieg ich für mein baares Geld / Keinen Mann der mir gefällt. ...“ Johann Wolfgang Goethe erhielt wohl um 1775/76 Kenntnis von dem Lied und notierte sich einige Zeilen („Goethes Werke“ Weimar 1887–1919 (Weimarer Ausgabe = „Sophienausgabe“) I. Abt. Band 38 (= Band 43 der Gesamtausgabe) S. 494 „Notizen aus der frühen Weimarer Zeit“). Auf diese Zeilen bezieht sich Schüddekopfs Hinweis auf das Liederbuch der „Comteße“: „Dass ich mich soll schmiegen / Bey der Kinder Wiegen Das kräncket mich / Ledig will ich bleiben Meine Zeit vertreiben / Bey [abgebrochen] / Sollt es seyn ein Jammer“ Hier nun das Gedicht nach Arthur Kopp „Deutsches Volks- und Studentenlied in vorklassischer Zeit.“ Berlin 1899, S. 66f., daneben der von Schüddekopf mitgeteilte Text. Es fehlt die 4. Strophe, auch sind einige Worte und einige Zeilen verändert, bei mündlich überlieferten Texten ist dies keine Seltenheit. Crailsheimsche Liedersammlung Liederbuch Sophia Henriette Packet euch vom Leibe Packet euch vom Leibe, mir mit eurem Weibe, Ihr mit eurem Weibe, heyrathen mag ich nicht; Heyrathen mag ich nicht; daß ich mich soll schmiegen Daß ich mich soll schmiegen bey der Kinder Wiegen, Bey der Kinder Wiegen das kränket mich; Das kränket mich. denn wer ein Weibgen nimmt, Denn wer ein Weib sich nimmt. der bleibt nicht ohne Kind; Der bleibt nicht ohne Kind. soll das nicht ein Jammer Solte das ein Jammer seyn in meiner Kammer, Seyn in meiner Kammer, packet euch geschwind. Packet euch geschwind. Ledig will ich bleiben, Ledig' will ich bleiben, mir die Zeit vertreiben Mir die Zeit vertreiben mit einem solchen Kind, Bey einem solchen Kind, daß ich nicht darf wiegen Wo man nicht darf wiegen und mich kann vergnügen Und sich kann vergnügen nach meinem Sinn; Nach seinem Sinn. viel besser ist es doch Viel besser ist es doch als in des Ehstands Joch, Als in dem Ehstandsjoch, wo man muß im Winter Wo man in dem Winter das Geschrey der Kinder Das Geschrey der Kinder dazu anhören noch. Darf hören nicht. Freylich kann man spielen Freylich thut man spielen nach gewünschten Willen, Nach gewünschten Mienen, wenn man heyrathen thut; Wenn man heyrathen thut; doch in wenig Wochen Wenn das Spiel gebrochen ist das Spiel gebrochen, Und die Zeit verflossen fällt Herz und Muth; Fällt Herz und Muth. da heist es: schafft mit Brod, Da heist's mich quält die Hungers Noth, Ach Mann schaff Brod, sonst muß ich verderben Mich quält die Hungersnoth, und in Elend sterben; Oder ich muß sterben; ach wär ich todt! Ach war ich todt Soll ich nun das Klagen mit Gedult ertragen? ach nein das brauch ich nicht, daß ich so viel quäle meine junge Seele und mein Gesicht. Ein Weib ist nur ein Plag, die währet Nacht und Tag; wer sich will begeben in des Ehstands Leben, der hat nur Schmach. Weg mit diesem Handel! Liebe Jungfer Schwester, gebet mir die Kandel, Hat sie Kann und Gläser, daß sie ein frisches bringt; Schenk sie nur tapfer ein; schickt sie nur in Keller, Geh sie in den Keller, weil ihr noch ein Heller Weil noch mag ein Heller annoch im Beutel sind. Im Beutel seyn. Bey lauter Bier und Wein Beym Bier und guten Wein da last uns lustig seyn; Laßt uns tapfer lustig seyn; saufen wir in Ehren, Singt und schwärmt in Ehren, niemand soll´s uns wehren, Niemand kann's uns wehren. Text: Dieter Bauke, Freundeskreis Stadtgeschichte Personen der Stadtgeschichte – Teil 3: Robert Eisel – Heimatforscher und Museumsleiter Robert Eisel wurde am 24. November 1826 in Gera geboren. Er war der älteste Sohn des Lehrers für Mathematik und Physik am Gymnasium Rutheneum, Prof. Karl Friedrich Eisel. Robert Eisel, ca. 1910 (Fotograf unbekannt) Nach seiner Schulzeit am Gymnasiums Rutheneum begann Robert Eisel seine Ausbildung zum Kaufmann bei der Firma Morand & Co., bei welcher er auf Grund seiner Leistungen höhere Positionen einnehmen konnte. Infolge geschäftlicher Überlastung (in einem Trinkspruch wurde ihm nachgesagt, dass er für vier Mann gearbeitet habe) und den daraus resultierenden gesundheitlichen Beschwerden bat er im 54. Lebensjahr um Entlassung aus seiner Stelle bei Morand & Co. Dank eines Ruhegehaltes der Firma konnte sich Robert Eisel ab 1879/80 seiner Leidenschaft widmen, der Erforschung seiner Heimat, welche vor allem die Facetten Natur, Bergbau, Volks- und Landeskunde umfasste. Die Kenntnis der Heimat und ihre eingehende Erforschung waren die Triebfedern seiner Arbeit. Am 4. März 1853 war er Mitbegründer des naturwissenschaftlichen Vereins und war unermüdlich für dessen Vorwärtskommen tätig. Als dies jedoch nicht gelang, rief er am 9. März 1858 mit weiteren sieben Naturfreunden zur Gründung der „Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften“ in Gera auf. Die Gründung der Gesellschaft erfolgte am 23. März 1858. Robert Eisel galt in den ersten Jahrzehnten als Seele des Vereins. Mit unermüdlichem Eifer spürte er dem Innenleben unseres Volkes in seinen Sagen, Sitten und Gebräuchen nach. Sein im Jahre 1871 erschienenes „Sagenbuch des Voigtlandes“ gilt bis heute als grundlegendes Werk. Seine Sagenforschung brachte ihn zur Ur- und Frühgeschichte und auf diesem Gebiet ist er für Ostthüringen Vorreiter geworden. Auszug aus Robert Eisels „Sagenbuch des Voigtlandes“ mit Randbemerkungen des Autors Von 1883 bis zum Jahr 1895 übte Eisel die Tätigkeit des ersten Kurators des Städtischen Museums Gera aus. Zu den wichtigsten Grabungen Eisels für das Geraer Museum gehören 1883 die bei Nickelsdorf / Crossen, 1885 die „Wüste Scheuer“ bei Döbritz, 1886 „Clyntloch“ bei Könitz und 1888 bei Tinz. Bis 1895 war Robert Eisel Leiter des Städtischen Museums in Gera, bis er durch einige Vorkommnisse erregt, die Leitung niederlegte. Hauptgebiet Eisels blieb beim Sammeln und Forschen bis an sein Lebensende die Geologie. Der Zechstein unserer Gegend fand in ihm einen erfolgreichen Sammler und Schilderer. Von grundlegender Bedeutung ist bis heute seine „Gliederung der Zechsteinformation in der Umgebung von Gera“. Er war auch ein berufener Forscher und Historiker