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Konrad Zuse und die ETH Zürich

Zum 100. Geburtstag des Informatikpioniers Konrad Zuse (22. Juni 2010) Herbert Bruderer1

Die Geschichte der Informatik beginnt mit dem seit IAS-Rechner, IBM 701, Univac u. a. und in Grossbri- dem Altertum benutzten Zählrahmen Abakus und tannien: z. B. ACE, Colossus, EDSAC, Ferranti Mark, der Entstehung der Zahlensysteme. Die heutigen Leo und SSEM. Zuses Pionierleistungen in der Re- haben zahlreiche Vorläufer. Die ersten chentechnik und in der Informatik wurden sowohl funktionsfähigen programmierbaren Rechengeräte in Europa als auch in den USA lange Zeit verkannt. wurden jedoch erst gegen Mitte des 20. Jahrhun- Das deutsche Patentamt verweigerte ein Patent für derts vorgestellt. Der deutsche Bauingenieur Konrad die . Zuse (22.6.1910–18.12.1995) ist einer der Väter dieser Universalmaschinen. Er baute in seit 1936 ETH Zürich mietet den legendären Rechenanlagen. Nur ein einziges Gerät, die 1945 fer- Relaisrechner tiggestellte Z4, überlebte den zweiten Weltkrieg. Der Mathematiker (1909–1978) Zuse versuchte anschliessend erfolglos, in- und gründete Anfang Januar 1948 an der ETH Zürich ausländische Universitäten sowie Hersteller von Bü- das Institut für angewandte Mathematik. Daraus romaschinen für seine Entwicklungen zu gewinnen. entwickelte sich 1968 die Fachgruppe für Computer- Damals konnte sich offenbar niemand vorstellen, wissenschaften, und schliesslich entstand daraus dass ein programmgesteuertes Rechengerät einer das heutige Departement Informatik. Damit be- handelsüblichen Rechenmaschine überlegen war. ginnt die Geschichte der Informatik in der Schweiz. Das Institut für angewandte Mathematik heisst Zuses Pionierleistung: die erste seit 1970 Seminar für angewandte Mathematik. arbeitsfähige programmgesteuerte Stiefel erkannte die Bedeutung der Rechenauto- Rechenmaschine der Welt maten sehr früh. Er plante den Eigenbau einer Nach Friedrich Bauer von der Technischen Univer- solchen Maschine und war, um Zeit zu gewinnen, sität München ist Konrad Zuse der ,,Schöpfer der auf der Suche nach einem fertigen, betriebssicheren ersten vollautomatischen, programmgesteuerten Gerät. Es gab einen grossen Bedarf nach umfang- und frei programmierbaren, in binärer Gleitpunkt- reichen numerischen (technischen) Berechnungen, rechnung arbeitenden Rechenanlage.“ Die Z3 war auch für die Zusammenarbeit mit der Schweizer 1941 betriebsfähig, sie wurde am 12. Mai 1941 in Maschinenindustrie. Berlin vorgeführt. In den 1940er- und Anfang der Daher besuchte Stiefel am 13. Juli 1949 Konrad 1950er-Jahre gab es ähnliche Entwicklungen in den Zuse (Abb. 1) in Hopferau bei Füssen (Ostallgäu). USA: Rechenautomaten ABC, Complex Number Calculator, EDVAC, ENIAC, Harvard Mark (ASCC), DOI 10.1007/s00287-011-0573-4 © Springer-Verlag 2011

1 Herbert Bruderer Der Verfasser dankt den Professoren Walter Gander, Martin Gutknecht und Carl Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, August Zehnder für ihre tatkräftige Unterstützung, die um so wertvoller war, als die Departement Informatik, drei Pioniere der Gründerzeit, die Professoren Eduard Stiefel, und Universitätsstrasse 6, 8092 Zürich, Schweiz Ambros Speiser, gestorben sind und es nur noch wenige Zeitzeugen gibt. E-Mail: [email protected]

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Zusammenfassung Der deutsche Bauingenieur Konrad Zuse (1910– 1995) hat 1941 die Z3 vorgeführt, den ersten frei programmierbaren und in binärer Gleitpunkt- rechnung arbeitenden Rechner der Welt. Zudem entwickelte er mit seinem Plankalkül erste Ideen für eine allgemeine Programmiersprache. Vor 100 Jahren wurde der Informatikpionier in Ber- lin geboren. Als einzige Universität auf dem europäischen Festland hatte die ETH Zürich 1950 eine betriebsfähige programmgesteuerte Rechenmaschine, die gemietete Z4. Die Z4 ist eine Weiterentwicklung der im Krieg zerstörten Z3. Dank der mit diesem Gerät durchgeführten Forschungsarbeiten wurde das damalige von Eduard Stiefel geleitete Institut für angewandte Mathematik in kurzer Zeit weltberühmt.

Die Z4 stand im Keller des Mehllagers der Bäcke- reiMartin.ZusewarimMärz1945kurzvordem Fall mit der riesigen ,,Zuse 4“ mit der Bahn nach Göttingen und einige Wochen später mit einem Abb. 1 Konrad Zuse (1910–1995), © ETH-Bibliothek Zürich, Lastwagen nach Bayern geflohen. Er führte die Z4 Bildarchiv in der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göt- tingen vor. Die von 1942 bis 1945 gebaute Z4 hiess Sprungbefehle) durchgeführt. Die Z4 war der erste übrigens ursprünglich V4 (Versuchsmodell 4). Der Rechenautomat an der ETH und auf dem euro- Gleichklang dieser Abkürzung mit dem Kürzel für päischen Festland, der dem wissenschaftlichen die sogenannten Vergeltungswaffen V1 und V2 hat Rechnen diente. An der ETH konnten so viele An- laut Konrad Zuse dieses Gerät gerettet. Obwohl die regungen und Erfahrungen gesammelt werden, elektromechanische Z4 eine schon damals veraltete die später für den Bau einer eigenen programmge- Technik (Relais statt Elektronenröhren) nutzte, ent- steuerten Rechenmaschine hilfreich waren. Eduard schied sich Stiefel trotz Warnungen für ihren Einsatz. Stiefel und seine Mitarbeiter Heinz Rutishauser und Für ihn war die Verfügbarkeit von maschineller Re- Ambros Speiser haben dank der Z4 wesentliche chenleistung wichtiger als die modernste Technik. Beiträge zur angewandten Mathematik und zur Ent- Dieser mutige Entscheid erwies sich im Nachhinein wicklung der Rechentechnik sowie der Informatik als wegweisend. Das wissenschaftliche Rechnen mit geleistet. der Z4 machte sein Institut binnen weniger Jahre Die Nutzung der Z4 brachte beiden Seiten weltberühmt. grosse Vorteile: Zuse konnte mit dem Geld – die Das Institut für angewandte Mathematik mietete gesamte Summe war bei Vertragsabschluss bzw. die Z4 für fünf Jahre (für insgesamt 30.000 CHF). Abnahme der Maschine fällig – sein 1949 gegründe- Sie stand vom 11. Juli 1950 bis April 1955 im zwei- tes Unternehmen Zuse KG (Neukirchen) aufbauen. ten Stock des Hauptgebäudes (Raum G39) der ETH Der ETH stand kurzfristig eine erhebliche Re- Zürich. Heute befindet sich hier das Forschungs- chenleistung zur Verfügung. Sie entsprach einem institut für Mathematik. Der Mietvertrag wurde damaligen Rechenbüro mit etwa 40 mit mechani- am 7. September 1949 in der Gaststätte des Badi- schen Rechenmaschinen ausgestatteten Personen. schen Bahnhofs in Basel unterzeichnet. Vor der Das verhalf der ETH gegenüber anderen Univer- Inbetriebnahme wurden an der Maschine erheb- sitäten zu einem wissenschaftlichen Vorsprung liche Erweiterungen (z. B. Gebrauch bedingter (Abb. 2).

566 Informatik_Spektrum_34_6_2011 Abb. 2 Übersicht über Zuses frühe Rechenmaschinen –Z4

Die ratternde Z4 sorgt Programmabtasters, das Klappern der Relais im Re- für das Zürcher Nachtleben chenwerk und das Klirren der Speicheroperationen DiemitRelaisbestückteZ4warwesentlichweniger zu unterscheiden. Mit einiger Übung konnte man störanfällig als modernere amerikanische Maschi- sagen, ob eine Addition, eine Multiplikation oder nen, die elektronischen Bauteile enthielten. Dass die eine Division im Gang war“ (Abb. 3). Z4 dank ihrer hohen Zuverlässigkeit nachts ohne Aufsicht lief, ist allerdings ein Märchen. Wozu wurde die Z4 in Zürich gebraucht? Im Prüfbericht von Corrado Böhm und DieZ4wurdeanderETHZürichfürArbeitenauf Harry Laett über die Erfahrungen mit der Zuse- dem Gebiet der numerischen Mathematik einge- Rechenmaschine vom 17. Oktober 1949 ist zu lesen: setzt. So wurden beispielsweise für die BBC, Baden, ,,Die Maschine sollte in zwei getrennten Räumlich- ,,kritische Tourenzahlen mehrlageriger Wellen“ keiten untergebracht werden können, um so eine durch Lösen von linearen Differentialgleichungen Trennung zwischen Bedienungsaggregaten (Tasta- 4. Ordnung berechnet. Der Rechenzeitaufwand be- turpult, Abtaster, Locher und Drucker) und den trug etwa 100 h. Aus der Industrie gab es manche Rechnungs- und Speichereinheiten zu gewährleis- Aufträge: Berechnung der Spannungen in einer ten. Auf diese Weise wird auch das Lärmproblem Talsperre (Grande Dixence), Berechnungen zum (Antriebsmotor und Speicherwerkantrieb) auf Raketenflug oder zur Flugbahn von Geschossen, einfache Weise gelöst.“ Untersuchungen zu Quantenmechanik, Hochfre- Zur (angeblichen) Zuverlässigkeit der Z4 gibt quenztechnik und Optik, Schwingungen einer es einen ausführlichen Zeitzeugenbericht von Urs Lokomotive, Abflussregulierung der drei Juraseen. Hochstrasser. In einem Brief vom 18. Juni 1951 be- Hinzu kamen mathematische Untersuchungen, klagt sich Eduard Stiefel bei Zuse: ,,Nach Deiner z. B. zu Bahnstörungen der Planeten Jupiter und blitzartigen und für uns etwas unerwarteten Abreise Saturn. In den fünf Jahren wurden etwa 100 ver- [...] hast Du uns mit Deiner absolut nicht betriebsbe- schiedene Probleme mit insgesamt rund 100.000 reiten Maschine allein gelassen. Es dauerte 14 Tage, Z4-Befehlen programmiert. Darunter befinden sich bis überhaupt eine kleine Rechnung gemacht werden 55 Aufträge und mathematische Untersuchungen. konnte [...]. Da wir praktisch seit Beginn des Monats Für Aussenstehende kostete die Z4 10 CHF je Stunde April keine durchgehende Arbeit leisten konnten, (Abb. 4). mussten wir mehrere Aufträge absagen.“ Zuse schreibt in seiner Autobiografie: ,,Im- Merkmale der an der ETH Zürich merhin besass das verschlafene Zürich durch die eingesetzten Z4 ratternde Z4 ein, wenn auch bescheidenes, Nacht- Die Z4 ist ein programmgesteuertes, elektromecha- leben.“ Und Speiser fügt bei: ,,Durch genaues nisches Rechengerät mit 2200 Telefonrelais und Zuhören bekam man manche Aufschlüsse über den 21 Schrittschaltern (elektrische Drehwähler). Sie Programmablauf. Deutlich waren das Ticken des kann intern nur Zahlen, jedoch keine Befehle spei-

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Abb. 3 Der mechanische Speicher der Z4, © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Abb. 4 Bauzeit und Nutzung der Z4 und der ERMETH

chern. Die Rechenpläne (Programme) werden auf – Rechengeschwindigkeit: ungefähr 1 s pro Befehl und Lochstreifen (gebrauchte 35-mm-Kinofilme) ge- 3 s pro arithmetische Operation, stanzt. Die mechanischen Schaltglieder bestehen – Ausgabe: Zahlenausgabe auf einem Lampenfeld, aus Blechstreifen und zylindrischen Steuerstiften. Schreibmaschine für den Druck der Ergebnisse, Während die meisten damaligen Rechenmaschi- – Gewicht: etwa 1 Tonne, nen dezimal arbeiten, verwendet die Z4 bereits – Programmierung: Maschinensprache mit reich- das Binärsystem (Dualsystem). Die Z4 ist eine haltigem Befehlsverzeichnis, lochstreifengesteuerte Rechenanlage mit getrenn- – Dokumentation: sehr ausführliche Dokumentation tem Daten- und Programmspeicher, sie ist also mit übersichtlichen Schaltplänen. kein speicherprogrammierter Rechner (d. h. kein Von-Neumann-Rechner). Die Zuse Z4 beherrschte u. a. die vier Grundre- chenarten, das Quadrieren und das Wurzelziehen – Rechenwerk: 5–6 Dezimalstellen, Dualsystem, (Quadratwurzel). Hätte Zuse für den Speicher Gleitkomma, anstatt der mechanischen Schaltelemente Relais ver- – Speicherwerk (nur Datenspeicher): rein mechani- wendet, hätten sich Grösse, Gewicht und Kosten der sche Schaltglieder mit einem Speichervermögen Anlage mehr als verdoppelt. von 64 Zahlen, – Steuerung: automatisch nach Befehlen, die nach- Welche Geldgeber hatte Zuse? einander auf einem Lochstreifen festgehalten Beeindruckend ist, dass Zuse seine Erfindungen sind (der Lochstreifen wird für Iterationen zu zu Beginn weitgehend im Alleingang und ohne fi- einer Schleife verklebt. Für die Herstellung der nanzielle Unterstützung durch den Staat machte. Befehlsstreifen steht ein besonderes Gerät zur Die Z1 und die wurden privat finanziert. Die Z3 Verfügung), wurde durch die Deutsche Versuchsanstalt für Luft-

568 Informatik_Spektrum_34_6_2011 fahrt teilfinanziert. Geldgeber für die Z4 war das rem meine Unabkömmlichkeitsstellung für diese Reichsluftfahrtministerium. Aufgabe nötig gewesen. Offiziell aber galt die Z3 Zu Zuses Beziehung zu seinen Geldgebern seien nicht als dringlich. Sie wurde mehr oder weniger hier einige Zitate aus dem Werk: Konrad Zuse: Der als Spielerei und als das Privatvergnügen meiner Computer – Mein Lebenswerk [5]angeführt: Freunde und mir angesehen. Meine ,uk-Stellung‘ ,,Die Vorführung der Z2 hatte genügt, die Deut- galt nach wie vor ausschliesslich für meine Tätigkeit sche Versuchsanstalt für Luftfahrt zu interessieren. als Statiker“ [5,S.57]. Deren technischer Direktor, Professor Bock, hielt Dazu Friedrich Bauer (Technische Universi- mir zwar einen langen Vortrag, ich solle mir nur tät München): ,,Konkrete Berührung hatte Zuse ja nicht einbilden, dass ich als Erfinder ein reicher mit dem Machtapparat des Dritten Reiches nur Mann werden, ein Schloss am Meer besitzen und sehr indirekt über seine Tätigkeit für die Deutsche im Horch – damals einem der elegantesten Autos – Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL). Seine unmittel- herumfahren würde. Gleichwohl aber einigten wir baren Ansprechpartner waren wie Alwin Teichmann uns auf einen Vertrag: die schon im Bau befindliche Wissenschaftler und wie Herbert Wagner (der Z3 wurde von der Deutschen Versuchsanstalt für die Flügelbomben konstruierte) Ingenieure, keine Luftfahrt teilfinanziert. Sie war 1941 fertig gestellt Parteibonzen. Kurt Pannke, der Rechenmaschinen- und das erste Gerät, das wirklich voll funktionsfähig fabrikant, den Zuse in der Frühzeit kontaktierte alle wichtigen Elemente einer programmgesteuerten und der ihn finanziell unterstützte, ist ebenfalls Rechenmaschine für wissenschaftliche Zwecke nach unverdächtig“ [4,S.18]. dem Stand der Technik enthielt“ [5, S. 55]. DerHistorikerHartmutPetzoldschreibtzu ,,Er [Dr. Funk] liess sich davon nicht beirren, den Kriegsaufträgen: ,,Die gesellschaftspolitische und so schickte ich ihn schliesslich zu den Henschel- Situation im Deutschen Reich der 30er Jahre bo- Flugzeug-Werken zu Professor Wagner, der meine ten für Konrad Zuse keine andere Möglichkeit der Aufträge gegenüber dem Reichsluftfahrtministe- Realisierung seiner Pläne als im Schlepptau der rium betreute“ [5, S. 81]. Rüstung“ [3, S. 510]. Zu Zuses Förderern gehörte auch Prof. Teich- Hinweis: Hans Dieter Hellige von der Universi- mann (Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt): tät Bremen leitet eine „Fachgruppe Informatik und ,,Teichmann hätte am liebsten schon während des Zeitgeschichte“, die sich u. a. mit Zuse befasst. Krieges einen Auftrag über ein grosses elektronisches Rechengerät mit zweitausend Röhren befürwortet. Das Schicksal der Z4 und der Zuse KG Wegen der mangelnden Dringlichkeitsstufe hätten Konrad Zuse weilte für Wartungsarbeiten oft in Zü- wir aber weder Personal noch ausreichendes Material rich und hielt auch Vorträge. Die ETH berief ihn dafür bekommen. Es war schon schwierig genug, Ge- nicht als Dozenten, verlieh ihm aber 1991 doch noch räte in der verhältnismässig einfachen und robusten die Ehrendoktorwürde (Abb. 5). Seine Firma Zuse Relaistechnik zu bauen“ [5,S.70]. KG geriet in den 1960er-Jahren in finanzielle Schwie- ,,Ich selber lernte in Berlin Professor Herbert rigkeiten und wurde 1964 von BBC (Mannheim) und Wagner kennen. Er war Leiter der Sonderabteilung schliesslich1967 von Siemens übernommen. Bis 1969 F bei den Henschel-Flugzeug-Werken und entwi- wurden rund 250 Maschinen (Relais-, Röhren- und ckelte dort ferngesteuerte fliegende Bomben. ,Ihre Transistorrechner) gebaut. Die Z4 wurde von 1955 bis Rechengeräteentwicklung ist sicher sehr interessant, 1959 vom Deutsch-Französischen Forschungsinstitut aber dafür kann ich Sie nicht vom Militärdienst be- Saint-Louis (ISL) im elsässischen St. Louis einge- freien. Ich kann aber einen Statiker gebrauchen‘, setzt. Damals hiess es Laboratoire de Recherches meinte er. Für diese unmittelbar der Waffenentwick- de Saint-Louis (LRSL). Die Technische Universi- lung dienende Tätigkeit wurde ich schliesslich ,uk‘ tät Berlin hatte sich vergeblich darum bemüht, gestellt“2 [5, S. 53]. die Z4 zu bekommen. Die Maschine kam erstmals ,,Die Z3 wurde während des Krieges mehreren 1960 ins Deutsche Museum nach München, wo sie Dienststellen vorgeführt; sie wurde indes nie im seit 1988 ausgestellt ist. Sie ist heute noch in Teilen Routinebetrieb eingesetzt. Dazu wäre unter ande- arbeitsfähig (Abb. 6). Dazu Zuse: ,,Es war nun abzusehen, dass weitere 2 uk = Unabkömmlichkeitsstellung. erhebliche Millionenbeträge in die Firma hineinge-

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Abb. 5 Verleihung des Ehrendoktortitels 1991 an der ETH Zürich, von links nach rechts: Frederick P. Brooks (Universität North Carolina, Chapel Hill, Erfinder des Grossrechners IBM 360), Walter Gander, Vorsteher der Abteilung IIIC (Informatik) der ETH Zürich, und Konrad Zuse, einer der Väter des , © Stefan Bondeli, Zürich

Abb. 6 Relaisschränke der Z4 (links: Heinz Rutishauser, rechts: Ambros Speiser), ETH Zürich 1950, © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

steckt werden mussten, so dass auch nur eine geringe schied bald aus der Firma aus, blieb aber weiter be- Beteiligung meinerseits sinnlos wurde. Schliesslich ratend tätig. Seit 1967 gehört die Firma zur Siemens musste ich froh sein, jemanden zu finden, der bereit AG“ [5,S.137]. war, die Schulden zu übernehmen. 1964 übernahm die Firma Brown, Boveri & Cie. AG, Mannheim, Eigenbau des Röhrenrechners ERMETH hundert Prozent Kapitalanteile; ich selber blieb Die Miete der Z4 war als Übergangslösung gedacht. Komplementär. Die Kapitalanteile wurden später Um 1950 gab es keine programmierbaren Rechner von der Firma Siemens übernommen. Ich selbst zu kaufen, und Stiefel war sich bewusst, dass der

570 Informatik_Spektrum_34_6_2011 Abb. 7 Merkmale der ersten beiden an der ETH Zürich verwendeten Rechenautomaten vorgesehene Eigenbau mehrere Jahre beanspruchen arbeitete die ERMETH im Dezimalsystem. Als Ar- würde. Er hielt sich vom Oktober 1948 bis März 1949 beitsspeicher (für Programme und Daten) diente in den USA auf, um sich einen Überblick über den eine Magnettrommel. Die ETH setzte die ERMETH Stand der Forschung zu verschaffen. Zwei seiner ab Juli 1956 bis Herbst 1963 für Forschung und Lehre Mitarbeiter, der Elektroingenieur Ambros Speiser ein Die ERMETH lief erstmals im Juli 1956 mit ei- (1922–2003) und der Mathematiker Heinz Rutishau- nem vorläufigen Trommelspeicher, mit dem grossen ser (1918–1970), verbrachten das Jahr 1949 in den 10.000-Wort-Trommelspeicher jedoch erst 1957. USA (u. a. bei , Princeton, und bei Ende 1958 beliefen sich die Kosten für die ERMETH Howard Aiken, Harvard). Sie sollten sich das Wissen auf 1 Mio. CHF.Das Ungetüm stand bis 2004 im Win- für den Bau moderner Rechenmaschinen aneignen. terthurer Technorama und befindet sich heute im Von 1953 bis 1956 entstand der programmier- Museum für Kommunikation in Bern. Nachfolger bare Röhrenrechner ERMETH (elektronische der ERMETH war ab April 1964 ein Transistorrech- Rechenmaschine der ETH). Ambros Speiser, der spä- ner CDC 1604A der amerikanischen Firma Control tere Gründungsdirektor des IBM-Forschungslabors Data. Er verwendete einen Magnetkernspeicher in Rüschlikon und des BBC-Forschungszentrums (Arbeitsspeicher) und Magnetbänder (Massenspei- in Baden-Dättwil, leitete den Bau in technischer cher). Die ERMETH arbeitete 100-mal schneller als Hinsicht von 1953 bis 1955 (Planung und Entwick- die Z4, die CDC 400-mal schneller als die ERMETH lung der Grundlagen). 1956 vollendete Alfred Schai (Abb. 7). das Werk (endgültiger Aufbau und Durchprüfung), denn Speiser hatte 1955 zur IBM gewechselt. Leiter Plankalkül, erster Ansatz der mathematischen Gruppe war Heinz Rutishau- zu einer höheren Programmiersprache ser. Die Entwurfphase begann schon 1950. Beteiligt Konrad Zuse war nicht nur ein Meister im Rech- waren die Firmen Gfeller, Bümpliz (Kreuzwähler), nerbau, sondern auch in der Entwicklung einer Hasler, Bern (Elektronik), und Wittwer, Männe- Programmiersprache. Er erfand eine formale, dorf (Speichertrommel). Den Schluss bildete eine algorithmische Sprache, in der sich Lösungsver- erfolgreiche dreimonatige Feuerprobe, häufig in fahren für beliebige Probleme beschreiben lassen. 24-stündigem Betrieb. Im Unterschied zur Z4 Sein 1945 im Allgäuer Bergdorf Hinterstein auf-

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gesetzter Plankalkül gilt als Vorläufer der höheren Programmiersprachen. Er wurde erst 1972 (vollstän- dig) veröffentlicht, und im Jahr 2000 wurde dafür erstmals ein lauffähiges Übersetzungsprogramm entwickelt. Heinz Rutishauser machte in seiner Habili- tationsschrift 1951 Vorschläge zur automatischen Rechenplanfertigung bei programmgesteuerten Rechenmaschinen. Die Idee, solche Anlagen nicht nur zum Rechnen, sondern auch zum Erstellen von Programmen zu verwenden, ist grundlegend für den Bau von Übersetzern (). Erst dadurch konnten Algorithmen in höheren Programmierspra- chen (Quellcode) formuliert und dann automatisch in Maschinensprache (Objektcode) übersetzt wer- den. Rutishauser war einer der Väter von Algol, dem ,,Latein“ der modernen Programmiersprachen. Auf der Grundlage von Algol entstanden unzählige höhere Programmiersprachen, u. a. auch Pascal. Schweizer Remington Rand mit programmgesteuerter Rechenmaschine M9 Die Zuse KG baute für die Schweizer Remington Rand AG in Zürich eine Serie von Rechenlochern, die nicht mehr rein mechanisch, sondern mit elektromagne- Abb. 8 Rechenlocher M9 für die Schweizer Remington Rand tischen Relais arbeiteten. Sie setzten sich aus einem (Lochkarteneinheit), © Museum für Kommunikation, Bern Rechenwerk und einem Kartenleser/Kartenlocher zusammen. Die Aufgabe des Geräts bestand darin, mehrere Werte aus der Karte abzugreifen, sie in kleine, kapitallose deutsche Firma zu rechtfertigen.“ einem kleinen Programm zu verarbeiten und die Die Firma Alois Zettler hatte für die Rechenlocher Ergebniswerte wieder auf dieselbe Karte zu lochen. besonders haltbare Relais entwickelt. Dank eines Die Geschäfte mit der Schweizer Remington Rand zusätzlichen Abstandstifts aus Nylon liess sich die wurden über eine im gleichen Haus in Zürich ansäs- mechanische Abnutzung weitgehend vermeiden. sige Zwischenfirma (Mithra, daher die Bezeichnung Die Schweizer Remington Rand AG richtete M9 statt Z9) abgewickelt. Denn Zuse musste seine die programmgesteuerte Rechenmaschine M9 in eigenen Patente umgehen, weil er sie zeitweise an den 1950er-Jahren bei zahlreichen Unternehmen die Frankfurter Remington-Niederlassung (Powers) (z. B. Aluminium, Chippis; Charmilles, Genf; Con- übertragen hatte. servenfabrik, St. Gallen-Winkeln; Elektrizitätswerk Zuse hielt in seinen Lebenserinnerungen fest: der Stadt Zürich; Maschinenfabrik Rieter, Winter- ,,Etwa dreissig Geräte konnten wir in die Schweiz thur; Remington Rand, Zürich (Abb. 8); Spinnerei liefern; mit den Erträgen war der Aufbau unserer & Weberei, Dietfurt; Swissair, Zürich; Trüb, Täuber, Firmasogutwiegesichert.Esistdeshalbnurbillig Hombrechtikon; Von Roll, Klus) ein. Sie wurde auch des Mannes zu gedenken, der daran den grössten von der Stadtverwaltung Winterthur und vom Eidge- Anteil hatte: des leider früh verstorbenen Oskar nössischen Institut für Reaktorforschung (heute Paul Weder. Oskar Weder war Angehöriger der Schwei- Scherrer Institut, Villigen) genutzt. Die Relaisma- zer Remington-Rand und der eigentliche Initiator schine wurde über eine auswechselbare Schalttafel unserer Zusammenarbeit. Er hat sich seinen Vorge- gesteuert, auf der der jeweilige Operationsablauf setzten gegenüber stark exponieren müssen, um die verdrahtet war. Sie konnte alle vier Grundrechenar- Vergabe eines so umfangreichen Auftrages an eine ten ausführen. Laut Wilhelm Füssl vom Deutschen

572 Informatik_Spektrum_34_6_2011 Museum in München, das Zuses Nachlass verwaltet, Das Museum für Kommunikation in Bern sind für den Rechenlocher, den Zuse für die Firma konnte im Juni 2010 aus der Sammlung des Win- Remington Rand anfertigte, alle Unterlagen bis auf terthurer Technoramas, die aufgelöst wurde, einen wenige Reste verschollen. Der Verfasser ist daher Remington-Rechenlocher M9 mit Kartenstation Max Forrer, Ernst Inauen, Josef Steinmann und Fred übernehmen. Die Geräte stammen ursprünglich Winteler (Nutzer bzw. ehemalige Wartungstechniker aus der Stadtverwaltung Winterthur. Die M9 wurde der M9 bei der Schweizer Remington Rand) für die vermutlich 1953 gebaut. Zustellung von Originaldokumenten zu grossem Hinweis: Das Museum für Kommunikation in Dank verpflichtet. Bern besitzt eine Sammlung von Bau- und Konstruk-

Abb. 9 Untergestell der M9

Abb. 10 Panneau-Relais- Schrank der M9

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Abb. 11 Bedienungstafel der M9

Abb. 12 Schaltwalze I der M9

tionsunterlagen zur M9. Die Urkunden stammen aus Untergestell der M9 (Abb. 9), Panneau-Relais- den Jahren 1953 und 1954. Schrank der M9 (Abb. 10), Bedienungstafel der Das Museum für Kommunikation in Bern ist M9 (Abb. 11), Schaltwalze I der M9 (Abb. 12)und unseres Wissens weltweit das einzige Museum, das Schaltwalze II der M9 (Abb. 13). einen Rechenlocher M9/Z9 der Zuse KG besitzt. Wo stehen wir heute? Unterlagen zur M9 In der Schweiz gab es auch später bahnbrechende Quelle: Sammlung, Museum für Kommunikation, Entwicklungen von Rechnern, so die Arbeits- Bern platzrechner Lilith und Ceres von

574 Informatik_Spektrum_34_6_2011 Abb. 13 Schaltwalze II der M9

(ETH Zürich) sowie Smaky und Scrib von Jean- Rechenplanfertigung bei programmgesteuer- Daniel Nicoud (ETH Lausanne), ferner die Maus ten Rechenmaschinen, von Jean-Daniel Nicoud und André Guignard. Ni- 1952 erste Vorlesung zum programmgesteuerten klaus Wirth, der bisher einzige deutschsprachige Rechnen(HeinzRutishauser,AmbrosSpeiser), Träger des Turingpreises (,,Nobelpreis“ für Infor- 1956 Inbetriebnahme des ersten in der Schweiz matik), erfand wegweisende Programmiersprachen gebauten programmierbaren Rechners, der wie Algol-W, Pascal, Modula und Oberon. Un- ERMETH (Eduard Stiefel, Heinz Rutishauser, ser Land hatte also gute Voraussetzungen für ein Ambros Speiser), eigenes ,,Silicon Valley“. Doch daraus wurde be- 1958/ Programmiersprache Algol (Heinz Rutishau- kanntlich nichts. Denn es gelang leider nicht, die 60 ser, einer der Väter dieser Sprache), in der Schweiz gebauten Geräte erfolgreich zu 1970 Programmiersprache Pascal (Niklaus Wirth), vermarkten. Die einzige bedeutende Herstellerin 1978 Arbeitsplatzrechner Lilith mit Fenstertech- von Zubehör ist die im Raum Lausanne ansässige nik, Maus und hochauflösendem Bildschirm Logitech. Trotzdem haben nach IBM in den vergan- (Niklaus Wirth) und genen Jahren weitere namhafte Unternehmen wie 1986 Ceres/Oberon (Niklaus Wirth, Jürg Gut- Cisco, Disney, Google, Microsoft und Nokia For- knecht). schungsstätten in der Schweiz errichtet, und das World Wide Web wurde am Europäischen Labora- Hinweis torium für Elementarteilchenphysik (Cern) in Genf Die hier im Informatik-Spektrum abgedruckte erfunden. Version ist eine gekürzte Fassung der Festschrift anlässlich des 100. Geburtstages von Konrad Zuse im Meilensteine aus den Anfängen Jahr 2010. Insbesondere das umfangreiche Literatur- der Informatik an der ETH Zürich und Quellenverzeichnis wurde aus Platzgründen 1948 Gründung des Instituts für angewandte Ma- nicht abgedruckt. Ebenso nicht enthalten ist die thematik (Eduard Stiefel), Befragung von Zeitzeugen. Das Werk ist erschie- 1950 Inbetriebnahme des ersten programmier- nen unter: Herbert Bruderer: Konrad Zuse und die baren Rechners an einer Universität des ETH Zürich. Zum 100. Geburtstag des Informatik- europäischen Festlandes (Z4 von Konrad pioniers Konrad Zuse (22. Juni 2010). Festschrift. Zuse), ETH Zürich, Departement Informatik, Zürich, De- 1951 Erfindung des : Habilitationsschrift zember, 2. Auflage 2011, 40 Seiten [1]. In Kürze von Heinz Rutishauser: Über automatische erscheint eine umfassende Darstellung zur Z4, M9

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und ERMETH in Buchform [2](nähereAuskünfte: 2. Bruderer H (2012) Konrad Zuse und die Schweiz. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München [email protected]). 3. Petzold H (1985) Rechnende Maschinen. Eine historische Untersuchung ihrer Herstellung und Anwendung vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. VDI, Literatur Düsseldorf 1. Bruderer H (2010) Konrad Zuse und die ETH Zürich. Zum 100. Geburtstag des In- 4. Rojas R (Hrsg) (1998) Die Rechenmaschinen von Konrad Zuse. Springer, Berlin formatikpioniers Konrad Zuse (22. Juni 2010). Festschrift, 2. Aufl. ETH Zürich, De- 5. Zuse K (2010) Der Computer – Mein Lebenswerk, 5. unveränderte Aufl. Springer, partement Informatik, Zürich Berlin

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