Konrad Zuse Und Die Eth Zürich }

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View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by RERO DOC Digital Library HAUPTBEITRAG / KONRAD ZUSE UND DIE ETH ZÜRICH } Konrad Zuse und die ETH Zürich Zum 100. Geburtstag des Informatikpioniers Konrad Zuse (22. Juni 2010) Herbert Bruderer1 Die Geschichte der Informatik beginnt mit dem seit IAS-Rechner, IBM 701, Univac u. a. und in Grossbri- dem Altertum benutzten Zählrahmen Abakus und tannien: z. B. ACE, Colossus, EDSAC, Ferranti Mark, der Entstehung der Zahlensysteme. Die heutigen Leo und SSEM. Zuses Pionierleistungen in der Re- Computer haben zahlreiche Vorläufer. Die ersten chentechnik und in der Informatik wurden sowohl funktionsfähigen programmierbaren Rechengeräte in Europa als auch in den USA lange Zeit verkannt. wurden jedoch erst gegen Mitte des 20. Jahrhun- Das deutsche Patentamt verweigerte ein Patent für derts vorgestellt. Der deutsche Bauingenieur Konrad die Z3. Zuse (22.6.1910–18.12.1995) ist einer der Väter dieser Universalmaschinen. Er baute in Berlin seit 1936 ETH Zürich mietet den legendären Rechenanlagen. Nur ein einziges Gerät, die 1945 fer- Relaisrechner Z4 tiggestellte Z4, überlebte den zweiten Weltkrieg. Der Mathematiker Eduard Stiefel (1909–1978) Zuse versuchte anschliessend erfolglos, in- und gründete Anfang Januar 1948 an der ETH Zürich ausländische Universitäten sowie Hersteller von Bü- das Institut für angewandte Mathematik. Daraus romaschinen für seine Entwicklungen zu gewinnen. entwickelte sich 1968 die Fachgruppe für Computer- Damals konnte sich offenbar niemand vorstellen, wissenschaften, und schliesslich entstand daraus dass ein programmgesteuertes Rechengerät einer das heutige Departement Informatik. Damit be- handelsüblichen Rechenmaschine überlegen war. ginnt die Geschichte der Informatik in der Schweiz. Das Institut für angewandte Mathematik heisst Zuses Pionierleistung: die erste seit 1970 Seminar für angewandte Mathematik. arbeitsfähige programmgesteuerte Stiefel erkannte die Bedeutung der Rechenauto- Rechenmaschine der Welt maten sehr früh. Er plante den Eigenbau einer Nach Friedrich Bauer von der Technischen Univer- solchen Maschine und war, um Zeit zu gewinnen, sität München ist Konrad Zuse der ,,Schöpfer der auf der Suche nach einem fertigen, betriebssicheren ersten vollautomatischen, programmgesteuerten Gerät. Es gab einen grossen Bedarf nach umfang- und frei programmierbaren, in binärer Gleitpunkt- reichen numerischen (technischen) Berechnungen, rechnung arbeitenden Rechenanlage.“ Die Z3 war auch für die Zusammenarbeit mit der Schweizer 1941 betriebsfähig, sie wurde am 12. Mai 1941 in Maschinenindustrie. Berlin vorgeführt. In den 1940er- und Anfang der Daher besuchte Stiefel am 13. Juli 1949 Konrad 1950er-Jahre gab es ähnliche Entwicklungen in den Zuse (Abb. 1) in Hopferau bei Füssen (Ostallgäu). USA: Rechenautomaten ABC, Complex Number Calculator, EDVAC, ENIAC, Harvard Mark (ASCC), DOI 10.1007/s00287-011-0573-4 © Springer-Verlag 2011 1 Herbert Bruderer Der Verfasser dankt den Professoren Walter Gander, Martin Gutknecht und Carl Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, August Zehnder für ihre tatkräftige Unterstützung, die um so wertvoller war, als die Departement Informatik, drei Pioniere der Gründerzeit, die Professoren Eduard Stiefel, Heinz Rutishauser und Universitätsstrasse 6, 8092 Zürich, Schweiz Ambros Speiser, gestorben sind und es nur noch wenige Zeitzeugen gibt. E-Mail: [email protected] Informatik_Spektrum_34_6_2011 565 { KONRAD ZUSE UND DIE ETH ZÜRICH Zusammenfassung Der deutsche Bauingenieur Konrad Zuse (1910– 1995) hat 1941 die Z3 vorgeführt, den ersten frei programmierbaren und in binärer Gleitpunkt- rechnung arbeitenden Rechner der Welt. Zudem entwickelte er mit seinem Plankalkül erste Ideen für eine allgemeine Programmiersprache. Vor 100 Jahren wurde der Informatikpionier in Ber- lin geboren. Als einzige Universität auf dem europäischen Festland hatte die ETH Zürich 1950 eine betriebsfähige programmgesteuerte Rechenmaschine, die gemietete Z4. Die Z4 ist eine Weiterentwicklung der im Krieg zerstörten Z3. Dank der mit diesem Gerät durchgeführten Forschungsarbeiten wurde das damalige von Eduard Stiefel geleitete Institut für angewandte Mathematik in kurzer Zeit weltberühmt. Die Z4 stand im Keller des Mehllagers der Bäcke- reiMartin.ZusewarimMärz1945kurzvordem Fall Berlins mit der riesigen ,,Zuse 4“ mit der Bahn nach Göttingen und einige Wochen später mit einem Abb. 1 Konrad Zuse (1910–1995), © ETH-Bibliothek Zürich, Lastwagen nach Bayern geflohen. Er führte die Z4 Bildarchiv in der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göt- tingen vor. Die von 1942 bis 1945 gebaute Z4 hiess Sprungbefehle) durchgeführt. Die Z4 war der erste übrigens ursprünglich V4 (Versuchsmodell 4). Der Rechenautomat an der ETH und auf dem euro- Gleichklang dieser Abkürzung mit dem Kürzel für päischen Festland, der dem wissenschaftlichen die sogenannten Vergeltungswaffen V1 und V2 hat Rechnen diente. An der ETH konnten so viele An- laut Konrad Zuse dieses Gerät gerettet. Obwohl die regungen und Erfahrungen gesammelt werden, elektromechanische Z4 eine schon damals veraltete die später für den Bau einer eigenen programmge- Technik (Relais statt Elektronenröhren) nutzte, ent- steuerten Rechenmaschine hilfreich waren. Eduard schied sich Stiefel trotz Warnungen für ihren Einsatz. Stiefel und seine Mitarbeiter Heinz Rutishauser und Für ihn war die Verfügbarkeit von maschineller Re- Ambros Speiser haben dank der Z4 wesentliche chenleistung wichtiger als die modernste Technik. Beiträge zur angewandten Mathematik und zur Ent- Dieser mutige Entscheid erwies sich im Nachhinein wicklung der Rechentechnik sowie der Informatik als wegweisend. Das wissenschaftliche Rechnen mit geleistet. der Z4 machte sein Institut binnen weniger Jahre Die Nutzung der Z4 brachte beiden Seiten weltberühmt. grosse Vorteile: Zuse konnte mit dem Geld – die Das Institut für angewandte Mathematik mietete gesamte Summe war bei Vertragsabschluss bzw. die Z4 für fünf Jahre (für insgesamt 30.000 CHF). Abnahme der Maschine fällig – sein 1949 gegründe- Sie stand vom 11. Juli 1950 bis April 1955 im zwei- tes Unternehmen Zuse KG (Neukirchen) aufbauen. ten Stock des Hauptgebäudes (Raum G39) der ETH Der ETH stand kurzfristig eine erhebliche Re- Zürich. Heute befindet sich hier das Forschungs- chenleistung zur Verfügung. Sie entsprach einem institut für Mathematik. Der Mietvertrag wurde damaligen Rechenbüro mit etwa 40 mit mechani- am 7. September 1949 in der Gaststätte des Badi- schen Rechenmaschinen ausgestatteten Personen. schen Bahnhofs in Basel unterzeichnet. Vor der Das verhalf der ETH gegenüber anderen Univer- Inbetriebnahme wurden an der Maschine erheb- sitäten zu einem wissenschaftlichen Vorsprung liche Erweiterungen (z. B. Gebrauch bedingter (Abb. 2). 566 Informatik_Spektrum_34_6_2011 Abb. 2 Übersicht über Zuses frühe Rechenmaschinen Z1–Z4 Die ratternde Z4 sorgt Programmabtasters, das Klappern der Relais im Re- für das Zürcher Nachtleben chenwerk und das Klirren der Speicheroperationen DiemitRelaisbestückteZ4warwesentlichweniger zu unterscheiden. Mit einiger Übung konnte man störanfällig als modernere amerikanische Maschi- sagen, ob eine Addition, eine Multiplikation oder nen, die elektronischen Bauteile enthielten. Dass die eine Division im Gang war“ (Abb. 3). Z4 dank ihrer hohen Zuverlässigkeit nachts ohne Aufsicht lief, ist allerdings ein Märchen. Wozu wurde die Z4 in Zürich gebraucht? Im Prüfbericht von Corrado Böhm und DieZ4wurdeanderETHZürichfürArbeitenauf Harry Laett über die Erfahrungen mit der Zuse- dem Gebiet der numerischen Mathematik einge- Rechenmaschine vom 17. Oktober 1949 ist zu lesen: setzt. So wurden beispielsweise für die BBC, Baden, ,,Die Maschine sollte in zwei getrennten Räumlich- ,,kritische Tourenzahlen mehrlageriger Wellen“ keiten untergebracht werden können, um so eine durch Lösen von linearen Differentialgleichungen Trennung zwischen Bedienungsaggregaten (Tasta- 4. Ordnung berechnet. Der Rechenzeitaufwand be- turpult, Abtaster, Locher und Drucker) und den trug etwa 100 h. Aus der Industrie gab es manche Rechnungs- und Speichereinheiten zu gewährleis- Aufträge: Berechnung der Spannungen in einer ten. Auf diese Weise wird auch das Lärmproblem Talsperre (Grande Dixence), Berechnungen zum (Antriebsmotor und Speicherwerkantrieb) auf Raketenflug oder zur Flugbahn von Geschossen, einfache Weise gelöst.“ Untersuchungen zu Quantenmechanik, Hochfre- Zur (angeblichen) Zuverlässigkeit der Z4 gibt quenztechnik und Optik, Schwingungen einer es einen ausführlichen Zeitzeugenbericht von Urs Lokomotive, Abflussregulierung der drei Juraseen. Hochstrasser. In einem Brief vom 18. Juni 1951 be- Hinzu kamen mathematische Untersuchungen, klagt sich Eduard Stiefel bei Zuse: ,,Nach Deiner z. B. zu Bahnstörungen der Planeten Jupiter und blitzartigen und für uns etwas unerwarteten Abreise Saturn. In den fünf Jahren wurden etwa 100 ver- [...] hast Du uns mit Deiner absolut nicht betriebsbe- schiedene Probleme mit insgesamt rund 100.000 reiten Maschine allein gelassen. Es dauerte 14 Tage, Z4-Befehlen programmiert. Darunter befinden sich bis überhaupt eine kleine Rechnung gemacht werden 55 Aufträge und mathematische Untersuchungen. konnte [...]. Da wir praktisch seit Beginn des Monats Für Aussenstehende kostete die Z4 10 CHF je Stunde April keine durchgehende Arbeit leisten konnten, (Abb. 4). mussten wir mehrere Aufträge absagen.“ Zuse schreibt in seiner Autobiografie: ,,Im- Merkmale der an der ETH Zürich merhin besass das verschlafene Zürich durch die eingesetzten Z4 ratternde Z4 ein,

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