Gms Automobiler Wanderzirkus Namens Motorama Brannte
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CLASSICS GM Mototrama W E L C OME TO HARLEYWOOD GMs automobiler Wanderzirkus namens Motorama brannte zwischen 1949 und 1961 ein Feuerwerk von Dream Cars ab, erzeugte dadurch Hunger auf immer neue Designs und technische Features. Schwingt Euch im Geiste auf eine Rakete und fliegt mit uns auf den folgenden Seiten noch einmal mit, hinein in eine Zukunft, die so nie kam... TEXT Knut Simon – FOTOS GM Media Archiv er Turbinenwagen viert wird auf ausklappbaren Tabletts. Firebird II gleitet auf Wo sonst Tachometer und Drehzahlmes- dem Highway dahin. ser sitzen, informieren Monitore über Die Passagiere sitzen Reichweite und Druck der Gasturbine. unter der gewölbten Der per Kommunikationssystem zuge- Glaskuppel des zigar- schaltete Mann im zentralen Verkehrs- renförmigenD Wagens und genießen den tower informiert die Reisenden über die freien Blick auf die Landschaft und in beste Route und schickt die Informatio- den wolkenlosen Himmel. Inmitten nen auf den Navigationsbildschirm des zwangloser Plauderei werden Zigarren Firebird II. Wir schreiben das Jahr 1956. geraucht, gekühlte Getränke und Eis- Und so wie eben beschrieben stellten creme gereicht. Beides kommt aus Spen- sie sich bei GM damals die Zukunft vor. dern im multifunktionalen Cockpit, ser- SZENENWECHSEL. Der Grand Ball- room des Waldorf Astoria in New York war ein brodelnder Kessel. Draußen herrschte Chaos. Der Verkehr kam auf- grund der Menschenmassen zum Erlie- gen. Sie standen zu Tausenden an. Stan- den still für den Fortschritt wie die Mil- lenials vor dem Apple Store am Erscheinungstag des neuen iPads. Damals war es die Möglichkeit, die Zukunft aus der Perspektive des Automobilgiganten Ge- neral Motors be- staunen zu 108 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS Direct from Outer Space: 1954 beamen sich die Dream Cars der GM-Motorama scheinbar aus dem All direkt in den Grand Ballroom des New Yorker Waldorf Astoria können, die solche Szenen auslöste. Das im Innern des exquisiten Traditionsho- rend der Golden Rocket aussah wie aus Mastermind von GM war ein groß ge- tels, drehten nicht nur Showtänzer ihre dem All herbeigeflogen, wirkte der sil- wachsener Mann namens Harley Earl. Runden auf dem Parkett, hier drehtel- bern schimmernde Roadster Pontiac Sein Beruf: Designer, Marktforscher, lerte die automobile Zukunft in Form Club de Mer (siehe S. 114) mit seiner Provokateur. Sein offizieller Titel:GM von futuristischen Prototypen. Der größ- Heckflosse und dem fischmäuligen Luft- Vice President of Design. te Autohersteller der Welt leistete sich einlass, als hätten sie ihn aus den Tiefen Aus heutiger Sicht war dieser Harley damals eine eigene mobile Autoshow, des Ozeans geangelt. Und wir schreiben Earl viel mehr als ein Autodesigner. Earl welche die neuesten Modelle in die noch immer das Jahr 1956. It’s Show- gilt als der Begründer des industriellen wichtigsten Städte der USA brachte. Der time! Autodesigns, als Motor des Konsums. Publikumsmagnet schlechthin waren Mit alljährlichen Facelifts setzte er Kon- dabei die sogenannten Dream Cars. DIE MOTORAMA tourte zwischen kurrenten derartig unter Druck, dass sie Prototypen im Raketen-Design, die 1949 und 1961 acht Mal durch die Ver- sich beim Versuch, Schritt zu halten, Lust machen sollten auf eine strahlende einigten Staaten. Mit dabei: Die aus der verhoben. Viele kleine, unabhängige Zukunft. Es waren Träume. Zukunfts- GM-Styling-Division abgefeuerten Autohersteller waren durch die schnellen visionen. Scheinbare Flugobjekte. Da Traumraketen auf Rädern. Earl (1893 Modellwechsel gezwungen, zu fusionie- gab es den Buick Centurion, der anstel- – 1969) stammte nicht nur aus Holly- ren, um nicht vom Markt gefegt zu wer- le seines Innenspiegels eine erschütte- wood, wo er in den zwanziger Jahren den, weil ihre teuer entwickelten Autos rungsgeschützte Kamera besaß, deren im Karosseriebetrieb seines Vaters Son- schnurstracks alt aussahen. Earl etab- Bilder auf einen Monitor im Cockpit derkarosserien für die Autos der Show- lierte ein Tempo, das in der Autoindus- übertragen wurden. Gleich daneben biz-Größen zeichnete, in Ton modellier- trie bis heute gefahren wird. drehte sich der luxuriöse, flache Chev- te und letztlich baute – er verwandelte Am Eröffnungstag der Motorama in rolet Corvette Impala – mit Farbanzei- schließlich selbst die Automobil- in eine New York stand Harley J. Earl oft hinter gen für Sicherheitsgurte und Geschwin- Unterhaltungsindustrie. Flossen, einem schweren Vorhang der Showbüh- digkeit. Wiederum radikaler gestylt Chrom, Turbinen, Glaskuppeln, Titan- ne und beobachtete, wie das Publikum präsentierte sich der Oldsmobile Golden und Fiberglass-Karosserien, Gimmicks den Saal flutete. Zwar waren die Autos Rocket mit seiner projektilartigen Nase und Features gingen auf sein Master- die Stars, doch es war seine Show. Hier, und geteilter Windschutzscheibe. Wäh- mind zurück. Die Dream Cars waren das 2/2021 — AMERICAN CLASSICS 109 CLASSICS GM Mototrama eigentliche Herzstück jeder Motorama. Man darf es also getrost schreiben: und der größte Konzern der Welt es sich „Harley mit seinen unglaublichen Ideen Welcome to Harleywood. leisten konnte, karrte GM seine neues- und Connections und mit seinem 650 ten Modelle in Form einer gigantischen Personen starken Team war der Quar- WAS UNS HEUTE NOCH staunen Roadshow direkt zu den Menschen, und terback atemberaubender Ideen“, sagt lässt, wirkte damals, vor 65 Jahren, erst verlangte keinen Eintritt für den Blick sein Enkel Richard Earl im Interview recht unglaublich. Auf Amerikas Stra- in die Autowelt von Morgen. mit AMERICAN CLASSICS. „Er wuss- ßen krochen chrombewehrte Straßen- te, was Millionen Autokäufer wollten kreuzer mit formalen Anleihen aus dem EIN WANDERZIRKUS MIT AUTOS, – lange, bevor diese selbst es wussten.“ Flugzeugbau und aus der Raumfahrt nichts anderes war die Motorama. Nicht umher. Letztere gab es damals nur im zuletzt strategisch erdacht und zu Markt- Perry-Rhodan-Roman. Dass es sich da- forschungszwecken genutzt, getrieben bei um Autos mit simplen Fahrwerken von der steten Lust an Veränderungen und Motoren handelte und nicht um und Innovation. Mit den spektakulären Raumschiffe mit Düsen- oder Atoman- Dream Cars testete Harley Earl den Ge- trieb – who cares? Form follows schmack und die Akzeptanz neuer For- Emotion. Viel wichtiger war es, men, Farben, Materialien, Konzepte. Die zumindest aus Sicht von General Traumautos, die er bauen ließ, hießen Motors, dass der gut verdienen- Cyclone, Maharani und Stratospheric de Amerikaner auch im Windshield, Forward Thinking, Fiber- nächsten Jahr wieder ei- glass Body oder Corvette, La Espada, nen Chevy kauft. Weil L’Universelle, Strato-Streak und Firebird, das Fernsehen noch Turbine Research, LeSabre und Eldora- nicht so verbreitet war do Brougham Town Car . Tall guy with bold dreams: Harley Earl lässt dem Design scheinbar grenzenlose Freiheit. Trotzdem ist jede irre Idee klar kalkuliert. Hier posiert der GM-Design-Zar neben dem Firebird II Das Dream Car Corvette wurde Wirklichkeit, wenn auch „nur“ als Roadster. Hardtop, Corvette Corvair und Nomad (v. u.) geben immerhin Anregungen für zukünftige Serienmodelle von GM GM-Vice-President Harlow Curtice (l.) und Harley Earl präsentieren stolz das Messe-Modell der Motorama. Es steht dem Original an Aufwendigkeit in nichts nach (Bild rechts) 110 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS Exploration in Elegance. Dass er diese triebe waren, tat ihrer Popularität und Disziplin beherrscht, hatte Earl bereits dem Staunen keinen Abbruch. Im Ge- eindrucksvoll mit den Designstudien genteil: Das Image der Dream Cars, wel- Buick Y-Job (1938) und GM LeSabre che direkt aus Comicheften und deren (1951, siehe S. 114) bewiesen. Beide Fahr- Fantasiewelten entsprungen zu sein zeuge waren pure „Harley-Cars“, die schienen, befeuerte die Begeisterung formal seinem Credo „lower, longer, wi- des Publikums. Und der Plan ging auf, der“ folgten. Der Y-Job verzichtete zudem wenn in dessen Köpfen ein 56er Buick auf die obligatorischen Trittbretter und Roadmaster und ein 56er Chevrolet 150 besaß Klappscheinwerfer. Unterm Blech Four-Door Sedan mit Sechszylinder nur steckten ein Aluminium-V8 sowie ein etwas von der Strahlkraft der Dream Cars Transaxle-Getriebe und ein Prototyp der abbekamen. Wir sprechen hier von nichts Dynaflow-Automatik. Außerdem hatte Geringerem als von der Geburt des Con- der Wagen elektrische Fensterheber und cept Cars. Bis heute sind sie die Show- ein elektrisches Dach. Der Verdeckme- magneten jedes nationalen oder inter- chanismus des LeSabre wurde sogar nationalem Autosalons. Träger zukunfts- bereits über einen Regensensor gesteu- weisender Technologien, die auf echte ert! Beide Einzelstücke nutzte Harley und vermeintliche menschliche Bedürf- Earl zeitweise im Alltag – heute absolut nisse abzielen. unvorstellbar. Dass die auf der Motorama gezeigten DIE LANDESWEITE SHOW und die Studien dagegen oft nur rollbare Mock- Dream Cars waren dabei viel mehr als ups aus GFK und ohne Motor und Ge- ein Marketing-Gag. Dafür wären jähr- Die zeitgenössischen Plakate machen neugierig, versprechen Motorama- Besuchern bisher noch nicht Gesehenes Wie aus einer Bonboniere gepurzelte Zuckerhäppchen wirken die GM-Serienautos und Dream Cars der Motorama. Und in der Tat machen sie unbändigen Appetit auf Chromschnecken, Fabric- Marshmellows und Fensterweingummis... 2/2021 — AMERICAN CLASSICS 111 CLASSICS GM Mototrama Sind das hier wirklich Autos? Es sind Träu- me. Zukunftsvisionen. Die Tour in die relevantesten Städte der USA umfasste jeweils mehrere Monate. Rund Scheinbare Flugobjekte. zehn Millionen