CLASSICS GM Mototrama W E L C OME TO HARLEYWOOD

GMs automobiler Wanderzirkus namens Motorama brannte zwischen 1949 und 1961 ein Feuerwerk von Dream Cars ab, erzeugte dadurch Hunger auf immer neue Designs und technische Features. Schwingt Euch im Geiste auf eine Rakete und fliegt mit uns auf den folgenden ­Seiten noch einmal mit, hinein in eine Zukunft, die so nie kam... TEXT Knut Simon – FOTOS GM Media Archiv er Turbinenwagen viert wird auf ausklappbaren Tabletts. Firebird II gleitet auf Wo sonst Tachometer und Drehzahlmes- dem Highway dahin. ser sitzen, informieren Monitore über Die Passagiere sitzen Reichweite und Druck der Gasturbine. unter der gewölbten Der per Kommunikationssystem zuge- Glaskuppel des zigar- schaltete Mann im zentralen Verkehrs- renförmigenD Wagens und genießen den tower informiert die Reisenden über die freien Blick auf die Landschaft und in beste Route und schickt die Informatio- den wolkenlosen Himmel. Inmitten nen auf den Navigationsbildschirm des zwangloser Plauderei werden Zigarren Firebird II. Wir schreiben das Jahr 1956. geraucht, gekühlte Getränke und Eis- Und so wie eben beschrieben stellten creme gereicht. Beides kommt aus Spen- sie sich bei GM damals die Zukunft vor. dern im multifunktionalen Cockpit, ser- SZENENWECHSEL. Der Grand Ball- room des Waldorf Astoria in New York war ein brodelnder Kessel. Draußen herrschte Chaos. Der Verkehr kam auf- grund der Menschenmassen zum Erlie- gen. Sie standen zu Tausenden an. Stan- den still für den Fortschritt wie die Mil- lenials vor dem Apple Store am Erscheinungstag des neuen iPads. Damals war es die Möglichkeit, die Zukunft aus der Perspektive des Automobilgiganten Ge- neral Motors be- staunen zu

108 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS

Direct from Outer Space: 1954 beamen sich die Dream Cars der GM-Motorama scheinbar aus dem All direkt in den Grand Ballroom des New Yorker Waldorf Astoria

können, die solche Szenen auslöste. Das im Innern des exquisiten Traditionsho- rend der Golden Rocket aussah wie aus Mastermind von GM war ein groß ge- tels, drehten nicht nur Showtänzer ihre dem All herbeigeflogen, wirkte der sil- wachsener Mann namens Harley Earl. Runden auf dem Parkett, hier drehtel- bern schimmernde Roadster Sein Beruf: Designer, Marktforscher, lerte die automobile Zukunft in Form Club de Mer (siehe S. 114) mit seiner Provokateur. Sein offizieller Titel:GM von futuristischen Prototypen. Der größ- Heckflosse und dem fischmäuligen Luft- Vice President of Design. te Autohersteller der Welt leistete sich einlass, als hätten sie ihn aus den Tiefen Aus heutiger Sicht war dieser Harley damals eine eigene mobile Autoshow, des Ozeans geangelt. Und wir schreiben Earl viel mehr als ein Autodesigner. Earl welche die neuesten Modelle in die noch immer das Jahr 1956. It’s Show- gilt als der Begründer des industriellen wichtigsten Städte der USA brachte. Der time! Autodesigns, als Motor des Konsums. Publikumsmagnet schlechthin waren Mit alljährlichen Facelifts setzte er Kon- dabei die sogenannten Dream Cars. DIE MOTORAMA tourte zwischen kurrenten derartig unter Druck, dass sie Prototypen im Raketen-Design, die 1949 und 1961 acht Mal durch die Ver- sich beim Versuch, Schritt zu halten, Lust machen sollten auf eine strahlende einigten Staaten. Mit dabei: Die aus der verhoben. Viele kleine, unabhängige Zukunft. Es waren Träume. Zukunfts- GM-Styling-Division abgefeuerten Autohersteller waren durch die schnellen visionen. Scheinbare Flugobjekte. Da Traumraketen auf Rädern. Earl (1893 Modellwechsel gezwungen, zu fusionie- gab es den Buick Centurion, der anstel- – 1969) stammte nicht nur aus Holly- ren, um nicht vom Markt gefegt zu wer- le seines Innenspiegels eine erschütte- wood, wo er in den zwanziger Jahren den, weil ihre teuer entwickelten Autos rungsgeschützte Kamera besaß, deren im Karosseriebetrieb seines Vaters Son- schnurstracks alt aussahen. Earl etab- Bilder auf einen Monitor im Cockpit derkarosserien für die Autos der Show- lierte ein Tempo, das in der Autoindus- übertragen wurden. Gleich daneben biz-Größen zeichnete, in Ton modellier- trie bis heute gefahren wird. drehte sich der luxuriöse, flache Chev- te und letztlich baute – er verwandelte Am Eröffnungstag der Motorama in rolet Corvette Impala – mit Farbanzei- schließlich selbst die Automobil- in eine New York stand Harley J. Earl oft hinter gen für Sicherheitsgurte und Geschwin- Unterhaltungsindustrie. Flossen, einem schweren Vorhang der Showbüh- digkeit. Wiederum radikaler gestylt Chrom, Turbinen, Glaskuppeln, Titan- ne und beobachtete, wie das Publikum präsentierte sich der Oldsmobile Golden und Fiberglass-Karosserien, Gimmicks den Saal flutete. Zwar waren die Autos Rocket mit seiner projektilartigen Nase und Features gingen auf sein Master- die Stars, doch es war seine Show. Hier, und geteilter Windschutzscheibe. Wäh- mind zurück. Die Dream Cars waren das

2/2021 — AMERICAN CLASSICS 109 CLASSICS GM Mototrama

eigentliche Herzstück jeder Motorama. Man darf es also getrost schreiben: und der größte Konzern der Welt es sich „Harley mit seinen unglaublichen Ideen Welcome to Harleywood. leisten konnte, karrte GM seine neues- und Connections und mit seinem 650 ten Modelle in Form einer gigantischen Personen starken Team war der Quar- WAS UNS HEUTE NOCH staunen Roadshow direkt zu den Menschen, und terback atemberaubender Ideen“, sagt lässt, wirkte damals, vor 65 Jahren, erst verlangte keinen Eintritt für den Blick sein Enkel Richard Earl im Interview recht unglaublich. Auf Amerikas Stra- in die Autowelt von Morgen. mit AMERICAN CLASSICS. „Er wuss- ßen krochen chrombewehrte Straßen- te, was Millionen Autokäufer wollten kreuzer mit formalen Anleihen aus dem EIN WANDERZIRKUS MIT AUTOS, – lange, bevor diese selbst es wussten.“ Flugzeugbau und aus der Raumfahrt nichts anderes war die Motorama. Nicht umher. Letztere gab es damals nur im zuletzt strategisch erdacht und zu Markt- Perry-Rhodan-Roman. Dass es sich da- forschungszwecken genutzt, getrieben bei um Autos mit simplen Fahrwerken von der steten Lust an Veränderungen und Motoren handelte und nicht um und Innovation. Mit den spektakulären Raumschiffe mit Düsen- oder Atoman- Dream Cars testete Harley Earl den Ge- trieb – who cares? Form follows schmack und die Akzeptanz neuer For- Emotion. Viel wichtiger war es, men, Farben, Materialien, Konzepte. Die zumindest aus Sicht von General Traumautos, die er bauen ließ, hießen Motors, dass der gut verdienen- Cyclone, Maharani und Stratospheric de Amerikaner auch im Windshield, Forward Thinking, Fiber- nächsten Jahr wieder ei- glass Body oder Corvette, La Espada, nen Chevy kauft. Weil L’Universelle, Strato-Streak und Firebird, das Fernsehen noch Turbine Research, LeSabre und Eldora- nicht so verbreitet war do Brougham Town Car .

Tall guy with bold dreams: Harley Earl lässt dem Design scheinbar grenzenlose Freiheit. Trotzdem ist jede irre Idee klar kalkuliert. Hier posiert der GM-Design-Zar neben dem Firebird II

Das Dream Car Corvette wurde Wirklichkeit, wenn auch „nur“ als Roadster. Hardtop, Corvette Corvair und Nomad (v. u.) geben immerhin Anregungen für zukünftige Serienmodelle von GM

GM-Vice-President Harlow Curtice (l.) und Harley Earl präsentieren stolz das Messe-Modell der Motorama. Es steht dem Original an Aufwendigkeit in nichts nach (Bild rechts)

110 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS

Exploration in Elegance. Dass er diese triebe waren, tat ihrer Popularität und Disziplin beherrscht, hatte Earl bereits dem Staunen keinen Abbruch. Im Ge- eindrucksvoll mit den Designstudien genteil: Das Image der Dream Cars, wel- Buick Y-Job (1938) und GM LeSabre che direkt aus Comicheften und deren (1951, siehe S. 114) bewiesen. Beide Fahr- Fantasiewelten entsprungen zu sein zeuge waren pure „Harley-Cars“, die schienen, befeuerte die Begeisterung formal seinem Credo „lower, longer, wi- des Publikums. Und der Plan ging auf, der“ folgten. Der Y-Job verzichtete zudem wenn in dessen Köpfen ein 56er Buick auf die obligatorischen Trittbretter und Roadmaster und ein 56er Chevrolet 150 besaß Klappscheinwerfer. Unterm Blech Four-Door Sedan mit Sechszylinder nur steckten ein Aluminium-V8 sowie ein etwas von der Strahlkraft der Dream Cars Transaxle-Getriebe und ein Prototyp der abbekamen. Wir sprechen hier von nichts Dynaflow-Automatik. Außerdem hatte Geringerem als von der Geburt des Con- der Wagen elektrische Fensterheber und cept Cars. Bis heute sind sie die Show- ein elektrisches Dach. Der Verdeckme- magneten jedes nationalen oder inter- chanismus des LeSabre wurde sogar nationalem Autosalons. Träger zukunfts- bereits über einen Regensensor gesteu- weisender Technologien, die auf echte ert! Beide Einzelstücke nutzte Harley und vermeintliche menschliche Bedürf- Earl zeitweise im Alltag – heute absolut nisse abzielen. unvorstellbar. Dass die auf der Motorama gezeigten DIE LANDESWEITE SHOW und die Studien dagegen oft nur rollbare Mock- Dream Cars waren dabei viel mehr als ups aus GFK und ohne Motor und Ge- ein Marketing-Gag. Dafür wären jähr- Die zeitgenössischen Plakate machen neugierig, versprechen Motorama- Besuchern bisher noch nicht Gesehenes

Wie aus einer Bonboniere gepurzelte Zuckerhäppchen wirken die GM-Serienautos und Dream Cars der Motorama. Und in der Tat machen sie unbändigen Appetit auf Chromschnecken, Fabric- Marshmellows und Fensterweingummis...

2/2021 — AMERICAN CLASSICS 111 CLASSICS GM Mototrama

Sind das hier wirklich Autos? Es sind Träu- me. Zukunftsvisionen. Die Tour in die relevantesten Städte der USA umfasste jeweils mehrere Monate. Rund Scheinbare Flugobjekte. zehn Millionen Zuschauer kamen Made by Dreams 1956 träumten die USA noch vom erfolgrei chen Flug zu den Sternen – die Motorama- Dream Cars wie der Buick Centurion (v.) oder der Corvette Impala schienen liche Kosten von seinerzeit fünf Millio- schon dort gewesen zu sein nen US-Dollar wohl selbst einem Riesen wie GM zu hoch gewesen. Nein: Nie zuvor und niemals danach leistete sich ein einzelner Autokonzern für seine Marken einen Gigantismus wie die Mo- torama. Shows der Superlative, insze- niert in Ballsälen und Kongresszentren, landesweit.

AUF SCHEINBAR IM RAUM schwe- benden Plattformen, die formal an flie- gende Untertassen erinnerten, musi- zierte das Orchester. Tanz- und Show- einlagen wurden geboten, während die Dekoration vom beginnenden Space-Age inspiriert war. Und mittendrin: die brandneuen Chevrolets, Pontiacs, Olds- mobiles, Buicks und Cadillacs des kom- menden Modelljahres. Vor allem aber: nes übergroßen Gebrauchtwagenhö- che. Um nach der automobilen Grund- die erwähnten Dream Cars. Heute nen- kers. Weil man sich dieses Erbes bei GM versorgung weiter Autos verkaufen zu nen wir sie Konzeptfahrzeuge. Eine Heritage durchaus bewusst ist, sind können, mussten die Hersteller Begehr- Bezeichnung, die sich technisch und eine Vielzahl beeindruckender Fotos lichkeiten wecken, für Dinge, die die kalt anhört. Dabei sollte das Publikum und sogar Filmmaterial erhalten. Hier- Kundschaft eigentlich nicht brauchte – doch träumen. Das Staunen hatten sie aus die gezeigte Auswahl zu treffen, aber haben wollte. Autos mussten sexy Mitte der fünfziger Jahre ja noch nicht war ein Höllenjob, glauben Sie’s mir. werden. Und zwar derart sexy, dass wir verlernt. noch heute fasziniert auf die Motorama- Der gewaltige Unterschied zwischen „ES WAREN DIESE AUTOS und die- Dream-Cars schauen, die mit ihren In- „herkömmlichen“ Automessen und der se Ideen, die GMs damaligen Marktanteil novationen Einfluss auf die Serie hatten, Motorama war, dass Erstgenannte von von über 50 Prozent zementierten“, sagt wie der Firebird mit seinem Keyless- dutzenden Herstellern aus aller Welt Enkel Richard Earl. „Niemand der ande- Entry-System. Oder selbst zu Erfolgsmo- beschickt werden – und nicht von nur ren Hersteller, noch nicht einmal die dellen wurden, wie die Corvette. Deren einem einzigen Konzern. Das muss man anderen Großen wie Chrysler oder Ford, Prototyp wurde erstmals wo präsentiert? sich für einen Moment auf der Zunge konnten es wagen, ihre Kerze in den Richtig, auf der Motorama 1953! zergehen lassen: Die Motorama stand Sturm zu halten, den GM unter Harley Auch in diesem Fall hatte Earl den von 1949 bis 1961 (die Heydays lagen Earl in den Fünfzigern entfachte.“ Es richtigen Riecher: GM musste handeln! dabei deutlich zwischen 1953 und 1956) heißt, es habe eine Zeit vor dem Auto- Waren doch die amerikanischen GIs für die Leistungsschau eines einzigen mobildesign gegeben und eine ab dem durch ihren Einsatz in Europa in Kontakt Konzerns. Der Optimismus schien da- Wirken von Harley J. Earl. Er rekrutierte mit sportlichen Roadstern à la MG TC mals so grenzenlos wie das All, in das Design-Talente, war der Erste, der die gekommen. Von diesen sportlichen Lust- hinein man einst mit seinem neuen Bedeutung femininer Akzente im Auto- objekten landeten in der Nachkriegszeit Buick fliegen würde. Und aus dem her- mobildesign erkannte und förderte (sie- derart viele in den USA, dass Earl be- aus die gezeigten Dream Cars gerade- he „Babes in Boyzone“, AMERCIAN fand, es sei Zeit für ein „truly American wegs zu kommen schienen. CLASSICS 04/2020) und drückte der Sports Car!“ Dazu mag auch die Anek- Für diese Produkt- und - Parade of Progress mit den Futurlinern dote beigetragen haben, dass Konstruk- Show schickte GM eine mehrere Kilo- seinen unverkennbaren Stempel auf. teur und Rennfahrer Briggs Cunning- meter lange Karawane von Sattelschlep- Die USA waren das erste Land, in dem ham während Earls Besuch an der pern durchs Land, beladen mit dem das Automobil auch für Normalverdiener Rennstrecke von Watkins Glen im Jah- Spektakulärsten, was der Messebau zu erschwinglich, und das von den Auto- re 1951 leicht spöttisch auf den bereits bieten hatte und wogegen der Pariser bauern im Zeitraffertempo erschlossen erwähnten GM LeSabre reagierte: Automobilsalon aussah wie der Hof ei- wurde, bis in die entferntesten Landstri- „Bring das nächste Mal doch ein Pace

112 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS

Wie das Staatsballett aus Raumpatrouille Orion wirkt die Choreografie rund um den Firebird II. Der Zeitunterschied zwischen Bühne und höchst konventionell gekleide tem Publikum beträgt gefühlte 500 Jahre

„The Car is the Star“, auch schon auf den Motorama-Plakaten. Die wirken wie eine Miniatur der getanzten Realität – siehe oben...

Car mit, mit dem du auch Rennen fahren kannst!“ Guter Plan, dachte sich Earl, und setzte diesen prompt in die Tat um. Und zwar derart er- folgreich, dass nicht nur die Kundschaft mit Begeisterung auf die neue amerikanische Ikone reagierte – sondern auch Ford, in dem sie gezielt ihr Thunderbird-Entwicklerteam auf die Motorama entsandten, um heimlich Zeichnungen und Fotos anzufertigen. Dieses Stück Industriespionage existiert bis heute in Form eines ledergebunde- nen Buches.

EARL UND SEIN TEAM kreierten anhand der Motorama-Dream-Cars ein Feuerwerk an Innovationen, Laborato- rien auf Rädern. Wie das elegante, flache Towncar Pontiac La Parisenne mit klas- sischem Landaulet-Dach oder den tief- schwarz lackierten, komplett aus Fiber- glass geformten Buick Wildcat – dessen Karosserie sich aufgrund statischer Aufladung so sehr mit Staub besetzte, Ein wenig Mondrian, ein wenig Konstrukti- dass er für die anderen Motorama-Sta- vismus, ein wenig Circus Roncalli – auch tionen weiß lackiert wurde. Und besag- „Experimental Mid Century“ hätte die te Corvette, die 1954 zu Testzwecken Stilbeschreibung des Motorama- Entrees als erster Lifestyle-Kombi überhaupt von 1956 ganz gut getroffen (Nomad), Coupé (Corvair) und mit Hard-

2/2021 — AMERICAN CLASSICS 113 CLASSICS GM Mototrama

top gezeigt wurde. Immerhin das Kon- zept des Nomad durfte ab 1956 in Serie gehen – wenn auch „nur“ als Chevy-Bel Air- und Pontiac-Parisienne-Variante. 1951 GM LeSabre Nein, kein Motorama-Car. Ja, neben dem Y-Job von 1939 ist der Le Sabre der Godfather der Concept- and Dream BILL TURUNEN, Schöpfer des GM- Cars. Punkt. Selbst in der Retrospektive wirkt er spektakulärer als übliche Midcentury-US-Cars – damals vereinte Turbinenprogramms, lieferte 1954 den der LeSabre alles, was an Design und Technik noch kommen sollte. Harley Earl nutzte ihn lange als Alltagswagen Antrieb des Firebird I mit Delta-Flügeln, mit entsprechendem Showeffekt. Gelingt dem LeSabre noch heute – auf Shows und im Museum. den Designer Bob McLean analog zur Douglas F4D Skyray entwarf – Earl hat- te entsprechende Fotos des Jets gese- 1954 GM Firebird I Eine Rakete auf Rädern. Amerikas erstes von einer Gasturbine angetriebenes hen... 1955 debütiert der skurrile Cargo- – nun ja: „Auto“. 270 HP lagen an bei 13.000 Umdrehungen pro Minute – doch Van (richtig gelesen!) namens GMC weil die Reifen Mühe hatten, die Leistung der Gasturbine auf dem Asphalt der L‘Universelle mit zweigeteilt nach oben GM-Teststrecke zu beherrschen, beließ es der als Testfahrer schwenkenden Seiten- und Hecktüren engagierte Mauri Rose, dreimaliger Gewinner der Indianapolis 500, bei 100 Meilen und Mittelmotor. Der radikal designte pro Stunde. Der Firebird Pontiac Strato-Star wartete mit tief aus- I steht in der geschnittenen vorderen Radhäusern und seitlich herumgezogenen, quasi North American pfostenlosen Seitenscheiben auf. Heritage Collection Der Chevrolet Biscayne, dank seiner in Sterling Heights. aufgesetzten Glupschaugen scheinbar irgendwie mit dem Austin Healey Fro- geye verwandt, bestach mit heraus- 1954 Buick Wildcat II schwenkbaren Vordersitzen, Suicide- Born to be wild – und truely American Style. Das waren wohl die Vorgaben Doors und einem Komplettverzicht auf für den Wildcat II, der der konservativen Kundschaft der Marke tatsächlich demonstriert, was theoretisch ginge. Laut offizieller Vorgabe „frei von Dekor wie Heckflossen und massiver- europäischen Einflüssen“, ist der Chrom-Ornamentik. „An exploration in Wildcat II tatsächlich ein ein- elegance“ sei die von Chevy-Designchef ziges „Rroooarr!“ auf Rädern: Clare MacKichan entworfene Hardtop- Gefletschte Front, schwin- Limousine, tönte der damalige Werbe- gende Kotflügel mit polierten text. Und mit was tat er das? Mit Recht! Innenseiten, freistehende Nicht zu vergessen auch der von Ho- Scheinwerfer – The Great Gatsby trifft hier irgendwo auf James Dean. Für mer LaGassey geformte Buick Wildcat Leichtigkeit sorgen der Body aus Fiberglass sowie III, „a man’s car“, dessen kompletter das vollelektrische Roadsterverdeck. Wurde von GM-Boss Schaffensprozess in Harley Earls Buch Harlow Curtice gefahren, steht seit 1976 im GM-Museum in Flint, Michigan. The Look of Things Pate steht für die generelle Entwicklung eines neuen Au- tomobils. Von den ersten Zeichnungen 1954 Special über die (ebenfalls von Earl erfundenen) Mit seinem an spätere erinnernden Design-Elementen (okay, es war nur ein Conti- 1:1-Tonmodelle bis hin zur Präsentation. nental Kit...) stellte der Bonneville Special das genaue Gegenteil der damaligen Serienfahrzeuge 1956 schließlich zündete bereits er- der Marke dar. Allein die Silver Streaks auf der Motorhaube und der 268er-Reihen-Achtzylinder definierten ihn als Pontiac. Kein Zweifel: Der extrem dynamische Bonneville Special sollte der wähnter Oldsmobile Rocket mit seinen Kundschaft die unmittelbar bevorstehende Ankunft sportlicher Modelle sich aufklappenden Dachsegmenten, ankündigen! Die Plexiglas-Flügeltüren gewährten Zugang zu den sobald man die Türen öffnet. Easy Ent- innen liegenden Türgriffen ry. Carl Renner gestaltete für die damals – außen gab es keine. noch existierende GM-Marke LaSalle Kann man noch heute im Roadster und Sedan. Buicks Centurion Museum ausprobieren, glich einer heran zischenden Glasfrucht wenn keiner guckt. auf Rädern, die nicht nur in der Rück- fahrkamera eine gute Figur machte.

DER ZU BEGINN DIESES ARTIKELS autonom ins Blatt turbinende Firebird Während viele der GM-Motorama Dream Cars 1955 GM L‘Universelle II schließlich vereinte exklusives Design wirklich nur zum Träumen waren, kam der L‘Universelle praktischen und mit technischer Innovation. Er war Ver- realistischen Konzepten sehr nah. suchsträger für das DelcoAir-Luftfahr- Zwar wies er all die unvermeidliche werk mit hydraulischer Nievauregulie- Space-Baroque-Ornamentik der rung und Turbo-X-Brakes – also für damaligen Zeit auf, bot aber mit Scheibenbremsen. Zudem experimen- Frontantrieb, Mittelmotor sowie tierte GM mit gleich zwei Werkstoffva- mit horizontal geteilten, weit nach oben aufschwingenden rianten für die Karosserie: einer der Laderaumtüren tatsächliche beiden Firebird II entstand aus Fiber- Raum-Erlebnisse. Der Verbleib glass, der zweite aus Titan! Herzstück des L‘Universelle ist unbekannt.

114 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS

Die zehn heißesten MOT ORAMA DRE AM C ARS Erdacht, modelliert, gebaut, gefeiert – und dann verschrottet: Nicht wenige der hier gezeigten, einst spektakulär inszenierten Motorama-Dream Cars endeten auf Junk Yards, die nur einen Steinwurf vom GM Style Dome entfernt lagen. Einige „Bean Counters“ wollten schlicht die Lagerkosten der atemberaubenden Studien sparen... Zwar besann sich GM rasch, dennoch gelten einige der spektakulärsten Motorama-Showcars als verschollen. Lost in Space...? Heute sind die verbliebenen Exemplare in der Obhut von GM Heritage – oder in Sammlerhand 1956 Buick Centurion Ein Body aus Fiberglass, gegossen im Windkanal. Unten in Weiß, oben in Electron 1956 Pontiac Club de Mer Red. Dramatischer Blick aus zurückgesetzten Scheinwerfern in turbinenartigen Höhlen. Rückfahr- kamera anstatt Rückspiegel. Glaskuppel, vier knallrote Leder-Einzelsitze mit Sicherheitsgurten und einstellbaren Kopf- stützen. Das Öffnen der Türen aktiviert Elektromotoren, die deinen Sitz bequem zurückfah- ren. Das leichte Anlupfen der vorderen Lehnen hingegen lässt die Sitze zwecks bequemeren Einstiegs in den Fond nach vorne surren. Das Heck ist gestaltet wie das eines Flugobjekts. Trotz des verbauten, showmäßig verchromten 322er V8 und Dynaflow-Getriebe ist der Centurion funktionslos. Designleitung: Chuck Jordan. Der Centurion zischt noch immer bewegungslos mit gefühlten 300 km/h durch das Alfred P. Sloan Museum in Michigan.

Outer Space d‘Elegance: Die Projektil-artige, keine 39 Inches hohe Hülle aus rostfreiem Edelstahl des Club de Mer untermauerte die kompromisslos futuristische 1958 GM Firebird II Designlinie von GM unter Harley Earl. Hinter dem Jet-Air-Intake der ansonsten geschlossenen Front war der damals brandneue 287-OHV-V8 installiert. Der geplante Serienstart wurde 1958 ausgebremst. Der Club de Mer gilt als verloren, lediglich ein zeitgenössisches 1:4-Modell existiert bis heute.

Sieben Leitwerke, vier von ihnen leicht abgewinkelt. Wer den Lockheed F-104 Starfighter von 1956 kennt, weiß, warum der 1958er Firebird III nur SO aussehen konnte. Öffnen der Glas- kuppel per Sonic-Key (Fernbedienung), Joystick auf der Mittelkonsole zum Beschleunigen, Lenken, Bremsen. ABS, Tempomat, Fahrwerk aus kombinierter Luft-Öl-Hochdruckfederung. Antrieb? Hybrid, im weitesten Sinne: Hinten Gasturbine, vorne Otto-Normalverbraucher- Zweizylinder für Aggregate wie Hydraulikpumpen und elektrische Generatoren. Echt zukunftsweisend: Heute ist das alles genau so! Bis auf Design, Bedienung, Emotion... Der Firebird III ist im GM Museum gelandet.

1959 Cadillac Cyclone Einer der Letzten von Harley Earl. Gegen UV-Strahlung silberbeschichtete Plexiglaskuppel, 1956 Oldsmobile Golden Rocket die auf Knopfdruck mit den Schiebetüren aufschwingt. Komplett abnehmbar, findet diese Zu Lande, zu Wasser und in der Luft – der Golden auf einem speziell angefertigten Luftpolster im Kofferraum ihren Platz an sonnigen Tagen. Rocket, dessen Name stylistisches Programm war, Damit auch das Gemüt stets sonnig bleibt, warnt und bewahrt das in schien sich in allen genannten Elementen frei bewegen den Raketenspitzen der Cyclone-Front installierte Abstandsradar erst zu können. Passend dazu hatte er den 275er Rocket-V8 optisch, dann akustisch, dann per Bremsein- installiert. Öffnete man die Türen, schwangen die griff. Zumindest theoretisch – eine Funk- jeweiligen Dachhälften nach oben und die vorderen tionsprüfung blieb bis heute Sitze zwecks besseren Einstiegs nach außen und hoben aus. Aber das Autopilot- sich um drei Inches. Auch das Innenraumdesign mit System funktioniert – per zentral angeordnetem Tachometer sowie goldenem und Sensor am Fahrzeugboden blauem Leder verschlug einem schlicht den Atem. Seit und Kontaktschiene auf der 1958/59 scheint der Golden Rocket für immer entflogen, Straße. Kann man noch heute davongeschossen oder abgetaucht zu sein. bestaunen. Alles. In Detroit. CLASSICS GM Mototrama

war das GT-304 -Turbinenwerk, das 80 geraunte Versionen. Enkel Richard Prozent mehr Abgase recycelte als im schweigt dazu. Nur so viel will er noch Vorgänger Firebird I, anstatt sie als blo- sagen: „It’s not true like many say that ße Abwärme entweichen zu lassen. in the end Harley had in some kind lost Zudem sanken Geräuschpegel und Ver- his way.“ brauch. Die meinten das damals tat- Unter Nachfolger Bill Mitchell wurden sächlich ernst... die Autos weiterhin longer, wider, lower. Doch die Formensprache wandelt sich WAS FÜR EIN nicht enden wollender hin zu der, die das Dream Car Biscayne Zirkus also, welch flirrender, schillern- vorgegeben hatte: Schlichtheit statt der Siegeszug. Hatte man bei GM auf- überbordende Ornamentik. grund des vorangegangenen Korea- Krieges (1950–1953) und dem daraus GANZ PRAGMATISCH beendeten vor resultierenden Materialmangel die Mo- allem die hohen Kosten und der Sieges- torama 1950 auf New York und das Wal- zug des TV die schließlich als überholt dorf begrenzt und die Shows der Jahre geltende Motorama. 1961 klang diese 1951 und 1952 ganz ausfallen lassen, einmalige, fulminante GM-eigene Mo- gab es nach 1956 erneut einen harschen torshow für immer aus. Bis heute aber Cut: 1957 fiel die Motorama aus, 1958 bestimmen der Grad und das Tempo hielt gerade einmal ein einziges Dream nicht nur technischer, sondern vor allen Car die Fahne hoch: der Firebird III. gestalterischer Wechsel und Änderun- Daneben lungerten die chromschmat- gen die Drehzahl der Autoindustrie. zenden Pontiacs, Buicks und so weiter Vielleicht hat der amerikanische Schrift- auf fetten, elektrisch gedrehten Brokat- steller Tom Wolfe den großen Harley Earl kissen. Big Mouth strikes again, but in am besten zusammengefasst. In The a different manner... Und was geschah Kandy-Kolored-Tangerine-Flake-Stream- mit Big Earl? line-Baby schreibt er 1964: „Ich muss The Firebird III has landed – auf der Der Innovator, Motor, Netzwerker und nicht betonen, dass Autos für die jungen 59er Motorama, weil die Show im Quarterback der im Prinzip gesamten Leute von heute wichtiger sind als die konjunkturschwachen Vorjahr ausgefallen Automobilindustrie, der über Jahrzehn- Architektur im großen, formalen Zeital- war. Dieser Vogel sollte das letzte te das tat, was Enkel Richard Earl an- ter in Europa zwischen 1750 und 1850. GM-Feuerwerk in Sachen Dream Cars schaulich mit „turning up the tempera- Sie sind Ausdruck von Freiheit, Stil, Sex, bleiben. Ein Schwanengesang ture“ bezeichnete, ging 1958 in den Power, Bewegung, Farbe – das alles ver- Ruhestand. Freiwillig? Nun, es war das körpert das Automobil.“ N! REDA DE K E TI R O T N Jahr, in dem die Auto-Verkäufe in den Wird Zeit, dass wir uns I @

M

A

M

E

E

USA erstmals drastisch einbrachen. Zu mal wieder daran erinnern R D

.

I

C

S

A

C KS I N S - S C L

Earls Abgang gibt es mehrere, zumeist – aber richtig. A

Bring back the dreams! Vermissen wir sie nicht alle, die wirklich abgefahrenen Studien? Heute könnten sie sogar fahren und in Großserie funktionieren – man müsste das Publikum nur dafür begeistern. Mit neuen Motoramas, die einfach mal „spinnen“ und zeigen, was ein Auto sein kann: einfach traumhaft. Ein Dream Car von heute dürfte von mir aus auch mal elektrisch sein, aber bitte nicht ausschließlich. Und nein, bitte nicht autonom fahren, ich will Pilot meiner Rush Hour in New York: Millionen von Raumkapsel sein Besuchern standen Schlange, um die und nicht nur Gratis-Shows von GM zu sehen. Die Polizei Passagier. hatte Mühe, dem Andrang Herr zu werden Knut Simon (Autor)

116 AMERICAN CLASSICS — 2/2021 GM Mototrama CLASSICS

Unter der Haube: Gegen Ende der Motorma- Mania waren „nur“ noch die Inszenierungen spektakulär, die Autos weniger. Hier ein gelifteter

Glamour? Hm, ja, schon. Einzigartiges, Atemberaubendes auf Rädern? No, Sir. Die 1961er Motorama war die Letzte ihrer Art. Serienfahrzeuge in Sonderfarben wirkten blass gegenüber den Vorgänger-Events

2/2021 — AMERICAN CLASSICS 117