Mister Viola
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Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2011 Mister Viola Yuri Bashmet Yuri Bashmet ist nicht nur ein weltbekannter Virtuose. Der 58-Jährige aus Rostov am Don holte auch die viele Jahrzehnte unterschätzte Bratsche als Solo-Instrument ins Rampenlicht zurück. Im März ist er gemeinsam mit Julian Rachlin und seinem Orchester, den Moskauer Solisten, erneut im Musikverein zu erleben. Yuri Bashmet mag so seine Schwächen haben, ein zu geringes Selbstbewusstsein gehört mit Sicherheit nicht dazu: „Ich habe immer gewusst, dass ich eines Tages ein Held sein würde“, hat er vor einigen Jahren dem Londoner „Daily Telegraph“ erzählt. „In meinem Kampf für die Viola bin ich ein Pionier.“ Recht hat er mit diesen Sätzen allerdings. Welchen Bratscher seines Ranges gibt es außer ihm? Der Schotte William Primrose (1904–1982) war vermutlich der bekannteste Virtuose auf diesem Instrument – aber selbst er ist heute außerhalb seines Fachs kaum noch bekannt. Zudem trat Primrose nicht annähernd so intensiv solistisch auf wie Bashmet, sondern spielte auf den Konzertpodien vornehmlich als Mitglied diverser Streichquartette. Auch der Komponist Paul Hindemith war von Haus aus Bratschist, und in der jüngeren Generation wären Tabea Zimmermann und Nils Mönkmeyer zu nennen. Aber sonst? Heißgeliebte Gitarre Geboren 1953 im südrussischen Rostov am Don verbrachte Bashmet seine Kindheit in der nahegelegenen Ukraine: in Lvov, dem ehemals galizischen Lemberg. Seine erste Liebe galt der Gitarre, der Rockmusik und dem Chicago-Jazz, als Teenager war er ein Fan der Beatles und von Jimi Hendrix. Daneben spielte er zwar auch Geige – tat das aber nur seiner klassikbegeisterten Mutter zuliebe. Mit 14 stieg er um auf die Bratsche. Es seien vor allem pragmatische Gründe gewesen, wie er selbstironisch erzählt: Ein Freund habe gesagt, er würde einen prima Bratscher abgeben. Außerdem müsse ein Bratscher weniger üben als ein Geiger, der täglich sechs, sieben Stunden für sein Instrument aufzubringen habe – was bedeuten würde, mehr Zeit für die heißgeliebte Gitarre und die Rockmusik zu haben. Vor allem Letzteres überzeugte Bashmet sofort. Wahrlich eine Ironie der Geschichte, dass eine so große Begabung womöglich beinahe gar nicht entdeckt worden wäre. Mit 18 Jahren zog er nach Moskau und begann ein Violastudium am weltberühmten Konservatorium: zunächst bei Vadim Borisovsky, dem Bratschisten des Beethoven-Quartetts, und nach dessen Tod bei Feodor Druzhinin, dem einst Dmitrij Schostakowitsch seine Sonate für Viola widmete. Erst an diesem Punkt seines Lebens, so hat er einmal erzählt, sei ihm wirklich klar geworden, dass die Viola sein Instrument sein könnte und nicht die Gitarre. Und dass seine Musik die klassische ist und nicht der Rock. Zeitgleich erkannte auch die Sowjetunion die außergewöhnliche Begabung des stets schwarz gekleideten Jungen: Kaum hatte Bashmet sein Examen in der Tasche, bekam er eine Professur – und wurde damit an dem traditionsreichen Institut der jüngste Dozent aller Zeiten. Den Bratscherwitzen zum Trotz In der Musikwelt sind die Rollen innerhalb der Solostreicher klar verteilt: Zum einen gibt es die luzide Geige und, auf den Konzertpodien, die großen Geigerpersönlichkeiten; zum anderen gibt es das sinnliche Cello und viele berühmte Cellisten. Und dann gibt es noch die Bratscher, 1 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2011 über die ihre Kollegen gerne ihre Witzchen machen. Aber nachdem 1976 dieser unbekannte Russe auf das Podium des Münchner ARD-Musikwettbewerbs stürmte – und ihn auch noch gewann! –, verloren die Bratschersprüche ein bisschen an Reiz. Zu offensichtlich stand hier ein Musiker auf der Bühne, dessen Persönlichkeit alle Witze Lügen strafte: nicht nur ein energetischer Musiker, sondern auch ein charismatischer Künstler, der fest entschlossen war, die Chance zu nutzen, die ihm dieser Auftritt bieten würde. Dies sollte seine Geburtsstunde als Weltstar sein. Denn mit der Münchner Siegerurkunde war eine wichtige Annehmlichkeit verbunden: ein sowjetischer Pass. Und der ermöglichte es ihm, in den darauf folgenden Jahren regelmäßig auch jenseits des Eisernen Vorhangs zu konzertieren. Als erster Bratscher überhaupt spielte er als Solist auf den berühmtesten Konzertpodien der Welt: im Amsterdamer Concertgebouw, in Tokios Suntory Hall, in Moskaus Tschaikowskij-Saal. Vor allem durch solche Auftritte gelangte die Bratsche zurück in den Fokus der musikinteressierten Öffentlichkeit: Seine Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert hat das Instrument eindeutig Yuri Bashmet zu verdanken. Mstislaw Rostropowitsch, lange Zeit einer seiner bevorzugten Kammermusikpartner, rühmte ihn mit den Worten: „Yuri hat für die Viola das erreicht, was ich mit dem Cello getan habe.“ Große Musik Schwer zu sagen, was passiert wäre, wenn es den Zusammenbruch der Sowjetunion nicht gegeben hätte. Tatsache jedoch ist, dass Bashmets internationale Karriere nach 1989 geradezu explodierte: 1992 gründete er die Moskauer Solisten, ein mittlerweile weltweit erfolgreiches Kammerorchester. 2002 wurde er Chefdirigent des 1990 gegründeten Novaya Rossiya State Symphony Orchestra. Ein wichtiges Argument für die neue Tätigkeit am Pult sei das nach wie vor begrenzte Repertoire der Bratsche gewesen: „Ich kann nicht immer dieselben Stücke spielen“, sagt der Musiker. „Leider haben Brahms und Schubert nichts für mich geschrieben. Aber auf so große Musik kann ich nicht verzichten.“ Wenigstens dirigieren will er sie. Doch damit nicht genug des musikalischen Engagements. Auch die Elite der zeitgenössischen Komponisten regt er seit Jahrzehnten an, neue Werke zu schaffen – das Bratschenrepertoire war seit jeher überschaubar gewesen. Mehr als 50 Stücke sind ihm bisher gewidmet worden, besonders eng verbunden war er Alfred Schnittke. Dessen Konzert für Bratsche führte er 1986 im Amsterdamer Concertgebouw erstmals auf; seitdem ist es ein fester Bestandteil des Konzertrepertoires. Auch der georgische Komponist Gija Kantscheli hat für ihn geschrieben – „Styx“ für Viola, Chor und Orchester, uraufgeführt 1999. Bashmet inspirierte Sofia Gubaidulina zu einem Bratschenkonzert, Mark-Anthony Turnage zu „On Opened Ground“ (2002) und John Taverner zu „The Myrrh Bearer“ (2007). Mozarts Bratsche Yuri Bashmets Instrument, wie könnte es anders sein, ist ebenso außergewöhnlich wie er selbst: Es stammt aus dem Jahr 1758, gefertigt wurde es vom berühmten Mailänder Meister Paolo Antonio Testore (1700–1767). „Es bringt Farben hervor, die gleichzeitig breit und expressiv sind, aber auch melancholisch und tragisch“, hat Bashmet es mal zu charakterisieren versucht. Eine Viola, wie sie einst auch Mozart besessen und bespielt hatte – der einzige Unterschied ist, dass dessen Testore aus dem Jahr 1755 stammte. Bashmet übrigens hat das kostbare Stück sogar einmal spielen dürfen: im Frühjahr 1990, als Erster seit dem Tod des Komponisten. Gemeinsam mit dem damals bereits vom Tod gezeichneten Oleg 2 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien März 2011 Kagan und begleitet von der Pianistin Galina Preobrazhenskaya am Hammerklavier brachten die drei vor einer kleinen Schar handverlesener Gäste in Mozarts Wohnhaus auf Mozarts Instrumenten das „Kegelstatt-Trio“ zu Gehör. Die musikalische Seele Anders als viele seiner russischen Musikerkollegen ist Bashmet nie nach Europa oder Amerika gezogen. Bis heute lebt der 58-Jährige mit Ehefrau Natasha an der Moskauer Peripherie. „Würde ich gehen, würde ich meine musikalische Seele verlieren“, hat er einmal gesagt. Dass er höchstens sechs Wochen im Jahr daheim sein kann, ficht ihn nicht an. Er liebt Russland, die russische Kultur, Tolstoi, Dostojewski und Puschkin. Tochter Xenia, mittlerweile 30 Jahre alt, ist Pianistin geworden und tritt manchmal an der Seite ihres Vaters auf. In der russischen Hauptstadt kennt Yuri Bashmet jedes Kind. Das liegt natürlich auch an seiner Medienpräsenz. So hat er etwa 2009 sein Debüt als Schauspieler gegeben, „Assa-2“ hieß der Film des Regisseurs Sergey Solovyov. Und seit längerem schon moderiert er eine politische Talkshow im russischen Fernsehen. Die Grenzen der klassischen Musik hat er für sich selbst längst gesprengt. Und womöglich ist ja auch über eine Rockstar-Karriere das letzte Wort noch nicht gesprochen. Margot Weber Margot Weber lebt als Journalistin in München. 3 / 3 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org).