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SWR2 Musikstunde

300 Jahre Karlsruhe Musik einer Stadt (3)

Von Thomas Rübenacker

Sendung: Mittwoch, 17. Juni 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler

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1 300 Jahre Karlsruhe – Teil 3

In Oberfranken gibt es ein verschlafenes Städtchen, das man nur schwer erreicht, mit dem Zug oder anderswie. Trotzdem ist es weltberühmt: Bayreuth. Und den Ruhm machen einzig die Wagner-Festspiele aus, die der Komponist dort 1876 etablierte; seit 1951 finden sie alljährlich statt. Wagner hatte ein Theater gesucht, das ihm ganz gehören sollte, als Komponist, Textdichter, Dramaturg und Intendant, das heißt: das ausschließlich seine Stücke spielen dürfe, in seinen Inszenierungen, also: eng am Buchstaben des Gesetzes. Seine Vorstellung vom Gesamtkunstwerk eben. Das Festspielhaus sollte abseits der Metropolen liegen, sich nicht um den normalen Repertoirebetrieb scheren müssen, keine Kompromisse eingehen, noch nicht einmal für die Wagner als Mittel zum Zweck so geliebte Penunze, die er gleichwohl hehr verachtete – über der er eigentlich stand. Er gründete einen Patronatsverein, um das 300.000 Taler teure Festspielhaus zu finanzieren, und was am Ende noch fehlte, steuerte der Wagner-närrische König Ludwig II. noch aus seiner Privatschatulle bei. So entstand der Mythos Bayreuth. Beinahe wäre es der Mythos Karlsruhe geworden.

MUSIK: WAGNER, (VORSPIEL 1. AKT), Cleveland Orchestra, George Szell, Sony SBK 60665, 4:06

Richard Wagner, das Finale des „Lohengrin“-Vorspiels zum 1. Akt, in einer Aufnahme mit dem Cleveland Orchestra unter George Szell. 2

Dass dem kleinen Karlsruhe mehr als einen Blick schenkte, dass es zwar nicht Bayreuth wurde, aber immerhin „Klein-Bayreuth“, hat auch zu tun mit dem genialsten Kapellmeister, den der Hof Baden je engagierte: den 1856 bei Wien geborenen Felix Mottl. So und nur so interessierte sich auch die New York Times für das verschlafene Fürstentum in Baden (sprich: Bäden). Am 19. Juli 1903 las man dort: „MOTTL, DER DIRIGENT. Seine brillante Akte am Karlsruher Opernhaus“, und im Text erfuhr der geneigte Leser unter anderem: „Unter seiner Leitung bekam die Karlsruher Oper Modellcharakter. Das liegt aber auch an der Förderung durch den musikliebenden Großherzog von Baden, der, anders als ein gewisser Monarch -“ (ein gezielter Seitenhieb auf Kaiser Wilhelm II.)“- seinen Künstlern nicht dreinredet, sondern Mottl die Freiheit lässt, seinen eigenen Neigungen zu folgen.“ Und weiter unten heißt es: „Mottl ist demokratisch, und das macht ihn zum Favoriten der Karlsruher. Oftmals hatte er Angebote aus Berlin und anderswoher, aber der große Kapellmeister zog seine Unabhängigkeit als Chef der Karlsruher Oper vor, obwohl er ein wesentlich geringeres Salär bezog als das, das er in anderen Städten hätte einsacken dürfen.“ 23 Jahre lang blieb Felix Mottl in Karlsruhe, von 1880 bis 1903, obwohl er zum Beispiel längst aus Bayreuth nicht mehr wegzudenken war.

MUSIK: WAGNER/MOTTL, TRISTAN (WELTE-MIGNON), 590 1571 202, 9‘58

3 Felix Mottl, Karlsruhes genialster und beliebtester Kapellmeister, spielte auf einer alten Welte-Mignon-Klavierrolle eine Transkription von eigener Hand aus Richard Wagners „“ - dem Werk also, das Wagner eigentlich in Karlsruhe uraufführen lassen wollte.

Zum ersten Mal kam Richard Wagner 1861 nach Karlsruhe. Da wurde er in Sachsen wegen revolutionärer Umtriebe steckbrieflich gesucht – und in Karlsruhe gab es einen, den er kannte. Der Sohn der berühmten Theaterfamilie, Eduard Devrient, war bereits 1852 von Dresden als Theaterleiter an den badischen Hof gewechselt. Am 18. Januar 1855 hatte Karlsruhe so seine erste Wagner- Premiere, „Tannhäuser“, was von der Karlsruher Zeitung damals als bedeutsames Ereignis gefeiert wurde: „... ein reicher Gobelin von Lob und Segen, Irren und Fehlen, für die kleine Bühne des hiesigen Hoftheaters geradezu verschwenderisch ausgestaltet durch Herrn Devrient und seine Compagnie ...“ Damalige Stars der Opernbühne als Gäste taten ein übriges, und schon ein Jahr später gelüstete es den Großherzog, auch den Lohengrin in seinem Hause erleben zu dürfen. Und Wagner, der Staatenlose, sagte nur zu gerne ja. Auch lud er Devrient 1857 in sein Exil in Zürich, um die Möglichkeit zu besprechen, „Tristan und Isolde“ (gerade in Arbeit) in Karlsruhe herauszubringen. Der Großherzog sei mit im Boot, erwiderte Devrient, und ein junger, hochtalentierter Tenor, Ludwig Schnorr von Carolsfeld – später der Wagner-Tenor – fest im Karlsruher Ensemble. Man fragte bei König Johann I. von Sachsen an, ob Wagner dafür ausnahmsweise wieder deutschen Boden betreten dürfe. Der lehnte kategorisch ab: Auch in Baden 4 werde der „Revolutionär“ sofort verhaftet. Und da Wagner die Aufführung diesmal nicht aus der Hand geben wollte, fuhr der Zug Wagner-Festspiele eben an Karlsruhe vorbei und ins oberfränkische Bayreuth. Devrient war dann allerdings erleichtert; er fand das der Großherzogin gewidmete Libretto Wagners jetzt eine wahre Faselei.

MUSIK: WAGNER, TRISTAN und Isolde, Margeret Price (Isolde), René Kollo (Tristan), Brigitte Fassbaender (Brangäne), staatskapelle Dresden, Carlos Kleiber, Deutsche Grammophon 413 315-2, 6:48

Eine der aufgewühltesten Szenen aus Richard Wagners Handlung in drei Akten, „Tristan und Isolde“, der Wiederausbruch der „verbotenen“ Liebe kurz vor der Ankunft König Markes zum Ende des 1. Aufzugs, gesungen von René Kollo und Margaret Price als Titelpaar, Brigitte Fassbaender als Brangäne, Dietrich Fischer- Dieskau als Kurwenal, dazu der Rundfunkchor Leipzig und die Staatskapelle Dresden, die Gesamtleitung hatte Carlos Kleiber.

Interessanterweise war es der Theaterfürst Devrient selber, der Karlsruher Hofintendant, der letztlich ein „Karlsreuth“ oder „Bayruhe“ verhinderte. Den zwar erfahrenen, aber auch ziemlich konservativen Theatermann schreckte irgendwann mal Wagners megalomanes Ego, das ihm Dinge abverlangte, die ihn effektiv ein Stückweit entmachtet hätten. Hätte er sich darauf eingelassen, er wäre nur noch Assistenz-Intendant von Wagners Gnaden gewesen. Teuerste Ausstattung war klar, aber dann sollten auch noch Bühnenstars als Gäste eingeladen werden, die – so Cosima 5 Wagners Bedingung – keine Juden sein durften. Dazu das Dreifache an Probenzeit für Bühne und Orchester, alles Dinge, die schon damals einen mittleren Bühnenbetrieb wie das Großherzogliche Hoftheater Karlsruhe zu sprengen drohten.

Seinem eigentlich Wagner-närrischen Großherzog notierte der Theatermann: „(Wenn er nur käme), einfach seine neue Oper hier in Szene zu bringen, ohne besondere weltanschauliche Zurüstungen und Proklamationen als Musterveranstaltungen, insofern er Tenor und Sopran dafür finde und seine Orchesterforderungen für uns erfüllbar seien“ - so wäre er willkommen. Insbesondere verweigere er Wagners Plan, „zwei seiner neuen Werke, also Tristan und Nibelungenring, mit besonders aus Deutschland erlesenen Talenten einzustudieren in einer Zeit, wo diesem Studium das ganze Theater angehören könne, dazu meint er Juli und August“. Für Devrient wogen die Gefahren „solch einer kostspieligen, das heimische Theater verwirrenden“ Festspielsaison schwerer als ihr möglicher Erfolg, der „hinterher alles gering erscheinen (lassen könnte), was die Bühne mit eigenen Mitteln tut“. Mit anderen Worten: Devrient wollte sich nicht mit glanzvollen Festspielen den Ruf seines wackeren stagione-Betriebs versauen, da hielt er sich lieber an Giuseppe Verdi, der weit weg in Italien war und keinerlei Überintendanten- Ambitionen verlauten ließ. Mit großem Pomp inszenierte Devrient eine „Aida“, die von den Dimensionen her wahrscheinlich Wagners Ideen für „Tristan“ entsprach – aber der große Erfolg gehörte in diesem Fall allein Eduard Devrient.

6 MUSIK: VERDI, AIDA (OUVERTÜRE), Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt, Warner 2564 64348-2, 4:23

Giuseppe Verdi, das Preludio der Oper „Aida“, die dem Karlsruher Intendanten Eduard Devrient dann doch näher stand als Richard Wagners megalomane Opernexperimente. Nikolaus Harnoncourt dirigierte die Wiener Philharmoniker.

Außer Felix Mottl, dem besten, gab es am Karlsruher Hof allerdings auch noch andere hervorragende Kapellmeister: zum Beispiel, ebenfalls ein Wagnerianer, und Otto Dessoff, der sich mehr zu Brahms hingezogen fühlte (mehr davon morgen). Der 1839 in Gießen geborene Levi, Spross einer alten Rabbinerdynastie, war bemerkenswerterweise der einzige Jude, den Wagner (und sogar Cosima) gelten ließen. Zwar sagte Wagner, als die Uraufführung von „Parsifal“ in Bayreuth anstand, über Levi: „Ungetauft darf er den Parsifal nicht dirigieren“ - aber Levi beugte sich nicht und dirigierte die „Parsifal“-Premiere trotzdem. Das gab dann dicke Luft für den Komponisten, dem aus einschlägigen Kreisen vorgehalten wurde, sein „heiligstes“ Werk ausgerechnet einem Juden anzuvertrauen. Levi brachte nach seinem Tod auch die Nazis in Verlegenheit: Da sie Opern grundsätzlich nur in deutscher Sprache aufgeführt wissen wollten, fassten sie die großen Mozartwerke mit sehr spitzen Fingern an: Das Originallibretto stammte von dem als Jude geborenen da Ponte, und die einzig brauchbare deutsche Übersetzung – von Hermann Levi.

7 Der wurde 1864 Hofkapellmeister in Karlsruhe, als man bereits begann, ihn Generalmusikdirektor zu nennen. Das war kurz vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, und anfangs hielt man in Karlsruhe den ungewohnten Namen Levi für französisch, umarmte den Mann aber umso herzlicher, als man erfuhr, dass dem nicht so sei. Denn wäre Levi nicht so ein fulminanter Dirigent gewesen, die Wagners hätten ihn wohl kaum einen Freund genannt. Aber der Schüler von Vincenz Lachner komponierte auch, das volle Programm, und er ließ sich auch nicht davon abhalten, dass Brahms nicht begeistert war. Levi war rettungslos Wagner verfallen, aber Brahms schätzte er ebenfalls (und dirigierte ihn auch in mustergültigen Aufführungen). Als er ihn vom Komponieren abbringen wollte, soll Levi gesagt haben: „Brahms gefallen meine Arbeiten nicht; was soll's – er ist nicht Gott.“

MUSIK: Hermann Levi (Heinrich Heine, Textdichter): Allnächtlich im Traume Lied für Singstimme und Klavier, op. 2 Nr. 5 Wimmer, Hans-Georg; Schwarz, Jay M0399122-021, 1'43

Im Jahr 1870 bescherte Hermann Levi den Karlsruhern zum ersten Mal eine ungekürzte Aufführung von Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“, die überregional aufhorchen ließ und von der ein Kritiker schrieb, sie „mache Bayreuth ernsthaft Konkurrenz“. Karlsruhe hatte sich – und das noch vor dem Amtsantritt Felix Mottls! - wieder mal selbst übertroffen und dabei etabliert, wenn auch klein, eine Wagner-Metropole zu sein. Die Frankfurter Freie Presse schrieb: „Die Festwiese kann kaum in 8 Nürnberg farbprächtiger, kaum in Bayreuth klangholder sein als in Karlsruhe!“ Aber Levi tat noch mehr: Er spielte mit der Großherzogin im stillen Kämmerlein genussvoll das Meistersinger-Vorspiel in der Bearbeitung des Wagnerfreundes Carl Tausig, ein Arrangement, das der Meister selbst als „ganz vorzüglich gelungen“ geadelt hatte.

MUSIK: WAGNER, MEISTERSINGER-VORSPIEL (bearbeitet für Klavier zu 4 Händen von Carl Tausig), Yaara Tal und Andreas Groethuysen, Sony SK 60143, 8:39

Richard Wagner, das Vorspiel der „Meistersinger“, für Klavier zu 4 Händen bearbeitet von Carl Tausig, damals am Karlsruher Hof gespielt von Hermann Levi und der Großherzogin, bei uns von.

Ja, und am 14. November 1863 kam der Meister selbst nach Karlsruhe: Nun allerdings, um Geld zu sammeln für Bayreuth. Der Großherzog war ohnehin eines der rührigsten Mitglieder des Patronatsvereins, er hatte knapp 50 Scheine gezeichnet, nun hatte er Wagner selber einladen lassen, ein Benefizkonzert zugunsten Bayreuths zu dirigieren. Schreibt die Karlsruher Zeitung: „Wagner gab uns in seinem Konzerte Proben aus seinen drei letzten, größtentheils noch unedirten Werken: dem Nibelungenring, Tristan und Isolde und den Meistersingern, und bewies dadurch zugleich schlagend, welche Mannigfaltigkeit der Auffassungsweise, welche Vielseitigkeit des Ausdrucks ihm zu Gebote steht … Wagner wurde mit Tusch und Jubel empfangen, fast nach jedem Stück (oft wiederholt) nebst den Sängern gerufen und mit Lorbeer gekrönt … 9 Die beste Kritik (…) ist wohl die, dass (das Konzert) auf Wunsch des Großherzogs am nächsten Donnerstag (…) wiederholt werden soll ...“

MUSIK: WAGNER, WALKÜRENRITT, Cincinatti Pops, Erich Kunzel, Telarc CD-80117, 4:50

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