La Belle Noiseuse Von Jacques Rivette : Sechs Personen Am Rand Des Chaos
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La belle noiseuse von Jacques Rivette : sechs Personen am Rand des Chaos Autor(en): Schaub, Martin Objekttyp: Article Zeitschrift: Filmbulletin : Zeitschrift für Film und Kino Band (Jahr): 33 (1991) Heft 177 PDF erstellt am: 08.10.2021 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-866963 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. 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Frenhofers Kunst ist dass das, was da im Fleisch und Blut der filmischen es, die das labile Gleichgewicht der Figuren ins Gleiten Töne und Bilder erscheinen soll, diese vier Stunden bringt. Dass es so weit kommt, ist die Folge eines braucht. Rivette ist zugleich abstrakt und konkret, reflexiv Einfalls, ja einer Laune: Der Zuschauer erfährt bald, und sinnlich, innerlich und äusserlich; das Spiel dass Frenhofer vor zehn Jahren ein Bild aufgegeben hat zwischen Innen und Aussen braucht Zeit, denn eines und seither stehengeblieben ist, aufgehoben zwar in der vermeidet Rivette ja immer: die begriffliche Erklärung Beziehung zu Liz, doch als Künstler entweder untätig dessen, was in seinen Filmen vor sich geht. Dem Kino oder in der Wiederholung (oder in der Konvention, was traut er mehr zu als die meisten anderen, die es immer das selbe ist) gefangen. Das Bild hiess «La Belle Noi- wieder mit literarischen Mitteln fortsetzen und damit seuse» (ungefähr "die schöne Eklige"), und Liz war das auch desavouieren. Modell des Malers. Nun bringt Porbus vor, Frenhofer sollte sich noch einmal in das Abenteuer stürzen - mit Vier Flauptfiguren - der Maler Frenhofer, seine Marianne als Modell. Nicolas, Frenhofer und Porbus, Lebensgefährtin Liz, der junge Maler Nicolas mit seiner Freundin die drei Männer in dem Spiel, kommen überein, dass Marianne - und zwei Nebenfiguren - der Sammler das eine gute Idee wäre. «Du hast meinen Arsch und ehemalige Nebenbuhler Frenhofers, Porbus, und verkauft», wirft Marianne ihrem Freund vor: das Drama hat Julienne, die Schwester von Nicolas - werden von einer begonnen. 23 In dem Moment, da Marianne erstmals dem Maler den - gesellschaftlich vernünftig, "menschlich" eben zu gegenübersitzt und die Feder ihren ersten kratzenden handeln vermag. Doch seine Phase der hemmungslosen Strich in Frenhofers Skizzenbuch setzt, gehen alle Entgrenzung hat auf die anderen wie ein reinigendes seelischen Rechnungen wieder auf, die bei allen Beteiligten Gewitter gewirkt. Die Beziehungen sind danach nie scheinbar abgeschlossen gewesen sind. Der Maler, auf mehr die selben. Was im übrigen ein Off-Kommentar - seinem Weg in die "Schamlosigkeit", stellt neben seiner von Marianne! - deutlich macht. Das ganze Arrangement Konvention sämtliche andere Personen in Frage. Einerseits der Figuren und der Geschehnisse ist nicht nur ein verfolgen wir - und zwar zunächst in einer Gesellschaftsspiel gewesen. Das letzte Wort des Realzeit-Ästhetik - das Ringen des Malers und seines Filmdialogs ist immerhin ein entschiedenes Nein - wieder Modells um das Unbedingte in der Kunst; andererseits aus dem Munde von Marianne. enthüllen sich nach und nach alle Konventionen, die das Überleben von Individuen in Beziehungen überhaupt Der Rahmen von Rivettes neuem gesellschaftlichem möglich machen. Nicht nur Marianne steht nackt vor Experiment ist nicht weniger künstlich als jener jeder dem Maler; allmählich entblössen sich alle anderen Selbsterfahrungsgruppe. (Diese Allusion übrigens wird Beteiligten auch. Und zwar nicht weniger schmerzvoll im Dialog des Films gemacht.) Die Künstlichkeit als das Modell, das sich in einem ersten Teil der allerdings verschwindet in der filmischen Realität des Auseinandersetzung den abseitigen Regeln des Künstlers zentralen Orts der Flandlung: im Atelier, auf dem Papier und unterwirft. auf der Leinwand. «Die Fland des Malers Bernard Du- four», die so im Nachspann genannt wird, ist die reale Malerei erscheint in Rivettes Film als eine Chiffre für Kraft, die den abstrakten Entwurf, das setting - um im unerbittliche, unbeirrbare Wahrheitssuche, für einschlägigen Jargon zu bleiben - ins Leben zieht. Um Schamlosigkeit, die gesellschaftlich äusserst gefährlich ist. diese Hand herum gewinnt der Film seine ausserordentliche Wollte jeder Mensch seine Verwirklichung so unbedingt Gegenwart. und gesetzlos realisieren wie der Maler, bräche die Gesellschaft auseinander. Dass Rivette das grosse Atelier des Malers so Es stellt sich schliesslich heraus, dass Frenhofer das am offensichtlich künstlich ausleuchtet - wie eine Bühne eben, besten weiss, und dass ausgerechnet er - von dem das tut der sinnlichen Präsenz keinen Abbruch. Das Bild Unbedingte, das Reine, die pure Wahrheit erwartet wur¬ William Lubtchanskys und der Ton von Florian Eiden- 24 Kino par excellence benz sind von einer alle Künstlichkeit dominierenden Mariannes immer schmerzlicheren Posen, rücksichtslos, Wirklichkeit. Die Feder in der "Fland des Malers" sticht herrisch, sadistisch. Als er merkt, dass er selbst mit und schneidet ins Büttenpapier, verletzt, zeichnet es; diesem Machtspiel - das allerdings nichts Spielerisches die Kohle schleift über die grossen Papierbögen, färbt mehr hat - nicht an sein Ziel kommen kann und aufgeben und staubt; die Farbe nimmt das Territorium der will, übernimmt Marianne die Führung; sie beginnt Leinwand in Besitz, markiert sie, eignet sie sich an, verformt zu atmen, sie nimmt und verteidigt ihren Platz, nimmt sie. Unter unseren Augen. Wir sind dank Bild und Ton an ihre Persönlichkeit, die sie nur weggelegt, aber nicht der vordersten Front der Auseinandersetzung. Mitten im verloren hat, wieder auf und wird zur Mitautorin dessen, Leben: ich finde keinen zutreffenderen Ausdruck. An der was nun entsteht. Sie setzt sich selber in ihr Recht. Spitze der Feder geht es um das Wesentliche. Der Ton schreit es uns zu. Ebenso nimmt sie ihr Recht auch bei Nicolas wieder wahr, gegen seinen Widerstand und gegen die Klagen Weil an der Spitze der Feder etwas entsteht, weil dieses von Juliette, der Schwester. Frenhofer selbst wählt die Entstehende zudem eine Umsetzung des Sinnlichen in Liebe von Liz, wählt das Glück, das ihn daran hindert, Form ist, umfasst jeder Moment die drei Dimensionen, "bis ans Ende zu gehen". Das Bild, das er auf seinem die drei Aggregatszustände der Zeit: Der Blick auf das Gang an die Grenzen und über die Grenzen der Scham- Modell ist schon Vergangenheit, wenn die Feder haftigkeit hinaus geschaffen hat, bleibt ein Geheimnis. kreischt; der Strich, den sie hinterlässt, aber definiert Er teilt es mit den Frauen des Dramas: mit Marianne, der die zukünftige Form. Mir scheint Rivette in den es zur Selbstbefreiung dienen wird, mit Liz, deren Fluch Atelierszenen jene Intensität zu halten, die "normalerweise" es hätte werden können, und mit ihrer Gehilfin Magali, nur der Dokumentarfilm in seinen geschenkten die es, naiv, wunderschön findet. Das Bild wird schweigen Glücksmomenten erreicht. Es ist eine Art "natürlicher Suspense", wie ein Grab. Es hat seinen Zweck bei der Entstehung der den Zuschauer dermassen in Atem hält, dass erfüllt. Der Freund und Sammler bekommt ein die Zeit zu fliegen beginnt. konventionelles Bild, ein ungefährliches sozusagen. Um das weisse Papier, die weisse Leinwand herum Nicolas findet es fad, und er sagt es auch. Aber Frenhofer geschieht das Drama der sechs Personen. Im innersten lässt sich nicht mehr provozieren. Die Lehre, die er aus Kreis das Drama von Frenhofer und Marianne. Frenho- der Gefahr gezogen hat, heisst Mass und Bescheidung, fer unterwirft - zu seinen eigenen Zwecken - den Körper Zähmung. Michel Piccoli, Emmanuelle Béart - Frenhofer stürzt sich noch einmal ins Abenteuer: mit Marianne als Modell Kino par excellence In LA BELLE NOISEUSE gelingt Rivette (wieder) etwas, Rivette der Fall sein. LA BELLE NOISEUSE ein fernes was heute eigentlich nur noch er will und kann: die Echo? Man könnte es fast glauben. Ausnützung der Dynamik eines Grundmusters, der Rivette und seine Drehbuchmitarbeiter Laurent und Persönlichkeiten seiner Darsteller, des Geists des Ortes Bonitzer jedenfalls scheinen einen Hang zur Wiederherstellung