Sport Der Beschleuniger Fußball Bayer Leverkusen, scheinbar der ewig ungeliebte Werksverein, sorgt mit einer radikalen Spielweise für Furore. Der Urheber, Trainer und Bundesliganeuling Roger Schmidt, beflügelt am Rhein kühne Fantasien.

anchmal wirkt dieses Leverkuse - das Spiel beinahe aussieht wie eine Paro - ger Schmidt, im Sauerland geboren, im ost - ner Fußballprojekt, von dem die die. Es regt die Leute auf. westfälischen Amateurfußball sozialisiert Mganze spricht, einfach Dieser „Roger-Schmidt-Fußball“, von und bei Red Bull Salzburg international als nur wie ein Lausbubenstreich. Roger dem die Zeitungen schreiben, als hätte Fußballlehrer erprobt. „Mein Gefühl ist, Schmidt, der neue Chefcoach von Bayer der Mann schon eine Marke kreiert, könne dass sie richtig Bock haben, so zu spielen.“ 04 und polarisierender Urheber einer ra - auf Dauer nicht funktionieren, raunen be - Das müssen sie auch. Das System ver - dikalen Spielidee, sitzt in seiner Trainer - rufsmäßige Kritiker. Zu kraftaufwendig, langt Geschlossenheit und innere Über- kabine im Stadion, einen Pappbecher Kaf - meinen die einen. Kopflos, murren die an - zeugung. Wenn es funktioniert, sieht es fee vor sich, und lauscht seinen Worten deren. aus wie beim Bundesligastart gegen nach. „Es gibt immer Phasen im Spiel, wo Es ist ein Power-Pressing in radikalisier - Klopps Truppe in Dortmund: Führungstor es nur Ballgeschiebe gibt. In den Spielen, ter Form. Überfallfußball zum Quadrat. nach neun Sekunden, kaum Torchancen an denen wir beteiligt sind, ist der Anteil Schnelles Umschalten von Balleroberung für den Gegner. Der wird beständig in dieser Phasen natürlich sehr gering.“ auf Angriff in einer Endlosschleife, die Schach gehalten, in Schach gerannt wie Natürlich. Schmidt lacht sich kaputt. Spieler sind pausenlos auf der Jagd, Pira - zuletzt Benfica Lissabon in der Champions Ist eben so. Da kann man nichts machen. ten, die Angst und Schrecken verbreiten. League. „Wir versuchen, jedem Gegner intensive Wenn Jürgen Klopp mit seiner Dortmun - Sind Einzelne unaufmerksam, eine Wei - Spiele abzufordern. Ob er es will oder der Borussia sogenannte Vollgasveranstal - le passiv, nicht konsequent, gibt es Punkt - nicht.“ tungen propagiert, ist das hier eine Flug - einbußen wie gegen den SC Paderborn Tja, Pech gehabt, Gegner: Bayer show ungelenkter Raketen, permanent be - oder schmerzliche Niederlagen wie bei Leverkusen treibt euch zum Wahnsinn. schleunigungsfähig. AS Monaco. Noch jedes Mal erregten die Schmidt lächelt fast schon aufsässig schel - Die Grundzüge sind die gleichen. Der Bayer-Inszenierungen Aufsehen. Schmidt misch. Gegner wird schon beim Spielaufbau nahe mag das Wort Spektakel nicht, weil es in Man könnte denken, er treibe seinen seinem Tor attackiert. Sobald der Ball er - seinen Ohren „ein bisschen nach vogel - Spaß mit der Fußballwelt. Aber er meint obert ist, geht die Post ab; bei Schmidt wird wild“ klinge, räumt aber ein: Es passiere es ernst. Er möchte auf diese Weise, seine nicht umständlich kombiniert – „nicht lange halt viel, wenn seine Mannschaft spiele. Weise, gewinnen. Mit Tempo. Im Sprint. rumgeeiert“, wie Leverkusens Mittelfeld - war über Jahre das Als Guerillero. spieler Gonzalo Castro sagt, einer der wie Mauerblümchen der Liga, der ungeliebte Roger Schmidt, 47, hat den modernen erleuchtet wirkenden Schüler. Sie rennen Werksverein. Die Tochter des Chemiekon - Hochgeschwindigkeitsfußball nicht erfun - wie blöd, laufen den Gegner an, wie die zerns stand im Ruf, tendenziell überbe - den. Aber er hat ihn, an besseren Tagen, Trainer sagen, möglichst im Block. „Die zahlte Spieler zu päppeln, die ihren Status dermaßen auf die Spitze getrieben, dass Spieler zweifeln nullkommanull“, sagt Ro - als Dauergast auf internationaler Bühne verwalten. Der Trainer nannte das Milieu eine „Komfortzone“. Nun halten selbst neutrale Zuschauer den Atem an. Der Schmidt-Fußball bringt den Glanz des Ausgefallenen in die immer etwas zu piekfeine BayArena. Man sieht kleine Abenteuer. Michael Schade, 61, ist seit einem Jahr Geschäftsführer der Leverkusener Fußball- GmbH. Er möchte offenbar gute Laune verbreiten. Die Delegation von Benfica ) .

Lissabon hat er am Vorabend zur Wein - R (

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probe eingeladen. Die lustige Krawatten - O F T R

nadel, die er in seinem Büro trägt, hat die O P S -

Form einer Schere. S E G

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Schade hat noch im Ohr, dass man die ) . L (

Bayer-Elf in der vergangenen Saison eine T S N E „Ergebnismaschine“ nannte. Sie trotzte I D O T

Bayern München ein Remis ab, wurde aber O F T R

nach allen Regeln der Kunst an die Wand O P S

gespielt. Das hat ihm nicht gefallen. O G A M

Schade war beim Mutterkonzern Leiter I

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S der Unternehmenskommunikation. In sei - I M

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ner ersten Spielzeit als Fußballchef trat er S O T O

Leverkusener Profis: „Richtig Bock, so zu spielen“ folgerichtig eine Imagekampagne los. Er F

112 DER SPIEGEL 76 / 6457 wollte eine „brennende Leidenschaft“ für den Werksklub entfachen, es gab Kino - werbung, Plakate und einen Slogan, in dem es hieß: Bayer 04 sei „auch liebens - wert“. Erst Roger Schmidts Tempofußball hat den Funken entzündet. Der Mann habe einen Plan, sagt Schade über den Trainer, den er gemeinsam mit Sportchef Rudi Völler am Ostermontag in Lüdenscheid aufsuchte, um ihn im letzten Moment der Frankfurter Eintracht wegzu - schnappen. Schmidt besuchte mit Familie gerade in Lüdenscheid seine Mutter. Er hatte in der Europa League mit Salzburgs Spielweise für Furore gesorgt und Bayern München mit 3:0 im Testspiel besiegt. Frankfurts Klubchef Heribert Bruchhagen nannte ihn den „kommenden Kulttrainer“. Nach Leverkusen brachte Schmidt neue Software zur Leistungsdiagnostik mit, neue Regeln für die Ernährung. An Spiel - tagen wird eine Uhr in die Kabine gehängt, die bis zum Anpfiff rückwärts läuft. Auf Schade wirkt das alles sehr professionell. Der Anspruch ist hoch. Bayer 04 hat 15 Spieler abgegeben, 6 neue geholt, un - term Strich einen zweistelligen Millionen - betrag in das Team investiert. Die Bayer AG schießt rund 25 Millionen Euro im Jahr zu und erwartet gute Werbung. Sie sei nicht daran interessiert, sich einen deut - schen Meistertitel zu kaufen, sagt Schade. Aber wenn sie es wollte, sagen die Insider in Leverkusen, könnte sie das binnen drei - er Jahre schaffen. Solche Fantasien hatten sie auf der rechten Rheinseite seit Chris - toph Daums wilden Zeiten nicht. Im Untergeschoss der Südtribüne steht ein Korb mit einem Berg Brötchen vor dem geschlossenen Spielertrakt. Es ist Fei - ertag. Schmidt schließt auf. In seiner Trai - nerkabine hängt ein beschriebenes Plakat, auf dem vier Begriffe um das Wort „Er - folg“ kreisen: Mentalität, Physis, Qualität, Taktik. Die meisten Pfeile weisen von der Mentalität auf die anderen Parameter, die Einstellung ist offensichtlich der Schlüssel. Schmidt sagt, mit einer aktiven Spielweise könne man die Mentalität beeinflussen, mehr Selbstbewusstsein erzeugen. „Unsere Stärke ist die Geschlossenheit.“ In Schmidts Pressekonferenzen hört man oft, dass die Mannschaft an ihr Spiel glaube und „ohne Zweifel“ sei. Das klingt nach Religion, muss deshalb aber fachlich nicht falsch sein. Der Trainer weiß: Wenn seine Elf nicht genügend Druck auf den Gegner ausübt, halbherzig attackiert, dann ist das Gerenne umsonst, und sie wird aus - gespielt, so offen, wie ihre Flanke ist. Denn weil fast alle nach vorn laufen, um dort zu verteidigen, dem Gegner die Passwege zustellen, Überzahl in Ballnähe schaffen, bleiben nur wenige Spieler zur Absiche - rung dort, wo der Ball gerade nicht ist. Bayer-Coach Schmidt Je intensiver Schmidt sich damit be - fasst, umso mehr Spieler schickt er nach

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Champions-League-Trainer Schmidt (hinten, 5. v. r.)*: „Zugang finden, Vertrauen gewinnen“

vorn. Denn der Bundesliganeuling ist zu spiel für die Profis nahezu einfach anfüh - bei Menschen „die richtige Saite anspielen, der Überzeugung gelangt, dass sein Spiel len soll. dass sie klingen“. am besten in der extremen Form funktio - Schmidt will angeblich jeden Spieler ver - Nach einer Saison bekam Schmidt in niert: kaum Absicherung, viel Wucht, alle bessern. Ehemals hoch gehandelte Talente, Münster gleich einen Fünfjahresvertrag. Mann voraus Richtung Ball. Der Boule - denen dann nicht der Durchbruch gelang, Doch keine zwei weitere Jahre später war vard bezeichnete das als „Hundefußball“. sind seine Spezialität. Er empfinde es „als das Engagement beendet, denn der ersehn - „Es ist anspruchsvoll“, sagt Schmidt, und Herausforderung“, sie weiterzuentwickeln. te Drittligaaufstieg schien nicht mehr er - er meint: auch für die Kritiker. „Die Spie - Der Deutschmarokkaner Karim Bellarabi, reichbar. Nach einem 1:2 zu Hause gegen ler merken schnell, dass es funktionieren einst Juniorennationalspieler, von Leverku - Köln II wussten es alle. Gockel, de Angelis kann. Aber wir müssen es volles Rohr sen an ausgeliehen und Schmidt saßen eine Stunde lang durchziehen, sonst geht es nicht.“ und dann wieder dem Bayer-Kader zuge - schweigend in der Trainerkabine. Volles Rohr. Roger Schmidt, gelernter fallen, war so ein Kandidat. Bayer wollte In einem Sabbatjahr absolvierte Schmidt Werkzeugbauer, Studium der Maschinen - ihn verkaufen. Schmidt förderte seine Qua - darauf den DFB-Trainerlehrgang, ge- bautechnik, war bis vor sieben Jahren als litäten, jetzt nominierte Joachim Löw den meinsam mit den heutigen Bundesligakol - Projektingenieur beim Paderborner Auto - Außenstürmer für die Nationalmannschaft. legen , , zulieferer Benteler in der Rohrverarbei - Eine „Kultur des Miteinanders“ wollen sowie dem Löw-Assisten - tung tätig – Kraftstoffverteilerleisten, Kühl - sie jetzt in Leverkusen erschaffen, sagt der ten Thomas Schneider. Beim SC Pader - wasserrohre, solche Dinge. Es war Team - neue Coach. Dabei höre der Kulturbegriff born kam er dann groß raus. Fast wäre er arbeit, er der Teamchef. So groß sei der für Fußballer doch oft beim Kulturbeutel 2012 mit der Mannschaft in die erste Liga Unterschied zum Trainerberuf nicht, meint auf, scherzt Carsten Gockel, der es wissen gestürmt. Schmidt: „Das Zwischenmenschliche ist muss. Gockel spielte einst mit Schmidt zu - „Trainersuche ist Chefsache bei uns“, vergleichbar. Man muss sich aufeinander sammen beim SC Verl in der dritten Liga. sagt der Paderborner Vereinspräsident und einstellen, Zugang finden, Vertrauen ge - Er sitzt in seinem Managerbüro unterm Möbelunternehmer Wilfried Finke, 63, und winnen.“ Den Umgang mit Menschen Dach am Preußenstadion von Münster. zündet sich noch eine Reval an. Aus dem habe ihn seine Mutter gelehrt. Dort, beim damaligen Viertligisten, ge - Fenster seines Büros sieht man die Arena Die Summe aus Ausstrahlungskraft und wann er den einstigen Teamkameraden des Bundesligaaufsteigers, vor der Tür Intelligenz qualifiziert Menschen für An - vor sieben Jahren für den Trainerberuf. parkt sein Bentley. Finke hat , führerrollen. Schmidt hatte in Österreich Schmidt war schon als Spieler eine Art Schmidt und zuletzt Andr é Breitenreiter den Ruf des Streithansl, einen Trainerkol - heimlicher Trainer gewesen, jetzt coachte als noch unbekannte Trainer nach Pader - legen nannte er einen „Osterhasen“. In Le - er nebenbei den SC Delbrück parallel zum born geholt. Alle mussten sich einer Art verkusen kanzelte er einen erfahrenen Ingenieurberuf. Die Preußen wollten ihn Casting unterziehen. Journalisten, der kritisch fragte, als Fuß - aber ganz. Finke beobachtet, wie sich die Kandida - balllaien ab. Und auswärts beim SC Frei - Schmidt sagte ab. Gemeinsam mit Ver - ten seinen Sekretärinnen gegenüber be - burg wollte er dessen Präsident Fritz Keller, einspräsident Marco de Angelis fuhr Go - nehmen, wie sie sich verabschieden. der ihn beschimpfte, den Zutritt zum Be - ckel eines Samstagmorgens zu Schmidts Schmidt habe ihn nach einer Stunde im reich der Aktiven verwehren; er kannte Haus nach Paderborn für einen zweiten Gespräch überzeugt, sagt er. Als einziger ihn nicht. Versuch, sie brachten Blumen für die Gat - SC-Trainer durfte er ihn sogar duzen. Schmidt sagt, er fühle sich verantwort - tin mit. Schmidt fühlte sich geschmeichelt „Roger hat einen eingebauten Sympa - lich für seine Spieler. Und wenn jemand von der Hartnäckigkeit, dachte nach und thiefaktor“, meint der Paderborner Patri - sein Team attackiere, „dann fühle ich mich gewann die Erkenntnis: Fußball sei das, arch. Er schätzte an Schmidt aber auch auch persönlich angegriffen“. was ihm am meisten Spaß mache. Zwei eine „gute Streitkultur“. Schmidt forderte Bei seinen Spielern schult er das Ent - Tage später kündigte er in der Firma. ihn. Er zwang ihn geradezu, das Trainings -

scheidungsverhalten, so nennt er das. Die Gockel sagt, Schmidt sei „kein Heiliger“, zentrum zu renovieren. S E G A

Passübungen sind ein Gehirntraining. Die ganz sicher kein Diplomat. Er könne aber In Leverkusen, wo die Infrastruktur per - M I

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Handlungsschnelligkeit wird auf so engem fekt zu sein scheint, fängt das auch schon T E G

Raum unter komplizierten Regeln abver - an. Auf Schmidts Betreiben sucht Bayer : * Mit Trainerkollegen der Champions League auf einem O T O

langt, dass sich das richtige Bundesliga - Uefa-Forum am 3. September in Nyon, Schweiz. für das Team einen Koch. Jörg Kramer F

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