ZEIT Reisen Here Comes The
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Reisen-spezial [Ressort-Übersicht] Editorial Here comes the sun! VON KARIN CEBALLOS BETANCUR (221 Wörter) Essay Beim Sonnenbad ist man dem Ursprung so nahe wie dem Untergang VON JENS JESSEN (1681 Wörter) Göttliche Show Am Strand von Ipanema ist das Leben so hell und leicht VON VIKTORIA MORASCH (2410 Wörter) 1800 Stunden Ein Sonnenaufgang an Deutschlands sonnereichstem Ort, der Zugspitze VON CHRISTOF SIEMES (2019 Wörter) Tanger Den freien Geist findet man in der marokkanischen Hafenstadt noch immer VON CHRISTIAN SCHÜLE (3239 Wörter) Lichtblicke 16 Orte zum Warmwerden, direkt um die Ecke VON ALARD VON KITTLITZ, FELIX DACHSEL, STEFAN SCHMITT, MARTIN MACHOWECZ, IRIS MAINKA, SANDRA DANICKE, CLAAS TATJE, ANNA VON MÜNCHHAUSEN, ANNE HÄHNIG, LAURA CWIERTNIA, JOHANNES GERNERT, VALERIE SCHÖNIAN, WOLF ALEXANDER HANISCH, RUDI NOVOTNY, URS WILLMANN, ANTONIA BAUM (3243 Wörter) Kanalküste Es gibt einen Ort, an dem das ganze Jahr über die Sonne scheint. Man muss sie nur anknipsen VON KARIN CEBALLOS BETANCUR (1503 Wörter) Bondi Beach Lernt unser Autor an diesem legendären Strand in Australien endlich das Surfen? VON LEIF RANDT (2723 Wörter) Die Beatles und ich Unser Autor pilgert zum Beatles-Aschram in Indien, um Frieden mit der Band zu schließen VON BJØRN ERIK SASS (3137 Wörter) Bonustrack Here comes the sun: Wie das Frühlingsgefühl seinen eigenen Song bekam VON KARIN CEBALLOS BETANCUR (300 Wörter) [Ressort-Übersicht] [Übersicht Reisen-spezial] [nächster Artikel] EDITORIAL VON KARIN CEBALLOS BETANCUR Vor einigen Jahren erzählte mir ein mexikanischer Freund, er habe den Beatles- Song Here Comes the Sun erst richtig verstanden, nachdem er ein halbes Jahr in England gelebt hatte. Vorher, in Mexiko, habe er immer gedacht: Here comes the sun – na und? In Hamburg dagegen kennt man dieses Gefühl, das der Erlösung vorausgeht, nur zu gut: Monatelang hat es auf uns gehagelt, geregnet und geschneit. Das bisschen Strahlen, zu dem sich die Sonne aufraffen konnte, brachte kaum mehr als ein Teelicht. Wir finden: Es reicht. Hauen Sie mit uns ab – an den Strand von Ipanema, wo der Sonne applaudiert wird, wenn sie im Meer versinkt; nach Tanger, dessen Licht Kiffer und Künstler seit je fasziniert; nach Sydney, wo man am Bondi Beach surfen lernen kann, aber nicht muss; nach Rishikesh, wo die Beatles vor 50 Jahren nach Erleuchtung suchten. Und sollten Sie jetzt denken: Klar scheint am anderen Ende der Welt die Sonne! Aber ich hab gerade keine Zeit/kein Geld/keine Lust, weit weg zu fliegen. Kein Ding. Wir empfehlen 16 nahe gelegene Orte, an denen Ihnen schon im März mit ein bisschen Glück die Sonne mitten ins Gesicht scheint. Sun, sun, sun, here it comes! Foto: William Eggleston, Untitled, 1971-1974 ©Eggleston Artistic Trust, Courtesy David Zwirner, New York/London/Hong Kong nächster Artikel: Essay Beim Sonnenbad ist man dem Ursprung so nahe wie dem Untergang [Übersicht Reisen-spezial] [Ressort-Übersicht] [Übersicht Reisen-spezial] [nächster Artikel] ESSAY Der Sonne erlegen Aufwärmen, Bräunen, Welken: Beim Sonnenbad ist man dem Ursprung so nahe wie dem Untergang Wo die Sonne ihren Auftritt hat, deutet sich sogleich etwas von dem Übermaß an, zu dem sie in der Lage ist VON JENS JESSEN Dem Charme der Sonne kann sich niemand entziehen. Wenn nach einer Ewigkeit von Dunkelheit und Kälte die ersten goldenen Strahlen durchbrechen, wird selbst in der Großstadt die Versuchung übermächtig, sich für Momente an eine schmutzige Hauswand zu lehnen, die Himmelswärme zu spüren, die Augen zu schließen. Hinter den Lidern erscheint zum ersten Mal wieder das glühende Rot, das den Sommer ahnen lässt. Noch ist er fern, noch lässt die Luft frösteln, aber die dunklen Ziegel der Hauswand haben schon begonnen, die Infrarotanteile des Lichtes zu speichern und in winzigen Dosen an den Rücken abzugeben. Mit anderen Worten: Der Mensch friert plötzlich nicht mehr. Vielleicht wird ihm sogar, in diesem schmutzigen, aber sonnenbeschienenen Großstadtwinkel, ein bisschen zu heiß? Denn das ist das Hinreißende an der Sonne, dass sie überall, wo sie ihren Auftritt hat, sogleich etwas von dem Übermaß andeutet, zu dem sie in der Lage ist. In jedem ihrer Strahlen ist auch Wüste, blendet glitzernder Strand, wütet die Hitze eines fernen Ferientages. Und erst recht in den Bergen, in der dünnen, trockenen Höhenluft. Schon in den Spätwintertagen bereitet die Sonne das tolle, wie trunkene Vergnügen, den Schnee, diesen gewaltigen Kältespeicher, schmelzen zu sehen. Unglaublicherweise hat er keine Macht mehr gegenüber den Strahlen. Bäche beginnen unter dem Eis zu sprudeln, verwandeln die Schollen in durchscheinende Zuckerkrusten, legen schmale Streifen Wiese frei, auf denen sich das vergessene Wunder der Vegetation entfaltet. Der Krokus blüht, für Flachländer ein unvorstellbares Wunder. Überhaupt alles verwandelt sich, und an den Dächern der Skihütten wachsen aus schmelzendem Wasser die schillernden Zapfen, die mitunter, wie behauptet wird, den einen oder anderen Gast erschlagen. Vor den Hütten aber, diesen lärmenden Amüsierstätten, verwandeln sich auf den Liegestühlen auch die eben noch tobenden Après-Ski- Touristen in bewegungslose Echsen. Sie sind nicht mehr besoffen, sie sind besinnungslos der Sonne erlegen. Was tun sie da, indem sie nichts tun? Hoffen sie, dass ihnen in der Sonne etwas gegeben wird, was sonst nur, wie in der Bibel verheißen, der Herr den Seinen im Schlafe gibt? Das kleine Quäntchen himmlischen Lichts Das abgegriffene Wort von den Sonnenanbetern, ein wirklich scheußlich vernutztes und dummes Wort, es scheint doch etwas auszudrücken. Auch wenn unbestimmt bleibt, worum genau gebetet, was erfleht und welche Erleuchtung erwartet wird, muss der Philosoph nüchtern feststellen, dass die Menschen dazu neigen, sich in die Sonne zu hauen und dort erwartungsvoll abzuwarten. Auch das kleine Quäntchen himmlischen Lichts, das im Alpenvorfrühling oder, deutlich rätselhafter, im Strandkorb auf Sylt bibbernd aufgelesen wird, ist wahrscheinlich als Vorgriff auf das große metaphysische Sonnenbad zu verstehen, das traditionell im Hochsommer an südlichen Küsten praktiziert wird. Das Sonnenbad ist eine Kulturtatsache – jedenfalls in unserer Kultur –, selbst wenn es derzeit nicht den besten Ruf genießt. Es gilt als proletarisch und ungesund, und wer die Touristen an der Playa de las Américas beobachtet, die ihre Haut der Sonne Teneriffas aussetzen, bis sie sich blaurot verfärbt, wird diese Einschätzung nicht rundheraus bestreiten wollen. Unsäglich müssen die Qualen sein, die ein T-Shirt bereitet, wenn es für die abendliche Party über die verbrannte Haut gezogen wird. Aber die harten Jungs, von den nicht weniger harten Mädels ganz zu schweigen, die in todesmutigen Horden aus Manchester oder Bochum in die Sonne geflogen sind, haben kein Problem damit oder höchstens eines, das für Witze taugt. Sie beweisen gerne ihre Verachtung für Hautkrebs und andere Zukunftssorgen, wie denn überhaupt das Zittern um die Gesundheit eine Sache der Alten ist. Das Sonnenbad ist eine Kulturtatsache – jedenfalls in unserer Kultur Natürlich gibt es auch eine gesundheitsbewusste Jugend (nicht unbedingt an der Playa de las Américas), die sich vegan ernährt und mit Grund vermutet, dass bedenkenloses Rösten in der Sonne nur etwas für Leute ist, die ebenso wenig Skrupel haben, Fleisch von toten Tieren zu grillen. Die Sorge ums moralische und leibliche Wohl aber ist Sache einer verwöhnten Mittelstandsjugend, die Anlass hat, von der Zukunft, von beruflichen Erfolgen, anhaltender Schönheit zu träumen. Der soziale Abstieg des ausgiebigen Sonnenbads hat allerdings etwas historisch Kurioses. In feudalen, vorindustriellen Zeiten galt Blässe als vornehm und gesund, weil nur Feldarbeiter, die im Freien bis zum Umfallen schufteten, sonnenverbrannt waren. Erst als die Feldarbeiter zu Fabrikarbeitern wurden, in lichtlosen Hinterhöfen wohnten und ihrerseits eine nun nicht mehr gesunde Blässe zeigten, entdeckten die besitzenden Klassen die Reize von Natur und Sommerfrische und einem getönten Teint. So unromantisch es klingt: Auch die Wertschätzung des Sonnenbads ist eine Frage der Produktionsverhältnisse, die sich unterdessen ein drittes Mal verschoben haben. Die digitale Avantgarde, die ihre Tage und Nächte am Bildschirm verbringt, kann nicht sonnengebräunt sein. Das können, wie ehedem im 18. Jahrhundert, nur die unterqualifizierten Verlierer der Gesellschaft, die mit ihrem Teint verraten, dass sie den Anschluss an die Moderne verpasst haben. Insofern hat die Sonnenbräune ziemlich an Sex-Appeal verloren. Wer mit Bräune prunkt, wie es, sagen wir mal: Dieter Bohlen unverdrossen tut, der teilt damit gleichzeitig mit, bei welchem Publikum er ankommen will. So viel zur Theorie des Sonnenbads. Die Praxis zeigt aber noch eine ganz andere Seite, die nur insofern mit dem soziologischen Befund zusammenhängt, als sie sich ebenfalls um Gesundheit wenig schert. Einige Menschen legen sich ab und zu in die Sonne, um sich vielleicht für ein paar Minuten aufzuwärmen. Andere setzen sich der kosmischen Strahlung aus wie Extremsportler oder Drogenkonsumenten, die eine Grenzerfahrung suchen. Was tut so ein Freak in der Sonne? Er träumt. Es sind aber nicht mehr die Träume aus Erinnerungsfetzen und Fantasien, die im abgedunkelten Hotelzimmer über den mittags Schlafenden kommen. Eine weitere Macht schaltet sich ein und befördert ein Delirium, das aus allem Persönlichen hinausführt. Insofern hat die Sonne, die man sich aufs Hirn knallen lässt, tatsächlich etwas von einer Droge, allerdings keiner bewusstseinserweiternden, sondern einer bewusstseinsverkleinernden. Die Welt schrumpft