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Der junge Picasso Auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache eig- Das innere Feuer nete sich Pablo Picasso (1881-1973), systema- In einzigartiger Ausführlichkeit zeigt die tisch gefördert von sei- Fondation Beyeler in Riehen, wie sich der nem Vater, in den 1890er- junge Picasso in sechs Jahren von maleri- Jahren das ganze Spek- schen Konventionen befreite und eine ei- trum der damals gängi- gene Bildsprache erfand. gen malerischen Fertig- keiten an. Obwohl überaus erfolgreich, ver- Der ganz ungewöhnliche und aufgrund sei- liess der junge Künstler um die Jahrhundert- ner stupenden künstlerischen Fähigkeiten wende die vorgespurte Karriere und begann, nicht erwartbare Werdegang ist gut an drei sich malerisch eine eigene Welt zu schafen. Selbstporträts abzulesen: an dem im Früh- Dabei erlebte Picasso seine Entwicklung sommer 1901 gemalten, von Selbstbewusst- durchaus krisenhaft. Der Selbstmord seines sein strotzenden «Yo, Picasso» (Ausschnitt un- Freundes Carles Casagemas, den er auf dem ten links), an dem im folgenden Winter ent- Totenbett porträtierte, setzte ihm schwer zu. standenen «Autoporträt» des bleichen, vom Und als er sich 1901, bleich und im schwar- Selbstmord seines Freundes gebeutelten zen Mantel, vor blauem Hintergrund selbst Zwanzigjährigen (unten Mitte) und das stark darstellte, malte er einen jungen Anarchisten, auf wesentliche Züge reduzierte Selbstbildnis der aussah, als müsse er das ganze Elend der eines Menschen, der weiss, was er will und Welt schultern. In Zusammenarbeit mit den zuversichtlich, mit weit ofenen Augen seiner Musées d’Orsay et de l’Orangerie sowie dem Zukunft entgegenblickt vom Herbst 1906 Musée Nationale Picasso in Paris zelebriert (unten links). die Fondation Beyeler in Riehen vom 3. Fe- bruar bis zum 26. Mai 2019 die melancholi- Die Beschreibung als «maskenhaftes Gesicht», sche «blaue» und die auf den defnitiven Um- die der Kommentatorin des Bildes im Katalog zug nach Paris folgende, mehr Zuversicht als Beleg dafür dient, dass «vom Individuum ausstrahlende «rosa» Periode im Werk des des Künstlers …hier nichts zurückgeblieben» jungen Picasso. In seiner chronologisch ange- sei, können wir nicht nachvollziehen. Fernan- legten Schau zeigt Kurator Raphaël Bouvier de Olivier, seine Freundin und Muse jener in einmaliger Ausführlichkeit 80 grossartige Jahre, erinnerte sich dagegen noch dreissig Zeugnisse aus den sechs entscheidenden Jahre später an Picassos «Magnetismus», den Schafensjahren von 1901 bis 1906. «seltsam eindringlichen Blick» und «das inne- Zur Ausstellung erschienen drei Publikationen. re Feuer, das man in ihm spürte». Hrsg. Raphaël Bouvier (Fondation Beyeler): Picasso – Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beye- 1906 entstand auch das «Autoportrait à la pa- ler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 304 Seiten, lette», das Picassos sorgfältige, ja besessene € 60.00/CHF 68.00. (Der Katalog ist in einer deut- Arbeitsweise noch deutlicher macht: Zur Vor- schen und einer englischen Ausgabe verfügbar. bereitung machte er zahlreiche Bleistiftskiz- zen, die sowohl die Haltung des Kopfes als Raphaël Bouvier: Picasso. Blaue und Rosa Periode. auch den Bildaufbau variierten. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje- Cantz Verlag), 56 Seiten, € 12.00/CHF 9.80. (Der klei- ne Begleitband ist in einer deutschen und einer französischen Ausgabe erhältlich.) Tasnim Baghdadi und Iris Brugger (Beyeler Museum AG): Der junge Picasso. Blaue und Rosa Periode - interaktiv. Das Kinderheft führt mit zehn unterhalt- samen Aufgaben und Spielanleitungen durch die Ausstellung. Das Heft ist kostenlos bei der Informa- Yo, Picasso: Selbstbildnisse 1901(links und Mitte), 1906 tion im Eingangsbereich erhältlich. Der junge Picasso 2 Seltsam eindringlicher Blick: Bleistiftskizzen zum «Autoportrait à la palette» (1906) Beim Malen seines reduktionistischen Por- Kumpane aus Barcelona – oft den Handels- träts nutzte Picasso sein virtuoses Zeichenta- kaufmann und Wohngenossen Àngel lent, das er als Illustrator für Zeitungen geübt Fernández de Soto Llassat (1882-1937), der hatte. Auch in dieser Rolle standen ihm jeder- sich erfolgreich als Dandy inszenierte – und zeit alle möglichen Stilmittel zur Verfügung – er nahm Auftragsarbeiten an, wenn sich, sel- vom Naturalismus bis zur Karikatur. ten genug, dafür Gelegenheit bot. Kompro- misse machte er keine, wie Gertrude Stein Es lohnt sich, in der Ausstellung speziell auf erleben musste, die den jungen Spanier ab dieses reiche Formen-Repertoire zu achten, 1905 als eine der ersten förderte. Er zwang auf das der junge Künstler jederzeit Zugrif sie, ihm 1905 und 1906 mehr als 90 Mal Mo- nahm. So, wie er schon früher alle Stile der dell zu sitzen, und es entstand ein Bildnis, in um 1850 einsetzenden «modernen Kunst» dem «die später zur Reife entwickelten Prin- ausprobiert hatte, so nutzte er auch auf dem zipien schon im Kern zutage» traten. Weg zur eigenen Bildsprache das ganze Re- gister der künstlerischen Möglichkeiten: Er «Im Bildnis der amerikanischen Dichterin wird karikierte seine Freunde aus dem Pariser die massige Gestalt zum Anlass, frei mit den Künstlermilieu und sich selbst, er porträtierte Formen zu spielen. Picasso vernachlässigt die Perspektive und die Verhältnisse der Körper- teile zueinander», schreibt Carsten Peter Warnke im ersten Band seiner monumentalen Werkschau1. «Der Kopf wird zum unregelmäs- sigen Block, in denen Nase und Augen wie selbständige Formen eingefügt sind. Wäh- rend hier die Stilmittel immerhin noch mit dem Charakter von Körper und Geist der Dar- gestellten übereinstimmen, ja ihn durch die Verzerrungen um so trefender bezeichnen, geht das Selbstbildnis über solch expressive Sinngebung hinaus», ist Warnke überzeugt. Umrisse, Linien und Farbfächen seien «völlig roh gegeneinander gesetzt, und jeglicher An- schein der Abbildung eines tatsächlich le- benden Menschen» sei «vermieden». Wir halten auch diese Interpretation nicht für überzeugend und sind der Meinung, dass der dargestellte Mensch Picasso sehr wohl ähn- lich sieht. Die Gesichtszüge sind auf das We- Charakter von Körper und Geist: Gertrude Stein (1906) sentliche reduziert und – wie die Vorstudien 1 zit. nach Warnke, Carsten-Peter: Pablo Picasso 1881-1973. Köln 1993 (Benedikt Taschen Verlag), Band I, S. 144f. Der junge Picasso 3 zeigen – die Eigenheiten sorgfältig herausge- arbeitet. Auch der muskulöse Oberkörper ist stark betont. Folgen können wir Warnkes Be- schreibung, was die Darstellung der Arme und der Palette betrift. Diese ist so stark re- duziert, dass sie nur noch als Hinweis darauf zu lesen ist, dass es sich beim abgebildeten Menschen um einen Kunstmaler handelt. Obwohl die beiden erwähnten Bilder – das Porträt von Gertrude Stein und das Selbst- bildnis mit Palette – in der aktuellen Präsenta- Abrupter Stilwechsel: Halbweltdame und Trinkerin tion der Fondation Beyeler nicht zu sehen sind, so ist die beschriebene künstlerische Wahl des Motivs überraschend: auf die selbst- Entwicklung in der Ausstellung jederzeit bewusst auftrumpfende Halbwelt-Dame folg- nachvollziehbar. te eine der grünen Fee verfallene Alkoholike- rin. Besonders anschaulich macht dies in der Aus- stellung das Doppelbild von «Femme dans la Das Motiv ist, betrachtet man andere Bilder loge» und «La buveuse d’absinthe». Picasso aus dem Herbst 1901, weniger entscheidend malte sie im Herbst 1901 auf Vorder- und als der Malstil. Die gleichmässigen Farbfä- Rückseite derselben Leinwand: Auf der Vor- chen, die schwarz umrandeten klaren Kontu- derseite sehen wir eine Dame mit Hut, gemalt ren sind ein halbes Jahr später für die Gemäl- im spätimpressionistischen Stil der 65 Bilder, de der blauen Periode charakteristisch. Sie die Picasso für seiner ersten Ausstellung in entstehen zunächst in Paris und sind wohl zu der Pariser Galerie Vollard vorbereitet hatte. Recht als Reaktion auf den Selbstmord seines Freundes Casagemas, der fast ein halbes Jahr Seine Präsentation, die sein Impresario und zurücklag. Wohngenosse Pere Mañach im Sommer 1901 organisiert hatte, erregte zwar Aufsehen, Als er im Sommer das erste Porträt des Toten stellte sich aber geschäftlich als ziemliches malte, geschah dies noch in der vollen Far- Fiasko heraus. Da er knapp bei Kasse war und bigkeit seiner übrigen Werke. Carles Casage- die «Dame in der Loge» ofenbar nicht zu ver- mas, seit Monaten depressiv und alkoholab- kaufen war, nutzte Picasso die kostbare Lein- hängig, hatte am 17. Februar im Pariser Lokal wand auf der Rückseite für das Porträt der «L’Hippodrome» am Boulevard de Clichy 128 anonymen Trinkerin. einige Freunde vor seiner Abreise nach Bar- celona zu einem Abschiedsessen eingeladen Auch wenn beide Frauen aus demselben Mi- und dabei mit einem Revolver auf Germaine lieu stammten, in der sich auch die Künstler- Pichot geschossen. Die Tänzerin aus dem freunde vom Montmartre bewegten, so ist Moulin Rouge sollte dafür büssen, dass sie der abrupte Stilwechsel nicht bloss in der sich ihm hartnäckig verweigerte. Sicher, dass Malweise, sondern scheinbar auch in der er Germaine getötet hatte, hielt sich Casage- mas sofort die Pistole an die Schläfe und drückte ab. Als es geschah, hielt sich Picasso noch in Ma- drid auf. Erst im Sommer war er bereit, seine Trauer abzubilden. Er malte den toten Freund neben einer in allen Sommerfarben leuch- tenden Kerze auf den hölzernen Deckel eines Malkastens. Das grössere Bild, das er im Früh- Casagemas auf dem Totenbett: Tod im «Hippodrome» herbst fertig stellte, gehört zu den ersten, in Der junge Picasso 4 denen dunkle Blau- und Grüntöne dominier- ten. Diese kalte Farbpalette beherrschte Picassos Malerei ungefähr