Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien April 2013

Im Doppler-Affekt

Eine philharmonische „Doppleriade“ mit Walter Auer und Karl-Heinz Schütz

Franz und Karl Doppler: Im 19. Jahrhundert galten die beiden Brüder und Mitglieder der Wiener Philharmoniker als die Flötisten schlechthin. Walter Auer und Karl-Heinz Schütz, philharmonische Soloflötisten der Jetztzeit, widmen ihren Vorgängern einen Abend im Gläsernen Saal.

Wem sind sie heute noch geläufig, die Namen der vielen virtuosen Pioniere des sich im 19. Jahrhundert institutionalisierenden öffentlichen Musiklebens? Wer weiß sie noch zu würdigen, jene stupenden Musiker, die durch ihre gewinnende Umtriebigkeit das Fundament für den modernen Konzertbetrieb legten, sich als verdienstvolle Pädagogen hervortaten und nebenbei die Spieltechniken ihrer jeweiligen Instrumente revolutionierten? Natürlich haben sich Niccolò Paganini, Frédéric Chopin und unauslöschlich in die Musikgeschichte eingeschrieben. Aber wie steht es um die Klarinettisten Baermann und Hermstedt, die Cellisten Romberg, Dotzauer und Popper oder die Flötistenbrüder Franz und Karl Doppler? Ihre effektvollen Kompositionen werden heute zumeist nur noch bei Vortragsabenden des musikalischen Nachwuchses von Tanten und Großeltern beklatscht. So manchen Eltern und Nachbarn sollen die gefälligen Kantilenen und Läufe, abhängig von der jeweiligen Übeintensität, dagegen schon zu Kopf gestiegen sein …

Wunderkinder an der Flöte Den Flötisten Franz und Karl Doppler wird nun im Musikverein die seltene Ehre zuteil, dem Milieu der Vortragsabende entrissen und von zwei Meistern ihres Fachs abendfüllend im besten Licht präsentiert zu werden. Walter Auer und Karl-Heinz Schütz, Soloflötisten an der Wiener Staatsoper und bei den Philharmonikern, nehmen den 130. Todestag von Franz, dem Älteren der beiden, zum Anlass, auf die Vielseitigkeit der sehr oft im Doppel in Erscheinung tretenden Brüder hinzuweisen. Die Biographie der beiden gebietet Respekt. 1821 und 1825 in der galizischen Landeshauptstadt Lemberg geboren, wo ihr Vater als Kapellmeister der österreichischen-ungarischen Armee Dienst versah, machten sie, inspiriert von den zahlreichen durchreisenden Flötisten, bald als Wunderkinder von sich reden. Als Siebzehnjähriger verdingte sich Franz bereits als Soloflötist am Deutschen Theater in , wo sich die Brüder nach einem kurzen Intermezzo in Warschau niederließen, wechselte aber schon nach wenigen Jahren ans reputierliche Ungarische Nationaltheater.

Harmonie für Ohr … Nicht nur als Orchestermusiker versah Franz Doppler dort freilich Dienst. Gemeinsam mit , dem Begründer der Philharmonischen Gesellschaft in Budapest, wurden die Doppler-Brüder wenig später in den Dirigentenrang gehoben. Stark von den kulturellen Strömungen ihres neuen Wirkungsumfelds beeinflusst, begannen die beiden in weiterer Folge, nunmehr als Ferenc und Karoj, Opern und Ballette patriotischen Inhalts zu komponieren, die ihnen bald den Ruf ungarischer Nationalkomponisten einbringen sollten. Vieles entstand im Teamwork, von Franz sind immerhin insgesamt sechs Opern und fünfzehn Ballette überliefert. Ausgedehnte Konzertreisen, auf denen sie viele Eigenkompositionen zur Aufführung brachten, komplettierten die musikalischen Aktivitäten der Brüder, ab 1853 hielten sie die Musikfreunde

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unter anderem in Wien, Prag, Dresden, Berlin, Leipzig und Hamburg mit einfühlsamen Kompositionen und virtuoser Technik bei Laune. Rezensenten würdigten sie als „absolute Könige des Klangs, des musikalischen Ausdrucks, des Zusammenspiels“.

… und Aug Harmonie auch fürs Auge: Da Karl Linkshänder war und, wie Zeitungsberichte behaupten, die Flöte nach links spielte, soll sich auf dem Podium eine einzigartige Spiegelsymmetrie ergeben haben. Welche Bedeutung sie im Musikleben der damaligen Zeit hatten, lässt sich an den Gästen ermessen, die bei den Dopplers in Budapest aus- und eingingen: Franz Liszt, Richard Wagner, Giacomo Meyerbeer, Karl Goldmark und Anton Rubinstein sind nur die wichtigsten. Besonders das Verhältnis zu Franz Liszt war innig, Liszt überließ Franz Doppler seine „Ungarische Rhapsodie“ zur Instrumentierung und soll sich später sehr wohlwollend über seine Arbeit geäußert haben. Wenn man bedenkt, wie innig die beiden Brüder mit dem ungarischen Musikleben verwoben waren, überrascht es, dass sie 1858 zu neuen Ufern aufbrachen. Franz schloss im Februar einen Vertrag mit der Wiener Hofoper als Flötist und Ballettdirigent ab, auf dem ersten überlieferten Orchesterfoto der Wiener Philharmoniker aus dem Jahr 1864 ist das Brüderpaar in der ersten Reihe zu erkennen.

Ein Herz und eine Seele Knapp 180 Jahre später sitzen Walter Auer und Karl-Heinz Schütz an der Brüder Stelle und scheinen in ähnlichem Maße ein Herz und eine Seele zu sein. Beim Interview in der Bar eines Wiener Hotels strotzen sie nur so vor Vertrautheit und werfen sich in einer unterhaltsamen Doppelconférence für die Doppler-Brüder ins Zeug. Die Frage, was denn die Qualitäten ihrer Flöten-Kompositionen ausmacht, steht im Raum. Karl-Heinz Schütz bringt – mit einem ironischen Seitenblick auf seinen Kollegen – das ins Spiel, was dieser schon bei anderen Gelegenheiten über die Dopplers gesagt haben soll: „Heute streiche ausnahmsweise ich hervor, was Du sonst immer sagst – dass der Musik nämlich eine hohe musikalische Allgemeinbildung ihrer Autoren anzuhören ist.“ Die Kompositionen hätten mehr Witz und mehr Tiefgang als Stücke anderer Virtuosen dieser Zeit und würden auch mehr auf die klanglichen Reize der Flöte Bedacht nehmen. Walter Auer fühlt sich naturgemäß verstanden und weist ergänzend darauf hin, wie sensibel sich die Brüder musikalische Errungenschaften und auch Moden ihrer Zeit zu eigen gemacht hätten und sich überhaupt auf musikalische Stimmungen einstellen und einlassen konnten wie wenige andere. Karl-Heinz Schütz führt den Gedanken weiter und nennt als Beispiele für Dopplers musikalisches Einfühlungsvermögen die Opernparaphrasen, unter anderem jene über Motive aus Vincenzo Bellinis „La Sonnambula“: „Erst vor kurzem gab’s an der Staatsoper wieder eine Aufführungsserie dieses sehr farbenreichen Werkes. Als ich im Orchestergraben saß, wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr sich Franz Doppler auf die Nuancen und Details des Ausdrucks verstand.“ Walter Auer nickt zustimmend: „Auch bei ,Rigoletto‘ muss ich immer an die Doppler-Brüder denken und bewundere, wie sie die großen Emotionen so trefflich für Flöte arrangiert haben.“

Hohe Konzentration und langer Atem Respektsbekundungen für ihre Vorgänger also von zwei nicht weniger umtriebigen Flötisten, die zwar (noch) nicht komponieren und dirigieren, aber neben den Orchesterdiensten einer

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regen kammermusikalischen Tätigkeit nachgehen und auch als Pädagogen Anerkennung genießen. Welche neuen Anforderungen sind an einen Flötisten seit den Doppler-Zeiten dazugekommen? Walter Auer: „Wir haben es gewissermaßen leichter – die Dopplers spielten ja noch keine Instrumente mit moderner Böhm-Mechanik, die technischen Anforderungen waren für sie also noch höher. Bezüglich der Klangfarben konnten die alten Flöten aber sicher mit einer Fülle von Schattierungen aufwarten, die wir auf unseren modernen Flöten erst mühsam suchen müssen. Auch im Instrumentenbau bedeutet jede technische Weiterentwicklung stets auch einen Verlust auf einer anderen Ebene, in diesem Fall der klanglichen.“ Eine deutliche Veränderung zu früher sei freilich die enorme Vergrößerung des Repertoires, die vielen Soli, die zum Beispiel Richard Strauss der Flöte an einem Opernabend abverlangt, bedürften einer hohen Konzentration und eines naturgemäß langen Atems. Dass die beiden souveränen Musiker über diesen verfügen, dessen kann man sich beinahe allabendlich in der Staatsoper, bei den philharmonischen Konzerten und am 3. April auch im Gläsernen Saal des Musikvereins vergewissern, wo ihnen der Pianist Christoph Traxler bei ihrer „Doppleriade“ zur Seite steht.

Während des Gesprächs ist den beiden übrigens aufgefallen, dass es sie – ähnlich den Doppler-Brüdern – erst über großräumige Umwege zu den Wiener Philharmonikern verschlagen hat. Der Kärntner Walter Auer wirkte in Berlin und Dresden, bevor er Soloflötist in Wien wurde, der Tiroler Karl-Heinz Schütz konnte bereits auf Engagements in Stuttgart und bei den Wiener Symphonikern zurückblicken, als er das Probespiel bei den Philharmonikern gewann. Ein Grund mehr, sich den Dopplers verbunden zu fühlen!

Markus Siber Mag. Markus Siber ist Kulturjournalist und Mitarbeiter des Festivals „Carinthischer Sommer“ in Ossiach und Wien.

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