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Bosseler & Abeking Immobilienberatung GmbH

Nymphenburger Straße 21 80335 München

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Vorwort 3 23. Ibsens Liebling Marie Ramlo 38 1. Bogenhausen oder: Der Kreis der Elite 4 24. Was Conrad über die letzte Nacht Ludwigs II. erfährt 39 2. Entree: Prinzregentenbrücke und Friedensengel 6 25. Glänzende Noten für den Sänger Gura 40 3. Weltruhm und Bescheidenheit: Röntgens Jahre über der Isar 8 26. Der Griff nach den Sternen: Das Königliche Observatorium 42 4. Helles und Dunkles in der Villa Pschorr 10 27. Reinhold Häfner und der Ring des Planeten Neptun 43 5. Malerfürst Stuck huldigt den schönsten Frauen 12 28. Der Bundesfinanzhof: Erstes Oberstes Gericht der Republik 44 6. Der weltbekannte Musensitz 14 29. Münchner Entscheidungen 45 7. Abraxas, Satan und Sünde 15 30. Annette Kolb: Das Fräulein, das Frankreich liebt 46 8. Stardirigent rodelt mit dem Nachbarmädchen 16 31. Wo Heinrich Heine Sehnsucht nach Italien bekommt 48 9. Das letzte Atelier des Malers Zügel 18 32. Der Rest der Dorfidylle 50 10. Theodor Heuss über Zügel 19 33. Der Prominentenfriedhof 51 11. Hier wohnt der große Journalist Hermann Proebst 20 34. Die „Junggesellenwohnung“ des Artur Kutscher 52 12. „Nationalkomiker“ Konrad Drehers Zuhause 22 35. Ich denke oft an Piroschka 53 13. „Dös saubre Kellermadl“ 23 36. Henriette Raff, Ibsens „liebes Kind“ 54 14. Wohnung und Werkstatt eines großen Bildhauers 24 37. Ein Star aus Ungarn singt sich in die Herzen der Münchner 56 15. Dülfer baut das erste Jugendstilhaus Deutschlands 26 38. Die Legende Ivogün 57 16. Der Stararchitekt seiner Zeit 27 39. Zwischen Oper und Oktoberfest: Bruno Walter 58 17. Schmerzliche Erinnerungen im Apothekerhaus 28 40. Nachbar Gustl Waldau 59 18. Rudolf Diesels Prunk und Probleme 30 41. Ehrenwirths Reich der Bücher 60 19. Der Direktor und Centa Bré 32 42. Die Villa des Nobelpreisträgers 62 20. Münchens vergessener Architekt: Hans Grässel 34 43. Die Künstlerresidenz des Aktmalers Zumbusch 64 21. Nachbar Karl Amira 35 44. Malerisches München: Anton Höchl in seinem Schloß am Priel 66 22. Reformer und Reaktionär: Schulrat Kerschensteiner 36 45. Anhang 68

1 Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

denkt man an Bogenhausen, so sieht man Prachtbauten, die Parks und Boulevards säumen. Die Prinzregentenstraße, die vom neoklassizistischen Theater vorbei an Jugendstilbauten wie der Künstlervilla Stuck bis hin zum Friedensengel führt, ist von großzügigen Villenvierteln umgeben. Seit jeher gilt der Stadtteil als Inbegriff von Prominenz und Reichtum.

Doch schaut man genauer hin, bemerkt man bald: Bogenhausen ist ungleich vielschichtiger, geprägt von zahlreichen Gegensätzen. Im Herzen ein Dorf, hat das Viertel neben historischen Bauten vor allem im Herzogpark auch moderne Villen zu bieten. Daneben kleine Wohnhäuser, die Parkstadt mit ihren Hochhäusern aus der Wirtschaftswunderzeit sowie die Firmen-, Hotel- und Bürokomplexe des Quartiers Arabellapark.

In einer Zeitreise durch die Jahrhunderte lässt dieser Band Sie hinter die Fassaden von Prunkvillen und Bürgerhäusern schauen, zeigt Ihnen die Menschen, die sie bevölkerten. Adlige, Geistliche, bekannte Größen aus Kunst und Politik, aber auch einfaches Volk zeigen Ihnen ein Bogenhausen, wie Sie es wahrscheinlich bis jetzt noch nicht kennen.

Wir wünschen Ihnen eine kurzweilige Lektüre.

Herzlichst, Ihr Adrian Bosseler

2 3 Bogenhausen oder: Der Kreis der Elite

Ursprünglich ein Bauerndorf mit einer statt- lichen Kolonie italienischer Ziegelarbeiter und deren Töchter, die zu den leicht- und kunstsin- nigen Modellen der Schwabinger Maler zählen. Bald gesellen sich die Astronomen hinzu, an vorderster Front der aus Schottland stammende John Lamont. Er forscht in der Sternwarte, die der erste Bayernkönig Max I. Joseph 1816 an der Scheinerstraße bauen läßt. Ganz in der Nähe wohnt in seiner (inzwischen abgerissenen) Sommervilla der allmächtige Minister Maximilian Montgelas, der aber bald vom nachmaligen König Ludwig I. gestürzt wird. Die Montgelasstraße, die von der Isar zum Her- komerplatz führt, erinnert noch heute an den Um 1900: Die Linie 67 fährt nach Bogenhausen München - Pogenhausen, Apian 1568 prominenten Bewohner des Dorfes. Als er 1817 aus seinen Ämtern gejagt wird, überlegt Lud- Sprichwörtlich die Lausbuben von Bogen- wohner in fünf Orten (Bogenhausen, Brunnthal, sich bald weltweit einen Namen macht. wig allen Ernstes, in Bogenhausen die Walhalla hausen, worauf noch Golo Mann zu sprechen Priel, Steinhausen und Stepperg), man registriert In der Nähe des Musensitzes läßt sich nach zu bauen, was uns sein Architekt Leo Klenze in kommt. Sie lernt um 1845 auch Eugen Brochier 155 Wohngebäude, die Pfarrkirche St. Georg, dem Ersten Weltkrieg der Schopenhauer-For- seinen Memorabilien so mitteilt. Da wird aber an Ort und Stelle kennen, dessen Vater einst mit eine Schule, zwei Schlösser, die Sternwarte und scher Arthur Hübscher nieder, konkret an der nichts draus! Napoleon nach München kam. In seinen hand- das Versorgungsheim für die Hinterbliebenen Possartstraße. Seine Memoiren (erlebt – gedacht Statt der großen deutschen Dichter und geschriebenen Memoiren heißt es: „Zur Zeit mei- des Staatspersonals, zu denen auch Ludwig Tho- – vollbracht) geben ein Zeugnis von der damali- Denker in Marmor tummeln sich hier somit ner Jugend reichten Kartoffeläcker und Wiesen mas „Tante Frieda“ zählt. Das Haus wird 1948 gen Besiedlung. Er lobt nämlich seine Wohnung, im Schatten der alten Georgskirche weiter die bis an das Hochufer und nur ein schmaler, bei abgerissen. „die den Blick auf Stadt, Fluß und Alpen freigab Menschen aus Fleisch und Blut. Sommer in Bo- Regenwetter wegen häufiger Erdabrutschungen Um die Wende zum 20. Jahrhundert entdecken und die Weite des Landes in heiterer besinnlicher genhausen, das ist wie das Paradies auf Erden! gefährlicher Fußweg diente zum Verkehr mit der dann Künstler, Gelehrte und Erfinder das 1892 Betrachtung einbezog“. Das soll sich jedoch nach Fesche Kellnerinnen kredenzen Brotzeiten und Stadt. Unten floß die damals noch ungezähmte eingemeindete Bogenhausen als idealen Wohn- und nach ändern. Zu den berühmtesten Einwoh- frisches Bier, Musikanten spielen auf, die Bur- Isar an der Felswand vorbei, so daß böse Buben ort. Namhafte Architekten wie Stadtbaumeister nern dieser Zeit zählt Chemie-Nobelpreisträger schen drehen ihren Schatz im Tanz, die Kinder leicht Steine auf die vorbeischwimmenden Flöße Grässel versehen das Viertel mit Prachtvillen, Willstätter, der in seinen Memoiren (Aus meinem vergnügen sich auf den Karussells, die Buben werfen konnten.“ Prinzregent Luitpold genehmigt schließlich das Leben) über Bogenhausen schreibt: „Die neue Bogenhausen 1830, Lithographie von Carl August Lebschée necken die Mädchen. 1867 zählt das Dorf Bogenhausen 670 Ein- nach ihm benannte Prinzregententheater, das Gegend, die schönste der Stadt.“

4 5 Entree: Prinzregentenbrücke und Friedensengel

Das „Friedens- und Siegesdenkmal“, wie es Prinzregentenstraße, von der aus einst einer der 1896 heißt, ist also eine einzige Drohung an unglücklichsten Helden der Weltliteratur seine „den niedergeworfenen Gegner“ Frankreich, „der Reise in den Tod nach Venedig begann, liegt ver- sich aufs Neue wieder erheben werde“ (Borscht). lassen im frostigen Morgenlicht. Es gibt auf der Die vier Eckpfeiler sind deshalb folgerichtig mit ganzen Welt nichts, was so einsam und verlas- zwölf Rundreliefs der damaligen Oberbefehlsha- sen ist wie eine menschenleere Riesenstraße an ber, Kriegsminister und Feldherrn geschmückt. einem kühlen Morgen in einer bombardierten Sie werden mit Herkules gleichgesetzt, dessen Stadt. Die Sonne bringt das Gold des Friedens- zwölf Taten unmittelbar daneben zu sehen engels zum Glitzern. Eines Engels, dessen Statue sind. Der Betrachter erkennt die drei Deutschen die Prinzregentenstraße in zwei monumentale, Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III., die beide in sanfte Abfahren zur Brücke über die Isar teilt und Frankreich ihren Erb- und Erzfeind sehen, dann auf den Hitler von seinem Haus am Prinzregen- den stets säbelrasselnden Wilhelm II. tenplatz aus eine Aussicht gehabt haben müßte.“ Weiter stößt man auf die bayerischen Generäle Geschichten, die heute kaum jemand kennt! Prinzregent Luitpold 1888 Hartmann (Belagerer von Paris), von der Tann Denn der Friedensengel strahlt auch eine („Held von Sedan“) und Pranckh (anwesend bei gewisse Feierlichkeit aus. Ruhig schwebt er Sie ist die Göttin des Sieges und blickt genau der Unterzeichnung der Versailler Verträge). über den Isarauen, er hat ein erhabenes Aus- nach Paris: Der Friedensengel, eine Nachbildung Schließlich die bayerischen Monarchen Lud- sehen. Sanftmütig schauen unten die acht der Nike von Olympia. Beim Festakt zur Grund- wig II., sein geisteskranker Bruder Otto und als Koren auf den Betrachter. Sie sind Imitationen steinlegung am 11. Mai 1896 läßt Bürgermei- Nummer zwölf Prinzregent Luitpold, der einein- der weltberühmten Damen der Korenhalle am ster Wilhelm Borscht auch keinen Zweifel an halb Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Welt- Erechtheion auf der Akropolis Athens. Ein Ge- der Bedeutung des Monuments aufkommen. krieges stirbt. Natürlich kennt Kaiser Wilhelm II. simsblock dieses Gebäudes ziert übrigens die Das Deutsche Reich, so sagt er vor dem 75jäh- das Denkmal - und Adolf Hitler, der gegenüber Glyptothek in München. rigen Prinzregenten Luitpold und Tausenden dem Prinzregententheater wohnt. Heute braust der Autoverkehr stadtein- und von Münchnern, sei jetzt „die erste Großmacht Der Friedensengel überlebt indes nahezu un- stadtauswärts um den Friedensengel, man muß Europas“. Auch das Datum ist kein Zufall: 1871, beschadet die zwei Weltkriege. 1945 sieht er auf höllisch aufpassen, um auf das Terrain zu kom- vor exakt 25 Jahren also, hat man Frankreich ein von Bomben zerstörtes München. Ein Jahr men. Es sind auch kaum Menschen darauf. Dicht besiegt. „Der gerechte Gott“, so deklamiert später sucht ihn der damals 23jährige schwedi- bevölkert ist es allerdings am Silvestertag. Von Borscht, habe „Sieg auf Sieg an die deutschen sche Schriftsteller Stig Dagerman auf. In seinem hier aus hat man nämlich einen grandiosen Fahnen geheftet“. Reisebericht (Herbst ’46) faßt er seine gespen- Blick auf die vom bunten Feuerwerk gekrönte Bogenhausens goldene Pforte stischen Impressionen zusammen: „Die lange Landeshauptstadt. Der Friedensengel, Kopie der Nike von Olympia

6 7 Der weltbekannte Musensitz

1901 ist für München ein ereignisreiches Jahr. Abraxas, Satan und Sünde Lenin verläßt die Stadt, Wilhelm Röntgen erhält den ersten Physik-Nobelpreis, Max Pettenkofer Für den 6. Juni 1948 ist die Uraufführung des Schmutz und Schund den Liberalen aufgefal- stirbt, im Simplicissimus liest man vom Ende der Balletts Abraxas von Werner Egk im Prinzregen- len war, konnte sich in einer Zeitung mit einem Monarchie (nur noch 17 Jahre sind bis dahin), tentheater angekündigt. Schon Wochen vorher dicken Brett vor dem Kopf und einem Nagel im Gräfin Reventlow badet pudelnackt in der Isar wird darüber diskutiert. Theaterprofessor Artur Hirn betrachten.“ – und das Prinzregententheater wird feierlich Kutscher schreibt in der Süddeutschen Zeitung Auf dem Passauer Katholikentag 1950 eröffnet. Der neue Musentempel (Architekt: eine Vorschau, in der er mit den Worten wie schlägt Hundhammer dann zurück und verteu- Max Littmann) ist natürlich das wichtigste Ge- Satan, Sünde, schwarze Messen nicht spart und felt Abraxas. Er sagt: „Welch satanische Bosheit sprächsthema. Erste Besichtigung am 27. Juli eine Tänzerin „mit aufgeschlitztem Gewand liegt zum Beispiel darin, daß in einem Theater- 1901, Prinzregent Luitpold, nach dem das Haus und goldenem Schuh am linken Fuß“ ankün- stück, wie wir es erlebt haben, der Teufel auf benannt wird, fährt vormittags um 11 Uhr vier- digt. Die Theaterwelt strömt nach München, dem Altar an die Stelle des Tabernakels gesetzt spännig vor. Beim Betreten erklingen Fanfaren die Karten sind blitzschnell verkauft. Ein reger und ihm eine Hure als Opfer dargebracht wird. mit Rheingold-Motiven, dann setzt sich der Schwarzhandel setzt daraufhin ein. „Die Leute Das dürfen wir Katholiken nicht mitmachen.“ Wittelsbacher im Foyer auf einen Thron mit Bal- Erster Intendant: Ernst Possart Strauss-Woche 1910, Plakat von Ludwig Hohlwein wollen das Werk und die außergewöhnliche Freilich, Alois Hundhammers Wort ignoriert dachin, lauscht der Rede des Intendanten Ernst Besetzung um jeden Preis sehen“, schreibt Egk man in Berlin, wo das (katholische) Domkapi- Possart und sagt schließlich nur, er wünsche ges der Meistersinger von Richard Wagner. An- in seinen Memoiren (Die Zeit wartet nicht). tel am Stück nichts auszusetzen hat. Als er von „von Herzen Blühen und Gedeihen dem schönen schließend Festbankett in den Vier Jahreszeiten. In seiner Euphorie übersieht er aber, daß der Inszenierung an der Spree erfährt, stellt er Unternehmen“. Am 21. August dann die gesamte Meistersin- Kultusminister Alois Hundhammer (CSU) ent- sofort die „Berlinhilfe“ in Frage, einen großen Offiziell eröffnet wird das Theater an zwei ger-Oper. Über den neuen Musensitz und sein schieden gegen das Stück ist und in jedem Fall finanziellen Zuschuß durch den Freistaat. Egk Abenden. Am 20. August 1901 haben nur ein- Publikum berichten die Münchner Neuesten eine Wiederholung verbieten will. Werner Egk schreibt dazu, es sollten Mittelkürzungen grei- geladene Gäste Zutritt. Jede Dame (auch die Nachrichten: „Die vornehmen und theilweise eilt daraufhin in das Kultusministerium, richtet fen, „wenn, sozusagen, auch mit bayerischen gefeierte Sopranistin Milka Ternina) erhält ein kostbaren Damentoiletten zeigten, daß die wirk- nichts aus und schreibt daraufhin „einen Pro- Batzen der Satan in der Städtischen Oper in Blumenbukett. Den Prolog spricht die 29jährige, liche Créme der Gesellschaft sich in dem Hause testbrief“ an 250 Zeitungen. Er weist darin auf Berlin inthronisiert würde“. in Wien geborene Hofschauspielerin Margare- ein Rendez-vous gab.“ Und weiter entnimmt die Verletzung der bayerischen Verfassung hin. So weit kommt es schließlich nicht, doch the Swoboda. Sie gedenkt des 80jährigen Prinz- man dem Blatt: „Alles bestaunte den schönen Jetzt entbrennt ein Kampf, der die Gemüter Abraxas bleibt vom Prinzregententheater ver- regenten Luitpold. Kaum hat das von vielen und praktischen Bau“, und ein „neues Staunen der bayerischen (und deutschen) Bevölkerung bannt. Dafür erobert das Werk die Bühnen der Männern verehrte Geschöpf die letzte Strophe beim Betreten des herrlichen amphitheatrali- wie selten zuvor erregt. Egk erklärt dazu: „Un- Welt. Auch das Fernsehen interessiert sich da- gelesen („Dein Name, Königlicher Herr, durcheil’/ schen Zuschauerraumes mit seinen bequemen ser Kultusminister, der durch seine Plädoyers für. Die Ausstattung dort übernimmt Wolfgang Wie Siegessturm all diese Räume; Heil“), ertönen Sitzen und der vornehmen, fast überreichen für die Prügelstrafe und für das Gesetz gegen Hundhammer, ein Sohn des Kultusministers. Das Prinzregententheater Ouvertüre und der zweite Teil des dritten Aufzu- Ausstattung.“ Godela, die Tochter Carl Orffs, als Agnes Bernauer

14 15 Stardirigent Solti rodelt mit dem Nachbarmädchen

Haus Prinzregentenstraße 76, keiner ahnt heu- Ernst Müller-Meiningen jr.: damals - aus der Sicht der Alliierten Militärre- Als erste Oper dirigiert Solti am 9. April 1946 te, daß darin ein Stück Zeitgeschichte abläuft, Orden, Spießer, Pfeffersäcke gierung – keine politisch akzeptablen deutschen Fidelio, im Mai 1952 steht er zum letztenmal die niemand mehr so recht kennt – und des- Dirigenten gab, mit denen sich dieser Posten am Pult im Prinzregententheater, auf dem Pro- halb erstaunt. Unmittelbar nach dem Zweiten Adenauer besetzen ließ.“ So bekommt Solti, wie er sich gramm Das Rheingold. Die Uraufführung fand Weltkrieg wohnen in dem Gebäude Tür an Tür „Wissen Se, Herr Müller-Meiningen. Dat jeht ausdrückt, einen „der bedeutendsten Dirigen- 1869 in München statt. Wagner hat man weni- im vierten Stock der Generalmusikdirektor der doch nicht mit diesen Indiskretionen. Wenn tenposten in Europa“. ge Jahre vorher aus der Stadt vertrieben. Jetzt Münchner Oper, Georg Solti aus Budapest, und dat der Schah beim Frühstück liest, über die 1946 tritt er seinen Dienst an. „Die Stadt war ist Solti dran. Das Kultusministerium redet ihm der Münchner Senator und Journalist Ernst Kaiserin und dann die Bettjeschichten des kalt, grau und bedrückend. Ich glaubte, fünfzig ständig in die Arbeit, so daß er den Dirigenten- Müller-Meiningen jr. Beide hinterlassen span- Schahs, dat gibt, meine Herren, doch die Jahre würden vergehen, bis sie aus den Ruinen stab hinschmeißt. Das Haus am Salvat orplatz nende Memoiren, beide gehören zu München größten außenpolitischen Schwierigkeiten.“ wiederauferstehen würde. Wie ich mich täusch- versteht, so urteilt Ernst Müller-Meiningen jr., wie Klenze und Karl Valentin. te! Als ich aber München sechs Jahres später „Solti das Weiterwirken in München zu verlei- Richard Strauss „Dem lieben langjährigen Redaktionsgefähr- verließ, hatte es sich zu einer beeindruckenden den“. Und wie es schon ist, er geht nach Frank- Es war Mitte der zwanziger Jahre und ten Rudolf Reiser dieses dreiste Machwerk aus Großstadt entwickelt. Heute, rund fünfzig Jahre furt, wo er sein Talent mit Weltruhm zu vergol- Richard Strauss Kaffeegast bei meinen El- Ihrem wohl bekannten Milieu Ihr alter M.-M. jr.“ nachdem es nur noch ein riesiger Trümmerhau- den beginnt! tern. Als stillen Zuhörer hatte mich damals Diese Widmung schreibt mir auf die erste Seite Hedi und Georg Solti in München fen war, ist es eine der feudalsten Metropolen beeindruckt, daß er lebhaft mit meinem Va- des von ihm verfaßten Buches Orden, Spießer, in Europa.“ ter politisierte und sich dabei quasi staats- Pfeffersäcke mein kluger Kollege von der Süd- 1971: „Wir spielten manchen Abend miteinan- durch“, schreibt Müller-Meiningen jr. weiter, „das Im Haus Prinzregentenstraße 76 wohnt Solti männisch artikulierte. deutschen Zeitung, Ernst Müller-Meiningen jr. der Bridge, das uns Solti mit viel Nachsicht bei- Publikum jubelte nach glanzvollen Aufführun- zusammen mit seiner Frau Hedi. Mit ihr, so fährt Er schildert darin die verabscheuungswürdigen Solti zubringen versuchte, oder es konnte beispiels- gen, der greise Richard Strauss bekundete Solti der Dirigent in seinen Memoiren fort, sind „die Machenschaften der ersten Verleger der SZ. Es wurde Solti nichts geschenkt, denn die weise auch vorkommen, daß Solti, diese pracht- Respekt und Bewunderung, und die gestrengen Münchner Jahre die glücklichste Zeit unseres Le- Raffgier und Pfeffersäcke bestimmten die Poli- gestrengen Kritiker empfanden den Neuling volle Mischung von Ernst und Humor, Charme Kritiker wurden zunehmend des emphatischen bens“. Er lobt ihre Energie und fährt fort: „Sie be- tik des Hauses. Der Jurist und Journalist schreibt als eine Art Tempelschändung, gemessen an und Besessenheit, am Spätnachmittag eines Lobes voll.“ Die Münchner Opernliebhaber liegen riet mich in künstlerischen Dingen und kümmerte alles gegendarstellungsunfähig, was den ober- den berühmten Vorgängern. Und sie kargten Wintertages an unserer Wohnungstür läutete.“ dem Ungarn zu Füßen. sich um unseren Lebensalltag, indem sie Zigaret- flächlichen Chefredakteur 1989 veranlaßt, das auch nicht mit entsprechenden unfreund- Er fragt dann: „Ist die Nanni da? Ich möchte mit Und auch dieser schreibt Memoiren (Solti ten und Theaterkarten gegen frisches Gemüse Buch zur Rezension nicht freizugeben. lichen Kommentaren. ihr in die Anlagen am Friedensengel zum Rodeln über Solti): „Ich hatte unglaublich Glück, daß ich und andere Lebensmittel eintauschte.“ Im ersten Prächtige Stunden, mit ihm zu reden, den wir gehen.“ Müller-Meiningens Tochter bestätigt zum damaligen Zeitpunkt nach München kam. Winter ist es in München sehr kalt. „Während Franz Josef Strauß alle liebevoll „Herr Senator“ nennen, auch wenn dies über 40 Jahre später in einem Gespräch mit Wegen der Entnazifizierung war es den großen einer Probe zur Neuinszenierung von Er schrieb mir zu manchen runden Geburts- Carmen wir per Du sind. Er plaudert dann gerne über mir und erzählt: „Die Briketts waren eben aus- Dirigenten Wilhelm Furtwängler, Herbert von im eiskalten Foyer des Prinzregententheaters tagen sympathievolle Briefe, die über die seinen weltberühmten Nachbarn Georg Solti. gegangen, die Abendvorstellung im Prinzregen- Karajan, Hans Knappertsbusch und Clemens bemerkte einer der Musiker, daß bei intensiver normalen Höflichkeitsfloskeln, gemeinhin Die gute Nachbarschaft beschreibt Müller-Mei- tentheater mußte deshalb ausfallen.“ Krauss verboten, in Deutschland aufzutreten.“ Arbeit die Schweißperlen auf meiner Stirn sofort Ernst Müller-Meiningens jr. Grabkreuz auf dem von Referenten textiert, hinausgingen. Im Haus Prinzregentenstraße 76 wohnen Georg Solti und Ernst Müller-Meiningen jr. Tür an Tür ningen jr. auch in der SZ, konkret am 1. Oktober „Sehr bald schon setzte sich Soltis Genialität Und weiter: „Mein Glück war auch, daß es gefroren und zu kleinen Eiszapfen erstarrten.“ Bogenhauser Friedhof

16 17 Das letzte Atelier des Malers Zügel

„Einer der besten lebenden Tiermaler, seltene len sauberen Ausführung zu den besten Werken.“ Theodor Heuss über Zügel Charakteristik, herrliches Kolorit. Schafe be- Zügel ist seit 1875 mit der Bäckertochter mag das ungewohnte Auge durch ihr ungestü- rühmt“, so lautet die Kurzcharakteristik des Ma- Emma verheiratet, der Ehe entspringen drei Ein schönes Feuilleton widmet 1914 Theodor mes Eindringen beunruhigen. Aber sie leiht dem lers Heinrich Zügel in dem offiziösen Münchner Töchter und Sohn Willy, der das Ludwigs-Gym- Heuss seinem Landsmann Heinrich Zügel: „Je Bild eine frische Kraft. Und sie kommt nicht aus Nachschlagewerk 1905 (München und die Mün- nasium besucht, wo gerade der bekannt berüch- älter der Meister, desto jünger seine Kunst“, der Willkür, sondern entspringt der Notwendig- chener). Der 1850 in Murrhardt, im Zentrum tigte Schulmeister Kerschensteiner unterrichtet. urteilt er und erklärt dazu: „Eine doppelte keit, aus der Zügels neues Kunstschaffen ent- des Schwäbisch-Fränkischen Waldes, geborene Dazu erzählt der Schriftsteller Walther Ziersch Wandlung vollzieht sich: die Technik erhält ei- steht. Das Zurechtmalen eines Bildes im bis- Künstler bezieht seine Villa in Bogenhausen 1931 in einem Artikel der Münchner Neuesten nen völlig entgegengesetzten Charakter, und herigen Sinne der gefälligen Komposition hat 1921/22, also schon als reifer Siebziger. „Wohn- Nachrichten folgende Anekdote: Der Lehrer sei die Gesinnung hat sich geändert. Man mag an ein Ende, Zügel tritt aus dem Atelier, wo man und Werkstatt“ lesen wir im Adreßbuch 1924. einmal fünf Minuten früher als sonst zum Un- Beeinflussung denken, die die Begegnung mit herumbastelt, probiert, zurechtrückt, ganz in Mit ihm im Haus sein Schwiegersohn Hermann terricht erschienen. „An der Tafel war fröhliches anderem Kunstschaffen ausübte.“ die Natur, nicht zu gelegentlichen Studien, son- Eißfeld, ebenfalls ein Maler. Getümmel, Lachen und Jubeln, beim Erscheinen Heuss kommt dann auf Paris und die dortige dern um das Objekt von Angesicht zu Angesicht Zügels Karriere kurz geschildert: Um 1885 Kerschensteiners stob man jäh auseinander. „Freilichtmalerei“ zu sprechen: „Nicht als ob die zu zwingen. Er wird eben, ohne daß sich daran malt er im Bauernland Dachau, wo er auf die Und siehe da, an der Tafel prangte das Bildnis Kunst Zügels von irgendeinem fremden Maler theoretische Litaneien anhängen, Freilichtmaler Idee kommt, Tier und Landschaft in eine Syn- des verehrten Lehrers, wohlgetroffen mit dem abhängig gewesen oder geworden wäre; dazu in dem barsten Sinne des Wortes.“ these zu bringen. 1895 folgt er einem Ruf an großen Schlapphut, den er stets trug, wie er als hatte sich die stoffliche Eigenart schon sehr die Münchner Akademie. Zusammen mit Lovis Apollo eine antike Quadriga lenkte. Die Karikatur durchgebildet. Die Sache liegt vielmehr so, daß Corinth und Max Slevogt zählt man ihn zu den war ein kleines Meisterwerk, aber daß die Tafel das äußere Erlebnis zum Anstoß für techni- großen deutschen Expressionisten. In seinem nicht geputzt war und auf dem Boden drumhe- sche Wagnisse wurde, die sozusagen innerlich Atelier an der Possartstraße fertigt er sein be- rum Schmutz und zertretene Kreidestückchen schon vorbereitet und reif waren.“ kanntes Selbstbildnis an. lagen“, das geht gegen die Disziplin. Kerschen- Und weiter: „Die Malweise bekommt einen Würdigung Nummer eins erfolgt 1914 von steiner fragt nach dem Zeichner. Sofort meldet neuen, kühnen Stil, sie verläßt die etwas sorg- Theodor Heuss (siehe Kasten nebenan). Das sich Zügels Sohn Willy. Darauf der Lehrer: „Ich same Art, die Führung des Pinsels im Bildwerk zweite Lob kommt 1947 vom Kunsthistoriker habe ohne deine Antwort gewußt, daß du der verschwinden zu lassen, und macht den breiten, Hermann Uhde-Bernays: „Bei Zügel konnte ich Maler bist, Zügel. Die Zeichnung ist ausgezeich- offenen Pinselstrich zum eigentlichen Träger die Verschmelzung der Münchener Ateliertech- net, aber die Tafel muß in Ordnung sein vor der des Gemäldes. Damit erschließt er die Tür für nik mit einer vor allem auf großen Formaten Mathematikstunde.“ Die Skizze wird also ge- den Beschauer des Bildes: es wird nicht allein erkennbaren äußerlichen Behandlung der Licht- löscht, worauf dann Kerschensteiner zu Zügel die vollendete und geschlossene Tatsache prä- und Lufttöne nach impressionistischen Prinzipi- junior sagt: „Zur Strafe aber – malst du mir die- sentiert, sondern auch das Werden. Diese, wenn en nur als einen Kompromiß ansehen. Seine Ju- ses Bild als Hausaufgabe.“ man’s so nennen will, Redseligkeit der Technik Selbstporträt Zügels, in Bogenhausen gemalt Künstlervilla Possartstraße 24 gendarbeiten stellen sich in ihrer geschmackvol-

18 19 Hier wohnt der große Journalist Hermann Proebst

Er ist der Inbegriff eines Journalisten, hoch- says und Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung. kensalat oder sauerem Lüngerl hervordrang. Wo ner Person ein Beispiel gesetzt. An seiner Bereit- gebildet und schreibgewandt, menschlich Unser gemeinsamer Kollege Hans Schuster trifft einst Apotheker Spitzweg die Brettln seiner Zi- schaft, den Mitmenschen ernst zu nehmen, hat und humorvoll, er leitete über ein Jahrzehnt 1969 - zu Proebsts 65. Geburtstag - eine Aus- garrenkisten bemalt hatte, gab es dörfliche Plät- es niemals gefehlt. Darum dürfen wir es heute souverän die Süddeutsche Zeitung: Hermann wahl und faßt die edelsten Stücke in dem Buch ze, sauber gefegt wie Dreschtennen, die Häuser getrost und dankbar aussprechen: Er war ein Proebst. Wer regelmäßig seine Artikel liest und Durchleuchtete Zeit zusammen. Am Ende des mit ihren hohen Giebeln glichen Scheunen oder großer Journalist.“ die Möglichkeit hat wie ich, mit ihm länger zu Vorworts zitiert Schuster das Motto des Jubilars: riesigen Speichern.“ An anderer Stelle steht: „Wir werden es schwer sprechen, der merkt sofort, an seine Fähig- und „Ich glaube, man muß sich, wenn man jene Er- Wenn es um die bayerische Geschichte geht, haben, die Zeitung von nun an ohne ihn zu ma- Fertigkeiten reicht in der Bundesrepublik nicht ziehungsaufgabe ernst nimmt und sie stets im erzählt Proebst gerne Szenen aus seiner Familie. chen.“ Nach 44 Jahren kann man heute sagen: ansatzweise einer der Kollegen zwischen Ham- Auge behält, vor allem wappnen mit Menschen- Über den Onkel, der einmal „grantig“ wird, und Die Süddeutsche Zeitung bekam nie wieder ei- burg und München. Um es gleich vorweg zu liebe, mit Toleranz und großer Geduld.“ über die gute Großmutter, „die aus dem Stifts- nen Chefredakteur von Proebsts Größe und Ge- sagen: Proebst holt mich als Wissenschafts- Es ist noch heute ein Vergnügen, in diesem land von Waldsassen stammt“ und für Hinden- nialität. Immer wenn ich auf dem Bogenhauser redakteur zur Süddeutschen Zeitung. Und ich Buch zu lesen – über Augustinus (Karthago) burg betet, „damit er Deutschland retten könne“, Friedhof vor seinem Grab stehe, denke ich an die weiß und würdige noch heute, es geht in dem und Sukarno (Indonesien), über John F. Kenne- und über die Mutter, die ihr entgegnet: „Bet’ du versunkenen Sternstunden des deutschen Jour- langen Einstellungsgespräch ausschließlich dy (Washington) und Montgelas (Bayern). Einer nur, damit er nicht einmal gar Deutschlands Un- nalismus. um Aus- und Allgemeinbildung, um Humani- Hermann Proebst Studentenvertreter Proebst 1926 kurzen Schilderung folgt in der Regel Beden- glück wird.“ Proebst selbst sieht noch den letz- tät und Hilfsbereitschaft. Wir sprechen über kenswertes. Manchmal hilft er nach, so wenn ten Bayernkönig Ludwig III. „durch die Straßen die amerikanische Verfassung ebenso wie über Proebst, nunmehr Chef, holt das angeschlagene beim Festkommers im Löwenbräukeller als Stu- er schon im Januar 1968 fast prophetenhaft spazieren“. Theater und Technik. Blatt aus dem Morast. dentenvertreter die Festrede, vertieft seine Stu- erklärt: „Manipuliert wird der Mensch heutzuta- Schließlich der 15. Juli 1970. Ich komme gera- Ich weile dann öfter in seinem Büro an der Zu den vielen Kollegen, die ihn würdigen, dien in England und Amerika, arbeitet dann beim ge in Ost und West nach den Bedürfnissen des de aus Mailand zurück, da reißt uns in der SZ die Sendlinger Straße, er fragt manchmal, was ich gehört auch mein Duz-Freund Ernst Maria Lang. Rundfunk, wird von den Nazis entlassen. Aus sei- jeweiligen Wirtschaftssystems gemäß seiner au- furchtbare Nachricht aus dem hektischen Alltag: auf diesen und jenen Leserbrief zu sagen habe, Dieser charakterisiert ihn in seinen Memoiren ner Feder fließen Essays und Monographien. Vor genblicklichen Nützlichkeit“. Hermann Proebst ist soeben am Schreibtisch ich bin natürlich vorbereitet, das Gespräch en- (Das wars): „Ein profund gebildeter Schöngeist, allem zu nennen seine Biographie über William Aber auch das Liebenswerte rückt Proebst einem Herzinfarkt erlegen. Ich sehe ihn noch det immer mit einem leisen, väterlichen Lächeln der seine Erfahrungen auf dem schmalen Grat Pitt mit dem Untertitel Begründer der britischen gern in den Vordergrund. So schwärmt er 1958 mittags in der großen Konferenz. „Bestürzung seinerseits. Von den vielen Kollegen sprechen zwischen Journalismus und Politik gemacht hat- Macht, die 1938 in Berlin erscheint. Schon die in seinem Essay zur 800-Jahr-Feier seiner Ge- der Redaktion“, schreibe ich in mein Tagebuch. alle mit Hochachtung von ihm, dem Chef mit te. Wir vertrugen uns gut, und wenn eine meiner Einleitung zeigt Proebsts narrative Begabung: burtsstadt vom Viktualienmarkt, „wo die Bauern Jetzt verfaßt Hans Schuster den Nachruf auf un- Herz und Leitartikler von Gottes Gnaden, dem Karikaturen in ihrer Bildhaftigkeit etwas dürftig „Die Bauern in den sommerlichen Feldern, die in wie auf einem Dorfanger ihre Pferde ausspann- ser Vorbild, unser Ideal: „Er bestand darauf, daß Mann, der schon seit 1949 für die SZ schreibt ausfiel, dann schrieb er das gern dem keltischen ihrer Arbeit innehielten, erblickten auf der Stra- ten“. Dann die unmittelbar anschließende Er- geistige Auseinandersetzung das einzige Mittel und dann 1960 Retter in höchster Not wird, als Erbe meines Charakters zu.“ ße, die aus Holland kommt, einen Wagen, von leuchtung: „Zum ersten Mal ging uns das ländli- sei, das den Ausbruch der einen in die Wüste einem Chefredakteur und einem Grüppchen Proebst, 1904 in München als Sohn eines Kauf- acht rasenden Pferden gezogen...“ che Wesen dieser Stadt auf, mit ihren behäbigen des Untergrunds und den Rückfall der anderen von Kollegen Affären mit minderjährigen Ange- manns geboren, studiert in München, Köln und Diesem wirklich spannenden Buch folgen Gasthöfen, aus deren breiten, steingefaßten To- in eine nationalistisch aufgemöbelte Reaktion Grabkreuz Proebsts und seiner Frau Erika auf dem Cuvilliésstraße 23 stellten nachgesagt und nachgewiesen werden. Berlin Geschichte und Germanistik, hält 1926 dann nach dem Zweiten Weltkrieg herrliche Es- ren stets ein Duft von Schweinsbraten und Gur- verhindern könne. Hermann Proebst hat in sei- Bogenhauser Friedhof

20 21 Schmerzliche Erinnerungen im Apothekerhaus

„Ich betrachte“, so schreibt 1913 in seinem Haus Exakt diese seine Gemütsstimmung spie- aber der tiefsinnige Satz Nettys: „Daß es nur eine Und er gesteht beim letzten Augenkontakt: an der Maria-Theresia-Straße der Dichter Josef gelt seine hinreißende Novelle Hochzeiter und Freundschaft ist, die uns verbindet, nichts weiter. „Auch als ich sie wieder erblickt hatte, die mir Anton Heinrich Ruederer, „die schonungslose Hochzeiterin. Er stellt sich darin selbst mit sei- Denn die Liebe kennt keine Jahre und keine Ent- heute so heiß in den Armen gelegen und mir Bloßstellung unserer ewigen Holdriogaudi, die nen drei Vornamen Josef, Anton und Heinrich fernung. Die Liebe ist von ewiger Dauer.“ tausend Küsse gegeben hatte, da war ich gleich- mir schon so manchen Stoff geliefert hat, als vor und dar. Seine Gefährtin heißt Antoinette, Nach einer Fronleichnamsprozession schrei- gültig geblieben und nicht aufgewacht aus der meine ganz besondere Aufgabe.“ Das Gebäude, auch Netty und Toni genannt. Handlungsort ist ten die Kinder Josef und Netty Hand in Hand dumpfen Betäubung. Wie etwas längst Erstor- in dem der 1861 in München Geborene jetzt über der Chiemsee mit seiner Fraueninsel und dem nach Hause. Und man vernimmt die Worte: benes war sie vorbei gezogen.“ sein Leben nachdenkt, hat er um 1907 beziehen Umland. „Schaut nur die Haltung von dem Buben an. Dieses anmutig traurige Werk erregt ungeheu- können, nachdem sein wohlhabender und ihm Kurz zum Inhalt: Schon als Kinder sind Josef, Ja, und erst die Kleine! Herzig, ganz herzig! Der res Aufsehen, die besten Kritiken kann Ruederer widerwärtiger Vater gestorben war. Dieser wur- auch Peppi genannt, und Netty unzertrennlich. Stolz von den zwei’n! Der reinste Hochzeiter und lesen. Am meisten mag ihm die von dem hochge- de reich als Großaktionär der Löwenbrauerei, Sie bilden ein schönes Paar, haben auch ein Kind die reinste Hochzeiterin!“ Fazit: „Die zwei krie- schätzten Alfred Kerr gefallen, der 1897 schreibt: Bankier und portugiesischer Generalkonsul. – in Form einer Puppe. Als 15jährige fragt das gen sich einmal.“ „Eine Geschichte hat er geschrieben vom Hoch- Doch in dessen Fußstapfen will unser Dich- Mädchen ihren „Hochzeiter“, warum er ausge- Und wir lesen weiter aus dem Munde Jo- zeiter und der Hochzeiterin, die ihresgleichen ter nicht treten. Er hat „den steten Druck von rechnet Josef heiße. „Ist doch gar zu scheuß- sefs: „Meine angebetete, kleine Frau erwiderte sucht in den Erzählungen der Zeitgenossen. Es Sorgen und Aufregungen eines umfangreichen Josef Ruederer, von Corinth lich!“ Und weiter: „So heißt ja jeder Hausknecht, mit einem zärtlichen Kusse. Ihr hatte die Sache war keine Erzählung. Es war ein Gemälde.“ Kerrs Lilli Marberg als Lola Montez Geschäfts“ satt, wie er weiter in seiner Auto- jeder Packträger.“ Der so Angesprochene denkt nicht minder eingeleuchtet, und nun entwarf Resümee: „Von einem süddeutschen Rubens biographie (Herausgeber Zils) erklärt. Seine ge- hängigkeit und sein satirisches Talent dazu zu an seine anderen zwei Vornamen. Und so sagt sie, dicht an meine Seite geschmiegt, köstliche gemalt, erinnerungstrunken, weintrunken, eine stützt wurde“. Dann das lähmende Ereignis: Lilis schäftlichen Aktivitäten stehen denn auch unter benützen, sie mit einer Art von bissiger Freude das Mädchen zu ihm: Heinz, von Heinrich abge- Pläne für die Zukunft.“ Netty denkt in diesem sommerlich heiße Tanzsymphonie.“ Engagement an das Burgtheater in Wien 1911 keinem guten Stern, er verspekuliert sich, heiratet ins Licht zu stellen. Er griff jedes Eisen am lieb- leitet. Doch der strenge Vater verbittet sich sol- Zusammenhang natürlich an ihre Aussteuer – Genauso bekannt macht den Dichter Rue- ist für München ein herber Abschied, für Rue- 1888 gegen den Willen des Vaters die Arzttochter sten da an, wo es am heißesten war.“ che Metamorphose, er nennt den Buben „statt „von den feinsten Vorhängen bis zum letzten derer seine Komödie Die Morgenröte, die im derer quasi der Verlust der zweiten „Hochzeite- Elisabeth Gazert aus Coburg. Kurzum, Ruederer „Unter den Persönlichkeiten, die dem Münch- des heißersehnten Heinz einen dummen Esel“. Kehrbesen und Nudelbrett.“ Revolutionsjahr 1848 spielt. Da geht es um die rin“, denkt man nur daran, was sie ihm einmal geht es „herzlich schlecht“ - er wird Poet. ner literarischen Leben während der nächsten Über all den Diskussionen liegen sorgenfreie Dann Ende und Wende: Netty wird in das Klo- Erregungen des Bayernkönigs Ludwig I., den die bedeutet hat. Und in dieser Branche geht es bald aufwärts. zwei Jahrzehnte ihren eigenen Stempel auf- Sommertage. Nach der Schule beginnt im gro- ster Frauenchiemsee gesteckt und ist für den Zensur aber nicht auftreten läßt, sondern hinter Als der Dichter 1913 seine Autobiographie in Nur wenige Meister des geschriebenen Worts drücken sollten, ist mit an erster Stelle Joseph ßen Garten „unter lautem Jubel ein Haschen „Hochzeiter“ Josef vier Jahre unerreichbar. Und den Vorhang verbannt. Die Rolle der Lola Mon- Bogenhausen schreibt, geht er mit keinem Wort Dichter Josef Ruederer im Haus Maria-Theresia-Straße 28 erhalten so viel Lob wie er. Der Historiker Karl Ruederer zu nennen“, ergänzt in seinen Memoi- und Verstecken, ein Tollen und Springen bis zum dieser schildert seine Qualen und Hoffnungen, tez erhält die hübsche quirrlige Lili Marberg, die auf die ihm bekannten Frauen seiner Zeit ein, Alexander Müller urteilt in seinen Memoiren ren (Jahrhundertwende) der Kollege Max Halbe, Sonnenuntergang“. Einmal benimmt sich der Jo- sein Sehnen und Verzweifeln. Es sind Worte, die den Autor durch ihr frivol frisches Auftreten nicht auf seine zarten Bande, nicht auf Ehefrau (Mars und Venus) über ihn: „Aus einem vermög- der ihm attestiert, „ein faszinierender Gesell- sef daneben, doch ihm ist schnell verziehen. „Ein dem Leser ans Herz gehen. Schließlich sieht er noch mehr Publicity verschafft. und Tochter. Er spricht nur in einem einzigen lichen eingesessenen Bürgerhaus stammend, schafter“ zu sein. Dann die entscheidende Fest- paar herzhafte Küsse nach viertelstündigem endlich seine „Hochzeiterin“ wieder. Aber die Der Kunsthistoriker Hermann Uhde-Bernays Satz von seiner Mutter, „einer Brauerstoch- von gepflegtem Äußeren, hatte er ein beinah stellung: Ruederer habe ein „in Haß und Liebe, in Schmollen, und mit nassen Augen und lachen- Tage der frühen Jugend sind vorbei. Netty wen- lobt in diesem Kontext ihre „leidenschaftliche ter“. So tief sitzt der Schmerz. Seine Bogenhau- überscharfes Auge für die heimatlichen Schwä- Zustimmung und Ablehnung jäh aufflackerndes dem Munde wurde dem bösen Jungen wieder det sich schließlich ab von Josef, was ihm sehr Darstellung, die von einer hübschen Erschei- ser Dichterresidenz ist heute das Bayerische chen und war so mutig und ehrlich, seine Unab- Temperament“. Verzeihung gewährt.“ Über aller Sympathie liegt weh tut. nung und einer wohlklingenden Stimme unter- Apothekerhaus.

28 29 Rudolf Diesels Prunk und Probleme

In Tokio kennt man ihn genauso wie in Toronto Südwand, die mit grünem Samt bezogen ist, Feiern am 1. Mai im nahen Herzogspark. Einige und Turin, den Erfinder des nach ihm benannten hängt ein „riesiges Gemälde“ aus der Schule des Arbeiter erkennen ihn und grüßen freundlich. Motors: Rudolf Diesel. Geburt 1858 in Paris, in Paolo Veronese, über dem Kamin das Porträt des Zahlreiche Industrielle diskutieren mit ihm in der München die letzte Station eines erfolgreichen Hausherrn, dann das „liebliche Gartenzimmer“, Luxusvilla über Marxismus, Streik und die ganze Lebens. Hier gibt er 1899/1900 den Auftrag für das „englische Wohnzimmer“, der Louis-XV-Sa- Bannbreite des Arbeiterelends. Die großen Sozial- ein Luxuspalais auf der Isarhöhe in Bogenhau- lon, das Büro „in dem merkwürdigen Jugendstil experten wie Friedrich Naumann und Lujo Bren- sen. Geld spielt keine Rolle, überall in Europa jener Tage“, das Speisegemach, „ein Prachtraum tano gehören zu seinen Gesprächspartnern. steht er in höchstem Ruhm. In sechs Versuchs- mit Mahagonitäfelung und dem großartigen Anfang Januar 1908 stellen Diesel und seine reihen hat er zwischen 1893 und 1897 in Augs- Marmorkamin“ - und fünf Badezimmer. Frau Martha ihre Villa dem Deutschen Frau- burg sein Wunderwerk geschaffen. 1900 erhält Verständlich, von nun an nur staunende Be- enverein für Krankenpflege in den Kolonien er auf der Pariser Weltausstellung den begehrten sucher: Experten aus aller Herren Länder, Ange- zur Verfügung. Die Gäste fühlen sich natür- Grand Prix. Jeder kennt die Devise des Geehrten: hörige des bayerischen Königshauses, Künstler, lich geehrt. Der Hausherr arbeitet gerade an „Man muß viel wollen, um etwas zu erreichen.“ Studenten, Professoren und Industrielle aus Diesel-Lokomotiven, der erste Lastwagen mit Der Bau des Palastes dauert nur knappe zwei dem In- und Ausland. Vor dem Palast steht von Dieselmotor ist so gut wie fertig. Die Zeitungen Jahre. Wie Diesels Sohn Eugen in seinen Erinne- 1905 an ein großes Auto, „ein siebensitziger ro- überschlagen sich mit Lob und Anerkennung. Rudolf Diesel Martha Diesel, geborene Flasche rungen (Diesel) berichtet, sind viele Extraaufträ- ter NAG-Wagen mit Kettenantrieb von 20 bis 24 Da steht der Meister im Foyer und empfängt ge zu erledigen: Doppelte Grundmauern sollen PS, womit man einen Reisedurchschnitt von 30 seine Gäste, darunter auch einen Journalisten diesen Motoren überall los ist. Ich kann hin- einem von einem Dieselmotor getriebenen Po- die Bodenfeuchtigkeit fernhalten, die großen bis 35 Stundenkilometern erzielte“, wie Eugen der Münchner Neuesten Nachrichten, der aus kommen, wohin ich will, überall zeichnet, baut, larschiff den bis dahin fertig gestellten Panama- Fenster werden „mechanisch durch die denkbar erklärt. Schon hat sein Vater die Idee, auch ein- dem Staunen nicht mehr herauskommt. Weilt construiert und verhandelt man über Diesel- Kanal passieren. beste Anordnung gekoppelt, so daß sich beide fache Autos mit seinem Motor auszustatten. er doch, wie er schreibt, „im ruhig und ernst motoren.“ Bereits 1913 sind „mehrere hundert Doch diese Offerte geht ins Leere. Diesel Fenster gleichzeitig“ bewegen lassen. Die Küche, Aber nicht nur darum kreisen seine Gedan- wirkenden Arbeitszimmer des Hausherrn, in Seeschiffe“ damit ausgestattet. Diesel genießt spürt immer mehr gesundheitliche und finan- muß „eine der schönsten Münchens“ werden. ken, er denkt auch an das Wohl und Wehe der dem hellen, duftigen Damenboudoir mit der „Weltruhm“, wie der Sohn stolz berichtet. Hö- zielle Probleme, über die er natürlich gar nicht Dann die Hauptursache der hohen Kosten: „Die anderen. Das soziale Problem geht ihm nicht Grazie des Louis-Seize-Stils, in dem modernen hepunkt des Jahres ist ein grandioser Empfang gerne spricht. Dann das unfaßbare: Er schickt gewaltige Halle“, sie geht durch zwei Stockwer- aus dem Kopf. Die Zukunft, so ist er überzeugt, Konversationszimmer, unter den Palmen des in im Palast von Bogenhausen. Mehrere hundert seine Frau zu deren Mutter nach Remscheid, ke, hat „eine breite Treppe mit einem aus dem bringe „unerhört soziale Erschütterungen“. Zu Weiß und Grau gehaltenen Salons und in dem amerikanische Ingenieure geben sich ein mun- durchstreift wie ein Wahnsinniger allein sein vollen geschnitzten Eichenholzgeländer, oben seinem Sohn sagt er deshalb öfter: „Du wirst es dunklen und schlichteren Speisezimmer mit den teres Stelldichein. „Alle Räume, die Salons, das großes Haus am Isarhang, sieht sich im Thea- das Billard- und Jagdzimmer und die umlau- erleben, du wirst es erleben.“ Er liest die bedeu- prächtigen Marinestücken von Courtens“. Gartenzimmer, die Halle sind mit dieser glän- ter den Grünen Kakadu von Arthur Schnitzler fende Galerie, unten in den Ecken behagliche tenden volkswirtschaftlichen Werke, stellt stati- Von seiner Villa in Bogenhausen bricht Diesel zenden Gesellschaft gefüllt“, erzählt Sohn Eu- an, packt seine Koffer und reist im September Sitzräume“. stische Erhebungen an, schreibt sogar ein Buch zu vielen Reisen auf, die ihn nach Amerika und gen. Die Gäste aus Übersee überbringen dem 1913 nach England. Das Schiff erreicht aber Schließlich 1901 der Einzug, überall innen mit dem Titel: Solidarismus. weit in den Osten führen. „Du glaubst nicht“, so Hausherrn „eine wundervolle Einladung“. Er soll ohne ihn Harwich. Standort von Luxus und Ruhm, Höchlstraße 2 blendender und brillanter Luxus! An der weiten Schon sehr erstaunlich: Diesel besucht die schreibt er 1910, „welcher Hexentanz jetzt mit zur Weltausstellung in San Francisco 1915 auf

30 31 Der Direktor und Centa Bré

So gut wie unbekannt heute der Programmzet- . Dann 1900/01! Centa Bré geht en, sprudelten von Laune, Ungezwungenheit, tel des Deutsches Theaters vom 26. September nach Hamburg an das Thalia-Theater. Max Hal- Drolligkeit, wenn der Hausherr als Schenkkellner 1896: „Jugend. Ein Liebesdrama in 3 Aufzügen be: „Keine von denen, die nach ihr im Schau- mit der weißen Schürze höchsteigenhändig den von Max Halbe. In Szene gesetzt von Oberre- spielhaus kamen, hat sie erreicht.“ Stollberg Zapfen aus dem Salvatorfaß schlug.“ gisseur J. Georges Stollberg. Ännchen Centa bleibt zurück, seine Entdeckung mutiert zur Ent- Im Haus Rauchstraße 2 bahnen sich auch die Bré.” Unvergeßlich für diejenigen Münchner, täuschung. Sie verläßt ihn – endgültig. ersten Beziehungen zum Ehepaar Tilly und Frank die dabei sind! Das Stück gehört zu den Kassen- In diesem Zusammenhang befaßt sich Hal- Wedekind an. Es gastiert schon im Schauspiel- schlagern um die Jahrhundertwende, wird oft be ausführlich mit Leben und Leiden dieses haus an der Maximilianstraße. Die schöne Tilly wiederholt, auch in anderen Häusern gespielt, Schauspieldirektors, des 1853 in Wien gebore- spielt in ihren Memoiren (Lulu – die Rolle mei- so im Schauspielhaus an der Maximilianstraße nen Stollberg. Er sei „in kleinen Verhältnissen nes Lebens ) auf die Zeit um 1906 an: „Damals (Vorgänger der Kammerspiele), „für das Hof- aufgewachsen und früh unter das fahrende war es aber kein städtisches Theater, sondern theater eine gefährliche Konkurrenz“, wie der Volk geraten“. Im Prinzip, „der geborene Regis- wie alle Kunstinstitute außer den Hoftheatern Kunsthistoriker Hermann Uhde-Bernays in sei- seur und Theaterdirektor, dieses noch mehr als privat geleitet. Der Direktor war seit Jahren Ge- nen Memoiren (Im Lichte der Freiheit) schreibt. jenes“. Halbe weiter: „Dem mittelgroßen schlan- org Stollberg.“ Als Direktor agiert lange Zeit besagter Stollberg. ken Mann mit dem tiefschwarzen Haar und dem Und man schaut in diesen Jahren immer mit Centa Bré, der Bühnenstar Münchens, 1899 von Corinth gemalt Seine Primadonna assoluta ist die stets fröh- scharfgeschnittenen Charakterkopf las man es Hoffen und Bangen auf die Fassade des Hauses liche Centa Bré, 1870 in Donauwörth geboren. schon vom Gesicht ab, daß er Leben und Kunst Rauchstraße 2. Stollberg wehrt sich nämlich wie weiter, laut Adreßbuch 1910 in das Anwesen Autor Halbe urteilt über sie: „Eines der lebens- gleich ernst nahm. Eiserne Energie und nimmer- ein Löwe gegen die klerikal eingefärbte Theater- Cuvilliésstraße 31. vollsten, hinreißendsten Annchen unter den müder Fleiß hatten ihn emporgetragen.“ Als es zensur, unter der vor allem Frank Wedekind so Exakt in diesem Jahr geht es um die Genehmi- Tausenden, die mit dieser Rolle das Herz des dann 1901 mit dem neuen Schauspielhaus an zu leiden hat. Der oben erwähnte Uhde-Bernays gung des Stücks Die Büchse der Pandora. Autor Publikums gewonnen haben.“ Und weiter: „Ihre der Maximilianstraße ernst wird, teilt Halbe spart da nicht mit Lob und spricht von „Stoll- Wedekind und Stollberg begeben sich persön- Frische, ihre Heiterkeit und Schalkhaftigkeit lapidar mit: „Das Geschäft blühte.“ bergs Verdienst“. lich zur Polizei. Sie richten wieder nichts aus. nahm sofort alle Herzen gefangen. Ich habe In dieser Zeit der noch schmerzhaft vermißten Eigentlich alles ein einziges Trauerspiel! 1907 Es wird, so teilt man ihnen mit, die „Genehmi- selten jemand so hinreißend lachen hören.“ Centa Bré und der ersten größeren finanziellen verbietet die Polizei Wedekinds Frühlingserwa- gung einer neuerdings hergestellten Bühnen- Thomas Mann und ihr Lehrer Alois Wohlmuth Erfolge wohnt Stollberg im Gebäude Rauchstra- chen. Stollberg ist in die Affäre tief verwickelt, bearbeitung nicht in Aussicht gestellt“. Beson- sind da derselben Meinung. In seinen Memoiren ße 2, in einem prächtigen Haus im „barockisie- und die Münchner Post schreibt am 12. Juni ders schmerzlich für Stollberg: Im Zensurbeirat (Ein Schauspielerleben) schreibt Wohlmuth: „Die renden Jugendstil“ (Denkmäler in Bayern). Wie 1907: „Angesichts einer so unerhörten Krähwin- stimmt auch ein Mann für das Verbot, von dem berühmt gewordene Centa Bré, die das Lachen Halbe mitteilt, ist der Direktor dort „gerngese- kelei muß Münchens Theaterwesen herunter- man es eigentlich nicht erwarten dürfte. Die versteht wie wenige auf deutschen Bühnen.“ hener Gesellschafter und frohsinniger Kamerad“. kommen.“ Stollberg wohnt in diesem Jahr noch Rede ist vom Zensor Gleichen-Rußwurm, dem Corinth malt die Lobens- und Liebenswerte Unvergeßlich die Bogenhauser Feste Stollbergs: immer im großen Mietsgebäude an der Rauch- Urenkel des großen Freiheitsdichters - Friedrich Wohnhaus des Theaterchefs Stollberg, Rauchstraße 2 1899, das Bildnis hängt heute im Münchner „Geburtstage, Faschingsfeiern, Salvatorparti- straße. Dann zieht er allerdings einige Häuser Schiller.

32 33 Der Griff nach den Sternen: Das Königliche Observatorium

Die Beobachtung der Gestirne fasziniert von An- Nach gewissen Turbulenzen legt der gebürtige offene Hand für Bedürftige gehabt, und es geht Reinhold Häfner und der beginn die Menschheit, denken wir nur an die Schotte Lamont sein Interesse auf den Erdma- die schöne Sage: Der Astronom hinterläßt dem Ring des Planeten Neptun Erkenntnisse der Babylonier, die Nebrascheibe gnetismus und kann so „die Sternwarte zu Welt- Küster der Kirche eine stattliche Geldsumme, die (heute Museum Halle) und an das Astrolabium ruf führen“, wie Reinhold Häfner weiter erklärt dieser nach und nach in die offene Hand seiner Das Vorzeigestück der Ludwig-Maximilians- des Wilhelm von Hirsau (Museum Regensburg). und dann fortfährt: „Schon seit 1836 hatte er Grabbüste legen sollte, also abholbereit für die Universität ist seit Jahrzehnten das Bogen- In diesem Zusammenhang auch wichtig: In auf Veranlassung von Gauß magnetische Mes- armen Dorfkinder ist. Wann immer man den hauser Institut für Astronomie und Astro- Bogenhausen erfolgt am 11. August 1816 der sungen ausgeführt und so die Bogenhausener Gottesacker betritt, man findet Münzen in La- physik, kurz „Sternwarte“ genannt. Forscher erste Spatenstich für die berühmte Sternwar- Sternwarte zur ersten erdmagnetischen Warte monts Hand, einst Pfennige, jetzt Cents, manch- von internationalem Ruf erbringen immer te, wo man bereits am 14. Dezember 1819 den Europas gemacht.“ mal sogar US-Cents. Die Inschrift des Lamont- wieder Spitzenleistungen. Nur ein Beispiel: Stern Polaris observiert. Dazu der Kommentar Aber nicht nur solche Glanzlichter Lamonts re- Epitaphs lautet: „ET COELUM ET TERRAM EXPLO- 1985 entdeckt der Münchner Wissenschaft- des Astronomieprofessors Reinhold Häfner: „Das gistrieren wir. Er deutet in seinen Wetteraufzeich- RAVIT“, auf Deutsch: „Er hat sowohl den Himmel ler Reinhold Häfner von der Sternwarte in bestausgestattete Observatorium der Welt, die nungen Phänomene an, die heute weitgehend wie auch die Erde erforscht.“ und mit seinem Forschungsteam einen Ring unter der Verwaltung der Bayerischen Akademie vergessen sind. Auf dem Blatt Mai 1830 seines Abschließend Reinhold Häfners Kommen- um den Planeten Neptun, der rund 4,5 Mil- der Wissenschaft stehende Königliche Sternwar- Astronomischen Kalenders lesen wir zwei schein- tar zur Sternwarte heute: „Nach langen Zeiten liarden Kilometer von der Sonne entfernt ist. te zu Bogenhausen, war in Betrieb gegangen.“ bar unwichtige Randnotizen: „Erst nach dem 10. Der Schotte John Lamont, Grabmal auf dem idyllischer Beschaulichkeit, in denen Hasen dem Diese Wahrnehmung hat sofort erhebliche Von nun an reihen sich außergewöhnliche Mai darf man keinen Frost mehr erwarten“, lautet Bogenhauser Friedhof – mit Münzen für die Armen Besucher den Weg zur Königlichen Sternwarte Konsequenzen für das geplante Rendezvous Meldungen aneinander wie die Sternbilder des die eine Bemerkung. Die zweite: 26. Mai Vollmond. in der Hand streitig machten und Großes in der Abgeschie- der amerikanischen Raumsonde Voyager 2 Zodiakus. Bereits 1835 ein neuer Superlativ. Es „Nach den Mondphasen dürfte viel Regen gegen denheit Bogenhausens geleistet wurde, nach der mit dem Planeten. Auf ihrer geplanten Bahn geht um den soeben aufgestellten Refraktor aus Ende des Monats zu erwarten seyn.“ Zurück zu Lamont, der auch ein ideenreicher allmählichen Umklammerung durch die wach- zur Erkundung des Neptunmondes Triton soll der ehemaligen Fraunhoferschen Werkstätte. Beobachtungen, von denen sich die eine in den Statistiker ist. So stellt er fest, daß in München sende Stadt München zu Beginn des 20. Jahr- nämlich diese Raumsonde ursprünglich ziem- Dazu Häfner über diesen Wunderapparat: „Er Festtagen der „drei Eisheiligen“ Pankratius, Serva- in den Jahren 1830 bis 1835 fast genauso viele hunderts, die zusammen mit dem Beharren auf lich genau durch die entsprechende Ringzone war für vier Jahre das beste Teleskop der Welt.“ tius und Bonifatius (11. bis 14. Mai) spiegelt, die uneheliche Kinder geboren werden wie eheliche, überkommenen Methoden die Sternwarte für fliegen. Um einer möglichen Zerstörung zu Heute noch zu bestaunen (im Historischen Ge- noch heute jeder Gärtner kennt – und die Wet- was natürlich an den menschenverachtenden längere Zeit an Bedeutung verlieren ließ, hat das entgehen, müssen die NASA-Ingenieure nach bäude im Park der Sternwarte). terregel: „Vor Servaz kein Sommer, nach Bonifaz Gesetzen des Königreichs Bayern liegt, die eine heutige Institut für Astronomie und Astrophy- der sensationellen Entdeckung Reinhold Häf- Dieses Gerät ist sozusagen ein Antrittsge- kein Frost.“ Die Bemerkung, die den Vollmond Eheschließung von immensen Gebühren abhän- sik der Universität München längst bewiesen, ners eine völlig neue Bahn programmieren. schenk für den neuen Chef der Sternwarte: betrifft, bestätigt sich immer wieder, wenn auch gig machen. dass es wieder in der Lage und auch bereit ist, Auf die Frage, wie dieser Ring denn beschaf- John Lamont. Dieser war als Zwölfjähriger in nicht so konsequent wie die über den letztmög- 51 Jahre kümmert sich Lamont um Sterne die Herausforderungen moderner Astrophysik fen ist oder aussehe, erklärt der Bogenhauser das Regensburger Schottenkloster St. Jakob ge- lichen Frost. Mit einem Wort: Wer einen Urlaub und Statistiken. Seine letzte Ruhe findet er 1879 anzunehmen und einen wichtigen Part im ge- Spitzenforscher: „Das ist Material, also Staub, kommen, erfuhr eine gründliche Ausbildung und plant, zu einem Festabend im Freien einlädt etc., auf dem Bogenhauser Friedhof St. Georg. Dort meinsamen internationalen Bemühen bei der auch kleinere Brocken sind dabei, es könnten steht jetzt mit 28 Jahren an der Spitze eines der sollte vorher einen Blick in den Kalender werfen. steht noch heute sein Grabmal. Dazu erzählt Erforschung des Aufbaus und der Entwicklung auch Teile eines zerstörten Mondes sein.“ Sternwarte, Scheinerstraße 1 bedeutendsten Institute Deutschlands. Der Vollmond bringt oft schlechtes Wetter! Häfner, der Schotte habe ein Leben lang eine unseres Kosmos zu spielen.“

42 43 Der Bundesfinanzhof - Erstes Oberstes Gericht der Republik

Dies ist die Geschichte eines Malerschlosses, in Deutschland), „im Wäldchen oberhalb der Isar, dann in das Haus an der Ismaninger Straße vie- Münchner Entscheidungen dem heute das älteste Oberste Gericht der Bun- auf den Wiesen der Umgegend, waren wir so le Maurer, Zimmerleute und Hilfsarbeiter, um • Aufwendungen für eine Frischzellenbe- desrepublik über kniffelige und kostenintensive wild und aggressiv wie andere Kinder, wenn es für die Bedürfnisse des weiter bestehenden handlung können bei der Einkommen- Kontroversen auf dem Steuersektor zu ent- nicht mehr“. Golo fährt fort: „Einmal mußte Obersten Finanzhofes herzurichten. Man stockt steuererklärung als außergewöhnliche scheiden hat. Errichtet wird das große Haus von der Vater herzlich über uns lachen, mit stolzem das Gebäude auf und schafft so die erforder- Belastungen angegeben werden. 1909 an auf einem Areal, das in Teilbereichen Vergnügen: auf der Föhringer Allee war eine lichen Sitzungs- und Bibliotheksräume. Das • Ausgaben für die Kleidungsstücke nach Küchengarten der Wittelsbacher, Besitz des Gra- Kinderschar ihm fliehend entgegengeeilt.“ Ihr Mobiliar stellt die Reichsregierung. 1923 woh- einer Abmagerungskur sind keine außer- fen Maximilian Montgelas und des sonstigen „Schreckensruf“ lautet: „Die Manns kommen, nen laut Adreßbuch noch immer „Professor gewöhnlichen Belastungen. bayerischen Adels war. die Manns kommen!“ Fleischer“ und Gattin im Haus. Im Jahr darauf • Reisekosten, die einem Steuerpflichtigen Als nunmehriger Grundbesitzer will es hier Dann 1918 ein Beschluß des Berliner Reichs- wird das Gebäude schließlich in seiner heutigen auf der Suche nach einem zum Kauf der Maler Ernst Philipp Fleischer, 1850 in Bres- tages: München wird Sitz eines Gerichts, das Gestalt fertig. Dem Adreßbuch 1925 entnehmen geeigneten Einfamilienhaus entstehen, lau geboren, seinen berühmten Münchner letztendlich über Finanzstreitigkeiten, die Bür- wir, Nachbar des akademischen Malers ist Gu- können bei der Einkommenssteuererklä- Kollegen und Konkurrenten in Schwabing und ger gegen den Staat anstrengen, zu entscheiden stav Rudolf Jahn, der alte und neue Präsident rung Werbungskosten sein. sonstwo gleichtun. Seine Gemahlin Elisabeth hat. Kaiser Wilhelm II., der kurz vorher „weidlich des Reichsfinanzgerichts. Und auch das gehört • Telephongebühren eines Arbeitnehmers kann ihrem Ehemann so manche Grille nach- über die unglaubliche Torheit der guten Bayern zur Geschichte des großen Gebäudes: Zwanzig sind als Werbungskosten abzugsfähig. sagen. Und auch diese: Er verlangt vom Archi- gelacht“ hat, gibt seinen Segen. In der Ernen- Jahre später beschädigen es Bomben des Zwei- • Regelmäßige Benutzung eines Einfamili- tektenbüro Heilmann und Littmann ein riesiges nungsurkunde des ersten Präsidenten schreibt ten Weltkrieges. enhauses am Wochenende reicht zur Be- Treppenhaus, in dem er hoch zu Roß zum ersten Majestät: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Danach wird dieser Finanzhof das erste (!) freiung von der Grunderwerbssteuer aus. Stock gelangen kann. Deutscher Kaiser, König von Preußen usw. tun Oberste Gericht der noch jungen Bundesrepu- • Strafverteidigungskosten können als Schon 1910 freilich hört man erste und ern- kund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir im blik. Erst dann folgen der Verfassungsgerichts- Werbungskosten abzugsfähig sein. ste Gerüchte von finanziellen Schwierigkeiten, Namen des Reichs Allergnädigst geruht haben, hof (Karlsruhe), das Arbeits- und Sozialgericht • Streikgelder sind steuerpflichtig. doch es wird weiter gebaut. 1917 berichtet das den Unterstaatssekretär im Reichsschatzamt, (Kassel) und das Verwaltungsgericht (Berlin). In • Lohnsteuerpauschalbeträge für Verpfle- Adreßbuch, „Professor Fleischer“ und Gemahlin Wirklichen Geheimen Rat Gustav Rudolf Jahn, München also ein wichtiger Teil des Staatsappa- gungsmehraufwendungen sind auch bei wohnen wirklich in ihrem Palast. Ansonsten ver- zum Kaiserlichen Präsidenten des Reichsfinanz- rates! Kein Wunder, daß sich jetzt das Haus mit eintägigen Dienstreisen innerhalb einer nimmt man rundherum Kinderlärm! Der kleine hofs zu ernennen.“ Gegeben wird das Diplom am Leben füllt. Der erste Bundespräsident, Theodor Großstadt oder in Nachbargemeinden Golo Mann, Sohn des großen Thomas Mann, 14. September 1918 im „Großen Hauptquartier“. Heuss, weilt hier, erzählt Heinrich List, und No- anzuwenden. tobt hier mit seinen Freunden – und stöbert Zwei Monate später wird dieser Hohenzollern- belpreisträger Adolf Butenandt. Regisseure dre- • Ein Trachtenanzug, der als Berufskleidung Eulennester auf, wie Heinrich List, der Präsident Monarch, der mutwillig den Ersten Weltkrieg hen im repräsentativen Treppenhaus Filme, die als notwenig erachtet wird, kann als Wer- des Bundesfinanzgerichts, im Jahr 1982 erzählt. vom Zaun brach und damit Millionen von Men- um die Welt gehen. Und ganz wichtig: Die er- bungskostenposten nicht bei der Einkom- Golo selbst berichtet in seinen Memoiren schenleben auf dem Gewissen hat, gestürzt. sten Anwälte Europas gehen hier ein und aus. mensteuer berücksichtigt werden. Der Bundesfinanzhof, Ismaninger Straße 109 (Erinnerungen und Gedanken - Eine Jugend in Nach den politischen Umwälzungen ziehen

44 45 Annette Kolb: Das Fräulein, das Frankreich liebt

Oft schweifen ihre Erinnerungen in ihre Münch- ten über verschiede­ne Län­der in die USA. 1945 beherrscht, ja mit ihr eins ist. „An den Büschen hen Alter Klavier. Viele bewundern sie ob ihrer sisch oder bayrisch“. Hochdeutsch mag sie nicht. ner Kindheit- und Jugendjahre – hier im Haus Rück­kehr nach Eu­ro­pa, wech­seln­der Wohn­sitz des kleinen Gartens, der sich im Prinzregen- Virtuosität. Und Erich Kästner erzählt, wie sie „in Die Preußen sind ihr „von Herzen zuwider“, er- Händelstraße 1, wo sie ihren Lebensabend ver- in Pa­ris und Mün­chen. tentheater anschloß, gingen in den Pausen die der Münchner Händelstraße auf ihrem gelieb- zählt Erich Kästner, der als gebürtiger Dresdner bringt. Eine phantastische Frau, die sich noch Zwischen Krieg und Frieden schreibt sie rei- schönsten Frauen aller Himmelsrichtungen auf ten Flügel ein bißchen Mozart vorspielt“. Ist das befürchtet, von ihr gar als Preuße betrachtet zu im hohen Alter als „Fräulein“ anreden läßt, die zende Novellen mit pikanten Aussagen! In ih- und nieder oder lehnten effektvoll an einer nicht auch paradox? fragt Kästner: „Mozart in werden. berauschende Novellen schreibt, sich auch als rem Münchner Albumblatt lesen wir: „Heiter, Säule des Foyers. München selbst glich ja einer der Händelstraße!“ 1967, in ihrem Todesjahr, reist die Kolb noch Französin bezeichnet: Annette Kolb. „Ich lebe ja beschaulich, schönäugig, verträumt, ein wenig gefeierten Frau, lächelnd ihrem Triumphe hin- Er erinnert sich auch, wie man „Mademoisel- nach Israel. Kästner schreibt: „Niemand hatte ihr hier ganz abgeschlossen“, erzählt sie 1963. Sie verspielt, im Blau der Isar und der südlichen Tö- gegeben, sie war heiter, feiertäglich und inter- le Kolb“ praktisch nie ohne ihre Toque antrifft. die gefährliche Fahrt ins Heilige Land ausreden krame gern in alten Photos und Briefen, schaue nung seines Himmels versponnen ließ München national wie keine zweite.“ In ihrer Novelle Die „Und dieses randlose Hütchen trug sie, wenn können. Sie setzte ihren Willen auch diesmal immer wieder auf die Wände. Dort hängen Bil- sich leben, und die Dinge konnten so bleiben. Die Schaukel relativiert sie schließlich sogar die man sie besuchte und sie sich gerade ausruhte, durch. Womöglich hätte sie, ohne jenen Israel- der von ihren Eltern und der hübschen Schwe- weitblickenden Frauentürme standen als Wahr- gesellschaftliche Hierarchie: „Schöne Mädchen auch im Bett.“ Flug, die letzte kurze Fahrt von der Händelstraße ster Germaine, ihre eigenen Porträts natürlich zeichen, jedoch nicht als Sinnbild dieser Binnen- hatten in München an sich, durch ihre Schön- „Wenn sie, auf ihren Stock gestützt, der Tür hinüber zur kleinen Bogenhausener Kirche mit auch – ein pfiffiges Mädchen. stadt par excellence. Das schelmisch lächelnde, heit, eine Position.“ zuschritt, fühlte man sich durchaus an Friedrich dem grünen Zwiebelturm noch ein wenig auf- Großvater ist kein Geringerer als der Herzog bierfrohe Münchner Kindl war ihr Dämon.“ Die Poesie entgleitet der Kolb eigentlich nie. den Großen erinnert“, erzählt Kästner weiter. schieben können.“ Max in Bayern, der Vater der nachmaligen Kai- „Fräulein Kolb“ spricht dann die vielen Braue- Im Haus Händelstraße 1 spielt sie noch im ho- Da sitzt sie oft vor ihm „mit Toque und Stock serin Elisabeth (Sissi). Er verführt eine Kammer- reien an, das gute Bier und die Brotzeiten und ausgerüstet“, trinkt gern ein Gläschen Champa- zofe, die ihm einen kleinen Max schenkt und fährt fort: „Indes verfiel niemand auf die heil- gner, raucht Zigaretten und streichelt ihre Katze gleich mit dem Gärtner Dominikus Kolb ver- same Idee, den unmäßigen Konsum zu unter- „Zuckerlieserl“, die auf ihrem Schoß schnurrt. heiratet wird. Max reist dann als junger Mann binden. Im Gegenteil. Zu Ehren doppelt starker Kommt sie gerade von einem offiziellen Emp- nach Paris, wo er die Kunstmalertochter Sophie Sorten, Bockbier und Salvator, schaltete sich fang, „prangen an ihrer Bluse oder Mantille die Danvin kennenlernt, eine Schülerin von Jacques eine Extramahlzeit von betonter Behaglichkeit Rosette der Ehrenlegion und die Steckzeichen Offenbach und Freundin Charles Gounods. Max ein, Frühschoppen genannt, zu welcher eine des großen Bundesverdienstkreuzes und des und Sophie, die Eltern der Annette Kolb, die am Spezialität des Landes, die berühmten Weiß- Bayerischen Verdienstordens“. 3. Februar 1870 in München zur Welt kommt. würste, unerläßlich waren. Und es wäre nicht Von der Händelstraße unternimmt sie auch Schul­be­such in Thurn­feld/Ti­rol und Mün­chen, das geringste dagegen einzuwenden, würden im hohen Alter noch viele Reisen. Sie ist nach 1899 erste Ver­öf­fent­li­chun­gen, Übersiedlung sie nicht am hellen Vormittag aufgetischt. Wer wie vor gern in Paris. Dem bayerischen Mini- im Ersten Weltkrieg in die Schweiz, 1923 dann weiß, vielleicht hängt eine solche Flucht in die sterpräsidenten Alfons Goppel, der sie einmal Auf­ent­halt in Ba­den­wei­ler. Be­zie­hung zu vie­len Gemütlichkeit irgendwie auch mit den harten als „gute Bayerin“ feiert, erklärt sie prompt: „Ich Per­sön­lich­keiten, auch zu Thomas­ Mann, der sie Wintern dieses Landes zusammen.“ war auch immer eine gute Französin.“ im Dok­tor Faus­tus als Jean­net­te Scheurl nach- Die Krone gebührt aber an der Isar der Katja Mann erzählt in ihren Ungeschriebenen Das Grabkreuz der Dichterin Annette Kolb auf dem Letzte Wohnung einer großen Frau, Händelstraße 1 zeichnet. 1933 Flucht vor den Na­tio­nal­so­zia­lis­ Münchnerin, die – schön wie ihre Stadt – alles Annette Kolb in jungen Jahren Memoiren, die Kolb spreche entweder „franzö- Bogenhauser Friedhof

46 47 Wo Heinrich Heine Sehnsucht nach Italien bekommt

deckter Tanzplatz aufgestellt, wo alle Sonn- und Feiertage den ganzen Sommer hindurch, ja auch im Frühherbste noch getanzt wird.“ Diese Idylle endet dann um 1911. Der 36jäh- rige Maler und Millionär Friedrich Lauer kauft das ganze Terrain auf und läßt darauf von Wil- helm Scherer eine Künstlervilla bauen – eine der größten Deutschlands. Nach Süden hin schließt sich ein phantastischer Garten an. Das ganze Unternehmen kostet Lauer über eine Million Goldmark. Der neue Hausherr stammt aus einer Mann- heimer Unternehmerfamilie, nach dem Tod des Vaters macht er mit Mutter Clara ausgedehnte Heinrich Heine in Bogenhausen - vor dem Jüngling, der ihn nach Italien lockt Kunstreisen nach Italien, dann läßt man sich Ehepaar Lauer in München nieder, im Hotel Vier Jahreszeiten Neuberghauser Straße 11 - ein geschichtsträch- schen, und ich wünschte mir Flügel, um hinzu- mietet man ein Dauerappartement. Friedrich Franz Marc kämpft und fällt im Ersten Welt- tiges Areal: Exakt hierher flüchtet 1828 Heinrich eilen nach seinem Residenzland Italien.“ Dann studiert an der Universität Philosophie und krieg, Friedrich Lauer malt und kämpft um An- Heine, überdrüssig der Münchner Witterung packt Heine seine Sachen und zieht weg. In der Kunstgeschichte, an der Kunstakademie bereitet erkennung, die er aber nicht erhält. Er gibt auf, und Wittelsbacher. Er hoffte bei der Ankunft auf Folge dichtet er böse Verse über Stadt und Staat. er sich auf seinen Malerberuf vor. Modell steht vermietet kurz vor 1923 mehrere Räume sei- eine Berufung an die Universität, doch König Die Münchner Frauenkirche nennt er einen „bar- ihm offensichtlich auch die schöne Veronika, die ner Villa an den Tondichter und Kunstkritiker Ludwig I. lehnte ab. Heine ist ihm zu liberal und barischen Dom“, König Ludwig ist für ihn nur er 1917 heiratet. Wilhelm Petersen und an den Architekten Kurt freiheitsdurstig. Er muß also notgedrungen weg noch ein „Kunsteunuch“. Während des Studiums lernt Lauer den bet- Gutzeit. - und nimmt in Bogenhausen Abschied von der Kurz nach der Abreise des Dichters nach Itali- telarmen Franz Marc kennen, dem er 1903 eine 1925 verkauft er schließlich das Haus an eine Stadt. In seinen Erinnerungen (Reise von Mün- en erscheint dann 1832 ein Büchlein (Die Haupt- Reise nach Paris finanziert. Am 19. Juli dieses Studentenverbindung. Er kann darin aber wei- chen nach Genua) heißt es: „Ich glaube, auf der und Residenzstadt München), in dem die Stelle Jahres beschreibt Marc dann auf dem Mont- ter wohnen. Seine Nachbarin wird eine inter- Terrasse zu Bogenhausen, im Angesicht der Ti- beschrieben wird, an der Heine verweilt und ihm martre den Gönner: „Doch wir wissen ja nicht, essante Frau: Baronin Johanna Klitzing – exakt roler Alpen, geschah meinem Herzen solch neue die Berge einen winkenden Jüngling vorgaukeln. was wir im Leben noch anfangen werden. Es hat aus der Familie, aus der Klaus Klitzing stammt, Verzauberung. Wenn ich dort in Gedanken saß, Zitat: „In dem Dorfe befindet sich ein Wirths- nicht viel Sinn, im voraus Reden zu halten. Re- der Physik-Nobelpreisträger 1985 – und eine war mir’s oft, als sehe ich ein wunderschönes haus, welches sehr zahlreich besucht wird. Im gen wir uns ab, wie Lauer zu sagen pflegt, wenn weitere Johanna Klitzing, die Jugendfreundin Eine der größten Künstlerresidenzen Deutschlands, Neuberghauser Straße 11 Jünglingsantlitz über jene Berge hervorlau- Garten desselben ist ein Caroussel und ein be- wir uns über irgendeine Sache zu sehr ereifern.“ Heinrich Heines.

48 49 Der Rest der Dorfidylle

Das älteste, voll erhaltene Wohngebäude Bo- und aus der Tiefe das dunkle Rauschen der Isar und Mietshäusern - die ersten Sakramente. Der Prominentenfriedhof genhausens, mit der Jahreszahl 1705 versehen, heraufscholl. Da wurde ein mächtiger Schinken Und keiner merkt so recht, welche Dramatik ist das Pfarrhaus neben dem Georgskircherl. mit Bohnen aufgetragen und nachher gab es der Seitenaltar links vom schimmelreitenden Weithin bekannt ist der an den Pfarrhof gren- Die einstige Idylle, wunderbar nachempfunden, eine köstliche Erdbeerbowle, bei der es laut und Georg birgt. Die himmlische Madonna tritt auf zende Gottesacker, auf dem viele Prominente kann jedermann heute auf einem Glasfenster lustig herging.“ Oben in der Kirche, so schließt ein aus der Mondsichel klein herausragendes ihre letzte Ruhe finden. Eine Auswahl: im Neuen Rathaus bewundern. In der Mitte das Müller, empfängt er „die erste heilige Kommu- Türkenantlitz. Helmut Fischer, der legendäre Monaco Franze. Gotteshaus mit dem grünen Zwiebelturm, links nion“. Das Kunstwerk, angefertigt in einer Zeit, in der Oskar Maria Graf, Bayerns großer und lange davon das Pfarrgebäude – vor Feldern und ei- Dieses Sakrament wird in Bogenhausen gleich die Muselmänner aus Kleinasien das Abendland verkannter Dichter. nem Pferdefuhrwerk, das ein Ortsbauer führt. nach dem Zweiten Weltkrieg zum erstenmal bedrohen, soll zeigen: Letztendlich vernichtet Wilhelm Hausenstein, genialer Feuilletonist In diesem Kirchenhof residieren zuweilen auch Gertraud Gampenrieder zuteil, der späte- die Gottesmutter den Halbmond und sein Heer. und erster Botschafter der Bundesrepublik in bekannte Pfarrherren mit ihren Kooperatoren, ren Leiterin des Fremdspracheninstituts Mün- „Türkenmadonna“ nennt man das Genre, das Paris. 1820 auch Bernhard Stark, der berühmte Ar- chen. Sie schreibt in ihren Erinnerungen an auch in der Münchner Heilig-Geist-Kirche zu Liesl Karlstadt, die äußerst beliebte Komödi- chäologe Bayerns. Er wohnt zusammen mit schlechte Zeiten, ihr Kommunionkleid habe man sehen ist. Ironie der Geschichte: Die Muselmän- antin an der Seite Karl Valentins. den Mägden, die eine eigene Kammer haben, in aus Stoffen eines Tennisrocks, eines Fallschirms ner verehren Maria (= Miriam) genauso innig Erich Kästner, der große deutsche Dichter des einem nicht gerade komfortablen und stets re- Karl Alexander Müller und eines Brautkleides zusammengeschneidert. wie die Christen. 20. Jahrhunderts. paraturbedürftigen Haus. Die Knechte schlafen „Ein hinreißendes Kleid, dessen ich mich nicht Annette Kolb, eine der berühmten deutschen draußen im Pferdestall. Im Garten stehen zwi- rung der Ruf kirchenhistorischer Gelehrsamkeit zu schämen brauchte“, erzählt sie. Der Pfarrer Novellistinnen. schen Obstbäumen der Hühner- und Kuhstall, und politischer Gewandtheit schwebt“. Und der persönlich verschenkt die Kommunionkerzen. John Lamont, erster Direktor der Sternwarte. die Scheune und eine Wagenremise. Memoirenschreiber fährt fort: „Seine großen „Sie waren von so schlechter Qualität, daß eini- Hermann Proebst, der unerreichbare Chefre- Etwas gemütlicher hat es und macht es sich Bernhardinerhunde pflegte er immer Leo zu ge bereits beim Proben des Einzugs abbrachen. dakteur der Süddeutschen Zeitung. dann zwei Generationen später der Geistliche nennen und stellte sie mit freundlichem Lachen Ich klebte meine Kerze und behandelte sie wie Hans Scherer, der unermüdliche Wohltäter Rat und Ehrenkanonikus Dr. Korbinian Ettmayer, vor.“ Pure Anspielungen auf die Päpste Leo VIII. ein rohes Ei.“ Schließlich die Feststellung: „Die auf dem Gebiet der Männerfürsorge. den der bayerische Innenminister Ludwig Müller und Leo XI., die als Bernhardiner den Befehl aus kleine barocke St. Georgskirche war überfüllt, Josef Schörghuber, Münchens „Baulöwe“. und sein Sohn Karl Alexander Müller „manchmal Bogenhausen erhalten: „Kusch dich.“ und ich freute mich, daß meine Eltern, mein Rudolf Vogel, Deutschlands unvergessener zur Sommerszeit in seinem idyllischen Pfarrhaus Und wir lesen aus der Feder Müllers weiter Bruder und unsere Nachbarn – wie von unserem Schauspiel- und Filmkomiker. über Brunnthal besuchten“, wie der Filius später über diesen stattlichen Prälaten im Pfarrhaus Kaplan gefordert - an der Messe teilnahmen.“ Gustl Waldau, äußerst beliebter Schauspieler. in seinen Memoiren (Gärten der Vergangenheit) Bogenhausen: „Ich bewunderte seine große Ihre Geschenke breitet die kleine Gertraud dann Werner Wunderlich, Deutschlands berühmter erzählt. Sammlung schöner maroquinrot gebundener zu Hause „wie Reliquien auf der Kommode“ aus: Modeschöpfer. Korbinian Ettmayer ist nach Darstellung Karl Kirchenväter und saß einmal in einer lauen Ju- Bilder, eine Kette, zwei Orangen. Hans Joachim Ziersch, der stille, aber große Alexander Müllers „eine sehr stattliche, lebens- ninacht mit in seinem großen Garten, wo die In besagtem Gotteshaus spenden die Pfarr­ Mäzen Münchens. Das älteste Wohngebäude Bogenhausens: Das Pfarrhaus neben St. Georg kräftige Prälatenfigur, um die in meiner Erinne- Sterne durch den blühenden Flieder schienen herren von nebenan vielen Kindern – aus Villen Türkenmadonna in St. Georg

50 51 Die „Junggesellenwohnung“ des Artur Kutscher

Unser Weg führt uns vom Kircherl runter zur dem Reichsackerkopf, von Bayern gestürmt, versität nie Ordinarius geworden. „Ob dies Ur- Isar und dann auf die Mauerkircher Straße nach bezogen wir neun Wochen lang Stellung.“ Bei sachen dafür nur persönlicher Art waren und Norden. Im Haus Nummer 4 wohnt im Ersten der Heimfahrt Juli 1916 ruft er als Verwunde- etwa darin lagen, daß er in allzu schroffer Weise Weltkrieg der Schriftsteller Max Krell, in einem ter an der Grenze seine in Hannover weilende die Gegnerschaft herausforderte, oder darin, Beobachtungsturm, wie er in seinen Memoiren Frau an, sie soll jetzt nach München kommen. daß man ihn rein wissenschaftlich nicht ernst (Das alles gab es einmal) mitteilt. Pünktlich halb Kutscher: „Wir richteten uns vorläufig in meiner nahm – er hat dafür weit hinaus über die reine zehn sieht er Generalmusikdirektor Bruno Wal- Junggesellenwohnung ein, so gut es eben ging. Wissenschaft gewirkt und auf die Jugend eine ter. „Man hätte die Uhr nach ihm stellen kön- Die winzigen Zimmer wurden vornehm und be- Anziehungs- und Anregungskraft ausgeübt, nen.“ Es folgt nach und nach die Prominenz des haglich ausgestattet. signierte mir um die ihn seine Feinde zweifellos beneideten.“ Herzogparks. seinen römischen Frühlingszug. Doch konnte Auch um Die Kutscherkneipe, nach Brandenburg Im nächsten Haus wohnt der Theaterwissen- ich mich noch lange nicht ungestört meiner Ar- „Bierabende seines Seminars“ – und „einer der schaftler Artur Kutscher, der uns ausführliche beit für das Wintersemester hingeben, denn ich berühmtesten Münchener Kreise“. Memoiren (Der Theaterprofessor) hinterläßt, aber mußte anderthalb Jahre lang wöchentlich zwei seine braunen Flecken ganz schön kaschiert. Wie bis dreimal im Lazarett Lichtbäder nehmen.“ es auch sei, er hat vor der Diktatur zweifellos sei- Artur und Betty Kutscher Der Krieg wirkt sich indes auch auf den Ich denke oft an Piroschka ne Verdienste. 1909 schreibt ihm Frank Wedekind, Lehrbetrieb der Universität aus. Kutscher: „Die In seinen Memoiren (Der Theaterprofessor) er freue sich über die neunjährige Freundschaft. Universität das Fach Neuere deutsche Literatur. Studenten waren sämtlich Kranke oder Kriegs- gedenkt Kutscher auch seines bekanntes- Dann wörtlich: „Meine aufrichtigen Glückwün- In seiner Bogenhauser Wohnung suchen ihn versehrte. Die weiblichen Hörer überwogen bei ten Schülers: Hugo Hartung. Eine der vielen sche zu Ihrer Wirksamkeit und meine besten nunmehr Studenten, Fachkollegen und Litera- weitem, doch waren es im ganzen so wenige, Exkursionen führt beide nach Ungarn. Kut- Wünsche zu jedem folgenden Werk.“ ten auf. Er selbst begibt sich zu den wichtigsten daß ich mich nach Nebeneinnahmen umsehen scher: „Auf dieser Fahrt hatte mein Schüler Artur Kutscher, 1878 in Hannover als Sohn Schriftstellern, zu Paul Heyse, Korfiz Holm, zu mußte.“ In dieser Zeit wird ein Wegzug aus Hugo Hartung jenes Erlebnis, dessen litera- eines Spezialisten für Sprachheilkunde gebo- Roda Roda – und Max Halbe. Ihn sieht er einmal Bogenhausen diskutiert. Kutscher: „Wir hatten rische Bearbeitung ihn berühmt gemacht ren, studiert von 1899 an in München Litera- in den Torggelstuben auf Wedekind klagend zu- Mut und mieteten uns, als meine Frau sich Mut- hat. Ich denke oft an Piroschka.“ Die gemein- turwissenschaft. 1906 Promotion, er mietet schreiten. „Meine Kleine hat mir ein Manuskript ter fühlte, eine Vierzimmerwohnung im Dach- samen Erlebnisse auf dem Donauschiff schil- daraufhin als erster eine Wohnung im vierten zerrissen.“ Gemeint ist Annelies Halbe. Auf diese geschoß der Kaulbachstraße 77.“ dert Hartung, auch die Ankunft in Budapest: Stock des eben fertiggestellten Jugendstilhau- Nachricht hin fragt Wedekind sarkastisch: „Kann Vor ihm noch eine weite Wegstrecke. Er er- „Ungarische Studenten empfingen uns mit ses Mauerkircher Straße 6. Schon im Adreßbuch sie denn schon lesen?“ Eine der vielen Anekdo- fährt viele Würdigungen, eine sehr markante Fahnen, Hymnen und Backenküssen.“ Har- 1910 erscheint dort sein Name, sein Beruf: „Pri- ten, die Kutscher in seinen Memoiren erzählt! stammt vom Schriftsteller Hans Brandenburg, tung verehrt seinen Lehrer vor allem wegen vatdozent“. Die Ernennung dazu, so berichtet Von seiner Wohnung zieht er dann direkt der sich in seinen Memoiren (München leuch- dessen Fähigkeit, die Theorie mit der Praxis Kutscher, spricht 1907 der Prinzregent Luitpold auf die westlichen Schlachtfelder des Ersten tete) intensiv mit ihm auseinandersetzt. Der idealtypisch zu verbinden. Kutschers Wohnung vor dem und im Ersten Weltkrieg, Mauerkircher Straße 6 aus. Konkret lehrt der Hannoveraner jetzt an der Weltkriegs. 1915 sieht man ihn im Elsaß. „Auf Theaterprofessor, so schreibt er, sei an der Uni-

52 53 Ehrenwirths Reich der Bücher

Viele von ihnen bezaubern noch heute, 30 von einer Verlobung.“ Anschließend erinnert So- sinnliche Anziehung.“ Tatsächlich sucht Sophie Jahre später, die Menschen. Lieder von einmali- phie die Dichterin an ihre erste Begegnung: „Über die körperliche Wärme der „lieben L“. In einem gem Glanz, denkt man nur an Weckers Bekenntnis: jeden Spaziergang und jede Stunde wachte Frau Brief, den sie nur mit einem langen Haken un- „Heut schaung die Madln wia Äpfel aus. Cajetan, mehr habituelle als persönliche Eifer- terzeichnet (sie hat Angst vor der Zensur) wird Heit is a damischer Tag. sucht, die alles so erschwerte.“ Eine „Nacht im sie besonders deutlich: „Sie wissen, wie sehr lieb Heit fahr i(ch) gradwegs in Himmi nauf, Park, wo Sie auch Ihre Haare gelöst hatten“, bleibt Sie mir sind und daß es mich sehr bewegt hat, Sie ohne Plag, ohne Plag, ohne Plag.“ ihr immer im Gedächtnis. Nur zum Verständnis: wiederzusehen. Ich habe Sie einmal lieb gehabt Dann die Wiedergabe des Dichterworts gespro- Eine Frau, die ihre Haare vor dem geliebten Men- als eine stille und unbeirrbare Flamme. Ich habe chen: „Alles geben die Götter, die unendlichen, schen löst, gibt ein eindeutiges Signal. auch Wünsche gehabt – oh gewiß. Adieu liebes ihren Lieblingen ganz. Alle Freuden, die unendli- „Darum wissen Sie nicht“, so schreibt das Fräu- Herz.“ Etwas später will die Freundin wissen, ob chen, alle Leiden, die unendlichen, ganz.“ lein Hoechstetter weiter an Le Fort, „daß diese sie einen Verehrer habe. Lange Zeit überhaupt nicht bekannt, daß im leidenschaftliche Freundschaft dem, der sie fühlt, Aphorismen freilich nur, doch auch sie gehören Haus an der Vilshofener Straße ein Konvolut eine größere Kraft gibt als die stärkste Nur-Ero- zu einer Biographie der erfolgreichen und belieb- mit der pikanten Korrespondenz der Dichterin tik.“ Und weiter: „Ich sage Nur-Erotik, denn es ten Dichterin des 20. Jahrhunderts. Die Einleitung Franz Ehrenwirth, wie ihn der Karikaturist Ernst Maria Lang Gertrud von Le Fort lagert. Den Briefwechsel giebt keine leidenschaftliche Freundschaft ohne zum Schweißtuch der Veronika entzückt Millio- 1979 sieht vermacht Franz Ehrenwirth 1988 der Monacen- nen: „Das Lied meiner Jugend war das Lied eines sia-Abteilung der Stadtbibliothek. Und somit ver- kleinen römischen Brunnens...“ Unter den Schulbuch- und Bavarica-Verlagen danken wir dem äußerst sympathischen Verleger Ehrenwirth, das ist also ein Name mit Glanz gehört nach dem Zweiten Weltkrieg das Haus einen Stoß Papier, der ein grelles Licht auf Le- und Glorie. In seinem Haus sind die Autoren, zu Ehrenwirth an der Vilshofener Straße zu den benswerk und Liebeskummer der Dichterin wirft. denen auch ich gehöre, gern gesehen, unver- be­sten und bekanntesten. Als einer der ersten Nach einer gründlichen Durchsicht kann man geßlich die Gartenfeste! Den 75. Geburtstag des westdeutschen Verleger erhält Franz Ehrenwirth, über den Bestand sagen: Rund tausend Briefe Hausherrn feiert man 1979 mit einer Galavorstel- 1904 in München geboren, von den Amerika- und Postkarten, die in den Jahren vor dem Ersten lung (Der Brandner Kaspar schaut ins Paradies) nern die Drucklizenz. Schnell kann er sich Auto- Weltkrieg geschrieben werden. Die unvermählte im Cuvilliéstheater. Für die Festschrift greift Ernst ren wie Gertrud von Le Fort (Das Schweißtuch Gertrud von Le Fort ist damals schon ein ausge- Maria Lang zum Stift. Unvergessen die Worte des der Veronika) und Josef Martin Bauer (So weit hender Twen, natürlich verliebt, aber der Richtige Bearbeiters des Brandner Kaspar und Hausautors die Füße tragen) sichern, dazu verlegt er das soll und will sich nicht einstellen. So schüttet die Kurt Wilhelm über die Villa Vilshofener Straße 8: neueste aus dem Imkereiwesen, das ihn welt- Dichterin ihr Herz ihrer Freundin Sophie Hoech- „Beim Ehrenwirthe wundermild weit bekannt macht. In einer zweiten Erfolgs- stetter in Pappenheim aus. da sind wir im Verlage phase verlassen sein Haus unter anderem die Diese antwortet einmal auf einen Brief: „Dann daß man bei ihm zu Haus sich fühlt Edelsitz eines großen Verlags, Vilshofener Straße 8 allerersten Lieder Konstantin Weckers. erzählen Sie Dinge, die mir sonderbar weh taten, Gertrud von Le Fort das freut uns alle Tage.“

60 61 Die Villa des Nobelpreisträgers

Ein Haus des Triumphs und der Trauer. Von 1914 Und: 1928 erreicht Thomas Mann in seinem Zur Villa selbst! Katja teilt mit: „Das Haus bis Anfang 1933 wohnt darin Thomas Mann mit Haus die Nachricht, für seine Buddenbrooks den war groß.“ In den Zimmern des dritten Stoc- seiner Familie. Im Zweiten Weltkrieg Zerstörung Literatur-Nobelpreis zu erhalten. kes haben die Kinder ihr Reich, wo sie rumtol- des Gebäudes, dann notdürftiger Wiederauf- Nicht zu vergessen: Im Haus an der Poschin- len können, ohne den Vater beim Dichten zu bau, schließlich Neubau im alten Muster, nur gerstraße gehen die Großen und Schönen stören. Ausführlicher beschreibt das Gebäude das Dach fällt überdimensional groß aus. Heute ein und aus. Man sieht immer wieder Hedwig Thomas Manns jüngerer Bruder Viktor in seinen sieht man Menschen aus aller Welt um die Villa Pringsheim, eine äußerst attraktive und liebens- Memoiren (Wir waren fünf). „Man betrat das (Poschingerstraße 1) streifen. werte Frau - wie eben auch ihre Tochter Kat- Haus von rückwärts und gelangte in eine weite Der Bau hat ihn so „ausgepowert“, bekennt ja. Daneben Töchterlein Erika, ein bildhübsches Diele mit Ziegelkamin und schönem Treppen- Thomas Mann 1914, daß er sich zu allergrößter Mädchen, das hier bald mit Gustaf Gründgens aufgang. In drei Haupträumen gingen von hier Sparsamkeit gezwungen sieht. Dennoch besucht Hochzeit feiert. Der Schwiegersohn, so erzählt aus die hohen Flügeltüren: zum Eßzimmer, wo er gerne und ständig das Prinzregententheater. Katja am Rande, ist „immer sehr gehemmt, ein Kühlraum für Zigarren in die Wand einge- Ansonsten sitzt er viel am Schreibtisch. Er arbei- wenn er zu uns nach München kam – als Bräu- lassen wurde, ferner zum Arbeitsraum und in tet an Herr und Hund, an den Bekenntnissen des tigam, später als Ehemann“. Katjas Zimmer. Küche und Gesinderäume waren Hochstaplers Felix Krull, weiter am Zauberberg Damit sind wir bei Katjas Ungeschriebenen im Souterrain untergebracht, und es gefiel mir und an Joseph und seine Brüder. Gerne geht er Memoiren, die sie 1974 schreibt: „Wir hatten ein sehr, daß die Speisen vermittels Aufzug aus der mit seinem Hund Bauschan spazieren. Der Spei- ziemlich offenes Haus in München, und viele unteren Region zur Tafel steigen sollten.“ seplan ist manchmal ausgefallen. Einmal ißt der befreundete Menschen verkehrten dort mehr Die schönen Jahre neigen sich freilich zu Be- Dichter „rohe Eier mit Zucker zu Abend“, er liebt oder weniger häufig. Es fiele mir heute schwer, ginn der dreißiger Jahre zu Ende. Thomas Mann die Teestunden nachmittags und trinkt mit sei- sie alle namentlich aufzuzählen – Hesse, Hof- verurteilt seit jeher den Nationalsozialismus: ner Frau Katja auch Bier. mannsthal, Hauptmann, Josef Ponten, Bruno „Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primi- Den Alltag prägt neben der Arbeit noch die Frank, Ernst Bertram, Gide, Wedekind, Heinrich tiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit.“ Kindererziehung. „Golo, mehr und mehr pro- Mann, Bruno Walter, Gustav Mahler, Furtwäng- Wegen solcher und ähnlicher Sätze erreichen blematischer Natur, verlogen, unreinlich und ler und viele, viele andere.“ Thomas Manns Ta- ihn bald Telephonanrufe, die ihm unverhohlen hysterisch“, schreibt der Vater einmal in sein gebüchern entnehmen wir noch weitere Namen. andeuten, ihn zu ermorden, wenn er sich weiter Tagebuch. „Ungesunde Kälte, Undankbarkeit, 1920 erscheint Dr. Strauss-Wien bei ihm. Der gegen die „nationale Erhebung“ wende. Zu allem Lieblosigkeit, Verlogenheit“ wirft er Klaus vor. berühmte Arzt hat vor fünf Jahren den Lieb- Unglück erstattet sein Chauffeur den Nazis ge- Schließlich ist noch zweier ungewöhnlicher Er- haber seiner Ehefrau erschossen - und wurde naue Berichte. eignisse zu gedenken: 1919 wollen die Revolu- freigesprochen. Kurze Zeit später tauchen die Schließlich das Jahr 1933, Thomas Mann

tionäre die Mann-Villa stürmen. Nur der Dich- Schriftstellerin Annette Kolb zum Abendessen kehrt nach der Machtergreifung nicht mehr Der vielgelesene und weltberühmte Hausherr Thomas Mann, stets von Schönheiten umgeben. Ehefrau Katja (oben), Thomas Manns Adresse, Poschinger Straße 1 terkollege Ernst Toller verhindert diese Barbarei. und Helene Raff zum Tee auf. nach München zurück. Schwiegermutter Hedwig Pringsheim (unten linkls) und Tochter Erika

62 63 Die Künstlerresidenz des Aktmalers Zumbusch

Bekannt sind seine Frauenbildnisse, eine wahre Marie von Preußen. Man braucht aber Nach- Galerie der Schönheiten. Die Modelle schälen wuchs und so dingt man den Italiener Giuseppe Früchte, pflanzen Bäumchen oder baden in ei- Tambosi, der sich über die alkoholisierte Königin nem Wasserbassin, darunter zauberhafte Akte hermacht und somit Vater des Königs Ludwig II. ohne Hemdchen und Hemmung. Die Gemälde wird. Vergleicht man Tambosis legitime Tochter sind heute in aller Welt zerstreut, ihren Schöpfer Leopoldine mit Ludwig, kommt man unweiger- Ludwig Zumbusch kennt kaum mehr einer. So lich zu dem Ergebnis: Es handle sich um Zwil- recht gesehen erinnert eigentlich nur noch seine linge. Bogenhauser Künstlervilla an ihn. Und doch ist Das alles weiß man in den feinen Kreisen er zu seiner Zeit berühmt, und nicht nur deswe- Münchens, man plauscht darüber, Architekt Leo gen, weil er aus einer bekannten Familie stammt Klenze schreibt es in seinen Memorabilien, Os- und in eine solche heiratet. kar Maria Graf deutet es in seiner Chronik von So sehr seine Farben leuchten, so karg fällt Flechting an. Der schwerkranke König ist wehr- 1913 seine Selbstdarstellung aus: „Geboren los und erliegt bald seinem Unterleibsleiden. 1861 zu München. Vater ist Professor der Aka- Ludwig Zumbusch, gemalt von Lovis Corinth Natürlich muß ein Denkmal her, und Zumbusch Zumbuschs signierter Frauenakt (Ausschnitt) demie in Wien, lebt in Wien. Bin verheiratet seit macht sich an die Arbeit. Kastraten und Männer 1897 mit Julie Riemerschmid, einer Enkelin des des überragenden Bildhauers der Zeit. Zu dessen mit der venerischen Krankheit werden seit lan- Reznicek, , Heinrich Zille und Komponisten Franz Lachner. Kinder sind: Johan- Genealogie: Er hat die zwei Söhne Ludwig, von ger Zeit in Europa dezent bis versteckt mit Kna- Franz Stuck. Sie alle gehören nämlich mit ihm na, geboren 1900, und Peter, geboren 1902.“ dem diese Zeilen handeln, und Leo, den Derma- ben in Verbindung gebracht. Vater Zumbusch zu den ersten Mitarbeitern der beliebten Kunst- Dann zählt er seine Reisen auf, die ihn bis nach tologen, der mit Nora verheiratet ist. steht da nicht nach, und so sieht man noch und Literaturzeitschrift Jugend, die 1896 mit Griechenland und in die Türkei führen. Nachzu- Zuerst zu Vater Kaspar Zumbusch, dessen heute die Königsstatue der Maximiliansstraße dem Untertitel Münchner illustrierte Wochen- lesen in den Selbstbiographien des Herausge- Denkmal für König Maximilian II. unüberseh- von Knaben eskortiert. schrift für Kunst und Leben gegründet wird und bers Wilhelm Zils. bar die Maximilianstraße in München ziert. Das Soweit die Familie des wortkargen Malers der Kunstgattung Jugendstil den Namen ver- Große Familie aber nicht nur wegen Ludwigs Modell dazu zeigt Zumbusch auf der Wiener Ludwig Zumbusch! Er selbst verkehrt in exklu- leiht. Zu den Hauptanliegen des Blattes gehört, Frau Julie Riemerschmid, deren Clan in Mün- Weltausstellung 1873 herum – und schon wird siven Kreisen, wird von Lovis Corinth porträtiert den Einfluß der Kirchen auf die Gesellschaft chen die erste Handelsschule für Mädchen in er an die dortige Akademie berufen. Und die- und überliefert uns ein Bildnis des damals be- einzudämmen. Deutschland gründet, sondern auch wegen sei- ses Münchner Denkmal ist reines Künstlergift. liebten Chiemsee-Malers Joseph Wopfner. Ironie der Geschichte: Zumbuschs Künstlerre- ner Schwägerin, der Wiener Bildhauerin Nora König Maximilian holt sich nämlich auf seiner Noch wichtiger: Ludwig Zumbusch hat man- sidenz in Bogenhausen ist heute Sitz der „Apo- Zumbusch, deren Werkstatt ein Ikarus, eine Tän- Kavalierstour im Budapester Bad Gellert 1835 nigfache direkte und indirekte Beziehungen zu stolischen Exarchie für katholische Ukrainer des zerin und Ziehende Kinder verlassen – und eine den Tripper. Die Krankheit ist ansteckend – und den ganz Großen seiner Zunft und Zeit: Lovis byzantinischen Ritus“, was so auch auf einem Extravagante Malervilla, Schönbergstraße 9 Büste ihres Schwiegervaters Kaspar Zumbusch, so unterbleibt der Kontakt mit seiner Ehefrau Corinth, Gustav Klimt, Max Slevogt, Ferdinand Schild am Eingang steht.

64 65 Malerisches München: Anton Höchl in seinem Schloß am Priel

Kaum ein Münchner kennt heute das Priel in dem Herzog Max in Bayern, dem Vater der Kai- eben erwähnten Herzog Max in Bayern schenkt: Bogenhausen, und doch steht auf ihm ein be- serin Elisabeth (Sissi). Zu Hause im Bogenhauser Eschenheimer Tor in Frankfurt, Bayerturm in merkenswertes Schlößchen, in dem Künstler Schlößchen bewirten sie die Künstlerkollegen Köln, Schloß Banz. und Königliche Hoheiten ein- und ausgehen. Heinrich Buerkel, Franz Gedon, Ludwig Hagn Für die Heimat natürlich erheblich bedeuten- Bauen läßt es 1852 der Maler und Gutsbesit- (Bruder der „Schönheitskönigin“ Charlotte der die wunderbaren Bilder des alten München! zer Anton Höchl, 1818 in München geboren Hagn), Wilhelm Marc (Vater des Franz Marc), Beim Betrachten der Werke stellt man sofort und mit der Ziegelproduktion reich geworden. Hans Marées, Christian Morgenstern und Eugen fest: Märchenhaft schön ist die Bayernmetro- Verheiratet ist er seit 1847 mit der um sieben Napoleon Neureuther. Weiter fährt der welt- pole vor den Bomben des Zweiten Weltkrieges. Jahre älteren Deggendorfer Hausbesitzertochter berühmte Photograph Joseph Albert vor, der Eine kleine Auswahl der Motive: Zeughaus am Antoinette Leimer. Mit ihr bricht er zu Fahrten bürgerliche Freund des Zaren Alexander III. In Anger (um 1869), Marienplatz (1860), Nord- bis nach Antwerpen, Bozen und Wien auf. Wäh- diesem Zusammenhang die Randnotiz: Höchl westturm am Jesuitenkolleg (1877), Rathaus in rend er dort und auf den Reisestationen malt, ist ein leidenschaftlicher Photograph. Selbst- München (um 1882), der Fischmarkt mit Heilig- kann sie die Schönheiten der Fremde in vollen verständlich kann er sich die teuren Apparate Geist-Kirche (1867), Altes Rathaus vom Tal aus Zügen genießen. leisten (1858), Rundturm am Viktualienmarkt (1842), Beide Eheleute verkehren mit den zwei po- Das Leben dieses vielseitigen Mannes hat Herzog-Max-Burg (1875). pulärsten Münchnern – mit Carl Spitzweg und 1988 der beliebte Münchner Schulrat Fritz Lutz Versunkene Bilder, stellen wir heute nach- minuziös nachgezeichnet. Seitdem wissen wir, denklich fest. Doch die „gute, alte Zeit“ ist es welche Kunstwerke im Höchl-Schlößchen hän- auch nicht. Auf einem Bild sehen wir drei jun- gen. Da kommt man aus dem Staunen nicht ge Wäscherinnen, eine bearbeitet einen weißen mehr heraus: Der Einsiedler von Carl Spitzweg, Stoff am vorbeiströmenden Bach, eine (im blau- Italienischer Klosterhof von Leo Klenze, Italie- en Kleid und weißer Schürze) trägt den Wäsche- nische Landschaft von Karl Rottmann, Mond- korb auf dem Kopf, eine andere (im blauen Mie- nacht in Partenkirchen von Christian Morgen- der, rotem Rock und ebenfalls weißer Schürze) stern, Kosakengefecht von Peter Heß, Partie bei hängt Bettlaken auf. Schwabing von Johann Georg Dillis, Starnberger Im Jahr 1842, in dem das Bild von Höchl ge- See von Max Wagenbauer und Italienische Kir- malt wird, schaut es um die schöne Münchnerin che von Max Ainmiller. Dies ist nur eine kleine aber gar nicht gut aus. Wer heiraten will, muß Auswahl. Die im kleinen also! die teuren Taxgebühren zahlen, die sich die we- Noch erstaunlicher das Gesamtwerk des Mei- nigsten leisten können. So darf es nicht verwun- sters Anton Höchl. Greifen wir zunächst nur dern, daß die Zahl der unehelichen Kinder fast Münchner Wäscherinnen, von Anton Höchl im Jahr1842 Malerschlößchen Odinstraße 29 Anton Höchl die Ölbilder und Aquarelle heraus, die er dem so groß ist wie die der „legitim“ Geborenen. gemalt (Ausschnitt)

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