Die Alternative 2016
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
21. Jahrgang IGZ 2 VKZ 17248 DIE ALTERNATIVE 2016 Die Professionelle Zahnreinigung Von der Kuration zur Prävention in der Zahnmedizin Editorial: Die PZR ist ein zentraler Baustein Dr. Nadine Strafela-Bastendorf, zahnmedizinischer Prävention. ............................................ 3 Dr. Klaus-Dieter Bastendorf: Die Professionelle Zahnreinigung im Wandel der Zeit ..................................20 Prof. Dr. Dietmar Oesterreich: Von der Kuration zur Prävention. Die Bedeutung der Prof. Dr. Georg Conrads: Professionellen Zahnreinigung. ........................................... 4 Die PZR der Zukunft - Chancen und Risiken, die Mundflora zu steuern .........................................................22 Priv.-Doz. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan, MSc: Früh einsetzende Prävention wirkt nachhaltig. ................ 8 Dirk Heidenblut: Die Professionelle Zahnreinigung: Ein Symbol für Prävention und Eigenverantwortung .. 25 Prof. Dr. Carolina Ganß: Über den Weg von der kurativen zur präventiven Zahnheilkunde. ..................... 10 Dr. Harald Terpe: Zahngesundheit stärken ....................................................26 Dr. Wolfgang Eßer: Professionelle Zahnreinigung und Unterstützende Franz Knieps: Im Wandel der Zeit: Von der Kuration Parodontitistherapie aus vertragszahnärztlicher Sicht. 13 zur Prävention ..................................................................... 28 Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Jentsch: Die Rolle der PZR Uwe Laue: Prophylaxe hat für die Debeka einen bei der Parodontitisprävention und -therapie ................ 18 hohen Stellenwert ................................................................30 Interessengemeinschaft Zahnärztlicher Verbände in Deutschland IGZ e.V. 160502-apo-AZ-T2-ZM-Altersvorsorge-210x297.indd 1 12.05.16 15:37 EDITORIAL | Benn Roolf Die PZR ist ein zentraler Baustein zahnmedizinischer Prävention. Liebe Leserinnen und Leser, das zwingend Kontrollgruppen fordert. Im Falle der Axelsson-Studie hätte das bedeutet, den Teilnehmern historisch gesehen ist es nicht lange her, da galten der Kontrollgruppe im Dienste der Evidenzbasierung die weitverbreitetsten Erkrankungen der Mundhöhle die Zähne weiter verfaulen zu lassen, um Evidenz für - Karies und Parodontitis - noch als mehr oder weni- den Nutzen der Prophylaxe zu generieren. Über die ger unaufhaltsame degenerative Leiden, die man mit ethischen Aspekte von Forschung wird leider kaum zunehmendem Alter eben in Kauf zu nehmen hatte. gesprochen, wenn heute von den Schreibtischen der Erst in den 1960er und frühen 1970er Jahren setzte Gesundheitsforschung aus immer mehr Evidenz für sich in der Zahnmedizin der Konsens durch, dass es (zahn)medizinische Behandlungen eingefordert wird. bakterielle Zahnbeläge sein mussten, die ursächlich Auch die Autoren der MDS*-Internetplattform www. für das Zustandekommen von Karies und Parodontitis igel-monitor.de hatten bei ihrer evidenzbasierten Be- verantwortlich waren. 1965 hatten Wissenschaftler im wertung der PZR (Nutzen „unklar“) diesen Umstand Benn Roolf Rahmen einer Studie1 gezeigt, dass Probanden, die auf ausgeblendet. Das ist insofern besonders ärgerlich, Chefredakteur jede Zahnreinigung verzichteten, innerhalb von drei da mit solcherart „Evidenzsynthesen“ ein zentraler Wochen Zahnbeläge und Zahnfl eischentzündungen Baustein zahnmedizinischer Prävention öffentlich- entwickelten. Als die Probanden wieder Zähne putz- keitswirksam diskreditiert wird. ten, ging die Zahnfl eischentzündung zurück. Die Axelsson-Studien haben einen Paradigmen- Da Karies und Parodontitis damals trotz häuslicher wechsel von der kurativen zur präventiv orientierten Mundhygiene in der Bevölkerung ein weitverbreite- Zahnmedizin eingeleitet. Die Strahlkraft der Arbei- tes Phänomen waren, lag der Gedanke nahe, zu prü- ten beruhte auch darauf, einen Weg aufzuzeigen, wie fen, ob nicht eine professionelle Hilfe, bestehend u.a. Prophylaxe nicht nur unter den „Laborbedingungen“ aus Instruktionen zur besseren häuslichen Mundhy- einer Studie, sondern konkret in der Zahnarztpra- giene und einer professionell ausgeführten gründli- xis umsetzbar ist. Axelsson und Lindhe hatten einen chen Zahnreinigung, in der Lage wäre, die Krank- strukturierten, in der Praxis gut umsetzbaren Pro- heitslast zu senken. Mit dieser Fragestellung starteten phylaxe-Ablaufplan entwickelt, der zum Vorbild für Anfang der 1970er Jahre die schwedischen Forscher die heutige PZR wurde. Die Botschaft an die Patien- Per Axelsson und Jan Lindhe ihre für die Zahnpro- ten hieß: Wer nicht erst dann in die Zahnarztpraxis phylaxe schließlich wegweisend gewordenen Studi- kommt, wenn der Zahn schmerzt, sondern regelmä- en. Bereits nach wenigen Jahren zeigte sich, dass ßig zur Prophylaxe/PZR geht, hat ein wesentlich ge- die Teilnehmer der Testgruppe von der professio- ringeres Karies- und Parodontitisrisiko. nellen Mundhygiene profi tierten und einen besseren Mundgesundheitszustand entwickelten als die Teil- Dass die PZR - trotz angeblich fehlender Evidenz - in nehmer der Kontrollgruppe, die keine professionel- der Praxis wirkt, zeigen die Daten der DMS V: Pati- le Hilfe erhielten. Nach sechs Jahren wurde schließ- enten mit regelmäßiger PZR sind mundgesünder als lich die Kontrollgruppe aus ethischen Erwägungen Patienten ohne PZR. Und auch der Paradigmenwech- heraus aufgelöst: Die Teilnehmer sollten nicht wei- sel von der kurativen zur präventiven Zahnmedizin ter auf die inzwischen erwiesenermaßen wirksamen funktioniert: Seit 1991 ist die Zahl der über die GKV Prophylaxemaßnahmen verzichten müssen. abgerechneten Extraktionen um 25% und die der Fül- lungen sogar um 41% zurückgegangen. Der kurative Die Aufl ösung der Kontrollgruppe führte übrigens u.a. Sektor ist geschrumpft. Dennoch bleibt noch viel zu dazu, dass die Axelsson-Studien aus der Perspektive tun, wie die inzwischen zwar reduzierte, aber immer der evidenzbasierten Medizin an Aussagekraft ver- noch hohe Krankheitslast bei der Parodontitis zeigt. * MDS: Medizinischer Dienst loren und in späteren Übersichtsarbeiten nicht be- Hierzu wird derzeit unter der Federführung der KZBV des Spitzenverbandes Bund rücksichtigt wurden. Goldstandard der evidenzbasier- ein umfassendes Versorgungskonzept erarbeitet. der Krankenkassen e.V. ten Medizin ist das sogenannte RCT-Studiendesign, Der MDS wird fi nanziert vom Spitzenverband der Gesetz- Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre 1 Harald Löe, Else Theilade and S. Börglum Jensen. Experimental Gingivitis in Man. Jour- lichen Krankenversicherung nal of Periodontology May-June 1965, Vol. 36, No. 3: 177-187. Benn Roolf (GKV-SV). IGZ DIE ALTERNATIVE NR. 2/2016 | 3 | SCHWERPUNKTTHEMA Dietmar Oesterreich Von der Kuration zur Prävention: Die Bedeutung der Professionel- len Zahnreinigung (PZR) Der präventive Richtungswechsel im Rückblick litischen Entwicklungen untersucht und als sinnvoll Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts stand bewertet2. Um die durch die Gesundheitspolitik ein- die bevölkerungsweit schlechte Mundgesundheitssi- geführten Maßnahmen zu Beginn der 1990er Jahre tuation in Deutschland im Zentrum des öffentlichen im Bereich der Gruppen- und Individualprophylaxe Interesses und der Gesundheitspolitik. Das 1987 (SGB V, §§ 21, 22) zu fördern und strukturiert umzu- veröffentlichte Sachverständigengutachten der kon- setzen, wurde zudem ein Handbuch für die prophy- zertierten Aktion im Gesundheitswesen erteilte der laktische Arbeit in Kindergärten und Schulen und der Mundgesundheit in Deutschland ein unerfreuliches Zahnarztpraxis entwickelt3. Gerade die Einführung der Zeugnis. Dabei wurden auch die hohen Ausgaben Individualprophylaxe für Kinder und Jugendliche in im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung das GKV-System beförderte den Paradigmenwechsel in ein kritisches Verhältnis zum Zustand der Mund- zur präventiven Zahnheilkunde in den zahnärztlichen Prof. Dr. Dietmar gesundheit gesetzt. Praxen. Zur Umsetzung wurde vom IDZ ein Curricu- Oesterreich lum entwickelt, welches gleichzeitig als Impulsgeber Vizepräsident der Diese Entwicklungen waren Ausgangspunkt für die für die zahnärztliche Fortbildung diente.4 Bundeszahnärztekammer Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Kassen- zahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die ent- Auch die im § 21 des SGB V verankerte Gruppenpro- sprechenden Fragestellungen detailliert wissen- phylaxe in Kindereinrichtungen und Schulen war ein schaftlich untersuchen zu lassen. Das Institut der Meilenstein für die Prävention und Gesundheitsförde- Deutschen Zahnärzte (IDZ) wurde beauftragt, eine rung zur mundgesundheitsbezogenen Bewusstseins- bevölkerungsrepräsentative, sozialepidemiologi- bildung in der Bevölkerung. Diese Aktivitäten mün- sche Studie durchzuführen. Bereits zu diesem Zeit- deten in das lebensbegleitende, oralprophylaktische punkt war beabsichtigt, diese Studien regelmäßig zu Betreuungskonzept „Prophylaxe ein Leben lang“, wel- wiederholen, um künftig Entwicklungstrends dar- ches die Zahnärzteschaft im Jahr 1995 vorlegte5. Hier stellen zu können. Die Ergebnisse der Ersten Deut- wurde sowohl zahnmedizinisches als auch pädago- schen Mundgesundheitsstudie für Westdeutschland gisch-psychologisches Fachwissen zusammengetragen, im Jahr 1989 und für Ostdeutschland im Jahr 1992 um eine moderne, zielgruppengerechte Oralpräventi- zeigten, dass sich die Mundgesundheit in Deutsch- on umzusetzen. Die Erziehung zur „oral health self- land im internationalen Vergleich nur im unteren care“ in Sinne einer Verhaltensprävention stand im Mittelfeld bewegte1. Länder, in denen Prävention in Mittelpunkt des Konzeptes. Gleichzeitig wurde auch